b - Institut für Physikalische Chemie

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Institut für Physikalische Chemie
3. Viskosimetrie
Fortgeschrittenen-Praktikum
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Viskosimetrie
Ermittlung der Grenzviskositätszahl zur Molmassen-Bestimmung von Polymeren
Versuchsplatz
Thermostat
Pipetten
Erlenmeyerkolben
Ubbelohde-Kapillarviskosimeter
mit eingebauter Lichtschranke
1.
Allgemeines zum Versuch
Bei der Synthese von Makromolekülen entstehen nur in Ausnahmefällen molekular
einheitliche Produkte. Die überwiegende Zahl von Polymerisationsreaktionen läuft statistisch
ab. Die entstehende Substanz weist dann eine mehr oder weniger breite Molmassenverteilung
auf.
Man kann die vollständige Molmassenverteilung z.B. durch Gelpermeationschromatographie (GPC) bestimmen.
Es erfolgt dabei eine Fraktionierung nach einem sterischen
Ausschlussmechanismus, d.h. man benutzt die Tatsache, dass die mittlere Aufenthaltsdauer
der Ketten in den Hohlräumen eines porösen Stoffes mit steigender Kettenlänge sinkt.1
Statt die ganze Verteilung der Molmassen zu bestimmen, begnügt man sich aber auch oft
mit der Angabe verschiedener Mittelwerte. Haben wir in einem Gemisch Ni Moleküle mit der
Molmasse Mi, so definiert man als
∑N M
=
∑N
i
Zahlmittelwert (bestimmbar durch Osmose): M n
i
i
i
i
1
Achtung: Bei dieser Chromatographie-Variante sinkt die Verweildauer mit steigender Kettenlänge. Es ist
nicht so, dass längere Ketten präferentiell adsorbieren würden. Längere Ketten haben keinen Platz in den
kleinen Poren und werden deshalb schneller durch die großen Poren gespült. GPC nennt sich deshalb auch
manchmal „size exclusion chromatography (SEC)“.
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3. Viskosimetrie
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∑N M
=
∑N M
i
Gewichtsmittelwert (bestimmbar durch Lichtstreuung): M w
2
i
i
i
∑m M
=
∑m
i
i
i
i
i
i
i
Nimmt man eine osmometrische (Mn) und eine Lichtstreuungs-(Mw) Bestimmung der
Molmasse vor, so kann man entscheiden, ob die Verteilung breit oder eng ist. Der Quotient
Mw/Mn ist ein Maß für die Breite der Verteilung (Polydispersität). Man bezeichnet den
Quotienten Mw/Mn auch als „Polydispersitäts-Index (PDI)“
In diesem Versuch wird eine einfache aber sehr genaue Methode vorgestellt, um den so
genannten Viskositätsmittelwert des Molekulargewichts (s.u.) zu bestimmen. Wenn man
einem Lösungsmittel ein Polymer zusetzt, erhöhen aufgrund der ausgedehnten Gestalt der
Ketten auch schon kleine Konzentrationen die Viskosität der Lösung ganz beträchtlich.
Viskosimetrie liefert dabei jedoch keinen der oben definierten Mittelwerte, sondern einen
Wert Mη, der zwischen Mn und Mw liegt (meist näher bei Mw):
∑N M
∑N M
a +1
Viskositätsmittelwert: M η = a
i
i
(die Konstante a wird weiter unten definiert)
i
i
i
i
Außerdem ist die viskosimetrische Molmassenbestimmung keine Absolutmethode, d.h. man
benötigt gewisse Kalibrierkonstanten, die für jedes Polymer/Lösemittel-Paar verschieden sind
(und von der Temperatur abhängen).
Die Gesetzmäßigkeiten, die man der Berechnung des Molekulargewichts zugrunde legt,
gelten nur im hoch verdünnten Zustand. Da oft schon bei geringen Polymerkonzentrationen
Abweichungen auftreten, ist es erforderlich, Konzentrationsreihen zu vermessen und auf
unendliche Verdünnung zu extrapolieren. Eine Viskositätserhöhung durch ein bestimmtes
Polymer (bei festgehaltener Einwaage) hängt neben seinem Molekulargewicht auch von
seiner Gestalt ab. Diese „Konformation“ wird bei linearen, statistisch geknäulten Polymermolekülen im Wesentlichen durch die Lösungsmittelqualität und die Temperatur bestimmt.
Daher ist es wichtig, bei der Bestimmung einer Molmasse über Viskosimetrie eine
Konzentrationsreihe für ein identisches Lösungsmittel bei konstanter Temperatur zu
vermessen.
