16 > Mit system zum erfolg reportage reportage > mit system zum erfolg Schritt für Schritt zum Erfolg: Sechs Monate lang bereiten sich Kölner HobbySportler systematisch auf einen Marathon vor. compass war dabei heute. Seit April läuft er mit Gruppe. Sein Ziel: Ein Halbmarathon, also gut 21 Kilometer in zwei Stunden, und „am Ende noch richtig schön lachen können“. Im Moment steht er lachend nur auf einem Bein, besser auf einem wackeligen Fuß. Coach Thomas verbreitet Zuversicht. „Euer Standfuß muss jetzt viele Ausgleichsbewegungen machen, die Zehen gehen hoch Der Abend gehört den Müßiggängern. Auf den Wiesen und runter – damit stärkt ihr eure Fußmuskulatur und am Aachener Weiher in der Kölner Innenstadt lümmeln beseitigt eventuelle Fußfehlstellungen.“ Statt nach un- lebenslustige Jugendliche, schmausen Grillfans, turteln ten wandern die Blicke nach oben. Wind kommt auf, Liebespaare. Jochen Peutz steht am Ufer, so wie jeden zerrt an T-Shirts und bringt die Pappeln am Weiher zum Donnerstag seit vier Monaten. Der 41-Jährige kreuzt Schwanken. Es fängt an zu regnen. Ärmel werden he- die Beine, faltet seine Hände, beugt seinen Oberkör- runtergekrempelt und Reißverschlüsse hochgezogen – per erst zur einen, dann zur anderen Seite. Lässt die trainiert wird bei jedem Wetter. Coach Thomas wird mit LANGSAM AUFBAUEN Schultern kreisen, die Arme pendeln und rotieren, und den Anfängern um den Weiher joggen. Für die ande- Die Sportler haben Puls mit dem Fuß malt er Achten in die Luft – so, wie es ren 13 Läufer geht es heute in den Stadtwald. Das Tem- und Herzfrequenz im Thomas Wachenfeld und Henning Grützner von der Köl- po gibt Coach Henning vor. Im leichten Dauerlauf, den Blick ner Ausdauer- und Laufschule es ihm und den anderen Blick frei geradeaus gerichtet, mit aufrechtem Körper, 19 Männern und Frauen in der Runde vormachen. die Arme und Beine rhythmisch im Gegenpendel Nach einem Tag am Schreibtisch sollen die Auf- schwingend, geht es am Ostasiatischen Museum vor- wärmübungen locker machen, anderthalb Stunden bei, über die Universitätsstraße, hinein in die Claren- Laufcoaching stehen heute auf dem Plan: Kraft-, Koor- bachstraße, immer weiter weg vom Getöse des Feier- dinations- und Flexibilitätstraining, Mobilisation, Bein- abendverkehrs, bis nur noch das Tsch-tsch-tsch gleich- und Armtechnik, Korrektur der Haltung. Alles Übungen, mäßiger, kurzer Schrittfolgen und das Geplauder der die Jochen Peutz und die anderen geschmeidiger ma- Läufer zu hören ist. Auch Jochen Peutz beherzigt die chen sollen. Und schneller. Denn sie haben ein ge- Goldene Regel: vier Schritte einatmen, vier Schritte meinsames großes Ziel: In zwei Monaten wollen sie ei- ausatmen und locker unterhalten – dann stimmt das nen Marathon mitlaufen, einige zum ersten Mal. Tempo, und der Puls ist auf dem richtigen Niveau. Für Peutz ist es der zweite Wettkampf überhaupt. Zum ersten Mal an den Start ging er bei den Bundesju- > Schmerz vergeht, Stolz bleibt gendspielen, doch das ist 25 Jahre her. Sport stand da- „Wie läuft’s sich mit den neuen Schuhen?“ – „Super, nach weniger auf seiner Agenda. Bis vor zwei Jahren. die Investition hat sich gelohnt.“ Melanie Staudt wirft Als Producer beim Nachrichtensender n-tv hat er einen einen kurzen Blick auf ihre Füße, die in den neuen anspruchsvollen Job – und abends gerne die Füße hoch- Laufschuhen stecken: eher flach, ein bisschen dämp- gelegt. Erst als der Hüftgürtel enger wurde, wuchs der fend und so flexibel, dass sie einen natürlichen Be- Wunsch nach sportlicher Aktivität. Damals lief er ohne wegungsablauf ermöglichen. Flüssig setzt die 33-Jäh- Plan los. „Gemeinsam macht es mehr Spaß“, sagt er rige Fuß vor Fuß, landet bei jedem Schritt mit leicht angewinkeltem Bein auf dem Mittelfuß. Im Oktober wird sie bereits zum dritten Mal in Köln einen Marathon bestreiten – wieder im Rahmen des Projekts „Le- GANZKÖRPER-TRAINING Laufen allein reicht nicht, um den Körper auf einen Marathon vorzubereiten. Coach Thomas Wachenfeld mit seiner Übungsgruppe comdirect > compass 4 09 LAUFEN MIT SYSTEM 4 09 comdirect > compass 17 18 > mit strategie zum erfolg reportage > 4-Stufen-Plan Ein Marathon ist kein Kinderspiel. Wer ohne Verletzungsrisiko auf die Strecke gehen will, sollte ben läuft“ ihres Arbeitgebers, ckend, laufend, hüpfend, laufend, beugend arbeiten der Kölner Lebensversiche- sich die Läufer weiter in den Stadtwald vor. Auf einer rungsgruppe HDI Gerling. Die lichten Wiese nimmt sich Coach Henning die Problem- hatte vor drei Jahren anlässlich zone der Läufer vor: das Knie. „Bei jedem Schritt lastet der Fusion von HDI und Gerling das 3- bis 5-fache eures Körpergewichts auf dem Ge- die betriebsinterne Marathon- lenk. Deswegen müsst ihr den Muskel stärken, der das Vorbereitung initiiert mit dem Knie stützt.