Aus dem Leben eines Fernfahrers

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Nr. 9 Dienstag, 3. Februar 2015
www.frutiglaender.ch Seite 4
Aus dem Leben eines Fernfahrers
BERUFSPORTRÄT Dani Utiger war rund
20 Jahre Überlandfahrer. Ende Dezember hat er seinen Traumberuf aufgegeben und fährt seither nur noch kurze
Strecken. Dem «Frutigländer» erzählt er
von seinen Erlebnissen auf Europas
Strassen.
zierten Namensplakette oder Wimpel
die Windschutzscheibe noch schmückte
er seine Kabine mit berufstypischen Accessoires. Ein Funkgerät besass er nie,
und Countrymusik mag er nicht. «Zweioder dreimal war ich am Country- und
Trucker-Festival in Interlaken – nur, um
dies mal gesehen zu haben.»
K ATHARINA WITTWER
Drei blinde Passagiere
Er strahlt übers ganze Gesicht, und
gleichzeitig packt ihn Wehmut, wenn er
von seinen langen Tagen und einsamen
Nächten zwischen Italien und England
erzählt. Musste er am Montag früh Richtung Grossbritannien oder Kalabrien
aufbrechen, habe es ihm jedes Mal beinahe das Herz gebrochen, weil er Frau
und Söhne bis Freitagabend alleine lassen musste. War er in Nachbarländern
unterwegs, konnte er unter der Woche
eine Nacht im eigenen Bett schlafen.
«Der Stau in der Leventina am Freitagnachmittag bereitete mir zusehends
Mühe. Oft schaffte ich deswegen die
Strecke Chiasso–Spiez nicht in der
maximal erlaubten Lenkzeit von viereinhalb Stunden. Also pausierte ich
nördlich des Brünigpasses die vorgeschriebenen 45 Minuten und kam erst
um acht Uhr nach Hause.»
Seines Wissens seien ihm nie Drogen
untergejubelt worden, hingegen habe er
einmal drei Flüchtlinge über den Ärmelkanal befördert, weiss Utiger zu berichten. «Wahrscheinlich waren sie bereits
in Lille, wo ich pausierte, in den Auflieger gestiegen.» Normalerweise werden
in Calais die LKWs geröntgt und die
Transporträume mit Sonden, welche
Atemluft, Puls und Temperaturveränderungen im Innenraum messen, abgesucht. Da er aber spät dran war und
man ihn noch auf die Fähre schicken
wollte, wurden diese Kontrollen damals
seiner Kabine schlief, sprühten sie etwa
von aussen Betäubungsgas hinein. Utiger ist das aber nie passiert, denn sobald er davon gehört hatte, zog er die
Türen innen jeweils mit einem Spannset
zusammen. Zum Übernachten verliess
er stets die Autobahn und steuerte die
nächste Camion-Raststätte mit Restaurant und Duschmöglichkeit an. «Ist man
nett mit den Leuten und versucht, italienisch zu sprechen, erkennen sie einen
immer wieder und sind entsprechend
zuvorkommend. Das Essen dort ist vorzüglich und die Portionen gross.»
Lange Tage, lange Nächte, lange Staus
«Stehst du im Stau oder musst du am
Zoll warten, kannst du nichts machen
als warten, Radio hören, lesen oder
dösen.» Sein Top-Stauerlebnis schildert
Utiger so: «Wintereinbruch in Mailand.
Ich war auf der Rückfahrt. Die wenigsten Lastwagen waren (auf der Antriebsachse) mit Winterreifen ausgerüstet.
«Je südlicher, desto wichtiger war
das Schmieren.»
Dani Utiger
über italienische Sitten bei Fahrzeugkontrollen
«Ein Tag im Jahr 2000»
Fuhr die Familie zu den Verwandten
nach Deutschland, bewunderte der
kleine Dani stets die Lastwagen am Basler Zoll. Allzu gerne hätte er ihr Fahrziel
gekannt. «Überlandfahrer zu werden
war mein Bubentraum», erzählt Utiger.
Von seinem Taschengeld kaufte er die
Zeitschriften «Fernfahrer» und «Trucker» und zeichnete die abgebildeten
Camions ab. Als Zehnjähriger hatte er
bereits exakte Zukunftsvorstellungen:
«Ich fahre mit dem Lastwagen nach
Deutschland, um dort einen Auftrag zu
erledigen. Zu Hause habe ich eine Frau
und zwei Kinder», schrieb er in einem
Schulaufsatz zum Thema «Ein Tag im
Jahr 2000».
Bevor er sich ans Steuer eines Sattelschleppers setzte, lernte Dani Utiger Automechaniker, was ihm in seinem späteren Beruf öfters zugute kam. Nach der
Motfahrer-RS blieb er den schweren
Fahrzeugen treu. Für seine ersten Arbeitgeber fuhr er vier Jahre vor allem
nach Deutschland und Grossbritannien.