Der Zusammenhang zwischen Polymermassenkonzentration c, der Viskosität des
Lösungsmittels ηS sowie der Viskosität der Polymerlösung η wird durch folgende
gebräuchliche Variablen ausgedrückt:
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ηrel =
relative Viskosität
spezifische Viskosität
ηsp =
reduzierte Viskosität
ηred =
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η
ηS
η − ηS
η
−1 =
ηS
ηS
ηsp
c
=
1 η − ηS
c ηS
ηinh =
inhärente Viskosität
ln η rel
c
Im Grenzfall hoher Verdünnung geht die reduzierte Viskosität gegen eine Konstante. Die
Grenzviskositätszahl [η] (engl. „intrinsic viscosity“) ist definiert als
ηred = lim
[η] = lim
c →0
c →0
1 η − ηS
c ηS
(1)
Wenn die Konzentration steigt, kann man die Lösung nicht mehr as ideal verdünnt
betrachten. Die verschiedenen Knäuel treten dann miteinander in Wechselwirkung. Für
endliche Konzentration hängt die reduzierte Viskosität oft linear von der Konzentration des
gelösten Polymeren ab.
Nach Huggins beträgt die Steigung einer dementsprechenden
linearen Auftragung:
dηred
dc
= k H [η ]2
(2)
c =0
mit der dimensionslosen Huggins-Konstanten kH, welche mit der Wechselwirkung zwischen
den verschieden Knäueln zusammenhängt.
Die bestimmte Integration liefert dann unter
Beachtung von Gleichung (1):
ηred ≈ [ η] + k H [ η] c
2
(3)
und
η ≈ ηs (1 + [ η] c + k H [ η] c 2 + ...)
2
(4)
Beachten Sie die formale Ähnlichkeit zwischen Gleichung 4 und der Virial-Entwicklung des
osmotischen Drucks.
Die Logik hinter der – zugegeben etwas komplizierten – Definition der Grenzviskositätszahl (Gleichung 1) wird an einem Beispiel aus den Kolloidwissenschaften deutlich. Wenn
man in einer Flüssigkeit kleine Kugeln dispergiert (die Kugeln seien so klein, dass die
Sedimentation gegenüber der Diffusion keine Rolle spielt), so gilt für die Viskosität dieser
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Dispersion die Einstein-Gleichung
⎛ 5 ⎞
η = η s ⎜1 + ϕ ⎟
⎝ 2 ⎠
(5)
ϕ ist hier der Volumenbruch der Kugeln. Der Volumenbruch als Konzentrationsmaß ist in
den Polymerwissenschaften eher unüblich, aber wir akzeptieren ihn für den Moment.
Achtung: das Einstein-Gesetz gilt nur im Grenzfall hoher Verdünnung.2
Wenn wir jetzt die Größe lim(η − ηs ) /(ηs ϕ) betrachten (die Grenzviskositätszahl mit ϕ
ϕ→0
als dem Konzentrationsmaß) erhalten wir den Wert 5/2, also in der Tat eine Zahl. Die
„Grenzviskositätszahl“ ist immer dann eine Zahl im engeren Sinne, wenn als Konzentrationsmaß eine dimensionslose Größe (wie der Volumenbruch, der Molenbruch, oder der Gewichtsanteil) verwendet wird.
Ansonsten hat die „Grenzviskositätszahl“ die Dimension einer
inversen Konzentration. Die Grenzviskositätszahl 5/2 erhält man dann, wenn man Kugeln
dispergiert. Für Ellipsoide, Stangen, Plättchen, oder anders geformte dispergierte Körper
erhält man andere (meist größere) Grenzviskositätszahlen. [η] ist damit ein Parameter, der
die Gestalt der dispergierten Objekte beschreibt. Die obigen Überlegungen sind im Großen
und Ganzen (wenn auch nicht eins zu eins) auf Polymerlösungen übertragbar. Die Grenzviskositätszahl beschreibt die Gestalt der gelösten Polymerknäuel, und ist damit per se recht
interessant.
Welche „Gestalt“ haben Polymere? Zunächst sind Polymere grundsätzlich sicher keine
Kugeln.
Wir betrachten zunächst einen Spezialfall.
Könnten wir anhand der Einstein-
Relation zwischen Monomeren und Dimeren unterscheiden? Die Antwort heißt – zumindest
im Prinzip – Ja. Die Monomere werden in etwa Kugelgestalt haben. Dimere werden eher wie
Hanteln aussehen. Hanteln mit einem Aspektverhältnis von 2:1 haben eine Grenzviskositätszahl von etwa 3. Dimere werden also bei gleichem Volumenanteil die Viskosität in einem
größeren Ausmaß steigern als Monomere und wir könnten diesen Effekt nutzen, um zwischen
Monomeren und Dimeren zu unterscheiden.
ausweiten.
