Theoretische Chemie: Quantenmechanische Berechnung des Iod

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TU Clausthal
Institut für Physikalische Chemie
Fortgeschrittenenpraktikum
Stand 04/05
8. Quantenmechanische Berechnung des Iod-Spektrums
Theoretische Chemie:
Quantenmechanische Berechnung des Iod-Spektrums
Versuchplatz:
PC
Software: FCF, Excel
1. Allgemeines zum Versuch
Das Bild der theoretischen Chemie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt.
Die treibende Kraft hinter diesen Veränderungen ist ganz ohne Zweifel der Computer. Wie
auch in vielen anderen Bereichen der Technik, kann der Computer diejenigen gedanklichen
Schritte, die festen Regeln folgen, eigenständig ausführen. Aber auch die „festen Regeln“
braucht der Anwender zum allergrößten Teil nicht mehr selbst mitteilen. Er kann auf Software zurückgreifen, die komplexe Aufgaben ausführt, ohne dass der Nutzer die einzelnen
Schritte erkennt.
Der Chemiker steht zunächst vor der Aufgabe, sich mit den wesentlichen Werkzeugen
vertraut zu machen. Die meisten von Ihnen kennen das Tabellenverarbeitungsprogramm
Excel. Wir ermutigen Sie, sich des Weiteren mit mathematischen Werkzeugkisten wie
Mathematica oder MatLab zu befassen. Um ein Integral zu lösen, braucht sich heute niemand
mehr den Kopf zu zerbrechen. Stark in die Entwicklung begriffen sind Softwarepakete aus
der theoretischen Chemie (wie z.B. Gaussian), mit deren Hilfe man Molekülstrukturen und
Energien berechnen kann. Die Methoden, die dabei zur Anwendung kommen, gehen über
den Rahmen dieses Praktikums weit hinaus. Ganz allgemein kann man sagen, dass man die
Funktionsweise dieser Programme nicht immer verstehen muss. Es ist jedoch wichtig, eine
Strategie zur Hand zu haben, mit der die Korrektheit der Software geprüft werden kann
(Konsistenz bei Berechnung auf verschiedenen Wegen, Übereinstimmung mit
experimentellen Werten, …).
Wir haben ein konkretes Problem der Spektroskopie, das Absorptionsspektrum des
Iod-Moleküls herausgegriffen, um einige Schritte des Rechenprozesses zu demonstrieren.
Dabei kommen auch wir um „schwarze Kisten“, deren Funktionsweise nicht völlig durchleuchtet werden kann, nicht ganz herum. Es ist uns jedoch wichtig, Sie nicht in erster Linie
zum Staunen zu bringen. Sie sollen in die Lage versetzt werden, die Ergebnisse der Software
zu hinterfragen.
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2. Berechnung von Linienstärken
Für zweiatomige Moleküle ist die Wellenfunktion ψ (re1 ,..., reN , r ) eine Funktion aller
Elektronenkoordinaten re1...reN und des Kernabstands r. Zu einer wesentlichen Vereinfachung
verhilft die Born-Oppenheimer Näherung. Diese besagt, dass die Bewegung der Elektronen
sehr viel schneller erfolgt als die Bewegung der Kerne, so dass man für einen bestimmten
Kernabstand den elektronischen Anteil der Wellenfunktion mit der zeitunabhängigen
Schrödinger-Gleichung Ĥ ψ = E ψ bei festem Kernabstand ausrechnen kann. Man bestimmt
für einen Satz von (z.B.) 100 Kernabständen die elektronische Energie E und betrachtet diese
als das effektive Potenzial, in dem die Kerne sich bewegen. Wir führen diese Rechnung hier
nicht durch, sondern benutzen als einfache Näherung das Morse-Potenzial. Die Wellenfunktion des Kerns berechnen wir als eine Ein-Teilchen-Wellenfunktion in diesem Potenzial.
