Foto: bilderbox.com DFPFORTBILDUNG Diabetes mellitus und Demenzrisiko PD DR. D. KOPF Klinik für Geriatrie, Kath. Marienkrankenhaus, Alfredstr. 9, 22087 Hamburg E-Mail: [email protected] INHALT Diabetes mellitus als Risikofaktor Stoffwechselstörungen und Pathogenese der Demenz Prävention der Demenz bei Diabetikern Screening und Diagnostik der Demenz bei Diabetikern Therapie von Diabetes und Demenz Therapeutische Ansätze für die Zukunft Fazit für die Praxis LECTURE BOARD Prim. Dr. Christian Schelkshorn 1. Med. Abteilung Stoffwechselambulanz, LK Korneuburg/Stockerau Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner Ärztliche Direktorin Landeskrankenhaus Hochzirl, Tirol ÄRZTLICHER FORTBILDUNGSANBIETER Ärztekammer für Niederösterreich, Wipplingerstraße 2, 1010 Wien REDAKTIONELLE BEARBEITUNG Mag. Ingo Schlager Eine Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich. Der Originalartikel ist erschienen in „Der Internist“, Ausgabe 5/2015 Punkte sammeln auf... SpringerMedizin.at Das DFP-Literaturstudium ist Teil des Diplom-Fortbildungs-Programms (DFP) der Österreichischen Ärztekammer und ermöglicht qualitätsgesicherte Fortbildung durch das Studium von Fachartikeln nach den Richtlinien des DFPs. DFP-Punkte online, per Post, Fax oder E-Mail Der Multiple-Choice-Fragebogen des DFP kann bis zum 30. April 2017 eingereicht werden: • Online: Für eingeloggte User steht der Beitrag und der Fragebogen unter www.springermedizin.at/fortbildung/ zur Verfügung. • per Post: Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien • per Fax: +43 1 330 24 26 • per E-Mail (eingescannter Test) an: [email protected] Approbation Diese Fortbildungseinheit wird mit 2 DFP-Punkten approbiert. Die Fortbildungspunkte werden rasch und unkompliziert mit Ihrer ÖÄK-Nummer elektronisch verbucht. Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH Springer Medizin Susanna Hinterberger [email protected] SpringerMedizin.at © Springer Verlags GmbH 2016 CONSILIUM 11/16 41 DFPFORTBILDUNG Diabetes mellitus und Demenzrisiko D Darüber hinaus führt eine Insulinresistenz von Neuronen und Gliazellen zur Entstehung toxischer Stoffwechselprodukte wie Amyloid und Phospho-τ. Der kognitiven Störung bei Morbus Alzheimer geht häufig ein Gewichtsverlust voraus, stabil auf Insulin oder insulinotrope orale Antidiabetika eingestellte Diabetiker haben daher ein hohes Risiko schwerer Hypoglykämien, die dann zu einer weiteren Verschlechterung der Hirnfunktion führen. Diabetiker mit unerklärtem Gewichtsverlust, gehäuften Hypoglykämien und subjektiven Gedächtnisbeschwerden müssen daher auf das Vorliegen einer Demenz untersucht werden. Wenn eine Demenz vorliegt, ändern sich die Ziele der Diabetesbehandlung. Die Vermeidung von Hypoglykämien hat Vorrang vor dem Ziel einer strengen Stoffwechseleinstellung. Gewichtsverlust verschlechtert den Verlauf einer Demenz, daher muss ein Gewichtsverlust vermieden werden. Ob eine strenge medikamentöse Blutzuckereinstellung im mittleren Lebensalter präventiv wirkt, ist bislang unbekannt. Dagegen wirken körperliche Aktivität, eine Ernährung, wie sie auch zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen empfohlen wird, höhere Bildung und geistige Betätigung präventiv. Diabetes mellitus als Risikofaktor Blutzucker und Demenzrisiko Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, ist bei Diabetikern fast verdoppelt. Besonders für die häufigste Form der Demenz, den Morbus Alzheimer, ist dieser Zusammenhang in prospektiven Studien gesichert. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Höhe des HbA1C -Werts und dem Demenzrisiko. In einer Studie an Patienten in Hausarztpraxen hatten Patienten mit einem HbA1C -Wert > 6,5 % ein um den Faktor 2,8 erhöhtes Demenzrisiko, bei einem HbA1C-Wert > 7 % stieg es schon um den Faktor 5. Selbst bei Menschen ohne Diabetes, aber mit hochnormalen Blutzuckerwerten ist das Demenzrisiko im Vergleich zu Menschen mit niedrignormalem Blutzucker erhöht. 42 CONSILIUM 11/16 Foto: bilderbox.com iabetes mellitus, insbesondere der Typ 2, ist ein Risikofaktor für eine Demenzerkrankung. Das gilt für die Alzheimer- wie auch für die vaskuläre Demenz. Mitverantwortlich sind eine Schädigung der hirnversorgenden Gefäße durch den Diabetes mellitus und begleitende Risikofaktoren sowie eine Schädigung des Gehirns durch die milde chronische Entzündungskonstellation, die im Rahmen der Insulinresistenz auftritt. Insulinresistenz, Hypertonie und Adipositas Bisherige Studien unterscheiden nicht zwischen Typ-1- und Typ2-Diabetes, wobei naturgemäß überwiegend Typ-2-Diabetiker eingeschlossen wurden. Mehrere prospektive Studien zeigen, dass Störungen, die typischerweise mit einem Typ-2-Diabetes assoziiert sind, ebenfalls das Demenzrisiko erhöhen, so etwa Insulinresistenz (gemessen mittels HOMA), Adipositas im mittleren Lebensalter und arterielle Hypertonie. Dies spricht dafür, dass der Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und Demenz nicht ausschließlich durch eine schädliche Wirkung des erhöhten Blutzuckerspiegels erklärt werden kann. Paradoxerweise ist im höheren Lebensalter Untergewicht ein starker Prädiktor einer Demenz. Übergewicht und Adipositas erhöhen das Risiko einer Demenz im höheren Lebensalter dagegen nicht. Dies kann dadurch erklärt werden, dass Patienten, die an einer Demenz erkranken, häufig in den Jahren vor der klinischen Manifestation der kognitiven Störung deutlich an Gewicht abnehmen, wahrscheinlich als erstes Symptom einer Demenz. DFPFORTBILDUNG Hypoglykämie und Demenz In einer epidemiologischen Studie, die auf Kostenträgerdaten beruht und daher nur schwerere hypoglykämische Ereignisse erfasst, ist bereits nach einer einzigen hypoglykämischen Episode das Risiko erhöht, in der Folge an einer Demenz zu erkranken. Zwischen Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes wurde nicht differenziert, sodass die überwiegende Mehrheit der Studienklientel aus Typ-2-Diabetikern bestehen dürfte. Im Kontrast hierzu findet sich in einer späten Auswertung der DCCT-/EDICStudie, die nur Typ-1-Diabetiker einschloss, kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko kognitiver Einschränkungen nach häufigen Hypoglykämien. Für diese Diskrepanz gibt es zwei mögliche Erklärungen: Einerseits könnte das zentrale Nervensystem bei Patienten mit Insulinresistenz erheblich anfälliger für Schädigungen durch Hypoglykämien sein als bei Patienten mit reinem Insulinmangel. Zum anderen ist ein Zusammenhang mit Gewichtsverlust naheliegend. Patienten, die zuvor stabil auf eine antidiabetische Medikation eingestellt waren, haben ein erhöhtes Hypoglykämierisiko, wenn sie im Vorfeld der klinischen Manifestation einer Demenz an Gewicht verlieren. Dadurch ereignen sich im Prodromalstadium der Demenz Hypoglykämien wesentlich häufiger. Hypoglykämien bei zuvor gut eingestellten Typ-2-Diabetikern wären also nicht im engeren Sinn ein Risikofaktor, an einer Demenz zu erkranken, sondern bereits ein erstes Symptom einer noch subklinischen Demenz. Stoffwechselstörungen und Pathogenese der Demenz Der enge epidemiologische Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus, kardiovaskulären