In: Hilpert, K./ Bohrmann, T. (Hrsg.): Solidarische Gesellschaft. Familie – Politik – Verbände. Festschrift für Aloys Baumgartner, Regensburg 2006, 317-332. Markus Vogt Solidaritätspotentiale der Kirche für Klimaschutz 1 Solidarität im (Klima-)Wandel Noch vor wenigen Jahrzehnten galt der anthropogene, also durch menschliche Aktivitäten verursachte, globale Klimawandel als ein mögliches Ereignis einer fernen Zukunft. Heute muss er als ein Prozess begriffen werden, der bereits unumkehrbar begonnen hat und die Lebensbedingungen auf der Erde in tief greifender Weise ändert und ändern wird. Die langfristige und globale Sicherung menschenwürdiger Existenz ist heute nicht ohne Klimaschutz möglich. Er stellt gegenwärtig die wohl umfassendste Herausforderung für globale und intergenerationelle Solidarität dar. Die Zeit drängt. Nach einer Analyse der Weltgesundheitsorganisation verursacht der anthropogene Klimawandel bereits heute jährlich mindestens 150.000 Todesopfer, u.a. durch Hitzestress, Überflutungen oder die Ausbreitung von Krankheiten.1 Die Zahl steigt rapide an. Hinzu kommen materielle Schäden in einem mehrstelligen Milliardenbereich sowie Versorgungsengpässe – insbesondere bei sauberem Trinkwasser und Energie –, die hohe soziale und militärische Konfliktpotentiale bergen. Gesundheit, Wohlstand und Sicherheit können langfristig nicht ohne durchgreifende und global abgestimmte Maßnahmen zum Klimaschutz garantiert werden. Die Besonderheit der ethischen Probleme, die sich mit dem Klimawandel stellen, liegt in dem großen Abstand zwischen Verursachern und Leidtragenden: (a) Unsere heutige Lebens- und Wirtschaftsweise, die zu Klimaänderungen führt, ist eine Hypothek auf die Zukunft und wird vor allem die kommenden Generationen belasten. (b) Die armen Länder des Südens sind nur zu einem geringen Anteil an der Verursachung beteiligt und können sich den Veränderungen weit weniger anpassen, während die Industriestaaten im Wesentlichen für die Emission der klimaschädigenden Treibhausgase verantwortlich sind und wesentlich bessere Chancen haben, sich gegen Folgen des Klimawandels abzusichern. (c) Der Klimawandel beeinträchtigt in grundlegender Weise die Lebensräume von Fauna und Flora und berührt damit das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Aufgrund dieser Signatur ist der Klimawandel ein exemplarisches Feld neuer Dimensionen von Gerechtigkeit, Solidarität, Wohlstandssicherung und Schöpfungsverantwortung im 21. Jahrhundert. Er fordert eine zeitliche und räumliche Entgrenzung von Solidarität, was nur dann nicht in eine Überforderung und Verflachung mündet, wenn es zugleich gelingt, die damit verbundenen Ansprüche und Pflichten 1 Vgl. World Health Organization, Climate change and human health. Risks and responses. Summary, Genf 2003, bes. Kap. 5. Vogt – Klima 2 ______________________ verbindlich zu präzisieren, akteursspezifisch einzugrenzen, freiheitlich zu pluralisieren und strukturell zu verankern. 2 2.1 Zum Forschungsstand über Klimaänderungen Fakten, Prognosen und Hypothesen Der Klimawandel ist ein höchst komplexes Phänomen, das vor allem seit Ende der achtziger Jahre intensiver Gegenstand weltweiter Forschungen ist.2 Die Gewichtung einzelner Faktoren und Ursachen sowie die Abschätzung regionalspezifischer ökologischer Risiken und sozialer Folgen unterliegt wegen der Komplexität der Wirkungszusammenhänge vielfältigen Unsicherheiten. Anthropogene Einflussfaktoren (z.B. Co2-Ausstoß) und naturale Faktoren (z.B. Sonnenflecken) überlagern sich wechselseitig. Einzelereignisse wie etwa der Hurrikan Katrina vom Sommer 2005 können prinzipiell nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Insgesamt kann der Klimawandel heute jedoch nicht mehr als bloße Hypothese abgetan werden. Die Fülle von bereits beobachtbaren Extremereignissen (Stürme, Trockenheiten, Hitzwellen etc.) entspricht signifikant den aus klimatologischen Modellrechnungen abgeleiteten Erwartungen. Der Klimawandel ist eine Tatsache. Seine Ausmaße sind dramatisch und stellen eine sozialethische Herausforderungen ersten Ranges dar. Folgende Phänomene und Begleiterscheinungen sind dabei wesentlich: (1) Globaler Temperaturanstieg: Seit 1900 vollzieht sich ein deutlicher Anstieg der globalen Mitteltemperaturen (bisher um 0,7 Grad Celsius).3 Die Erhöhung der globalen Temperatur in den letzten 30 Jahren muss mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % auf menschliche Eingriffe zurückgeführt werden. Nach Schätzungen des Intergovernmental Panel on Climate Change wird sich die Atmosphäre bis zum Jahr 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad Celsius erwärmen. Die Folgen sind nicht nur Dürrekatastrophen und Extremniederschläge, sondern auch ein Anstieg des Meeresspiegels und eine Verschiebung der Klimazonen. 