30. - DWA

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Kommunale Abwasserbehandlung
Sich ändernde Planungsgrundlagen
für Wasserinfrastruktursysteme
Teil 2: Technologischer Fortschritt und sonstige Veränderungen 1)
Thomas Hillenbrand und Harald Hiessl (Karlsruhe)
Zusammenfassung
1
Komponenten der konventionellen Wasserinfrastruktursysteme
haben sehr lange Nutzungsdauern von teilweise über 50 Jahren. Unter welchen Randbedingungen werden diese Systeme in
den kommenden Jahrzehnten betrieben? Einschneidende Veränderungen sind bereits zu erkennen: der Klimawandel bringt
Veränderungen bei den Niederschlagsmengen und bei der
Niederschlagsverteilung mit sich, der demographische Wandel
wird zu deutlichen Veränderungen bei den Nutzerzahlen der
Systeme führen, und neue ökologische Anforderungen beispielsweise hinsichtlich der Regenwasserbewirtschaftung oder
auch der Elimination zusätzlicher Schadstoffe sind absehbar.
Wichtige technologische Entwicklungen sind sowohl im Bereich
der Wasserversorgung, der Wassernutzung, der Abwasserentsorgung als auch in Technikbereichen mit Querbezügen
zur Wasserinfrastruktur wie z. B. der Informations- und Kommunikationstechnologien (Fernüberwachungssysteme), der Sensorik oder auch der Feuerlöschtechnik zu berücksichtigen. Im
Bereich der Wasserversorgung können durch die inzwischen
zur Verfügung stehenden robusten und betriebssicheren Anlagen zur Regen-, Grau- oder Brauchwasseraufbereitung an den
Bedarf angepasste Wasserqualitäten sowohl bei gewerblichen
Nutzern als auch in Haushalten zur Verfügung gestellt werden.
Die Untersuchung der Patentaktivitäten2) in relevanten Gebieten zeigt, dass im Bereich der Wasser- und Abwasserbehandlung insgesamt (Abbildung 1a), bei den auf den Abwasserbereich bezogenen Membrantrennverfahren (Abbildung 1b: Osmose, Ultrafiltration, Mikrofiltration) als auch bei den Wassernutzungstechnologien (Abbildung 1c) die Zahl der Patente
deutlich ansteigt und damit auch in Zukunft mit weiteren Technologie-Entwicklungen zu rechnen ist. Überraschend ist dabei
vor allem der deutliche Anstieg der Patentzahlen in den letzten
Jahren in dem hier exemplarisch ausgewählten Gebiet „wassersparendes Waschen und Spülen von Textilartikeln“, der insbesondere durch den Anstieg der in Deutschland angemeldeten
Patente bewirkt wurde.
Schlagwörter: Abwasserreinigung, kommunal, Infrastruktur, Änderung, Grundlagen, Planung, Klimaänderung, Bevölkerung, Ökologie, Niederschlag, Schadstoff,
Nährstoff, Recht
Abstract
Changing Planning Basis for Water Infrastructure
Projects
Part 2: Technological Progress and other Changes
Components of conventional water infrastructure systems have
very long useful lives, in some cases more than 50 years. Under
which framework conditions will these systems be operated in
the next decades? Drastic changes can already be perceived:
climate change leads to changes in quantities of precipitation
and in rainfall distribution, demo-graphic change will lead to
clear changes in the number of users of such systems, and new
ecological requirements, e.g. in terms of rainwater management or removal of additional pollutants will be introduced
sooner or later.
Key words: wastewater treatment, municipal, infrastructure, change, basis, planning, climate change, population, ecology, precipitation, pollutant, nutrient, law
1) Teil 1 des Beitrags befasste sich mit den Aspekten Klimawandel, demographischer Wandel und neue ökologische Anforderungen und ist erschienen in
KA 12/2006, Seite 1265.
2) Die Zahl der Patente wird in der Innovationsforschung als wesentlicher Frühindikator für die Entwicklungen in einem Technikgebiet verwendet. Sie zeigen, an
welchen Orten und in welchem Umfang neues, potenziell kommerziell verwertbares Wissen entstanden ist [1]. Für die Recherchen wurde die Patentdatenbank
EPAPAT genutzt.
KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1
Technologischer Fortschritt
Der Wasserverbrauch in den Haushalten verringerte sich in den
letzten 15 bis 20 Jahren in Deutschland deutlich. Die Nutzung
wassereffizienter Geräte und Sanitärmöbel führte zu einem
Rückgang des spezifischen Wasserverbrauchs von fast 150 l pro
Einwohner und Tag auf 127 l im Jahr 2001. Die in Abbildung 2
dargestellten spezifischen Verbrauchswerte zeigen sowohl den
Verlauf des Durchschnittswerts in Deutschland als auch die
jeweiligen Minimum- und Maximumwerte aller Bundesländer.
Bereits die Unterschiede zwischen den Durchschnittswerten
der Bundesländer sind erheblich: bei der jüngsten Erhebung
zwischen 90 und 150 l pro Kopf und Tag (dies entspricht einem
Faktor von 1,7); bezogen auf die Verbrauchswerte in einzelnen
Versorgungsgebieten ist mit noch deutlicheren Unterschieden
zu rechnen. Die Minimumwerte von unter 90 l/E ⫻ d machen
deutlich, dass Spielräume für einen weiteren Rückgang des
Wasserverbrauchs bestehen, auch wenn dieser Rückgang für
die Betreiber der Wasserinfrastrukturen betriebliche Probleme
mit sich bringen kann. In den letzten Jahren stagnierte der
spezifische Wasserverbrauch. Die Patentaktivitäten im Bereich
47
Kommunale Abwasserbehandlung
wassersparender Geräte weisen darauf hin, dass weiterhin erhebliche Forschungsanstrengungen laufen und in der Zukunft
mit noch effizienteren Techniken zu rechnen ist. Da für die
Haushalte mit dem Verbrauch von Wasser grundsätzlich immer
Kosten verbunden sind (nicht nur für die eigentliche Wassermenge, sondern auch für den damit verbundenen Energie- und
Waschmittelverbrauch), besteht auch weiterhin eine Motivation zur Reduzierung des Wasserverbrauchs. Dem stehen andere
Einflussfaktoren wie die Zunahme von Single-Haushalten, die
einen erhöhten Wasserverbrauch aufweisen, oder der mit zunehmendem Wohlstand steigende Wasserverbrauch gegenüber. Zukünftig könnten hier jedoch noch andere Faktoren wie
z. B. eingeschränkte Wasserverfügbarkeiten aufgrund des klimatischen Wandels eine wichtige Rolle spielen. Wahrscheinlich ist ein weiteres Auseinanderdriften der spezifischen Verbrauchswerte in Abhängigkeit von den Randbedingungen in
den einzelnen Regionen in Deutschland. Ein gezieltes Beeinflussen der weiteren Entwicklung durch die Betreiber der Was600
500
Gesamt
DE
US
JP
GB
FR
Gesamtzahl der Patente
EU-15
400
300
200
100
0
1985
a)
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Jahr
60
Osmose, Ultrafiltration, Mikrofiltration
Dialyse, Pervaporation, Membrandestillation, FlüssigPermeation
50
Geräte, Zubehör, Verfahren für Trennprozesse
Semipermeable Membranen (Material/Form/Struktur)
Zahl der Patente
40
30
20
10
0
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
b)
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Jahr
60
50
DE
US
JP
GB
FR
EU
Waschmasch
Zahl der Patente
40
30
20
10
0
1985
c)
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
Jahr
Abb. 1: Patentaktivitäten in verschiedenen relevanten Technikbereichen (Quelle: Fraunhofer ISI) – a) Wasser- und Abwasserbehandlung insgesamt, b) semipermeable Membranen im
Bereich Abwasser, c) im Bereich Wassernutzung, hier: wassersparendes Waschen und Spülen von Textilartikeln
48
serinfrastruktur könnte dabei verschiedene Vorteile wie z. B.
eine Erhöhung der Planungssicherheit mit sich bringen [2].
Bezüglich des Wasserbedarfs und der Auslegung von Wasserversorgungsnetzen spielen auch die Löschwasserversorgung
und die hier zu erkennenden Entwicklungen eine wesentliche
Rolle. Einerseits kann der Löschwasserbedarf durch verbesserte Techniken zur Brandfrüherkennung reduziert werden.