Risikofaktoren und Demenz legt auch eine pathogenetische Verbindung nahe. Neben Mechanismen einer vaskulären Hirnschädigung muss dabei an Störungen des neuronalen Energiestoffwechsels im Zusammenhang mit einer Insulinresistenz gedacht werden, die im Gehirn durch die erschwerte Verfügbarkeit von energiereichen Substraten zu einem Untergang von Synapsen und Nervenzellen führen. Glukose und Insulinwirkung im Gehirn Das Gehirn benötigt in Ruhe etwa 20 % der Energie des Körpers, und zwar ausschließlich in Form von Glukose oder Laktat. Daneben benötigt es Glukose zur Synthese von Transmittern wie Acetylcholin und von Membranbestandteilen. Entsprechend ist das Gehirn reich mit Glukosetransportern ausgestattet, auch mit den insulinabhängigen Formen GLUT-4 und GLUT-8. Insulinrezeptoren und zugehörige Second-Messenger-Systeme sind im Gehirn ebenfalls stark exprimiert, besonders stark im Hippocampus, der eine zentrale Eintrittspforte für neue Informationen ins Gedächtnis darstellt. Eine Fehlregulation des Insulin- und Glukosestoffwechsels im Gehirn spielt auch eine wichtige Rolle in Prozessen, die zur Neurodegeneration führen. Pathogenese der Neurodegeneration In Gehirnen von Alzheimer-Patienten finden sich histologisch Amyloidplaques und neurofibrilläre Bündel, deren typische Bestandteile die Stoffwechselabfallprodukte β-Amyloid (Aβ) bzw. hyperphosphoryliertes τ-Protein (Phospho-τ) sind. τ-Protein dient der Stabilisierung des Zytoskeletts, das in Nervenzellen aufgrund ihrer verzweigten Struktur eine besondere Bedeutung hat. Nicht nur zur Bildung und Stabilisierung von neuen Synapsen und damit zur Speicherung von neuen Informationen ist der rasche Auf- und Umbau des Zytoskeletts wichtig. Auch Mitochondrien, die vom Zellkern entfernte Bereiche der Nervenzelle mit Energie versorgen, nutzen das Zytoskelett gleichsam als Transportschiene. Die Regulation des τ-Proteins erfolgt durch Phosphorylierung. Eine überschießende Phosphorylierung zu Phopsho-τ macht das τ-Protein unbrauchbar. Aβ entsteht durch Spaltung von „amyloid precursor protein“ (APP) und neigt zur Aggregation zu neurotoxischen Oligomeren. Physiologisch ist APP in die Bildung von Synapsen, aber auch in die Bildung von Kontakten mit Gliazellen und damit in die Energieversorgung und das Wachstum von Nervenzellen involviert. Die Spaltung von APP erfolgt auch auf anderen Stoffwechselwegen, die zu nichtamyloidogenen Spaltprodukten führen und wahrscheinlich für die physiologischen Funktionen von APP mitverantwortlich sind. Eine vermehrte Beschreitung des Stoffwechselwegs zu Aβ weist möglicherweise auf einen gestörten neuronalen Energiestoffwechsel hin. Damit wäre die Bildung von Aβ sowohl ein Marker einer neuronalen Stoffwechselstörung als auch per se ein toxischer Prozess, der den Zelluntergang beschleunigt. Die chronische Entzündungskonstellation, die für klinische Syndrome mit Insulinresistenz typisch ist, führt auch im Gehirn zu einer gestörten Insulinsignaltransduktion. Die Folge ist ein Verlust von Synapsen und letztlich ein Abbau kognitiver Funktionen. Bei Diabetikern scheint die kognitive Einschränkung v. a. die kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit und die exekutiven Funktionen zu betreffen, also die Fähigkeit, komplexe Handlungsabläufe sinnvoll zu planen und in organisierter Form umzusetzen. CONSILIUM 11/16 43 DFPFORTBILDUNG Prävention der Demenz bei Diabetikern Leider gibt es bislang keine Evidenz, dass die medikamentöse Senkung des Blutzuckers bei Diabetikern das Risiko senkt, an einer Demenz zu erkranken. Die