2 3 Signifikant hierfür ist die 1988 durch die „Weltorganisation für Meteorologie“ (WMO) und das „Umweltprogramm der Vereinten Nationen“ (UNEP/United Nations Environment Programme) erfolgte Gründung des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) mit Sitz in Genf. Vgl. IPCC, Climate Change, Nairobi 2001; oder: http://www.ipcc.ch oder www.d-ipcc.de. Vgl. zum Folgenden: IPCC 2001 (Anmerkung 1), bes. Bericht der Arbeitsgruppe 1: Zusammenfassung für Entscheidungsträger; Fabian, Peter: Leben im Treibhaus – Unser Klimasystem und was wir daraus machen, Berlin 2002; Umweltbundesamt: Klimaänderungen weltweit (www.umweltbundesamt.de); darüber hinaus danke ich für die folgenden Ausführungen wesentliche Anregungen meinen Kollegen Andreas Lienkamp (Berlin) sowie Ortwin Renn (Stuttgart) sowie meinem Mitarbeiter Jochen Ostheimer. Vogt – Klima 3 ______________________ (2) Hitzewellen: Die Häufung von Perioden extremer Hitze und Trockenheit in bestimmten Regionen ist signifikant. So war in Deutschland der August 2003 bei weitem wärmste seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen. Andere Regionen, wie etwa das südliche Afrika sind noch weit extremer betroffen. Klimaexperten gehen davon aus, dass in Zukunft solche Hitzeperioden häufiger und intensiver werden. (3) Anstieg des Meeresspiegels: Der globale mittlere Meeresspiegel ist im vergangenen Jahrhundert um 10 bis 20 Zentimeter angestiegen. Bis zum Jahr 2100 wird ein Anstieg um weitere 9 bis 88 cm erwartet, was die Bevölkerung in tief liegenden Küstengebieten – darunter zahllose Städte – sowie auf kleineren Inseln massiv bedroht. Die Möglichkeit eines Anstiegs des Meeresspiegels um mehrere Meter kann nicht ausgeschlossen werden. (4) Niederschläge und Überschwemmungen: Die Erwärmung bodennaher Temperaturen geht Hand in Hand mit der Abkühlung höherer Atmosphärenschichten, was insgesamt zu einer Veränderung der großräumigen Zirkulationssysteme und Niederschlagsverteilungen führt. In tropischen und subtropischen Gebieten zeichnen sich Niederschlagsabnahmen ab, während in mittleren und höheren Breitengraden die Menge und Heftigkeit von Niederschlägen zunimmt. Diesem Erwartungsmuster entsprechen in Mitteleuropa etwa die Starkregen in den Wintern 1993/94 und 1994/95, die zu „Jahrhunderthochwässern“ in der Rheinregion führten, die extremem Sommerniederschläge der Jahre 2002 und 2005, die katastrophale Überschwemmungen im Bereich der Elbe (2002) und der Nordalpen (2005) auslösten. (5) Mögliches Kippen des Golfstroms: Als eine gravierende Folge des Klimawandels wird seit vielen Jahren die Hypothese diskutiert, dass der Golfstrom kippen könnte. Sie ist jedoch im Unterschied zu den beobachteten Phänomenen des Klimawandels und aufgrund der komplexen Wirkungszusammenhänge nur ein sehr unsicheres Szenario. Öffentliche Aufmerksamkeit hat sie durch eine Studie im Auftrag des Pentagon erhalten, die im Februar 2004 in die Medien gelangte.4 Die Pentagon-Studie geht hypothetisch von Veränderungen des Golfstroms schon in wenigen Jahren aus. Dies hätte einen abrupt eintretenden Klimawandel und kaum absehbare soziale Umbrüche, Migrationen und Versorgungsengpässe zur Folge. Wenn der Klimawandel unter dem Aspekt von Sicherheitsfragen diskutiert wird, könnte dies das Risikobewusstsein, die Interessenlage und den politischen Stellenwert des Themas radikal verändern. 4 Vgl. www.ems.org/climate/pentagon_climate_change.pdf. Autoren der Studie sind Peter Schwartz und Doug Randall, Auftraggeber ist Andrew Marshall, der Leiter des angesehenen "Office of Net Assessment" des Pentagon. Wissenschaftlich bietet sie kaum neuen Erkenntnisse; ihre Bedeutung liegt nicht darin, was gesagt wird, sondern von wem und in welchem Kontext es gesagt wird. Vogt – Klima 4 ______________________ 2.2 Soziale Folgeprobleme Der anthropogene Klimawandel stellt den bisher tiefsten Eingriff des Menschen in die Biosphäre der Erde dar. Im Kontext der Frage von Solidarität soll es jedoch im Folgenden nicht unmittelbar um die Bewertung der ökologische Aspekte gehen, sondern um die komplexen sozialen Folgen: (1) Gefährdung von Ernährungssicherheit und Wasserversorgung: Die Bewältigung von klimabedingten Ernteverlusten und die Anpassung der Viehwirtschaft an neue klimatische Verhältnisse werden mit Kosten verbunden sein, die nicht von allen Staaten oder landwirtschaftlichen Betrieben aufgebracht werden können. In einigen Regionen der Erde wird die Klimaveränderung zu einer massiven Beeinträchtigung der Ernährungssicherheit führen. Dazu kommt noch, dass infolge von Erwärmung und Überschwemmungen der Parasitenbefall zunehmen und entsprechende Ernteausfälle verursachen wird. Zudem werden nach der Prognose des Milleniumsberichtes der UNO im Jahr 2025 zwei Drittel der Menschheit unter Wasserknappheit leiden, wobei der Klimawandel eine zentrale Ursache ist.5 (2) Ausbreitung von Krankheiten: Durch die Klimaveränderungen, so die Prognosen von IPCC und die WHO, werden eine Reihe schwerer Krankheiten häufiger auftreten und sich schneller ausbreiten, besonders vektorübertragene (also durch Organismen, meist Insekten, verbreitete Krankheiten wie z.B. Malaria, DengueFieber, Gelbfieber und verschiedene Arten von Hirnhautentzündung) Krankheiten. Ferner werden vermehrt Menschen an Hitzestress sterben. (3) Kriegs- und Fluchtursache Klimawandel: Insbesondere in Entwicklungsländern werden zahllose Menschen auf der Flucht vor Überschwemmungen, Stürmen, Dürre, Hunger oder Hygieneproblemen aufgrund mangelnder Wasserversorgung ihren Lebensraum verlassen müssen. „Besondere Aufmerksamkeit verdient die Wasserversorgung. Fachleute befürchten, künftige Kriege würden nicht mehr nur um Öl, sondern um Wasser geführt.