Zwischenzeitlich wurde in Deutschland in einigen Bundesländern bereits die Pflicht zur Installation von Rauchmeldern in
Neubauten eingeführt. Zukünftig ist davon auszugehen, dass
sich diese Techniken in breitem Umfang durchsetzen werden
und damit insgesamt der Löschwasserbedarf reduziert werden
kann. Andererseits wird der Wasserverbrauch durch neuere
Feuerlöschtechniken wie z. B. der Hochdruck-Wassernebeltechnik (durch hohen Druck werden feine Nebeltröpfchen mit
großer Reaktionsoberfläche erzeugt) deutlich verringert. Zur
Verringerung des Trinkwasserbedarfs bei der Löschwasserversorgung stehen inzwischen auch Techniken zur Verfügung, die
eine Kopplung mit der Brauch- oder Regenwasserversorgung
vorsehen [3].
Im Bereich der Abwasserentsorgung fanden erhebliche Weiterentwicklungen bei dezentralen Behandlungsanlagen statt. Die
Betriebssicherheit der Systeme und die Reinigungsleistungen
konnten erheblich verbessert werden, auch die Elimination von
Nährstoffen ist möglich. Dezentrale Anlagen werden inzwischen auch als Dauerlösungen von behördlicher Seite zugelassen, wichtigste Randbedingung ist dabei eine zuverlässige
Wartung der Anlagen. Sowohl bei Kleinkläranlagen als auch bei
großen kommunalen Kläranlagen wird in jüngster Zeit die
Membrantechnik eingesetzt. Durch die Membranen wird die
Eliminationsleistung der Anlagen erhöht, so dass beispielsweise auch eine Nutzung des gereinigten Wassers als Brauchwasser möglich ist [4]. Durch Lern- und Skaleneffekte sind die
Kosten der dezentralen Anlagen wie auch die der Membrananlagen deutlich gesunken. Auch zukünftig ist mit einem weiteren
Rückgang zu rechnen. Die Ergebnisse entsprechender Erhebungen des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung bei verschiedenen Anlagenanbietern sind in Abbildung 3 dargestellt (nach [5]).
Die Entwicklungen im Bereich Regen-, Grau- und Abwasserbehandlung zeigen, dass mit einer zunehmenden Bedeutung
dezentraler Anlagen zu rechnen ist. Besonderes Kennzeichen
dieser Anlagen im Vergleich zu großen zentralen Anlagen ist
eine deutlich kürzere Nutzungsdauer von etwa zehn bis 15
Jahren. Diese entspricht damit in etwa den Nutzungsdauern der
Wassernutzungstechnologien in den Haushalten (Wasch- und
Geschirrspülmaschinen, Sanitärmöbel). Sehr unterschiedliche
Nutzungsdauern von Teilelementen großer technischer Systeme bedeuten unterschiedliche Innovationsgeschwindigkeiten
und damit immer Divergenzprobleme bezüglich zukünftiger
technologischer Entwicklungen. Die ursprüngliche Abstimmung der Teilelemente wird aufgelöst und erheblicher Anpassungsbedarf entsteht.