einzige Studie, die dies prospektiv untersucht hat, nämlich eine Studie an der ACCORDPopulation, konnte einen Nutzen nicht belegen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Hypoglykämien in der Interventionsgruppe die Ergebnisse verschleiert haben. Möglicherweise war die Nachbeobachtungszeit auch zu kurz und die Erkrankung in der Population schon zu weit fortgeschritten. Dagegen liegen zunehmend Daten vor, die belegen, dass durch körperliche Aktivität und eine mediterrane Kost das Demenzrisiko vermindert wird. Präventiv wirken auch geistige Aktivität, Bildung, das Pflegen sozialer Kontakte, ehrenamtliches Engagement sowie die ausreichende Versorgung mit Folsäure und Vitamin D. Screening und Diagnostik der Demenz bei Diabetikern Ein Demenzscreening sollte durchgeführt werden, wenn •der Patient oder nahe Bezugspersonen kognitive Einschränkungen vermuten, •Gewichtsverlust auftritt, •Hypoglykämien gehäuft oder erstmals auftreten, •der HbA1C-Wert abfällt, ohne dass das Behandlungsregime sich geändert hat (Hinweis auf unbemerkte Hypoglykämien) und •im Praxisalltag Hinweise auf kognitive Störungen entdeckt werden (vergessene Termine, zunehmende Unsicherheit im Selbstmanagement u. a.). Für Diabetiker wurden keine besonderen Screeningverfahren entwickelt. Daher sollten die gleichen Testverfahren wie bei Stoffwechselgesunden eingesetzt werden. Neben dem inzwischen lizenzpflichtigen Standardverfahren Mini Mental State Examination (MMSE) und dem wesentlich kürzeren Uhrentest ist das modernere, frei verfügbare Montreal Cognitive Assessment (MoCA) empfehlenswert; bei gut vertretbarem Aufwand liefert es ein sehr präzises Bild. Das Testmaterial sowie ausführliche Informationen zu Anwendung und Aussagekraft finden sich frei verfügbar unter http://www.mocatest.org. Weiter abklärungsbedürftig sind in der MMSE Werte < 27, im MoCA Ergebnisse < 26. 44 CONSILIUM 11/16 Da der Diabetes mellitus insbesondere exekutive Funktionen betrifft, eignet sich auch der Geldzähltest (siehe Infobox). Das Testergebnis wird nicht nur von der kognitiven Leistungsfähigkeit, sondern auch von der manuellen Geschicklichkeit beeinflusst. Das ist bei Diabetikern allerdings eher ein Vorteil, da so auch eingeschätzt werden kann, ob ein Patient in der Lage ist, mit Blutzuckermessgeräten oder Insulininjektionsgeräten sicher umzugehen. Wenn sich im Screening der Verdacht auf eine Demenz erhärtet, ist eine ausführliche Diagnostik erforderlich. Diese folgt den gleichen Regeln wie bei Nichtdiabetikern. Bei der obligaten zerebralen Schnittbildgebung werden Alzheimer-typische Veränderungen wie die Hippocampusatrophie oft übersehen oder als alterstypisch eingestuft. Dadurch werden Demenzen oft irrtümlich als rein vaskulär klassifiziert. Da Antidementiva für die The- Infobox Geldzähltest nach Nikolaus Indikation: Überprüfung von •kognitiven Funktionen •manueller Geschicklichkeit •Selbstständigkeit im Alltag •Fähigkeit zum Selbstmanagement des Diabetes Aufgabe an die Patienten: •Geld aus einer Geldbörse zählen Material: •Stoppuhr •Geldbörse mit Bargeld in folgender Stückelung: - ein 5-Euro-Schein - eine 2-Euro-Münze - zwei 1-Euro-Münzen - eine 50-Cent-Münze - drei 10-Cent Münzen Abbruch nach 3 Fehlversuchen oder nach 5 Minuten Interpretation: •< 45 s: Selbstständigkeit •45 - 70 s: Risiko für Hilfsbedürftigkeit •>70 s: erhebliche Hilfsbedürftigkeit DFPFORTBILDUNG rapie der vaskulären Demenz nicht zugelassen sind, besteht die Gefahr einer Unterversorgung. In der Schnittbilddiagnostik sollten daher auch Schnitte erstellt werden, die