Das Verfahren könnten wir auf Trimere
Diese könnten wir als Hanteln mit einem Aspektverhältnis von etwa 3:1
auffassen. Diese haben eine Grenzviskositätszahl von etwa 3.6. Man sieht schon: dieses
Verfahren wird bei 100-meren sehr unübersichtlich. Schließlich sind 100-mere ja statistisch
2
Dies sieht man schnell ein, wenn man eine nahezu dichte Kugelpackung annimmt. Diese kann überhaupt
nicht mehr fließen. Die Viskosität wird unendlich und damit höher als von der Einstein-Gleichung vorhergesagt.
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verknäult. Bevor wir uns einer Praxis-näheren Sichtweise zuwenden halten wir nochmals
fest: [η] ist ein Gestaltparameter.
Für lange Ketten hat sich in der Polymer-Gemeinde eine andere Sichtweise durchgesetzt.
Lange Ketten betrachtet man gerne auch als „Kugeln“.
Das ist erstens eine grobe
Approximation und zweitens ganz sicher nur dann zulässig, wenn man den Begriff des
„Volumenbruchs“ modifiziert.
Bisher hatten wir als Volumenbruch dasjenige Volumen
aufgefasst, welches von den Segmenten belegt wird. Wenn ein Lösungsmittelmolekül im
inneren eines Knäuels gelegen ist und sich daher aus hydrodynamischen Gründen mit der
Kette mitbewegt, so wurde es dadurch mitnichten zu einem Teil der Kette. Die Tatsache, dass
ausgedehnte und irreguläre Objekte viel Lösungsmittel mitführen fand ihren Niederschlag in
einer hohen Grenzviskositätszahl. Diese Sicht ändern wir jetzt. Wir fassen jede Kette als
eine Kugel auf (die „Gestalt“ im engeren Sinne wird damit trivial), aber das Kugelvolumen
schließt nun das mitbewegte Lösungsmittel mit ein.
Sichtweise.
Definition
Nochmals: das ist eine andere
Sie ist Praxis-nah, widerspricht aber eigentlich der Philosophie, die der
der
Grenzviskositätszahl
zugrunde
liegt.
Der
wie
oben
definierte
„hydrodynamisch effektive“ Volumenbruch der dispergierten Knäuel ist NICHT der
Volumenbruch des eingewogenen Polymers.
Der effektive Radius der so definierten „Polymer-Kugeln“ führt den Namen
„hydrodynamischer Radius“, rH. Der „hydrodynamische Radius“ ist dadurch gekennzeichnet,
dass er mit hydrodynamischen Methoden (wie z.B. über die Messung von [η]) bestimmt wird.
Er ist der Radius einer hypothetischen festen Kugel, die dieselben Diffusionseigenschaften
aufweist wie das betrachtete Polymermolekül. Eine detaillierte Vorhersage von rH anhand
von molekularen Daten ist schwierig. Trotzdem ist rH eine viel diskutierte Größe.
Für die „Grenzviskositätszahl gilt die Mark-Houwink-Gleichung:
[η] = K Ma
(6)
Werte von K und a sind für viele Polymer–Lösungsmittel-Paare tabelliert. Der Wert des
Exponenten a, dem so genannten Mark-Houwink-Exponenten, hängt von der Gestalt der
Polymerkette ab. In der Regel steigt a mit zunehmender Güte des Lösungsmittels. In guten
Lösungsmitteln liegt der Exponent a zwischen 0.5 und 1, in so genannten ThetaLösungsmitteln beträgt er 0.5.
Die Mark-Houwink Gleichung ist zunächst eine empirische Relation. Sie impliziert aber
gleichzeitig auch eine Annahme über das Verhalten der Polymere, die so genannte „Skalen-
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hypothese“.
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Die Skalenhypothese ist im Zusammenhang mit dem Versuch „Computer-
Simulation“ ausführlicher diskutiert. Es ist im Grunde eine Symmetrie-Eigenschaft. Nehmen
wir an, jemand würde die Augen zusammenkneifen und sich beim Abzählen der Segmente
stets verzählen in dem Sinne, dass er nur jedes zweite Segment als solches wahrnimmt. Wenn
diese Personen diese falsche Anzahl der Segmente in die bekannten Gleichungen der
Polymerphysik einsetzt, wird sie zu der Ansicht kommen, die Gleichungen seien alle falsch.