“6 Migrationen, klimabedingte Destabilisierung von Gesellschaften und der Kampf um den Zugang zu Ressourcen werden ins Zentrum der Sicherheitsprobleme des 21. Jahrhunderts rücken. (4) Monetäre Kosten: „Ohne eine drastische Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes werden sich weltweit die Kosten des (anthropogenen) Treibhauseffekts auf über 300 Milliarden US-Dollar jährlich belaufen, so die Schätzung in einem UNEP-Bericht.“7 Hinter dieser Meldung der Vereinten Nationen steht eine detail5 6 7 UNEP, Global Environmental Outlook 2000, Nairobi/London 1999, 24-51. Die deutschen Bischöfe: Gerechter Friede (Die deutschen Bischöfe 66), Bonn 2000, Ziffer 96. Generalsekretär Annan ruft Staaten zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls auf, in: http:// www.uno. de/ schlagzeilen/ 2001/ 01feb05. htm. Vgl. auch den Bericht von Thomas Atkins, der am 4. 3. 2004 von Reuters herausgegeben wurde (zitiert nach KlimaKompakt Nr. 33 / April 2004; www.germanwach.org). Vogt – Klima 5 ______________________ lierte Studie der Münchener Rück aus dem Jahr 2000. Die Rückversicherungsbranche hat seit vielen Jahren einen wissenschaftlichen Expertenstab zur Abschätzung der ökonomischen Folgen des Klimawandels aufgebaut und fungiert damit als eine Art „Frühwarnsystem“. Besonders klimaabhängig und damit „verwundbar“ sind volkswirtschaftlich wichtige Branchen wie z.B. Bau-, Energie-, Landwirtschaft oder Tourismus. Die Länder des Südens sind ungleich stärker betroffen und wirtschaftlich weniger in der Lage, die Schäden auszugleichen. 3 Ethische Orientierungen 3.1 Herausforderung für unterschiedliche Aspekte von Solidarität Unabhängig von der Frage, wie man bei den gegenwärtigen Vorboten des Klimawandels das Verhältnis zwischen anthropogenen und naturalen Einflussfaktoren gewichtet, spricht alles dafür dass die menschlichen Anteile ihn zumindest wesentlich verstärken und langfristig prägen werden. Schon jetzt steht fest, „dass Gegenstrategien nur bei umgehendem Beginn der Initiativen Erfolg haben können.“8 Die hohe Verweildauer von klimarelevanten Gasen in der Atmosphäre (bei Kohlendioxid durchschnittlich ca. 100 Jahre) und ihre globale, verzögerte, nur sehr bedingt und langfristig rückholbare Auswirkung stellen hohe Anforderung an prospektive Verantwortung und intergenerationelle Solidarität. Der Klimawandel gefährdet wesentliche Lebensgrundlagen der jetzt lebenden und der kommenden Generationen sowie zahlloser Tiere und Pflanzen. Er macht deutlich, dass wir mit einer gewaltigen Hypothek auf die Zukunft leben und wirtschaften. Vor allem wegen der weitaus geringeren Möglichkeiten, den Folgen des Klimawandels auszuweichen, sich anzupassen, zu schützen oder entstandene Schäden zu beheben belastet er in weitaus höherem Maß die Armen. Er ist ein Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit im beginnenden 21. Jahrhundert.9 Seine Bewältigung ist nur im Rahmen einer solidarischen Gesellschaft denkbar, wobei sich unterschiedliche Aspekte differenzieren lassen: Langfristige Solidarität äußert sich in Maßnahmen der Vermeidung durch Abkehr von der fossilen Energieversorgung; mittelfristig stehen Maßnahmen der Anpassung und Milderung (mitigation) im Vordergrund (z.B. Wasserversorgung, Umsiedlungen, ökologische und agrarpolitische Anpassungen etc.); kurzfristige Solidarität 8 9 Deutsche Bischofskonferenz (DBK) – Kommission VI, Handeln für die Zukunft der Schöpfung, Bonn 1998, Nr. 15. In der Literatur wir der Begriff Solidarität nicht selten auch auf das Verhältnis zu Tieren oder Pflanzen als „Mitgeschöpfen“ angewendet, was mir insofern nicht sinnvoll erscheint, als Solidarität als ethisches Prinzip in der personalen Würde des Menschen gründet; vgl. Baumgartner, Alois, Solidarität, in: Heimbach-Steins, Marianne (Hrsg.), Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch. Bd. I, Regensburg 2004, 283-292, hier 289. Vogt – Klima 6 ______________________ (nachsorgende Hilfe bei Katastrophen) lässt sich mit Hilfe medial erzeugten Mitleids am ehesten organisieren; insofern die Armen besonders leiden, ist fürsorgliche Pro-Solidarität gefragt. Insofern alle betroffen sind, ist Klimaschutz eine Frage der kooperativer Con-Solidarität. Der durch den Klimawandel ausgelöste Kooperationsdruck liegt quer zu bestehenden Gemeinschaften und fordert exemplarisch, sich auf ferne Not einzulassen. „Diese Art von Solidarität setzt Selbstüberwindung und Selbstüberschreitung voraus."10 Insofern die Potentiale der Solidarität im Alltag meist verborgen bleiben und sich erst durch den Druck und Anlass einer akuten Bedrohung entfalten, ist der Klimawandel eine Chance global-menschheitlicher und intergenerationeller Horizonterweiterung von Solidarität. 