Aufgrund der geringen Flexibilität, der weiterhin bestehenden
ökologischen Probleme, der hohen Kosten für Sanierung und
Instandhaltung und der fehlenden Exportierbarkeit der konventionellen Wasserinfrastruktursysteme wurden in den letzten
Jahren verstärkt Forschungsanstrengungen zur Entwicklung alternativer Systeme unternommen [6–11]. Diese Systeme zeichnen sich durch einen dezentralen bzw. semidezentralen Ansatz
KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1
Kommunale Abwasserbehandlung
200
100
180
90
Bundesdurchschnitt
140
Maximumwerte
Minimumwerte
120
100
80
Preise (%)
Liter pro Kopf
160
60
50
80
inklusive neue Bundesländer
40
60
1979
1983
1987
1991
1995
1998
2001
30
Jahr
und eine verstärkte Wasserteilstrombehandlung einschließlich
der Rückgewinnung von Nährstoffen aus. Die Anwendung dieser Systeme konzentriert sich bislang allerdings auf Neubaugebiete, hinsichtlich der Integration in bestehenden Siedlungen
besteht noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
a)
Eine weitere, für die Auslegung von Wasserinfrastruktursystemen wichtige Planungsgrundlage ist die zu entwässernde Fläche. Die Entwicklung dieser Größe hängt insbesondere von der
Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche ab, die zwar seit
dem Jahr 2000 abgenommen hat, mit 93 ha pro Tag aber immer
noch erheblich ist (Abbildung 4). Ursache des Rückgangs ist vor
allem die in diesem Zeitraum schwache Baukonjunktur. Die
statistischen Erhebungen zeigen auch, dass die Entwicklung in
Deutschland sehr unterschiedlich verlaufen ist: Insgesamt lag
die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche zwischen 1988
und 2000 in Deutschland bei 13,1 Prozent. Dabei lag die Zunahme in den alten Bundesländern bei 12,1 Prozent, in den neuen
Bundesländern dagegen bei 17,0 Prozent (bei gleichzeitiger
Abnahme der Bevölkerung um 9,6 Prozent, während in den
alten Bundesländern die Bevölkerung um 8,8 Prozent zunahm
[12]). Für die Zukunft wird erwartet, dass der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum und damit auch die Siedlungs- und Verkehrsfläche aus demographischen Gründen langsam zurückgehen
wird. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung wurde als Umwelthandlungsziel eine Begrenzung der
Zunahme bis zum Jahr 2020 auf 30 ha pro Tag festgelegt. Wie
dieses Ziel erreicht werden könnte, ist allerdings bislang noch
völlig unklar.
Ein weiterer Aspekt sind die zukünftigen Sicherheitsanforderungen an die Wasserinfrastruktursysteme. Die heute üblichen
konventionellen Systemkonzepte zur Wasserversorgung und
zur Abwasserentsorgung mit ihren zentralen Anlagen zur Trink-
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
80
60
40
20
b)
0
Abb. 3: Entwicklung der Preise von Anlagen (relative, auf den
Zeitpunkt der Markteinführung bezogene und inflationsbereinigte Darstellungen) – a) bei einigen beispielhaft ausgewählten Kleinkläranlagen verschiedener Hersteller; b) bei Membranmodulen (Mikrofiltration/Ultrafiltration) einiger beispielhaft
ausgewählter Hersteller
wasseraufbereitung sowie Abwasserbehandlung und ihren
räumlich weit verzweigten Wasserverteilungs- sowie Kanalnetzen sind im Falle von Naturkatastrophen (z. B. Starkregenereignissen und Hochwasser) stark gefährdet wie beispielsweise die
enormen Schäden an den Wasserinfrastruktursystemen im
Zusammenhang mit dem Elbe-Hochwasser (2003) zeigten.
Aufgrund ihres zentralen Systemkonzeptes sind sie auch gegenüber terroristischen Angriffen besonders verletzlich. Ein
gezielter terroristischer Angriff auf oder auch mittels Wasserinfrastruktureinrichtungen kann nicht nur die lebensnotwendigen Wasserdienstleistungen unterbrechen, sondern darüber
140
120
120
129
117
105
93
100
80
ha
2 Sonstige Veränderungen
1995
100
Fazit für den Aspekt „Technologischer Fortschritt“
Bei Techniken zur Wassernutzung werden auch zukünftig neue
Entwicklungen die Möglichkeiten für einen effizienteren Umgang mit Wasser verbessern. Ein weiterer Rückgang des spezifischen Wasserverbrauchs wird die durch die demographischen
Veränderungen bedingten Probleme in konventionellen Wasserinfrastruktursystemen noch verstärken. Gleichzeitig bieten die
bereits stattgefundenen und die noch zu erwartenden technologischen Entwicklungen sowie die ökonomisch relevanten
Lern- und Skaleneffekte Chancen für die Neuausgestaltung von
Wasserinfrastrukturkonzepten.