Der Born-Oppenheimer Näherung verwandt ist das Franck-Condon Prinzip. Dies
besagt, dass elektronische Übergänge so schnell vor sich gehen, dass der Kernabstand sich
während des Übergangs nicht ändert. Elektronische Übergänge werden daher in Termschemata wie in Abb. 1 als vertikale Pfeile gezeichnet.
Im Zentrum des Versuchs steht das
Randwertproblem. Eine Wellenfunktion muss
nicht nur eine bestimmte Differentialgleichung
v1=3
hinaus muss die Wellenfunktion im
v1=4
v1=5
v1=2
v1=0
Energie
(die Schrödinger-Gleichung) erfüllen; darüber
v1=1
v0=6
v0=5
v0=4
v0=3
∆E el
v0=2
Unendlichen verschwinden. Das letztere ist nur
v0=1
v0=0
für bestimmte, diskrete Werte der Energie
r
erfüllt. Wenn man diese Energien gefunden hat,
ist man dem Ziel, das Absorptionsspektrum
vorherzusagen, näher gekommen. Jede spektro-
∆rg
r
Abb. 1: Die vibronischen Niveaus im
elektronischen Grundzustand und im elektronisch
angeregten Zustand des Iod-Moleküls
skopische Linie entspricht einer Energiedifferenz. Die Stärke der betreffenden Linie ist aber
nicht für alle Energiedifferenzen gleich groß. Wenn Auswahlregeln vorliegen, sind manche
Energiedifferenzen im Spektrum überhaupt nicht sichtbar. Die betreffende Linie ist dann
„verboten“. Die Stärke einer Linie enthält als wesentlichen Faktor das Betragsquadrat des
Matrix-Elements T fi = ∫ ψ*f µˆ ψ i d 3 x . Hierbei sind ψ i und ψ f die Wellenfunktionen des
Ausgangszustandes und des Endzustandes, und µ̂ ist der Übergangsoperator. Eine
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Konsequenz der Born-Oppenheimer Näherung und des Franck-Condon Prinzips ist, dass das
Matrix-Element in ein Produkt zerfällt, dessen einer Faktor nur den elektronischen Teil, und
dessen anderer Faktor nur die Kernwellenfunktion enthält. Der elektronische Faktor ist für
alle Schwingungszustände ähnlich. Er braucht daher bei der Berechnung der relativen
Linienstärken nicht berücksichtigt werden. Derjenige Faktor, der die Kernwellenfunktion
berücksichtigt, nennt sich Franck-Condon Integral und hat die Form
I FC = ∫ ψ*f ,n (r )ψ i , n (r )d 3 r
(1)
Hier bezeichnet der Index n (nuclear) die Kernwellenfunktion. Wir lassen ihn im Folgenden
der Einfachheit halber weg.
Wenn die beiden Wellenfunktionen überhaupt nicht überlappen, ist das Integral klein.
Im Grundzustand ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit beim Gleichgewichtsabstand am
Größten. Eine Anregung kann deshalb nur in solche vibronische Niveaus erfolgen, die auch
eine nennenswerte Aufenthaltswahrscheinlichkeit bei rg0 haben. Diese etwas allgemeine
Aussage wird durch den Begriff der Franck-Condon Integrale präzisiert: je höher der
Überlapp der beiden Wellenfunktionen, um so höher die Wahrscheinlichkeit des Übergangs.
Der Überlapp der Wellenfunktionen hängt nun stark von der Differenz der der Gleichgewichtsabstände, ∆rg, ab (s. Abb. 1). Wir können ∆rg bestimmen, indem wir die anhand der
Franck-Condon-Integrale vorhergesagten Linienstärken unter Variation des Parameters ∆rg an
die experimentellen Linienstärken anpassen.
3. Details zur Rechnung
Das Absorptionsspektrum des molekularen Iods ist Ihnen aus dem Versuch UV/VisSpektroskopie bekannt. Sie sind bei der Analyse des Spektrums davon ausgegangen, dass die
beiden Kerne sich in einem Morse-Potenzial der Form V(r) = De(1–exp(–k(r–rg)))2 bewegen.