Wenn die Person aber auch ein falsches Metermaß und eine falsche Uhr in der Tasche hat,
wird sie den Fehler nicht bemerken. Insbesondere wird ihr Viskosimeter (welches jetzt
natürlich auch falsch funktioniert) die Mark-Houwink-Gleichung (Glg. 6) liefern. Unsere
Testperson wird die Gleichungen der Polymerphysik alle bestätigt finden und daher der
Meinung
sein,
ihre
Kombination
von
Zählverfahren,
Längenmessverfahren
und
Zeitmessverfahren sei genauso legitim wie diejenige, die der andere Teil der Zivilisation
verwendet.
Zu Recht.
Meter und Stunde sind nur Konvention.
Im Rahmen dieser
Argumentation betrachten wir auch die Art und Weise, Segmente einer Kette abzuzählen, als
Konvention.3 Es ist allerdings wichtig, dass Zählweise, Metermaß und Uhr in einer sorgfältig
aufeinander abgestimmten Weise falsch gehen. Sonst findet unser hypothetischer AbzählHäretiker andere Gesetze der Polymerphysik als wir selbst.
Skalengesetze und Reskalierung sind ein tief liegendes Symmetrie-Konzept nicht nur in
der Polymerphysik. Beachten Sie: die Skalenhypothese ist mitnichten immer erfüllt. Sie gilt
nur in gewissen eingeschränkten Größen-, Zeit-, und Segmentzahlbereichen. Wenn z.B. die
Zahl der Segmente klein ist, dann wird unsere Testperson nicht umhinkommen zu bemerken,
dass das einzelne Segment auf seinem Metermaß eine andere Größe (in Metern) hat, als dies
in der Literatur berichtet wird. Kleine Moleküle unterliegen nicht der Skalenhypothese. Sie
haben eine feste Größe. Alle „Reskalierungen“ führen sofort zu Paradoxien. Reskalierbarkeit
findet man in der Regel bei bestimmten irregulär geformten statistischen Objekten. Die
statistischen Eigenschaften einer Polymerkette, einer Asphalt-Straße, der Oberfläche der
Nordsee, und eines realen Gases nah am kritischen Punkt bleiben unter Reskalierung
unverändert (sofern man sich auf die relevanten Größenbereiche beschränkt).
Wir hatten oben hervorgehoben, dass man sich schwer tut, den mittleren hydrodynamischen Radius eines Knäuels anhand der molekularen Parameter vorherzusagen. Man
3
Diese Bemerkung hat einen tieferen Sinn. Man kann in der Tat mehrere Segmente zu einem effektiven
Segment zusammenfassen. Dies ist im Skript zur Computer-Simulation näher ausgeführt.
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kann aber trotzdem hoffen, einen Zusammenhang zwischen rH und dem Molekulargewicht M
zu finden. Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der Skalenhypothese wie folgt:
rH = BM ν
(7)
Der Vorfaktor B ist, wie gesagt, schwer vorherzusagen. Genau so schwer ist es, einen
gemessenen Wert für B molekular zu interpretieren. Der Exponent ν hat aber eine relativ
klare Bedeutung. Er ist auch messbar. Man bestimmt den hydrodynamischen Radius für eine
Reihe von Proben mit verschiedenem Molekulargewicht. In einer log-log Auftragung der
Ergebnisse ist ν die Steigung einer Regressionsgerade. Im Skript zum Versuch „ComputerSimulation“ findet sich eine Begründung, warum die Skalenhypothese immer Potenzgesetze
(wie z.B. die Gleichungen 6 und 7) nach sich zieht. Ein Gesetz von der Form rH = AM + BM2
(mit A und B zwei Parametern) würde die Skalenhypothese verletzen.
Welchen Wert und welche Bedeutung hat nun der Exponent ν (der „Skalenexponent“)?
