Diabetes mellitus und Demenzrisiko

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DFPFORTBILDUNG
Diabetes mellitus und
Demenzrisiko
PD DR. D. KOPF
Klinik für Geriatrie, Kath. Marienkrankenhaus, Alfredstr. 9, 22087 Hamburg
E-Mail: [email protected]
INHALT
Diabetes mellitus als Risikofaktor
Stoffwechselstörungen und Pathogenese der Demenz
Prävention der Demenz bei Diabetikern
Screening und Diagnostik der Demenz bei Diabetikern
Therapie von Diabetes und Demenz
Therapeutische Ansätze für die Zukunft
Fazit für die Praxis
LECTURE BOARD
Prim. Dr. Christian Schelkshorn
1. Med. Abteilung Stoffwechselambulanz, LK Korneuburg/Stockerau
Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner
Ärztliche Direktorin Landeskrankenhaus Hochzirl, Tirol
ÄRZTLICHER FORTBILDUNGSANBIETER
Ärztekammer für Niederösterreich, Wipplingerstraße 2, 1010 Wien
REDAKTIONELLE BEARBEITUNG
Mag. Ingo Schlager
Eine Literaturliste ist auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich.
Der Originalartikel ist erschienen in „Der Internist“, Ausgabe 5/2015
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Diabetes mellitus
und Demenzrisiko
D
Darüber hinaus führt eine Insulinresistenz von Neuronen und Gliazellen zur Entstehung toxischer Stoffwechselprodukte wie Amyloid und Phospho-τ. Der kognitiven
Störung bei Morbus Alzheimer geht häufig ein Gewichtsverlust voraus, stabil auf Insulin oder insulinotrope orale
Antidiabetika eingestellte Diabetiker haben daher ein
hohes Risiko schwerer Hypoglykämien, die dann zu einer
weiteren Verschlechterung der Hirnfunktion führen.
Diabetiker mit unerklärtem Gewichtsverlust, gehäuften
Hypoglykämien und subjektiven Gedächtnisbeschwerden müssen daher auf das Vorliegen einer Demenz untersucht werden. Wenn eine Demenz vorliegt, ändern sich
die Ziele der Diabetesbehandlung. Die Vermeidung von
Hypoglykämien hat Vorrang vor dem Ziel einer strengen
Stoffwechseleinstellung. Gewichtsverlust verschlechtert
den Verlauf einer Demenz, daher muss ein Gewichtsverlust vermieden werden. Ob eine strenge medikamentöse
Blutzuckereinstellung im mittleren Lebensalter präventiv
wirkt, ist bislang unbekannt. Dagegen wirken körperliche
Aktivität, eine Ernährung, wie sie auch zur Prävention
von kardiovaskulären Erkrankungen empfohlen wird, höhere
Bildung und geistige Betätigung präventiv.
Diabetes mellitus als Risikofaktor
Blutzucker und Demenzrisiko
Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, ist bei Diabetikern
fast verdoppelt. Besonders für die häufigste Form der Demenz,
den Morbus Alzheimer, ist dieser Zusammenhang in prospektiven Studien gesichert. Es besteht ein enger Zusammenhang
zwischen der Höhe des HbA1C -Werts und dem Demenzrisiko.
In einer Studie an Patienten in Hausarztpraxen hatten Patienten
mit einem HbA1C -Wert > 6,5 % ein um den Faktor 2,8 erhöhtes Demenzrisiko, bei einem HbA1C-Wert > 7 % stieg es schon
um den Faktor 5. Selbst bei Menschen ohne Diabetes, aber mit
hochnormalen Blutzuckerwerten ist das Demenzrisiko im Vergleich zu Menschen mit niedrignormalem Blutzucker erhöht.
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iabetes mellitus, insbesondere der Typ 2, ist ein Risikofaktor für eine Demenzerkrankung. Das gilt für
die Alzheimer- wie auch für die vaskuläre Demenz. Mitverantwortlich sind eine Schädigung der hirnversorgenden Gefäße durch den Diabetes mellitus und begleitende
Risikofaktoren sowie eine Schädigung des Gehirns durch
die milde chronische Entzündungskonstellation, die im
Rahmen der Insulinresistenz auftritt.