den Temporallappen gut darstellen, z. B. entlang des Temporalhorns des Seitenventrikels gekippte horizontale Schnitte oder koronare Schnitte. Im Laufe der Erkrankung wird dem Patienten zunehmend die Bereitschaft abverlangt, Verantwortung für Lebensbereiche, die er zuvor selbstständig geregelt hat, mit Bezugs- und Betreuungspersonen zu teilen. Die Bereitschaft hierfür wächst, wenn der Patient die Notwendigkeit solcher Maßnahmen verstehen und annehmen kann. Dies erfordert eine einfühlsame, geduldige und wiederholte Aufklärung über die Erkrankung. Therapie von Diabetes und Demenz Therapie der Demenz bei Diabetikern Die Therapie der Demenz bei Diabetikern unterscheidet sich nicht relevant von der bei Stoffwechselgesunden. Sie umfasst •nichtmedikamentöse Maßnahmen: - Förderung von Bewegung oder Sportangeboten, - Sicherstellen einer ausreichenden Ernährung, - Vorbeugung von Vereinsamung durch Tagespflege, Betreuungskräfte u. a.; •den Aufbau eines versorgenden Umfelds und die rechtliche Vorsorge durch Patientenverfügungen und Vollmachten; •die medikamentöse Therapie der kognitiven Störung mit Cholinesterasehemmern oder Memantin und •die Therapie nichtkognitiver Symptome der Demenz. Nichtkognitive Symptome sind u. a. Depression, Apathie, Aggressivität, Unruhe, Wahn und Halluzinationen. Ihre Therapie erfolgt bevorzugt nichtmedikamentös durch Schulungsmaßnahmen für Bezugspersonen in Validationstechniken, basaler Stimulation, biografieorientierten Ansätzen o. Ä. Ist eine psychopharmakologische Therapie mit geeigneten Neuroleptika wie Risperidon, Aripiprazol oder Quetiapin unumgänglich, darf diese nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Spätestens nach 3 Monaten muss ein Auslassversuch erfolgen, da bei längerem Einsatz dieser Medikamente die Rate an Schlaganfällen, Stürzen, Apathie und anderen Komplikationen erhöht ist. Anpassung von Stoffwechselzielen Eine Demenz verkürzt die verbleibende Lebenserwartung meist auf unter 10 Jahre. Ziele, die für Diabetiker mit Demenz relevant sind, müssen sich auf die aktuelle und kurzfristige Lebensqualität und Therapiesicherheit beziehen. Der Nutzen einer HbA1cSenkung bezüglich mikro- und makrovaskulärer Endpunkte stellt sich dagegen erst nach langer Therapiedauer ein. Die Vermeidung von hyperglykämischen Stoffwechsellagen dient daher nicht mehr vorrangig der Verhütung von Spätkomplikationen, sondern der Vermeidung von akuten hyperglykämischen Komplikationen. Die Komplikationen gehen v. a. auf die Glukosurie bei Blutzucker-Anstiegen über die Nierenschwelle und passager auch beim Einsatz innovativer antidiabetischen Strategien , SGLT2 Hemmer /Glukosurika, besonders aggraviert bei Diarrhö, zurück. Diese Glukosurie begünstigt durch verstärkte Diurese eine Exsikkose sowie Harnwegsinfektionen. Die Folge sind Delirien und akute kognitive Verschlechterungen. Übersetzt in HbA1c-Ziele bedeutet dies, einen HbA1c-Wert etwas unter 8 % (64 mmol/ mol) anzustreben. Ausnahmesituationen, in denen ein niedrigerer HbA1c-Wert angestrebt werden kann, sind z.B. akute Komplikationen wie offene Wunden, deren Abheilung möglicherweise durch eine strengere Stoffwechselkontrolle begünstigt wird. Das wichtigste Ziel bezüglich der Therapiesicherheit ist jedoch die absolute Vermeidung von Hypoglykämien (Abb. 1). Dies gilt nicht nur, weil Hypoglykämien möglicherweise den kognitiven Abbau beschleunigen, sondern auch, weil bei Demenz die Fähigkeit, eine Hypoglykämie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, beeinträchtigt sein kann. Gewichtsverlust ist bei Menschen Abb. 