3.2 Theologisch-ethische Handlungsprinzipien Die Bewältigung des Klimawandels ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zur Orientierung, Strukturierung und Motivation des Diskurses kann theologische Ethik im interdisziplinären Gespräch einige Handlungsprinzipien beitragen, von denen hier exemplarisch vier genannt seien: Gefordert ist ein grundlegender Wandel der aktuellen klimaschädlichen Muster von Produktion und Konsum, von Technologien und Lebensstilen: Alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse müssen in das sie tragende Netzwerk ökologischer Regelkreise eingebettet werden (Prinzip der Retinität).11 Das fordert nicht nur die Orientierung an den dynamischen Grenzen ökologischer Tragekapazität für wirtschaftliche Stoffflüsse, sondern ebenso vernetztes Denken in allen Bereichen und eine ressortübergreifende Querschnittspolitik. Weil die Folgen des Klimawandels verzögert eintreten und sehr langfristig sind, gewinnt das Vorsorgeprinzip hier zentrale Bedeutung. Das kann gesellschaftlich nur gelingen, wenn langfristige Bewertungshorizonte institutionell abgesichert werden. Ebenso grundlegend sind Risikomündigkeit und die Abkehr von linear auf quantitatives Wachstum fixierten Fortschrittsvorstellungen, die zu einer ständigen Beschleunigung moderner Gesellschaft führen, statt eine langfristige Stabilisierung und Konsolidierung von Entwicklungen zu fördern.12 10 11 12 Baumgartner 2004 (Anm. 9), 284. Vgl. Korff, Wilhelm; Leitideen verantworteter Technik, in: Stimmen der Zeit 114 (1989), 253-266, hier 258; Vogt, Markus: Retinität: Vernetzung als ethisches Leitprinzip für das Handeln in komplexen Systemzusammenhängen, in: Bornholdt, Stefan/Feindt, Peter (Hg.): Komplexe adaptive Systeme, Dettelbach 1996, 159-197. Jochen Ostheimer/ Markus Vogt, Gesellschaftsvisionen im ökologischen Diskurs, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 45 (2004), Münster, 109-141. Vogt – Klima 7 ______________________ Das Verursacherprinzip gebietet, rückwirkend die Lasten für verursachte Schäden zu übernehmen sowie vorausschauend alle absehbaren Kosten für Mensch und Umwelt in die Preise einzubeziehen, so dass diese die ökologische Wahrheit sagen (Internalisierung negativer externer Effekte). Die Industrienationen haben eine besondere Verantwortung. Da Klimaschutz mit vielfältigen Interessens- und Überzeugungskonflikten sowie mit nicht auflösbaren Unsicherheiten verbunden ist, sind Entscheidungen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. So muss jede ergriffene Maßnahme erstens geeignet und zweitens erforderlich sein, um die Gefahren abzuwenden, d.h. es darf keine andere Maßnahme geben, die zwar gleichermaßen geeignet ist, jedoch einen geringeren Eingriff darstellt. Drittens muss sie angemessen sein, d.h. der durch die Maßnahme bewirkte Schaden darf nicht größer sein als der erzielte Nutzen.13 Klimaschutz gehört entscheidungstheoretisch zum Typ des Handelns unter Unsicherheit, was differenzierte Güterabwägung fordert, um die Wahrscheinlichkeit und das Schadensausmaß möglicher Gefahren angemessen gegenüber den sozialökonomischen Belastungen bestimmter Maßnahmen (monetäre Kosten, Wettbewerbsnachteile, Akzeptanzprobleme etc.) zu gewichten. 3.3 Solidarität als Strukturprinzip Vorsorgender Klimaschutz setzt globale Kooperation voraus. Diese wird nur unter den Bedingungen von Gerechtigkeit zustande kommen. Da das Klima ein kollektives Gut ist, dessen Nutzen sich kaum individualisieren lässt, ist die Blockade von Initiativen hierfür durch Trägheit und Trittbrettfahrermentalität nicht verwunderlich. Investitionen für Klimaschutz sind extrem leicht ausbeutbar und bedürfen daher eines spezifischen institutionellen Schutzes. Die entscheidende ethisch-politische Herausforderung besteht darin, die kurzsichtigen Egoismen zu überwinden und die moralischen, politischen und wirtschaftlichen Ressourcen solidarischen Handelns über nachsorgende Katastrophenhilfen hinaus für vorsorgenden Klimaschutz und innovative Energietechnik zu aktivieren. Dies erfordert vor allem eine Stärkung globaler Steuerungsinstitutionen. Die ethische Bewältigung des Klimawandels ist auf einen institutionellen Wandel in Richtung „Global Governance“ mit neuen strategischen Bündnissen zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft angewiesen.14 13 14 Korff, Wilhelm, Die Energiefrage. Entdeckung ihrer ethischen Dimension, Trier 1992, 23-26 und 229-285; Scheule, Rupert, Rational Choice Theory, funktionale Differenzierung und theologische Ethik. Ein Annäherungsversuch, in: Zeitschrift für Katholische Theologie. 127. Jg. (2005), Nr. 1, 25 - 56. Vogt, Markus, Kann Politik globale Solidarität mit künftigen Generationen organisieren?, in: Müller, J. / Reder, M (Hrsg.), Der Mensch vor der Herausforderung nachhaltiger Solidarität, Stuttgart 2003, 127-183. Vogt – Klima 8 ______________________ Insofern Solidarität als Strukturprinzip nicht nur auf punktuelle Assistenz drängt, sondern auf eine „nachhaltige Änderung der Notlagen“ sowie eine „Korrektur struktureller Defizite“15, ist sie durch den Klimawandel mit einer neuen Qualitätsstufe von Komplexität konfrontiert. Solidarität im Klimawandel braucht primär institutionelle Innovationen. 4 4.1 Konsequenzen für Politik und Wirtschaft Vordringliche Aufgabe: Wandel in der Energieversorgung Die entscheidende politische und ökonomische Handlungsdimension des Klimaschutzes ist ein Wandel in der Energieversorgung mit dem Ziel einer Reduktion der Treibhausgase. Der Weltenergieverbrauch beruht zu drei Vierteln auf fossilen Brennstoffen (Erdöl, Kohle und Erdgas). Trotz der intensiven Klimaverhandlungen seit der UN-Klimarahmenkonvention von Rio de Janeiro 1992 wurde vier Jahre später ein Rekord im globalen CO2-Ausstoß verzeichnet.16 Im Hinblick auf die ethische Dringlichkeit übertrifft das Treibhausproblem das der absehbaren Verknappung fossiler Energievorräte. Für den Wandel der Energieversorgung gibt es drei mögliche Strategien: 1. Substitution fossiler Energien durch erneuerbare Energiequellen; 2. Effizienzsteigerung