Kommunale Abwasserbehandlung Sich ändernde Planungsgrundlagen für Wasserinfrastruktursysteme Teil 2: Technologischer Fortschritt und sonstige Veränderungen 1) Thomas Hillenbrand und Harald Hiessl (Karlsruhe) Zusammenfassung 1 Komponenten der konventionellen Wasserinfrastruktursysteme haben sehr lange Nutzungsdauern von teilweise über 50 Jahren. Unter welchen Randbedingungen werden diese Systeme in den kommenden Jahrzehnten betrieben? Einschneidende Veränderungen sind bereits zu erkennen: der Klimawandel bringt Veränderungen bei den Niederschlagsmengen und bei der Niederschlagsverteilung mit sich, der demographische Wandel wird zu deutlichen Veränderungen bei den Nutzerzahlen der Systeme führen, und neue ökologische Anforderungen beispielsweise hinsichtlich der Regenwasserbewirtschaftung oder auch der Elimination zusätzlicher Schadstoffe sind absehbar. Wichtige technologische Entwicklungen sind sowohl im Bereich der Wasserversorgung, der Wassernutzung, der Abwasserentsorgung als auch in Technikbereichen mit Querbezügen zur Wasserinfrastruktur wie z. B. der Informations- und Kommunikationstechnologien (Fernüberwachungssysteme), der Sensorik oder auch der Feuerlöschtechnik zu berücksichtigen. Im Bereich der Wasserversorgung können durch die inzwischen zur Verfügung stehenden robusten und betriebssicheren Anlagen zur Regen-, Grau- oder Brauchwasseraufbereitung an den Bedarf angepasste Wasserqualitäten sowohl bei gewerblichen Nutzern als auch in Haushalten zur Verfügung gestellt werden. Die Untersuchung der Patentaktivitäten2) in relevanten Gebieten zeigt, dass im Bereich der Wasser- und Abwasserbehandlung insgesamt (Abbildung 1a), bei den auf den Abwasserbereich bezogenen Membrantrennverfahren (Abbildung 1b: Osmose, Ultrafiltration, Mikrofiltration) als auch bei den Wassernutzungstechnologien (Abbildung 1c) die Zahl der Patente deutlich ansteigt und damit auch in Zukunft mit weiteren Technologie-Entwicklungen zu rechnen ist. Überraschend ist dabei vor allem der deutliche Anstieg der Patentzahlen in den letzten Jahren in dem hier exemplarisch ausgewählten Gebiet „wassersparendes Waschen und Spülen von Textilartikeln“, der insbesondere durch den Anstieg der in Deutschland angemeldeten Patente bewirkt wurde. Schlagwörter: Abwasserreinigung, kommunal, Infrastruktur, Änderung, Grundlagen, Planung, Klimaänderung, Bevölkerung, Ökologie, Niederschlag, Schadstoff, Nährstoff, Recht Abstract Changing Planning Basis for Water Infrastructure Projects Part 2: Technological Progress and other Changes Components of conventional water infrastructure systems have very long useful lives, in some cases more than 50 years. Under which framework conditions will these systems be operated in the next decades? Drastic changes can already be perceived: climate change leads to changes in quantities of precipitation and in rainfall distribution, demo-graphic change will lead to clear changes in the number of users of such systems, and new ecological requirements, e.g. in terms of rainwater management or removal of additional pollutants will be introduced sooner or later. Key words: wastewater treatment, municipal, infrastructure, change, basis, planning, climate change, population, ecology, precipitation, pollutant, nutrient, law 1) Teil 1 des Beitrags befasste sich mit den Aspekten Klimawandel, demographischer Wandel und neue ökologische Anforderungen und ist erschienen in KA 12/2006, Seite 1265. 