Das Morse-Potenzial des elektronischen Grundzustands hat die drei Parameter De0, k0 und rg0;
das Potenzial des elektronisch angeregten Zustands hat einen zweiten Satz von Parametern
De1, k1 und rg1. Die Parameter De0, De1, k0 und k1 haben Sie im Versuch UV/Vis Spektroskopie bestimmt. Für den Parameter rg0, verwenden wir den Literaturwert (rg0= 266 pm).
Den Parameter rg1 haben Sie anhand der Linienstärken abgeschätzt. Diese Parameter nehmen
wir jetzt zur Grundlage, um das Spektrum des Iod-Moleküls zu berechnen. Dieses berechnete
Spektrum vergleichen wir mit dem experimentellen Spektrum. Beachten Sie: Auf diesem
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Wege prüfen wir im Grunde nur die Konsistenz des Verfahrens. Für eine echte quantenmechanisch abgeleitete Vorhersage des Spektrums müssten wir das Potenzial nicht aus
experimentellen Parametern ableiten, sondern ab-initio errechnen.
Genau wie bei der Wellenfunktion des Elektrons im Wasserstoff-Atom hat die Wellenfunktion, welche die Relativbewegung der beiden Atomkerne des Iods beschreibt, einen
Radialanteil und einen Winkelanteil. Der Winkelanteil ist durch die Kugelfunktionen
gegeben und daher hier nicht weiter interessant. Den Radialanteil berechnen wir im
Folgenden. Wir bezeichnen ihn als ψr(r). Zu lösen ist die radiale Schrödinger-Gleichung
(z.B. Wedler, 4. Auflage, Glg. 3.1-109):
1 ∂  2 ∂ψ r (r )   2m
l (l + 1) 
ψ r (r ) =
r
 +  2 (V (r ) − E ) +
2
r ∂r 
∂r   =
r 2 
d 2 ψ r ( r ) 2 d ψ r ( r )  2m
l (l + 1) 
ψ r (r ) = 0
−
−
+  2 (V (r ) − E ) +
2
dr
r dr
r 2 
=
−
(2)
m ist hier die reduzierte Masse, l ist die Drehimpuls-Quantenzahl. Wir greifen zu einem
kleinen Trick und definieren die Funktion φ = ψ ⋅ r. Dies führt zu der folgenden
Vereinfachung:
2 dφ
 φ  2 d φ d  1   1 d φ   2
=
 +
 − 2 φ + 
 − 3 φ + 2

r dr
 r  r dr r dr  r   r dr   r
2
1 d φ 1 d φ 1 d 2φ 2
2 dφ
= 3 φ− 2
− 2
+
− 3 φ+ 2
2
r
r dr r dr r dr
r
r dr
2
1d φ
=
r dr 2
d2
dr 2
(3)
Damit erhalten wir die etwas einfachere Diffentialgleichung
d 2φ(r )  2m
l (l + 1) 
φ(r ) = V (r ) ⋅ φ(r )
=  2 (V (r ) − E ) +
2
dr
r 2 
=
(4)
~
~
Wir haben hier ein neues effektives Potenzial V (r ) definiert. V (r ) entspricht dem Wert in
~
eckigen Klammern. V (r ) kann auch negative Werte annehmen. In diesen Bereichen sieht
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die Lösung wie ein Welle aus. Die Krümmung ist von φ(r) ist dem jeweiligen Wert von φ(r)
stets entgegengesetzt. Der lokale Wellenvektor ist proportional zu der Wurzel aus der
Differenz von E und V. Diese Situation kennen Sie aus der Beschreibung des Teilchens im
Kasten. Im Inneren das Kastens (wo E größer als V ist) ist die Ψ einen Welle. In denjenigen
Bereichen, in denen umgekehrt gilt V > E (und vereinfachend l = 0) hat φ(r) eher die Gestalt
einer Exponentialfunktion (Krümmung hat das gleiche Vorzeichen wie der Wert der
Funktion). Auch diese Situation kennen Sie vom Kastenpotential. Falls die Höhe der Wand
nicht unendlich ist, dringt die Welle etwas in die Wand ein. Dies führt für endliche
Wandstärken zum Tunneleffekt. Das Potential, welches beim Iod-Molekül vorliegt, ist –
genau wie das Kastenpotential – am Rand hoch (V > E, φ sieht aus wie eine
Exponentialfunktion) und in der Mitte tief (V < E, φ sieht aus wie eine Welle). Nur ist der
Übergang zwischen “Rand” und “Mitte” nicht scharf. Wie beim Kastenpotential müssen wir
nun diejenigen Werte von E finden, die dazu führen, dass φ(r) bei ganz großen und ganz
kleine Werte für r zu null wird.
