Aktuelle sozialmedizinische Regelungen für Diabetiker

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FORTBILDUNG
SEMINAR
Fahrtauglichkeit und (Schwer-)Behinderung
Aktuelle sozialmedizinische
Regelungen für Diabetiker
Dr. med. Hermann Finck
Diabetologe DDG,
Sozialmedizin,
Verkehrsmedizin, Hünfeld
H. Finck
Wie Stoffwechselgesunde möchten auch Menschen mit Diabetes
mellitus alle Grund-, Freiheits- und Sozialrechte wahrnehmen. Im
nachfolgenden Beitrag geht es exemplarisch um zwei Aspekte, die für
Diabetiker besonders relevant sind: Mögliche Einschränkungen der
Fahrtauglichkeit und wie sie kompensiert werden können sowie das
praktische Vor­gehen bei der Beantragung einer (Schwer-)Behinderung.
Diabetologie für den Hausarzt
1. Fahrtauglichkeit
päisches Führerscheinmuster (Scheckkartenformat) sowie auch die europaweit
gültigen Fahrzeugklassen A–E eingeführt. Weiterhin wurden Mindestan­
forderungen an die körperliche und
geistige Tauglichkeit zum Führen eines
Kraftfahrzeuges festgelegt, die bei der
Erteilung oder der Verlängerung einer
Fahrerlaubnis für Menschen mit Dia­
betes zu berücksichtigen sind.
In der Bundesrepublik Deutschland
ist die EU-Richtlinie durch das Gesetz
zur Änderung des Straßenverkehrsge-
Der Diabetes mellitus ist von verkehrsmedizinischer Bedeutung, weil er aufgrund von krankheits- und therapiebedingten Komplikationen sowie Nebenwirkungen sowohl die Fahrtauglichkeit
beeinträchtigen als auch zu Eignungseinschränkungen beim Führen bestimmter Fahrzeugklassen führen kann.
Da dies zum Verlust des Arbeitsplatzes –
etwa bei LKW-, Bus- oder Taxifahrern –
führen kann, sollten alle aus ärztlicher
Sicht geeigneten Maßnahmen zur
Kompensa­tion der Eignungsmängel veranlasst werden.
Für die meisten Fahrzeugführer mit
Dia­betes mellitus sind keine Eignungseinschränkungen feststellbar. Wissenschaftliche und unfallstatistische Untersuchungen belegen, dass Diabetiker
nicht häufiger, sondern eher seltener im
Straßenverkehr auffällig werden oder
Verkehrsunfälle verursachen.
angeordnet werden. Die Begutachtung
erfolgt immer auf der Grundlage der
„Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung“ (in der von der Bundesanstalt für Straßenwesen [BAST] veröffentlichten Fassung vom 1. Mai 2014). Die
Begutachtungsleitlinien basieren auf den
Ausführungen der Europäischen Führerscheinrichtlinie sowie der Fahr­
erlaubnis-Verordnung. Die Leitsätze
sind in Tab. 1 zusammengestellt.
Mit der Europäischen Führerscheinrichtlinie wurden ein einheitliches euro-
Regelmäßiger Sonderteil der MMW-Fortschr.
Med., herausgegeben von der Fachkommission
Diabetes in Bayern – Landesverband der
Deutschen Dia­betes-Gesellschaft, Dr. med.
Arthur Grünerbel (1. Vorsitzender), München
Redaktion: PD Dr. M. Hummel, Rosenheim
(Koor­dination); Prof. Dr. L. Schaaf, München
(wissenschaftliche Leitung)
Bei begründeten Zweifeln an der Fahrtauglichkeit oder an der Eignung zum
Führen von Fahrzeugen bestimmter
Fahrzeugklassen kann von den Verkehrsbehörden ein fachärztliches, amtsärztliches oder auch verkehrsmedizinisches Gutachten gemäß § 11 und §§ 13
und 14 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV)
Bei Berufskraftfahrern
sollten keine Zweifel an der
Fahrtauglichkeit vorliegen.
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Wann ist ein Gutachten notwendig?
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Tab. 1 Die in den Begutachtungsleitlinien enthaltenen Leitsätze
zum Diabetes mellitus
• Gut eingestellte und geschulte Menschen mit Diabetes können Fahrzeuge beider Gruppen
sicher führen.
