TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 1/15 Viskosimetrie Ermittlung der Grenzviskositätszahl zur Molmassen-Bestimmung von Polymeren Versuchsplatz Thermostat Pipetten Erlenmeyerkolben Ubbelohde-Kapillarviskosimeter mit eingebauter Lichtschranke 1. Allgemeines zum Versuch Bei der Synthese von Makromolekülen entstehen nur in Ausnahmefällen molekular einheitliche Produkte. Die überwiegende Zahl von Polymerisationsreaktionen läuft statistisch ab. Die entstehende Substanz weist dann eine mehr oder weniger breite Molmassenverteilung auf. Man kann die vollständige Molmassenverteilung z.B. durch Gelpermeationschromatographie (GPC) bestimmen. Es erfolgt dabei eine Fraktionierung nach einem sterischen Ausschlussmechanismus, d.h. man benutzt die Tatsache, dass die mittlere Aufenthaltsdauer der Ketten in den Hohlräumen eines porösen Stoffes mit steigender Kettenlänge sinkt.1 Statt die ganze Verteilung der Molmassen zu bestimmen, begnügt man sich aber auch oft mit der Angabe verschiedener Mittelwerte. Haben wir in einem Gemisch Ni Moleküle mit der Molmasse Mi, so definiert man als ∑N M = ∑N i Zahlmittelwert (bestimmbar durch Osmose): M n i i i i 1 Achtung: Bei dieser Chromatographie-Variante sinkt die Verweildauer mit steigender Kettenlänge. Es ist nicht so, dass längere Ketten präferentiell adsorbieren würden. Längere Ketten haben keinen Platz in den kleinen Poren und werden deshalb schneller durch die großen Poren gespült. GPC nennt sich deshalb auch manchmal „size exclusion chromatography (SEC)“. TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 2/15 ∑N M = ∑N M i Gewichtsmittelwert (bestimmbar durch Lichtstreuung): M w 2 i i i ∑m M = ∑m i i i i i i i Nimmt man eine osmometrische (Mn) und eine Lichtstreuungs-(Mw) Bestimmung der Molmasse vor, so kann man entscheiden, ob die Verteilung breit oder eng ist. Der Quotient Mw/Mn ist ein Maß für die Breite der Verteilung (Polydispersität). Man bezeichnet den Quotienten Mw/Mn auch als „Polydispersitäts-Index (PDI)“ In diesem Versuch wird eine einfache aber sehr genaue Methode vorgestellt, um den so genannten Viskositätsmittelwert des Molekulargewichts (s.u.) zu bestimmen. Wenn man einem Lösungsmittel ein Polymer zusetzt, erhöhen aufgrund der ausgedehnten Gestalt der Ketten auch schon kleine Konzentrationen die Viskosität der Lösung ganz beträchtlich. Viskosimetrie liefert dabei jedoch keinen der oben definierten Mittelwerte, sondern einen Wert Mη, der zwischen Mn und Mw liegt (meist näher bei Mw): ∑N M ∑N M a +1 Viskositätsmittelwert: M η = a i i (die Konstante a wird weiter unten definiert) i i i i Außerdem ist die viskosimetrische Molmassenbestimmung keine Absolutmethode, d.h. man benötigt gewisse Kalibrierkonstanten, die für jedes Polymer/Lösemittel-Paar verschieden sind (und von der Temperatur abhängen). Die Gesetzmäßigkeiten, die man der Berechnung des Molekulargewichts zugrunde legt, gelten nur im hoch verdünnten Zustand. Da oft schon bei geringen Polymerkonzentrationen Abweichungen auftreten, ist es erforderlich, Konzentrationsreihen zu vermessen und auf unendliche Verdünnung zu extrapolieren. Eine Viskositätserhöhung durch ein bestimmtes Polymer (bei festgehaltener Einwaage) hängt neben seinem Molekulargewicht auch von seiner Gestalt ab. Diese „Konformation“ wird bei linearen, statistisch geknäulten Polymermolekülen im Wesentlichen durch die Lösungsmittelqualität und die Temperatur bestimmt. Daher ist es wichtig, bei der Bestimmung einer Molmasse über Viskosimetrie eine Konzentrationsreihe für ein identisches Lösungsmittel bei konstanter Temperatur zu