Nicola Fischer, Bernhard Friedrich Nahverkehrsbevorrechtigung an Lichtsignalanlagen und deren Auswirkung auf die Qualität des Verkehrsablaufs von nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern An Knotenpunkten mit Lichtsignalanlagen konkurrieren Verkehrsarten besonders innerhalb bebauter Gebiete um das Flächen- und um das Zeitangebot. Durch Maßnahmen zur Bevorrechtigung von Nahverkehrsfahrzeugen soll in dieser Konkurrenzsituation der öffentliche Personennahverkehr gefördert werden, wobei dabei in der Regel vorrangig eine Verbesserung des Verkehrsablaufs im Nahverkehr angestrebt wird. Im Zusammenspiel mit der ebenfalls geforderten Beibehaltung der Qualität des Verkehrsablaufs des Kraftfahrzeugverkehrs ergeben sich häufig weitreichende negative Auswirkungen für den Rad- und Fußgängerverkehr. 1 Problemstellung Bei der Entwicklung von Signalprogrammen ist es eine häufig übliche Vorgehensweise, sich vorrangig an den Anforderungen des Kraftfahrzeugverkehrs zu orientieren. Wird gewünscht, eine Nahverkehrsbevorrechtigung zu implementieren, ist es meist weiterhin ein Ziel, die negativen Auswirkungen für den Kraftfahrzeugverkehr möglichst gering zu halten. Damit ist es naheliegend, dass häufig nur noch wenig Möglichkeiten bestehen, den Rad- und Fußgängerverkehr in angemessener Weise zu berücksichtigen. und es können sich für den Rad- und Fußgängerverkehr an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage besonders ungünstige Bedingungen ergeben. Um diese Vermutung zu überprüfen, wurden die möglichen Auswirkungen der Bevorrechtigung von Nahverkehrsfahrzeugen an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage auf die Qualität des Verkehrsablaufs des Rad- und Fußgängerverkehrs in Form der folgenden Hypothesen zusammengestellt und untersucht: Hypothese 1: Größere Verlustzeiten für Fußgänger und Radfahrer aufgrund der Nahverkehrsbevor- rechtigung Hypothese 2: Keine zeitliche Optimierung für Fußgänger und Radfahrer beim Passieren des Kno- tenpunkts möglich Hypothese 3: Verringerung der Akzeptanz der Lichtsignalanlage Hypothese 4: Behinderung der Fahrgäste des öffentlichen Personennahverkehrs Die Hypothesen dienten als wesentliche Grundlage für die Bearbeitung der Thematik. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stand die Frage, ob diese Hypothesen tatsächlich vorhandene Tatbestände widerspiegeln oder nur subjektiv geprägte Meinungsbilder sind. Ausgehend von der breiten Datenbasis, die im Zuge der Hypothesentests gewonnen werden konnte, war es ein weiteres Ziel dieser Untersuchung, zum einen die bislang unscharfe Definition der Bevorrechtigungsstrategien von Nahverkehrsfahrzeugen [3] klar zu fassen sowie zum anderen die Verfahren für die Beurteilung der Qualität des Verkehrsablaufs im Rad- und Fußgängerverkehr an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage im Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen [2] zu überarbeiten. 1 2 Stand der Praxis Die Bevorrechtigung des Nahverkehrs ist ein wichtiges Instrumentarium zur Steuerung des Verkehrs in Städten. Die "Absolute Bevorrechtigung" des Nahverkehrs strebt eine freie Fahrt ohne Halt an Lichtsignalanlagen an. Verkehrliche und umfeld- bzw. städtebaubezogene Randbedingungen sind entweder von untergeordneter Bedeutung oder es werden Beeinträchtigungen in Kauf genommen. Die "Bedingte Bevorrechtigung" wägt in jedem Fall ab, ob eine Bevorrechtigung des Nahverkehrs sinnvoll ist oder nicht. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die absolute Bevorrechtigung entsprechend dieser Definition fast nie vorkommt, sondern dass meist bestimmte Randbedingungen gewahrt werden (z. B. feste Umlaufzeiten an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage). Die Benennung der verwendeten Bevorrechtigungsstrategie hängt in den meisten Fällen mehr von der politischen Situation in den betrachteten Städten und dem jeweiligen Stellenwert des Nahverkehrs ab als von der tatsächlichen Bevorrechtigung. Die Einsatzempfehlungen, die die “Hinweise zur Bevorrechtigung des öffentlichen Personennahverkehrs bei der Lichtsignalsteuerung“ [3] für die verschiedenen Bevorrechtigungsarten geben, sind entsprechend der nachstehenden Tabelle definiert. Auch hier können sich Handlungsunsicherheiten ergeben, da die Kriterien nur qualitativ bewertet werden und keine Empfehlungen für den Fall unterschiedlicher Ergebnisse bei verschiedenen Kriterien vorliegen. Fußgänger und Radfahrer werden nur hinsichtlich einer möglichen Koordinierung berücksichtigt, weitere Kriterien wie Verkehrsstärken im nichtmotorisierten Verkehr oder Aufstellräume fließen nicht in die Betrachtung ein. Weiterhin hat sich aus Expertengesprächen ergeben, dass die Entscheidung für eine Bevorrechtigungsstrategie in der Regel nicht für einzelne Knotenpunkte getroffen wird, sondern für das gesamte Planungsgebiet gilt. Die Bedeutung dieser Tabelle in der Praxis ist deshalb als sehr gering einzustufen. Abb. 1: Einsatzempfehlungen für die bedingte und die absolute Nahverkehrsbevorrechtigung [3] 2 Bedeutendstes Regelwert für die Steuerung von Lichtsignalanlagen sind die Richtlinien für Lichtsignalanlagen [4], in denen die möglichen Steuerungsverfahren erläutert und Empfehlungen für deren Umsetzung gegeben werden. Mit zunehmender Verkehrsabhängigkeit und Flexibilität des Steuerungsverfahrens nehmen die Möglichkeiten einer besonderen Berücksichtigung von Nahverkehrsfahrzeugen zu. Es gilt inzwischen als erwiesen, dass die Berücksichtigung von Nahverkehrsfahrzeugen in einer grünen Welle möglich ist. Auch wenn die Nahverkehrslinie quer zu der grünen Welle verläuft, gilt ein gewisser Grad an Beschleunigung als erreichbar. [6] Die Wartezeiten für Fußgänger sind nach Möglichkeit kleiner als 60 s zu halten. Ansonsten wird entsprechend einiger Literaturquellen eine Erhöhung der Rotlaufbereitschaft vermutet [1] [4]. Gibt es an einem Knotenpunkt hintereinanderliegende Furten, bieten sich verschiedene Schaltungen (simultane, progressive oder getrennte Schaltung) an. Welche dieser Varianten zu wählen ist, hängt von vielfältigen Randbedingungen ab und ist im Einzelfall zu entscheiden. Die Qualität des Verkehrsablaufs von Fußgängern und Radfahrern an Lichtsignalanlagen wird entsprechend dem Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen [2] anhand der Wartezeit beurteilt. Dabei gelten für den Rad- und Fußgängerverkehr unterschiedliche Grenzwerte. Die erforderlichen Grenzwerte für das Erreichen einer Qualitätsstufe des Verkehrsablaufs für den Fußgängerverkehr werden für den Fall, dass mehrere Furten hintereinander zu begehen sind, für alle Qualitätsstufen um 5 s erhöht. Weiterhin wird in Kapitel 