• Therapieregime und Fahrzeugnutzung sind bei der Begutachtung zu berücksichtigen. Die
Gefährdung der Verkehrssicherheit geht beim Diabetes in erster Linie von Hypoglykämien mit
Kontrollverlust, Verhaltensstörung oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen aus.
• Eine ungestörte Hypoglykämiewahrnehmung ist Voraussetzung für die Fahreignung.
• Menschen mit Diabetes mit mehr als einer fremdhilfebedürftigen Hypoglykämie im Wachzu­
stand in den letzten zwölf Monaten sind in der Regel zum Führen von Kraftfahrzeugen solange
ungeeignet, bis wieder eine hinreichende Stabilität der Stoffwechsellage sowie eine zuver­
lässige Wahrnehmung von Hypoglykämien sichergestellt ist.
• Wer nach einer Stoffwechseldekompensation erstmals oder neu eingestellt wird, darf kein
Fahrzeug führen, bis die Einstellphase durch Erreichen einer ausgeglichenen Stoffwechsellage
(inkl. der Normalisierung des Sehvermögens) abgeschlossen ist.
• Menschen mit Diabetes mit anhaltender Hyperglykämie können häufig stoffwechselbedingt
eine Minderung der Aufmerksamkeit und des Konzentrations- und Reaktionsvermögens aufwei­
sen. Die sichere Teilnahme am Straßenverkehr kann dadurch bedingt eingeschränkt oder auch
nicht mehr gegeben sein. In diesen Fällen ist eine fachärztliche Einzelfallbeurteilung angezeigt.
setzes (StVG) und durch die Verordnung
über die Zulassung von Personen zum
Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) in nationales Recht umgesetzt worden (zuletzt geändert am 2. Oktober 2015).
Die Einteilung der Fahrerlaubnisklassen wird in § 6 der FeV geregelt. Unter
Berücksichtigung des Anhangs III der
EU-Führerscheinrichtlinie und der Anlage 4 der FeV werden die Fahrerlaubnisklassen in zwei Gruppen unterteilt:
Gruppe 1: Führer von Fahrzeugen der
Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T.
Gruppe 2: Führer von Fahrzeugen der
Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E
und von Fahrzeugen zur Fahrgastbeförderung (FzF).
Die Führer von Fahrzeugen der Gruppe 1
sind überwiegend Privat-, die Führer
von Fahrzeugen der Gruppe 2 überwiegend Berufskraftfahrer. An Letztere
stellt der Gesetzgeber in gesundheitlicher Hinsicht höhere Anforderungen.
Die eingeschränkte Zulassung zur
Teilnahme am Straßenverkehr und die
Pflicht zur Vorsorge gelten insbesondere
auch für Menschen mit Diabetes. Dazu
steht im § 2 der FeV: „Wer sich infolge
körperlicher Mängel nicht sicher im Ver-
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kehr bewegen kann, darf am Verkehr nur
teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist,
dass er andere nicht gefährdet. Die
Pflicht zur Vorsorge ... obliegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für
ihn Verantwortlichen.“
Der Fahrzeugführer mit Diabetes
muss somit jederzeit in der Lage sein,
z. B. durch Blutzuckerselbstkontrollen
Vorsorge zu treffen, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden.
Die Pflicht zur Vorsorge gilt aber z. B.
auch für den behandelnden Arzt, der in
der Einstellungs- oder Umstellungsphase dem Patienten die Nicht-Teilnahme
am Straßenverkehr empfehlen sollte.
Dies sollte dokumentiert werden, damit
im Falle eines Unfalls die ärztliche Auflage nachgewiesen werden kann.
Behördliche Einschränkungen und
Auflagen betreffend führt der § 3 FeV aus,
dass bei Eignungseinschränkungen die
Fahrerlaubnisbehörde Beschränkungen
oder auch erforderliche Auflagen anzuordnen hat. Diese müssen in den meisten
Fällen aus einem ärztlichen Attest oder
einem verkehrsmedizinischen Gutachten
ableitbar oder begründbar sein. Dies können bei Verkehrsteilnehmern mit Diabetes z. B. regelmäßige Blutzuckerselbstkontrollen (vor und während jeder Fahrt)
sein. Im Falle eines Unfalls muss der Betroffene die Einhaltung dieser Auflage
durch Vorlage eines Diabetestagebuches
oder Messgerätes nachweisen.