Betrachten wir zunächst ein kollabiertes Knäuel. Bitte begründen Sie, dass für dieses Knäuel
ν den Wert 1/3 annimmt.4
Betrachten wir weiterhin die ideale Gaußsche Kette (eine Kette in einem θ-Lösungsmittel,
einem Lösungsmittel an der Grenze zwischen „gut“ und „schlecht“). Für diese Kette kennen
wir den mittleren quadratischen End-zu-End Abstand, <(re)2>.
re
b1
⎛→⎞
⎜ re ⎟
⎝ ⎠
4
b2
2
b3
2
2
⎛→2 →2 →2
⎞
⎛ →⎞
⎛→ → →
⎞
= ⎜ ∑ bi ⎟ = ⎜ b1 + b2 + b3 + ...⎟ = ⎜⎜ b1 + b2 + b2 + ... ⎟⎟ + ∑ bi ⋅ b j cos δ ij
⎝
⎠
⎝ i ⎠
⎝
⎠
(8)
Benutzen sie, dass das Volumen proportional zu rH3 ist und dass weiterhin das Volumen proportional zum
Molekulargewicht ist. Dieser Fall kommt übrigens in der Praxis selten vor. Wenn das Lösungsmittel zu
schlecht ist, fällt das Polymer aus und findet sich am Boden des Bechers wieder.
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δ ist der Bindungswinkel. Für i ≠ j ist δ zufällig verteilt. Deshalb ist cos δ ij = 0 . Ist N
die Anzahl der Monomereinheiten, so folgt für den Fadenendabstand aus der Irrflugstatistik:
re2 = b 2 N = b 2
M
m
(9)
Hier ist b die „statistische Segmentlänge“ (etwas größer als die wahre Segmentlänge), N
ist die mittlere Anzahl der Segmente, und m ist das Monomergewicht. Wenn wir jetzt weiter
postulieren, dass der hydrodynamische Radius proportional zum mittleren End-zu-End
Abstand ist (genauer: zum root-mean-square Wert,
re2 )5 dann folgt für die ideale Gauß-
Kette rH der Skalenexponent ν = 1/2.
Es gibt einen dritten wichtigen Fall: die Kette im guten Lösungsmittel. Hier hat der
Skalenexponent den Wert ν ~ 0.588. Eine etwas gröbere (aber sehr bekannte) Abschätzung
ergibt den Wert 3/5. Dieser Exponent führt den Namen „Flory-Exponent“. Sein exakter
Zahlenwert hat die Gemeinschaft der Polymerwissenschaftler intensiv beschäftigt.
Die
Tatsache, dass die Ketten im guten Lösungsmittel von der idealen Irrflugstatistik abweichen,
hängt mit der Selbstvermeidung zusammen. An ein-und-derselben Stelle können sich nicht
zwei Segmente aufhalten.6 Etwas technischer nennt sich der zugehörige Irrflug „self-avoiding
random walk (SAW).“ Der SAW ist nicht dasselbe wie die Gaußsche Irrflug (englisch
„random walk, RW“). Der sprichwörtliche Betrunkene, der völlig zufallsbestimmt durch die
Altstadt stolpert, kann durchaus im Laufe eines langen Abends mehrfach auf demselben BarHocker Platz nehmen. Hier gibt es keine Selbstvermeidung.
Nun zurück zur Mark-Houwink Relation.
Die Mark-Houwink Relation lässt sich
begründen, wenn man die Einstein-Relation (Glg. 5) mit Glg. 7 kombiniert. Wir schreiben:
5
Auch der Begriff des root-mean-square Werts einer Verteilung – der hier eher am Rande fällt – ist
fundamental.
Der mittlere End-zu-End-Abstand ist Null, da es ja eine Vektorsumme über eine isotrope
Verteilung von Vektoren ist. Nur durch Quadrierung erhalten wir einen Wert größer Null. Der Dreischritt
„Quadrieren – Mitteln – Wurzel ziehen“ tritt sehr oft auf.
6
Für die Kette im θ-Lösungsmittel gilt natürlich – genau genommen – auch die Selbstvermeidung. Die
Effekte der Selbstvermeidung werden aber gerade kompensiert durch die Anziehung zwischen den
Kettensegmenten, die für ein „nicht sehr gutes Lösungsmittel“ von Bedeutung ist.
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⎛ 5
⎞
η = ηS ⎜1 + ϕhydro ⎟
⎝ 2
⎠
1 η − ηS 5 ϕhydro 5 1 4π 3
=
=
rH N S
[η] =
ϕ ηS
2 ϕ
2ϕ 3
=
(10)
M pol ,tot
10π Vcell
BM 3ν
M
3 V pol ,tot
∝ M 3ν−1
Hier ist ϕhydro der hydrodynamisch effektive Volumenbruch, NS ist die Anzahl der Kugeln,
Vcell ist das Volumen der Messzelle, Vpol,tot ist das gesamte Volumen aller Polymersegmente,
und Mpol,tot ist die gesamte Masse aller Polymersegmente. Das hydrodynamisch effektive
Volumen einer einzelnen Kugel ist gleich 4π/3 rH3. Um zu ϕhydro zu gelangen, müssen wir mit
der Anzahl der Kugeln NS multiplizieren. Diese ist aber bei gegebener Einwaage invers
proportional zum Molekulargewicht.