durch technische Innovationen und Strukturänderungen; 3. Wandel der Konsummuster und Wertpräferenzen insbesondere in der globalen Oberschicht, zugunsten von Suffizienz (Genügsamkeit) und ressourcenleichten Wohlstandsmodellen. Hinreichende Änderungen sind nur dann erreichbar, wenn alle drei Dimensionen gleichzeitig in Angriff genommen und Synergien konsequent genutzt werden.17 Die größten Einsparpotenziale ergeben sich derzeit bei der Raumwärme und in der Mobilitätsgestaltung. Die zu überwindenden Barrieren sind jedoch groß: Die Wertschöpfung in den Industriegesellschaften wird durchschnittlich zur Hälfte vom Faktor Energie bestimmt.18 In den Wirtschaftswissenschaften werden jedoch traditionell nur Arbeit und Kapital als strukturell bedeutsame Größen in den Blick genommen, während Energie und Rohstoffe als prinzipiell verfügbar gelten und auf ein Kostenproblem reduziert werden. Dies ist zumindest heute kein angemessenes Theoriemodell mehr. Denn die Entscheidung für eine bestimmte Ressourcenbasis ist für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung strukturell ebenso determinierend 15 16 17 18 Baumgartner 2004 (Anmerkung 9), 287; vgl. ebd. 291. UNEP, Global Environmental Outlook 2000, Nairobi/London 1999, 23f. Vgl. zum Folgenden Vogt, Markus: Notwendiger Strukturwandel. Neue Wege für die Energieversorgung, in: Herder Korrespondenz 54 (2000), 296-301. Vgl. Kümmel, Reiner, Energie und Kreativität, Stuttgart 1998, 25-60. Vogt – Klima 9 ______________________ wie die Verteilung von Arbeit und Kapital. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Energieversorgung und gesellschaftlichen Strukturen ist die Energiefrage nicht nur eine Aufgabe für ökologische und technische Spezialisten, sondern eine Frage der Ordnungsethik und der politischen Steuerung. Letztlich wird auch eine Überwindung der Massenarbeitslosigkeit nicht gelingen, ohne einen Wandel der Energieversorgung, denn billige Energie belastet nicht nur das Klima, sondern führt ebenso unaufhaltsam zur Substitution von Arbeitsplätzen durch Maschinen. Ein zentrales Steuerungsinstrument, das zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen soll, ist der Handel mit CO2-Emissionsrechten. Die Vorteile eines solchen Lizenzmarktes liegen vor allem in den großen Effizienzvorteilen bei Investitionen in technisch weniger entwickelten Ländern. Da Klimaschutz eine globale Angelegenheit ist, ist es sinnvoll, dort Maßnahmen zu initiieren, wo sie vergleichsweise günstig und wirkungsvoll sind. Auch aus dem ethischen Leitbild der Nachhaltigkeit, dem auf der ordnungspolitischen Ebene eine Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft entspricht, ergibt sich eine Befürwortung marktorientierter PolitikInstrumente wie dem Handel mit CO2-Ausstoß-Lizenzen. Allerdings sind die Missbrauchsmöglichkeiten dabei (noch) sehr groß. So ist es eine ethische und politische Herausforderung ersten Ranges; hierfür ökologisch tragfähige, gerechte, durchsetzbare, kontrollfähige und effiziente Rahmenbedingungen auszuhandeln. Im Ganzen bestehen durchaus gute Chancen für einen Wandel bei der Energieversorgung. Nach einer Studie von Shell, auf der u.a. Programme der Bundesregierung für Klimaschutz und Erneuerbare Energien aufbauen, könnte bis zur Mitte dieses Jahrhunderts der Weltenergiebedarf zu 50 % aus regenerativen Energien gedeckt werden.19 Insbesondere für ländliche Regionen in Entwicklungsländern bietet Bioenergie auch für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung so viele Vorteile, dass sich der Klimaschutz, wenn er zu ihrer Förderung veranlasst, als Ausweg aus zahlreichen Fehlentwicklungen und als sozioökonomisch sinnvolles Modernisierungsvehikel erweisen könnte. 4.2 Klimaschutz als Friedenspolitik Die klimabedingte Destabilisierung gesellschaftlicherer Strukturen durch die Zerstörung von Siedlungen, Engpässe in der Versorgung mit Wasser, Energie und Nahrung, die Ausbreitung von Krankheiten, die Erhöhung der Migrationen und die Verletzung des Gerechtigkeitsempfindens zahlloser Menschen und Völker durch die einseitigen Strukturen der Verursachung und Belastung im Klimawandel sind auch unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ein hohes Risiko. In Afrika spielen Konflikte um Wasser eine zunehmende Rolle. 20 Der Kaukasus und Mittel- 19 20 Dazu umfassend: Scheer, Hermann, Solare Weltwirtschaft, München 1999. G. Bächler/K. Spillmann (Hrsg.), Kriegsursache Umweltzerstörung (dreibändiger Abschlußbericht des Environment and Conflicts Project ENCOP), Vogt – Klima 10 ______________________ asien, auf deren Energiereserven die Industrienationen zunehmend angewiesen sind, drohen zum Hauptkampfplatz um die knapper werdenden Ressourcen zu werden. Ebenso problematisch ist unter Sicherheitsgesichtspunkten die extreme Vulnerabilität westlicher Gesellschaften durch die Abhängigkeit fast aller Bereiche von (zentraler) Energieversorgung, die nur schwer gegen terroristische Angriffe zu schützen ist. Angesichts solcher Zusammenhänge sollten Klima- und Energiepolitik als wesentliche Bestandteile einer vorausschauenden und integrierten Friedens- und Entwicklungspolitik eingestuft werden. Klimaschutz ist Friedenspolitik. Ein solcher konzeptioneller Zusammenhang wurde nicht nur im konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung, sondern auch in den Dokumenten der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro (theoretisch) anerkannt.21 Klimapolitik sollte von daher nicht allein auf Solidaritätsappelle setzen, sondern auf der Grundlage einer differenzierten Gefährdungsanalyse neue strategische Allianzen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anstreben. 