11 des HBS („Anlagen für den Fußgängerverkehr“) ein Verfahren vorgestellt, mit dem die Qualität des Verkehrsablaufs von Fußgängern an Straßenecken mit Lichtsignalanlage oder an signalisierten Überwegen bestimmt werden kann. Eingangsgrößen sind die Kennwerte der Lichtsignalanlage (Umlaufzeit und Freigabezeiten für die einzelnen Fußgängerfurten), die Verkehrsstärken über die Furten sowie auf den angrenzenden Gehwegen und geometrische Größen, damit das Flächenangebot für die Fußgänger bestimmt werden kann. Ergebnis dieses Verfahrens ist die Beurteilung der Fußgängerverkehrsanlage aufgrund der durchschnittlichen Dichte für die betrachtete Straßenecke. Die im HBS definierten Grenzwerte für Fußgängerqualitäten aufgrund der Dichte werden für die Fälle der Bewegung und der Wartesituation getrennt beurteilt. 3 Methodik der Untersuchungen Um die aufgestellten Hypothesen zu testen, wurden in einer ersten Phase aufbauend auf einer Literaturanalyse und Gesprächen mit Experten die möglichen Knotenpunktgrundformen typisiert und die oben vorgestellten Hypothesen konkretisiert. Aus der Typisierung der Knotenpunkte ergaben sich Kriterien für die Auswahl der zu untersuchenden Knotenpunkte. Insgesamt wurden Knotenpunkte in sechs verschiedenen Städten untersucht. Parallel dazu wurde die Methodik für die empirischen Untersuchungen in Pilotstudien getestet. An den relevanten Knotenpunkten wurden in der zweiten Phase empirische Untersuchungen zum Verkehrsablauf und zur Verkehrssicherheit durchgeführt und die Ergebnisse aufbereitet. Die Untersuchungen bestanden aus der Beobachtung des Verkehrsablaufs mit der Videotechnik. Ergänzend dazu wurden die Signalprogrammprotokolle der Lichtsignalanlage aufgezeichnet. Damit war dann für jede Sekunde der genaue Schaltzustand bekannt und es lagen weiterhin die Informationen über die Anmeldung von Nahverkehrsfahrzeugen vor. Daran anschließende Simulationen ermöglichten, die Datengrundlage auf 3 nicht untersuchte Anwendungsfälle zu erweitern. Durch die Variation einzelner Parameter, konnte dann auch deren Einfluss kenntlich gemacht werden. Die gefundenen Ergebnisse konnten abschließend zu Empfehlungen zusammengefasst werden. Damit diese eine möglichst hohe Allgemeingültigkeit und Akzeptanz erhalten, wurden sie in verschiedenen Gremien erneut diskutiert und gegebenenfalls modifiziert. 4 Ergebnisse der empirischen Untersuchungen Die Untersuchungsmethodik hat sich direkt aus den Hypothesen begründet. Aus diesem Grund werden die Ergebnisse im Folgenden auch jeweils entsprechend der Hypothesen zusammengestellt. Hypothese 1: Größere Verlustzeiten für Fußgänger und Radfahrer Es kann bestätigt werden, dass die Verlustzeiten der Fußgänger und Radfahrer in den meisten Fällen unter dem Einfluss der Nahverkehrsbevorrechtigung steigen. Die Sperrzeiten der Fußgängerfurten quer zur Nahverkehrsrichtung wurden anhand der Signalprogrammprotokolle in 15 min-Intervallen ermittelt. In Abbildung 2 sieht man für die Untersuchungsstellen jeweils die Spanne der maximalen Sperrzeiten dieser Intervalle sowie die durchschnittliche Sperrzeit. Besonders auffallend ist, dass unter dem Einfluss der Nahverkehrsbevorrechtigung deutlich größere Schwankungen der Sperrzeiten auftreten. Weiterhin ist festzustellen, dass der durchschnittliche Erwartungswert der Wartezeit an allen