1 - Bloß nicht zu viel um sich selbst kreisen Eine

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Anlage 3
Bloß nicht zu viel um sich selbst kreisen
Eine Psychotherapie kann auch Nebenwirkungen haben,
z. B. Abhängigkeiten und Problemfixierung
Strudel aus Minderwertigkeitsgefühlen und
tatsächlichem Versagen geriet.
Von Barbara Dribbusch
Die nervöse Rothaarige tauchte eines Tages
in einer Selbsthilfegruppe in BerlinSchöneberg auf. Sie sei gut aus ihren akuten
Angstzuständen vor zwei Jahren herausgekommen, erzählte die Frau. Sie habe einen
ganz tollen Therapeuten. „Supertyp, keiner
versteht mich so wie er.“ Ihr einziges Problem liege darin, dass die von der Kasse bezahlte Behandlung demnächst zu Ende sei:
„Ich kriege die nackte Panik, wenn ich daran
denke.“
Auch das Konzept der „Deutung“, typisch für
analytische Verfahren, kann mitunter heikel
sein. Schmoll schilderte den Fall einer 40jährigen Frau, die sich einer mehrjährigen
Behandlung bei einem renommierten Analytiker unterzog. Als die Kapazität die Aussagen seiner Patientin auf der Couch so deutete,
dass sich die Dame wohl eine sexuelle Beziehung mit ihm wünsche, erzeugte dies bei ihr
große Ängste und ein Gefühl von Ausgeliefertsein. Die Interpretation weckte Erinnerungen an ein früheres Erlebnis, wo sie einen sexuellen Übergriff erlebt hatte. Eine Psychotherapie sei eine „hoch asymmetrische Beziehung“, warnte Linden. Dabei kann das Reden
über Probleme, ohne Lösungswege zu suchen,
mitunter dazu führen, dass sich Patienten hinterher schlechter fühlen und Ängste weiter
geschürt werden, statt abzuklingen.
Abhängigkeit vom Therapeuten gehört zu den
bisher wenig thematisierten Nebenwirkungen
mancher Behandlung. „Die Erfassung von
Nebenwirkungen hat in der Psychotherapie
vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden“, sagt der Berliner Psychiater Michael
Linden, Mitherausgeber des demnächst erscheinenden Buches „Risiken und Nebenwirkungen von Psychotherapie“. Auf einem
Symposium der Schlosspark-Klinik in Berlin
diskutierten Linden und andere Expertinnen
unlängst das Problem.
Deutlich sichtbar werden Nebenwirkungen in
der Verhaltenstherapie, die Alltagsbewältigung vor Ursachenfindung stellt, wenn „Expositionen“ schlecht vorbereitet sind und Patienten in deren Rahmen Angst machenden
Situationen zu unvermittelt ausgesetzt werden. Solche Expositionen könnten eine ReTraumatisierung zur Folge haben, erläuterte
die Marburger Psychologin Yvonne Nestoriuc. Nestoriuc beschrieb überdies einen möglichen Effekt manchen Verhaltenstrainings: So
könne etwa das „Übertrainieren“ sozialer
Kompetenzen wie die persönliche Abgrenzung gegenüber Forderungen der Umwelt dazu führen, dass die Klienten einen „sozialen
Egozentrismus“ entwickelten. Kontraindiziert
bei sozialen Ängsten seien unter Umständen
Entspannungsverfahren, meinte Nestoriuc. Es
bringt beispielsweise nichts, vor einer Angst
machenden Präsentation im Job möglichst tief
zu entspannen. Die Aufregung, das Lampenfieber zu durchleben, dann zu merken, dass
die Situation nicht gefährlich ist und sich
dann entspannen zu können, ist der bessere
Weg.
…. Nebenwirkungen können… ansonsten
eintreten als Folge bestimmter Vorannahmen
und Strategien und im Kontext der therapeutischen Beziehung, etwa wenn der Behandler
den Patienten zu etwas drängt, das dieser
nicht will. Nebenwirkungen könnten sich aus
einer „Problemfixierung“ in der Therapie ergeben, berichtete Dirk Schmoll, leitender
Oberarzt für Psychiatrie an der SchlossparkKlinik. Eine solche Fixierung in den analytischen Verfahren kann dazu führen, dass Patienten mit dem Therapeuten jahrelang um ihre
Vergangenheit und das schwierige Verhältnis
zu den Eltern kreisen und sich damit der Auseinandersetzung mit ihrem sozialen Umfeld
und lebenspraktischen Fragen entziehen.