vermessen. Der Zusammenhang zwischen Polymermassenkonzentration c, der Viskosität des Lösungsmittels ηS sowie der Viskosität der Polymerlösung η wird durch folgende gebräuchliche Variablen ausgedrückt: TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum ηrel = relative Viskosität spezifische Viskosität ηsp = reduzierte Viskosität ηred = Seite 3/15 η ηS η − ηS η −1 = ηS ηS ηsp c = 1 η − ηS c ηS ηinh = inhärente Viskosität ln η rel c Im Grenzfall hoher Verdünnung geht die reduzierte Viskosität gegen eine Konstante. Die Grenzviskositätszahl [η] (engl. „intrinsic viscosity“) ist definiert als ηred = lim [η] = lim c →0 c →0 1 η − ηS c ηS (1) Wenn die Konzentration steigt, kann man die Lösung nicht mehr as ideal verdünnt betrachten. Die verschiedenen Knäuel treten dann miteinander in Wechselwirkung. Für endliche Konzentration hängt die reduzierte Viskosität oft linear von der Konzentration des gelösten Polymeren ab. Nach Huggins beträgt die Steigung einer dementsprechenden linearen Auftragung: dηred dc = k H [η ]2 (2) c =0 mit der dimensionslosen Huggins-Konstanten kH, welche mit der Wechselwirkung zwischen den verschieden Knäueln zusammenhängt. Die bestimmte Integration liefert dann unter Beachtung von Gleichung (1): ηred ≈ [ η] + k H [ η] c 2 (3) und η ≈ ηs (1 + [ η] c + k H [ η] c 2 + ...) 2 (4) Beachten Sie die formale Ähnlichkeit zwischen Gleichung 4 und der Virial-Entwicklung des osmotischen Drucks. Die Logik hinter der – zugegeben etwas komplizierten – Definition der Grenzviskositätszahl (Gleichung 1) wird an einem Beispiel aus den Kolloidwissenschaften deutlich. Wenn man in einer Flüssigkeit kleine Kugeln dispergiert (die Kugeln seien so klein, dass die Sedimentation gegenüber der Diffusion keine Rolle spielt), so gilt für die Viskosität dieser TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 4/15 Dispersion die Einstein-Gleichung ⎛ 5 ⎞ η = η s ⎜1 + ϕ ⎟ ⎝ 2 ⎠ (5) ϕ ist hier der Volumenbruch der Kugeln. Der Volumenbruch als Konzentrationsmaß ist in den Polymerwissenschaften eher unüblich, aber wir akzeptieren ihn für den Moment. Achtung: das Einstein-Gesetz gilt nur im Grenzfall hoher Verdünnung.2 Wenn wir jetzt die Größe lim(η − ηs ) /(ηs ϕ) betrachten (die Grenzviskositätszahl mit ϕ ϕ→0 als dem Konzentrationsmaß) erhalten wir den Wert 5/2, also in der Tat eine Zahl. Die „Grenzviskositätszahl“ ist immer dann eine Zahl im engeren Sinne, wenn als Konzentrationsmaß eine dimensionslose Größe (wie der Volumenbruch, der Molenbruch, oder der Gewichtsanteil) verwendet wird. Ansonsten hat die „Grenzviskositätszahl“ die Dimension einer inversen Konzentration. Die Grenzviskositätszahl 5/2 erhält man dann, wenn man Kugeln dispergiert. Für Ellipsoide, Stangen, Plättchen, oder anders geformte dispergierte Körper erhält man andere (meist größere) Grenzviskositätszahlen. [η] ist damit ein Parameter, der die Gestalt der dispergierten Objekte beschreibt. Die obigen Überlegungen sind im Großen und Ganzen (wenn auch nicht eins zu eins) auf Polymerlösungen übertragbar. Die Grenzviskositätszahl beschreibt die Gestalt der gelösten Polymerknäuel, und ist damit per se recht interessant. Welche „Gestalt“ haben Polymere? Zunächst sind Polymere grundsätzlich sicher keine Kugeln. Wir betrachten zunächst einen Spezialfall. Könnten wir anhand der Einstein- Relation zwischen Monomeren und Dimeren unterscheiden? Die Antwort heißt – zumindest im Prinzip – Ja. Die Monomere werden in etwa Kugelgestalt haben. Dimere werden eher wie Hanteln aussehen. Hanteln mit einem Aspektverhältnis von 2:1 haben eine Grenzviskositätszahl von etwa 