Voraussetzungen für das Führen von
Fahrzeugen der Gruppe 1
• Bei Diät, Lebensstilanpassung oder
medikamentöser Therapie mit niedrigem Hypoglykämierisiko und
wenn die Stoffwechsellage ausge­
glichen ist, besteht keine Einschränkung der Fahrerlaubnis.
• Als Antidiabetika mit niedrigem
Hypoglykämierisiko gelten Bigua­
nide, Resorptionshemmer, Insulinsensitizer, DPP-4-Hemmer und
GLP-1-Analoga.
• Bei der Therapie mit Antidiabetika,
die ein hohes Hypoglykämierisiko
(Insulin und Sulfonylharnstoffe) haben, ist bei ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung nach Einstellung
und Schulung das Führen von
Kraftfahrzeugen der Gruppe 1
(PKW, Motorräder) möglich. Stoffwechselselbstkontrollen werden hier
empfohlen.
• Für Kranführer und Baggerfahrer
sind Voraussetzungen zu erfüllen
wie Mindestalter, Nachweis der gesundheitlichen Eignung durch eine
arbeitsmedizinische Eignungs-/Vorsorgeuntersuchung nach G 25 bei
Ausübung von Fahr-, Steuer- und
Überwachungstätigkeiten sowie
weitere theoretische Schulungen.
... Fahrzeugen der Gruppe 2
• Voraussetzung für das sichere Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2
(LKW, Bus, Taxi) ist grundsätzlich
der Nachweis einer stabilen Stoffwechselführung über drei Monate.
• Bei Therapie mit oralen Antidiabe­
tika mit niedrigem Hypoglykämierisiko müssen regelmäßige ärztliche
Kontrollen gewährleistet sein, und
es ist eine fachärztliche Nachbegutachtung erforderlich.
• Bei Therapie mit höherem Hypoglykämierisiko (Sulfonylharnstoffe, GLP1-Analoga, Insulin) ist neben regelmäßigen ärztlichen Kontrollen sowie
regelmäßigen geeigneten Stoffwechselselbstkontrollen eine fachärztliche
Begutachtung alle drei Jahre erfor-
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taug­
lichkeit, Erhöhung der Verkehrs­
sicherheit sowie zur Integration der Menschen mit Diabetes in die Gesellschaft, ins
Berufs- und Arbeitsleben geeignet.
mehr festgestellt, dass der mit der Erkrankung einhergehende Therapieaufwand und die dadurch bedingten Einschränkungen und Einschnitte in die
Lebensführung sowie die dadurch bedingten Teilhabebeeinträchtigungen
stärker berücksichtigt werden müssten.
Seit der Überarbeitung der versorgungsmedizinischen Grundsätze und
seit den neuen Anforderungen an die
Feststellung der jeweiligen Grade der Behinderung gehen die für die Anerkennung einer Behinderung/Schwerbehinderung zuständigen Versorgungsämter
sehr viel restriktiver vor. Beispielsweise
werden alle in der Verordnung genannten Kriterien geprüft. Auch die Vorlage
der dokumentierten Blutzuckermessungen und Insulindosisanpassungen an
Mahlzeiten oder an körperliche Belastungen (auch das über eine Insulinpumpe abgegebene Insulin) werden über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten
gefordert und auch hinsichtlich der
selbstständigen Variation der Insulin­
dosis geprüft. Darüber hinaus wird
gefordert, die Einschnitte in die Lebensführung und die durch den Therapieaufwand bedingten Teilhabebeeinträchtigungen zu begründen und zu belegen.
Sind regelmäßige Stoffwechsel­
kontrollen notwendig, müssen diese
auch gut dokumentiert werden.
derlich. Therapieregime, Stoffwechsel­
einstellung und Fahrzeugnutzung
sind zu berücksichtigen.
Aufwendige Patientenschulung
Für behandelnde Ärzte/Diabetologen/
Hausärzte folgt aus den o. g. Ausführungen, dass sie ihre Patienten intensiver
schulen müssen. Dies betrifft folgende
Aspekte: Konsequente und sorgfältige
Stoffwechselselbstkontrollen mit Dokumentation der Befunde; Hypoglykämieerkennung mit Dokumentation der
Maßnahmen und der Befunde; eine stärkere Fokussierung auf die Hypoglykämieproblematik einschließlich der Erfassung von fremdhilfebedürftigen Hypoglykämien; ggf. Einleitung von Maßnahmen zur Wiederherstellung der
Fahrtauglichkeit wie Therapieänderung
einschließlich CGMS (Kontinuierliches
Glukose-Monitoring-System), Hypoglykämiewahrnehmungstraining und vermehrte Blutzuckerselbstkontrollen vor
und während jeder Fahrt.
