Christof Schelthoff Das Schubfachprinzip In einer Klasse mit 25 Kindern haben unter Garantie drei im gleichen Monat Geburtstag. Dies ist bereits für Grundschüler fast so einfach einzusehen wie die Tatsache, dass von drei Zahlen mindestens zwei gerade oder zwei ungerade sein müssen. Dahinter steckt ein altes und dennoch sehr wirksames Beweisprinzip: Das Schubladenprinzip, welches auch als Schubfachprinzip oder Taubenschlagprinzip bezeichnet wird (Englisch: Pigeonhole Principle). Mit diesem Prinzip lassen sich vielfältige Aufgabenbeispiele lösen, die mit ihrem Anforderungsprofil die gesamte Bandbreite von der Grundschule bis zur Oberstufe erfassen. Diese Aufgaben bieten gleichzeitig zahlreiche Möglichkeiten, zunächst durch praktisches Ausprobieren eine Lösung zu suchen. 1. Einleitung In diesem Beitrag geht es um die Erläuterung und Anwendung des Schubladenprinzips ! einem einfachen und dennoch verblüffenden Existenzprinzip aus der diskreten Mathematik. Betrachten wir zunächst einmal die folgenden Aussagen: 1. 2. 3. Wählen wir drei Felder eines Schachbrettes aus, so haben wir mindestens zwei, die die gleiche Farbe haben. Von 11 Zahlen (wir reden im kompletten Beitrag dabei stets von natürlichen Zahlen) enden mindestens zwei auf die gleiche Ziffer. Bei 37 Leuten haben mindestens 4 im gleichen Monat Geburtstag. Die Richtigkeit dieser Aussagen ist zunächst leicht einzusehen. Was steckt jedoch für eine Argumentation hinter den Aussagen? Zum Einen haben wir hier eine endliche Grundmenge von Objekten (drei Schachbrettfelder, 11 Zahlen, 37 Personen), denen wir eine endliche Anzahl von Eigenschaften zuweisen (2 Farben, 10 Ziffern, 12 Monate). Mathematisch sprechen wir wie gewohnt von einer Funktion. Im Gegensatz zu reellen Funktionen sind hier Definitions- und Wertemenge endlich. Existieren mehr Objekte als Eigenschaften und wird jedem Objekt eine Eigenschaft zugewiesen, so muss eine Eigenschaft mindestens von zwei Objekten (Urbildern) angenommen werden. Hier wird auch eine Schwachstelle dieses Prinzips deutlich: Wir wissen weder welche dieser Eigenschaften mehrfach angenommen wird, noch wie oft diese genau angenommen wird. Im Beispiel 1 wissen wir nicht, ob es mindestens zwei weiße Schachbrettfelder gibt, da es auch zwei oder gar drei schwarze Felder sein können. Eine Weiterentwicklung dieses Prinzips wird in Aussage 3 beschrieben: Betrachten wir zunächst nur 36 Leute. Da 36 = 12 ⋅ 3 ist, können bei dieser Gruppe in jedem Monat genau drei Leute Geburtstag haben. Offensichtlich gilt auch: Haben in einem Monat weniger als drei Leute Geburtstag, so müssen in einem anderen Monat mehr als drei Leute Geburtstag haben. Es existieren also n = 12 Eigenschaften. Wenn wir dann mehr als dreimal so viele Elemente als Eigenschaften haben, so muss eine Eigenschaft viermal angenommen werden. Bevor man sich die Lösungsmethode durchliest, ist es ratsam, sich selbständig einmal an die Aufgaben zu trauen. Die Lösung wird dann bei vermehrter Anwendung des Prinzips hoffentlich immer öfter von einem sehr positiven „Aha-Effekt“ begleitet. Hierzu ein paar Aufgaben, die im folgenden