Diese Gleichung 4 lösen wir numerisch, indem wir von Differenzialquotienten zu
Differenzenquotienten übergehen. Wir legen auf den Raum ein Gitter mit diskreten Punkten
{ri , φi , V~i (die Schrittweite heiße ∆r) und schreiben
}
∆ ( ∆φ )
( ∆r )
2
=
( φi +1 − φi ) − ( φi − φi −1 ) = Vi ⋅ φi
2
( ∆r )
(5)
Daraus erhalten wir die Rekursionsformel
~
φ i +1= φi + (φi − φi−1 ) + Viφi ⋅ ∆r 2
(6)
Das Programm FCF führt diese Rekursion im Modul „Find Levels“ aus. Nachdem dieser
Schritt so wichtig ist, bitten wir Sie weiterhin, die Formel (6) in Excel zu programmieren.
Details finden Sie im Aufgabenteil.
Bisher haben wir beliebige Energien zugelassen. Das konnten wir, weil wir das
Anfangswertproblem, nicht aber das Randwertproblem gelöst haben. Wir haben die Werte am
linken Rand vorgegeben und uns nicht für den rechten Rand interessiert. Konkret mussten
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wir sogar den Bereich der zugelassenen Werte für r auf der rechten Seite begrenzen, da sonst
die Funktion ψ bei hohen r gegen Unendlich strebt und einen numerischen Überlauf erzeugt
(s. Aufgabenteil). Die Energie-Eigenwerte sind diejenigen Werte der Energie, bei denen die
Wellenfunktion für r → ∞ gegen Null strebt. Diese Werte kann man z.B. „von Hand“ in dem
Model „Find Levels“ des Programms FCF suchen. Man kann eine solche Suche aber auch
mit dem Excel-Solver durchführen (s. Aufgabenteil).
Für die folgende Bestimmung der Linienpositionen und Linienstärken brauchen wir
die ersten 60 Energie-Eigenwerte. Nachdem der Lerneffekt beim Suchen von Hand nach den
ersten drei Energie-Eigenwerten erfüllt ist, bitten wir Sie, die restlichen Eigenwerte
automatisiert im Hauptfenster des Programms FCF zu bestimmen.
Wenn nur der Grundzustand von Interesse ist, gibt es ein weiteres wichtiges Verfahren
zur Berechnung. Man kann beweisen (s. Anhang), dass der Grundzustand diejenige Wellenfunktion ist, die von allen denkbaren Wellenfunktionen (einschließlich derer, die nicht
Lösungen der Schrödinger-Gleichung sind), den niedrigsten Erwartungswert der Energie hat.
Verwechseln Sie nicht den Energie-Eigenwert mit dem Energie-Erwartungswert. Der
Energie-Eigenwert existiert nur für Eigenfunktionen zum Hamilton-Operator. Der EnergieErwartungswert ist für jede beliebige Funktion ψr definiert als:
E =
∫ψ
*
r
(r ) Hˆ ψ r (r )dr
(7)
Wie würde man unter einer unendlichen Anzahl von denkbaren Wellenfunktionen, diejenige
mit dem geringsten Energie-Erwartungswert aussuchen? Offensichtlich muss man die Suche
auf vernünftige Funktionen begrenzen. Die Wahl eines geeigneten Systems von BasisFunktionen kann die Suche erheblich beschleunigen. Zunächst erinnern wir an den Begriff
des „vollständigen“ Funktionensystems.