Insulinresistenz, Hypertonie und Adipositas
Bisherige Studien unterscheiden nicht zwischen Typ-1- und Typ2-Diabetes, wobei naturgemäß überwiegend Typ-2-Diabetiker
eingeschlossen wurden. Mehrere prospektive Studien zeigen,
dass Störungen, die typischerweise mit einem Typ-2-Diabetes
assoziiert sind, ebenfalls das Demenzrisiko erhöhen, so etwa
Insulinresistenz (gemessen mittels HOMA), Adipositas im
mittleren Lebensalter und arterielle Hypertonie. Dies spricht
dafür, dass der Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und
Demenz nicht ausschließlich durch eine schädliche Wirkung
des erhöhten Blutzuckerspiegels erklärt werden kann. Paradoxerweise ist im höheren Lebensalter Untergewicht ein starker
Prädiktor einer Demenz. Übergewicht und Adipositas erhöhen
das Risiko einer Demenz im höheren Lebensalter dagegen nicht.
Dies kann dadurch erklärt werden, dass Patienten, die an einer
Demenz erkranken, häufig in den Jahren vor der klinischen
Manifestation der kognitiven Störung deutlich an Gewicht
abnehmen, wahrscheinlich als erstes Symptom einer Demenz.
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Hypoglykämie und Demenz
In einer epidemiologischen Studie, die auf Kostenträgerdaten
beruht und daher nur schwerere hypoglykämische Ereignisse
erfasst, ist bereits nach einer einzigen hypoglykämischen Episode
das Risiko erhöht, in der Folge an einer Demenz zu erkranken.
Zwischen Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes wurde nicht
differenziert, sodass die überwiegende Mehrheit der Studienklientel aus Typ-2-Diabetikern bestehen dürfte. Im Kontrast hierzu
findet sich in einer späten Auswertung der DCCT-/EDICStudie, die nur Typ-1-Diabetiker einschloss, kein Hinweis auf
ein erhöhtes Risiko kognitiver Einschränkungen nach häufigen
Hypoglykämien.
Für diese Diskrepanz gibt es zwei mögliche Erklärungen: Einerseits könnte das zentrale Nervensystem bei Patienten mit Insulinresistenz erheblich anfälliger für Schädigungen durch Hypoglykämien sein als bei Patienten mit reinem Insulinmangel. Zum
anderen ist ein Zusammenhang mit Gewichtsverlust naheliegend. Patienten, die zuvor stabil auf eine antidiabetische Medikation eingestellt waren, haben ein erhöhtes Hypoglykämierisiko,
wenn sie im Vorfeld der klinischen Manifestation einer Demenz
an Gewicht verlieren. Dadurch ereignen sich im Prodromalstadium der Demenz Hypoglykämien wesentlich häufiger. Hypoglykämien bei zuvor gut eingestellten Typ-2-Diabetikern wären
also nicht im engeren Sinn ein Risikofaktor, an einer Demenz
zu erkranken, sondern bereits ein erstes Symptom einer noch
subklinischen Demenz.
Stoffwechselstörungen und Pathogenese der Demenz
Der enge epidemiologische Zusammenhang zwischen Diabetes
mellitus, kardiovaskulären Risikofaktoren und Demenz legt
auch eine pathogenetische Verbindung nahe. Neben Mechanismen einer vaskulären Hirnschädigung muss dabei an Störungen des neuronalen Energiestoffwechsels im Zusammenhang
mit einer Insulinresistenz gedacht werden, die im Gehirn durch
die erschwerte Verfügbarkeit von energiereichen Substraten zu
einem Untergang von Synapsen und Nervenzellen führen.
Glukose und Insulinwirkung im Gehirn
Das Gehirn benötigt in Ruhe etwa 20 % der Energie des Körpers, und zwar ausschließlich in Form von Glukose oder Laktat.