Text gelöst werden: Aufgabe 1: Zeigen Sie: Wählen wir aus der Menge der Zahlen von eins bis hundert 51 verschiedene Zahlen aus, so existieren in dieser Menge stets zwei, deren Summe 101 ist. Mathematikinformation Nr. 55 43 Aufgabe 2: Wir betrachten die Zahlen von 1 bis 2n. Wählen Sie aus diesen Zahlen n + 1 (eine mehr als die Hälfte der Zahlen) so aus, dass in dieser Menge keine Zahl eine andere der Menge teilt. Geht das? Versuchen Sie dies zunächst für n = 11. Aufgabe 3: In ein Quadrat der Seitenlänge 2 cm sollen Punkte mit einem Abstand d > 2 cm eingezeichnet werden. Wie viele Punkte können maximal eingezeichnet werden? Aufgabe 4: Auf einer Feier mit 8 Wissenschaftlern werden paarweise Visitenkarten ausgetauscht (oder auch Hände geschüttelt). Ist es möglich, dass am Ende alle 8 Personen eine verschiedene Anzahl von Visitenkarten haben? Aufgabe 5: Zeigen Sie: Bei einer Gruppe von 6 Wissenschaftlern, die paarweise Visitenkarten tauschen, gibt es immer entweder eine Untergruppe von dreien, bei der jeder mit jedem getauscht hat, oder eine Untergruppe, wo keiner mit keinem getauscht hat. Aufgabe 6: Wenn an einem runden Tisch mit 6 Stühlen 3 Damen und 3 Herren Platz nehmen, so gibt es stets eine Person, die neben zwei Damen sitzt. Aufgabe 7: Finden Sie auf einem 8×8-Schachbrett für die Figuren a) Läufer und b) König die maximale Anzahl n, für die man diese n Figuren so platzieren kann, dass sie sich nicht gegenseitig bedrohen. Aufgabe 8: Wir betrachten die ersten 3 Zeilen eines Schachbrettes. Die einzelnen Felder werden durch Koordinaten wie C3 ausgezeichnet. Durch die Angabe von zwei in beiden Komponenten verschiedenen Koordinaten wird auf dem Schachbrett ein Rechteck mindestens der Größe 2 × 2 definiert (z. B. C1-E3). Nun sei uns erlaubt, die Farben aller Felder beliebig zu ändern. Schwarz und weiß brauchen dabei auch nicht gleich oft gewählt zu werden. Gibt es eine Einfärbung für die ersten drei Zeilen eines Schachbrettes, in dem gar kein Rechteck die gleiche Farbe an seinen vier Ecken hat? Betrachten wir nun das gleiche Problem, indem wir nur die Felder von A bis F betrachten (wir also ein 3×6-Spielfeld haben). Können wir dieses so einfärben, dass kein Rechteck mit vier gleichen Eckenfarben wählbar ist? An diesen acht Aufgaben wird schon deutlich, wie vielfältig das Schubfachprinzip eingesetzt werden kann. 2. Geschichtliches Geschichtlich wurde dieses Prinzip von DIRICHLET (1805-1859) vermutlich erstmals benannt. Er betrachtete die möglichen Eigenschaften als Schubfächer. In diese Schubfächer wurden Dinge gelegt ! eben die Elemente der Grundmenge. Verteilt man nun mehr Elemente als Schubfächer vorhanden sind, so ergibt sich wiederum, dass in einer Schublade mindestens zwei Elemente vorhanden sein müssen. Betrachten wir noch einmal: „Wählen wir drei Felder eines Schachbrettes aus, so haben wir mindestens zwei, die die gleiche Farbe haben.