Untersuchungsstellen unter dem Einfluss des Nahverkehrs von 30 s auf 39 s steigt. Abb. 2: Verteilung der Sperrzeiten an den untersuchten Furten in den verschiedenen Untersuchungsstädten Die Begründung für diese langen Sperrzeiten sind zumeist steuerungstechnischer Natur. Dies hat insbesondere auch die Simulation gezeigt. In vielen Fällen konnten die Sperrzeiten der Fußgängerfurten verkürzt werden, ohne eine Verschlechterung der Nahverkehrsbevorrechtigung zu bewirken. Einige Simulationsergebnisse, die diese Aussage durch den Vergleich unterschiedlicher Steuerungen verdeutlichen, sind in Abbildung 3 zu sehen. Jedes Datenpaar charakterisiert dabei einen Simulationslauf mit veränderten Parametern bezüglich maximaler Wartezeiten. Markiert ist jeweils das dem IST-Zustand entsprechende Datenpaar. Während bei dem Knotenpunkt 1 durch eine Verkürzung der Wartezeiten der 4 Fußgänger, die Standzeiten der Nahverkehrsfahrzeuge sofort steigen, ist diese Tendenz bei den Furten 1 und 2 des Knotenpunkts 2 erst bei sehr viel stärkeren Kürzungen zu erkennen. Knotenpunkt 3 hingegen zeigt wiederum eine andere Tendenz: In diesem Fall bewirkt eine Reduzierung der Verlustzeiten der Fußgänger auch eine Reduzierung der Standzeiten der Nahverkehrsfahrzeuge. Die Steuerung des Knotenpunkts 4 ist bereits so ausgereift, dass Änderungen in der Logik keine Verbesserung für eine der betrachteten Verkehrsarten bewirken. Abb. 3: Zusammenhang zwischen den Wartezeiten der Nahverkehrsfahrzeuge und der Fußgänger Hypothese 2: Keine zeitliche Optimierung für Fußgänger und Radfahrer beim Passieren des Knotenpunkts möglich Die Qualität von Übereckbeziehungen wird in einigen Fällen durch den Eingriff von Nahverkehrsfahrzeugen verschlechtert. Andere Beispiele mit ähnlichen Randbedingungen zeigen jedoch, dass dies vermeidbar ist. Die Koordinierung hintereinanderliegender Furten ist nicht in allen Fällen sinnvoll oder möglich. Ist dies jedoch der Fall, zeigt sich ebenfalls, dass sich die Qualität der Koordinierung durch den Eingriff von Nahverkehrsfahrzeugen nicht zwangsläufig verschlechtert. Hypothese 3: Verringerung der Akzeptanz der Lichtsignalanlage Diese Hypothese ist durch die Untersuchung widerlegt worden. Das Überquerungsverhalten abseits der Furt hängt nicht von der zu erwartenden Wartezeit oder der Verkehrsstärke ab, sondern wird maßgeblich durch umfeldbezogene und entwurfstechnische Randbedingungen beeinflusst. Der Anteil der Rotläufer beträgt 26 % und ist wie in Abbildung 4 zu sehen ist, nicht abhängig von der durchschnittlichen Sperrzeit der Furt. Es ist jedoch eine gewisse Abhängigkeit von der Verkehrsstärke zu erkennen: Während im höchsten Verkehrsstärkebereich fast durchgängig ein sehr geringer Anteil Rotläufer auftritt, ist die Anzahl der Überquerungen der Furt während der Sperrzeit nur in den Fällen besonders hoch, in denen niedrigere Verkehrsstärken vorliegen. 5 Abb. 4: Zusammenhang zwischen der Sperrzeit und der Verkehrsstärke mit der Anzahl der Rotläufer Die Bereitschaft für das Überqueren der Furt während der Sperrzeit steigt nicht mit der Länge der Wartezeit. In Abbildung 5 ist die Gesamtzahl von Wartenden in Wartezeitklassen sowie der Anteil der Rotläufer an allen Wartenden dieser Klassen für die Gesamtheit der Untersuchungsstellen zu sehen. Sowohl die absolute Zahl der Rotläufer sinkt bei höheren Wartezeiten als auch der anteilige Wert. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei der Betrachtung einzelner Knotenpunkte. Dieses auf den ersten Blick erstaunliche Ergebnis lässt sich vor allem aufgrund der Einzelfallbetrachtungen leicht erläutern. Der hohe Anteil der Rotläufer, die maximal 5 s gewartet haben, gehört zu den Personen, die eigentlich immer das Rotlicht missachten. Sie können auch als notorische Rotläufer bezeichnet werden. Ab einer gewissen Wartezeit wird dann in der Regel davon ausgegangen, dass die Furt bald freigegeben wird und die Regelmissachtung keine bedeutenden Vorteile mit sich bringt. Abb. 5: Wartende Personen in Wartezeitklassen und Anteil der Rotläufer 6 Hypothese 4: Behinderung der Fahrgäste des öffentlichen Personennahverkehrs An einigen Untersuchungsstellen kann beobachtet werden, dass die Nahverkehrskunden ohne Rotlichtmissachtung nicht das Nahverkehrsfahrzeug erreichen können. In diesen Fällen nimmt die Rotlaufbereitschaft deutlich zu. Wie auch in Abbildung 6 zu sehen ist, betrifft dies vor allem Wartevorgänge, die mehr als 30 s gedauert haben. Dadurch entsteht ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential. Abb. 6: 5 Anteil der Rotläufer, die ein Nahverkehrsfahrzeug erreichen wollen, und Wartezeitklasse Empfehlungen für die Bestimmung der Qualität des Verkehrsablaufs von Fußgängern und Radfahrern an Lichtsignalanlagen Für die Bestimmung der Qualität des Verkehrsablaufs von Fußgängern und Radfahrern wurden die im Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen in verschiedenen Abschnitten behandelten Verfahren in dem in Abbildung 7 vorgestellten Formblatt zusammengefasst. Die zu betrachtenden Einflussgrößen sind die Dichte auf der Wartefläche und auf der Furt sowie die Wartezeit. Jedes dieser Kriterien wird in einem gesonderten Block des Formblatts berechnet. Im Anschluss daran findet sich jeweils die Quantifizierung der Beurteilungskriterien. Es wird hier von der im HBS empfohlenen Vorgehensweise der Bestimmung der Dichte an einer Straßenecke abgewichen, da dieses Verfahren wesentlich mehr Eingangsgrößen benötigen würde (Fußgängerverkehrsstärken über beide angrenzende Furten sowie entlang des Gehwegs; sämtliche geometrische Randbedingungen). Diese Werte liegen in der Praxis jedoch selten vor und sind sehr aufwändig zu erheben. Weiterhin ist es fraglich, inwieweit die gleichzeitige Belegung der Warteflächen von übereckliegenden Furten betrachtet werden muss, da diese aufgrund der Signalschaltung nie gleichzeitig ihre maximale Dichte erreichen. Weiterhin sind die Warteflächen in der Regel nur in ihren Randbereichen deckungsgleich. Es wird als nicht sinnvoll erachtet, für den Radverkehr gesonderte Grenzwerte zu bestimmen, wie es im HBS für die Wartezeit vorgesehen ist. Stattdessen wird empfohlen, den Radverkehr entsprechend der Führungsform entweder mit dem Kraftfahrzeugverkehr oder mit dem Fußgängerverkehr gemeinsam zu beurteilen. Bei einem hohen Radverkehrsanteil im Seitenraum sind gegebenenfalls die Qualitätsstufen 7 der Dichten anzupassen. Abb. 7: 6 Formblatt für die Beurteilung einer Furt [5] Empfehlungen für die Definition von Bevorrechtigungsstrategien Die Bevorrechtigung des Nahverkehrs wird entsprechend der Qualität des Verkehrsablaufs des Nahverkehrs und der Qualität