Daneben benötigt es Glukose zur Synthese von Transmittern wie
Acetylcholin und von Membranbestandteilen. Entsprechend ist
das Gehirn reich mit Glukosetransportern ausgestattet, auch mit
den insulinabhängigen Formen GLUT-4 und GLUT-8. Insulinrezeptoren und zugehörige Second-Messenger-Systeme sind im
Gehirn ebenfalls stark exprimiert, besonders stark im Hippocampus, der eine zentrale Eintrittspforte für neue Informationen
ins Gedächtnis darstellt. Eine Fehlregulation des Insulin- und
Glukosestoffwechsels im Gehirn spielt auch eine wichtige Rolle
in Prozessen, die zur Neurodegeneration führen.
Pathogenese der Neurodegeneration
In Gehirnen von Alzheimer-Patienten finden sich histologisch
Amyloidplaques und neurofibrilläre Bündel, deren typische
Bestandteile die Stoffwechselabfallprodukte β-Amyloid (Aβ)
bzw. hyperphosphoryliertes τ-Protein (Phospho-τ) sind.
τ-Protein dient der Stabilisierung des Zytoskeletts, das in Nervenzellen aufgrund ihrer verzweigten Struktur eine besondere
Bedeutung hat. Nicht nur zur Bildung und Stabilisierung von
neuen Synapsen und damit zur Speicherung von neuen Informationen ist der rasche Auf- und Umbau des Zytoskeletts wichtig. Auch Mitochondrien, die vom Zellkern entfernte Bereiche
der Nervenzelle mit Energie versorgen, nutzen das Zytoskelett
gleichsam als Transportschiene. Die Regulation des τ-Proteins
erfolgt durch Phosphorylierung. Eine überschießende Phosphorylierung zu Phopsho-τ macht das τ-Protein unbrauchbar.
Aβ entsteht durch Spaltung von „amyloid precursor protein“
(APP) und neigt zur Aggregation zu neurotoxischen Oligomeren. Physiologisch ist APP in die Bildung von Synapsen, aber
auch in die Bildung von Kontakten mit Gliazellen und damit
in die Energieversorgung und das Wachstum von Nervenzellen involviert. Die Spaltung von APP erfolgt auch auf anderen
Stoffwechselwegen, die zu nichtamyloidogenen Spaltprodukten
führen und wahrscheinlich für die physiologischen Funktionen
von APP mitverantwortlich sind. Eine vermehrte Beschreitung
des Stoffwechselwegs zu Aβ weist möglicherweise auf einen
gestörten neuronalen Energiestoffwechsel hin. Damit wäre die
Bildung von Aβ sowohl ein Marker einer neuronalen Stoffwechselstörung als auch per se ein toxischer Prozess, der den Zelluntergang beschleunigt.
Die chronische Entzündungskonstellation, die für klinische Syndrome mit Insulinresistenz typisch ist, führt auch im Gehirn
zu einer gestörten Insulinsignaltransduktion. Die Folge ist
ein Verlust von Synapsen und letztlich ein Abbau kognitiver
Funktionen.
Bei Diabetikern scheint die kognitive Einschränkung v. a. die
kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit und die exekutiven
Funktionen zu betreffen, also die Fähigkeit, komplexe Handlungsabläufe sinnvoll zu planen und in organisierter Form
umzusetzen.
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Prävention der Demenz bei Diabetikern
Leider gibt es bislang keine Evidenz, dass die medikamentöse
Senkung des Blutzuckers bei Diabetikern das Risiko senkt, an
einer Demenz zu erkranken. Die einzige Studie, die dies prospektiv untersucht hat, nämlich eine Studie an der ACCORDPopulation, konnte einen Nutzen nicht belegen. Dies könnte
damit zusammenhängen, dass Hypoglykämien in der Interventionsgruppe die Ergebnisse verschleiert haben. Möglicherweise
war die Nachbeobachtungszeit auch zu kurz und die Erkrankung
in der Population schon zu weit fortgeschritten.
Dagegen liegen zunehmend Daten vor, die belegen, dass durch
körperliche Aktivität und eine mediterrane Kost das Demenzrisiko vermindert wird. Präventiv wirken auch geistige Aktivität,
Bildung, das Pflegen sozialer Kontakte, ehrenamtliches Engagement sowie die ausreichende Versorgung mit Folsäure und
Vitamin D.