Bitte zeigen Sie, dass wir für ein θ-Lösungsmittel den Mark-Houwink Exponenten α = 1/2
erwarten. Bitte zeigen Sie weiterhin, dass wir für eine Kette im guten Lösungsmittel den
Wert α = 0.764 erwarten Diese Erwartungen werden durch das Experiment überraschend gut
erfüllt. Welcher Wert gilt für Polystyrol in Toluol? Beachten Sie, dass diese Überlegungen
für lineare Ketten gelten. Verzweigungen senken den Mark-Houwink-Exponenten. Der
Mark-Houwink-Exponent gibt also auch einen Hinweis auf den Verzweigungsgrad.
2. Typische Fragen können sein:
Welche Größen sind Transportgrößen? Wie ist die Viskosität definiert?
Warum unterscheidet sich die Temperaturabhängigkeit der Viskosität von Lösungen von
der der Gase? Wovon hängt die Viskosität noch ab?
Welche Möglichkeiten hat man zur Bestimmung der Viskosität?
Was ist ein Couette-Viskosimeter?
In der „Nanorheologie“ bestimmt man eine lokale Viskosität aus der Brownschen
Bewegung kleiner Partikel. Welches Gesetz liegt diesem Verfahren zugrunde?
Was ist der hydrodynamische Radius?
Inwiefern kann Gleichung (6) zur Definition eines „hydrodynamischen Volumens“
nutzen?
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Wie ist der Zusammenhang zwischen Viskosität und Beweglichkeit?
Warum unterscheidet sich der hydrodynamische Radius gelöster Ionen von dem der im
Kristall eingebauten Ionen?
Welche Konformationen gelöster Makromoleküle gibt es?
Was ist der Unterschied zwischen Kettenkonformation und Kettentopologie?
Wodurch kann die Konformation eines Makromoleküls beeinflusst werden?
Welche Molmassen-Mittelwerte gibt es?
Wie können Molekulargewichte bestimmt werden?
Warum kann man die Mark-Houwink-Relation nicht auf geladene Ketten (Polyelektrolyte)
anwenden?
3. Literatur
•
H.G. Elias: Makromoleküle : Struktur, Eigenschaften, Synthesen, Stoffe, Technologie
4. Aufl., Hüthig & Wepf, 1981. ISBN: 3-7785-0677-3.
Anmerkung: ab 5. Aufl. zweibändig.
Kap. 8: Molmassen und Molmassen-Verteilungen
S. 242-258
Kap. 9.9: Bestimmung von Molmassen
S. 259, 297-317
Kap. 7.5: Transportphänomene
•
S. 225-235
G. Wedler: Lehrbuch der physikalischen Chemie. 3., Aufl., Weinheim [u.a.]: VCH, 1987.
ISBN: 3-527-26702-6 Kap. 5.5: Viskosität
•
S. 700-711
P.W. Atkins: Physikalische Chemie, 3., korrigierte Aufl., Weinheim [u.a.]: VCH, 2001.
ISBN: 3-527-30236-0
Kap. 23: Makromoleküle
S. 737-761
4. Aufgabe
Bestimmen Sie anhand der Grenzviskositätszahl die Molmasse des gelösten Polystyrols.
Berechnen und diskutieren Sie weiterhin die Huggins-Konstante der Polymerlösung. Führen
Sie anschließend eine ausführliche Fehlerdiskussion durch.
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5. Versuchsdurchführung
Es werden fünf verschieden konzentrierte Polystyrol-Toluol-Lösungen ausgehend von der
vorhandenen Stammlösung hergestellt (1 g/L, 1.5 g/L, 2 g/L, 2.5 g/L, 3g/L). Für die Stammlösung und das Lösungsmittel werden separate Pipetten verwendet. Auf sauberes und sehr
genaues Arbeiten ist zu achten. Jeweils zwei Lösungen können – im Kolben verbleibend –
vortemperiert werden (kleine Bechergläser mit Wasser verwenden). Die zu vermessende
Lösung wird anschließend 15 min im sauberen Kapillarviskosimeter auf 30 °C temperiert.
Reinigen des Viskosimeters
Das Viskosimeter muss völlig sauber und staubfrei sein (warum?). Vor und nach jeder
Messung wird daher gründlich mit Aceton, evtl. mit Toluol gespült. Anschließend wird mit
Druckluft vorsichtig und vollständig getrocknet. Entsprechendes gilt für die verwendeten
Pipetten.