Diese Maßnahmen sind gemäß den
Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung zur Wiederherstellung der Fahr­
Menschen sind gemäß § 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder
seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate
von dem für das Lebensalter typischen
Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung
bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu
erwarten ist.“ Die Maßeinheit ist der Grad
der Behinderung (GdB).
Menschen sind gemäß § 2 SGB IX
schwerbehindert, „wenn bei ihnen ein
Grad der Behinderung von wenigstens
50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre
Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im
Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im
Geltungsbereich dieses Gesetzbuches
haben“.
„Schwerbehinderten
Menschen
gleichgestellt werden sollen behinderte
Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens
30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz
im Sinne des § 73 nicht erlangen oder
nicht behalten können (gleichgestellte
behinderte Menschen)“. Die Gleichstellung kann bei der Agentur für Arbeit erfolgen, wenn zuvor ein GdB von 30 oder
40 seitens des Versorgungsamtes festgestellt wurde.
Wann wird eine Schwerbehinderung
anerkannt?
Das Bundessozialgericht hat in mehreren
Entscheidungen klargestellt, dass allein
eine intensivierte Insulin- bzw. Pumpentherapie oder häufige Blutzuckermessungen die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Schwerbehinderung (GdB
Was gilt für Diabetiker?
Die Grade der Behinderung werden in
den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen festgelegt, die für den Diabetes
vom Gesetzgeber zuletzt im Jahr 2010
überarbeitet wurden (Tab. 2). Diese
Überarbeitung wirkte sich insofern aus,
als die zuvor überwiegend an der Diabetestherapie orientierte Festlegung der
Grade der Behinderung als unzureichend erachtet wurde. Es wurde viel-
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2. Anerkennung einer (Schwer-)
Behinderung bei Diabetes mellitus
Bei der Anerkennung einer Behinderung
sind viele Hürden zu nehmen.
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Tab. 2 Grundsätze in der Versorgungmedizin-Verordnung (vom 14. Juli 2010)
Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine
Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum
beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teil­
habebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertigt.
Der Grad der
Behinderung
(GdB) beträgt 0
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie
auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträch­
tigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebe­
einträchtigung.
Der GdB beträgt
20
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie
auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Über­
prüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere
Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Aus­
maß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine
stärkere Teilhabebeeinträchtigung.
Der GdB beträgt
30–40
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich
mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in
Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der
körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss, und durch erheb­
liche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind,
erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabe­
beeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (bzw.
Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein.
Der GdB beträgt
50
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils
höhere GdB-Werte bedingen.
Nachteile abgewogen werden. Die Dia­
gnosen allein reichen nicht aus. Vielmehr müssen auch die Therapie und der
Therapieaufwand detailliert beschrieben
werden. Die Behörden fordern meist das
Führen eines Diabetestagebuches über
bis zu drei Monaten. Hier sollten neben
Blutzuckerselbstmessungen auch selbstständige Insulindosisanpassungen an
die Blutzuckermesswerte sowie an
Mahlzeiten und körperliche Belastungen
aufgeführt werden.
Weiterhin müssen Einschnitte in die
Lebensführung sowie Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch den Diabetes beschrieben
werden. In vielen Fällen gehören auch
Ängste und psychoreaktive Störungen
dazu, insbesondere dann, wenn die Ziele des Diabetesselbstmanagements nicht
erreicht werden.
Bei Kindern und Jugendlichen mit
Diabetes sollte beachtet werden, dass das
Merkzeichen „H“ (Hilflosigkeit) nur
noch bis zum vollendeten 16. Lebensjahr
gewährt wird.
■
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
50) noch nicht erfüllen. Es müsse zu­
sätzlich nachgewiesen werden, dass der
Therapieaufwand tatsächlich auch eine
ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung
bedinge. Eine derartige Begründung
überfordert nicht wenige Betroffene.
Eine diesbezügliche Beratung und
Unterstützung im Rahmen der Beantragung einer Behinderung/Schwerbehinderung wird häufig von den behandelnden Ärzten sowie von Diabetesberatern/­
innen und von den Diabetesteams gewünscht. Es hat sich als hilfreich erwiesen, diesbezüglich Checklisten zu erarbeiten und den Patienten anzubieten.