2) Die Zahl der Patente wird in der Innovationsforschung als wesentlicher Frühindikator für die Entwicklungen in einem Technikgebiet verwendet. Sie zeigen, an welchen Orten und in welchem Umfang neues, potenziell kommerziell verwertbares Wissen entstanden ist [1]. Für die Recherchen wurde die Patentdatenbank EPAPAT genutzt. KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1 Technologischer Fortschritt Der Wasserverbrauch in den Haushalten verringerte sich in den letzten 15 bis 20 Jahren in Deutschland deutlich. Die Nutzung wassereffizienter Geräte und Sanitärmöbel führte zu einem Rückgang des spezifischen Wasserverbrauchs von fast 150 l pro Einwohner und Tag auf 127 l im Jahr 2001. Die in Abbildung 2 dargestellten spezifischen Verbrauchswerte zeigen sowohl den Verlauf des Durchschnittswerts in Deutschland als auch die jeweiligen Minimum- und Maximumwerte aller Bundesländer. Bereits die Unterschiede zwischen den Durchschnittswerten der Bundesländer sind erheblich: bei der jüngsten Erhebung zwischen 90 und 150 l pro Kopf und Tag (dies entspricht einem Faktor von 1,7); bezogen auf die Verbrauchswerte in einzelnen Versorgungsgebieten ist mit noch deutlicheren Unterschieden zu rechnen. Die Minimumwerte von unter 90 l/E ⫻ d machen deutlich, dass Spielräume für einen weiteren Rückgang des Wasserverbrauchs bestehen, auch wenn dieser Rückgang für die Betreiber der Wasserinfrastrukturen betriebliche Probleme mit sich bringen kann. In den letzten Jahren stagnierte der spezifische Wasserverbrauch. Die Patentaktivitäten im Bereich 47 Kommunale Abwasserbehandlung wassersparender Geräte weisen darauf hin, dass weiterhin erhebliche Forschungsanstrengungen laufen und in der Zukunft mit noch effizienteren Techniken zu rechnen ist. Da für die Haushalte mit dem Verbrauch von Wasser grundsätzlich immer Kosten verbunden sind (nicht nur für die eigentliche Wassermenge, sondern auch für den damit verbundenen Energie- und Waschmittelverbrauch), besteht auch weiterhin eine Motivation zur Reduzierung des Wasserverbrauchs. Dem stehen andere Einflussfaktoren wie die Zunahme von Single-Haushalten, die einen erhöhten Wasserverbrauch aufweisen, oder der mit zunehmendem Wohlstand steigende Wasserverbrauch gegenüber. Zukünftig könnten hier jedoch noch andere Faktoren wie z. B. eingeschränkte Wasserverfügbarkeiten aufgrund des klimatischen Wandels eine wichtige Rolle spielen. Wahrscheinlich ist ein weiteres Auseinanderdriften der spezifischen Verbrauchswerte in Abhängigkeit von den Randbedingungen in den einzelnen Regionen in Deutschland. Ein gezieltes Beeinflussen der weiteren Entwicklung durch die Betreiber der Was600 500 Gesamt DE US JP GB FR Gesamtzahl der Patente EU-15 400 300 200 100 0 1985 a) 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Jahr 60 Osmose, Ultrafiltration, Mikrofiltration Dialyse, Pervaporation, Membrandestillation, FlüssigPermeation 50 Geräte, Zubehör, Verfahren für Trennprozesse Semipermeable Membranen (Material/Form/Struktur) Zahl der Patente 40 30 20 10 0 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 b) 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Jahr 60 50 DE US JP GB FR EU Waschmasch Zahl der Patente 40 30 20 10 0 1985 c) 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 Jahr Abb. 1: Patentaktivitäten in verschiedenen relevanten Technikbereichen (Quelle: Fraunhofer ISI) – a) Wasser- und Abwasserbehandlung insgesamt, b) semipermeable Membranen im Bereich Abwasser, c) im Bereich Wassernutzung, hier: wassersparendes Waschen und Spülen von Textilartikeln 48 serinfrastruktur könnte dabei verschiedene Vorteile wie z. B. eine Erhöhung der Planungssicherheit mit sich bringen [2]. Bezüglich des Wasserbedarfs und der Auslegung von Wasserversorgungsnetzen spielen auch die Löschwasserversorgung und die hier zu erkennenden Entwicklungen eine wesentliche Rolle. Einerseits kann der Löschwasserbedarf durch verbesserte Techniken zur Brandfrüherkennung reduziert werden. Zwischenzeitlich wurde in Deutschland in einigen Bundesländern bereits die Pflicht zur Installation von Rauchmeldern in Neubauten eingeführt. Zukünftig ist davon auszugehen, dass sich diese Techniken in