Dreidimensionale Modelle kühler Sternatmosphären Mit hochentwickelten Computersimulationen können die konvektiven Gasströmungen in den Atmosphären sonnenähnlicher Sterne im Detail studiert werden. Das ist für die Bestimmung der Elementhäufigkeit in Sternen wichtig und ermöglicht gesicherte Erkenntnisse über die chemische Entwicklung des Milchstraßensystems. Die chemische Zusammensetzung von Sternen lässt sich mit Hilfe der Spektralanalyse bestimmen. Dazu ist zunächst aus spektroskopischen Beobachtungen die Stärke geeigneter Spektrallinien zu ermitteln. Um von der Linienstärke auf die Elementhäufigkeit zu schließen, sind ein realistisches Modell der jeweiligen Sternatmosphäre und eine detaillierte physikalische Theorie des Linienentstehungsprozesses notwendig. In den Atmosphären sonnenähnlicher Sterne sind die Verhältnisse kompliziert, weil dort großräumige Gasströmungen (Konvektion) auftreten. Diese spielen eine wichtige Rolle für den Energietransport und beeinflussen nicht nur die vertikale Temperaturschichtung, sondern verursachen darüber hinaus horizontale Temperaturfluktuationen. Beides kann die Form und Tiefe der Spektrallinien verändern. Will man genaue spektroskopische Häufigkeitsbestimmungen durchführen, so muss man solche Effekte berücksichtigen. In Zusammenarbeit mit Bernd Freytag von der Universität Uppsala habe ich am Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) mit numerischen Simulationen die Auswirkungen oberflächennaher Konvektionsströmungen auf die Entstehung verschiedener Spektrallinien untersucht. Dreidimensionale Simulation der Konvektion Basierend auf den Grundgleichungen der Hydrodynamik und des Strahlungstransports liefern Rechnungen inzwischen verblüffend realistische, physikalisch konsistente dreidimensionale Modelle dynamischer Sternatmosphären. Solche Modelle können dazu dienen, die Rolle der Konvektion in Sternen unterschiedlichster Entwicklungsstadien zu studieren, angefangen von der Sonne, über Rote Riesen bis hin zu Weißen Zwergen. Die hier gezeigten Beispiele stammen von Simulationen mit dem von Freytag und mir entwickelten Strahlungs-Hydrodynamik Programm CO5BOLD. Abb. 1 zeigt eine Momentaufnahme der neuesten Simulation der Sonnen- 22 S3-23-bw q1.indd 22 5000 km Abb. 1: Momentbild einer am AIP durchgeführten numerischen Simulation der Sonnengranulation. Die Größe des Rechengebiets beträgt 11200 km 11200 km. Das Bild zeigt die austretende Kontinuumsintensität bei einer Wellenlänge von 436.4 nm. STERNE UND WELTRAUM 5000 km Abb. 2: Aufnahme der Sonnengranulation mit dem schwedischen 1-m-Sonnenteleskop (SST) auf La Palma bei einer Wellenlänge von 436.39 nm im gleichen Abbildungsmaßstab wie in Abb. 1. (Bild: M. Carlsson et al.) granulation. Solche synthetischen Intensitätsbilder lassen sich direkt mit hochauflösenden Sonnenbeobachtungen vergleichen. Eine der besten Aufnahmen der Sonnengranulation, gewonnen am neuen schwedischen 1-m-Sonnenteleskop auf La Palma, ist in Abb. 2 zu sehen. Das beobachtete Granulationsmuster zeigt eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den charakteristischen Merkmalen der simulierten Sonnengranulation. Eine genauere Analyse der Simulationsdaten zeigt, dass sowohl die Größenverteilung der Granulen, als auch der Intensitätskontrast sowie die Zeitskalen, auf denen sich das Muster entwickelt, gut mit den Messungen übereinstimmen. Die bloße Lösung der