Befüllen des Viskosimeters und Messung der Durchflusszeiten
Die
Viskositätsmessungen
werden
mit
einem
Ubbelohde-Kapillarviskosimeter
vorgenommen. Es wird die Zeit gemessen, die die jeweilige Polymerlösung sowie reines
Toluol zum Durchlaufen einer konstanten Strecke l benötigt.
Die Messungen werden mindestens drei Mal wiederholt.
Sollten in der Polymerlösung Verunreinigungen (Staub) zu
erkennen sein, bitte beim technischen Personal zwecks
Filtrierens melden.
Füllen Sie vorsichtig etwa 20 mL Lösung durch das dicke
Rohr (3) in das Viskosimeter ein, bis der Flüssigkeitspegel in
der Vorratskugel (4) zwischen den Markierungen M steht.
Das Viskosimeter wird jetzt in den Durchsichtthermostaten
eingehängt und mindestens 10 min temperiert.
Zur Messung wird die Öffnung des Rohres (1) mit dem
Gummistopfen verschlossen, während mit dem kleinen
Blasebalg über Rohr (3) die Lösung durch die Kapillare (7) bis
in die kleine Vorlaufkugel (9) gedrückt wird. Der Blasebalg
wird schnell abgenommen (Gummistopfen immer noch zum
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Verschließen des Rohres (1)!), dann wird auch das Rohr durch Drücken der automatischen
Stoppuhr (1) wieder freigegeben. Die Flüssigkeitssäule reißt dabei am unteren Ende der
Kapillaren (6) ab, und es bildet sich ein Meniskus aus. Mittels der automatischen Stoppuhr
die Zeitspanne gemessen, in der der untere Rand des Meniskus der Flüssigkeitssäule von der
oberen Kante der Ringmarke M1 (erste Lichtschranke) bis zur oberen Kante der Ringmarke
M2 (zweite Lichtschranke) absinkt.
6. Auswertung
Für jede Konzentration werden aus dem zugehörigen Mittelwert der Durchflusszeiten die
reduzierte und die inhärente Viskosität bestimmt und in einem Diagramm gegen die
Polymerkonzentration aufgetragen. Die Korrelation zwischen Durchlaufzeit im UbbelohdeViskosimeter und Viskosität der Lösung gibt die Hagen-Poiseuille-Gleichung an:
ΔV ( ρ gl + Δp )π R 4
=
8η l
Δt
(11)
mit ΔV dem Durchflussvolumen, Δt der Durchflusszeit, ρ der Dichte der Polymerlösung, g
der Erdbeschleunigung, l der Durchflussstrecke, R dem Radius der Kapillaren und η der
Viskosität der Lösung. Die genaue Durchflusszeit wird aus der gemessenen Zeit abzüglich
der Hagenbach-Korrekturzeit bestimmt (siehe Tabelle 1).
Zeit [s]
50 75 100 125 150 175 200 225 250 275 300 325 350 375 400 425 450 475
Korrektur [s] 6.69 2.98 1.67 1.07 0.74 0.55 0.42 0.33 0.27 0.22 0.19 0.16 0.14 0.12 0.11 0.09 0.08 0.07
Tabelle 1: Hagenbach-Korrekturzeiten für das Ubbelohde-Viskosimeter
Die treibende Kraft ist alleinig die Gewichtskraft der Flüssigkeit, womit Δp = 0 wird und
man findet:
η=
ρ glπ R 4 Δt
8l ΔV
= C ρΔt
wobei C alle gerätetypischen Konstanten zusammenfasst.
(12)
Durch Messung zweier
verschieden konzentrierten Lösungen (Index 1, 2) im selben Viskosimeter wird die
Gerätekonstante C eliminiert:
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η1 ρ1Δt1
=
η2 ρ 2 Δt2
(13)
Im Falle hochverdünnter Lösung kann die Dichte der Polymerlösung näherungsweise als
konstant angenommen werden. Die relative und die reduzierte Viskosität berechnen sich
jeweils nach:
ηrel =
η1 ρ1Δt1 Δt1
=
≈
η0 ρ0 Δt0 Δt0
(14)
ηred ≈
Δt1 − Δt0
cΔt0
(15)
Zur Ermittlung der Grenzviskositätszahlen werden sowohl die reduzierte als auch die
inhärente Viskosität in ein und dasselbe Diagramm eingetragen. Die erhaltenen Steigungen
und Regressionskoeffizienten sind zu diskutieren.