Screening und Diagnostik der Demenz bei Diabetikern
Ein Demenzscreening sollte durchgeführt werden, wenn
•der Patient oder nahe Bezugspersonen kognitive Einschränkungen vermuten,
•Gewichtsverlust auftritt,
•Hypoglykämien gehäuft oder erstmals auftreten,
•der HbA1C-Wert abfällt, ohne dass das Behandlungsregime
sich geändert hat (Hinweis auf unbemerkte Hypoglykämien)
und
•im Praxisalltag Hinweise auf kognitive Störungen entdeckt
werden (vergessene Termine, zunehmende Unsicherheit im
Selbstmanagement u. a.).
Für Diabetiker wurden keine besonderen Screeningverfahren
entwickelt. Daher sollten die gleichen Testverfahren wie bei
Stoffwechselgesunden eingesetzt werden. Neben dem inzwischen
lizenzpflichtigen Standardverfahren Mini Mental State Examination (MMSE) und dem wesentlich kürzeren Uhrentest ist
das modernere, frei verfügbare Montreal Cognitive Assessment
(MoCA) empfehlenswert; bei gut vertretbarem Aufwand liefert
es ein sehr präzises Bild. Das Testmaterial sowie ausführliche
Informationen zu Anwendung und Aussagekraft finden sich frei
verfügbar unter http://www.mocatest.org. Weiter abklärungsbedürftig sind in der MMSE Werte < 27, im MoCA Ergebnisse
< 26.
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Da der Diabetes mellitus insbesondere exekutive Funktionen
betrifft, eignet sich auch der Geldzähltest (siehe Infobox). Das
Testergebnis wird nicht nur von der kognitiven Leistungsfähigkeit, sondern auch von der manuellen Geschicklichkeit beeinflusst. Das ist bei Diabetikern allerdings eher ein Vorteil, da so
auch eingeschätzt werden kann, ob ein Patient in der Lage ist,
mit Blutzuckermessgeräten oder Insulininjektionsgeräten sicher
umzugehen.
Wenn sich im Screening der Verdacht auf eine Demenz erhärtet, ist eine ausführliche Diagnostik erforderlich. Diese folgt
den gleichen Regeln wie bei Nichtdiabetikern. Bei der obligaten
zerebralen Schnittbildgebung werden Alzheimer-typische Veränderungen wie die Hippocampusatrophie oft übersehen oder als
alterstypisch eingestuft. Dadurch werden Demenzen oft irrtümlich als rein vaskulär klassifiziert. Da Antidementiva für die The-
Infobox
Geldzähltest nach Nikolaus
Indikation:
Überprüfung von
•kognitiven Funktionen
•manueller Geschicklichkeit
•Selbstständigkeit im Alltag
•Fähigkeit zum Selbstmanagement des Diabetes
Aufgabe an die Patienten:
•Geld aus einer Geldbörse zählen
Material:
•Stoppuhr
•Geldbörse mit Bargeld in folgender Stückelung:
- ein 5-Euro-Schein
- eine 2-Euro-Münze
- zwei 1-Euro-Münzen
- eine 50-Cent-Münze
- drei 10-Cent Münzen
Abbruch nach 3 Fehlversuchen oder nach 5 Minuten
Interpretation:
•< 45 s: Selbstständigkeit
•45 - 70 s: Risiko für Hilfsbedürftigkeit
•>70 s: erhebliche Hilfsbedürftigkeit
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rapie der vaskulären Demenz nicht zugelassen sind, besteht die
Gefahr einer Unterversorgung. In der Schnittbilddiagnostik sollten daher auch Schnitte erstellt werden, die den Temporallappen
gut darstellen, z. B. entlang des Temporalhorns des Seitenventrikels gekippte horizontale Schnitte oder koronare Schnitte.
Im Laufe der Erkrankung wird dem Patienten zunehmend die
Bereitschaft abverlangt, Verantwortung für Lebensbereiche, die
er zuvor selbstständig geregelt hat, mit Bezugs- und Betreuungspersonen zu teilen. Die Bereitschaft hierfür wächst, wenn der
Patient die Notwendigkeit solcher Maßnahmen verstehen und
annehmen kann. Dies erfordert eine einfühlsame, geduldige
und wiederholte Aufklärung über die Erkrankung.
