Planare Systeme 20. April 2015 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Differentialgleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Notation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 1 2 2 Differentialgleichungen zweiter Ordnung 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Reduzierung von Differentialgleichungen zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . 2.3 Reduzierung im allgemeinen Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2 3 3 3 Planare lineare Systeme 3 4 Eigenwerte und Eigenvektoren 4.1 Finden von Eigenwerten und Eigenvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 5 5 Lösen linearer Systeme 5.1 Alle Lösungen berechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 7 Literatur [1] Howard Anton, Chris Rorres: Elementary Linear Algebra: Applications Version, John Wiley & Sons 2010 [2] Heidrun Günzel: Gewöhnliche Differentialgleichungen, Oldenbourg Verlag 2008 [3] M.W. Hirsch, S. Smale und R.L. Devaney: Differential Equations, Dynamical Systems, and an Introduction to Chaos, Academic Press 2012 [4] Gerhard Kristensson: Second Order Differential Equations: Special Functions and Their Classification, Springer Science & Business Media 2010 [5] Günther Wirsching: Gewöhnliche Differentialgleichungen, Teubner 2006 [6] Wei-Bin Zhang: Differential Equations, Bifurcations, and Chaos in Economics, World Scientific 2005 1 Einleitung 1.1 Präambel Diese Ausarbeitung wurde im Rahmen des Seminars „Gewöhnliche Differenzialgleichungen“ von Dr. Schlichting und Herrn Thorm als Ergänzung und Handout zum Vortrag „Planare Systeme I“ von Mark Heibel erstellt. Dieser Ausarbeitung liegt Kapitel 2 des Buches "Differential Equations, Dynamical Systems, and an Introduction to Chaos"[3] von M.W. Hirsch, S. Smale und R.L. Devaney zugrunde. 1.2 Differentialgleichungssysteme Das Thema dieser Ausarbeitung ist das Lösen von Differentialgleichungssystemen. Ein System von Differentialgleichungen ist eine Sammlung von n untereinander abhängigen Differentialgleichungen der Form: x01 = f1 (t, x1 , x2 , ..., xn ) x02 = f2 (t, x1 , x2 , ..., xn ) .. . x0n = fn (t, x1 , x2 , ..., xn ) In diesem Fall sind die fi reellwertige Funktionen von n+1 Variablen x1 , x2 , ..., xn und t. Wir können, falls nicht anders angegeben, annehmen, dass alle fi ∈ C∞ sind, also alle Ableitungen der fi existieren und stetig sind. Zur vereinfachten Darstellung werden im folgenden Vektoren benutzt: x1 .. X := . xn Damit lässt sich unser System von Differentialgleichungen als X 0 = F (t, X) schreiben, wobei f1 (t, x1 , ..., xn ) .. F (t, X) = . . fn (t, x1 , ..., xn ) Eine Lösung des Systems ist also eine Funktion der Form X(t) = (x1 (t), ..., xn (t)), welche die Gleichung X 0 (t) = F (t, X(t)) löst. Es ist nicht gegeben, dass eine solche Lösung existiert. Diese Ausarbeitung bearbeitet aber einige Spezialfälle (planare lineare Systeme), deren Lösungen und das Berechnen dieser. 