3. Dimere werden also bei gleichem Volumenanteil die Viskosität in einem größeren Ausmaß steigern als Monomere und wir könnten diesen Effekt nutzen, um zwischen Monomeren und Dimeren zu unterscheiden. ausweiten. Das Verfahren könnten wir auf Trimere Diese könnten wir als Hanteln mit einem Aspektverhältnis von etwa 3:1 auffassen. Diese haben eine Grenzviskositätszahl von etwa 3.6. Man sieht schon: dieses Verfahren wird bei 100-meren sehr unübersichtlich. Schließlich sind 100-mere ja statistisch 2 Dies sieht man schnell ein, wenn man eine nahezu dichte Kugelpackung annimmt. Diese kann überhaupt nicht mehr fließen. Die Viskosität wird unendlich und damit höher als von der Einstein-Gleichung vorhergesagt. TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenen-Praktikum 3. Viskosimetrie Seite 5/15 verknäult. Bevor wir uns einer Praxis-näheren Sichtweise zuwenden halten wir nochmals fest: [η] ist ein Gestaltparameter. Für lange Ketten hat sich in der Polymer-Gemeinde eine andere Sichtweise durchgesetzt. Lange Ketten betrachtet man gerne auch als „Kugeln“. Das ist erstens eine grobe Approximation und zweitens ganz sicher nur dann zulässig, wenn man den Begriff des „Volumenbruchs“ modifiziert. Bisher hatten wir als Volumenbruch dasjenige Volumen aufgefasst, welches von den Segmenten belegt wird. Wenn ein Lösungsmittelmolekül im inneren eines Knäuels gelegen ist und sich daher aus hydrodynamischen Gründen mit der Kette mitbewegt, so wurde es dadurch mitnichten zu einem Teil der Kette. Die Tatsache, dass ausgedehnte und irreguläre Objekte viel Lösungsmittel mitführen fand ihren Niederschlag in einer hohen Grenzviskositätszahl. Diese Sicht ändern wir jetzt. Wir fassen jede Kette als eine Kugel auf (die „Gestalt“ im engeren Sinne wird damit trivial), aber das Kugelvolumen schließt nun das mitbewegte Lösungsmittel mit ein. Sichtweise. Definition Nochmals: das ist eine andere Sie ist Praxis-nah, widerspricht aber eigentlich der Philosophie, die der der Grenzviskositätszahl zugrunde liegt. Der wie oben definierte „hydrodynamisch effektive“ Volumenbruch der dispergierten Knäuel ist NICHT der Volumenbruch des eingewogenen Polymers. Der effektive Radius der so definierten „Polymer-Kugeln“ führt den Namen „hydrodynamischer Radius“, rH. Der „hydrodynamische Radius“ ist dadurch gekennzeichnet, dass er mit hydrodynamischen Methoden (wie z.B. über die Messung von [η]) bestimmt wird. Er ist der Radius einer hypothetischen festen Kugel, die dieselben Diffusionseigenschaften aufweist wie das betrachtete Polymermolekül. Eine detaillierte Vorhersage von rH anhand von molekularen Daten ist schwierig. Trotzdem ist rH eine viel diskutierte Größe. Für die „Grenzviskositätszahl gilt die Mark-Houwink-Gleichung: [η] = K Ma (6) Werte von K und a sind für viele Polymer–Lösungsmittel-Paare tabelliert. Der Wert des Exponenten a, dem so genannten Mark-Houwink-Exponenten, hängt von der Gestalt der Polymerkette ab. In der Regel steigt a mit zunehmender Güte des Lösungsmittels. In guten Lösungsmitteln liegt der Exponent a zwischen 0.5 und 1, in so genannten ThetaLösungsmitteln beträgt er 0.5. Die Mark-Houwink Gleichung ist zunächst eine empirische Relation. Sie impliziert aber gleichzeitig auch eine Annahme über das Verhalten der Polymere, die so genannte „Skalen- TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum hypothese“. Seite 6/15 Die Skalenhypothese ist im Zusammenhang mit dem Versuch „Computer- Simulation“ ausführlicher diskutiert. Es ist im Grunde eine Symmetrie-Eigenschaft. Nehmen wir an, jemand würde die Augen zusammenkneifen und