Ein Satz von unendlich vielen Funktionen fi (x) ist vollständig, wenn man zu jeder
Funktion f(x) einen Satz von Entwicklungs-Koeffizienten ci finden kann, so dass die Reihe
∑
N
c f ( x) für alle x im Grenzfall N → ∞ gegen die Funktion f (x) konvergiert. In der
i =0 i i
Praxis wird man dann die Entwicklung irgendwo (z.B. bei i = N) abbrechen und damit eine
Approximation für die Funktion f (x) gefunden haben. Diese Approximation ist durch die N
Entwicklungskoeffizienten ci beschrieben. Vollständige Funktionensysteme sind z.B. die
ebenen Wellen, die Polynome, oder die Legendre-Polynome. Für den Fall der ebenen Wellen
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heißen die Entwicklungskoeffizienten auch Fourier-Koeffizienten. Für die Polynome sind die
Entwicklungskoeffizienten die Koeffizienten der Taylor-Entwicklung.
Wir wählen hier als Funktionensystem die ebenen Wellen. Wir können die Effizienz
des Algorithmus steigern, wenn wir „Symmetrie-angepasste“ Funktionen benutzen. Wir
erwarten, dass die Lösung eine symmetrische Funktion in r – rg,0 ist. Deshalb können wir ein
Funktionensystem wählen, das ebenfalls nur symmetrische Funktionen enthält. Die
symmetrischen ebenen Wellen sind die Cosinus-Funktionen
 π ( r − rg ,0 ) 

ψ i = cos 


L


(8)
Wir können also Entwicklungskoeffizienten zu Funktionen der Form sin(π(r–rg0)/L) von
vornherein zu Null setzen.
Führen Sie eine solche Minimierung in dem Modul „Minimize“ des Programms FCF
aus. Sie können die Breite des Intervalls L und die Anzahl der Funktionen im Basis-Satz
wählen. Die kommerziellen Programme benutzen in der Regel mehrere Tausend Basisfunktionen. Mit der Anzahl der Basis-Funktionen steigt aber auch der Aufwand für die Suche
nach dem Minimum der Energie. Das Programm FCF benutzt zur Minimierung den SimplexAlgorithmus (http://en.wikipedia.org/wiki/Simplex_algorithm). Wie Sie sehen werden, ist
dieser einfache Algorithmus nicht sehr effizient. Schon bei einem Satz von 10 BasisFunktionen endet die Suche oft in einer Sackgasse.
Die bisherige Analyse macht Vorhersagen über die Positionen der Linien, nicht jedoch
über die Linienstärken. Die Stärke einer Linie ist grundsätzlich durch die Formel
1 dI ( N 2 − N1 ) b1,e =ω
=
C
I dx
N
c ∆ω
(9)
gegeben (Referenz 1). Hierbei sind I die Intensität, x der Lichtweg, N1 und N2 die Anzahl der
Moleküle im Grundzustand und im angeregten Zustand, N die Anzahl der Atome, b1,e der
Einstein-Koeffizient, c die Lichtgeschwindigkeit, ћω die Energie des Grundzustandes, ∆ω die
Frequenz des Übergangs und C die Konzentration. Der Einstein-Koeffizient enthält das
Franck-Condon Integral. Für die Details verweisen wir auf Referenz 1. Beachten Sie, dass
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die Linienstärke negativ werden kann, wenn der angeregte Zustand eine höhere Besetzungszahl hat, als der Grundzustand. Dann wird aufgrund der induzierten Emission das Licht nicht
absorbiert, sondern im Gegenteil verstärkt. Dies macht man sich bei der Konstruktion des
Lasers zunutze.
Für die gegebene Situation vereinfacht sich Gleichung 9 insofern, als der angeregte
Zustand praktisch unbesetzt ist ( N 2 ≈ 0). = , ω, ∆ω, c, N, und C sind konstante Vorfaktoren.
In den Parameter N1 (Besetzung der Niveaus zu v0 = 0, v0 = 1 und v0 = 2) geht die
Boltzmann-Verteilung und damit die Temperatur ein. b1,e enthält neben dem Quadrat des
Franck-Condon-Integrals noch andere Faktoren, die wir ebenfalls als konstant betrachten.