Therapie von Diabetes und Demenz
Therapie der Demenz bei Diabetikern
Die Therapie der Demenz bei Diabetikern unterscheidet sich
nicht relevant von der bei Stoffwechselgesunden. Sie umfasst
•nichtmedikamentöse Maßnahmen:
- Förderung von Bewegung oder Sportangeboten,
- Sicherstellen einer ausreichenden Ernährung,
- Vorbeugung von Vereinsamung durch Tagespflege,
Betreuungskräfte u. a.;
•den Aufbau eines versorgenden Umfelds und die rechtliche
Vorsorge durch Patientenverfügungen und Vollmachten;
•die medikamentöse Therapie der kognitiven Störung mit
Cholinesterasehemmern oder Memantin und
•die Therapie nichtkognitiver Symptome der Demenz.
Nichtkognitive Symptome sind u. a. Depression, Apathie,
Aggressivität, Unruhe, Wahn und Halluzinationen. Ihre Therapie erfolgt bevorzugt nichtmedikamentös durch Schulungsmaßnahmen für Bezugspersonen in Validationstechniken, basaler
Stimulation, biografieorientierten Ansätzen o. Ä. Ist eine psychopharmakologische Therapie mit geeigneten Neuroleptika
wie Risperidon, Aripiprazol oder Quetiapin unumgänglich, darf
diese nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Spätestens nach
3 Monaten muss ein Auslassversuch erfolgen, da bei längerem
Einsatz dieser Medikamente die Rate an Schlaganfällen, Stürzen,
Apathie und anderen Komplikationen erhöht ist.
Anpassung von Stoffwechselzielen
Eine Demenz verkürzt die verbleibende Lebenserwartung meist
auf unter 10 Jahre. Ziele, die für Diabetiker mit Demenz relevant
sind, müssen sich auf die aktuelle und kurzfristige Lebensqualität und Therapiesicherheit beziehen. Der Nutzen einer HbA1cSenkung bezüglich mikro- und makrovaskulärer Endpunkte
stellt sich dagegen erst nach langer Therapiedauer ein. Die Vermeidung von hyperglykämischen Stoffwechsellagen dient daher
nicht mehr vorrangig der Verhütung von Spätkomplikationen,
sondern der Vermeidung von akuten hyperglykämischen Komplikationen.
Die Komplikationen gehen v. a. auf die Glukosurie bei Blutzucker-Anstiegen über die Nierenschwelle und passager auch beim
Einsatz innovativer antidiabetischen Strategien , SGLT2 Hemmer /Glukosurika, besonders aggraviert bei Diarrhö, zurück.
Diese Glukosurie begünstigt durch verstärkte Diurese eine Exsikkose sowie Harnwegsinfektionen. Die Folge sind Delirien und
akute kognitive Verschlechterungen. Übersetzt in HbA1c-Ziele
bedeutet dies, einen HbA1c-Wert etwas unter 8 % (64 mmol/
mol) anzustreben. Ausnahmesituationen, in denen ein niedrigerer HbA1c-Wert angestrebt werden kann, sind z.B. akute Komplikationen wie offene Wunden, deren Abheilung möglicherweise
durch eine strengere Stoffwechselkontrolle begünstigt wird.
Das wichtigste Ziel bezüglich der Therapiesicherheit ist jedoch
die absolute Vermeidung von Hypoglykämien (Abb. 1). Dies gilt
nicht nur, weil Hypoglykämien möglicherweise den kognitiven
Abbau beschleunigen, sondern auch, weil bei Demenz die Fähigkeit, eine Hypoglykämie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, beeinträchtigt sein kann. Gewichtsverlust ist bei Menschen
Abb. 1: Hierarchie wichtiger Therapieziele bei Diabetikern mit Demenz
Therapie des Diabetes bei Menschen mit Demenz
Die Therapie des Diabetes mellitus bei Menschen mit Demenz
ist mit verschiedenen Problemen verbunden, die besondere Aufmerksamkeit erfordern.