1 Definition 1 (autonomes System [5]). Ein Differentialgleichungssystem in welchem keine der fi von der Zeitvariablen t abhängen, heißt autonomes System. Ein solches System wird zu X 0 = F (X). Definition 2 (Gleichgewichtspunkt [2, S.206f.]). Ein Vektor X0 für welchen F (X0 ) = 0 gilt, ist ein sogenannter Gleichgewichtspunkt des Differentialgleichungssystems X 0 (t) = F (t, X(t)). 1.3 Notation Zur Notation gilt: • Kleinbuchstaben beschreiben Variablen oder reellwertige Funktionen, wie x, y, x1 , t, ... • Großbuchstaben beschreiben Vektoren und vektorwertige Funktionen, wie x1 f1 (x1 , ..., xn ) .. X = ... oder F (x1 , ..., xn ) = . . xn fn (x1 , ..., xn ) • Mit Rn ist der euklidische Raum gemeint, in welchem alle Vektoren der Form X = (x1 , ..., xn ) liegen. 2 Differentialgleichungen zweiter Ordnung 2.1 Einleitung Definition 3 (Differentialgleichungen zweiter Ordnung [4, S.3]). Gleichungen der Form x00 = f (t, x, x0 ) heißen Differentialgleichungen zweiter Ordnung. Ein Großteil der wichtigsten physikalischen Differentialgleichungen haben zweite Ordnung wie beispielsweise: • Das zweite newtonsche Gesetz mx00 = f (x) • Die Beschreibung des RLC-Schwingkreises LCx00 + RCx0 + x = v(t) • Die Beschreibung des harmonischen Oszillators mx00 + bx0 + k = f (t) Einige dieser Gleichungen werden in folgenden Vorträgen (12 und 13) gesondert besprochen. 2 2.2 Reduzierung von Differentialgleichungen zweiter Ordnung Differentialgleichungen zweiter Ordnung lassen sich durch das Einführen einer zweiten Variable y = x0 auf ein System von zwei Differentialgleichungen erster Ordnung reduzieren. Beispiel 1. Betrachtet man die Gleichung x00 + ax0 + bx = 0 so lässt sich dieses auf ein System von Gleichungen erster Ordnung wie folgt reduzieren: x0 = y y 0 = −bx − ay 2.3 Reduzierung im allgemeinen Fall Mit diesem Verfahren und dem Einführen weiterer Hilfsvariablen lässt sich jede Differentialgleichung n-ter Ordnung auf ein Differentialgleichungssystem mit n Gleichungen erster Ordnung reduzieren. (Reduktionssatz von d’Alembert [2, S.104]) 3 Planare lineare Systeme Ein planares lineares Differenzialgleichungssystem hat im autonomen Fall die Form ( x0 = ax + by y 0 = cx + dy (1) wobei a, b, c und d Konstanten sind [6, S.156f.]. Im Folgendem werden nur Systeme betrachtet bei denen mindestens eine Konstante ungleich 0 ist. Dieses System lässt sich durch die Koeffizientenmatrix a b A= c d vereinfachen. Das lineare System lässt sich dann schreiben als X 0 = AX. Alle Gleichgewichtspunkte P = (x, y) müssen die Gleichung 2 lösen ( ax + by = 0 cx + dy = 0. (2) Offensichtlich stellt der Punkt P0 = (0, 0) immer einen Gleichgewichtspunkt dar. Proposition 1. Das planare lineare System X 0 = AX hat 1) einen eindeutig bestimmten Gleichgewichtspunkt (0,0), falls1 det A 6= 0 1 Für die weitere Vergegenwärtigung der Ausarbeitung ist kein tiefgehendes Verständnis von Determinanten notwendig. Es reicht zu wissen, dass det A = ad − bc ist 3 2) eine Gerade von Gleichgewichtspunkten, falls det A = 0 Beweis 1 (Proposition 1). b x=− y a d x=− y c Gleichung 2 ⇒ b d y= y a c gleichsetzen ⇒ ⇔ (ad − bc)y = 0 ⇔ y (det A) = 0 Falls det A 6= 0 ⇒ y = 0 Falls det A = 0 ⇒ y kann frei gewählt werden und x = − ab y ⇒ alle Punkte P der Form P = (− ab y, y) lösen die Gleichung. Diese Punkte beschreiben eine Gerade durch den Ursprung. 