des Verkehrsablaufs des Kraftfahrzeugverkehrs definiert. Dabei werden zwei Fälle unterschieden: Die Variante, in der das Nahverkehrsfahrzeug auf einem eigenen Fahrweg geführt wird, und die Variante, dass die Nahverkehrsfahrzeuge mit dem Kraftfahrzeugverkehr gemeinsam den Straßenraum nutzen. In der Variante Nahverkehr auf eigenem Fahrweg wird durch bauliche Maßnahmen eine sehr hohe 8 Beförderungsgeschwindigkeit angestrebt. Störungen auf der Strecke sind kaum zu verzeichnen, der größte Teil der Verlustzeiten entsteht direkt an der Lichtsignalanlage. Die Verlustzeiten sind gering zu halten, damit der hohe finanzielle Aufwand für die Erstellung des eigenen Fahrwegs gerechtfertigt ist. Daraus folgt, dass für das Erreichen einer absoluten Bevorrechtigung das Maß für die Qualität des Verkehrsablaufs (kurz: MQV) gleich A sein muss. Bei Erreichung des MQV B wird die Bevorrechtigung als bedingt bezeichnet. Dabei kann dann auch der Fall auftreten, dass der Kraftfahrzeugverkehr mit MQV A beurteilt wird und der Nahverkehr mit einer schlechteren Qualitätsstufe. Diese Diskrepanz relativiert sich jedoch durch die unterschiedlichen Grenzwerte für die verschiedenen Verkehrsarten, die ein MQV A im Kraftfahrzeugverkehr bis zu einer mittleren Verlustzeit von 20 s benennen, ein MQV B im Nahverkehr jedoch nur bis zu einer mittleren Verlustzeit von 15 s. Die zulässige Verlustzeit ist also bei Nahverkehrsfahrzeugen auch im Fall der bedingten Bevorrechtigung immer geringer als bei Kraftfahrzeugen. Für den Fall Nahverkehr ohne eigenen Fahrweg, also wenn die Nahverkehrsfahrzeuge gemeinsam mit dem Kraftfahrzeugverkehr geführt werden, ist es in der Praxis nicht sinnvoll, die oben genannten sehr strengen Richtwerte für die Bevorrechtigungsstufen anzuwenden. Sinnvoller ist es, eine differenziertere Definition entsprechend Abbildung 8 zu wählen. Dabei liegt das Prinzip zugrunde, dass das Maß für die Qualität des Verkehrsablaufs für jede Verkehrsart eingehalten werden soll und dass die Maße der Qualitäten des Verkehrsablaufs in der Regel um nicht mehr als zwei Stufen und maximal drei Stufen voneinander abweichen sollten. Dies bedeutet, dass Planungen zu vermeiden sind, die eine zu geringe Kapazität erzielen oder die eine Verkehrsart im Vergleich zu den anderen Verkehrsarten zu stark in den Vordergrund stellen. Dabei muss natürlich beachtet werden, dass eine Verschlechterung der Qualität des Verkehrsablaufs der als besser beurteilten Verkehrsart keine Verbesserung für die Gesamtbeurteilung bewirkt, solange keine Verbesserung für die anderen Verkehrsarten mit dieser Maßnahme erzielt wird. Bei der Einteilung in Bevorrechtigungsstrategien liegt die Überlegung zugrunde, dass die mittleren Verlustzeiten der Nahverkehrsfahrzeuge nie länger als die Verlustzeiten der Kraftfahrzeuge sein sollen. Zusätzlich ist die Belastung des Knotenpunkts in die Überlegung einzubeziehen. So ist bei eher gering ausgelasteten Knotenpunkten (bis MQVKfz B) eine mittlere Wartezeit von 5 s für Nahverkehrsfahrzeuge nicht zu überschreiten, wenn eine „Absolute Bevorrechtigung“ entsprechend dieser Definition erreicht werden soll. Für das Erreichen einer „Bedingten Bevorrechtigung“ ist im Nahverkehr die Einhaltung der jeweils höheren Qualitätsstufe zu gewährleisten. Bei höher belasteten Knotenpunkten steigen die zulässigen