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mit kognitiver Störung epidemiologisch mit einer höheren Mortalität verknüpft und kann daher bei Diabetikern mit Demenz
keinesfalls als Therapieziel angesehen werden. Stattdessen muss
eine Stabilisierung des Gewichts angestrebt werden.
fremde Hilfe bei der Dosierung und Applikation von Insulin
sinnvoll sind. Auch in einem solchen Gespräch ist es hilfreich,
wenn der Patient Gelegenheit und Zeit hatte, sich mit der Diagnose einer Demenz auseinanderzusetzen.
Therapieschemata mit Insulin
Ernährung
Bei Vorliegen einer Demenz sinkt der Insulinbedarf. Dies kann
so weit gehen, dass eine orale antidiabetische Therapie wieder
ausreichend ist. Wird weiterhin Insulin benötigt, muss der
behandelnde Arzt sich davon überzeugen, dass der Patient das
verordnete Insulinschema sicher umsetzen kann oder dass er
tägliche Unterstützung erhält, z. B. durch Angehörige oder einen
Pflegedienst. Bei Insulingabe durch einen Pflegedienst ist eine
Therapie mit mehrmals täglicher Gabe von prandialem Insulin
selten zeitgerecht realisierbar. Stattdessen kann versucht werden,
das gewünschte Therapieziel durch eine Kombination aus lang
wirksamem Analoginsulin und einem oralen Antidiabetikum
sicher zu erreichen.
Ein wichtiges Ziel ist die Vermeidung von Unterernährung und
Gewichtsverlust [3], nicht mehr die Gewichtsreduktion. Typischerweise geht das Frühstadium der Demenz mit einem Appetitverlust einher. Bei Morbus Alzheimer und Parkinson-Demenz
manifestiert sich bereits früh zusätzlich zur kognitiven Störung
eine Anosmie. Dadurch kann der Geschmack von Speisen nur
noch über die klassischen gustatorischen Qualitäten süß, sauer,
salzig, bitter und umami wahrgenommen werden. Wahrscheinlich ist dadurch die Präferenz von Demenzkranken für süße
Speisen zu erklären. Oft kann eine ausreichende Ernährung
nur sichergestellt werden, wenn auch Beschränkungen in Bezug
auf Kohlenhydrate mit hohem glykämischem Index aufgehoben
werden.
Orale Antidiabetika
Das orale Antidiabetikum der ersten Wahl ist Metformin. Aufgrund der Gefährdung von Demenzkranken durch Hypoglykämien kann der Einsatz von Sulfonylharnstoffen und Gliniden
nicht empfohlen werden. Ist Metformin kontraindiziert oder
reicht die Monotherapie nicht aus, bieten sich aus theoretischen
Erwägungen Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-Inhibitoren an, da
diese das Hypoglykämierisiko nicht erhöhen und gewichtsneutral sind. Inhibitoren des natriumabhängigen Glukosetransporters SGLT-2 bergen das Risiko eines Gewichts- und Flüssigkeitsverlusts sowie von Harnwegsinfektionen. Daher sollten sie bei
der gegenwärtigen Datenlage in dieser Patientengruppe sehr
zurückhaltend eingesetzt werden. Hoffnungen, dass Glitazone
die Progredienz der kognitiven Störung verlangsamen, haben
sich bislang nicht bestätigt.
Eigenverantwortung für die Stoffwechseleinstellung
Diabetiker entwickeln oft ein hohes Maß an Kompetenz im
Selbstmanagement des Diabetes und setzen dabei häufig komplizierte Algorithmen um. Manche auf Insulin eingestellte Diabetiker nehmen nur sehr zurückhaltend Hilfe bei der Stoffwechselkontrolle an, oft aufgrund von negativen Erfahrungen. Eine
fortschreitende kognitive Störung führt jedoch dazu, dass sie
leicht den Überblick über die notwendigen Maßnahmen verlieren. Betreuende Ärzte müssen gemeinsam mit ihren Patienten
klären, inwieweit eine Vereinfachung des Therapieschemas, eine
Anpassung der Blutzuckerziele und Korrekturregeln oder auch
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Im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz kann der Kalorienbedarf aufgrund eines massiv gesteigerten Bewegungsdrangs
(„wandering“) phasenweise erheblich ansteigen. Eine stärkere
Gewichtsabnahme lässt sich in dieser Phase nur schwer vermeiden. Hilfreich ist es, kleine fingerfertige Mahlzeiten großzügig
auch als Zwischenmahlzeiten anzubieten.
