b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin 89 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin Christian Hohenstein, Thomas Fleischmann, Dorothea Hempel 89 89 91 Einleitung Fehler in der Medizin Critical Incident Reporting Critical Incident Reporting in der Medizin Website CIRS‑Notfallmedizin 91 92 Erkenntnisse aus der Website CIRS‑Notfallmedizin Vermeidung von Zwischenfällen – unsere Vorschläge Risikomanagement in der Notfallmedizin 93 95 99 Dies führte zu dem Vergleich, der inzwischen traurige Einleitung Berühmtheit erlangte: Dies entspräche der Anzahl an Passagieren, die bei einem Jumbo-Jet-Absturz ihr Leben Fehler in der Medizin gehören zu den 10 häufigsten lassen, dies aber an jedem Tag des Jahres. Der Aufschrei, Todesursachen und führen zudem zu einem enormen würde jeden Tag ein Jumbo-Jet in den USA abstürzen, finanziellen Mehraufwand. und die Konsequenzen, die dies für die Luftfahrtindustrie hätte, lassen sich kaum vorstellen. Dieser Vergleich Dennoch ist die Beschäftigung mit Fehlern eine ver- hat jedoch einen Haken: Man kann sich zwar ent- gleichsweise neue Entwicklung in der Medizin. scheiden, kein Flugzeug zu besteigen, aber gesund zu Insbesondere die systematische Analyse kritischer bleiben, nicht krank zu werden und das Gesundheits- Ereignisse und daraus folgende Risiko-Management- system nie in Anspruch zu nehmen, entzieht sich in Verfahren können im Gesundheitswesen nicht auf eine der Regel der eigenen Entscheidung. lange Tradition zurückblicken. Noch vor 2 Generationen wäre es ungewöhnlich gewesen, einen Behand- Das Wissen um Fehler in der Medizin hat seither lungsfehler ausführlich zu diskutieren, während in- erheblich zugenommen. Widerlegt wurden diese und zwischen frei zugängliche Fehlermeldeportale sowie ähnliche Zahlen über das Ausmaß ihres Auftretens öffentliche oder zumindest fachöffentliche Fehler- nicht. diskussionen an Verbreitung erheblich zugenommen Aber inzwischen weiß man sehr viel mehr, in welchen haben. Bereichen der Medizin Fehler geschehen, wie häufig sie Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war der Bericht ungefähr auftreten, welchen Folgen sie in etwa haben „To Err is Human: Building a Safer Health Care System“ sowie – und dies sind vielleicht die wertvollsten Er- des US‑amerikanischen Institute of Medicine, der 1999 kenntnisse – welche Faktoren das Entstehen von Feh- erschien und großes Aufsehen erregte [1]. Der Report lern begünstigen und welche ihr Auftreten verhindern. kommt aufgrund einer großen und soliden Menge an Daten zu dem Ergebnis, dass jedes Jahr zwischen 44 000 und 98 000 US‑Bürger infolge medizinischer Fehler zu Tode kommen. Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 ⎢ DOI: http://dx.doi.org/10.1055/s-0030-1271041 ⎢ VNR 2760512011060003006 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors Übersicht b 90 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin Fehler in der Medizin Es gibt einige wichtige Erkenntnisse, welche sich nicht intuitiv erschließen lassen, sondern eine nüchterne Analyse erfordern. ■ Bei Behandlungsfehlern gibt es meist 2 Opfer: Zum einen den geschädigten Patienten, und zum zweiten den behandelnden Arzt. Viele Ärzte, die erleben mussten, dass durch Handlungen von ihnen ein Mensch zu Schaden kam, leiden lange und schwer daran. Darüber wird selten gesprochen. Besonders groß kann der seelische Schaden der Behandelnden sein, wenn das „name-blame-shame“- oder Sünden- Abb. 1 Beispiel für Fehler auf der Systemebene: Zahlendreher – Blutzuckermessgeräte sollten eindeutiger mit „oben“ und „unten“ gekennzeichnet sein. (Solange das nicht so ist, daran denken: Richtig herum halten!) bock-Spiel gespielt wird. War in früheren Ärzte- ■ Nur sehr selten führt ein einziger Faktor oder ein einem moralisch bedenklichen Ausmaß festzustel- einziges Fehlverhalten zur Realisierung eines Fehlers. len, so ist ein Ausgrenzen und Stigmatisieren eines Sehr oft handelt es sich hingegen um das gemein- beschuldigten Arztes inzwischen recht verbreitet. same Auftreten mehrerer Fehler begünstigender Faktoren und das gleichzeitige Versagen von Schutz- Die Ursache eines Fehlers ist selten allein auf das systemen. Hierin liegt gleichzeitig eine große Chan- Versagen einer einzelnen Person zurückzuführen. ce: In aller Regel treten nämlich einzelne fehler- Wesentlich häufiger sind es verantwortungsvolle begünstigende Faktoren und/oder das Versagen Menschen, die in einer besonderen Situation eine einzelner Schutzsysteme bereits auf, bevor es zur Handlung durchführen, von der sie unter den gegebe- Verwirklichung des Fehlers kommt. Dies sind die so- nen Umständen annehmen, dass sie richtig ist, oder genannten „Gerade-noch-gut-gegangen-Ereignisse“ eine Handlung unterlassen, die sie in dieser Situation oder Critical Incidents, also Ereignisse, welche zu für nicht notwendig erachten. Analysiert man den einem psychischen oder physischen Schaden des Pa- gesamten Handlungsablauf, der zum Schaden eines tienten hätten führen können. Werden sie beachtet Patienten geführt hat, genau, dann stellt sich sehr oft und analysiert, dann besteht eine große Chance, das heraus, dass hinter dem Handeln einer Person in Wirk- Auftreten des Fehlers in der Zukunft zu verhindern. lichkeit ein Planungs- oder Organisationsfehler steht. Dies kann etwa sein, dass für eine vorhersehbare kriti- Ein Critical Incident beschreibt ein Ereignis, sche Situation kein „Plan B“ oder kein Support zur Ver- welches zu einem psychischen oder physischen fügung stand, oder dass Ärzte mit Aufgaben beauftragt Schaden des Patienten hätte führen können. wurden, für die sie nicht ausreichend ausgebildet und vorbereitet waren. Der Notfallmedizin kommt im Risikomanagement eine Ein Grundsatz bei der Beschäftigung mit Fehlern in der besondere Rolle zu. Dass die Arbeit mit kritisch kran- Medizin ist daher, sich sowohl bei der Analyse als auch ken oder verletzten Patienten, mit oft hoher Krank- bei der Prävention von Fehlern von der Einzelperson zu heitsdynamik, unter Zeit- und Entscheidungsdruck, zu lösen und sich auf die Systemebene zu begeben ungünstigen Zeiten und manchmal in ungünstigen (Abb. 1). Umgebungen, besonders fehleranfällig ist, bedarf kaum einer Erläuterung. Trotzdem liegen bisher nur wenige Ein Grundsatz bei der Beschäftigung mit Fehlern in valide Daten über das Auftreten kritischer Ereignisse in der Medizin ist daher, sich sowohl bei der Analyse dieser besonderen ärztlichen Tätigkeit vor. Eine Mög- als auch bei der Prävention von Fehlern sich von der lichkeit, Einblicke in das Auftreten von Fehlern unter Einzelperson zu lösen und sich auf die Systemebene den Bedingungen der Notfallmedizin zu erhalten, stellt zu begeben. das Critical Incident Reporting System (CIRS) dar. Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors generationen manchmal ein Zusammenhalten bis zu b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin Critical Incident Reporting 91 Parallelen zwischen Piloten und Ärzten ■ hoher Selektionsdruck bei Ausbildungsbeginn Die Methode des Critical Incident Reportings (CIRS) ■ hoher Ausbildungsstandard wurde erstmals 1945 von Flanagan beschrieben [2]. ■ hohe Verantwortung Während des Zweiten Weltkrieges fielen Zwischenfälle ■ hoch spezialisierte Arbeitsbereiche im Flugverkehr auf, über die allerdings niemand be- ■ Führungsposition innerhalb der Arbeitsgruppen richtete – man schwieg. Man schwieg deshalb, weil die ■ ungünstige Arbeitszeiten bei hoher Arbeitsbelastung Ursachen häufig „menschliches Versagen“ waren und ■ anspruchsvolle geistige Tätigkeit dies möglicherweise zu rechtlichen oder zwischen- ■ schnelle Bedrohung von Menschenleben bei nachlässiger Arbeitsweise menschlichen Konsequenzen geführt hätte. Daraus ■ hoher Technisierungsgrad entstand die Idee, mithilfe eines anonymen Melde- ■ rasante und kontinuierliche technische Weiterentwicklung systems Informationen über die Entstehung von Zwi- ■ hoher Weiterbildungsbedarf während des Berufslebens schenfällen zu erhalten, die man sonst nicht erhalten Die mithilfe dieses anonymen Meldesystems gewon- Medizin verbreitet und bekannt. Das ist auch heut- nenen Informationen waren überwältigend – nachdem zutage noch so, auch wenn wir zunehmend beginnen, klar war, dass eine rechtliche Konsequenz wegen ano- über Fehler zu sprechen – tendenziell leben wir immer nymer Meldung ebenso ausfiel wie ein öffentliches noch in einer Blame-Culture mit einer gedachten Null- Belächeln von Kollegen über die eigene „Dummheit“, Fehler-Mentalität [5]. trauten sich Kampfpiloten, über ihre Fehler und Probleme zu sprechen. So lange das so ist, braucht man ein CIRS, wenn man nüchtern und sachlich über Zwischenfälle und System- Cockpit-Ausstattungen wurden verändert, weil unter- veränderungen nachdenken möchte. CIRS ist der Be- schiedliche Piloten über gleiche Fehler oder Beinahe- ginn, überhaupt über Zwischenfälle und Fehler nach- fehler berichteten, die zu kritischen Zwischenfällen zudenken – in der Medizin ist diese Methode erst seit (Critical Incidents), teilweise mit und teilweise ohne wenigen Jahren im Kommen. So stammen die ersten Schäden, führten. Durch Meldung Tausender Critical größeren Publikationen aus den 1970er- und 1980er- Incidents erkannte die US Air Force die Schwachpunkte Jahren [6 –10]. in ihrem Ausbildungssystem und entwickelte hierauf basierende Anforderungsprofile zukünftiger Piloten, In den 1990er-Jahren begannen zunehmend Anästhe- neue Ausbildungsziele, aber auch neue Dienstanwei- sisten und Intensivmediziner, über CIRS zu publizieren sungen für schon tätige Piloten. und trugen wesentlich zur Weiterentwicklung bei [11 –17]. In den letzten Jahren erkannten erstmalig Im Verlauf der Jahrzehnte übernahmen viele Bereiche auch chirurgische Fächer [18 –20], die Pädiatrie der Industrie das CIRS, die zivile Luftfahrt und auch die [21 –24] sowie die Psychiatrie [25] die Vorteile eines NASA, die über mehrere Hunderttausend Berichte ver- anonymen Meldesystems. Seit 2007 empfiehlt das Ak- fügt [3]. Auch die US Navy nutzt diese Technik zur Feh- tionsbündnis Patientensicherheit die Einführung von leraufarbeitung von Tauchunfällen [4]. CIRS im Krankenhaus [26]. Aber auch das Critical Incident Reporting System selbst Critical Incident Reporting in der Medizin hat sich weiterentwickelt. Verbesserungen im Aufbau, in der Publizität, in der Datenanalyse, der Einfachheit und der Rückmeldung an die Mitarbeiter sind wesentliche Bestandteile der Entwicklungen der vergangenen Das Medizinstudium ist weiterhin sehr begehrt unter Jahre und haben die aktive Beteiligung für die Mit- Abiturienten – wer in der Schule fast perfekt funk- arbeiter attraktiver werden lassen (Tab. 1). tioniert, der hat Aussicht auf einen Studienplatz. Wer es gewohnt ist, perfekt zu funktionieren, der tut sich schwer, Fehler einzugestehen oder darüber zu sprechen. Da redet man doch lieber über Fehler und Dummheiten, die andere begehen. Dies ist in der Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors würde. b 92 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin niemand zu beachten. Bis zum heutigen Tage gibt es Tabelle 1 nur wenige Publikationen über CIRS in der Notfall- Charakteristika eines Critical Incident Reporting Systems (CIRS) Stärken von CIRS Mögliche Probleme und Grenzen von CIRS medizin [27 –31]. Uns interessiert, welche anonymen Meldungen aus einem medizinischen Bereich eingehen könnten, der Anonymität (Straffreiheit, keine Blamage) nur bewusst erlebte Ereignisse werden erfasst Freiwilligkeit unsachgemäße Angaben denkbar (durch Plausibilitätskontrollen allerdings nur bedingt möglich) gut geeignet für seltene Ereignisse strukturierte Analyse und Aufdeckung von Systemschwächen durch Sammlung von Ereignismeldungen Sonderdruck für private Zwecke des Autors grenzüberschreitend einsetzbar Feedback an Mitarbeiter und andere Ableitung von Leitlinien und Algorithmen chen Erkrankungen teilweise unerfahrene Mitarbeiter in kürzester Zeit brisante Entscheidungen treffen müssen. Hierzu richteten wir eine Website ein, die sich nicht verleitet zum Eingeben seltener Ereignisse, einfache aber häufige Vorkommnisse werden tendenziell weniger häufig gemeldet keine sichere statistische Aussage über Häufigkeiten von Ereignissen in einem System möglich von den allgemein üblichen Websites unterscheidet. Sie ist unter der Adresse www.cirs-notfallmedizin.de erreichbar (Abb. 2). Neben allgemeinen Informationen über CIRS ist es dort ohne Passwortschutz möglich, über Zwischenfälle anonym zu berichten. Die Berichte lädt einer der Auto- typische Ereigniskombinationen, die zum Patientenschaden führen, nicht unbedingt ableitbar ren einmal monatlich aus der Datenbank herunter, so werden die IP‑Adressen gelöscht. Nach weiterer Anonymisierung offline konzentriert sich das Autorenteam auf die berichteten Zwischenfälle, kommentiert diese und stellt diese kommentiert wieder den Lesern auf der Website zur Verfügung. Website CIRS‑Notfallmedizin Wertvoll sind hier sowohl Beiträge über Zwischenfälle mit Patientenschäden als auch solche, die Beinahefeh- Es ist bekannt, dass ein CIRS in der Lage ist, System- ler beschreiben – diese werden irgendwo und irgend- schwächen aufzudecken, die ohne Anonymität nicht wann in einer vergleichbaren Situation zu einem ech- aufgedeckt würden. Wir, die Autoren, hatten im Jahre ten Fehler führen, der meist ein kritisches Ereignis 2005 die Vision, eine CIRS‑Seite für die präklinische darstellt, manchmal mit und manchmal ohne Schaden Notfallmedizin zu entwickeln. Während CIRS zu dem für den Patienten. Die Einstellung, dass Zwischenfälle, Zeitpunkt in der Anästhesie, dem medizinischen Fach die zu Patientenschäden geführt haben, nicht in der mit dem wahrscheinlich höchsten Sicherheitsstandard Auswertung berücksichtigt werden sollten, teilen wir überhaupt, schon florierte, schien die Notfallmedizin nicht. Man kann aus diesen Zwischenfällen ebenso viel Abb. 2 Website www.cirs-notfallmedizin.de Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Meldung einfach und schnell über Internetmaske durchzuführen dadurch gekennzeichnet ist, dass bei lebensbedrohli- b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin lernen, wie aus Zwischenfällen ohne Patientenschaden, Im Folgenden werden wir versuchen, ein paar all- vielleicht sogar noch mehr. gemeingültige Grundsätze darzustellen, um das Ver- Es ist nicht möglich, dass die Autoren das System än- verbessern. Die gemeldeten Zwischenfälle waren in dern, denn die Website erhält ihre Einträge nicht nur den Augen der Reporter in der Mehrzahl aller Fälle aus ganz Deutschland, sondern auch aus der Schweiz durch einfache Mittel vermeidbar. Insofern lohnt es und Österreich, was teilweise am Sprachstil erkennbar sich, in den kommenden Abschnitt etwas (Lese-)Zeit zu ist. Wir können lediglich dem einzelnen Leser eine investieren. 