Schmoll berichtete von einem Langzeitstudenten, der in jahrelanger Psychoanalyse seine ambivalente Vaterbeziehung bearbeitete,
dabei erforderliche Hausarbeiten und Prüfungen immer wieder aufschob und so in einen
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Anlage 3
Die rothaarige Angstpatientin bekam von der
Selbsthilfegruppe zu hören, dass auch andere
Mitglieder wissen, wie schmerzhaft es sein
kann, sich aus der Abhängigkeit von einem
Therapeuten zu lösen. Mehr konnte die Gruppe nicht tun. „Diese Aufklärung müssten eigentlich die Therapeuten selbst leisten“, sagt
Silke M., „und zwar rechtzeitig.“
Eine Erhebung via Fragebögen von Nestoriuc
unter Klienten der Psychotherapieambulanz
in Marburg ergab, dass 81 Prozent über keinerlei negative Effekte der verhaltenstherapeutischen Behandlung berichteten. Im Rahmen einer Onlinebefragung von ehemaligen
Psychotherapiepatienten – bei der erfahrungsgemäß eher kritische Stimmen eine
Rückmeldung schicken – berichteten jedoch
lediglich 5 Prozent von keinen negativen
Wirkungen.
Therapieformen: Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten für folgende drei Verfahren: In der „analytischen
Psychotherapie“ behandelt der Therapeut die
konflikthafte unbewusste Verarbeitung von
Lebenserfahrungen, die Ursache einer psychischen Erkrankung sind. In der „tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie“ suchen
die Behandelnden nach schädlichen Erfahrungen in der Lebensgeschichte der Patienten
und nach Möglichkeiten, Konflikte künftig
besser zu lösen. Beide Methoden gelten als
„psychodynamische Verfahren“. In der „Verhaltenstherapie“ liegt der Schwerpunkt dagegen im aktuellen Üben von Verhaltensweisen, mit denen etwa schädliche Denkmuster
verändert oder Ängste bewältigt werden können.
Linden unterscheidet Nebenwirkungen von
„unerwünschten Ereignissen“ während der
Psychotherapie. So sind Trennungen von Lebenspartnern ein häufiges „Ereignis“ während
einer Psychotherapie. Oft sei es dabei schwierig, zu entscheiden, „ob beispielsweise eine
Scheidung im Kontext einer Psychotherapie
als positive oder negative Behandlungsfolge
einzuschätzen ist“, meint der Psychiater. Therapeuten raten mitunter davon ab, während
einer Behandlung irreversible Lebensentscheidungen zu treffen. Ist der Partner erst
mal weg, der Job mit dem stressigen Chef geschmissen, die Mutter verteufelt, sind alle
Kontakte zur Herkunftsfamilie abgebrochen,
muss es einem hinterher nicht unbedingt besser gehen.
Die Therapien: Laut Bundespsychotherapeutenkammer behandeln 22.800 niedergelassene
ärztliche und psychologische Psychotherapeuten etwa eine Million Patientinnen in
Deutschland im Jahr. Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen Psychotherapien von 25
Stunden, oft wird auf 50 Stunden verlängert.
Lange Psychoanalysen mit einer Dauer von
160 Stunden werden heute dagegen seltener
bewilligt.
Einige der Psychiater kamen auf dem Symposium zu dem Schluss, Patienten vor und während der Behandlung über mögliche Nebenwirkungen und Risiken aufzuklären. Psychotherapeuten sollten ihre eigenen fachlichen
Grenzen erkennen, forderte Linden. Ein
Wechsel des Therapieverfahrens und des Behandlers oder der Behandlerin ist für den Patienten auch nach vielen Stunden immer noch
möglich, muss dann aber vor der Krankenkasse ausführlich begründet werden.
Aus: TAZ vom 19.05.2012 (gekürzt)
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