1994
120
Preise (%)
Abb. 2: Entwicklung des Wasserverbrauchs pro Kopf und Tag in
Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt)
50
70
60
40
20
0
1993-1996 1997-2000
2001
2002
2003
Abb. 4: Tägliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche
in Deutschland (nach Angaben des Statistischen Bundesamtes
und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung)
KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1
Kommunale Abwasserbehandlung
hinaus auch die öffentliche Gesundheit sowie die Umwelt gefährden. Das Thema Sicherheit der Wasserinfrastruktursysteme
ist in den USA in jüngster Zeit ein wichtiges Thema der wasserwirtschaftlichen Fachöffentlichkeit wie auch auf staatlicher
Ebene [13]. Dies zeigt sich u. a. in speziellen Gesetzen und
Verordnungen zum Schutz der Wasserinfrastrukturen vor terroristischen Angriffen (z. B. „Homeland Security Presidential
Directives – HSPDs“, „Public Health Security and Bioterrorism
Preparedness and Response Act“ aus dem Jahr 2002), aber
auch in Arbeiten der EPA (Environmental Protection Agency –
(http://cfpub.epa.gov/safewater/watersecurity/) und von
Fachverbänden (z. B. American Water Works Association AWWA
– www.awwa.org/science/wise/) zu den Themen:
● systematische Beurteilung der Vulnerabilitäten der beste-
henden Wasserinfrastruktursysteme und Einrichtungen,
● Entwicklung geeigneter Abwehrstrategien, konkreter Ab-
wehrmaßnahmen und Notfallpläne,
3 Fazit
Die Rahmenbedingungen für Planungen von Wasserinfrastruktursystemen werden zukünftig erheblichen Veränderungen unterliegen. Soweit möglich, sind diese Veränderungen zu berücksichtigen, um Fehlentscheidungen, d. h. Entscheidungen
für ökonomisch oder ökologisch nicht tragfähige Lösungen zu
vermeiden. In Tabelle 1 sind nochmals die wichtigsten Einflussfaktoren und deren Bedeutung zusammengefasst.
Bezüglich des Umfangs der anstehenden Veränderungen, zum
Teil sogar bezüglich der Veränderungsrichtung bestehen jedoch insbesondere auf der relevanten lokalen und regionalen
Ebene noch erhebliche Unsicherheiten. Dies umso mehr, wenn
die sehr langen Nutzungsdauern von wichtigen Komponenten
konventioneller Wasserinfrastruktursysteme berücksichtigt
werden. Methoden für zuverlässige Prognosen der einzelnen
Faktoren über einen Zeitraum von 50 bis 80 Jahren sind nicht
verfügbar. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind:
● Entwicklung und Einsatz konzeptioneller und technolo-
● Einsatz flexibler Systeme mit der Möglichkeit, sich an Verän-
gischer Ansätze und Instrumente zur Verbesserung der Sicherheit der Wasserinfrastruktursysteme.
● verstärkter Einsatz von technischen Systemen mit kürzeren
derungen der Rahmenbedingungen anzupassen und/oder
Nutzungsdauern.
Als Beispiel für praxisorientierte Darstellungen sei auf die
gemeinsam von ASCE, AWWA und WEF herausgegegebene
„Security Guidance For Wastewater/Stormwater Utilities“ [14]
verwiesen.
Veränderungsfaktoren beeinflusste Parameter
Um soweit möglich die Relevanz der beschriebenen Veränderungen für eine konkrete Planungsaufgabe bewerten zu können, sollten folgende Fragen beantwortet werden:
zu erwartende Veränderung
Bewertung
Klimawandel
1 Niederschlagsmenge
2 Niederschlagsverteilung
3 Trockenperioden
4 Wasserverfügbarkeit bei Quell-,
Grund- und Oberflächenwasser
1 je nach Region zu- bzw.
