21 D i e n s t a g , 2 3 . A u g u s t 2 0 0 5 / N r. 1 9 3 MELCHIOR MATHIS: Wie der 65-jährige Stansstader das Unwetter in Stansstad erlebte und wie er den Wassermassen entkam. Seite 22 NEUE LUZERNER ZEITUNG NEUE URNER ZEITUNG NEUE SCHWYZER ZEITUNG OBWALDEN NIDWALDEN NEUE OBWALDNER ZEITUNG NEUE NIDWALDNER ZEITUNG NEUE ZUGER ZEITUNG Unwetter in Nidwalden Die Sorgenfalten sind immer noch gross Um noch grösseren Schäden vorzubeugen, wurde gestern Mittag der Engelberger-Aa-Damm zwischen Ennetbürgen und Buochs absichtlich aufgerissen. In Nidwalden spitzte sich gestern die Lage immer mehr zu. Vielerorts spielten sich dramatische Szenen ab. Bis am Abend gab es jedoch keine Meldungen von Verletzten. garagen unterspült. Zudem setzte sich an diversen Stellen am Bürgenberg die Erde in Bewegung. So auch bei den Pilatus-Flugzeugwerken. Zwei Hallen wurden vorsorglich geräumt. Massive Wassermassen schossen auch in Stans zu Tal. Der Blick vom Dorf hoch zur Waldgrenze am Stanserhorn zeigte ein Bild der Verwüstung. Die Standseilbahn der StanserhornBahn wurde arg in Mitleidenschaft V O N O L I V E R M ATT M A N N gezogen. Murgänge hatten das Bahntrassee auf einer Länge von rund 500 Die Szenen ähnelten einem Katastro- Meter unterspült und verschüttet. An phenfilm. Doch es war die bittere einen Betrieb kann die nächsten zwei Realität, die gestern sintflutartig über Wochen nicht gedacht werden. Zwiweite Teile von Nidwalden und dessen schenzeitlich in Gefahr war auch der Bevölkerung hereinbrach. Die starken, Betrieb des Kantonsspitals in Stans. Das anhaltenden Regenfälle und der ohne- vom Horn kommende Wasser hatte die hin völlig durchnässte Boden liessen Trafostation des Spitals ausser Gefecht schon in den frühen Morgenstunden gesetzt (siehe Nachgefragt). Überflutet mehrere Hänge abrutschen, Bäche wurden insbesondere auch die Gebiete über das Ufer treten und Wassermassen Wirzboden und Rotzring. Am späten zu Tal fliessen. Fast im Minutentakt Abend sperrte die Polizei die Autobahn mussten Strassen geschlossen, Rutsche Richtung Süden. Sie war auf der Höhe registriert, Sandsäder Kreuzstrasse auf cke abgefüllt und einer Länge von 110 Feuerwehrmänner, Meter überflutet. «Wenn wir Glück haben, Zivilschützer und ArDavon betroffen war kommt der Vierwaldstätmeeangehörige aufauch die Hauptstrasgeboten werden. An tersee nicht über die Ufer.» se von Stans nach die 700 RettungskräfBuochs. Nicht nur in X AV E R S T I R N I M A N N te standen im ganEnnetbürgen trat die zen Kanton pausenAa über die Ufer. In los im Einsatz. Sogar 60 Absolventen Wolfenschiessen vermochte der Flussder Swissint in Wil wurden kurzfristig lauf die von Engelberg herabfliessenaufgeboten. «Im Moment sind genü- den Wassermengen am Mittag nicht gend personelle Ressourcen vorhan- mehr zu schlucken. Das angrenzende den. Für Ablösungen müssen wir ab Wiesland glich hernach einem See. Dienstagmorgen aber auch ausserkan- Auch Teile des Dorfes wurden durch die tonale Kräfte beiziehen», so Daniel Fluten überschwemmt. Unter Wasser Bächtold, Infochef des kantonalen Führungsstabs, gestern Nachmittag. Damm absichtlich gebrochen Vom Unwetter weit gehend verschont blieb bis gestern Abend offenbar nur Emmetten. Dafür traf es andere Gemeinden besonders hart. Beispielsweise Ennetbürgen. Praktisch chancenlos mussten die Helfer zusehen, wie die Engelbergeraa von Stunde zu Stunde mehr Wasser führte und zu überschwappen drohte. Um die Mittagszeit war es geschehen. Zwischen Ennetbürgen und Buochs hielt das Gerinne den Wassermassen nicht mehr stand, der Damm wurde absichtlich gebrochen. Fortan bahnte sich das Wasser seinen Weg über den Flugplatz und das Seefeld in den Vierwaldstättersee, aber auch in Richtung Ennetbürger Siedlungsgebiete. Weite Teile des Dorfes wurden überschwemmt, unzählige Keller und Tief- VERWÜSTUNGEN Das Krisengebiet im Überblick Stans: Das Kniri oberhalb des Stanser Dorfes glich gestern einem Teppich aus Wasser, Schlamm und Steinen. Von den Wassermassen betroffen waren insbesondere das Spital, die Stanserhorn-Bahn sowie die Gebiete Wirzboden und Rotzring. ● Stansstad: Der Giesslibach verwandelte einen Teil des Stansstader Dorfes in einen grossen