Hilfreiche Checklisten
• Checkliste zu den Einschränkungen
in der Lebensführung mit Diskriminierungen und Ausgrenzungen aller
Art sowie mit Einschränkungen bei
der Teilnahme am gesellschaftlichen
Leben, mit Problemen in der Schule,
im Studium, bei der Ausbildung und
bei der Berufswahl; weiterhin mit
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körperlichen und seelischen Auswirkungen, z. B. bei häufigen Hypoglykämien mit Hypoglykämie-Angst
und evtl. mit Leistungsminderung
und Konzentrationsstörungen, Minderwertigkeitsgefühlen und der
Angst vor Folgeerkrankungen sowie
Komplikationen.
• Checkliste zum Therapieaufwand
mit Zeitaufwand für Insulininjek­
tionen, für die Nahrungsberechnung, für regelmäßige Blutzuckerselbstkontrollen mit umfangreicher
Dokumentation und Kennzeichnung besonderer Ereignisse.
• Checkliste zu Diabeteskomplika­
tionen und Folgeerkrankungen
(Retinopathie, Neuropathie, Nephro­
pathie, erektile Dysfunk­tion).
Vor- und Nachteile abwägen
Bei der Beratung eines Patienten in Bezug auf Anerkennung einer Behinderung/Schwerbehinderung beim zuständigen Versorgungsamt sollten Vor- und
1.Die Themen Diabetes und Fahrtauglichkeit/Fahreignung sowie Diabetes und Behinderung/Schwerbehinderung bedeuten für den Arzt und das Diabetes­team
einen größeren Beratungsumfang.
2.Bei Schulungen sollten für alle Menschen
mit Diabetes Maßnahmen zur sicheren
Teilnahme am Straßenverkehr thematisiert werden. Dies gilt für Rad- ebenso
wie für Motorrad-, PKW- sowie LKW-/Busund Taxifahrer.
ȖȖ Literatur: springermedizin.de/mmw
ȖȖ Title and Keywords: Actual sociomedical
aspects of diabetes and fitness to drive
private and commercial vehicles and of
diabetes and disability Diabetes / impaired driving fitness /
hypoglycemic awareness / disability
ȖȖ Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Hermann Finck Diabetologe DDG, Sozialmedizin,
Verkehrsmedizin
Theodor-Heuss-Straße 4, D-36088 Hünfeld
E-Mail: [email protected]
FORTBILDUNG
Weiterführende Literatur
1. Madea B, Mußhoff F, Berghaus G. (Hrsg.) Verkehrsmedizin, Fahreignung, Fahrsicherheit,
Unfallrekonstruktion Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2. Auflage 2012
2. Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr -Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18. August 1998, BGBl. I
S. 2214, letzte Neufassung vom 13. Dezember 2010. BGBl. I Nr. 65 S. 1980
3. Diabetes & Autofahren. Schweizerische Diabetes-Gesellschaft. Überarbeitete Auflage
Oktober 2015. www.diabetesuisse.ch
4. Ebert O: Das Diabetes-Rechtsfragen-Buch.
Verlag Kirchheim + Co GmbH, Mainz 2008
5. Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST): Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung –
gültig ab 1. Mai 2014, bearbeitet von
Gräcman N und Albrecht M. Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen Heft M 115,
2014
6. Statistisches Bundesamt – DESTATIS. Unfallstatistik. www.destatis.de
7. Finck H, Holl RW, Ebert O: Die soziale Dimension des Diabetes.. In: Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2015, diabetesDE
(Hrsg.). Verlag Kirchheim + Co GmbH, Mainz
2015
8. Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) –
Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen – (Artikel 1 des Gesetzes vom
19.6.2001 BGBl. I Nr. 27, S. 1046), zuletzt geändert durch Art. 452 V v. 31.08.2015
9. Versorgungsmedizin-Verordnung (Vers.
Med.V) vom 10. Dezember 2008, BGBl. I S.
2412, zuletzt geändert durch Art. 1 VO vom
11. Oktober 2012, BGBl. I Nr. 47, S. 2122
10. Zweite Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (2. Vers.
Med.V.ÄndV), V. v. 14. Juli 2010. BGBl. I Nr. 37,
S. 928
MMW Fortschritte der Medizin 2016 . S1 / 158
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