Quantentreiben im Eierkarton

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Quantentreiben im Eierkarton
Gefangen in einem Lichtgil-
ler, verhalten sich kalte Atome mal wie ein Supraleiter,
mal wie ein Isolator. Mit einem Mikroskop lassen sich
die Vorgänge verfolgen.
Extrem kalte Atome in optischen Gittern sind ein heißes Forschungsgebiet
sowohl für die Atomphysik als auch für
die Quanleninformatik und die Festkörperphysik. Damit lassen sich genauere
Atomuhren, aber auch leistungsfähige
Speicher für Quantenbits bauen. Vor allem knnn man mit diesen künstlichen
Kristallen die Eigenschaften realer Kris'
talle simulieren, die mit traditionellen
experimentellen Verfahren oder mit
Computersimulationen nur schwer zugänglich sind. Dazu bringt man die Atome zunächst in einen kollektiven Quantenzusland, der dem Zustand der Elektronen im realen Kristall entspricht. Anschließend untersucht man ihr Verhalten mit den gängigen Techniken der
Atomphysik. Wissenschaftler vom MaxPlanck-lnstitut für Quantenoptik in Garching bei München haben nun auf diese
Weise das Verhalten von Elektronen simuliert, die sich zunächst reibungsfrei
in einem supraleitenden Kristall bewegen, der dann plötzlich zu einem elektrischen Isolator wird. Mit einem Mikroskop konnten die Forscher um Stefan
Kuhr und Immanuel Bloch die Atome
sichtbar machen und so den Phasenübergang direkt beobachten.
Die Forscher haben für ihre Versuche
eine Wolke aus rund zweitausend Rubidiumatomen zunächst auf eine Temperatur von einigen Milliardstel Grad über
dem absoluten Nullpunkt gekühlt. Unter
diesen extremen Bedingungen verloren
die Atome ihren individuellen Teilchencharakter und kondensierten in einen kollektiven Quantenzustand niedrigster
Energie. Dieses Bose-Einstein-Kondensat beförderte man anschließend in ein
Gitter aus Licht, das man durch die Überlagerung mehrerer laserstrahlen erzeugt
hatte. Die Strahlen bildeten helle und
dunkle Zonen, die schachbrettförmig in
einer Ebene angeordnet waren. Die Wellenlänge halte man so gewählt, dass die
Rubidiumatome in die hellen Bereiche
hineingezogen und dort festgehalten wurden - ähnlich wie Murmeln in den Mulden eines Eierkartons. Den Forschern ist
es nun erstmals gelungen, jedes einzelne
Atom auf seinem Gitterplatz abzubilden
und das Treiben der Teichen im künstlichen Kristall zu verfolgen.
Die Wissenschaftler um Kuhr haben
das Lichtgitter mit einem speziellen
Lichtmikroskop betrachtet, während sie
die Atome mit Laserlicht zum Leuchten
anregten. Die Mulden, in denen sich
Atome befanden, leuchteten auf, während die leeren Mulden dunkel blieben,
wie Stefan Kuhr und seine Kollegen in
der Online-Ausgabe der Zeitschrift "NaFrankfurter Allgemeine Zeitung,
25.08.2010, Natur und Wissenschaft, Seite N2
C Franl<:1'urter Allgemeine Zeitung GmbH 201 0
Alle Rechte yorbehalten. ;i'lIn,rIn;\ll.-iw_
ture" berichten. Das Verfahren halle einen Nebeneffekt. Die angeregten Atome gewannen so viel Energie, dass sie
paarweise aus dem Lichtgiller flogen.
Dasgingso lange, bis in den Mulden nur
jeweils ein leuchtendes Atom übrig
blieb, wenn sie zuvor eine ungerade
Zahl von Atomen enthalten halten. Ansonsten blieb der Gitterplatz leer zurück. Auf den Aufnahmen war deshalb
niemals mehr als ein Rubidiumatom pro
Mulde zu sehen.
Die verbliebenen Atome hatten nicht
genug Energie, die Barrieren zwischen
benachbarten Mulden zu überspringen.