Um zu einem simulierten Spektrum zu gelangen, muss nun noch eine endliche Linienbreite eingeführt werden. Der größte Beitrag zur Linienbreite ist die (spektral nicht
aufgelöste) Aufspaltung in die verschiedenen Rotationsniveaus. Details finden Sie in Ref. 1
unter dem Stichwort „Fortrat-Diagramme“. Weitere Quellen der Linienbreite sind die
Stoßverbreiterung und die Dopplerverbreiterung. Zum Zweck der Simulation approximieren
wir die Liniengestalt durch die Funktion
1
f (ω − ω0 ) = −  − sign(( ω − ω0 ) + 1 ( ω − ω0 ) exp  − ( ω − ω0 ) / σ 
2
(10)
Diese Funktion heißt im Programm FCS „point spread function“. Sie ist oben rechts im
Modul Simulate Spectrum dargestellt. Die Breite der Funktion ist durch den Parameter σ
gegeben. Das Absorptionsspektrum kann nun gemäß der folgenden Formel simuliert werden.
A(ω) =
3
60
2
1 dI (ω)
= B ∑ ∑ I FC ,i , j ⋅ f ω − ( ωi − ω j )
i =1 j =1
I d ( x)
(
)
(11)
wobei die Konstante B alle konstanten Vorfaktoren beinhaltet. Der Parameter führt in FCF
den Namen „scale“. Die Indices i und j zählen die vibronischen Niveaus des elektronischen
Grundzustands und des elektronisch angeregten Zustands ab. ωi und ωj sind die Energien der
jeweiligen Niveaus geteilt durch = . Dieses simulierte Spektrum wird ihnen im Modul
Simulate Spectrum ausgegeben.
8
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4. Aufgaben
Vorbemerkung zu den Einheitensystemen: Wir verwenden zwei verschiedene Einheiten–
systeme. Zum Vergleich mit dem Experiment geben wir die Länge in Pikometern und die
Energie in Wellenzahlen (Termen) an. Für die Rechnung verwenden wir jedoch „atomare
Einheiten“. In atomaren Einheiten gelten die Konventionen = = 1 (atomare Einheitsenergie ×
Sekunden), me = 1 (atomare Einheitsmasse), 4πε0 = 1 ((atomare Einheitsladung)2 / (atomare
Einheitsenergie × atomare Einheitslänge), e = 1 (atomare Einheitsladung). Der Bohr-Radius
wird damit zur Einheitslänge. Die Rydberg-Konstante entspricht der halben Einheitsenergie,
wobei die letztere auch den Namen „Hartree“ führt. Die Einheitsmasse ist die Elektronenmasse.1 Es gilt also
219 474 E [cm-1]
=
1 E [Hartree]
52.9 r [pm]
=
1 r [atomaren Einheitslängen]
1/1822 m [a.m.u.]
=
1 m [atomaren Einheitsmassen]
= 27.2 E [eV]
1. Erzeugen Sie zunächst mit dem Modul „Generate Parameters“ Werte für rmin und rmax, die
Sie bitte im Folgenden verwenden. Für die Parameter De0, k0, De1, k1, rg1 und Ee
verwenden Sie bitte die experimentellen Werte aus dem Versuch UV/Vis-Spektroskopie.
Der Einfachheit halber verwenden Sie für die Drehimpuls-Quantenzahl stets den Wert
l = 0. Ee ist elektronische Anregungsenergie. Für die Masse verwenden Sie m = 63.45
a.m.u. Für rg0 verwenden Sie den Wert 266.6 pm. Rechnen Sie diese Werte in atomare
Einheiten um.
2. Lösen Sie die Schrödinger-Gleichung in Excel. Gehen Sie dabei in den folgenden
Schritten vor:
a) Legen Sie zunächst eine Spalte mit den diskreten Werten ri an. Wählen Sie 1000
Werte zwischen rmin und rmax.