abnehmend
2 Zunahme von Starkniederschlägen, Hochwassergefahr
3 zunehmend
4 zum Teil abnehmend aufgrund
niedrigerer Niederschlags-/Sickerwassermengen, Rückgang
der Gletscher
starker Einfluss auf wasserwirtschaftliche Prozesse; große regionale
Unterschiede, hohe Unsicherheiten
demographischer
Wandel
5 Einwohnerzahl
5 starke Abnahme bis leichte
Zunahme
große regionale Unterschiede; in
einzelnen Regionen starker Einfluss
auf wasserwirtschaftliche Prozesse;
geringe Unsicherheiten
ökologische
Anforderungen
6 Regenwasserbewirtschaftung
7 Schadstoffelimination
8 Nährstoffrecycling
6 Verringerung der Umweltbeeinträchtigungen durch Regenwassereinleitungen
7 Elimination neuer Schadstoffe
8 zunehmende Knappheit von
Nährstoffen (insbesondere Phosphor)
großer Einfluss auf Regenwasserbewirtschaftung und Abwasserbehandlung; regionale Unterschiede je nach
Vorbelastungen; hohe Unsicherheiten
bezüglich der Relevanz neuer Schadstoffe
technologischer
Fortschritt
9
10
11
12
Flächenverbrauch
13 zu entwässernde Fläche
13 erhöhte Abflussmengen
beeinflusst Kapazität der Kanalisation
sowie Regenwasserbewirtschaftung;
geringe Unsicherheit
erhöhte Sicherheitsanforderungen
14 Sicherheitsauslegung wasserwirtschaftlicher Systeme
14 weitergehende Festlegungen zur
Verringerung der Vulnerabilität
detaillierte Analysen stehen noch
aus; Forschungsbedarf
Wasseraufbereitungstechnologien 9 neue, dezentral einsetzbare
spezifischer Wasserbedarf
Techniken
Abwasseraufbereitung
10 Techniken zur weiteren
Wasserinfrastruktursysteme
Verbrauchsreduzierung
11 neue, dezentral einsetzbare
Techniken mit verbesserter
Reinigungsleistung
12 flexiblere, (semi-)dezentrale Systeme mit Nährstoffrückgewinnung
regionale Randbedingungen können
teilweise Einsatz neuer Technologien fördern bzw. hemmen; starker
Einfluss auf wasserwirtschaftliche
Prozesse; Analyse relevanter Technologielinien möglich (TechnologieForesight)
Tabelle 1: Übersicht über die Veränderungsfaktoren für Planungen von Wasserinfrastruktursystemen und deren Auswirkungen
52
KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1
Kommunale Abwasserbehandlung
● Welcher zeitliche Planungshorizont ist aufgrund der in Frage
kommenden Techniken und der für die Aufgabe relevanten
Randbedingungen zugrunde zu legen?
● Inwieweit sind die zu planenden (Teil-)Systeme von den
beschriebenen Veränderungsprozessen betroffen?
● Gibt es Abschätzungen zum Umfang der anstehenden Veränderungen für die Region?
● Können die Einflüsse über Sensitivitätsanalysen bei den
Planungen berücksichtigt werden?
Entsprechend den Antworten auf diese Fragen ist die den Planungen und hier insbesondere den Wirtschaftlichkeitsberechnungen zugrunde zu legende Nutzungsdauer der Einzelkomponenten auf die Zeitspanne zu begrenzen, in der der Nutzen
unter Berücksichtigung der sich verändernden Randbedingungen auch tatsächlich zu erwarten ist. Ein zusätzlicher Ansatzpunkt ist die Berücksichtigung der bestehenden Unsicherheiten und zukünftiger möglicher Entwicklungen in den Grundlagen für wasserwirtschaftliche Planungen (Normen, technische
Regelwerke).
Für die nachhaltige Ausgestaltung unserer Wasser- und Abwasseranlagen ist grundsätzlich ein ganzheitlicher Ansatz, ein
Denken in Systemen notwendig [15], über das zum einen die
vielfältigen Verbindungen innerhalb des Systems „Wasserinfrastruktur2 berücksichtigt werden: Hier sind insbesondere die
Wechselwirkungen zwischen den technischen Subsystemen
Versorgung, Nutzung und Entsorgung sowie zwischen den verschiedenen Akteursgruppen einschließlich der Nutzer oder
auch industrieller Akteure (Technologieentwickler, -anbieter,
Dienstleister) zu nennen. Zum anderen sind auch die zukünftig
noch wichtiger werdenden Anknüpfungspunkte zu anderen
Infrastruktursystemen wie Abfallentsorgung, Energieversorgung oder Telekommunikation und Gebäudemanagement einzubeziehen.