Hauptmahlzeiten sollten möglichst in einem familienähnlichen
Setting angeboten werden, weil die bei der Mahlzeit erlebte
Gemeinschaft, der ritualisierte Ablauf und ein ansprechend
gedeckter Tisch zusätzliche soziale Reize für die Nahrungsaufnahme darstellen, die auch bei mittelgradiger Demenz in der
Regel noch verstanden werden. Im Endstadium der Demenz
wird die bedarfsgerechte Ernährung meist zusätzlich durch eine
neurogene Schluckstörung erschwert. Typisch sind rezidivierende unbemerkte Aspirationen, die auch zu rezidivierenden
Fieberschüben oder bis hin zu häufigen Pneumonien führen
können. Schlucktraining durch spezialisierte Logopädie kann in
dieser Phase zur Stabilisierung beitragen.
Bevorzugt sollte Nahrung mit cremiger Konsistenz gegeben
werden, ggf. auch in Form von industriellen Nahrungssupplementen, angedickten oder s.c. applizierten Flüssigkeiten. Zu
vermeiden sind krümelige Nahrungsmittel sowie komplexe
Nahrungsmittel mit festen und flüssigen Anteilen – dies trifft
beispielsweise auf viele Obstsorten zu. Die durch eine Kostbeschränkung bedingte Einschränkung der Lebensqualität muss
allerdings sorgfältig gegen das Therapieziel der Gewichtsstabilisierung abgewogen werden. Häufig ist das subjektive Verlangen nach Nahrung in diesem Demenzstadium so gering, dass
auch bei unzureichender Nährstoffzufuhr kein Hungergefühl
entsteht.
Noch kritischer muss die Indikation für die künstliche enterale
Ernährung durch perkutane Sonden überprüft werden. Der
Verzicht auf eine künstliche Ernährung im Endstadium einer
Demenz gilt aus medizinrechtlicher Sicht nicht als unterlassene Hilfeleistung, wenn die Entscheidung nach sorgfältigem
Abwägen der mutmaßlichen Wünsche des Patienten getroffen
und dokumentiert wurde. Anders mag die Abwägung ausfallen, wenn die Schluckstörung schon früh im Verlauf auftritt, z.
B. bei einer Parkinson-Demenz oder einer Chorea Huntington.
Besonders hilfreich in der Entscheidungssituation ist es, wenn
das Thema der künstlichen Ernährung in einer Patientenverfügung vorab geregelt wurde.
Therapeutische Ansätze für die Zukunft
Die engen Beziehungen zwischen dem zerebralen Insulin- und
Glukosestoffwechsel sowie der Entstehung der Demenz haben
Anlass gegeben, Modulatoren des Glukosestoffwechsels auf ihre
Wirksamkeit in der Prävention und Behandlung der Demenz
zu überprüfen. In klinischen Studien werden u. a. Insulin und
Analoga des „glucagon-like peptide 1“ (GLP-1) getestet. Dabei
werden Insulin und andere Peptide intranasal verabreicht, um
über das nasovomerale Organ eine direkte Applikation in den
Liquor zu erzielen. Es ist denkbar, dass in absehbarer Zeit ganz
neue Strategien zur Behandlung des Morbus Alzheimer zur Verfügung stehen werden.
Fazit für die Praxis
•Diabetiker, insbesondere Typ-2-Diabetiker, haben ein erhöhtes Risiko, an einer Demenz zu erkranken.
•Bei einer Alzheimer-Demenz besteht eine zerebrale Insulinresistenz, welche die trophischen Wirkungen von Insulin auf
Nervenzellen einschränkt.
•Ein ungeklärter Gewichtsverlust, ein abnehmender Bedarf
an blutzuckersenkenden Medikamenten und Hypoglykämien
können Frühsymptome einer Demenz sein und erfordern ein
Screening.