sich beim Abzählen der Segmente stets verzählen in dem Sinne, dass er nur jedes zweite Segment als solches wahrnimmt. Wenn diese Personen diese falsche Anzahl der Segmente in die bekannten Gleichungen der Polymerphysik einsetzt, wird sie zu der Ansicht kommen, die Gleichungen seien alle falsch. Wenn die Person aber auch ein falsches Metermaß und eine falsche Uhr in der Tasche hat, wird sie den Fehler nicht bemerken. Insbesondere wird ihr Viskosimeter (welches jetzt natürlich auch falsch funktioniert) die Mark-Houwink-Gleichung (Glg. 6) liefern. Unsere Testperson wird die Gleichungen der Polymerphysik alle bestätigt finden und daher der Meinung sein, ihre Kombination von Zählverfahren, Längenmessverfahren und Zeitmessverfahren sei genauso legitim wie diejenige, die der andere Teil der Zivilisation verwendet. Zu Recht. Meter und Stunde sind nur Konvention. Im Rahmen dieser Argumentation betrachten wir auch die Art und Weise, Segmente einer Kette abzuzählen, als Konvention.3 Es ist allerdings wichtig, dass Zählweise, Metermaß und Uhr in einer sorgfältig aufeinander abgestimmten Weise falsch gehen. Sonst findet unser hypothetischer AbzählHäretiker andere Gesetze der Polymerphysik als wir selbst. Skalengesetze und Reskalierung sind ein tief liegendes Symmetrie-Konzept nicht nur in der Polymerphysik. Beachten Sie: die Skalenhypothese ist mitnichten immer erfüllt. Sie gilt nur in gewissen eingeschränkten Größen-, Zeit-, und Segmentzahlbereichen. Wenn z.B. die Zahl der Segmente klein ist, dann wird unsere Testperson nicht umhinkommen zu bemerken, dass das einzelne Segment auf seinem Metermaß eine andere Größe (in Metern) hat, als dies in der Literatur berichtet wird. Kleine Moleküle unterliegen nicht der Skalenhypothese. Sie haben eine feste Größe. Alle „Reskalierungen“ führen sofort zu Paradoxien. Reskalierbarkeit findet man in der Regel bei bestimmten irregulär geformten statistischen Objekten. Die statistischen Eigenschaften einer Polymerkette, einer Asphalt-Straße, der Oberfläche der Nordsee, und eines realen Gases nah am kritischen Punkt bleiben unter Reskalierung unverändert (sofern man sich auf die relevanten Größenbereiche beschränkt). Wir hatten oben hervorgehoben, dass man sich schwer tut, den mittleren hydrodynamischen Radius eines Knäuels anhand der molekularen Parameter vorherzusagen. Man 3 Diese Bemerkung hat einen tieferen Sinn. Man kann in der Tat mehrere Segmente zu einem effektiven Segment zusammenfassen. Dies ist im Skript zur Computer-Simulation näher ausgeführt. TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 7/15 kann aber trotzdem hoffen, einen Zusammenhang zwischen rH und dem Molekulargewicht M zu finden. Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der Skalenhypothese wie folgt: rH = BM ν (7) Der Vorfaktor B ist, wie gesagt, schwer vorherzusagen. Genau so schwer ist es, einen gemessenen Wert für B molekular zu interpretieren. Der Exponent ν hat aber eine relativ klare Bedeutung. Er ist auch messbar. Man bestimmt den hydrodynamischen Radius für eine Reihe von Proben mit verschiedenem Molekulargewicht. In einer log-log Auftragung der Ergebnisse ist ν die Steigung einer Regressionsgerade. Im Skript zum Versuch „ComputerSimulation“ findet sich eine Begründung, warum die Skalenhypothese immer Potenzgesetze (wie z.B. die Gleichungen 6 und 7) nach sich zieht. Ein Gesetz von der Form rH = AM + BM2 (mit A und B zwei Parametern) würde die Skalenhypothese verletzen. Welchen Wert und welche Bedeutung hat nun der Exponent ν (der „Skalenexponent“)? Betrachten wir zunächst ein kollabiertes Knäuel. Bitte begründen Sie, dass für dieses Knäuel ν den Wert 1/3 annimmt.4 Betrachten wir weiterhin die ideale Gaußsche Kette (eine Kette in einem θ-Lösungsmittel, einem Lösungsmittel an der Grenze zwischen „gut“ und „schlecht“). Für diese Kette kennen wir den mittleren quadratischen End-zu-End Abstand, <(re)2>. re b1 ⎛→⎞ ⎜ re ⎟ ⎝ ⎠ 4 b2 2 b3 2 2 ⎛→2 →2 →2 ⎞ ⎛ →⎞ ⎛→ → → ⎞ = ⎜ ∑ bi ⎟ = ⎜ b1 + b2 + b3 + ...