~ ~
b) Legen Sie eine zweite Spalte mit den Werten für Vi = V (ri ) an. Benutzen Sie dabei
E = 100 cm-1.
c) Legen Sie eine dritte Spalte für die Funktion φ an. Setzen Sie φ1 = 0.99 10-10 und
φ2 = 10-10. Programmieren Sie Gleichung (6) für den Wert φ3. Kopieren Sie die
Zelle von φ3 auf alle Zellen von φ4 bis φ1000.
1
Verwechseln sie nicht die atomare Masseneinheit (a.m.u., 1/12 der Masse von C12) mit der atomaren
Einheitsmasse. Die atomare Einheitsmasse ist die Masse des Elektrons, nicht die a.m.u..
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d) Legen Sie eine 4. Spalte für die Wellenfunktion ψ = φ/r an.
e) Stellen Sie die Wellenfunktion graphisch dar. Es stellt sich das Problem der
Skalierung. Bei großen Werten von r schießt ψ nach +∞ oder –∞, falls die richtige
Energie nicht extrem genau getroffen ist. Lassen Sie sich an dieser Stelle vom
Praktikumsassisten helfen.
3. Suchen Sie die ersten drei Energieeigenwerte des elektronischen Grundzustandes mit dem
Excel Solver. Bilden Sie hierzu die Summe von |Ψ|2 über den gesamten r-Bereich und
minimieren Sie diese durch Variation es Energie-Eigenwertes.
4. Suchen Sie die Wellenfunktion des vibronischen Grundzustands mit dem Modul
Minimize des Programms FCF. Kopieren Sie die erreichte Funktion und die graphische
Darstellung der Koeffizienten in das Protokoll. (Dazu rechter Maus-Klick auf die
Graphen, → Export). Welche Anzahl von Basis-Funktionen ist Ihrer Ansicht nach
optimal? Lassen sie die Rechengeschwindigkeit und die Güte des errechneten
Grundzustandes in ihre Überlegungen einfließen.
Hinweis: Sie können einzelne Koeffizienten von Hand ändern, indem Sie einen rechten
Maus-Klick auf dem betreffenden Wert ausführen. So können sie den SimplexAlgorithmus aus einem metastabilen Minimum befreien.
5. Bestimmen Sie im Hauptfenster die ersten drei vibronischen Niveaus des elektronischen
Grundzustandes und die ersten 60 Niveaus des elektronisch angeregten Zustandes.
Exportieren sie die Tabelle mit dem Button „Export Table“ in ein File und importieren Sie
dieses File dann nach Excel. Bestimmen Sie durch Differenzbildung die Wellenzahlen
der Linien. (Vergessen Sie nicht die elektronische Anregungsenergie von EE). Sie
erhalten drei Zweige entsprechend den drei Vibrationsniveaus des Grundzustandes,
welche auch im Experiment sichtbar waren. Tragen Sie die experimentellen und
theoretischen Wellenzahlen der Linien in einem gemeinsamen Diagramm gegen die
Schwingungsquantenzahl des elektronisch angeregten Zustands v1 auf und vergleichen
Sie.
6. Übertragen Sie die Wellenfunktion des elektronischen Grundzustandes zu v0 = 0, sowie
die Wellenfunktionen des angeregten Zustandes zu v1 = 25, v1 = 30, v1 = 35, und v1 = 40
nach Excel. Berechnen Sie die Franck-Condon-Integrale dieser vier Übergänge, indem
Sie zunächst die Produkte bilden, über alle Werte der betreffenden Spalten summieren,
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und dann mit ∆r multiplizieren. (∆r ist der Abstand zwischen zwei benachbarten
Stützstellen entlang der r-Achse). Diese Summe approximiert das Integral aus Glg. 1.