“ Nun stellen wir uns zwei Schubfächer vor. Wir schreiben auf das rechte Schubfach "weiß" und auf das linke Schubfach "schwarz". Nehmen wir nun die drei Schachbrettfelder her, so können wir jedes entweder in das linke oder das rechte Schubfach legen. Spätestens beim dritten Schachbrettfeld sind beide Schubfächer belegt und wir müssen dieses Schachbrettfeld zu einem anderen Schachbrettfeld in ein Schubfach legen. Während DIRICHLET und DEDEKIND diese Argumentation vorrangig in der Zahlentheorie verwendeten − z. B. bei der Modulo-Rechnung, wo die Divisionsreste die Rolle der Eigenschaften einnehmen − ist das Prinzip jedoch ein völlig allgemeingültiges und keinesfalls auf Zahlen als Objekte beschränkt. Heute ist dieses Prinzip auch als Taubenschlagprinzip oder Pigeonhole Principle bekannt. Die Argumentation ist hierbei die gleiche: Wenn wir mehr als n Tauben auf n Taubenschläge verteilen, so sind in einem Schlag mindestens zwei Tauben. Wir wissen nur nicht, welcher Schlag dieses ist und wie viele Tauben dort vorhanden sind. Dass es diesen zweiten Namen des Prinzips gibt, der ebenfalls auf DIRICHLET zurückgeht, ist dabei wohl eher ein kleiner Übersetzungsfehler. DIRICHLET war meiner Kenntnis nach nie Taubenbesitzer, sondern die meiste Zeit an seinem Schreibtisch zugange. Die Schreibtische des 19. Jahrhunderts waren dabei jedoch mit einem Aufsatz versehen, in dem viele (Schub-)Fächer für das Ablegen von Materialien, Schriftrollen, Briefen etc. vorhanden waren. Diese Mathematikinformation Nr. 55 44 Schreibtischaufsätze erinnerten an Taubenschläge und daher heißen diese im Englischen auch pigeon-holes. 3. Mathematische Formulierung Halten wir zunächst einmal das Beweisprinzip fest: Satz 1: Ordnet man n + 1 oder mehr Elementen n Eigenschaften zu, so gibt es eine Eigenschaft, die von mindestens zwei Elementen angenommen wird. Verteilt man mehr als k ⋅ n − also k ⋅ n + 1 oder mehr − Elemente, so existiert eine Eigenschaft mit mehr als k Elementen. Wenden wir diese Regel nun einmal formal auf Aussage 3 an: Bei 37 Leuten haben mindestens 4 im gleichen Monat Geburtstag. Es existieren n = 12 Eigenschaften (Monate). Verteilen wir mehr als n ⋅ k = 36 − also k = 3 − Elemente, so existiert eine Kategorie mit mehr als k = 3, also mindestens 4 Elementen. Neben dieser umgangssprachlichen Definition lässt sich, um den Exaktheitswunsch der Mathematiker zu erfüllen, dieses Prinzip auch formal beschreiben. Die Zuordnung beschreiben wir als Funktion f. Die Definitionsmenge D umfasst die Elemente, die Wertemenge W umfasst die Eigenschaften. Die Aussage ist nun, dass bei mehr als n Elementen in der Definitionsmenge und n Elementen in der Wertemenge ein Funktionswert y mindestens zwei Elemente in der Menge der Urbilder f −1 ( y) hat. Somit ist die Funktion nicht mehr injektiv: Satz 2: Sei f : D → W eine Funktion mit endlicher Definitions- und Wertemenge ( D < ∞ , W < ∞ ). D >W, Falls gilt so gibt es ein y ∈W , für das gilt: f −1 ( y) ≥ 2 Satz 2 ist zwar mathematisch, aber die Einfachheit des Schubfachprinzips wird dadurch fast unkenntlich gemacht (mag dieses vielleicht ein Ziel der Mathematiker sein?). Satz 3: Sei f : D → W eine Funktion mit endlicher Definitions- und Wertemenge ( D < ∞ , W < ∞ ). Falls für ein k ∈ gilt so gibt es y ∈W , für das gilt: D >k ⋅ W , f −1 ( y) ≥ k Auf diese rein mathematische Formulierung werden wir aber im Folgenden verzichten und Varianten des Prinzips eher umgangssprachlich formulieren. 