breitem Umfang durchsetzen werden und damit insgesamt der Löschwasserbedarf reduziert werden kann. Andererseits wird der Wasserverbrauch durch neuere Feuerlöschtechniken wie z. B. der Hochdruck-Wassernebeltechnik (durch hohen Druck werden feine Nebeltröpfchen mit großer Reaktionsoberfläche erzeugt) deutlich verringert. Zur Verringerung des Trinkwasserbedarfs bei der Löschwasserversorgung stehen inzwischen auch Techniken zur Verfügung, die eine Kopplung mit der Brauch- oder Regenwasserversorgung vorsehen [3]. Im Bereich der Abwasserentsorgung fanden erhebliche Weiterentwicklungen bei dezentralen Behandlungsanlagen statt. Die Betriebssicherheit der Systeme und die Reinigungsleistungen konnten erheblich verbessert werden, auch die Elimination von Nährstoffen ist möglich. Dezentrale Anlagen werden inzwischen auch als Dauerlösungen von behördlicher Seite zugelassen, wichtigste Randbedingung ist dabei eine zuverlässige Wartung der Anlagen. Sowohl bei Kleinkläranlagen als auch bei großen kommunalen Kläranlagen wird in jüngster Zeit die Membrantechnik eingesetzt. Durch die Membranen wird die Eliminationsleistung der Anlagen erhöht, so dass beispielsweise auch eine Nutzung des gereinigten Wassers als Brauchwasser möglich ist [4]. Durch Lern- und Skaleneffekte sind die Kosten der dezentralen Anlagen wie auch die der Membrananlagen deutlich gesunken. Auch zukünftig ist mit einem weiteren Rückgang zu rechnen. Die Ergebnisse entsprechender Erhebungen des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung bei verschiedenen Anlagenanbietern sind in Abbildung 3 dargestellt (nach [5]). Die Entwicklungen im Bereich Regen-, Grau- und Abwasserbehandlung zeigen, dass mit einer zunehmenden Bedeutung dezentraler Anlagen zu rechnen ist. Besonderes Kennzeichen dieser Anlagen im Vergleich zu großen zentralen Anlagen ist eine deutlich kürzere Nutzungsdauer von etwa zehn bis 15 Jahren. Diese entspricht damit in etwa den Nutzungsdauern der Wassernutzungstechnologien in den Haushalten (Wasch- und Geschirrspülmaschinen, Sanitärmöbel). Sehr unterschiedliche Nutzungsdauern von Teilelementen großer technischer Systeme bedeuten unterschiedliche Innovationsgeschwindigkeiten und damit immer Divergenzprobleme bezüglich zukünftiger technologischer Entwicklungen. Die ursprüngliche Abstimmung der Teilelemente wird aufgelöst und erheblicher Anpassungsbedarf entsteht. Aufgrund der geringen Flexibilität, der weiterhin bestehenden ökologischen Probleme, der hohen Kosten für Sanierung und Instandhaltung und der fehlenden Exportierbarkeit der konventionellen Wasserinfrastruktursysteme wurden in den letzten Jahren verstärkt Forschungsanstrengungen zur Entwicklung alternativer Systeme unternommen [6–11]. Diese Systeme zeichnen sich durch einen dezentralen bzw. semidezentralen Ansatz KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1 Kommunale Abwasserbehandlung 200 100 180 90 Bundesdurchschnitt 140 Maximumwerte Minimumwerte 120 100 80 Preise (%) Liter pro Kopf 160 60 50 80 inklusive neue Bundesländer 40 60 1979 1983 1987 1991 1995 1998 2001 30 Jahr und eine verstärkte Wasserteilstrombehandlung einschließlich der Rückgewinnung von Nährstoffen aus. Die Anwendung dieser Systeme konzentriert sich bislang allerdings auf Neubaugebiete, hinsichtlich der Integration in bestehenden Siedlungen besteht noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf. a) Eine weitere, für die Auslegung von Wasserinfrastruktursystemen wichtige Planungsgrundlage ist die zu entwässernde Fläche. Die Entwicklung dieser Größe hängt insbesondere von der Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche ab, die zwar seit dem Jahr 2000 abgenommen hat, mit 93 ha pro Tag aber immer noch erheblich ist (Abbildung 4). Ursache des Rückgangs ist vor allem die in diesem Zeitraum schwache