⎟ = ⎜⎜ b1 + b2 + b2 + ... ⎟⎟ + ∑ bi ⋅ b j cos δ ij ⎝ ⎠ ⎝ i ⎠ ⎝ ⎠ (8) Benutzen sie, dass das Volumen proportional zu rH3 ist und dass weiterhin das Volumen proportional zum Molekulargewicht ist. Dieser Fall kommt übrigens in der Praxis selten vor. Wenn das Lösungsmittel zu schlecht ist, fällt das Polymer aus und findet sich am Boden des Bechers wieder. TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 8/15 δ ist der Bindungswinkel. Für i ≠ j ist δ zufällig verteilt. Deshalb ist cos δ ij = 0 . Ist N die Anzahl der Monomereinheiten, so folgt für den Fadenendabstand aus der Irrflugstatistik: re2 = b 2 N = b 2 M m (9) Hier ist b die „statistische Segmentlänge“ (etwas größer als die wahre Segmentlänge), N ist die mittlere Anzahl der Segmente, und m ist das Monomergewicht. Wenn wir jetzt weiter postulieren, dass der hydrodynamische Radius proportional zum mittleren End-zu-End Abstand ist (genauer: zum root-mean-square Wert, re2 )5 dann folgt für die ideale Gauß- Kette rH der Skalenexponent ν = 1/2. Es gibt einen dritten wichtigen Fall: die Kette im guten Lösungsmittel. Hier hat der Skalenexponent den Wert ν ~ 0.588. Eine etwas gröbere (aber sehr bekannte) Abschätzung ergibt den Wert 3/5. Dieser Exponent führt den Namen „Flory-Exponent“. Sein exakter Zahlenwert hat die Gemeinschaft der Polymerwissenschaftler intensiv beschäftigt. Die Tatsache, dass die Ketten im guten Lösungsmittel von der idealen Irrflugstatistik abweichen, hängt mit der Selbstvermeidung zusammen. An ein-und-derselben Stelle können sich nicht zwei Segmente aufhalten.6 Etwas technischer nennt sich der zugehörige Irrflug „self-avoiding random walk (SAW).“ Der SAW ist nicht dasselbe wie die Gaußsche Irrflug (englisch „random walk, RW“). Der sprichwörtliche Betrunkene, der völlig zufallsbestimmt durch die Altstadt stolpert, kann durchaus im Laufe eines langen Abends mehrfach auf demselben BarHocker Platz nehmen. Hier gibt es keine Selbstvermeidung. Nun zurück zur Mark-Houwink Relation. Die Mark-Houwink Relation lässt sich begründen, wenn man die Einstein-Relation (Glg. 5) mit Glg. 7 kombiniert. Wir schreiben: 5 Auch der Begriff des root-mean-square Werts einer Verteilung – der hier eher am Rande fällt – ist fundamental. Der mittlere End-zu-End-Abstand ist Null, da es ja eine Vektorsumme über eine isotrope Verteilung von Vektoren ist. Nur durch Quadrierung erhalten wir einen Wert größer Null. Der Dreischritt „Quadrieren – Mitteln – Wurzel ziehen“ tritt sehr oft auf. 6 Für die Kette im θ-Lösungsmittel gilt natürlich – genau genommen – auch die Selbstvermeidung. Die Effekte der Selbstvermeidung werden aber gerade kompensiert durch die Anziehung zwischen den Kettensegmenten, die für ein „nicht sehr gutes Lösungsmittel“ von Bedeutung ist. TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 9/15 ⎛ 5 ⎞ η = ηS ⎜1 + ϕhydro ⎟ ⎝ 2 ⎠ 1 η − ηS 5 ϕhydro 5 1 4π 3 = = rH N S [η] = ϕ ηS 2 ϕ 2ϕ 3 = (10) M pol ,tot 10π Vcell BM 3ν M 3 V pol ,tot ∝ M 3ν−1 Hier ist ϕhydro der hydrodynamisch effektive Volumenbruch, NS ist die Anzahl der Kugeln, Vcell ist das Volumen der Messzelle, Vpol,tot ist das gesamte Volumen aller Polymersegmente, und Mpol,tot ist die gesamte Masse