1: Hierarchie wichtiger Therapieziele bei Diabetikern mit Demenz Therapie des Diabetes bei Menschen mit Demenz Die Therapie des Diabetes mellitus bei Menschen mit Demenz ist mit verschiedenen Problemen verbunden, die besondere Aufmerksamkeit erfordern. CONSILIUM 11/16 45 DFPFORTBILDUNG mit kognitiver Störung epidemiologisch mit einer höheren Mortalität verknüpft und kann daher bei Diabetikern mit Demenz keinesfalls als Therapieziel angesehen werden. Stattdessen muss eine Stabilisierung des Gewichts angestrebt werden. fremde Hilfe bei der Dosierung und Applikation von Insulin sinnvoll sind. Auch in einem solchen Gespräch ist es hilfreich, wenn der Patient Gelegenheit und Zeit hatte, sich mit der Diagnose einer Demenz auseinanderzusetzen. Therapieschemata mit Insulin Ernährung Bei Vorliegen einer Demenz sinkt der Insulinbedarf. Dies kann so weit gehen, dass eine orale antidiabetische Therapie wieder ausreichend ist. Wird weiterhin Insulin benötigt, muss der behandelnde Arzt sich davon überzeugen, dass der Patient das verordnete Insulinschema sicher umsetzen kann oder dass er tägliche Unterstützung erhält, z. B. durch Angehörige oder einen Pflegedienst. Bei Insulingabe durch einen Pflegedienst ist eine Therapie mit mehrmals täglicher Gabe von prandialem Insulin selten zeitgerecht realisierbar. Stattdessen kann versucht werden, das gewünschte Therapieziel durch eine Kombination aus lang wirksamem Analoginsulin und einem oralen Antidiabetikum sicher zu erreichen. Ein wichtiges Ziel ist die Vermeidung von Unterernährung und Gewichtsverlust [3], nicht mehr die Gewichtsreduktion. Typischerweise geht das Frühstadium der Demenz mit einem Appetitverlust einher. Bei Morbus Alzheimer und Parkinson-Demenz manifestiert sich bereits früh zusätzlich zur kognitiven Störung eine Anosmie. Dadurch kann der Geschmack von Speisen nur noch über die klassischen gustatorischen Qualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami wahrgenommen werden. Wahrscheinlich ist dadurch die Präferenz von Demenzkranken für süße Speisen zu erklären. Oft kann eine ausreichende Ernährung nur sichergestellt werden, wenn auch Beschränkungen in Bezug auf Kohlenhydrate mit hohem glykämischem Index aufgehoben werden. Orale Antidiabetika Das orale Antidiabetikum der ersten Wahl ist Metformin. Aufgrund der Gefährdung von Demenzkranken durch Hypoglykämien kann der Einsatz von Sulfonylharnstoffen und Gliniden nicht empfohlen werden. Ist Metformin kontraindiziert oder reicht die Monotherapie nicht aus, bieten sich aus theoretischen Erwägungen Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-Inhibitoren an, da diese das Hypoglykämierisiko nicht erhöhen und gewichtsneutral sind. Inhibitoren des natriumabhängigen Glukosetransporters SGLT-2 bergen das Risiko eines Gewichts- und Flüssigkeitsverlusts sowie von Harnwegsinfektionen. Daher sollten sie bei der gegenwärtigen Datenlage in dieser Patientengruppe sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Hoffnungen, dass Glitazone die Progredienz der kognitiven Störung verlangsamen, haben sich bislang nicht bestätigt. Eigenverantwortung für die Stoffwechseleinstellung Diabetiker entwickeln oft ein hohes Maß an Kompetenz im Selbstmanagement des Diabetes und setzen dabei häufig komplizierte Algorithmen um. Manche auf Insulin eingestellte Diabetiker nehmen nur sehr zurückhaltend Hilfe bei der Stoffwechselkontrolle an, oft aufgrund von negativen Erfahrungen. Eine fortschreitende kognitive Störung führt jedoch dazu, dass sie leicht den Überblick über die notwendigen Maßnahmen