Grenzwerte für die maximalen Nahverkehrsverlustzeiten für das Erreichen eines Bevorrechtigungsgrads an. 9 Abb. 8: Definition von Bevorrechtigungsstrategien für den Fall von Nahverkehr ohne eigenen Fahrweg [5] Wie in Abbildung 8 zu sehen ist, korrespondieren die im HBS getroffenen Einteilungen für empfohlene Qualitätsstufen in vielen Fällen nicht mit den Bevorrechtigungsstufen. Den hier vorgestellten Empfehlungen liegt das Prinzip zugrunde, dass das Maß für die Qualität des Verkehrsablaufs für jede Verkehrsart eingehalten werden soll und dass die Maße der Qualitäten des Verkehrsablaufs in der Regel um nicht mehr als zwei Stufen und maximal drei Stufen voneinander abweichen sollten. Dies bedeutet, dass Planungen zu vermeiden sind, die eine zu geringe Kapazität erzielen oder die eine Verkehrsart im Vergleich zu den anderen Verkehrsarten zu stark in den Vordergrund stellen. Dabei muss natürlich beachtet werden, dass eine Verschlechterung der Qualität des Verkehrsablaufs der als besser beurteilten Verkehrsart keine Verbesserung für die Gesamtbeurteilung bewirkt, solange keine Verbesserung für die anderen Verkehrsarten mit dieser Maßnahme erzielt wird. Besonders stark fällt dies für die Fälle hochbelasteter Verkehrsanlagen auf, also wenn die Qualität des Verkehrsablaufs für den Kraftfahrzeugverkehr schlechter als E ist, aber die Qualität des Verkehrsablaufs für den Nahverkehr so gut ist, dass eine „Absolute Bevorrechtigung“ erreicht wird. Durch das Abwägungsgebot zwischen den Qualitäten des Verkehrsablaufs der einzelnen Verkehrsteilnehmer stellt die Definition der Bevorrechtigung eine Einsatzempfehlung für die Anwendung der verschiedenen Bevorrechtigungsstufen dar. Verschiedene Randbedingungen haben Einfluss auf die Qualität des Verkehrsablaufs und fließen so in die Betrachtung ein. Weiterhin hat es sich vor allem aufgrund der Erkenntnisse aus den Expertengesprächen als zweckmäßig erwiesen, die Bevorrechtigungsstrategie nicht nur aufgrund der Betrachtung eines Einzelknotenpunkts zu wählen. Für die Zukunft erscheint es sinnvoll, ein Instrumentarium zu entwickeln, welches die Entscheidung für eine Bevorrechtigungsstufe aufgrund einer linien-, system- oder sogar ortsbezogenen Betrachtung vorbereitet. Die Analyse des Einzelknotenpunkts ist dann als ergänzendes Instrument zu sehen. 10 Literatur [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Berücksichtigung des Fußgängerverkehrs an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlagen; in: Straße und Autobahnen 34 (1983), Heft 4, S. 156 – 161 [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen; Köln 2001 [3] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Hinweise zur Bevorrechtigung des öffentlichen Personennahverkehrs bei der Lichtsignalsteuerung; Köln 1993 [4] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA); Köln 1992 [5] Friedrich, Bernhard; Fischer, Nicola: Nahverkehrsbevorrechtigung an Lichtsignalanlagen unter besonderer Berücksichtigung des nichtmotorisierten Verkehrs; Heft V 92 der Reihe Verkehrstechnik der Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach 2002 [6] SSP Consult Beratende Ingenieure GmbH: Probleme, Zielkonflikte und Lösungsstrategien einer ÖPNV-Priorisierung bei „Grüner Welle“ und einer Optimierung der Reihenfolgeplanung bei ÖPNV-Knotenpunkten; Stuttgart 1999 11