4. Weitere Anwendungen 4.1. Beispiele 1. Bei einem Memoryspiel haben wir 32 Paare. Wie viele Karten müssen wir herausnehmen, um sicher ein Paar zu haben? Die Schubfächer sind Motiv-1, Motiv-2, ..., bis Motiv-32. Wählen wir aus der Grundmenge 33 Karten aus, so ist in einem der Schubfächer ein Paar vorhanden. 2. Wählen wir aus der Menge der Zahlen von eins bis 100 nun 51 verschiedene Zahlen aus, so existieren in dieser Menge stets zwei, deren Summe 101 ist. Die Schubfächer sind hierbei die Zahlenpaare, die zusammen 101 ergeben: Mathematikinformation Nr. 55 45 S1 = {1 , 100 }, S 2 = { 2 , 99 },..., S 50 = { 50 , 51}. Wir können nun die Zahlen verteilen und spätestens beim 51sten Element wird ein Schubfach doppelt belegt. Da die ausgewählten Zahlen verschieden sein müssen, sind es eben die beiden Zahlen in dieser Menge, die zusammen 101 ergeben. 3. Wir wählen eine Menge von sieben beliebigen verschiedenen Zahlen. Aus dieser Menge können wir Teilmengen mit drei Zahlen bilden. Mindestens eine dieser Teilmengen besitzt die folgende Eigenschaft: Jede Differenz zweier Zahlen dieser Teilmenge ist ohne Rest durch drei teilbar. Beispiel: Die sieben Zahlen seien G = { 3 , 5 , 6 , 8 ,10 ,11 ,13 }, so ist dies die Teilmenge { 5 , 8 , 11}. Die Schubfächer sind hier die Divisionsreste bei der Division durch 3. Dort gibt es die drei Fächer: 0, 1 und 2. Verteilen wir nun 7 Elemente, so muss gemäß verallgemeinertem Schubfachprinzip eine Schublade mit mindestens 3 Elementen existieren. Haben aber drei Elemente den gleichen Divisionsrest, so muss paarweise deren Differenz durch drei teilbar sein. Wie im folgenden Beispiel lassen sich Anwendungsaufgaben leicht analog beschreiben. 4. Wählen Sie aus den Zahlen von 1 bis 2n eine mehr als die Hälfte − also n + 1 − Zahlen aus, so dass keine die andere teilt. Wir betrachten die Zahlen von 1 bis 2n und wählen n + 1 Zahlen a(1), a(2), ..., a(n + 1) hieraus aus. Jetzt zerlegen wir die Zahlen in ihre geraden und ungeraden Anteile: a(i ) = 2 ki ⋅ u (i) mit u(i) ungerade und zwischen 1 und 2n z. B.: 36 = 2 2 ⋅ 9, also u(i) = 9 7 = 2 0 ⋅ 7, also u(i) = 7 oder oder 8 = 23 ⋅ 1, also u(i) = 1 Damit erhalten wir aus unseren Elementen n + 1 ungerade Anteile. Nach der Eigenschaft „ungerader Anteil“ verteilen wir nun unsere n + 1 Zahlen. Diese ausgewählten Zahlen liegen zwischen 1 und 2n. Zwischen 1 und 2n gibt es genau n ungerade Zahlen. Die ungeraden Anteile, die wir soeben berechnet haben, können keine anderen als diese n ungeraden Zahlen sein. Verteilen wir nun n + 1 Zahlen, so gibt es zwei mit dem gleichen ungeraden Anteil u . Seien diese Zahlen a(i) und a( j ) mit (ohne Einschränkung) a (i ) < a ( j ) und damit ki < k j also k 2ki ⋅ u und 2 j ⋅ u ; a(i) teilt dann a( j ), da k a( j ) = 2 j ⋅ u = 2 5. k j − k i + ki ⋅u = 2 k j − ki ⋅ 2 ki ⋅ u = 2 k j − ki ⋅ a (i ). In ein Quadrat der Seitenlänge 2 cm sollen Punkte mit einem Abstand d > 2 cm eingezeichnet werden. Wie viele Punkte können maximal eingezeichnet