Baukonjunktur. Die statistischen Erhebungen zeigen auch, dass die Entwicklung in Deutschland sehr unterschiedlich verlaufen ist: Insgesamt lag die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche zwischen 1988 und 2000 in Deutschland bei 13,1 Prozent. Dabei lag die Zunahme in den alten Bundesländern bei 12,1 Prozent, in den neuen Bundesländern dagegen bei 17,0 Prozent (bei gleichzeitiger Abnahme der Bevölkerung um 9,6 Prozent, während in den alten Bundesländern die Bevölkerung um 8,8 Prozent zunahm [12]). Für die Zukunft wird erwartet, dass der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum und damit auch die Siedlungs- und Verkehrsfläche aus demographischen Gründen langsam zurückgehen wird. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung wurde als Umwelthandlungsziel eine Begrenzung der Zunahme bis zum Jahr 2020 auf 30 ha pro Tag festgelegt. Wie dieses Ziel erreicht werden könnte, ist allerdings bislang noch völlig unklar. Ein weiterer Aspekt sind die zukünftigen Sicherheitsanforderungen an die Wasserinfrastruktursysteme. Die heute üblichen konventionellen Systemkonzepte zur Wasserversorgung und zur Abwasserentsorgung mit ihren zentralen Anlagen zur Trink- 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 80 60 40 20 b) 0 Abb. 3: Entwicklung der Preise von Anlagen (relative, auf den Zeitpunkt der Markteinführung bezogene und inflationsbereinigte Darstellungen) – a) bei einigen beispielhaft ausgewählten Kleinkläranlagen verschiedener Hersteller; b) bei Membranmodulen (Mikrofiltration/Ultrafiltration) einiger beispielhaft ausgewählter Hersteller wasseraufbereitung sowie Abwasserbehandlung und ihren räumlich weit verzweigten Wasserverteilungs- sowie Kanalnetzen sind im Falle von Naturkatastrophen (z. B. Starkregenereignissen und Hochwasser) stark gefährdet wie beispielsweise die enormen Schäden an den Wasserinfrastruktursystemen im Zusammenhang mit dem Elbe-Hochwasser (2003) zeigten. Aufgrund ihres zentralen Systemkonzeptes sind sie auch gegenüber terroristischen Angriffen besonders verletzlich. Ein gezielter terroristischer Angriff auf oder auch mittels Wasserinfrastruktureinrichtungen kann nicht nur die lebensnotwendigen Wasserdienstleistungen unterbrechen, sondern darüber 140 120 120 129 117 105 93 100 80 ha 2 Sonstige Veränderungen 1995 100 Fazit für den Aspekt „Technologischer Fortschritt“ Bei Techniken zur Wassernutzung werden auch zukünftig neue Entwicklungen die Möglichkeiten für einen effizienteren Umgang mit Wasser verbessern. Ein weiterer Rückgang des spezifischen Wasserverbrauchs wird die durch die demographischen Veränderungen bedingten Probleme in konventionellen Wasserinfrastruktursystemen noch verstärken. Gleichzeitig bieten die bereits stattgefundenen und die noch zu erwartenden technologischen Entwicklungen sowie die ökonomisch relevanten Lern- und Skaleneffekte Chancen für die Neuausgestaltung von Wasserinfrastrukturkonzepten. 1994 120 Preise (%) Abb. 2: Entwicklung des Wasserverbrauchs pro Kopf und Tag in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt) 50 70 60 40 20 0 1993-1996 1997-2000 2001 2002 2003 Abb. 4: Tägliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland (nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung) KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1 Kommunale Abwasserbehandlung hinaus auch die öffentliche Gesundheit sowie die Umwelt gefährden. Das Thema Sicherheit der Wasserinfrastruktursysteme ist in den USA in jüngster Zeit ein wichtiges Thema der wasserwirtschaftlichen Fachöffentlichkeit wie auch auf staatlicher Ebene [13]. Dies zeigt sich u. a. in speziellen Gesetzen und Verordnungen zum Schutz der Wasserinfrastrukturen vor terroristischen Angriffen (z. B. „Homeland Security Presidential Directives – HSPDs“, „Public Health Security