93 ständnis der Fehlerentstehung und ‑vermeidung zu wertvolle Lektüre bieten und gleichzeitig Führungs- kräften im Rettungsdienst Hinweise geben, worauf im Voraussetzung, die Entstehung von Zwischenfällen zu Rahmen des Risikomanagements geachtet werden verstehen, ist die Tatsache, dass in fast allen Fällen sollte. seltene Kombinationen ungünstiger Umstände vorlagen – nicht Kombinationen seltener Umstände. In vielen E‑Mail-Kontakten hat sich gezeigt, dass ärztliche und nicht ärztliche Leiter von Rettungsdiensten In fast allen Fällen lagen seltene Kombinationen viele Vorschläge der Website im Rettungssystem um- ungünstiger Umstände vor – nicht Kombinationen zusetzen versuchen. Mehrere Rettungsdienste haben seltener Umstände. haben die Erkenntnisse viele Mitarbeiter, auch Füh- Es muss Einem klar sein – bevor man sich überhaupt rungskräfte, des Rettungsdienstes erreicht und zu mit der Fehlerentstehung und ‑vermeidung beschäfti- Änderungen geführt, auch wenn dies nicht quantitativ gen kann, dass dies verschiedene Implikationen hat: erfasst werden kann. Erstens ist der einzelne Gesamteinsatz mit einem Desaster eine seltene, vielleicht einzigartige Situation. Die Einträge beschreiben zu einem Großteil Einsatz- Wir reden somit über Dinge, die sehr selten im Ge- situationen, in denen ein Patient in Lebensgefahr samtkomplex auftreten – und wir möchten Situationen schwebte oder zu schweben drohte (NACA 4 und vermeiden, die insgesamt selten auftreten werden, die höher), häufig kam der Patient in der beschriebenen aber vehementen Impact auf den Krankheitsverlauf Situation zu Schaden. Wir deuten dies als Zeichen des haben können. Das Denken ist wie bei einer Versiche- insgesamt noch sehr schlechten Risikomanagements in rung: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Abgesicherte der Notfallmedizin. In der Anästhesie passieren wenige eintritt, ist gering – dennoch ist eine Vorsorge häufig Zwischenfälle, was auch in den Berichten deutlich sinnvoll oder notwendig. wird. So beschreibt ein großer Teil der Berichte in der Anästhesie meist keine Zwischenfälle, sondern Bei- Durch die fast unendliche Kombinationsmöglichkeit nahezwischenfälle. In der Notfallmedizin ist das noch ungünstiger Umstände, die sich verketten können, sind anders – Zwischenfälle mit dramatischer Konsequenz bestimmte Situationen gar nicht zu erahnen. Es gibt scheinen an der Tagesordnung zu sein. Deshalb, so un- nichts, was es nicht geben könnte, und manchmal sind sere Interpretation, auch der hohe Anteil entsprechen- die beschriebenen Desaster so selten, dass eine Prä- der Berichte. ventionsarbeit hier vergeudete Energie scheint. Dennoch gibt es Schlüsselprobleme und Schwachstellen im System – wann und wie diese zuschlagen werden, weiß Erkenntnisse aus der Website CIRS‑Notfallmedizin man im Voraus nicht. Sicher ist nur, wenn man eine Zum Zeitpunkt der Publikation enthält die Website Verkettung von Zufällen aber doch entstehen kann – www.cirs-notfallmedizin.de knapp 800 Einträge, in ihre volle Schwäche zur Entfaltung bringt und dann in denen Zwischenfälle teilweise sehr ausführlich be- Kombination mit anderen Umständen zur Katastrophe schrieben sind. Mit der inzwischen jahrelangen Erfah- führt. Für diese Schlüsselprobleme kann man einen rung und Aufarbeitung der einzelnen Fälle lassen sich Blick entwickeln. Schwachstelle zum Beispiel mithilfe eines CIRS erkannt hat, dass diese irgendwann in einer grotesken Situation, die es „eigentlich“ nie geben dürfte – die durch eine wiederkehrende Muster erkennen. Die Zwischenfälle sind häufig unterschiedlich – das zugrunde liegende Problem ist aber in vielen Fällen ähnlich. Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors zu Vorträgen und Fortbildungen eingeladen – insofern b 94 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin Anhand der unseres Erachtens wichtigsten Beispiele Häufig wird daraus ein sogenanntes Fischgräten- möchten wir gleichzeitig 3 Strategien erläutern, wie diagramm entwickelt, in welches man alle Faktoren, man Zwischenfälle zu 100% vermeiden kann oder, die zu dem Ereignis beigetragen haben, einfügt. Das wenn dies nicht möglich ist, ihre Auftretenswahr- unerwünschte Ereignis stellt das Rückgrat da, die Ein- scheinlichkeit zumindest reduzieren kann. flüsse werden als Fischgräten angefügt. Dabei müssen Root Cause Analysis – Die wirklichen Ursachen erkennen Bevor man eine Bewältigungsstrategie entwickelt, ■ patientenbezogene Faktoren, ■ Kommunikation, ■ Ausstattung, ■ Organisation und ■ Sicherheitsmechanismen berücksichtigt werden. muss man jegliche Einflüsse und Faktoren kennen, die zur Entstehung eines Zwischenfalls beitragen. Wie be- Nachdem man die zugrunde liegenden Faktoren mit- reits erläutert, liegt einem kritischen Ereignis in der hilfe der RCA identifiziert hat, kann man Strategien zu Regel nicht ein einzelner Faktor, sondern eine Vielzahl ihrer Vermeidung entwickeln. Will man vermeiden, von Einflüssen zugrunde. Die Root Cause Analysis (RCA) dass es überhaupt zu kritischen Ereignissen oder Feh- ist ein Prozess, der zum Ziel hat, die wirkliche Ursache lern kommt, kann man sich zum Beispiel die Failure bzw. die wirklichen Ursachen des Ereignisses (Root) Mode and Effect Analysis zunutze machen. Methoden. Eine weit verbreitete Methode ist die 5-W‑Methode. FMEA – Verringerung der Fehlerauftretenswahrscheinlichkeit Fünfmal nacheinander wird die Frage gestellt, warum es zu dem Ereignis gekommen ist. Warum kam es zu Failure Mode and Effect Analysis (FMEA) ist eine Ana- dem Fehler bzw. welche Einflüsse haben dazu bei- lysemethode, die zu einer Prävention von Zwischen- getragen? Warum kam es zu diesen negativen Einflüs- fällen führen soll, bevor diese überhaupt entstehen sen? Warum und unter welchen Umständen konnten können. Bei der Analyse potenzieller Fehlerquellen diese Einflüsse entstehen? Und so weiter. So hofft man, wird hierbei nach einem mehrschrittigen Algorithmus zu den wahren Ursachen eines Zwischenfalls durch- vorgegangen: Ein multidisziplinäres Team identifiziert dringen zu können. und beschreibt mögliche Fehler und Fehlerquellen. Diese werden nach Schweregrad der Folgen, Häufigkeit und Entdeckungswahrscheinlichkeit priorisiert. Hat ein potenzieller Fehler beispielsweise den Tod eines Benennen möglicher Fehler Patienten bzw. irreversible Funktionsverluste zur Folge, wird er als katastrophal eingestuft. Ein Zwischenfall, Beschreibung der Fehlerquelle: Wodurch entsteht das Problem? der zu keinerlei Schädigung des Patienten führt, wird als sehr gering eingestuft. Ebenso nimmt man eine Einstufung bezüglich der Häufigkeit und der Ent- Auftretenswahrscheinlichkeit: Wie häufig tritt das Problem auf? Schweregrad: Welche Auswirkungen hat der Fehler? Entdeckungswahrscheinlichkeit deckungswahrscheinlichkeit vor. Je folgenreicher ein Fehler ist, je häufiger er auftritt und je schlechter man ihn erkennt – desto gefährlicher ist er. Nach Identifikation der gefährlichsten Fehlerquellen Bewertung des Risikos versucht man nun, Strategien für eine Fehlervermeidung zu erarbeiten und umzusetzen (Abb. 3). Welche Maßnahmen kann man ergreifen? Wie lässt sich der Fehler in Zukunft verhindern? Mündet diese Strategie in einer Veränderung, die zu 100 % diesen vermeidet, dann endet die FMEA im Poka- Welche Veränderungen wurden vorgenommen? Abb. 3 Ablauf Failure Mode and Effect Analysis (FMEA). Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Yoke-System. Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors zu erkennen. Dazu gibt es wiederum verschiedene b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin Poka Yoke – 100%ige Fehlervermeidung 95 Kasuistik 1: Beispiele von Poka Yoke im Arbeitsalltag und ist heutzutage aus der Qualitätssicherung der In- Tanken dustrie nicht mehr wegzudenken. Dr. Shigeo Shingo, Beim Betanken des PKW kam es immer wieder vor, dass ein bestimmter ein Ingenieur bei Toyota, stellte im Rahmen seiner Arbeitsschritt vergessen wurde: das Wiederaufsetzen des Tankdeckels, der Qualitätssicherung fest, dass Menschen nicht fehlerfrei auf dem Dach des PKW vergessen wurde. Mit einer einfachen Methode kann arbeiten können. Menschliche Fehler können mit einer man diesen menschlichen Fehler zu 100% vermeiden – der Tankdeckel ist gewissen statistischen Sicherheit sogar vorausgesagt heutzutage am Tank mit einer Plastikschnalle fixiert. Sonderdruck für private Zwecke des Autors werden. Auch „dumme Fehler“ (Poka) passieren Men- schen immer wieder. Diese lassen sich vermeiden Stecker (Yoke), wenn durch technische Änderungen bestimmte Beim Anschließen technischer Geräte würden Menschen immer wieder ver- Fehler gar nicht mehr auftreten können. Poka-Yoke- sehentlich Stecker in die falschen Steckdosen stecken – daher entwickelte Beispiele in unserem Arbeitsalltag gibt es viele (eines die Industrie bei Steckern das Schlüssel-Schloss-Prinzip: Bestimmte Stecker finden Sie in der Infobox). passen nur in bestimmte Adapter. Häufig lassen sich aber nur Veränderungen erarbeiten, Fernsehen die lediglich die Auftretenswahrscheinlichkeit von In einigen Luxus-PKW kann der Fahrer am Monitor fernsehen. Es wird immer Fehlern verringern – dann läuft der Prozess weiter wieder Autofahrer geben, die auch während der Fahrt den Fernseher laufen unter dem Begriff FMEA. lassen, weil gerade („zufällig“) ein interessantes Programm läuft. Und es würde hier bei einer gewissen Zahl fernsehender Autofahrer eine („zufällige“) Um beim Autofahrer zu bleiben: Es wird immer Auto- Situation auftreten, in der wegen einer kleinen Unaufmerksamkeit durch fahrer geben, die sich ungern anschnallen. Die gesetz- Ablenkung ein Unfall verursacht würde. Poka Yoke verhindert diese Unfälle: liche Anschnallpflicht hat die Zahl der Nicht-Ange- Beim Einschalten des Motors schaltet sich der Fernseher automatisch ab. schnallten zwar vermindert – zu 100% sicher ist diese Methode aber nicht. Die Autoindustrie verwendet nun laute Pieptöne bei Nichtanlegen des Gurtes, die den Fahrer mehr stören sollen als es der Anschnallvorgang tut. Das erhöht die Anschnallhäufigkeit – den PKW fahren kann man trotzdem. Eine Poka-Yoke-Methode Vermeidung von Zwischenfällen – unsere Vorschläge wäre es, wenn der Motor ohne Anschnallvorgang nicht anspringen würde. Wie kann man die beiden Methoden nun auf die Not- Einhalten standardisierter und evidenzbasierter Abläufe bei Anamneseerhebung, Untersuchung und Therapie fallmedizin anwenden und mit der CIRS‑Datenbank verknüpfen? Nach Durchsicht der gesammelten Fälle Bei Anamnese, Untersuchung und Therapie standardi- (erster Schritt FMEA) stellen wir nun die unserer sierte und evidenzbasierte Abläufe einhalten – ist das Meinung nach wichtigsten Fehlermuster vor (zweiter nicht so selbstverständlich, dass man darauf nicht extra Schritt FMEA) und versuchen, Vorschläge zur Vermei- eingehen muss? Nein! Gerade bei erfahrenen Ärzten dung dieser Zwischenfälle zu geben (dritter Schritt oder bei sehr eindeutigen Diagnosen ist mit fatalen FMEA). Rückschaufehlern (Biases) zu rechnen. Diese muss man kennen, die Risikosituation erkennen und bestimmte kognitive Techniken anwenden – dann verlieren sie ihre Gefahr. Ein bekannter COPD‑Patient Gold IV alarmiert wegen Atemnot den Rettungsdienst. Bei Eintreffen sieht man einen dyspnoeischen Patienten mit hoher Atemfrequenz. Der Patient ist tachykard, Heimsauerstoff läuft. Wer denkt da nicht an eine exazerbierte COPD, Prednisolon, Salbutamol-Inhalation, etc.? Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Das Poka-Yoke-Prinzip stammt aus den 1960er-Jahren b 96 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin suchung zum Übersehen einer brisanten Diagnose Kasuistik 2: Fallstrick Anamnese führt. In der Notfallmedizin muss man sich losgelöst Eine Patientin mit einer psychiatrischen Vorgeschichte wohnt in einem von vielen Informationen auf das Hauptsymptom kon- Jugendwohnheim, sie ist Mutter einer kleinen Tochter. Nach Aussage der zentrieren, sowie nüchtern und sachlich eine symp- Betreuer ist sie insgesamt mit der Situation überfordert. Der Notarzt wird tomorientierte Untersuchung durchführen. alarmiert unter der Diagnose „Hyperventilation“. Stellen Sie sich die Situation so vor, wie wir sie alle kennen. Sie kommen in dem Heim in das Zimmer, die psychiatrisch vorbekannte Patientin liegt hyperventilierend und agitiert am Boden, sie ist völlig unkooperativ. Beruhigungs- versuche scheitern – der Notarzt appliziert Midazolam. Die Patienten ist nun sediert, fällt aber immer wieder durch Hyperventilation auf und ist weiterhin kontaktierbar, aber nicht kooperativ. Man schlägt den Weg in die Psychiatrie ein. vielen Informationen auf das Hauptsymptom konzentrieren, sowie nüchtern und sachlich eine symptomorientierte Untersuchung durchführen. Wir trauen uns sogar zu sagen, dass das Erheben von Risikofaktoren in einer Notfallsituation wenig sinnvolle Information bietet und von den unwahrscheinlicheren Fazit: Jetzt lassen Sie die ablenkenden Informationen einmal weg! Sie haben Diagnosen, die nicht weniger gefährlich sein können, eine Patientin mit einer Bewusstseinsstörung vor sich. Diese Patientin sollte ablenkt. Die Notfallmedizin muss sich nicht auf die man symptomorientiert untersuchen. wahrscheinlichen, sondern auf die möglichen gefähr- reflexe deutlich gesteigert waren und die Patientin am rechten oberen Sprunggelenk einen erschöpflichen Klonus hatte. Hier lag ein Problem im Bereich des ersten Neurons vor. Hätte man die Temperatur gemessen, so wäre eine leichte Temperaturerhöhung aufgefallen. In der Klinik stellte sich schließlich heraus, dass die Patientin eine Enzephalitis hatte, und sie wurde mit Verzögerung auf die Neurologie verlegt. lichen Diagnosen konzentrieren. Die Notfallmedizin muss sich nicht auf die wahrscheinlichen, sondern auf die möglichen gefährlichen Diagnosen konzentrieren. Thoraxschmerz ist Thoraxschmerz, Atemnot ist Atemnot, Bewusstseinsstörung ist Bewusstseinsstörung, und so weiter. Begleitinformationen aus dem Umfeld können den Notarzt zu einer scheinbar sicheren Diagnose führen, das differenzialdiagnostische Denken und die körperliche Untersuchung hören zu früh auf. Gewisse Das ist in den meisten Fällen auch richtig – aber beim Standardwerte sollten immer dokumentiert werden. Risikomanagement geht es darum, seltene und gefähr- Dazu gehören der Blutzucker, die Temperatur und die liche Dinge zu vermeiden. Und wenn man die Einträge Vitalparameter. in der CIRS‑Datenbank ansieht, dann scheint die vor- eilige Diagnosestellung gerade von erfahrenen