werden? Unterteilen wir das Quadrat in 4 Quadrate der Seitenlänge 1 cm: Innerhalb jedem dieser Teilquadrate ist der Abstand zweier Punkte kleiner als 2 cm. Wir können aus jedem Teilquadrat einen Punkt so auswählen, dass die Abstände zwischen den vier gewählten Punkten die geforderte Bedingung erfüllt. Bei 5 Punkten liegen in mindestens einem Teilquadrat inklusive Rand mindestens 2 Punkte und damit ist deren Abstand kleiner als 2 cm. Es können also maximal 4 Punkte gewählt werden. Mathematikinformation Nr. 55 46 4.2. Cliquen Eine Gruppe von Personen kann so dargestellt werden, dass wir für jede Person einen Punkt zeichnen. Sind zwei Personen dieser Gruppe miteinander verbunden, so markieren wir das, indem wir die beiden entsprechenden Punkte mit einer Linie verbinden. Diese Verbundenheit kann eine Freundschaft, eine Verwandtschaft oder anderes mehr bedeuten. Eine n-Clique ist eine Gruppe von n Personen, bei der alle Mitglieder miteinander verbunden sind. Beim Visitenkartentausch entstehen zum Beispiel 2er Cliquen. Sind zwei oder mehr Elemente paarweise nicht verbunden, so spricht man von Anti-Cliquen, z. B. 4er Anti-Cliquen. Es interessieren nun Untercliquen. Dies sind Teilmengen von Punkten mit den Verbindungen zwischen den Punkten dieser Teilmenge. So enthält folgende Konstellation z. B. eine 3er Anti-Clique in (1,2,6) und eine 3er Clique in (2,3,5). 1 6 2 5 Existieren bei 6 Elementen denn immer 3er Cliquen oder 3er Anti-Cliquen? Hierzu bemühen wir wieder das Schubfachprinzip. 4 3 Wir betrachten ein festes Element (z. B. Punkt 6). Dann existieren 5 verbleibende Punkte. Diese werden aufgeteilt in die beiden Kategorien „Ist mit Punkt 6 verbunden“ und „Ist mit Punkt 6 nicht verbunden“. Gemäß Schubfachprinzip existiert dann eine Kategorie mit mindestens 3 Elementen. Fall 1: „Ist mit 6 verbunden“ enthält mindestens 3 Elemente − nennen wir sie I, II und III: Nun gibt es zwei Fälle: I II III A) Zwei der Punkte I, II, III sind miteinander verbunden; z. B. I und II. Dann bilden (6, I, II) eine 3er Clique. B) I, II und III sind alle paarweise nicht verbunden. Dann bilden (I, II, III) eine 3er Anti-Clique. Fall 2: „Ist mit 6 nicht verbunden“ enthält mindestens 3 Elemente - nennen wir Sie ebenfalls I, II und III: Auch hier gibt es zwei Fälle: II I A) Zwei der Punkte I, II, III sind miteinander nicht verbunden; z. B. I und II. Dann bilden (6, I, II) eine 3er Anti-Clique III B) I, II und III sind alle paarweise verbunden. 6 Dann bilden (I, II, III) eine 3er Clique. In jedem der Fälle erhalten wir: Es existiert bei 6 Elementen immer eine 3er Clique oder eine 3er Anti-Clique. 4.3. Monochromatische Rechtecke Welche Eigenschaften die Objekte erhalten, kann auch gut mit Farben beschrieben werden. So könnte man bei den natürlichen Zahlen die geraden mit schwarz und die ungeraden mit weiß einfärben. Haben wir nur diese beiden Farben, so nennen wir die Eigenschaft monochromatisch. Haben wir mehrere Eigenschaften, so muss für jede der möglichen Eigenschaften eine eigene Farbe gewählt werden. Mathematikinformation Nr. 55 47 Betrachten wir nun als Elemente die Felder eines Schachbrettes und beschränken uns auf einen rechteckigen Ausschnitt. Wir betrachten zunächst beliebige Färbungen mit zwei Farben − der Einfachheit halber schwarz und weiß − eines m × n -Schachbrettes wie in der nebenstehenden Zeichnung. 