Seine erste Tour nach England war für
den Jungspund eine echte Herausforderung: auf eine Fähre, Linksverkehr und Seit Anfang Jahr ist Dani Utiger nur noch im Inland unterwegs. Auf dem oberen Bild der Sattelschlepkaum Englischkenntnisse. «Ich wurde per, den er bei Trans Schneider AG am Schluss fuhr. Der Volvo ist 16,5 m lang, 2,5 m breit, 4 m hoch,
richtiggehend ins kalte Wasser gewor- hat 5 Achsen und ein Gesamtgewicht von 40 Tonnen.
BILDER WI / ZVG
fen. Aber alles klappte reibungslos.»
Kein typischer «Trucker»
Inzwischen verheiratet, liess sich der
Spiezer 1997 bei Trans Schneider AG in
Frutigen anstellen, wo er 17 Jahre blieb.
Für diesen Spediteur war er vor allem
in Italien, Deutschland, den BeneluxStaaten und England unterwegs. «‹Mein›
Sattelschlepper, den ich am Schluss fahren durfte, war ein tolles Fahrzeug»,
schwärmt er.
«Zuerst lieferte ich Spanplatten und
weitere Halbfertigprodukte aus Holz
nach Italien. Nach der EU-Osterweiterung waren es oft Papierrollen ab der
Fabrik in Perlen (LU). Zurück nahm ich
fast alles, was die Italiener so produzieren: Einkaufswägeli, Handtaschen oder
Landmaschinen für Schmid + Mägert in
Reichenbach.» Nordwärts transportierte Utiger vor allem Verpackungsma-
bloss flüchtig durchgeführt. «Hätte man
meine unfreiwillige Fracht entdeckt,
wäre mich das sehr teuer zu stehen gekommen.» In Dover winkte man den seriösen Schweizer durch, und als er kurz
vor Manchester auf einen Rastplatz fuhr,
vernahm er ein Klopfen aus dem Auflieger. Sofort wusste er, was Sache war. Die
Polizei erlöste ihn anschliessend von
seinen drei blinden Passagieren. «Ich
hatte Glück, denn ich musste weder eine
Busse bezahlen noch wurde ich sonstwie geahndet.»
Freud und Leid in Italien
Am liebsten fuhr der Fernfahrer nach
Italien. «Durch Italien zu fahren ist
etwas vom Besten, was einem passieren
kann», schwärmt Utiger. «Bis ins Veneto
ist stets viel Verkehr. Sobald du Rimini
passiert hast, wird es richtig gut – landschaftlich einfach grandios.» In Rom
war er, in Napoli und zuunterst in Reggio Calabria. Einmal landete er in einem
süditalienischen Dorf und sah auf dem
Dorfplatz alte Männer im Schatten sitzen. Dort habe er eines der typischen
Italienbilder bestätigt bekommen.
Vom südlichen Nachbarland kann
Utiger aber nicht nur Positives erzählen:
terial, hergestellt von einer Thuner So lernte er vor der Einführung des
Firma. Aus Grossbritannien nahm er Euro rasch, bei einer Kontrolle 10 000
Pneus, Granulat für die Landwirtschaft Lire in den Ausweis zu stecken, bevor er
oder Stückgut aller Art mit, welches er ihn zum Fenster hinausreichte. «Je südteilweise unterwegs wieder ablieferte. licher, desto wichtiger war das SchmieAus dem Ruhrgebiet brachte der Über- ren.» Seine persönlichen Papiere und
landfahrer meistens Stahl in die Schweiz die Kreditkarte wurden ihm mehrmals
zurück.
gestohlen und die «Blache» auch mal
Dani Utiger entspricht in keiner Weise aufgeschlitzt. Später wurden die Banden
dem Cliché eines «Truckers». Weder raffinierter. Während ein Chauffeur in
Chaos pur. Ein Camion blockierte die
Fahrbahn. Der mit Sandalen beschuhte
Fahrer steckte seinen Fahrzeugschlüssel in die Hosentasche, stieg aus und
glitt prompt auf dem Glatteis aus. Zu
allem Elend verletzte er sich an der
Schulter und musste mit der Ambulanz
ins Spital eingeliefert werden. Langes
Warten, bis der Krankenwagen endlich
vor Ort war. Endlich konnten die PWs
die Unfallstelle passieren. Jemand organisierte im Spital den Schlüssel des quer
auf der Fahrbahn stehenden LKWs. War
das wichtige Ding endlich vor Ort, stellten wir fest, dass keiner der 20 Chauffeure ohne Polizeibegleitung den fremden Lastwagen auf den Pannenstreifen
fahren durfte. Erneutes Warten, bis die
Carabinieri aufkreuzten. Stunden später schaffte ich es bis Chiasso, wo ich
eine weitere Nacht in meiner Kabine
verbrachte.»