Ärzten Gewisse Standardwerte sollten immer dokumen- ein Problem darzustellen. In der Literatur spricht man tiert werden. Dazu gehören Blutzucker, Tempera- von „Hindsight-Bias“ – die Diagnose drängt sich ja tur und Vitalparameter. geradezu auf! Dies ist alles in ganz kurzer Zeit ermittelbar. Bei vielen Schrumpft man die notwendigen Informationen für Berichten waren es diese banalen Dinge, die zu schwe- den Notfallmediziner aber auf das Wesentliche zusam- ren Zwischenfällen führten. Gerade wer sich besonders men und lässt die ablenkenden Informationen geistig sicher ist, kann dumme Überraschungen erleben. weg, so bleibt ein Patient mit akuter Atemnot. Und Stichprobenartige Kontrollen von Notarztprotokollen dann kommen einem wieder ganz andere Differenzial- durch den ärztlichen Leiter Rettungsdienst und Schu- diagnosen in den Kopf – wie möchte man sonst einen lungen über die Biases helfen, dass diese Art von Feh- Pneumothorax bei einer geplatzten Bulla erkennen, lern nicht so häufig auftreten. wie eine Lungenembolie bei einem in der Mobilität eingeschränkten Patienten, wie das Non-STEMI‑Koro- narsyndrom oder gar den STEMI bei Patienten mit entsprechenden Komorbiditäten, oder eine Linksherz- Medikamentenverwechslungen und Dosierungsverwechslungen vermeiden insuffizienz mit Asthma cardiale? Die Medikamentengabe im Notarztdienst ist erstens In vielen Beispielen drängt sich die Diagnose so sehr häufig, zweitens gibt es eine größere Anzahl möglicher auf, dass ein Auslassen der standardisierten Unter- Medikamente und Lösungsmittel und drittens sind Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Hätte der Notarzt das getan, dann wäre aufgefallen, dass die Muskeleigen- Sonderdruck für private Zwecke des Autors In der Notfallmedizin muss man sich losgelöst von b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin 97 viele Medikamente sehr wirksam auf bestimmte Kör- perfunktionen, insbesondere bei Patienten, die gerade in Lebensgefahr schweben und wenig Toleranzleistung haben. Eine Verwechslung von Medikamenten ist da- her grundsätzlich nicht unwahrscheinlich (Abb. 4) und häufig mit massiven Problemen gekoppelt. Deshalb sind gewisse Grundsätze bei der Gabe von Medikamenten zu beachten. Eine Verwechslung von Medikamenten ist grundsätzlich nicht unwahrscheinlich und zieht häufig massive Probleme nach sich. Je mehr Arbeitsschritte zur Vollendung eines Prozesses notwendig sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit ungewollter Zwischenfälle. Sonderdruck für private Zwecke des Autors sungsmitteln aufgezogen und verdünnt werden müs- Abb. 4 Das Muskelrelaxans Pantolax® mit der einzigen Indikation bei narkotisierten Patienten wird neben anderen Medikamenten mit ähnlicher Ampullenform ohne besondere Kennzeichnung gelagert. Hierzu gab es bei www.cirs-notfallmedizin.de mehrfache Fallmeldungen. sen, so lange bleibt das Risiko bestehen, dass hier Fehler passieren. Und das ist eine von vornherein gesicherte statistische Größe. Hier lässt sich ganz einfach Poka Yoke anwenden: Fertigspritzen mit 1 mg/10 ml für die Reanimation lassen diese Fehlermöglichkeit unmöglich werden. Je mehr unterschiedliche Wege zum Erreichen des Zieles möglich sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit ungewollter Zwischenfälle. Sind auf einem Ret- tungswagen verschiedene Medikamentendosierungen Kasuistik 3: Dosierungsverwechslung bei Medikamenten Ein Notarzt fordert während einer länger dauernden Reanimation 3-mal Adrenalin an. Und bekommt Folgendes angereicht: Beim ersten Mal 1 mg/10 ml, die zweite Spritze enthält 3 mg/10 ml und die letzte 10 mg/10 ml. Der anreichende Rettungsassistent meinte natürlich alles gut und dachte sich auch etwas dabei – doch führt eine solche Variation von Verdünnungen irgend- wann bei irgendeinem Patienten zu einem Schaden durch falsche Dosierungsapplikation. vorrätig (zum Beispiel Midazolam 5 mg/5 ml und Mi- dazolam 15 mg/3 ml oder Ketamin 5 mg/ml und Ketamin 25 mg/ml), so ist es statistisch vorhersagbar, dass es zu Dosierungsverwechslungen kommen wird. Und das passiert irgendwann in einer Situation, in der man diese Verwechslung überhaupt nicht gebrauchen kann. Auch diese Gefahr kann man zu 100 % eliminieren: Gleiche Medikamente in unterschiedlichen Dosierungen dürfen nicht vorgehalten werden (Abb. 5). Gleiche Medikamente in unterschiedlichen Dosierungen dürfen nicht vorgehalten werden. Obwohl jeder weiß, dass Spritzen beschriftet sein sollten – unter Zeitdruck und Hektik geschieht es immer wieder, dass darauf verzichtet wird. Gerade unter Zeitdruck und Hektik ist es besonders wichtig, dass diese beschriftet sind. Dies kann man sicherstellen, indem man Spritzen verwendet, die von vornherein beschrif- tet sind (bei Adrenalin oder Heparin ist das im Rahmen einer Fertigspritze manchmal so), oder indem man Medikamente verwendet, die zumindest einen abzieh- Abb. 5 Drei verschiedene Dosierungen von Ketamin – das führt irgendwann zwangsläufig zu einem schweren Dosierungsfehler im Rahmen von nicht ganz verhinderbaren Ampullenverwechslungen. Würde nur eine Dosierung von Ketamin vorgehalten, so wäre zumindest diese Verwechslungsgefahr nicht mehr gegeben. Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors So lange es notwendig ist, dass Medikamente mit Lö- b 98 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin baren Aufkleber zur Etikettierung auf der Ampulle haben. Das eliminiert zwar nicht den Fehler, reduziert aber die Auftretenswahrscheinlichkeit. Spritzen sollten beschriftet sein. Das kann sichergestellt werden, indem fertig beschriftete Spritzen verwendet werden. Selbst bei richtig etikettierten Spritzen kommt es zu falschen Applikationen – weil sich Medikamentennamen ähneln, Etiketten ähneln, der Arzt mit den Gedanken woanders ist, etc. So wie in der Fliegerei ein Doppelcheck zwischen Pilot und Kopilot völlig normal erscheint, so ist auch in der Notfallmedizin ein Doppelcheck sinnvoll. Der Rettungsassistent zeigt nach dem Aufziehen nochmals die Ampulle, der Notarzt prüft gegen oder umgekehrt. ihn für unfähiger als sich selbst hält, sondern weil es eine Notwendigkeit zur Fehlervermeidung darstellt. Doppelcheck: Der Rettungsassistent zeigt nach dem Aufziehen nochmals die Ampulle, der Notarzt prüft gegen oder umgekehrt. Medikamente sollten in die Blutbahn des Patienten injiziert werden. Bei voll aufgedrehter und nicht optimal laufender Infusion fließen die Medikamente dem physikalischen Prinzip des geringeren Widerstands nach in den Infusionsschlauch, der einen größeren Durchmesser hat als der venöse Zugang. Man kann den Infusionsschlauch manuell abklemmen (häufigste Methode), Abb. 6 a und b a Ohne Rückschlagventil ist man gezwungen, den Infusionsschlauch proximal des Zugangs manuell abzuklemmen. Das wird häufig vergessen, mit der Folge einer häufigen Applikation der Medikamente in den Infusionsschlauch statt in die Vene des Patienten. b Die Verwendung eines Rückschlagventils verhindert die Möglichkeit einer retrograden Medikamentengabe zu 100 %. aber das kann vergessen werden und ist fehleranfällig. Man kann am Ende des Infusionsschlauchs ein Rückschlagventil einsetzen, welches die Injektion in den Infusionsschlauch verhindert – auch das kann vergessen werden. Zu 100 % verhindert wird der Fehler, wenn nur noch Infusionssysteme mit integriertem Rückschlagventil