Blasenbildungen und Krisen in komplexen Netzwerken heterogener Finanzmarktagenten Prof. Dr. Martin Hellmich Dr. Sikandar Siddiqui Systemische Krisen Liquiditätsspiralen und Notverkäufe („Fire Sales“) Quellen: Bloomberg, Reuters, Pedersen Systemische Krisen Spill-Over-Effekte: Beispiel Hedge Funds 2008-2009 Quellen: McKinsey & Company Muster von Finanzmarkt-Zeitreihen Trends, Crashs, Übertreibungen,… Quellen: Yahoo!Finance sowie eigene Berechnungen • Aktienindex-Zeitreihen sind phasenweise trendbehaftet; Richtung und Stärke solcher Trends können jedoch stark variieren • Außerdem werden bestehende Trends immer wieder von jähen Gegenbewegungen unterbrochen, an die sich erratisch wirkende Auf- und AbBewegungen anschließen Muster von Finanzmarkt-Zeitreihen Trendwechsel, Handelsvolumina und Volatilitäten • Trendwechsel oder unterbrechungen gehen tendenziell mit großen Handelsvolumina und hoher Volatilität der Renditen einher • Portfolio-Umschichtungen zwischen Assetklassen lassen in solchen Situationen die Renditekorrelationen der Einzeltitel stark ansteigen Quellen: Yahoo!Finance sowie eigene Berechnungen Muster von Finanzmarkt-Zeitreihen Volatilitäten und Rendite-Bandbreiten Quellen: Yahoo!Finance, Stoxx.com sowie eigene Berechnungen Muster von Finanzmarkt-Zeitreihen Renditekorrelationen auf Indexebene An dem trendmäßigen Anstieg der paarweisen Renditekorrelationen lässt sich die zunehmende Integration der internationalen Kapitalmärkte erkennen. Der risikomindernde Effekt einer grenzübergreifenden Diversifikation wird dadurch abgeschwächt. Quellen: Yahoo!Finance, Stoxx.com sowie eigene Berechnungen Anomalien Kombinierter Zinskurven- und Momentum-Effekt • Überdurchschnittlich hohe Steigerungsraten des S&P 500 waren in der Vergangenheit tendenziell dann zu beobachten, wenn im Vormonat - ein deutlich ansteigender Verlauf der Zinsstrukturkurve zu verzeichnen war und - die über 12 Monate berechnete Veränderungsrate des Index in etwa zwischen -5% und +35% lag. Quellen: Tyagi und S. Siddiqui (2016) Anomalien Kombinierter Zinskurven- und Momentum-Effekt Quelle: S. Tyagi und S. Siddiqui (2016) Anomalien Kombinierter Zinskurven- und Momentum-Effekt Interpretation: • Viele Investoren lassen sich bei der Bildung ihrer Renditeerwartungen teils von Trends aus der jüngeren Vergangenheit leiten • Wenn sie ihre Transaktionen entsprechend den so gebildeten Renditeerwartungen vornehmen, so kann der kumulierte Preiseffekt dieser Transaktionen Selbstbestätigungseffekte auslösen. • Temporäre Rückkopplungseffekte und daraus resultierende spekulative Übertreibungen sind die (mögliche) Folge Quelle: Kevin Kallaugher (KAL), The Economist Quellen: S. Tyagi und S. Siddiqui (2016) Anomalien Kombinierter Zinskurven- und Momentum-Effekt Interpretation: • Eine überdurchschnittliche Steigung der Zinsstrukturkurve ist meist das Symptom einer expansiven Geldpolitik, welche darauf abzielt, über die gesamtwirtschaftliche Nachfrage Wachstum und Beschäftigung zu stimulieren. • Sie begünstigt aber im statistischen Mittel auch überdurchschnittliche Renditen an den Aktienund Immobilienmärkten. • Daraus resultiert ein Dilemma: Eine auf Stabilisierung der Konjunktur ausgerichtete Geldpolitik kann den Marktteilnehmern ein Gefühl der Sicherheit verleihen und zu steigender Risikobereitschaft führen, die das Entstehen spekulativer Übertreibungen begünstigt Quelle: blogs.lib.utexas.edu Phänomene und Fragen