ZUR PERSON
Der 43-jährige Dani Utiger ist in
Spiez aufgewachsen und wohnt nach
wie vor dort. Er ist verheiratet mit
Myriam und Vater eines 13- und
eines 15-jährigen Sohnes. Er liebt die
italienische Mentalität und das italienische Essen. Italienisch hat er auf
der Strasse gelernt. Seit Anfang Jahr
ist er bei der Nitrochemie in Wimmis
als Chauffeur angestellt, wo er mit
einem 18-Tonnen-Motorwagen interne und externe Gefahrenguttransporte ausführt.
WI
KOLUMNE – FEDERLESIS
Stemmböglen und Anbüglen
«Bremse! Tue bremse! Stemme! Lah di la
kije! Ou…» Das darauf folgende Geheul
ist weit herum zu hören. «I ha dr doch
gsiit, du söllsch bremse!» Der leicht gestresste Grossvater kurvt zu seinem
Enkel, der kopfüber im Schnee gelandet
ist. Die Skibrille trägt der Unglückliche
ganz schief und der Sprössling hat eine
thermische Erleuchtung: «Chaaaaaalt!»
Hinter dem breiten Rücken von Grossvater «stübt» das Grosi durch den Schnee,
zu Moonboots. Sie funkelt den in ihren
Augen Schuldigen kurz an und fragt besorgt, ob der Kleine auch keine bleibenden Schäden davontrage. «Ich habe ihm
ja gesagt, dass er bremsen soll!», verteidigt sich der ältere Herr. «Wenn är doch
nid cha!», meint das Grosi und putzt mal
die Brille. «I wott hiiiim!», jammert der
Nachwuchsskifahrer.
Kommt Ihnen die Situation bekannt vor?
Dann gehören Sie auch zu denen, die
Ihrem Kind das Skifahren beigebracht
haben oder noch dabei sind. Für viele Eltern und Fachleute wird dies zu einer
Grenzerfahrung.
Den ersten Schweissausbruch erlebt man
ja bereits beim Anziehen der Skischuhe:
«Bisch drinn?» – «Stoss!» – «I cha nid!»
Schweissgebadet wird einem klar: Für die
nächsten Monate oder sogar Jahre, wenn
sie mehrere Kinder haben, wird Thermowäsche überflüssig und die Skischuhheizung können Sie auch zu Hause lassen.
Wenn man Glück hat, kann man mit dem
Auto direkt zum Skilift fahren. Ansonsten
hat man eine «hampfele Chneble» und Ski
zur Gondelbahn zu schleppen und bleibt
damit im Drehkreuz hängen. Früher
kamen dann sofort die Bähndler und
zogen das Skiabo, das damals noch am
Hals baumelte zum Apparat, wo man dann
eine gefühlte Ewigkeit in demütiger Haltung auf grünes Licht, einen erlösenden
Piep und «GUTE FAHRT» wartete. Das Augenrollen erfahrener Eltern entging einem
ebenso wenig wie das Hüsteln der ungeduldig in der Gondel wartenden Sportler.
Endlich oben beim Kinderskilift. Da wartet die nächste Herausforderung. Wie erwischt Ihr Kind den Bügel, ohne dass es
ein Schleudertrauma erleidet? Meistens
fallen diesem Umstand dann halt ein paar
Handschuhe zum Opfer, da man sich mit
ans Zugseil klammert, um den Schock
etwas abzufangen. In diesem Moment
wünscht man sich, endlich zum Bügellift
zu gelangen. Doch auf dem Weg dorthin
ist die OVO vom Frühstück bereits in der
Blase. Spätestens jetzt schwitzen Sie zum
zweiten Mal und verfluchen das Schichtprinzip!
Kaum «angebügelt», merkt man, dass
man nicht mehr 20 ist. Der Bügel in der
Kniekehle zwickt, das Kreuz macht seinem Namen alle Ehre. Und wenn man der
heiklen Stelle näher kommt, wo es den
Nachwuchs immer in die Höhe zieht, lassen Angina-pectoris-Symptome auch
nicht länger auf sich warten. Oben angekommen erleben Sie dann Situationen,
wie ich sie am Anfang beschrieben habe.
Kurz gesagt, nach so einem Tag haben Sie
eine Ganzkörperzerrung, einen Skibügelarm und fragen sich, ob Sie sich dies eigentlich weiter antun wollen.
«Eigentlisch, das ist eine furchschtbare
Sport…»
Das kann auch nur ein Seeländer sagen!
ANDREA BALMER-BEETSCHEN
[email protected]
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