verlieren. Betreuende Ärzte müssen gemeinsam mit ihren Patienten klären, inwieweit eine Vereinfachung des Therapieschemas, eine Anpassung der Blutzuckerziele und Korrekturregeln oder auch 46 CONSILIUM 11/16 DFPFORTBILDUNG Im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz kann der Kalorienbedarf aufgrund eines massiv gesteigerten Bewegungsdrangs („wandering“) phasenweise erheblich ansteigen. Eine stärkere Gewichtsabnahme lässt sich in dieser Phase nur schwer vermeiden. Hilfreich ist es, kleine fingerfertige Mahlzeiten großzügig auch als Zwischenmahlzeiten anzubieten. Hauptmahlzeiten sollten möglichst in einem familienähnlichen Setting angeboten werden, weil die bei der Mahlzeit erlebte Gemeinschaft, der ritualisierte Ablauf und ein ansprechend gedeckter Tisch zusätzliche soziale Reize für die Nahrungsaufnahme darstellen, die auch bei mittelgradiger Demenz in der Regel noch verstanden werden. Im Endstadium der Demenz wird die bedarfsgerechte Ernährung meist zusätzlich durch eine neurogene Schluckstörung erschwert. Typisch sind rezidivierende unbemerkte Aspirationen, die auch zu rezidivierenden Fieberschüben oder bis hin zu häufigen Pneumonien führen können. Schlucktraining durch spezialisierte Logopädie kann in dieser Phase zur Stabilisierung beitragen. Bevorzugt sollte Nahrung mit cremiger Konsistenz gegeben werden, ggf. auch in Form von industriellen Nahrungssupplementen, angedickten oder s.c. applizierten Flüssigkeiten. Zu vermeiden sind krümelige Nahrungsmittel sowie komplexe Nahrungsmittel mit festen und flüssigen Anteilen – dies trifft beispielsweise auf viele Obstsorten zu. Die durch eine Kostbeschränkung bedingte Einschränkung der Lebensqualität muss allerdings sorgfältig gegen das Therapieziel der Gewichtsstabilisierung abgewogen werden. Häufig ist das subjektive Verlangen nach Nahrung in diesem Demenzstadium so gering, dass auch bei unzureichender Nährstoffzufuhr kein Hungergefühl entsteht. Noch kritischer muss die Indikation für die künstliche enterale Ernährung durch perkutane Sonden überprüft werden. Der Verzicht auf eine künstliche Ernährung im Endstadium einer Demenz gilt aus medizinrechtlicher Sicht nicht als unterlassene Hilfeleistung, wenn die Entscheidung nach sorgfältigem Abwägen der mutmaßlichen Wünsche des Patienten getroffen und dokumentiert wurde. Anders mag die Abwägung ausfallen, wenn die Schluckstörung schon früh im Verlauf auftritt, z. B. bei einer Parkinson-Demenz oder einer Chorea Huntington. Besonders hilfreich in der Entscheidungssituation ist es, wenn das Thema der künstlichen Ernährung in einer Patientenverfügung vorab geregelt wurde. Therapeutische Ansätze für die Zukunft Die engen Beziehungen zwischen dem zerebralen Insulin- und Glukosestoffwechsel sowie der Entstehung der Demenz haben Anlass gegeben, Modulatoren des Glukosestoffwechsels auf ihre Wirksamkeit in der Prävention und Behandlung der Demenz zu überprüfen. In klinischen Studien werden u. a. Insulin und Analoga des „glucagon-like peptide 1“ (GLP-1) getestet. Dabei werden Insulin und andere Peptide intranasal verabreicht, um über das nasovomerale Organ eine direkte Applikation in den Liquor zu erzielen. Es ist denkbar, dass in absehbarer Zeit ganz neue Strategien zur Behandlung des Morbus Alzheimer zur Verfügung stehen werden. Fazit für die Praxis •Diabetiker, insbesondere Typ-2-Diabetiker, haben ein erhöhtes Risiko, an einer Demenz zu erkranken. •Bei einer Alzheimer-Demenz besteht eine zerebrale Insulinresistenz, welche die trophischen Wirkungen von Insulin auf Nervenzellen einschränkt. •Ein