1 2 3 4 A B C D Definition 4: Ein Rechteck (mindestens 2 × 2), bei dem alle 4 Ecken die gleiche Farbe haben, heißt monochromatisches (einfarbiges) Rechteck. Ein Rechteck aus mehreren Kleinrechtecken kann durch Angabe der Koordinaten von den Kleinrechtecken an gegenüberliegenden Ecken festgelegt werden, z. B. A1-C4, A1-D4, A1-D5, A4-D5, C1-D3, C1-D4, C3-D4, A2-B3. Frage: Existieren immer monochromatische Rechtecke? Betrachten Sie das nebenstehende 3×6-Brett. Dort existiert offensichtlich kein solches Rechteck. Was ist, wenn wir die Dimension auf 3 × 7 erhöhen? Gibt es eine Färbung ohne monochromatische Rechtecke? Durch Ausprobieren scheinen wir keine Lösung zu finden. Satz 5: In einem 3 × 9 -Schachbrett existiert immer ein monochromatisches Rechteck, damit auch in jedem m × n -Schachbrett mit m ≥ 3 und n ≥ 9. Beweis: Die Spalten dieses 3×9-Brettes können die nebenstehenden 8 Färbungen annehmen. Verteilen wir die 9 Spalten des 3 × 9-Brettes auf die 8 verschiedenen Spaltenmöglichkeiten, so muss gemäß dem Schubfachprinzip ein Spaltentyp doppelt vorkommen. Wenn aber einer doppelt vorkommt, so existiert immer ein monochromatisches Rechteck, denn innerhalb eines Spaltentyps kommt immer eine Farbe doppelt vor (ebenfalls gemäß dem Schubfachprinzip). Diese doppelte Farbe bildet mit der zweiten gleichen Spalte die Ecken des monochromatischen Rechtecks (siehe die nebenstehende Abbildung). 1 2 3 4 5 6 7 8 Wir betrachten nun wieder unser 3×7-Brett. Würde die rein schwarze Spalte (8) vorkommen, so müssten alle anderen Spalten weniger als 2 schwarze Elemente haben, d. h. vom Typ 1, 2, 3 oder 5 sein. Dann hätten wir aber nur 5 verschiedene Spaltentypen und damit käme eine doppelt vor (Schubfachprinzip) und es existierte ein monochromatisches Rechteck. Die gleiche Argumentation gilt, falls die rein weiße Spalte vorkommen würde. Schlussfolgerung: Bei einem 3×7-Brett ohne monochromatisches Rechteck können die rein schwarze und die rein weiße Spalte nicht vorkommen. Alle Spalten sind somit vom Typ 2 bis 7 (6 verschiedene). Da wir jedoch 7 Spalten haben, muss hiervon eine Spalte doppelt vorkommen und es existiert ein monochromatisches Rechteck. Also: Bei einem 3×7-Schachbrett existiert immer ein monochromatisches Rechteck. Mathematikinformation Nr. 55 48 4.4 Varianten des Schubfachprinzips Satz 6: Verteilen wir genau n Elemente auf n Schubfächer und bleibt ein Schubfach stets leer, so existiert ein Schubfach, in dem mindestens zwei Elemente vorkommen. Dieses Prinzip ist auch leicht einsichtig, da wir ja nun n Elemente nur auf n − 1 Schubladen verteilen können. Die leere darf ja nicht verwendet werden. Hierzu ein Beispiel, das leicht auch in einer Gruppe ausprobiert werden kann: Auf einer Feier mit 8 Wissenschaftlern werden paarweise Visitenkarten ausgetauscht. Geht es, dass am Ende alle 8 Personen eine verschiedene Anzahl von Visitenkarten