Für die Berechnung der Molmasse werden folgende empirische Konstanten verwendet
(PS in Toluol7, 30 °C):
a = 0.718
K = 0.0107 mL/g
Die Fehlerbetrachtung sollte eine Abschätzung des relativen Fehlers für die Bestimmung
der Molmasse enthalten. Wie viele signifikante Ziffern der Endergebnisse sind sinnvoll?
7. Wichtige Hinweise
Je sorgfältiger bei der Probenherstellung gearbeitet wird, umso besser die Ergebnisse.
Während der gesamten Versuchsdauer ist auf KONSTANTE Temperatur zu achten. Geringe
Temperaturschwankungen bewirken große Messfehler (warum?). Vorsicht beim Umgang mit
dem Viskosimeter!
8. Anhang: Analogie zwischen viskosem Impulstransport und Diffusion
Man stelle sich die Flüssigkeit oder das Gas als Kartenstapel vor. Liegt eine laminare
Strömung vor, so bleibt die unterste Karte ortsfest, die angrenzende bewegt sich dann mit
einer konstanten Geschwindigkeit in x-Richtung (Strömungsrichtung).
Es entsteht ein
Geschwindigkeitsgradient in z-Richtung, also senkrecht zur Strömungsrichtung.
7
R- und S-Sätze R 11-20, S 16-25-29-33
Die
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Impulsstromdichte in z-Richtung entspricht (im eindimensionalen Fall) genau der
Schubspannungskraft τxz, die in x-Richtung pro Fläche mit der Normalenrichtung z wirkt:
τ xz = η
dvx
dv
dp
= νρ x = ν x = j pxz
dz
dz
dz
(A1)
und weiter
dvx
d 2 vx
=ν ⋅ 2
dt
dz
(A2)
Hierin ist η die „dynamische Viskosität“, ν die „kinematische Viskosität“ (ν = η/ρ), ρ die
Dichte des strömenden Mediums, vx die Fließgeschwindigkeit in x-Richtung, px der Impuls
und jpxz die Impulsstromdichte. Diese Gleichung ist das (eindimensionale) Äquivalent zum
Fickschen Diffusionsgesetz, die kinematische Viskosität ist somit das Analogon zum
Diffusionskoeffizient.
Die kinematische Viskosität spielt die Rolle einer Diffusionskonstanten (welche Einheit hat
die kinematische Viskosität?). Vergleichen Sie die kinematischen Viskositäten von Wasser
und Luft.
9. Anhang 2: Zur inhärenten Viskosität
Sie werden im Versuchsteil aufgefordert, neben der reduzierten Viskosität auch die
inhärente Viskosität gegen die Konzentration aufzutragen.
Für die reduzierte Viskosität
erwarten sie eine positive Steigung, für die inhärente dagegen eine negative. Beide Größen
aufzutragen ist ein Test auf die Tatsache, dass Ihre Lösung in der Tat „verdünnt“ ist. In einer
verdünnten Lösung sind die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ketten schwach.
Bei welchem Verdünnungsgrad genau eine Wechselwirkung als schwach aufgefasst werden
kann, ist u.U. nicht a priori klar. Geladen Polymerketten (Polyelektrolyte) sind z.T. sehr stark
gequollen und es gibt Wechselwirkungen auch bei extrem kleinen Konzentrationen. Im
Folgenden begründen wir kurz, warum Sie in der Auftragung von ηinh gegen die
Konzentration eine negative Steigung erwarten (sofern die Lösung „verdünnt“ ist). Es gilt
dηinh
d ⎛1 ⎛ η
= ⎜ ln ⎜
dc
dc ⎝⎜ c ⎝ ηS
⎞⎞ d ⎛ 1
[η] − ln (1 + [η] c )
⎞
⎟ ⎟⎟ ≈ ⎜ ln (1 + [ η] c ) ⎟ =
c2
⎠ c (1 + [ η] c )
⎠ ⎠ dc ⎝ c
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Institut für Physikalische Chemie
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3. Viskosimetrie
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Man möchte nun der Meinung sein, dass diese Größe bei c → 0 divergiert. Es zeigt sich
jedoch, dass der erste und der zweite Term sich nahezu aufheben. Für kleines c gilt
[η] = [η] 1 − η c + η c 2 + ...
( [ ] ([ ] ) )
c
c (1 + [ η] c )
−
ln (1 + [ η] c )
2
⎞
[η] c )
(
1 ⎛⎜
= − 2 [ η] c −
+ ... ⎟
⎟
2
c ⎜
⎝
⎠
c2
Einsetzen zeigt:
dηinh
dc
[η]
=−
2
c =0
2
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