physikalischen Grundgleichungen führt zu einem derart realistischen Ergebnis! Das stärkt unser Vertrauen, die Methoden auf die nicht im Detail beobachtbaren Oberflächen anderer Sterntypen zu übertragen. Wie die Sonnengranulation Spektrallinien verändert Hat man die Hydrodynamik der Sternoberfläche berechnet, kann man anschließend die Spektrallinien simulieren. So können wir den Einfluss von Temperaturvariationen und lokalen Geschwindigkeitsfeldern auf die Form und Tiefe einzelner Spektrallinien herausfinden. Aufgrund der horizontalen Temperaturfluktuationen von zwei bis acht Prozent in der Photosphäre emittiert jeder Punkt des Granulationsmusters ein etwas unterschiedliches Spektrum. Dies wird in Abb. 3 demonstriert. Jedes der lokalen (schwarzen) Linienprofile entspricht einem anderen Weg des Lichts vom Inneren des Sterns an die in Abb. 1 gezeigte Oberfläche. Die Variation von Linienform und stärke als Funktion der Oberflächenposition ist beträchtlich. Konventionelle Sonnenspektren sind jedoch das Ergebnis einer Mittelung über einen größeren Bereich der Sonnenoberfläche. Entsprechende Linienprofile können wir aus unseren Simulationen durch horizontale Mittelung des Spektrums über die gesamte Modellfläche gewinnen. Das Ergebnis ist in Abb. 3 als grüne Linien dargestellt. Das mittlere Linienprofil lässt nicht ohne weiteres erkennen, dass es durch Überlagerung vieler unterschiedlicher Einzelprofile zustande gekommen ist. Davon zeugt nur noch eine leichte Linienasymmetrie. In diesem Fall kann man die inhomogene, dreidimensionale Atmosphäre in guter Näherung durch die eindimensionale mittlere Schichtung ersetzten, ohne einen nennenswerten Fehler bei der spektroskopischen Häufigkeitsbestimmung zu begehen. November 2004 30.9.2004 22:20:28 Uhr Örtliche Linienprofile Eindimensionales Modell Gemitteltes dreidimensionales Modell 2.0 2.0 1.5 1.5 Intensität 1.0 0.5 1.0 0.5 0.0 –15 –10 –5 0 �V [km/s] Abb. 3: Detailansicht der Spektrallinie des neutralen Eisens (FeI) bei 525.0 nm. Neben den einzelnen Linienprofilen für unterschiedliche Positionen auf der Oberfläche (schwarz), ist das horizontal gemittelte Profil (grün) sowie das mit Hilfe der eindimensionalen mittleren Atmosphäre erhaltene Linienprofil (rot) zu sehen. Die Wellenlängenskala ist hier durch die entsprechende Dopplergeschwindigkeit ausgedrückt (ΔV = 0 entspricht der Laborwellenlänge). Wäre dieser Befund von allgemeiner Gültigkeit, würde er die klassische, auf eindimensionalen Modellen basierende, Methode der Spektralanalyse rechtfertigen. Tatsächlich hängt jedoch das Maß der Übereinstimmung zwischen den eindimensionalen und den dreidimensionalen Profilen von der Temperaturempfindlichkeit der betrachteten Spektrallinie ab. Würde man etwa die Titan-Häufigkeit der Sonne aus der TiI-Linie bei der Wellenlänge von 542.63 Nanometer bestimmen, erhielte man aus der eindimensionalen Analyse einen um 60 Prozent zu hohen Wert. Konvektion in metallarmen Halo-Sternen Sterne im Halo des Milchstraßensystems haben meist einen deutlich geringeren Metallgehalt als die Sonne; sie gehören zu den ältesten bekannten stellaren Objekten unserer Galaxis. Da sie aus der Frühphase der Milchstraßenentwicklung stammen, ist die genaue Kenntnis ihrer chemischen Zusammensetzung von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Entstehung der Elemente und der chemischen Entwicklung von Galaxien. Der