Wassertümpel. Keller, Garagen, Geschäfte wurden in Mitleidenschaft gezogen. Es mussten Evakuationen vorgenommen werden. ● Engelberger Aa: Mit einer noch nie dagewesenen Wucht schoss die Aa in Richtung Vierwaldstättersee. In Wolfenschiessen sowie in Ennetbürgen trat der Fluss über die Ufer. Die Dörfer wurden teilweise unter Wasser gesetzt. ● Strassen: Zahlreiche Hauptverbindungen waren nicht mehr passierbar. So die Strassen Stans–Ennetmoos, Buochs–Ennetbürgen, Wolfenschiessen–Engelberg, Kantonsstrasse nach Büren, um nur einige zu nennen. r e d ● stand bereits am Morgen das halbe Dorf von Stansstad. Der Mühlebach und der Giesslibach hatten sich selbstständig gemacht. Häuser von mehreren Quartieren wurden von den unkontrollierbaren Wassermassen und Geröll umschwemmt. Wie andernorts waren Der Giesslibach wurde über Nacht zu einem reissenden Wildbach und überflutete das BILD CORNELIA FISCHER halbe Dorf Stansstad. EXPRESS Ein Unwetter horrenden Ausmasses zog gestern auch über den Kanton Nidwalden. Das Resultat: überflutete Dörfer, Erdrutsche und Evakuationen. Wie sich die Lage weiterentwickelt, ist ungewiss. Es soll noch mehr Regen geben. Evakuationen die Folge (siehe Seite 22). Diverse Erdrutsche und Überschwemmungen ereigneten sich auch in Dallenwil, Ennetmoos und Oberdorf. Der Bürgenstock war von Stansstad her nicht mehr zugänglich. Ein Erdrutsch hatte die Strasse oberhalb Fürigen verschüttet. Das Wirzweli war von der Aussenwelt abgeschnitten. «Schlimmeres verhindert» Da die Feuerwehren und Gemeindekrisenstäbe autonom arbeiten und praktisch alle Gebiete vom Unwetter betroffen sind, «ist es schwierig, einen Überblick zu erhalten», sagte Xaver Stirnimann, Chef des kantonalen Führungsstabs, gestern Nachmittag. Die Fliessgeschwindigkeit der Engelbergeraa sagt jedoch viel über das Ausmass aus: 160 Kubikmeter Wasser pro Sekunde wurden gemessen, die bisherige Höchstmarke lag bei 130. In der Nacht drohte dann der Damm zu brechen. Das Erfreuliche: Bis gestern Abend waren beim Führungsstab keine Meldungen von Verletzten eingegangen. Auch nicht, als in Oberrickenbach ein Stall und nach ersten Informationen auch ein Haus von einem Erdrutsch erfasst wurden. Geschockt von den Ereignissen zeigte sich gestern Landammann Elisabeth Gabriel: «Das Unwetter hat mich und den ganzen Regierungsrat stark betroffen gemacht.» Gabriel lobte den Einsatz der Hilfs- und Rettungskräfte. «Sie haben noch Schlimmeres verhindert.» Auch die Verbauungen für den Hochwasserschutz, die in den letzten Jahren vorgenommen wurden, hätten sich bewährt. Das Unwetter habe aber auch gezeigt, dass er noch Lücken aufweist. Eine Prognose für die Nacht wollte der Führungsstab gestern nicht abgeben. Sorgen bereitete aber der Pegelstand des Vierwaldstättersee in Stansstad. Stirnimann: «Vielleicht haben wir Glück.» BILD OLIVER MATTMANN NACHGEFRAGT bei Paul Flückiger, Spitaldirektor Trat bei Patienten keine Panik auf? Vom Unwetter war auch das Kantonsspital Nidwalden betroffen. Durch die Wassermassen fiel der Strom aus. Der Spitaldirektor erklärt, weshalb für die Patienten keine Gefahr bestand. Das Kantonsspital Nidwalden hat keinen Strom. Wie lange noch? Paul Flückiger: Wir gehen davon aus, dass dies bis heute so sein wird. Bis dahin setzen wir Notstromaggregate ein. Wie sieht es mit der Sicherheit der Patienten aus? Flückiger: Die ist absolut gewährleistet. Wir haben zwei Patientinnen nach Luzern verlegt. Zum Glück waren zurzeit keine Patienten mit einem kritischen Zustand hospitalisiert. Kann denn derzeit operiert werden? Flückiger: Dies ist momentan nicht möglich. Die Versorgung ist aber sichergestellt. Bei einem Notfall werden wir die Patienten nach Luzern verlegen. Wie reagierten die Patienten auf den Stromausfall? Gab es keine Panik? Flückiger: Überhaupt nicht. Ich muss an dieser Stelle dem Team ein Kompliment aussprechen. Der ärztliche Leiter hat sehr gut reagiert und sofort das Zepter übernommen. Blicken wir noch voraus: Können die technischen Probleme heute wieder behoben werden? Flückiger: Wir hoffen es. Allerdings wissen wir noch nicht das genaue Schadensausmass. Und wie steht es mit dem finanziellen Schaden? Flückiger: Davon habe ich noch keine Vorstellungen. bu