4 Eigenwerte und Eigenvektoren Definition 4 (Eigenvektor und Eigenwert [1, S.295]). Ein Vektor V0 ungleich 0 ist ein Eigenvektor der Matrix A, falls AV0 = λV0 (3) für ein λ ∈ R. Die Konstante λ wird Eigenwert von A genannt. Zum Finden von Lösungen, welche keine Gleichgewichtspunkte sind, betrachten wir Eigenwerte und Eigenvektoren. Theorem 1. Angenommen das V0 ein Eigenvektor der Matrix A ist und λ der dazugehörige Eigenwert. Dann ist die Funktion X(t) = eλt V0 (4) eine Lösung des Differentialgleichungssystems X 0 (t) = AX(t). Beweis 2 (Theorem 1). (4) X 0 (t) = λeλt V0 = eλt (λV0 ) (3) = eλt (AV0 ) = Aeλt V0 (4) = AX(t) 4 Beispiel 2. Betrachte 1 3 A= 1 −1 Dann hat A den Eigenvektor V0 = (3, 1) mit dem dazugehörigen Eigenwert λ1 = 2, da 1 3 3 6 3 = =2 . 1 −1 1 2 1 Analog folgt, dass V1 = (1, −1) ein Eigenvektor mit Eigenwert λ2 = −2 ist. Damit kennen wir für das System X 0 = AX = 1 3 X 1 −1 (5) drei Lösungen: 1) den Gleichgewichtspunkt im Ursprung 3 2t (nach Theorem 1) 2) X1 (t) = e 1 1 −2t (nach Theorem 1) 3) X2 (t) = e −1 Es wird sich in 5.1 zeigen, dass diese drei Lösungen reichen um alle Lösungen zu generieren. 4.1 Finden von Eigenwerten und Eigenvektoren Um einen Eigenvektor V zu finden, benötigen wir eine Lösung V = (x, y) der Gleichung x x A =λ . y y (6) Dieses System von zwei Gleichungen beinhaltet drei Unbekannte, die Komponenten von V und λ. Sei E die 2 x 2 Einheitsmatrix 1 0 E= 0 1 Dann lässt sich (6) zu (A − λE)V = 0 (7) umschreiben. Wir stellen fest, dass (A − λE) = a−λ b c d−λ (8) nur eine 2 x 2 Matrix ist und somit das lineare System von Gleichungen (6) nur Lösungen ungleich 0 hat, falls det (A − λE) = 0 = (a − λ)(d − λ) − bc (9) 5 ist, wie in Proposition 1 gezeigt. Dieses ist aber nur ein Polynom zweiten Grades, welches von λ abhängt, und sich somit passende λ, welche die Gleichung lösen, leicht finden lassen. Die Gleichung 9 heißt charakteristische Gleichung und det (A − λE) charakteristisches Polynom. Damit ist die Strategie um Eigenvektoren zu finden, zuerst die Nullstellen des charakteristischen Polynoms zu berechnen, welche die Eigenwerte sind, und mit diesen in Gleichung 6 die dazugehörigen Eigenvektoren zu bestimmen. Beispiel 3. Wir kommen zu 1 3 A= 1 −1 zurück und haben als charakteristische Gleichung det (A − λE) = 0 (1 − λ)(−1 − λ) − 3 = 0 λ2 − 4 = 0. Aus welcher sich die Eigenwerte λ1 = 2 und λ2 = −2 berechnen lassen. Mit diesen lässt sich nun Gleichung 6 lösen. Für λ1 ergibt sich 0 x = (A − 2E) 0 y (1 − 2)x + 3y = 0 x + (−1 − 2)y = 0 x − 3y = 0 x − 3y = 0 x = 3y Daraus folgt, dass jeder Vektor der Form (3y, y) mit R 3 y 6= 0 ein Eigenvektor von λ1 ist. Analog folgt für λ2 , dass jeder Vektor der Form (y, −y) ein Eigenvektor zu λ2 ist. Die Eigenwerte einer Matrix A müssen natürlich nicht immer, wie im Beispiel, zwei unterschiedliche reelle Werte sein, sondern können auch komplex oder gleich sein. Diese Fälle werden aber in der Ausarbeitung 3 behandelt. 