and Bioterrorism Preparedness and Response Act“ aus dem Jahr 2002), aber auch in Arbeiten der EPA (Environmental Protection Agency – (http://cfpub.epa.gov/safewater/watersecurity/) und von Fachverbänden (z. B. American Water Works Association AWWA – www.awwa.org/science/wise/) zu den Themen: ● systematische Beurteilung der Vulnerabilitäten der beste- henden Wasserinfrastruktursysteme und Einrichtungen, ● Entwicklung geeigneter Abwehrstrategien, konkreter Ab- wehrmaßnahmen und Notfallpläne, 3 Fazit Die Rahmenbedingungen für Planungen von Wasserinfrastruktursystemen werden zukünftig erheblichen Veränderungen unterliegen. Soweit möglich, sind diese Veränderungen zu berücksichtigen, um Fehlentscheidungen, d. h. Entscheidungen für ökonomisch oder ökologisch nicht tragfähige Lösungen zu vermeiden. In Tabelle 1 sind nochmals die wichtigsten Einflussfaktoren und deren Bedeutung zusammengefasst. Bezüglich des Umfangs der anstehenden Veränderungen, zum Teil sogar bezüglich der Veränderungsrichtung bestehen jedoch insbesondere auf der relevanten lokalen und regionalen Ebene noch erhebliche Unsicherheiten. Dies umso mehr, wenn die sehr langen Nutzungsdauern von wichtigen Komponenten konventioneller Wasserinfrastruktursysteme berücksichtigt werden. Methoden für zuverlässige Prognosen der einzelnen Faktoren über einen Zeitraum von 50 bis 80 Jahren sind nicht verfügbar. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind: ● Entwicklung und Einsatz konzeptioneller und technolo- ● Einsatz flexibler Systeme mit der Möglichkeit, sich an Verän- gischer Ansätze und Instrumente zur Verbesserung der Sicherheit der Wasserinfrastruktursysteme. ● verstärkter Einsatz von technischen Systemen mit kürzeren derungen der Rahmenbedingungen anzupassen und/oder Nutzungsdauern. Als Beispiel für praxisorientierte Darstellungen sei auf die gemeinsam von ASCE, AWWA und WEF herausgegegebene „Security Guidance For Wastewater/Stormwater Utilities“ [14] verwiesen. Veränderungsfaktoren beeinflusste Parameter Um soweit möglich die Relevanz der beschriebenen Veränderungen für eine konkrete Planungsaufgabe bewerten zu können, sollten folgende Fragen beantwortet werden: zu erwartende Veränderung Bewertung Klimawandel 1 Niederschlagsmenge 2 Niederschlagsverteilung 3 Trockenperioden 4 Wasserverfügbarkeit bei Quell-, Grund- und Oberflächenwasser 1 je nach Region zu- bzw. abnehmend 2 Zunahme von Starkniederschlägen, Hochwassergefahr 3 zunehmend 4 zum Teil abnehmend aufgrund niedrigerer Niederschlags-/Sickerwassermengen, Rückgang der Gletscher starker Einfluss auf wasserwirtschaftliche Prozesse; große regionale Unterschiede, hohe Unsicherheiten demographischer Wandel 5 Einwohnerzahl 5 starke Abnahme bis leichte Zunahme große regionale Unterschiede; in einzelnen Regionen starker Einfluss auf wasserwirtschaftliche Prozesse; geringe Unsicherheiten ökologische Anforderungen 6 Regenwasserbewirtschaftung 7 Schadstoffelimination 8 Nährstoffrecycling 6 Verringerung der Umweltbeeinträchtigungen durch Regenwassereinleitungen 7 Elimination neuer Schadstoffe 8 zunehmende Knappheit von Nährstoffen (insbesondere Phosphor) großer Einfluss auf Regenwasserbewirtschaftung und Abwasserbehandlung; regionale Unterschiede je nach Vorbelastungen; hohe Unsicherheiten bezüglich der Relevanz neuer Schadstoffe technologischer Fortschritt 9 10 11 12 Flächenverbrauch 13 zu entwässernde Fläche 13 erhöhte Abflussmengen beeinflusst Kapazität der Kanalisation sowie Regenwasserbewirtschaftung; geringe Unsicherheit erhöhte Sicherheitsanforderungen 14 Sicherheitsauslegung wasserwirtschaftlicher Systeme 14 weitergehende Festlegungen zur Verringerung der Vulnerabilität detaillierte Analysen stehen noch aus; Forschungsbedarf Wasseraufbereitungstechnologien 9 neue, dezentral einsetzbare spezifischer Wasserbedarf