aller Polymersegmente. Das hydrodynamisch effektive Volumen einer einzelnen Kugel ist gleich 4π/3 rH3. Um zu ϕhydro zu gelangen, müssen wir mit der Anzahl der Kugeln NS multiplizieren. Diese ist aber bei gegebener Einwaage invers proportional zum Molekulargewicht. Bitte zeigen Sie, dass wir für ein θ-Lösungsmittel den Mark-Houwink Exponenten α = 1/2 erwarten. Bitte zeigen Sie weiterhin, dass wir für eine Kette im guten Lösungsmittel den Wert α = 0.764 erwarten Diese Erwartungen werden durch das Experiment überraschend gut erfüllt. Welcher Wert gilt für Polystyrol in Toluol? Beachten Sie, dass diese Überlegungen für lineare Ketten gelten. Verzweigungen senken den Mark-Houwink-Exponenten. Der Mark-Houwink-Exponent gibt also auch einen Hinweis auf den Verzweigungsgrad. 2. Typische Fragen können sein: Welche Größen sind Transportgrößen? Wie ist die Viskosität definiert? Warum unterscheidet sich die Temperaturabhängigkeit der Viskosität von Lösungen von der der Gase? Wovon hängt die Viskosität noch ab? Welche Möglichkeiten hat man zur Bestimmung der Viskosität? Was ist ein Couette-Viskosimeter? In der „Nanorheologie“ bestimmt man eine lokale Viskosität aus der Brownschen Bewegung kleiner Partikel. Welches Gesetz liegt diesem Verfahren zugrunde? Was ist der hydrodynamische Radius? Inwiefern kann Gleichung (6) zur Definition eines „hydrodynamischen Volumens“ nutzen? TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenen-Praktikum 3. Viskosimetrie Seite 10/15 Wie ist der Zusammenhang zwischen Viskosität und Beweglichkeit? Warum unterscheidet sich der hydrodynamische Radius gelöster Ionen von dem der im Kristall eingebauten Ionen? Welche Konformationen gelöster Makromoleküle gibt es? Was ist der Unterschied zwischen Kettenkonformation und Kettentopologie? Wodurch kann die Konformation eines Makromoleküls beeinflusst werden? Welche Molmassen-Mittelwerte gibt es? Wie können Molekulargewichte bestimmt werden? Warum kann man die Mark-Houwink-Relation nicht auf geladene Ketten (Polyelektrolyte) anwenden? 3. Literatur • H.G. Elias: Makromoleküle : Struktur, Eigenschaften, Synthesen, Stoffe, Technologie 4. Aufl., Hüthig & Wepf, 1981. ISBN: 3-7785-0677-3. Anmerkung: ab 5. Aufl. zweibändig. Kap. 8: Molmassen und Molmassen-Verteilungen S. 242-258 Kap. 9.9: Bestimmung von Molmassen S. 259, 297-317 Kap. 7.5: Transportphänomene • S. 225-235 G. Wedler: Lehrbuch der physikalischen Chemie. 3., Aufl., Weinheim [u.a.]: VCH, 1987. ISBN: 3-527-26702-6 Kap. 5.5: Viskosität • S. 700-711 P.W. Atkins: Physikalische Chemie, 3., korrigierte Aufl., Weinheim [u.a.]: VCH, 2001. ISBN: 3-527-30236-0 Kap. 23: Makromoleküle S. 737-761 4. Aufgabe Bestimmen Sie anhand der Grenzviskositätszahl die Molmasse des gelösten Polystyrols. Berechnen und diskutieren Sie weiterhin die Huggins-Konstante der Polymerlösung. Führen Sie anschließend eine ausführliche Fehlerdiskussion durch. TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenen-Praktikum 3. Viskosimetrie Seite 11/15 5. Versuchsdurchführung Es werden fünf verschieden konzentrierte Polystyrol-Toluol-Lösungen ausgehend von der vorhandenen Stammlösung hergestellt (1 g/L, 1.5 g/L, 2 g/L, 2.5 g/L, 3g/L). Für die Stammlösung und das Lösungsmittel werden separate Pipetten verwendet. Auf sauberes und sehr genaues Arbeiten ist zu achten. Jeweils zwei Lösungen können – im Kolben verbleibend – vortemperiert werden (kleine Bechergläser mit Wasser verwenden). Die zu vermessende Lösung wird anschließend 15 min im sauberen Kapillarviskosimeter auf 30 °C temperiert. Reinigen des Viskosimeters Das Viskosimeter muss