Sie konnten die Potentialberge aber quantenmechanisch durchtunneln - vorausgesetzt, diese waren nicht zu hoch. So gelang es den ultrakalten Atomen auch im
Lichtginer, ihre Materiewellen miteinander abzustimmen und weiterhin ein
Experimenten - sichtbar machen konnten, gelang ihnen eine erstaunliche Entdeckung. Im Lichtgitter hatten sich konzentrische Ringe gebildet, in denen die
Mulden entweder ein, zwei oder mehr
Atome enthielten. Innerhalb einer solchen Schale war die Zahl der Atome in
den Mulden konstant. Es traten keine
Schwankungen mehr auf, wie es beim
Bose-Einstein-Kondensat noch der Fall
gewesen war. In der Schale im Zentrum
des Lichtgitters war die Zahl der Atome
pro Mulde am größten. Sie nahm nach
außen hin von Schale zu Schale jeweils
um ein Atom pro Mulde ab. Die Schalenstruktur, so erklären die Forscher, ergibt
sich dadurch, dass die extrem kalten Atome sich so auf die Mulden verteilen, dass
ihre Gesamtenergie möglichst gering ist.
Als die Forscher die Temperatur der
Atome behutsam erhöhten, konnten sie
Kolic AIOIIIC in eincm Lidugiller fils Supm/eiler (links) oder fils /s%lOr (rechts, mit
Sclw/enstmkfllr). Jeder helle Punkl emspriclll einem Teilchen.
FOIo MPI fOT üu,n'eooplik
Bose-Einstein-Kondensat zu bilden. Dabei bewegten sich die Atome reibungsfrei
durch das Gilter. Sie verhielten sich dabei
wie die Elektronen in einem Supraleiter,
die ohne Widerstand durch den Kristall
wandern. Die ungehinderte Bewegung
der Atome führte dazu, dass die Zahl der
Teilchen in den einzelnen Mulden stark
schwankte.
Die Forscher erhöhten dann die Intensität des Lichtgilters und vergrößerten dadurch die Höhe der Barrieren, so dass
den Atomen das Tunneln von einer Mulde zur nächsten immer schwerer fiel. Dabei machte sich die gegenseitige Abstoßung der Atome, die in derselben Mulde
saßen, zunehmend bemerkbar. Die Teilchen mieden einander und verteilten sich
nahezu gleichmäßig auf alle Mulden des
Gillers, so dass schließlich kein Austausch von Atomen zwischen benachbarten Mulden mehr stallfand. Jedes Teilchen war in .,seiner" Mulde gefangen und
konnte sich nicht mehr bewegen. Es war
ein sogenannter Mott-lsolator entstanden, wie ihn Forscher um Bloch schon im
Jahr 2002 erstmals beobachtet halten.
Da Kuhr und seine Kollegen jedes einzeine Atom- anders als bei den früheren
verfolgen, wie wieder Bewegung in die
Teilchen kam. Diese konnten die Barrieren zwischen den Mulden immer häufiger überspringen. Das führte dazu,
dass sich die starre Schalenstruktur des
MotHsolators auflöste. Die Ringe begannen jeweils von ihrem Rand her zu
"schmelzen". Dort schwankte die Zahl
der Atome in den Mulden besonders
stark. Schließlich verschwand die
Schalenstruktuf und mit ihr der MoltIsolator.
Das Experiment eröffnet viele interessante Möglichkeiten. So könnte man den
kollektiven Quantenzustand der Atome
im Lichtgitter an einer Stelle mit einem
L'Iserstrahl stören und anschließend verfolgen, wie sich die Störung ausbreitet.
Dadurch erhielte man Einblicke in die
Dynamik dieses isolierenden Quantenzustands. Andererseits ließen sich die Atome in einer Schale des Matt-Isolators als
quantenmechanischer Datenspeicher nutzen, vorausgesetzt, in jeder Mulde hält
sich nur ein Atom auf. Die voneinander
isolierten Teilchen könnten jeweils ein
Quantenbit aufnehmen und zuverlässig
speichern. Mit Laserlicht ließen sich diese Qubits manipulieren und schließlich
RAINER SCHARF
auslesen.
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