Krisen, Anomalien, Psychologie und Komplexität Anomalien Fire Sales, Flash Crashs, etc. • Subprime-, Banken- & Staatenkrise • Flash Crash am 6, Mai 2010 • Flash Crash in den US-GovernmentBond-Märkten am 15. Oktober 2014 • Flash Crash am 24. August 2015 • 1. China-Crash im Sommer 2015 • 2. China-Crash im Januar 2016 Krisen Anomalien Self-Attribution Bias Overconfidence Availability Heuristic Short-Term Thinking Loss Aversion Conservatism and Represenativeness Confirmation Bias Hindsight Bias Anchoring and Adjustment Narrative Fallacy Momentum Effects Yield Curve Effect Low Volatility Effect Value Effect Low Size Effect Autocorrelative Behavior Was passiert, wenn … Psychologie • • • • • • • • • • • • • • • • Psychologie Komplexität • fundamental ausgerichtete Agenten ihre Erwartungen senken (z.B. Brexit) • kurzfristig ausgerichtete Agenten Marktunterbrechungen durch Circuit Breaker antizipieren • Bondinvestoren Zinswende erwarten • geopolitisch relevante Ereignisse (wie z. B. der Ausgang der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA und Frankreich) überraschende Ausgänge haben. Subjektive, induktive, heterogene Erwartungsbildung Heterogene Erwartungen und evolutionäre Dynamiken Heterogene Erwartungen Induktion versus Deduktion • Homo Oeconomicus: logische und deduktive Rationalität • Aber: Komplexität übersteigt die Fähigkeit des menschlichen Intellekts • Vereinfachte, induktiv abgeleitete Heuristiken mit subjektiven Elementen treten an die Stelle einer deduktiven Analyse Induktives Schließen Heterogene Erwartungen Evolutionäre Dynamiken Interaktive Entscheidungen • Ein Agent kann den anderen Agenten kein perfekt rationales Handeln mehr unterstellen • Agenten mit subjektiven Erwartungen müssen Annahmen über die subjektiven Erwartungen anderer aufstellen • Es gibt keine wohldefinierten, objektiven und gemeinsame Annahmen • Unscharfes Entscheidungsproblem: deduktive Schlüsse auf Basis einer logischen Gedankenkette und exakt definierter Annahmen sind nicht möglich • Heterogene Erwartungen abgeleitet in unterschiedlicher Weise aus vereinfachten Modellen und Datenmustern • Agenten sind unterschiedlich schnell und erfolgreich in diesen Aktivitäten • Die benutzten Informationen unterscheiden sich im Hinblick auf Quantität, Qualität und Aktualität Interaktion Dynamiken • Agenten kopieren erfolgreichere Strategien: Ausbildung von dominanten Strategien • Wechselwirkungen zwischen Erwartungen und der finalen Preisbildung: Dominante Strategien können zu langen Trends führen • Änderung der Marktbedingungen und schlechte Performance der bis dato dominanten Strategie: Agenten verlassen diese Strategie, mit unterschiedlichen zeitlichen Verzögerungen => hohe Handelsvolumina, Volatilitäten und Korrelationen Co-Evolution und Co-Creation Heterogene Erwartungen und evolutionäre Dynamiken Strukturelle Netzwerkeigenschaften Preise und Erwartungen • Erwartungen determinieren den Preis: Marktpreise sind die aggregierten, gewichteten, risikoadjustierten Erwartungen der einzelnen Agenten • Rückkoppelungseffekte: Preise führen zu Anpassungen der Erwartungen • Selbstreferenz und Rekursion: Agenten adaptieren permanent ihre Erwartungen an jene Marktbedingungen, welche durch ihre aggregierten Erwartungen geschaffen werden. Preise und Erwartung Stärke von Feedbacks Signale und Rezeptoren Signalwirkungen von Marktpreisen • Preise haben Signalwirkungen für die Anpassungen von