völlig sauber und staubfrei sein (warum?). Vor und nach jeder Messung wird daher gründlich mit Aceton, evtl. mit Toluol gespült. Anschließend wird mit Druckluft vorsichtig und vollständig getrocknet. Entsprechendes gilt für die verwendeten Pipetten. Befüllen des Viskosimeters und Messung der Durchflusszeiten Die Viskositätsmessungen werden mit einem Ubbelohde-Kapillarviskosimeter vorgenommen. Es wird die Zeit gemessen, die die jeweilige Polymerlösung sowie reines Toluol zum Durchlaufen einer konstanten Strecke l benötigt. Die Messungen werden mindestens drei Mal wiederholt. Sollten in der Polymerlösung Verunreinigungen (Staub) zu erkennen sein, bitte beim technischen Personal zwecks Filtrierens melden. Füllen Sie vorsichtig etwa 20 mL Lösung durch das dicke Rohr (3) in das Viskosimeter ein, bis der Flüssigkeitspegel in der Vorratskugel (4) zwischen den Markierungen M steht. Das Viskosimeter wird jetzt in den Durchsichtthermostaten eingehängt und mindestens 10 min temperiert. Zur Messung wird die Öffnung des Rohres (1) mit dem Gummistopfen verschlossen, während mit dem kleinen Blasebalg über Rohr (3) die Lösung durch die Kapillare (7) bis in die kleine Vorlaufkugel (9) gedrückt wird. Der Blasebalg wird schnell abgenommen (Gummistopfen immer noch zum TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 12/15 Verschließen des Rohres (1)!), dann wird auch das Rohr durch Drücken der automatischen Stoppuhr (1) wieder freigegeben. Die Flüssigkeitssäule reißt dabei am unteren Ende der Kapillaren (6) ab, und es bildet sich ein Meniskus aus. Mittels der automatischen Stoppuhr die Zeitspanne gemessen, in der der untere Rand des Meniskus der Flüssigkeitssäule von der oberen Kante der Ringmarke M1 (erste Lichtschranke) bis zur oberen Kante der Ringmarke M2 (zweite Lichtschranke) absinkt. 6. Auswertung Für jede Konzentration werden aus dem zugehörigen Mittelwert der Durchflusszeiten die reduzierte und die inhärente Viskosität bestimmt und in einem Diagramm gegen die Polymerkonzentration aufgetragen. Die Korrelation zwischen Durchlaufzeit im UbbelohdeViskosimeter und Viskosität der Lösung gibt die Hagen-Poiseuille-Gleichung an: ΔV ( ρ gl + Δp )π R 4 = 8η l Δt (11) mit ΔV dem Durchflussvolumen, Δt der Durchflusszeit, ρ der Dichte der Polymerlösung, g der Erdbeschleunigung, l der Durchflussstrecke, R dem Radius der Kapillaren und η der Viskosität der Lösung. Die genaue Durchflusszeit wird aus der gemessenen Zeit abzüglich der Hagenbach-Korrekturzeit bestimmt (siehe Tabelle 1). Zeit [s] 50 75 100 125 150 175 200 225 250 275 300 325 350 375 400 425 450 475 Korrektur [s] 6.69 2.98 1.67 1.07 0.74 0.55 0.42 0.33 0.27 0.22 0.19 0.16 0.14 0.12 0.11 0.09 0.08 0.07 Tabelle 1: Hagenbach-Korrekturzeiten für das Ubbelohde-Viskosimeter Die treibende Kraft ist alleinig die Gewichtskraft der Flüssigkeit, womit Δp = 0 wird und man findet: η= ρ glπ R 4 Δt 8l ΔV = C ρΔt wobei C alle gerätetypischen Konstanten zusammenfasst. (12) Durch Messung zweier verschieden konzentrierten Lösungen (Index 1, 2) im selben Viskosimeter wird die Gerätekonstante C eliminiert: TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 13/15 η1 ρ1Δt1 = η2 ρ 2 Δt2 (13) Im Falle hochverdünnter Lösung kann die Dichte der Polymerlösung näherungsweise als konstant angenommen werden. Die relative und die reduzierte Viskosität berechnen sich jeweils nach: ηrel = η1 ρ1Δt1 Δt1 = ≈ η0 ρ0 Δt0 Δt0 (14) ηred ≈ Δt1 − Δt0 cΔt0 (15) Zur Ermittlung der Grenzviskositätszahlen werden sowohl die reduzierte als auch die inhärente Viskosität in ein und dasselbe Diagramm eingetragen. Die erhaltenen Steigungen und Regressionskoeffizienten sind zu diskutieren. Für die Berechnung der Molmasse werden folgende empirische Konstanten verwendet (PS in Toluol7, 30 °C): a = 0.718 K = 0.0107 mL/g Die Fehlerbetrachtung sollte eine Abschätzung des relativen Fehlers für die Bestimmung der Molmasse enthalten. Wie viele signifikante Ziffern der Endergebnisse sind sinnvoll? 