4.3 Die Notwendigkeit einer integrierten Klimapolitik Eine effektive weltweite Kooperation beim Klimaschutz ist unerlässlich. Das „Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen“ (1997) ist ein Schritt in diese Richtung. Trotz umfangreicher, ökologisch fragwürdiger Konzessionen konnte das Kyoto-Protokoll erst am 16. Februar 2005 in Kraft treten. Zudem ist es lediglich ein bescheidener Anfang, dem eine allmähliche Verschärfung der Reduktionsziele sowie die Einbeziehung weiterer Akteure folgen müssen. Die Weigerung der USA, die für mehr als ein Drittel des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich sind, das Kyotoprotokoll zu unterstützen, ist ein Menetekel ihres Versagens als globale Führungsmacht demokratischer Verantwortung. Nach Einschätzung von Klimaforschern müssen die CO2-Emissionen bis 2050 mindestens um 60 %, besser um 80 % reduziert werden, was „technisch möglich und volkswirtschaftlich tragfähig“22 ist. Damit verglichen ist das KyotoReduktionsziel von 5,2 % bis 2012 seitens der Industrieländer nur ein kleiner Schritt. Dennoch ist das Erreichen dieses bescheidenen Zieles schon jetzt gefährdet. Klimapolitik wird erst dann erfolgreich sein, wenn sie aus den sektoralen Strukturen heraustritt und – entsprechend dem Prinzip der Retinität – konsequent mit wirtschaftlichen sowie entwicklungs- und forschungspolitischen Zielen ver- 21 22 Chur/Zürich 1996; vgl. auch die oben genannte Pentagonstudie www.ems.org/climate/pentagon_climate_change.pdf. Vgl. z.B. Rio-Deklaration, Nr. 23-26; oder die Klimarahmenkonvention, Artikel 3, Abs. 1, in der Klimaschutz gerechtigkeitstheoretisch begründet wird. Umweltbundesamt: Die Zukunft in unseren Händen. 21 Thesen zur Klimaschutzpolitik für das 21. Jahrhundert, Berlin Februar 2005, These 13. Vogt – Klima 11 ______________________ knüpft wird. Sie muss Teil einer umfassenden Politik der Nachhaltigkeit werden, die alle Politikbereiche umgreift und so erst die Bedingungen einer vorsorgenden und strukturell solidarischen Klimapolitik zu schaffen vermag. 5 5.1 Aufgaben und Kompetenzen der Kirchen im Klimaschutz Die Rolle der Kirchen und Weltreligionen Klimaschutz ist eine Bewährungsprobe für die Solidaritätsfähigkeit moderner Gesellschaft. Technische Lösungen und politische Verhandlungen sind unverzichtbar, aber nicht hinreichend. Sie müssen getragen sein von einem gesellschaftlichen Wertewandel hin zu langfristigem und vernetztem Denken, neuen ökologischen Wohlstandsmodellen und einem lebendigen Bewusstsein globaler Nachbarschaft. In der weltweiten Verständigung über die ethischen Grundlagen einer solidarischen, freiheitlichen und ökologisch zukunftsfähigen Weltgesellschaft werden die Kirchen und Religionen vermutlich keine führende Rolle übernehmen, jedoch möglicherweise eine nicht unwichtige Vermittlungs- und Katalysatorfunktion ausüben.23 5.2 Nachhaltigkeit und Schöpfungsglaube Christliche Zukunftshoffnung ist angesichts des im Klimawandel sichtbaren „Stöhnens der Schöpfung“ (Röm 8) zum Handeln herausgefordert. Orientierung kann dabei das Leitbild der Nachhaltigkeit bieten, das heute als verbindlicher Ausdruck christlicher Schöpfungsverantwortung gelten kann und dabei hilft, diese auf die konkreten Entscheidungsprobleme in Politik und Wirtschaft zu beziehen. Nachhaltigkeit betrifft nicht nur das unmittelbare Verhältnis zwischen Mensch und Natur, sondern – im Sinne einer „ökologischen Sozialethik“24 – ebenso den „rechten Aufbaus der Gesellschaft“, woran mitzuwirken die Kirche sich verpflichtet hat (Gaudium et spes 3). Der Beitrag von Theologie und Kirche zum Klimaschutz ist jedoch nur dann wirklich hilfreich, wenn diese ihrerseits bereits sind, die neuen Dimensionen der Herausforderung wirklich ernst zu nehmen, interdisziplinär und im gesellschaftlichen 23 24 Vgl. Gardner, Gary: Die Einbeziehung der Religion in die Suche nach einer nachhaltigen Welt (Invoking the spirit: Religion and Spirituality in the Quest for a sustainable World, Worldwatch Paper 164), in: Worldwatch Institute (Hrsg.): Zur Lage der Welt 2003, Münster, 291- 327; Vogt, Markus, Religiöse Potentiale für die Nachhaltigkeit. Thesen aus der Perspektive der Theologie, in: Religion und Nachhaltigkeit. Multidisziplinäre Zugänge und Sichtweisen, Soziologie Bd.46, hg. v. B. Littig, Münster 2004, 91-118. Höhn, Hans-Joachim, Ökologische Sozialethik. Grundlagen und Perspektiven, Paderborn 2001. Vogt – Klima 12 ______________________ Dialog zu lernen und gewohnte Denkweisen in Frage zu stellen. Unter diesen Bedingungen können die christlichen Kirchen wichtige Orientierungen in den gesellschaftspolitischen Dialog um Klimaschutz einbringen: - die Grundoption des christlichen Schöpfungsglaubens, der den Planeten Erde als „Lebenshaus“ für alle Geschöpfe anerkennt und Grundhaltungen wie Dankbarkeit und Ehrfurcht fördert, zum Staunen über die Schönheit befähigt, die Verbundenheit und Schicksalsgemeinschaft aller Geschöpfe bewusst hält und die Grenzen, Kontingenzen