verwendet werden (Abb. 6 a und b). Applikation falscher Medikamente und Dosierung vermeiden Die ausschließliche Verwendung von Infusionssystemen mit integriertem Rückschlagventil verhin- ■ Fertigspritzen mit fixen Verdünnungen dert, dass injizierte Medikamente in den Infusions- ■ Ein Medikament nicht in unterschiedlichen Dosierungen vorhalten schlauch laufen statt in den venösen Zugang des ■ Fertig beschriftete Spritzen verwenden Patienten. ■ Abziehbare Aufkleber zur Etikettierung auf der Ampulle ■ Doppelcheck des Medikaments und der Dosis durch 2 Personen ■ Nur Infusionssysteme mit Rückschlagventil verwenden Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors Nicht, weil der eine dem anderen nicht vertraut oder b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin Mangelnde Kommunikation 99 Kasuistik 4: Kommunikation zwischen Rettungsteam und Klinik Über Kommunikation gibt es viele Bücher und andere Abhandlungen; sie ist ein unerschöpfliches Thema. Im Die Rettungsleitstelle meldet beim diensthabenden Oberarzt der Notaufnah- Rahmen von Notarzteinsätzen fallen in unserer Daten- me eine Patientin mit akutem Hinterwandinfarkt an. Der Oberarzt informiert bank 2 Kommunikationsprobleme auf. das Team der Notaufnahme sowie den Interventionsdienst. Wenige Minuten später erhält der Oberarzt einen Anruf von einem diensthabenden Notarzt, Erstens innerhalb des Teams, weil zu wenig miteinan- der eine junge Frau mit akutem Hebungsinfarkt ankündigt. Es wird davon der gesprochen und Gedanken nicht zwischen den ausgegangen, dass es sich um dieselbe Patientin handelt. Dies hat zur Folge, Teammitgliedern wiederholt und diskutiert werden. dass zeitgleich 2 Patienten mit akutem Myokardinfarkt in der Notaufnahme Verheerend ist, wenn Rettungsassistenten Fehlhand- ankommen. lungen bei Notärzten bemerken, dies aber aufgrund von Antipathie nicht kommunizieren – manchmal auch aus Angst, verbal angegriffen zu werden. Dies liegt teilweise auch daran, dass Notärzte sensibel darauf reagieren, wenn jemand mit geringerer Qualifikation Identifizieren Entscheidungen hinterfragt. In einem Team ist dies aber sehr wichtig und in der Fliegerei ist dies längst Das zweite Problem ist, dass Notärzte häufig nicht selber den Kontakt zum diensthabenden Arzt der Klinik Überwachen Analysieren aufnehmen. Dadurch kann es zu prekären Situationen bei der Übergabe in der Zielklinik kommen. Es gibt viele Berichte in der Datenbank, die dieses Problem adressieren. Bewältigen Wenn eine Voranmeldung in der Klinik notwendig ist, dann ist ein Arzt-Arzt-Gespräch eine Conditio sine qua non! Abb. 7 Risikoschleife Wenn eine Voranmeldung in der Klinik notwendig ist, dann immer als Arzt-Arzt-Gespräch! eignisse und Zwischenfälle auf. Letztlich bedarf es einer Das Atemwegsmanagement spielt eine so wichtige Sammlung und Auflistung der realen und bedrohlichen Rolle, dass ein eigener Artikel in einer der nächsten Risiken. Techniken zur Risikoerkennung können ein- Ausgaben der Notfallmedizin up2date dies beleuchten fache Literaturrecherche sein, eine FMEA (Failure Mode wird. and Effect Analysis, siehe oben) oder eben ein CIRS. Risikomanagement in der Notfallmedizin Risikomanagement Risikomanagement ist ein Prozess, der aus einem Regelkreis mit 4 Schritten besteht (Abb. 7). Identifizieren. Um Risiken minimieren zu können, muss man sie erst einmal erfassen. Einige Risiken sind einfach zu erkennen und liegen auf der Hand. Andere sind versteckt und fallen erst durch unerwünschte Er- Analysieren. Der nächste Schritt ist die Analyse der erfassten Risiken. Einige treten mit hoher Wahrscheinlichkeit und häufig auf. Andere dagegen selten, können aber vielleicht einen wesentlich größeren Schaden nach sich ziehen. Geschultes Personal muss die aufgelisteten Risiken standardisiert bewerten, um eine Rangfolge zu erheben, welche Risiken besonders wichtig sind zu vermeiden. Eine standardisierte und wahrscheinlich die beste Bewertungsmöglichkeit ist die FMEA (Abb. 8). Bewältigen. In einem dritten Schritt müssen nun Bewältigungsstrategien entwickelt werden. Maßnahmen müssen ergriffen werden, um das Auftreten von Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors nicht so ein Problem wie in der Medizin. b 100 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin Die Bewertung und Priorisierung von Risiken, essenzielle Schritte im Risikomanagement, haben nichts mit extrem hohes Risiko hohes Risiko einem CIRS zu tun. Somit kann ein Risikomanagement mit einem Fehlermanagement auch ohne CIRS möglich und effektiv sein. Umgekehrt kann ein CIRS allein ohne Fehlermanagement oder Risikomanagement zwar ein- Auftretensschwere geführt werden, ist allerdings dann wertlos, da es nicht zu einer Analyse, geschweige denn zu Änderungen im System führen kann. Ein CIRS ohne Risikomanagement ist wertlos, da es nicht zu Veränderungen im System führt. hohes Risiko niedriges Risiko CIRS‑Notfallmedizin – wie sieht die Zukunft aus? Auftretenshäufigkeit mit über 800 Reports inzwischen sehr viele Erfahrungen über kritische Ereignisse in der präklinischen Not- Abb. 8 Risikoanalyse mittels FMEA. Ein extrem gefährlicher Fehler ist durch einen schwerwiegenden Ausgang sowie ein häufiges Auftreten gekennzeichnet. fallmedizin vor. Viele kritische Faktoren sind nun gut bekannt. Dies ist noch anders im Bereich der klinischen Notfallmedizin der Notaufnahmen. Dort sind noch nicht so viele Reports eingegangen, dass wir von einem Überblick über die kritischen Ereignisse in der Notauf- Zwischenfällen zu vermeiden oder zumindest zu nahme sprechen können. Dies dürfte daran liegen, dass verringern. dieser Teil der Website erst vor Kurzem eingerichtet wurde. Überwachen. Schließlich stellt sich die Frage, ob die eingeleiteten Maßnahmen auch ihren Zweck erfüllen – das ist der letzte Schritt im Risikomanagement, die Überwachung. Es kann passieren, dass eine Vermeidungsstrategie implementiert wurde, diese aber nicht greift – aus welchen Gründen auch immer. Eine Risikoüberwachung kann wiederum mithilfe verschiedener Techniken wie CIRS, Fallbesprechungen, Kummerkasten, aber auch über statistische Analysen erfolgen. Nach den nunmehr über mehrere Jahre und in vielen Bereichen der Medizin gesammelten Erfahrung mit CIRS zeichnet sich jetzt ein recht klares Bild über Möglichkeiten und Grenzen dieses Verfahrens ab: ■ Es ist ein gutes System zur Erkennung kritischer Ereignisse und kann die Aufmerksamkeit auf Faktoren und Abläufe lenken, um die es sich zu kümmern lohnt. Es ist aber eher ein Verfahren zur Risikoerkennung und für sich alleine noch kein Risikomanagement. CIRS, dem kein Handeln folgt, beinhaltet die Die Rolle eines Critical Incident Reporting Systems beim Risikomanagement Gefahr der Enttäuschung und infolgedessen der Abwendung vom Risikomanagement. ■ CIRS stößt an eine weitere Grenze, wenn eine kriti- Eine CIRS‑Website allein ist kein Risikomanagement, sche Zahl von Reports erreicht wird. Ab dann führen sondern lediglich eine Meldeseite für Zwischenfälle. weitere Meldungen kaum mehr zu einem Erkennt- CIRS kann im Rahmen vom Risikomanagement Risiken niszuwachs, da die kritischen Bereiche inzwischen bereits hinlänglich erkannt sind. identifizieren. Außerdem kann CIRS ein durchgeführtes Fehlermanagement monitoren – manchmal gibt es Än- ■ Eine weitere Grenze wiegt schwer: Mittlerweile sind derungen im System