Lithiumgehalt dieser Ob- 5 10 15 0.0 –15 –10 jekte lässt sogar Rückschlüsse auf die physikalischen Bedingungen während des Urknalls zu. Bereits ältere Modelle haben gezeigt, dass die Konvektion in den Oberflächenschichten metallarmer Halo-Sterne vom Spektraltyp F kräftiger als in der Sonne ist und höher in die Atmosphäre hineinreicht. Demzufolge erwartet man, in den Spektren solcher Sterne deutliche »Fingerabdrücke« konvektiver Strömungen zu sehen. Im Prinzip sieht das Granulationsmuster ähnlich aus wie auf der Sonne. Ausgedehnte helle Gebiete aufsteigenden heißen Gases werden durch ein Netzwerk schmaler dunkler Kanäle voneinander getrennt, in denen kühles Gas ins Sterninnere absinkt. Das Beispiel in Abb. 4 demonstriert einen wichtigen Effekt, der für die Sonne weniger stark ausgeprägt ist: Das räumlich gemittelte dreidimensionale Linienprofil (grün) ist erheblich stärker als das eindimensionale Linienprofil (rot), welches von der repräsentativen eindimensionalen Modellatmosphäre emittiert wird. Letztere gibt zwar den Tiefenverlauf der mittleren Temperatur des hydrodynamischen dreidimensionalen Modells richtig wieder, kann aber die horizontalen Inhomogenitäten grundsätzlich nicht erfassen. Der Unterschied der beiden Linienprofile zeigt also selektiv die spektroskopischen Auswirkungen der horizontalen Temperaturschwankungen. Offensichtlich bewirken diese Fluktuationen eine systematische Verstärkung der Spektrallinien. Standard-Spektralanalysen vernachlässigen diesen Effekt, was in dem hier betrachteten extremen Fall dazu führt, dass die Eisenhäufigkeit um nahezu einen Faktor 5 überschätzt wird, wenn man sie aus dieser einen Linie bestimmt. Eine zusätzliche Fehlerquelle ist, dass die eindimensionalen Modellatmosphären bei metallarmen Sternen systematisch –5 0 �V [km/s] Intensität Örtliche Linienprofile Eindimensionales Modell Gemitteltes dreidimensionales Modell 5 15 Abb. 4: Darstellung der synthetischen Linienprofile analog zu Abb. 3. Bemerkenswert ist der große Unterschied der Linienstärke zwischen dem eindimensionalen Fall (rot) und dem dreidimensionalen Fall (grün). zu hohe Temperaturen der oberen Photosphäre liefern. Die Annahme des Strahlungsgleichgewichts ist hier keine gute Näherung. Insgesamt können die systematischen Fehler zu Elementhäufigkeiten führen, die um den Faktor 7 falsch sind. Fehler dieser Größenordnung sind für die Sternspektroskopie unakzeptabel. Im Fall von Eisen kann man das Problem umgehen, indem man die Analyse statt mit Linien des neutralen Eisens (FeI) mit Linien des ionisierten Eisens (FeII) durchführt, die weniger temperaturempfindlich sind. So etwas ist jedoch nicht für alle Elemente möglich. Für die wichtige Bestimmung der Lithiumhäufigkeit ist man zum Beispiel auf die bekannte LiILinie bei einer Wellenlänge von 670.7 Nanometer angewiesen, die ähnlich anfällig ist wie die oben diskutierte FeI-Linie. Die Entstehung der LiI-Linie ist allerdings komplizierter, da diese Atome nicht im lokalen thermodynamischen Gleichgewicht sind. Die Berücksichtigung dieser Effekte erfordert aufwendige Rechnungen, die derzeit noch in Arbeit sind. MATTHIAS STEFFEN Literaturhinweis B. Freytag, M. Steffen, B. Dorch: »Spots on the Surface of Betelgeuse. Results from New 3D Stellar Convection Models«, Astron. Nachrichten 323 3/4, 213–219 [2002]. STERNE UND WELTRAUM S3-23-bw q1.indd 23 10 November 2004 23 30.9.2004 22:20:30 Uhr