“ Alle machen einen großen Ausfallschritt Ziel, die Mitarbeiterzusammen- nach vorne – wie Florettfechter im Angriff stehen führung nachhaltig zu fördern. Peutz, Staudt und die anderen im blühenden Klee. Und „Im ersten Jahr waren wir als wäre das nicht genug der Pein, folgt stante pede rund 300 Teilnehmer, jetzt lau- Schwierigkeitsstufe zwei: jetzt noch die Ferse des vor- sich systematisch vorbereiten. Die Kölner Aus- fen mehr als 400 Kollegen mit“, deren Fußes anheben und locker federn. Gequältes dauer- und Laufschule bietet ein sechsmonati- sagt Staudt. Auch Peutz’ Arbeit- Grinsen, Stöhnen, Muskelzittern machen die Runde – ges Körper-Aufbau-Training. Neben einem wö- geber unterstützt die sportlichen 30 Minuten lang. Denn auch die Muskeln in Bauch, Rü- chetlichen Laufcoaching erhalten Teilnehmer ei- Ambitionen seiner Mitarbeiter. cken, Oberschenkel und Hüfte müssen dem Härtetest nen individuellen Trainingsplan – abhängig von Weiter vorn läuft ein Kollege aus unterzogen werden. Peutz steht die Anstrengung ins Alter, Ziel und Leistungsvermögen. der Wirtschaftsredaktion, dane- Gesicht geschrieben. PHASE EINS: AUFBAUEN deabwicklung, und fünf Schritte LANGSAM LAUFEN MACHT SCHNELL ben ein Techniker aus der SenAusdauer ist die Basis – sie wird gleichmäßig in den ersten drei bis vier Wochen gelegt PHASE ZWEI: STABILISIEREN Die Grundlagenausdauer pendelt sich ein und wird in zwei bis drei Monaten weiterentwickelt PHASE DREI: ENTWICKELN Die Belastung wird intensiviert. Dauer: Rund vier Wochen PHASE VIER: KOMPENSIEREN Trainingsumfang und -intensität werden in den letzten vier Wochen reduziert, um die Energie bündeln zu können weiter Peutz’ Chef, der Ge- „Laufen mag ich lieber als Krafttraining“, sagt Peutz schäftsführer vom Nachrichten- und ist froh, dass die „Verrenkungen“ für heute vorbei sender n-tv. sind und sich die Gruppe wieder joggend in Richtung Weiher bewegt. Seit vier Monaten läuft er drei Mal in GANZKÖRPER-SYSTEM der Woche, so wie es sein Trainingsplan vorsieht: lo- Peutz drosselt sein Tempo, ckeres Gehen, Joggen, leichte Gymnastik, Dauerlauf im Coach Henning kündigt die ers- Wechsel. Mal zügiger, mal langsamer, mal länger, mal te Übung an: Kräftigung der kürzer. Aber nie zu schnell, damit sein Puls die für ihn Wadenmuskulatur. Rauf auf die errechneten Frequenzen nicht überschreitet und sein Zehenspitzen, die Arme zur Sei- Herz nicht überlastet wird. Und damit sein Körper sich te gestreckt und im Laufschritt losgetippelt, 20 Schritte regenerieren und den jeweiligen Anforderungen an- vorwärts, 20 Schritte rückwärts. Ein Hundeherrchen lä- passen kann. Mittlerweile schafft er locker 110 Minu- chelt milde, als die Gruppe an ihm vorbeitippelt. Jogger ten am Stück, vor vier Monaten waren es gerade ein- ziehen großspurig vorbei, Nordic Walker bahnen sich mal 30. Und er bringt acht Kilo weniger auf die Waa- verstockt ihren Weg. Weiter geht’s im Dauerlauf. Fünf ge. Locker trabt Peutz neben Melanie Staudt dem Ziel Minuten später der nächste Stopp an einer kniehohen entgegen. „Jetzt freue ich mich auf ein Bier.“ Der Rest Mauer: Jetzt ist die Armmuskulatur dran. Auf die Mau- des Abends ist Müßiggang. | er gesetzt, mit den Händen abgestützt, und nun den Po vor der Mauer zwölf Mal senken und heben – ohne abzusetzen. Dann noch einmal hoch und runter im Dreiertakt, und zu guter Letzt das Ganze mit ausgestrecktem Bein. Höllenqualen sprechen aus Bewegungen und Mimik. Stirnen legen sich in Falten, Augen werden zusammengekniffen, Zähne aufeinandergepresst. Die ersten knicken ein, doch Peutz hält mit Ach und Krach durch. Weiter geht’s. Laufend, dehnend, laufend, stre- comdirect > compass 4 09