Erwartungen: Agenten passen ihre Erwartungen an die jüngsten Muster der Preise an und diese angepassten Erwartungen wiederum schaffen die aktuellen Preise • Ko-Evolution und Co-Kreation von Preisen und Erwartungen und resultierende Markpsychologie: Anomalien, Blasen, Crashs • Risikotragfähigkeit der Agenten • Exposure zu ähnlichen Wertpapieren => Möglichkeit simultaner Schocks • Interbank-Lending • OTC-Derivate • Credit-Channel • Liquidity Channel Signale Agenten in Netzwerken • Anwendungen von Methoden der NetzwerkAnalyse aus anderen Disziplinen • Agent (E, A, RC), wobei A das Exposure zu einem Wertpapier mit Preis P ist und E die expectation des Agenten für den künftigen Preis • Eine Änderung des Preises P wirkt als ein Signal mit Rezeptor A • Die Antwort des Agenten auf das Signal ist eine Anpassung der Erwartung E, deren Stärke von der Auswirkung der Preisänderung auf die Risikotragfähigkeit RC abhängig ist Population Games Evolutionäre Spieltheorie Nash-Gleichgewichte Populationen und Strategien • Modellierung von Finanzmärkten mit einer großen Anzahl an Agenten, wobei es jedoch nur endlich viele Typen (Populationen) von Agenten (z. B. langfristig orientierte Investoren, ChartTrader, Market Maker etc.) gibt. • Strategie: Wahl eines Modells zur Festlegung der Erwartung künftiger Preise • Jeder Agententypus hat die Wahl zwischen endlich vielen Strategien Strategien NashGleichgewichte Evolutionäre Dynamiken • Beschreibung von Strategiewechsel durch Systeme von Differentialgleichungen: Revisionsprotokolle • Population Game: strategische Rahmenbedingungen • Revisionsprotokolle: Wie passen Agenten ihr Dynamiken Verhalten an die Umgebung an • Revisionsprotokolle : Möglichkeit, Paradigmen (z. B. Imitation, Optimierung etc.), unter welchen Agenten ihre gegenwärtigen Strategien ändern, zu modellieren • Evolutionärer stochastischer Prozess, dessen erwartete Dynamik sich als Lösung eines Systems von Differentialgleichungen ergibt: Komplexität • Treffen, wie in einem Finanzmarkt, zahlreiche Spieler aufeinander, dann ist die Annahme einer korrekten Antizipation des Verhaltens von Gegnern in einem Spiel unrealistisch. • Charakterisierung von Nach-GG mit Hilfe von stationären Punkten des Systems von Differentialgleichungen • Sehr oft fallen Nash-GG mit dominanten Strategien zusammen Charakterisierung von Blasen & Crashs Emergente Eigenschaften • Keine Gleichgewichtstheorie sondern Beschreibung von dynamischen Wechseln von einem temporären GG in ein anderes • Nash-Stationarität: Temporäre Nash-GG sehr oft dominante Strategien mit Ausbildung von stabilen Trends • Crashs, hohe Volatilitäten und Handelsvolumina werden erklärbar, da sie in den zeitlichen Phasen auftreten, in denen der Finanzmarkt von einem temporären Gleichgewichtszustand in einen anderen wechselt. Subjektive, induktive, heterogene Erwartungsbildung Heterogene Erwartungen und evolutionäre Dynamiken Annahmen: • Die einzelnen Akteure an den Märkten für risikobehaftete Finanzaktiva unterscheiden sich hinsichtlich - ihres Anlagehorizonts, - ihrer Risikobereitschaft und Risikotragfähigkeit, - ihrer Informationsausstattung, - ihrer Fähigkeit, aus komplexen Informationen realistische Schlussfolgerungen zu ziehen, - ihrer Kurs-/Renditeerwartungen und der Art, in der diese gebildet werden Quelle: andysmythsblog.wordpress.com Subjektive, induktive, heterogene Erwartungsbildung Heterogene Erwartungen und evolutionäre