5 Lösen linearer Systeme Finden wir zwei unterschiedliche reelle Eigenwerte λ1 , λ2 und sind V1 , V2 die dazugehörigen Eigenvektoren, dann lässt sich nach Theorem 1 ein Paar von Lösungen der Form Xi (t) = eλi t Vi angeben. 6 (10) Lemma 1. 1) Für λi > 0 gilt lim |Xi (t)| = ∞ t→∞ und 0 lim Xi (t) = t→−∞ 0 2) Für λi < 0 gilt 0 lim Xi (t) = t→∞ 0 und lim |Xi (t)| = ∞ t→−∞ 3) Für λi = 0 gilt Xi (t) = Vi für alle t. 5.1 Alle Lösungen berechnen Lemma 2. Angenommen wir haben Eigenwerte λ1 , λ2 ∈ R mit λ1 6= λ2 der 2 x 2 Matrix A und dazugehörige Eigenvektoren V1 , V2 , dann sind V1 und V2 linear unabhängig. Beweis 3 (Lemma 2). Angenommen V1 und V2 sind Eigenvektoren mit den dazugehörigen Eigenwerten λ1 und λ2 . Damit V1 und V2 linear unabhängig sind muss aus α1 V 1 + α2 V 2 = 0 folgen, dass α1 = α2 = 0. Aus (11) ⇒ A(α1 V1 + α2 V2 ) = A(0) ⇔ α1 AV1 + α2 AV2 = 0 Gleichung 3 ⇔ α1 λ1 V1 + α2 λ2 V2 = 0 Ferner folgt aus (11) bei multiplizieren mit λ2 α1 λ 2 V 1 + α2 λ 2 V 2 = 0 Setzt man diese beiden Gleichungen gleich folgt α1 λ 1 V 1 + α2 λ 2 V 2 = α1 λ 2 V 1 + α2 λ 2 V 2 ⇔ α1 λ 1 V 1 − α1 λ 2 V 1 = 0 ⇔ (λ1 − λ2 )α1 V1 = 0 λ1 6=λ2 ⇒ α1 V 1 = 0 V1 6=0 ⇒ α1 = 0 Analog folgt α2 = 0, wenn man (11) mit λ1 multipliziert. 7 (11) Da nach Lemma 2 V1 und V2 linear unabhängig sind, kann man diese als Basis des R2 nehmen und für jeden Punkt Z0 ∈ R2 gilt, dass eindeutig bestimmte α, β existieren, so dass αV1 + βV2 = Z0 . (12) Betrachtet man nun die Funktion Z(t) = αX1 (t) + βX2 (t) mit Xi (t) nach Gleichung 10 stellt diese eine Lösung von X 0 = AX dar. Beweis 4. Z 0 (t) = αX10 (t) + βX20 (t) = αAX1 (t) + βAX2 (t) = A(αX1 (t) + βX2 (t)) = AZ(t) Also ist Z(t) eine Lösung, welche ferner Z(0) = Z0 erfüllt. Die Zusammenfassung aller Lösungen wird allgemeine Lösung [1, S.57] von X 0 = AX genannt. Damit haben wir folgendes Theorem gezeigt. Theorem 2. Angenommen Matrix A hat ein Paar von unterschiedlichen reellen Eigenwerten λ1 6= λ2 und seien V1 , V2 die dazugehörigen Eigenvektoren, dann ist die allgemeine Lösung des planaren linearen Differentialgleichungssystems X 0 = AX gegeben durch X(t) = αeλ1 t V1 + βeλ2 t V2 . (13) Beispiel 4. Betrachten wir einen speziellen Fall des gedämpften harmonischen Oszillators, bei welchem die Masse 1, die Federkonstante 2 und die Dämpfungskonstante 3 ist. Dann wird dieser durch x00 + 3x0 + 2x = 0 beschrieben. Dieses lässt sich auf ein System von Gleichungen erster Ordnung reduzieren x0 = 0x + y y 0 = −2x − 3y Dieses kann umgeschrieben werden als 0 X = AX = 0 1 X −2 −3 Die charakteristische Gleichung lautet (0 − λ)(−3 − λ) − (−2) = 0 λ2 + 3λ + 2 = 0 (λ + 2)(λ + 1) = 0. 8 Also hat das System die Eigenwerte λ1 = −1 und λ2 = −2. Für λ1 berechnet sich der Eigenvektor durch x 0 (A + E) = y 0 In Komponentenform x+y =0 −2x − 2y = 0 Also ist ein möglicher Eigenvektor V1 zu λ1 (1, −1). Analog folgt für λ2 als ein Eigenvektor V2 = (1, −2). Die allgemeine Lösung des Differentialgleichungssystems X 0 = AX ist (nach Theorem 2) 1 1 −t −2t X(t) = αe + βe −1 −2 Die erste Komponente x(t) = αe−t + βe−2t beschreibt die Position der Masse und die zweite Komponente y(t) = x0 (t) = −αe−t − 2βe−2t beschreibt die Geschwindigkeit dieser. 9