ungeklärter Gewichtsverlust, ein abnehmender Bedarf an blutzuckersenkenden Medikamenten und Hypoglykämien können Frühsymptome einer Demenz sein und erfordern ein Screening. •Bei Diabetikern mit diagnostizierter Demenz müssen Therapieschemata so angepasst werden, dass Hypoglykämien und Gewichtsverlust weitgehend verhindert werden. PD DR. D. KOPF Klinik für Geriatrie, Kath. Marienkrankenhaus, Hamburg [email protected] © Springer Verlags GmbH 2016 CONSILIUM 11/16 47 DFPFORTBILDUNG Foto: bilderbox.com Fragebogen zum DFP-Literaturstudium I m Rahmen des Diplom-Fortbildungsprogramms ist es möglich, durch das Literaturstudium im NÖ Consilium Punkte für das DFP zu erwerben. Nach der Lektüre des DFP-Artikels beantworten Sie bitte die Multiple-Choice-Fragen. Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn alle möglichen richtigen Antworten angekreuzt sind. Bei positiver Bewertung (66 Prozent der Fragen) werden Ihnen 2 DFPFachpunkte zuerkannt. Einsendeschluss ist der 30. April 2017. •Online: Sie haben die Möglichkeit, den Fragebogen unter www.SpringerMedizin.at/fortbildung herunterzuladen oder unter E-Learning auf der Website der Österreichischen Akademie der Ärzte www.meindfp.at auszufüllen. •Per Post oder Fax an die Redaktion von Springer Medizin Wien (z. Hd. Susanna Hinterberger), Prinz-Eugen-Straße 8-10, 1040 Wien, Postfach 11, Fax: 01/330 24 26 •Per E-Mail (eingescannter Test) an: [email protected] 1. Welche üblicherweise mit Typ-II-Diabetes assoziierte Störungen erhöhen auch das Demenzrisiko? (3 richtige Antworten) a.Arterielle Hypertonie b.Adipositas im mittleren Lebensalter c.Motilitätsstörungen des Dickdarms d.Erhöhte Insulinresistenz 4. Zu den nicht-kognitiven Symptomen der Demenz bei Diabetikern zählt…? (2 richtige Antworten) a.Kurzatmigkeit b.Apathie c.Aggression d.Nausea 2. Wann sollte bei Diabetikern ein Demenzscreening durchgeführt werden? (3 richtige Antworten) a.Wenn Gewichtsverlust auftritt. b.Wenn Hypoglykämien erstmals oder gehäuft auftreten. c.Wenn Bezugspersonen oder der Patient selbst kognitive Einschränkungen vermuten. d.Wenn der Patient über Schmerzen im Brustbereich klagt. 5. Für die Entwicklung welcher Form(en) der Demenz stellt Diabetes mellitus einen Risikofaktor dar? (1 richtige Antwort) a.Nur für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz b.nur für die Entwicklung einer vaskulären Demenz c.Sowohl für die Entwicklung einer vaskulären Demenz als auch einer Alzheimer-Demenz d.Nur für die Entwicklung einer frontotemporalen Demenz (Morbus Pick) 3. Welchen Einfluss hat das Auftreten von Demenz auf die Lebenserwartung des Diabetikers? (1 richtige Antwort) a.Es verkürzt die Lebenserwartung auf unter 1 Jahr. b.Es verkürzt die Lebenserwartung auf unter 3 Jahre. c.Es verkürzt die Lebenserwartung auf unter 10 Jahre. d.Es hat keinen Einfluss auf die Lebenserwartung. 6. Was ist das vorrangige Therapieziel, wenn bei einem DiabetesPatienten eine Demenz diagnostiziert wurde? (1 richtige Antwort) a.Senkung des HbA1C Wertes auf unter 7 Prozent b.Senkung des HbA1C Wertes auf unter 7, 5 Prozent c.Vermeidung von Hypoglykämien d.Vermeidung von weiterer Gewichtszunahme Absender (bitte gut leserlich ausfüllen): ÖÄK-Nummer: __ __ __ __ __ __ Name: Zutreffendes bitte ankreuzen: Frau Herr Ich besitze ein gültiges ÖÄK-Diplom Altersgruppe: < 30 31 – 40 41 – 50 51 – 60 > 60 __________________________________________ Adresse:__________________________________________ Ort/PLZ:__________________________________________ Telefon:__________________________________________ CONSILIUM 11/16 49