mit gut gemeinter Absicht, aber die Risiko begünstigenden Faktoren in vielen Berei- das Fehlermanagement ist letztlich nicht effektiv. Hier chen der Medizin gut bekannt. Dies könnte bedeuten, kann CIRS ebenfalls Aufschlüsse geben. Somit ist es also dass CIRS als Risikoerkennungssystem seinen Höhe- ein möglicher Bestandteil des ersten und des letzten punkt bereits überschritten hat. An vielen Stellen, Schrittes im allgemeinen Risikomanagement. auch wo es neu eingerichtet wird, bestätigt CIRS inzwischen nur noch, was bereits bekannt ist. Dann Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors In der Datenbank www.cirs-notfallmedizin.de liegen b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin kann es zwar noch ein Instrument zu Sensibilisie- 101 Kernaussagen rung der Mitarbeiter für das Vorhandensein von Risiken sein, trägt aber inhaltlich nicht mehr zum Fehler in der Medizin Erkenntnisgewinn bei. ■ Medizin und im Speziellen die Notfallmedizin sind fehleranfällig. Behandlungsfehler gehören zu den häufigsten Todesursachen bei Patienten. Aus der Perspektive eines umfassenden Risikomanage- ■ sind in den meisten Fällen im System begründet und nicht das Verschulden ments verfestigt sich mehr und mehr der Eindruck, einer einzelnen Person. dass in der Medizin und insbesondere in ihren Hochrisikobereichen die Phase der Risikoerkennung abge- ■ Eine Vielzahl von Faktoren und das Versagen von Schutzmechanismen führen zum Auftreten eines Fehlers. löst werden könnte durch eine weitere Phase: die der Risikobewältigung. Ein ausgesprochen wertvolles und Sowohl Arzt als auch Patient sind Opfer von Behandlungsfehlern. Diese ■ Bevor es zu einem manifesten Fehler kommt, treten häufig Beinahezwi- ein in der Medizin noch recht junges Instrument zur schenfälle, sogenannte Critical Incidents, auf, die zu einer Schädigung des Risikobewältigung ist CRM, Crew Resource Manage- Patienten hätten führen können. ment. Mit seinen 4 Elementen, Regulierung der Ar- beitsbelastung, Situationsbewusstsein und Entschei- Critical Incident Reporting dungsfindung, Verbesserung der Kommunikation und ■ nym, freiwillig, schnell und strukturiert über Zwischenfälle zu berichten. Sonderdruck für private Zwecke des Autors ■ Mithilfe der Root Cause Analysis (RCA) versucht man, die dem Ereignis zu- nischen Notfallmedizin als außerordentlich nützlich grunde liegenden Faktoren zu identifizieren. Im Rahmen der Failure Mode erweisen. and Effect Analysis (FMEA) lassen sich Fehler analysieren und ihre Auftretenswahrscheinlichkeit verringern. Wenn ein Schutzmechanismus das Auftreten eines Fehlers zu 100% verhindert, spricht man vom Poka-Yoke- So könnte es sein, dass dort, wo bisher CIRS war, CRM Prinzip. werden wird. ■ Aus der Datenbank www.cirs-nofallmedizin.de lassen sich wiederkehrende Fehlermuster ableiten und Vermeidungsvorschläge ableiten. Diese umfassen – einen strukturierten Ablauf bei Anamnese, Untersuchung und Therapie, – regelhafte Doppelkontrolle vor Medikamentenapplikation sowie – eine verbesserte und standardisierte Kommunikation zwischen allen Mitgliedern der Rettungskette. Risikomanagement ■ Das allgemeine Risikomanagement umfasst die 4 Schritte: – Identifikation, – Analyse, – Bewältigung und – Überwachung. Zur Umsetzung eines jeden Prozessschrittes stehen verschiedene Vorgehensweisen wie CIRS, FMEA, RCA, statistische Analysen etc. zur Verfügung. ■ CIRS ist ein wichtiger Bestandteil der Risikoidentifizierung und des Risikomonitorings. Jedoch ist ein sinnvolles Risikomanagement nicht allein mithilfe eines CIRS durchzuführen. Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors schließlich Förderung von Führung und Teamarbeit, könnte es sich gerade in der präklinischen und kli- Critical Incident Reporting Systeme (CIRS) bieten eine Möglichkeit, ano- b 102 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin Über die Autoren Dorothea Hempel Jahrgang 1987. Cand. med. PJ‑Studentin Christian Hohenstein an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und wissenschaftliche Mitarbeiterin in Jahrgang 1971. Dr. med. Facharzt für Allgemeinmedizin und Anästhesiologie der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Jena. Sie betreut die mit der Zusatzbezeichnung Notfall- Website www.cirs-notfallmedizin.de. medizin und der Zusatzqualifikation In Kürze tritt sie ihr Research Fellowship Risk Management. Seit 2005 Leiter der von ihm gegründeten Website www. am Department of Emergency Medicine der Harvard University in Boston an. cirs-notfallmedizin.de. Oberarzt an der Zentralen Notaufnahme am Univer- sitätsklinikum Jena. Korrespondenzadresse Dr. Christian Hohenstein Universitätsklinikum Jena Thomas Fleischmann Zentrale Notaufnahme 07747 Jena Allgemeinmedizin mit den Zusatz- bezeichnungen Notfallmedizin, Kli- Telefon: 0 96 41/9 32 20 67 Fax: 0 96 41/9 32 20 22 nische Notfallmedizin (Schweiz) und E-Mail: [email protected] Ärztliches Qualitätsmanagement. Associate Fellow des britischen College of Emergency Medicine. Zusatzqualifika- tionen Risk Management und Betriebs- wirtschaft im Krankenhaus. Er leitet als Chefarzt die Interdisziplinäre Notaufnahme des Klinikums Frankfurt Höchst. Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors Erlanger Allee 101 Jahrgang 1956. Dr. med. Facharzt für b Allgemeine Prinzipien der Notfallmedizin Literatur 103 18 Missbach-Kroll A, Nussbaumer P et al. Critical incident reporting system. Erste Erfahrungen in der Chirurgie. Chirurg 2005; 76: 868 –875 Safer Health System. Washington DC: National Academy Press; 1999 2 Flanagan JC. The critical incident technique. Psychol Bull 1954; 51: 327 –358 3 http://asrs.arc.nasa.gov/main.htm; Stand 05. 02. 2011 4 OʼConnor P, OʼDea A et al. A methodology for identifying human error in U.S. Navy diving accidents. Hum Factors 2007; 49: 214 –226 5 Leape LL. Error in medicine. JAMA 1994; 272: 1851 –1857 6 Cooper JB, Newbower RS et al. Preventable anesthesia mishaps: a study of human factors. Anesthesiol 1978; 49: 399 –406 7 Cooper JB, Newbower RS et al. An analysis of major errors and equipment failures in anesthesia management: considerations for prevention and detection. Anesthesiol 1984; 60: 34 –42 8 Allnutt MF. Human factors in accidents. Br J Anaesth 1987; 59: 856 –864 Sonderdruck für private Zwecke des Autors 9 Williamson J. Critical incident reporting in anaesthesia. Anaesth Int Care 1988; 16: 101 –103 10 Wright B. Disasters: Critical incidents. Nurs Times 1989; 85: 34 –36 11 Runciman WB, Sellen A et al. The Australian Incident Monitoring Study. Errors, incidents and accidents in anaesthetic practice. Anaesth Int Care 1993; 21: 506 –519 12 Chopra V, Bovill JG et al. Reported significant observations during anaesthesia: a prospective analysis over an 18-month period. Br J Anaesth 1992; 68: 13 –17 13 Hart GK, Baldwin I et al. Adverse incident reporting in intensive care. Anaesth Int Care 1994; 22: 556 –561 14 Short TG, OʼRegan A et al. Improvements in anaesthetic care re- sulting from a critical incident reporting programme. Anaesthesia 1996; 51: 615 –621 15 Staender S, Davies J et al. The anaesthesia critical incident report- ing system: an experience based database. Int J Med Inform 1997; Medizin. Gynakol Geburtshilfl Rundsch 2005; 45: 147 –160 20 Kelly SP, Astbury NJ. Patient safety in cataract surgery. Eye 2005; 20: 275 –283 21 Moss SJ, Embleton ND et al. Towards safer neonatal transfer: the importance of critical incident review. Arch Dis Child 2005; 90: 729 –732 22 Frey B, Argent A. Safe paediatric intensive care. Part 2: workplace organisation, critical incident monitoring and guidelines. Int Care Med 2004; 30: 1292 –1297 23 Cote J, Notterman DA et al. Adverse sedation events in pediatrics: a critical incident analysis of contributing factors. Pediatrics 2000; 105: 805 –814 24 Simpson JH, Lynch R et al. Reducing medication errors in the neonatal intensive care unit. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2004; 89: F480 –482 25 Wright M, Parker G. Incident monitoring in psychiatry. J Qual Clin Pract 1998; 18: 249 –261 26 www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de/apsside/07-07-25CIRS-Handlungsempfehlung.pdf; Stand 17. 03. 2011 27 Hohenstein C, Rupp P et al. Critical incidents during prehospital cardiopulmonary resuscitation: what are the problems nobody wants to talk about? Eur J Emerg Med 2011; 18: 38-40 28 Hohenstein C, Fleischmann T. Patientensicherheit im Hochrisikobereich – ein Critical Incident Reporting System in der präklinischen Notfallmedizin. Notarzt 2007; 23: 1 –6 29 Kram R. Critical incident reporting system in emergency medicine. Curr Opin Anaesthesiol 2008; 21: 240-204 30 Stella J, Davis A et al. Introduction of a prehospital critical incident monitoring system-pilot project results. Prehosp Disaster Med 2008; 23: 154 –160 31 Tighe CM, Woloshynowych M et al. Incident reporting in one UK accident and emergency department. Accid Emerg Nurs 2006; 14: 27 –37 47: 87 –90 16 Buckley TA, Short G et al. Critical incident reporting in the intensive care unit. Anaesthesia 1997; 52: 403 –409 17 Beckmann U, West LF et al. The Australian Incident Monitoring Study in Intensive Care: AIMS‑ICU. The development and evalua- tion of an incident reporting system in intensive care. Anaesth Int Care 1996; 24: 314 –319 Notfallmedizin up2date 6 ⎢ 2011 Sonderdruck für private Zwecke des Autors 1 Kohn LT, Corrigan JM, Donaldson MS. To err is human. Building a 19 Haller U, Welti S et al. Von der Schuldfrage zur Fehlerkultur in der b 104 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin CME‑Fragen 1 Welche der folgenden Antworten A Fehler in der Medizin sind selten. ist richtig? B Notfallmedizin ist risikoarm, da die Patientenkontaktzeit sehr kurz ist. C Dadurch, dass Ärzte in der Regel offen über ihre Fehler kommunizieren, hat sich zwischenzeitlich eine brauchbare Lernkultur in der Medizin entwickelt. D Durch die meist hervorragende Abiturnote als Zugangsvoraussetzung zum Medizinstudium sind Fehler in der Medizin sind kostspielig und viele Patienten erleiden hierdurch dauerhaften Schaden. Welche Aussage zum Critical A Critical Incident Reporting kann nur erfolgreich sein, wenn die Teilnahme obligat ist. Incident Reporting ist falsch? B Mithilfe eines CIRS kann man sichere Aussagen über die Häufigkeit von Zwischenfällen machen. C Seltene Ereignisse werden mit einem CIRS gut erfasst. D CIRS kann nicht zur Risikoüberwachung eingesetzt werden. E CIRS kann zur Risikobewältigung eingesetzt werden. A Wenn Patienten zu Schaden kommen, dann meist aufgrund eines menschlichen Fehlers und der 2 3 Welche Aussage zur Fehlerentstehung ist richtig? Fehlhandlung einer einzelnen Person. B Passiert einem Arzt ein ausgesprochen dummer Fehler (zum Beispiel Flüchtigkeitsfehler), so ist es unwahrscheinlich, dass dieser einem anderen Arzt auch passiert. C Banale Fehler, die normalerweise vom System kompensiert werden, sind typischerweise die Fehler, die in einer Kombination von ungünstigen Umständen zu einer Katastrophe beitragen. D Technische Fehler sind im Gesundheitssystem die häufigsten. E Fehler können in ihrer Entstehung meist nicht erahnt werden. Welche Aussage zum Critical A Critical Incident Reporting bedeutet Risikomanagement. Incident Reporting trifft zu? B Critical Incident Reporting verfolgt rechtlich und anonym Verursacher schwerer Zwischenfälle. C Critical Incident Reporting ist ohne Risikomanagement nicht möglich. D Critical Incident Reporting ist ohne Risikomanagement nicht sinnvoll. E Critical Incident Reporting zielt in der Medizin vornehmlich auf Zwischenfälle mit Patienten- 4 schaden ab. 5 Welche Aussage zur A Poka Yoke verhindert das Auftreten von Fehlern zu knapp 96%. Fehlerprävention trifft nicht zu? B Die FMEA verhindert das Auftreten von Zwischenfällen nicht zu 100 %, sondern führt nur zu einer Reduktion der Auftretenswahrscheinlichkeit. C Zur FMEA gehört das Erarbeiten von Fehlerbewältigungsstrategien. D Poka Yoke stammt aus Japan. E Poka Yoke kann ein Teil von FMEA sein. CME Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors Fehler in der Medizin auf ein Minimum reduziert. E b 2/2011 | Notfallmedizin up2date CME‑Fragen 105 Kritische Ereignisse in der Notfallmedizin 6 Welche Aussage zur Fehler- A vermeidung in der Notfallmedizin ist richtig? Diagnosen, die sich aufgrund einer Gesamtkonstellation aufdrängen, müssen nicht überdacht werden. B Vitalwerte müssen bei eindeutigen Diagnosen nicht notwendigerweise erhoben werden. C Eine Standarduntersuchung ist bei eindeutigen Diagnosen zeitraubend und meist nicht notwendig. D Diagnosen, die sich aufgrund einer Gesamtkonstellation aufdrängen, können von wichtigen Differenzialdiagnosen ablenken. E Die Blutzuckermessung ist nur bei offensichtlichen Differenzialdiagnosen sinnvoll. Welche Aussage zur Differenzial- A In der Notfallmedizin sollte man sich auf die wahrscheinlichsten Diagnosen beschränken. diagnostik in der Notfallmedizin B Die Medikamentenanamnese ist im Notfall nicht von Bedeutung. trifft zu? C Der Blutzucker sollte nur bei bekanntem Diabetes oder Koma bestimmt werden. D „Hindsight bias“ ist ein typischer Anfängerfehler. E In der Notfallmedizin sollte man sich auf die gefährlichsten Differenzialdiagnosen konzentrieren. Welche Aussage zu Fehlern A Im Notfall kann auf das Beschriften von Spritzen verzichtet werden. bei der Medikamentenapplikation B Eine doppelte Kontrolle vor oraler Medikamentengabe ist meist nicht nötig. ist richtig? C Fertigspritzen können Fehler bei der Verdünnung von Medikamenten erfolgreich vermeiden. D Es gibt keine Möglichkeit, das Auftreten von Dosierungsfehlern zu verringern. E Die Verwendung von Rückschlagventilen ist im Allgemeinen nicht zu empfehlen. Welche Aussage zu Kommunikation A Rettungsassistenten sollten einen Notarzt niemals auf eine mögliche Fehlhandlung hinweisen. in der Notfallmedizin trifft zu? B Wenn eine Vorankündigung in der Klinik notwendig ist, sollte ein Arzt-zu-Arzt-Gespräch erfolgen. C Ein offenes Besprechen der Vorgehensweise ist in einer Notfallsituation nicht sinnvoll. D Eine Voranmeldung in der Zielklinik sorgt nur für Verwirrung. E Eine Vorankündigung in der Klinik sollte immer vom Rettungsassistenten übernommen werden. Welche Aussage zum A CIRS ist Bestandteil aller 4 Schritte im Risikomanagement. Risikomanagement ist richtig? B Risikomanagement ist ohne ein Reporting System nicht möglich. C Root Cause Analysis dient der Fehlerüberwachung. D Die Risikoanalyse sollte individuell und nicht standardisiert erfolgen. E Eine Möglichkeit der Fehleridentifizierung ist Incident Reporting. 8 9 10 CME Sonderdruck für private Zwecke des Autors Sonderdruck für private Zwecke des Autors 7