Orales Piercing: Implikationen für Zähne, Parodont und

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Thema
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Orales Piercing: Implikationen für
Zähne, Parodont und zahnärztliche
Restaurationen
Hintergrund
Ästhetik ist relativ ! ... und es ist eine eindrückliche Erfahrung für jeden Zahnarzt, dass Patienten mitunter ganz andere Vorstellungen von „schönen Zähnen“ haben als der Behandler. Bei manch jungen Patienten weichen die Vorstellung von Schönheit ganz erheblich von denen des Zahnarztes ab, z.B.
beim Thema „Piercing“. Eine medizinisch-begründete ablehnende Haltung
gegenüber diesem Phänomen ist zwar verständlich, jedoch nicht ausreichend. So besteht bei vielen Behandlern noch ein erheblicher Informationsbedarf über Folgen und Risiken solcher oraler Piercings, denn nur auf der Basis einer sachgerechten Aufklärung der Patienten kann eine adäquate Betreuung dieser Patientengruppe möglich sein.
Statement
Obwohl es klinische Realität ist, dass sich vor allem Jugendliche bzw. junge
Erwachsene mit einem Piercing in der Praxis vorstellen, sind in der Literatur
fast ausschließlich Falldarstellungen oder eher allgemeine Statements zum
Thema zu finden. In letzteren werden zumeist die operativen Risiken eines
oralen Piercings thematisiert, die den Zahnarzt nur im Falle von postoperativen Komplikationen betreffen. Der Stand des Wissens erschöpft sich also im
Wesentlichen in der Darstellung von Komplikationen in Einzelfällen, die sich
– ohne Anspruch auf Vollständigkeit – in fünf Kategorien aufteilen lassen:
•
Operationsrisiken bzw. postoperative Komplikationen: Schwellungen, ausgedehnte Hämatombildungen und – vor allem bei Zungenpiercings – starke Nachblutungen (zusätzlich bei unsterilem Vorgehen: Infektionen, z.B.
Hepatitis B/C)
•
Lokale Komplikationen (Implantationsort): lokale Infektionen, Nervläsionen, Fremdkörpergranulome, Narbenbildung bei Entfernung, etc.
•
Schäden an (benachbarten) Zähnen: lokale Aussprengungen an Zähnen
bzw. Restaurationen, Rissbildungen im Schmelz, Infrakturen, Höckerabscherungen, vollständige Zahnfrakturen (zusätzlich in der Nähe des Piercings: lokaler Verschleiß der Zähne)
•
Schäden am Parodont von (benachbarten) Zähnen: Behinderung der
Mundhygiene, Plaqueanlagerung und Zahnsteinbildung, Impressionen
der Mucosa bzw. Gingiva, Rezessionsbildungen, Attachmentverlust mit erhöhten Sondierungstiefen
Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 59 (2004) 3
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•
Sonstige Komplikationen: erhöhte Speichelflussrate, Interferenzen mit
der Sprachbildung, dem Schluckakt und der Kaufunktion, mögliche allergische Reaktionen (insbesondere bei Nickel-haltigen Legierungen), abhängig vom Metall: Bildung eines galvanischen Elements.
So hilfreich eine solche Auflistung für die Information von betroffenen Patienten ist, wären für den Zahnarzt eher klinisch relevante Parameter interessant
(z.B. die Auswirkungen der Größe des Piercings auf das Ausmaß und die Lokalisation der Schäden). In diesem Zusammenhang wurde der Einfluss der
Tragedauer des Piercings auf das Auftreten von Zahn- oder Gingivaschäden
untersucht. Es zeigte sich, dass bei einer Verweildauer von mehr als 2 Jahren
vermehrt Gingivaschäden in der Unterkieferfront (50% der untersuchten Patienten mit Rezessionen oder/und Impressionen) beobachtet wurden. Als
Hinweis für einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Piercing kann die
Tatsache gewertet werden, dass Rezessionen bei einem Lippenpiercing an der
vestibulären Gingiva gefunden werden, bei einem Zungenpiercing treten die
Schäden an der lingualen Gingiva auf. In einigen Fällen werden darüber hinaus erhöhte Sondierungstiefen und lokale Knochenverluste beschrieben. Bei
einer Tragedauer von mehr als 4 Jahren wurden vermehrt Schädigungen an
der Zahnhartsubstanz (47% der untersuchten Patienten) und auch an zahnärztlichen Restaurationen beobachtet (cave: Keramiken). Das Spektrum dieser
Schäden reicht dabei von kleineren (Schmelz-)Aussprengungen über Rissbildungen bis hin zu Infrakturen oder auch vollständigen Zahnfrakturen. Zudem
werden lokalen Verschleißerscheinungen („Abrasionen“) an denjenigen Zähnen beobachtet, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Piercings befinden.Obschon es sich um teilweise große Objekte aus Metall in der Mundhöhle
handelt, empfinden die Patienten oftmals keine Beeinträchtigung, da weder
die Sprachbildung noch die Schluck- oder Kaufunktion subjektiv wesentlich
behindert sind. Deshalb werden neben einer ausreichenden Information der
Patienten über mögliche Risiken und Langzeitfolgen des Piercings vor allem
auch regelmäßige zahnärztliche Kontrollen gefordert.
Empfehlung
Quellen
Piercings sind in vielen Regionen der Welt traditionell verbreitet und finden –
speziell bei jüngeren Patienten – auch in Industrienationen zunehmend Verbreitung. Angesichts dieses Phänomens ist es nicht etwa die Aufgabe des
Zahnarztes, das ästhetische Empfinden von Patienten zu beurteilen oder zu
verändern. Es ist es vielmehr ärztliche Pflicht, sich in die Lage zu versetzen,
Patienten über die mit einem oralen Piercing verbundenen Risiken aufklären
und kompetent betreuen zu können. Das bedeutet, dass Patienten, die sich
im Vorfeld einer solchen Maßnahme informieren wollen, ausführlich und
sachlich über mögliche Komplikationen, die Folgen des Piercings für die
umgebenden oralen Strukturen und ggf. auch für vorhandene Restaurationen
informiert werden sollten. Im Falle eines bereits vorhandenen Piercings sind –
über die üblichen routinemäßigen Kontrollen hinaus – engmaschige Nachkontrollen der Zähne und auch des Zahnhalteapparates notwendig, um notwendige Behandlungsmaßnahmen möglichst frühzeitig einleiten zu können.
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H. Lang, Düsseldorf
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