und Abhängigkeiten geschöpflicher Existenz nicht verleugnet. - ein Menschenbild, das den Wert den Menschen nicht an Besitz, Profit und Konsum festmacht, sondern das auf der gleichen Würde aller Menschen als Kinder Gottes basiert und das die unablässige Bereitschaft zu Umkehr und Versöhnung einfordert. - die Bereitschaft zu globaler Solidarität, die in dem alle Gesetze zusammenfassenden Gebot der Liebe ihre tiefste Wurzel hat und in der Kirche als Weltgemeinschaft und im vielfältigen Engagement für und mit den Armen und Ausgeschlossenen konkreten Ausdruck findet. - langfristiges Denken, das im Glauben an den ewigen Gott und in der viele Generationen und Kulturen übergreifenden Gemeinschaft der Heiligen verankert ist25 und eine wichtige Voraussetzung für den schwierigen Weg zu intergenerationeller Gerechtigkeit bietet. - eine Spiritualität, die nicht primär auf inneren Rückzug und Selbsterlösung zielt, sondern durch Konzentration auf das Wesentliche, echte Offenheit für die Nöte und Hoffnungen der Mitmenschen sowie schöpferische Kreativität zur Verantwortung befähigt. Diese ethischen und religiösen Impulse bieten vor allem hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz und pädagogischen Vermittlung von Zielen des Klimaschutzes ein hohes Orientierungs- und Motivationspotential. 5.3 Option für die Armen und ein neues Verständnis von Entwicklung Für die Kirchen ist die Solidarität mit den Opfern des Klimawandels wesentlicher Ausgangspunkt ihres Engagements. So trägt die Studie des Weltrates der Kirchen (WCC) vom November 2001 den programmatischen Titel: „Solidarity with Victims of Climate Change“.26 Ihre Sendung als Heilssakrament verpflichtet die Kir25 26 Vgl. Scheule, Rupert: Nachhaltigkeit: Zur ekklesiologischen Rekonstruktion der Nachweltfürsorge, in: Theologie der Gegenwart 46 (2003), 107 – 126. World Council of Churches (WWC): Justice, Peace und Creation: Solidarity with Victims of climate Change. Reflections on the World Council of Churches‘ Response to Climate Change, Genf 2002. Vogt – Klima 13 ______________________ che zur vorrangigen Option für die jeweils Armen, in denen dem Gläubigen Jesus selbst begegnet.27 Diese Option lenkt den Blick auf die Klimaflüchtlinge, die in Zukunft einen immer größeren Teil der Ärmsten dieser Erde ausmachen werden. Hinsichtlich der Klimafrage verändert sich der Begriff von Entwicklung: Die reichen Nationen des Nordens, die den weitaus größten Teil der klimarelevanten Treibhausgase emittieren, werden ihrerseits zu „Entwicklungsländern“: Sie selbst müssen sich grundlegend ändern, wenn sie Teil einer zukunftsfähigen Zivilisation sein wollen. Nur wenn die reichen Industrienationen ihre Energieversorgung radial umstellen und zu ökologisch und human angemessenen Maßen in Wirtschaft und Konsum zurückkehren, wird globale Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit zu sichern sein. Der Klimaschutz fordert eine humanökologische Weiterentwicklung der Befreiungstheologie, die gerade für die westlichen Gesellschaften ein weit reichendes kritisches Potential birgt. Solidarität auf gleicher Augenhöhe ist gefragt, insofern sich Industriestaaten selbst einem tief greifenden Strukturwandel unterziehen müssen, was weit schwieriger ist, als die fürsorgliche Solidarität des Abgebens vom eigenen Überfluss. 5.4 Glaubwürdige Solidarität durch ökologische Praxis Es fehlt in den westlichen Wohlstandsgesellschaften nicht an allgemeinen moralischen Appellen und Anklagen, sondern vornehmlich an Glaubwürdigkeit. Das gilt auch für die Kirchen selbst. Nur wenn der Ruf zur Schöpfungsverantwortung im Leben der Kirchen und der Christinnen und Christen selbst einen angemessenen Stellenwert einnimmt, sind politische Initiativen der Kirche zum Umweltschutz moralisch überzeugend. Durch kirchliche Energiesparprojekte wie z.B. energiesparendes Bauen, durch kirchliche Rahmenverträge mit Erzeugern regenerativer Energien oder durch Initiativen zu nachhaltiger Mobilität kann die Glaubwürdigkeit der Kirchen in ihrer Option für Klimaschutz als einer zeitgemäßen Konkretisierung der Option für die Armen wesentlich erhöht werden. Der Schöpfungsglaube muss sich in der Praxis bewähren. Angesichts der Dringlichkeit der Probleme ist die katholische Kirche sowohl auf der Reflexions- als auch auf der praktischen Ebene bisher weit hinter dem Möglichen und Notwendigen zurückgeblieben.28 Gleichwohl gibt es im kirchlichen Bereich eine Anzahl ermutigender Beispiele für Potentiale der Solidarität im Klimaschutz, von denen einige exemplarisch genannt seien: - Dem Projekt „Kirchliches Umweltmanagement“, das auf eine ökologische Ausrichtung aller Handlungsbereiche nach dem Modell der europäischen EMAS-Verordnung (Eco Management Audit Scheme) abzielt, haben sich in- 27 Vgl. Mt 25; Lumen gentium Nr. 1; Evangelii nuntiandi Nr. 23. So gibt es von katholischer Seite bisher (Oktober 2005) weltweit kein offizielles Dokument zur Frage des Klimawandels. 