7. Vergleichen Sie abschließend ein theoretisch errechnete Spektrum mit ihrem gemessen
Spektrum. Öffnen Sie hierzu das Modul „Simulate Spectrum“. Laden Sie zunächst mit
dem Button „Import Spektrum“ einen experimentellen Datensatz. Verschieben Sie mit
dem Eintrag („Offset“) das experimentelle Spektrum vertikal, so dass es unten mit der
Null-Linie abschließt. Die beiden vertikalen Linien zeigen ihnen die Wellenzahlen zu
dem Übergang v0 = 0 → v1 = 14 an. Diese Linien helfen Ihnen bei der Zuordnung der
peaks zueinander. Wichtig: bevor Sie den Fit starten, muss die Übereinstimmung
zwischen beiden Kurven schon so gut wie möglich sein. Andernfalls läuft der Fit in die
Irre. Beachten Sie außerdem, dass ein χ2-Fit niemals „qualitative Übereinstimmung“
erkennt. Im wissenschaftlichen Alltag ist bisweilen eine Anpassung des Modells an die
Daten „von Hand“ einem χ2-Fit vorzuziehen. Das Ergebnis des χ2-Fits wird immer zu
einer geringeren Summe der Abweichungsquadrate führen. Unter Umständen werden
aber bestimmte charakteristische Eigenschaften des Spektrums (wie z.B. Linienpositionen) vom Experimentator effizienter reproduziert. Solchen Charakteristika sollte
man eine größere Bedeutung beimessen als dem Parameter χ2.
Lassen Sie sich bezüglich der Details der Fit-Prozedur vom Praktikumsassistenten helfen.
Literatur
[1] Haken/Wolf: "Molekülphysik und Quantenchemie", Springer Verlag 2003, Kapitel 16.
Anhang: Minimale Erwartungswerte und der Energie-Grundzustand
Bei der Suche nach dem Grundzustand nutzt man aus, dass eine beliebige Wellenfunktion stets einen Energie-Erwartungswert hat, der größer oder mindestens gleich der
Energie des Grundzustandes ist.2 Man kann also den Grundzustand suchen, indem man die
Form der Funktion solange variiert, bis der Erwartungswert ein Minimum erreicht hat. Wir
skizzieren hier kurz die Begründung:
Die Eigenfunktionen zum Hamilton-Operator bilden ein „vollständiges Orthonormalsystem“. Für die Funktionen eines Orthonormalsystems gilt ∫ ψ*i ψ j dr = δij mit δij=1 für i=j
und δij=0 sonst. Jede Funktion kann nach Energie-Eigenfunktionen entwickelt werden:
2
Beachten Sie den Unterschied zwischen Energie-Eigenwerten und Energie-Erwartungswerten. Nur
Eigenfunktionen haben einen Eigenwert. Alle Wellenfunktionen haben einen Erwartungswert.
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ψ = ∑ i =0 ci ψ i mit Entwicklungs-Koeffizienten ci = ∫ ψ*ψ i dr . Jede Eigenfunktion ψi habe
∞
den Energie-Eigenwert εi. Für den Energie-Erwartungswert gilt dann
E = ∫ ψ* Hˆ ψdr
∞
∞
ˆ
= ∫ ∑ c*j ψ*j Hˆ ∑ ci ψ i Hdr
j =0
∞
i =0
∞
= ∑∑ c*j ci εi ∫ ψ*j ψ i dr
j =0 i = 0
∞
∞
= ∑∑ c*j ci εi δij
j =0 i =0
∞
= ∑ ci εi
2
i =0
Der Energie-Erwartungswert ist also ein gewichteter Mittelwert über alle möglichen EnergieEigenwerte. Dieser Mittelwert kann nicht kleiner werden als der kleinste Energie-Eigenwert
ε0. Dieser minimale Erwartungswert tritt ein, wenn das statistische Gewicht des Grundzu-
standes |c0|2 zu Eins wird und alle anderen Gewichte |ci|2 zu Null werden. In diesem Fall ist
die Funktion ψ gleich dem Grundzustand ψ0. Achtung: die „Basis-Funktionen“, die in dem
Modul Minimize verwendet werden, sind nicht Energie-Eigenfunktionen. Der Grundzustand
ist deshalb eine Linearkombination verschiedener Mitglieder dieses Satzes von BasisFunktionen.
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