Techniken Abwasseraufbereitung 10 Techniken zur weiteren Wasserinfrastruktursysteme Verbrauchsreduzierung 11 neue, dezentral einsetzbare Techniken mit verbesserter Reinigungsleistung 12 flexiblere, (semi-)dezentrale Systeme mit Nährstoffrückgewinnung regionale Randbedingungen können teilweise Einsatz neuer Technologien fördern bzw. hemmen; starker Einfluss auf wasserwirtschaftliche Prozesse; Analyse relevanter Technologielinien möglich (TechnologieForesight) Tabelle 1: Übersicht über die Veränderungsfaktoren für Planungen von Wasserinfrastruktursystemen und deren Auswirkungen 52 KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1 Kommunale Abwasserbehandlung ● Welcher zeitliche Planungshorizont ist aufgrund der in Frage kommenden Techniken und der für die Aufgabe relevanten Randbedingungen zugrunde zu legen? ● Inwieweit sind die zu planenden (Teil-)Systeme von den beschriebenen Veränderungsprozessen betroffen? ● Gibt es Abschätzungen zum Umfang der anstehenden Veränderungen für die Region? ● Können die Einflüsse über Sensitivitätsanalysen bei den Planungen berücksichtigt werden? Entsprechend den Antworten auf diese Fragen ist die den Planungen und hier insbesondere den Wirtschaftlichkeitsberechnungen zugrunde zu legende Nutzungsdauer der Einzelkomponenten auf die Zeitspanne zu begrenzen, in der der Nutzen unter Berücksichtigung der sich verändernden Randbedingungen auch tatsächlich zu erwarten ist. Ein zusätzlicher Ansatzpunkt ist die Berücksichtigung der bestehenden Unsicherheiten und zukünftiger möglicher Entwicklungen in den Grundlagen für wasserwirtschaftliche Planungen (Normen, technische Regelwerke). Für die nachhaltige Ausgestaltung unserer Wasser- und Abwasseranlagen ist grundsätzlich ein ganzheitlicher Ansatz, ein Denken in Systemen notwendig [15], über das zum einen die vielfältigen Verbindungen innerhalb des Systems „Wasserinfrastruktur2 berücksichtigt werden: Hier sind insbesondere die Wechselwirkungen zwischen den technischen Subsystemen Versorgung, Nutzung und Entsorgung sowie zwischen den verschiedenen Akteursgruppen einschließlich der Nutzer oder auch industrieller Akteure (Technologieentwickler, -anbieter, Dienstleister) zu nennen. Zum anderen sind auch die zukünftig noch wichtiger werdenden Anknüpfungspunkte zu anderen Infrastruktursystemen wie Abfallentsorgung, Energieversorgung oder Telekommunikation und Gebäudemanagement einzubeziehen. 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(Hrsg.): Handbook of Qualitative Science and Technology Research. The Use of Publication and Patent Statistics in Studies of S&T Systems, Kluwer Academic Publishers, Dordrecht, 2004, S. 215–235 [2] ATV-DVWK-Arbeitsgruppe GB-5.1 „Nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft“: Vom Sinn des Wassersparens, KA 12/2004, S. 1381–1385 [3] Götsch, E.: Kombination von Betriebs- und Löschwasserversorgungsanlagen, in: Betriebs- und Regenwassernutzung – Bestandsaufnahme und Zukunftsvision, fbr-Schriftenreihe, Band 10, Darmstadt, 2005, S. 97–106 [4] Theiss, S., Baum, T., Ruth, J.: Brauchwasser auf der Kläranlage, UmweltMagazin, Juli/August 2005, S. 33–34 [5] Knopp, A.: Marktentwicklungen und ökonomische Randbedingungen alternativer Technikbausteine im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung, Diplomarbeit, angefertigt am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe, 2004 [6] Kotz, C., T. Hillenbrand, H., Hiessl, M., Mohr, Trösch, W.: Pilot-project DEUS 21: A concept for a sustainable urban water infrastructure, Paper presented at the 2nd IWA Leading Edge Conference on Sustainability: Sustainability in Water Limited Environments, Sydney, Australien, 8.–10. November 2004 KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1 Wir wünschen unseren Lesern einen guten Start ins neue Jahr 2007 53