28 Vogt – Klima 14 ______________________ zwischen in Deutschland ca. 180 kirchliche Einrichtungen angeschlossen.29 Bei Evangelischen Kirchentagen und beim Weltjugendtag 2005 in Köln wurde das Umweltmanagement erfolgreich praktiziert. - Einige kirchliche Einrichtungen haben teilweise oder vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt. Ca. 700 evangelische oder katholische Einrichtungen in Deutschland haben Solaranlagen installiert; ein Teil der Diözesen unterstützt Klimaschutzprojekte durch Energiesparfonds. - Nachhaltigkeit und damit auch Klimaschutz ist zum Teil ein wesentliches Kriterium in der Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere im Kontext von Landwirtschaftsprojekten (z.B. bei Misereor). - Im Rahmen der Initiative „AutoFasten“, die von der Diözese Trier ausging, haben inzwischen über 5.000 Teilnehmende in der Fastenzeit ihre Mobilität ohne Auto gestaltet und ihre Erfahrungen reflektiert. - Die ökumenische Initiative „Aufbruch – anders besser leben – Zukunftsfähig mit Körper, Geist und Seele“, hervorgegangen aus der Umweltbewegung der ehemaligen DDR, verpflichtet sich freiwillig auf einen nachhaltigen Lebensstil gemäß dem Leitgedanken „Weniger ist mehr“ (bisher gut 1.000 Mitwirkende). Bedeutung gewinnen diese hier beispielhaft genannten Initiativen dadurch, dass sie in das tägliche Bemühen vieler Christinen und Christen eingebettet sind, an ihrem jeweiligen Ort in Familie, Beruf, Kirche und Gesellschaft ökologisch verantwortlich zu handeln. Bisher sind es vielfach jedoch Einzelinitiativen. Sie bedürfen daher stärkerer Unterstützung, Bündelung und Verbreitung. Die strategische Aufgabe des kirchlichen Beitrags zum Klimaschutz besteht wesentlich darin, die Einzelbeispiele des verantwortlichen Handelns als Vorbild und Ansporn für eine konsequente und langfristige Verankerung des Klimaschutzes im kirchlichen Handeln aufzugreifen und vor diesem Hintergrund in Politik und Wirtschaft auf entsprechende Veränderungen zu drängen. Im Anspruch der Nachhaltigkeit durchdringt der Klimaschutz alle Handlungsbereiche. Für die Kirche bedeutet dies, dass Schöpfungsverantwortung nicht länger ein Randphänomen bleiben darf. Sie muss als wesentliche Dimension des kirchlichen Lebens auch in der Pastoral, Verwaltung und politischen Mitverantwortung zur Entfaltung kommen.30 Glaubwürdige Praxis ist eine der zentralen Kommunikationsbedingungen für sozialethisches Sprechen der Kirche in pluraler Gesellschaft. 29 30 Auf europäischer Ebene wird es im Rahmen eines von dem EU-Programm „Life“ geförderten Projektes „Sustainable Churches“ fortgesetzt. Nähre Informationen unter www.kate-stuttgart.de. Diesem Ziel dienen u.a. die Konsultationen der Umweltbeauftragten der Europäischen Bischofskonferenzen der Katholischen Kirche, die seit 1999 jährlich stattfinden; vgl. www.ccee.ch/umwelt. Vogt – Klima 15 ______________________ 6 Ausblick: Globale Solidarität als Preis der Moderne Der Klimawandel veranschaulicht exemplarisch, dass die tiefen sozialen und ökologischen Ambivalenzen der gesellschaftlichen Fortschrittsprozesse einen ständig steigenden Bedarf an Solidarität mit sich bringen.31 Präventive Verantwortung ist der Preis, den die die moderne Zivilisation für die erweiterten Spielräume der Freiheit im Projekt der Moderne zahlen muss, wenn dieses im Sinne der Humanität gelingen und nicht in sein Gegenteil umschlagen soll. Je länger wir zögern, diesen Preis zu zahlen, desto höher wird die ökologische, soziale und ökonomische Rechnung sein, die der Klimawandel stellt. Punktuell scheint die politische Organisation globaler Solidarität immer wieder zu gelingen, so z.B. angesichts der Attentate vom 11. September 2001 in New York oder beim Tsunami in Südostasien an Weihnachten 2004. Die Bedeutung dieser Art von globaler Solidarität ist keineswegs gering zu achten. Sie genügt indes nicht, um dauerhaft Frieden zu schaffen und dem strukturellen und intergenerationellen Anspruch der Solidarität gerecht zu werden.32 Doch die Basis einer Politik, die globale Armutsbekämpfung und ökologische Verantwortung integriert, scheint recht schmal. In dem Milleniumsprogramm der UNO „Halbierung der Armut bis 2015“ spielen ökologische Aspekte bisher eine untergeordnete Rolle.33 Die Weichen im Globalisierungsprozess sind weiterhin auf einen Ausverkauf der Ressourcen gestellt. Klimaschutz passt nur mühsam in das dominante Handlungsmuster eines kurzfristigen und auf das eigene Funktionssystem (Betrieb, Partei, Nation etc.) begrenzten Erfolgsstrebens. In der Energiepolitik zeichnet sich jedoch ein grundlegender Strukturwandel ab, der zu einer Art Klimapolitik von unten führen könnte. Für zahllose Menschen wird der Wandel zu spät kommen. Dennoch gibt es keine ethisch vernünftige Alternative zu einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, die auf Eigenverantwortung vertraut und zugleich durch entsprechende Rahmenordnungen die Differenz zwischen individuellen und kollektiven Vorteilen möglichst gering hält. In dem schwierigen Übergang zu einer solchen Ordnung können die Kirchen befreiende Ressourcen der Solidarität bereitstellen. 31 32 33 Höffe, Otfried: Moral als Preis der Moderne. Ein Versuch über Wissenschaft, Technik und Umwelt, Frankfurt a. M. 1993, bes. 49-72. Vogt, Markus, Natürliche Ressourcen und intergenerationelle Gerechtigkeit, in: Heimbach-Steins, Marianne (Hrsg.), Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch. Bd. II: Konkretionen, Regensburg 2005, 137-162. Vgl. www.unmillenniumproject.org; GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung), Millenniumsziele auf dem Prüfstand. Vierter GKKEBericht zur Halbierung der extremen Armut, Nr. 37, Bonn 2005.