[7] Otterpohl, R.: New technological development in ecological sanitation, in:
Ecosan – closing the loop, Proceedings of the 2nd international symposium on
ecological sanitation, GTZ, Eschborn, 2004, S. 455–462
[8] Hiessl, H., Toussaint, D., Becker, M., Dyrbusch, A., Geisler, S., Herbst, H., Prager,
J.: Alternativen der kommunalen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung
– AKWA 2100, Heidelberg, Physica-Verlag, 2003
[9] Peter-Fröhlich, A., Kraume, I., Lesouef, A., Phan, L., Oldenburg, M.: Neue Sanitärkonzepte für die separate Erfassung und Behandlung der Teilströme Urin,
Fäkalien und Grauwasser – Pilotprojekt, Konferenz „Wasser Berlin“, 2003
[10] Oldenburg, M., Bastian, A., Londong, J., Niederste-Hollenberg, J.: Neue Abwassertechnik am Beispiel der „Lambertsmühle“, GWF Wasser Abwasser, 144,
10/2003, S. 660–665
[11] ATV-DVWK-Arbeitsgruppe GB-5.1 „Nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft“:
Überlegungen zu einer nachhaltigen Siedlungswasserwirtschaft, ATV-DVWK,
Hennef, 2002
[12] Umweltbundesamt: Reduzierung der Flächeninanspruchnahme durch Siedlungen und Verkehr – Strategiepapier des Umweltbundesamtes, Erich Schmidt
Verlag, Berlin, 2004
[13] Young, H. C.: Understanding Water and Terrorism, Burg Young Publ., Denver,
CO/USA, 2003
[14] American Society of Civil Engineers (ASCE), American Water Works Association
(AWWA), Water Environment Federation (WEF): Interim Voluntary Security Guidance For Wastewater/Stormwater Utilities, 2004
[15] Hiessl, H.: Systemdenken in der kommunalen Wasserwirtschaft, DWA-Innovationsforum, 15./16. November 2005, Hennef, 2005
Autoren
Dipl.-Ing. (FH) Thomas Hillenbrand, Dr.-Ing. Harald Hiessl
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung
Breslauer Straße 48, 76139 Karlsruhe
E-Mail: [email protected]
Dank
Die diesem Beitrag zugrunde liegenden Arbeiten erfolgten im
Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsvorhaben „GLOWA-Elbe“ und
„DEUS-21“.
Literatur
[1] Hinze, S., Schmoch, U.: Opening the Black Box. Analytical approaches and their
impact on the outcome of statistical patent analyses, in: Moed, H. F., Glänzel,
W., Schmoch, U. (Hrsg.): Handbook of Qualitative Science and Technology Research. The Use of Publication and Patent Statistics in Studies of S&T Systems,
Kluwer Academic Publishers, Dordrecht, 2004, S. 215–235
[2] ATV-DVWK-Arbeitsgruppe GB-5.1 „Nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft“:
Vom Sinn des Wassersparens, KA 12/2004, S. 1381–1385
[3] Götsch, E.: Kombination von Betriebs- und Löschwasserversorgungsanlagen,
in: Betriebs- und Regenwassernutzung – Bestandsaufnahme und Zukunftsvision, fbr-Schriftenreihe, Band 10, Darmstadt, 2005, S. 97–106
[4] Theiss, S., Baum, T., Ruth, J.: Brauchwasser auf der Kläranlage, UmweltMagazin, Juli/August 2005, S. 33–34
[5] Knopp, A.: Marktentwicklungen und ökonomische Randbedingungen alternativer Technikbausteine im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung,
Diplomarbeit, angefertigt am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe, 2004
[6] Kotz, C., T. Hillenbrand, H., Hiessl, M., Mohr, Trösch, W.: Pilot-project DEUS 21:
A concept for a sustainable urban water infrastructure, Paper presented at the
2nd IWA Leading Edge Conference on Sustainability: Sustainability in Water
Limited Environments, Sydney, Australien, 8.–10. November 2004
KA – Abwasser, Abfall 2007 (54) Nr. 1
Wir wünschen
unseren Lesern einen
guten Start ins neue
Jahr 2007
53
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