•Bei Diabetikern mit diagnostizierter Demenz müssen Therapieschemata so angepasst werden, dass Hypoglykämien und
Gewichtsverlust weitgehend verhindert werden.
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Fragebogen
zum DFP-Literaturstudium
I
m Rahmen des Diplom-Fortbildungsprogramms ist es möglich, durch das Literaturstudium im NÖ Consilium Punkte für das DFP
zu erwerben.
Nach der Lektüre des DFP-Artikels beantworten Sie bitte die Multiple-Choice-Fragen. Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet,
wenn alle möglichen richtigen Antworten angekreuzt sind. Bei positiver Bewertung (66 Prozent der Fragen) werden Ihnen 2 DFPFachpunkte zuerkannt. Einsendeschluss ist der 30. April 2017.
•Online: Sie haben die Möglichkeit, den Fragebogen unter www.SpringerMedizin.at/fortbildung herunterzuladen oder unter
E-Learning auf der Website der Österreichischen Akademie der Ärzte www.meindfp.at auszufüllen.
•Per Post oder Fax an die Redaktion von Springer Medizin Wien (z. Hd. Susanna Hinterberger), Prinz-Eugen-Straße 8-10,
1040 Wien, Postfach 11, Fax: 01/330 24 26
•Per E-Mail (eingescannter Test) an: [email protected]
1. Welche üblicherweise mit Typ-II-Diabetes assoziierte Störungen erhöhen auch das Demenzrisiko? (3 richtige Antworten)
 a.Arterielle Hypertonie
 b.Adipositas im mittleren Lebensalter
 c.Motilitätsstörungen des Dickdarms
 d.Erhöhte Insulinresistenz
4. Zu den nicht-kognitiven Symptomen der Demenz bei Diabetikern
zählt…? (2 richtige Antworten)
 a.Kurzatmigkeit
 b.Apathie
 c.Aggression
 d.Nausea
2. Wann sollte bei Diabetikern ein Demenzscreening durchgeführt
werden? (3 richtige Antworten)
 a.Wenn Gewichtsverlust auftritt.
 b.Wenn Hypoglykämien erstmals oder gehäuft auftreten.
c.Wenn Bezugspersonen oder der Patient selbst kognitive Einschränkungen vermuten.
 d.Wenn der Patient über Schmerzen im Brustbereich klagt.
5. Für die Entwicklung welcher Form(en) der Demenz stellt Diabetes mellitus einen Risikofaktor dar? (1 richtige Antwort)
 a.Nur für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz
 b.nur für die Entwicklung einer vaskulären Demenz
 c.Sowohl für die Entwicklung einer vaskulären Demenz als auch
einer Alzheimer-Demenz
 d.Nur für die Entwicklung einer frontotemporalen Demenz (Morbus Pick)
3. Welchen Einfluss hat das Auftreten von Demenz auf die Lebenserwartung des Diabetikers? (1 richtige Antwort)
 a.Es verkürzt die Lebenserwartung auf unter 1 Jahr.
 b.Es verkürzt die Lebenserwartung auf unter 3 Jahre.
 c.Es verkürzt die Lebenserwartung auf unter 10 Jahre.
 d.Es hat keinen Einfluss auf die Lebenserwartung.
6. Was ist das vorrangige Therapieziel, wenn bei einem DiabetesPatienten eine Demenz diagnostiziert wurde? (1 richtige Antwort)
 a.Senkung des HbA1C Wertes auf unter 7 Prozent
 b.Senkung des HbA1C Wertes auf unter 7, 5 Prozent
 c.Vermeidung von Hypoglykämien
 d.Vermeidung von weiterer Gewichtszunahme
Absender (bitte gut leserlich ausfüllen):
ÖÄK-Nummer: __ __ __ __ __ __
Name: Zutreffendes bitte ankreuzen:

Frau Herr
 Ich besitze ein gültiges ÖÄK-Diplom
Altersgruppe: < 30
31 – 40
41 – 50
51 – 60
> 60
__________________________________________
Adresse:__________________________________________
Ort/PLZ:__________________________________________
Telefon:__________________________________________
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