Dynamiken Prognostizierte Verhaltensmuster: • Akteure mit anfangs wenig erfolgreichen Strategien oder geringer Ausstattung mit kursrelevanten Informationen tendieren dazu, das Verhalten von erfolgreicheren oder besser informierten Investoren zu imitieren. • Im Zeitverlauf kann das dazu führen, dass sich Handels- bzw. Anlagestrategien immer mehr angleichen, oder dass das Verhalten der Marktteilnehmer von einer oder mehreren Strategien dominiert wird. Subjektive, induktive, heterogene Erwartungsbildung Heterogene Erwartungen und evolutionäre Dynamiken Prognostizierte Verhaltensmuster: • Aber auch Strategien, die infolge ihres zeitweisen Erfolges Nachahmer angezogen haben und dominant geworden sind, laufen Gefahr, infolge nicht erwartungskonformer, stochastischer „Schocks“ schlagartig wieder abgelöst zu werden. • Je höher der Konformitätsgrad der Verhaltensmuster der einzelnen Marktteilnehmer sind, desto heftiger fällt bei Eintritt eines solchen Schocks die Gegenreaktion der einzelnen Akteure- und damit auch der davon ausgelösten Kursbewegungen aus. • An die Auflösung einer zuvor dominanten Strategie schließt sich typischerweise ein erratischer Verlauf der Kursbewegungen an, da die Akteure bei dem Versuch, ihre Erwartungen der neuen Realität anzupassen, sehr verschiedenartig – und unterschiedlich schnell agieren. Quelle: econfix.wordpress.com Risikomanagement Lassen sich mit diesen Erkenntnissen Verluste vermeiden ? Verständnis von Netzwerkeigenschaften Anomalien • Verständnis von Netzwerkeigenschaften, wie z.B. der Zusammenhang von Trends, dominanten Strategien (temporäres Nash GG), Blasenbildungen, Crash/ Firesales • Theorie von Ungleichgewichten: Hohe Volatilitäten, Tradingvolumina und Korrelationen als Charakteristika für Wechsel von einem temporären Nash-GG in ein anderes. • Erklärung von Anomalien und Zeitreihenmustern • Entscheidende Frage: Wann schwindet das Vertrauen in eine dominante Strategie • Die besser Informierten verlassen die Strategie zuerst. • Kann man dies messen ? • Kann man dies aus Mustern ablesen: Maschinelles Lernen, Big Data Verständnis Anomalien Wann geht das ? Funktionale Zusammenhänge • Funktionale Zusammenhänge zwischen Preisen, Erwartungen, Risikoaversionen, Risikotragfähigkeit und Dynamiken • Charakterisierung von Gleichgewichten: Wann schwindet das Vertrauen in eine dominante Strategie ? • Die besser informierten Agenten verlassen die Strategie zuerst • Gibt es dafür Indikatoren ? • Kann man dies aus Daten-Mustern ablesen: Maschinelles Lernen, Big Data Funktionale Zusammenhänge Handeln gegen den Markt • Investoren müssen Positionen zum Teil dann schließen, wenn das größte Potenzial besteht, von einer Gegenbewegung des Marktes zu profitieren • Simulation der Folgen eines Ereignisses, welches dazu geeignet ist, eine Marktpreiskorrektur herbeizuführen • Regulatorische und anderweitig externe Restriktionen • Fremdkapital und Leverage • Formulierung von plausiblen Szenarien und Ableitung von Reverse Stresstests Quantitative Strategien sind in einem solchen Umfeld rational Lässt sich mit diesen Erkenntnissen Geld verdienen ? Modern Portfolio Theory + Advanced Risk Management Methodology + Autocorrelative Behaviour + Yield Curve Effect + Momentum Effect + Low Volatility Effect + Value Effect + Size Effect + … Quellen: Eigene Berechnungen Wie können wir Erwartungen beeinflussen ? Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !!!