7. Wichtige Hinweise Je sorgfältiger bei der Probenherstellung gearbeitet wird, umso besser die Ergebnisse. Während der gesamten Versuchsdauer ist auf KONSTANTE Temperatur zu achten. Geringe Temperaturschwankungen bewirken große Messfehler (warum?). Vorsicht beim Umgang mit dem Viskosimeter! 8. Anhang: Analogie zwischen viskosem Impulstransport und Diffusion Man stelle sich die Flüssigkeit oder das Gas als Kartenstapel vor. Liegt eine laminare Strömung vor, so bleibt die unterste Karte ortsfest, die angrenzende bewegt sich dann mit einer konstanten Geschwindigkeit in x-Richtung (Strömungsrichtung). Es entsteht ein Geschwindigkeitsgradient in z-Richtung, also senkrecht zur Strömungsrichtung. 7 R- und S-Sätze R 11-20, S 16-25-29-33 Die TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie 3. Viskosimetrie Fortgeschrittenen-Praktikum Seite 14/15 Impulsstromdichte in z-Richtung entspricht (im eindimensionalen Fall) genau der Schubspannungskraft τxz, die in x-Richtung pro Fläche mit der Normalenrichtung z wirkt: τ xz = η dvx dv dp = νρ x = ν x = j pxz dz dz dz (A1) und weiter dvx d 2 vx =ν ⋅ 2 dt dz (A2) Hierin ist η die „dynamische Viskosität“, ν die „kinematische Viskosität“ (ν = η/ρ), ρ die Dichte des strömenden Mediums, vx die Fließgeschwindigkeit in x-Richtung, px der Impuls und jpxz die Impulsstromdichte. Diese Gleichung ist das (eindimensionale) Äquivalent zum Fickschen Diffusionsgesetz, die kinematische Viskosität ist somit das Analogon zum Diffusionskoeffizient. Die kinematische Viskosität spielt die Rolle einer Diffusionskonstanten (welche Einheit hat die kinematische Viskosität?). Vergleichen Sie die kinematischen Viskositäten von Wasser und Luft. 9. Anhang 2: Zur inhärenten Viskosität Sie werden im Versuchsteil aufgefordert, neben der reduzierten Viskosität auch die inhärente Viskosität gegen die Konzentration aufzutragen. Für die reduzierte Viskosität erwarten sie eine positive Steigung, für die inhärente dagegen eine negative. Beide Größen aufzutragen ist ein Test auf die Tatsache, dass Ihre Lösung in der Tat „verdünnt“ ist. In einer verdünnten Lösung sind die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ketten schwach. Bei welchem Verdünnungsgrad genau eine Wechselwirkung als schwach aufgefasst werden kann, ist u.U. nicht a priori klar. Geladen Polymerketten (Polyelektrolyte) sind z.T. sehr stark gequollen und es gibt Wechselwirkungen auch bei extrem kleinen Konzentrationen. Im Folgenden begründen wir kurz, warum Sie in der Auftragung von ηinh gegen die Konzentration eine negative Steigung erwarten (sofern die Lösung „verdünnt“ ist). Es gilt dηinh d ⎛1 ⎛ η = ⎜ ln ⎜ dc dc ⎝⎜ c ⎝ ηS ⎞⎞ d ⎛ 1 [η] − ln (1 + [η] c ) ⎞ ⎟ ⎟⎟ ≈ ⎜ ln (1 + [ η] c ) ⎟ = c2 ⎠ c (1 + [ η] c ) ⎠ ⎠ dc ⎝ c TU Clausthal Institut für Physikalische Chemie Fortgeschrittenen-Praktikum 3. Viskosimetrie Seite 15/15 Man möchte nun der Meinung sein, dass diese Größe bei c → 0 divergiert. Es zeigt sich jedoch, dass der erste und der zweite Term sich nahezu aufheben. Für kleines c gilt [η] = [η] 1 − η c + η c 2 + ... ( [ ] ([ ] ) ) c c (1 + [ η] c ) − ln (1 + [ η] c ) 2 ⎞ [η] c ) ( 1 ⎛⎜ = − 2 [ η] c − + ... ⎟ ⎟ 2 c ⎜ ⎝ ⎠ c2 Einsetzen zeigt: dηinh dc [η] =− 2 c =0 2