haben? Das Problem wird wie folgt visualisiert: Jeder Person wird eine Ecke (Kreis) zugeordnet. Tauscht die Person mit einer anderen die Visitenkarten, so verbinden wir die Elemente mit einer Linie. Schließlich wird für jede Person gezählt, wie viele Linien von ihr abgehen. Mathematisch heißt dieses, dass wir den Grad einer Ecke bestimmen. B 0 5 A 4 3 C D E H 2 1 2 G 3 F Bezeichnen wir mit den Schubfächern die Anzahl der Karten, so ist es bei 8 Leuten möglich, dass zwischen 0 und 7 Karten getauscht werden. Jede Person gehört nun zu einem Schubfach (macht einen Strich in einer Kategorie), so dass 8 Striche auf 8 Schubfächer verteilt werden müssen: Kartenanzahl Verteilung 0 1 2 3 4 5 6 7 | | | | | | | | Theoretisch wäre es also möglich, dass jedes Schubfach genau ein Element erhält. Dies geht jedoch nicht, da, wenn einer mit allen tauscht (ein Strich bei 7 Karten), die Rubrik 0 Karten leer sein muss, da jeder mit demjenigen in der Kategorie 7 Karten getauscht hat. Gibt es umgekehrt einen Strich bei 0 Karten, so kann keiner in der Rubrik 7 Karten sein. Es bleibt also stets ein Schubfach leer und gemäß dem Schubfachprinzip muss damit eine Kategorie mindestens 2 Striche enthalten. Daher kann es nicht aufgehen, dass alle 8 Personen eine verschiedene Anzahl von Visitenkarten haben. Natürlich lässt sich die Argumentation bei einer beliebigen Anzahl Personen anwenden. Also auch bei einer Abiturfeier mit 113 Personen werden nachher nicht alle eine unterschiedliche Anzahl von Visitenkarten haben. Weitere Aufgaben zeigen die Vielfältigkeit dieses Prinzips: 1 Aufgabe 9: Beweisen Sie mit dem Schubfachprinzip: Wenn an einem runden Tisch mit 6 Stühlen 3 Damen und 3 Herren Platz nehmen, so gibt es stets eine Person, die neben zwei Damen sitzt. 6 2 5 3 4 Wir betrachten die geraden und die ungeraden Plätze und tragen entweder m (männlich) oder w (weiblich) ein (siehe die nebenstehende Abbildung). Dann müssen entweder bei den geraden oder den ungeraden Plätzen gemäß dem Schubfachprinzip mindestens 2 w sein, z. B.: 1: 2: m w 3: 4: w w 5: 6: m m Im ersten Fall sind bereits zwei w nebeneinander. Dann sitzt eine Person (nicht zwingend ein Herr) zwischen diesen beiden Damen und die Aussage ist gezeigt. Im zweiten Fall ist die Reihe mit den zwei Damen m-w-m. Damit sitzen aber auch die erste und letzte Dame wegen des Kreises zwei Plätze auseinander und die Person zwischen diesen beiden sitzt zwischen zwei Damen. Mathematikinformation Nr. 55 49 Bei 8 Personen (4 männliche und 4 weibliche) gibt es im Übrigen eine solche Konstellation, bei der keiner zwischen zwei Damen sitzt: (w,w,m,m,w,w,m,m). Schachprobleme sind anhand ihrer Aufgabenstellung leicht erklärbar und vor allem leicht auszuprobieren, da die Spielregeln häufig geläufig sind. D15 Aufgabe 10: Finden Sie auf einem 8×8-Schachbrett D14 für die Figuren a) Läufer und b) König die maximaD13 le Anzahl n, für die man diese n Figuren so platzieD12 ren kann, dass sie sich nicht gegenseitig bedrohen. D11 D10 Lösung zu a): Wir teilen das Schachbrett in Diagonalen auf und zwar von links unten nach rechts D 9 oben. Es entstehen 15 Diagonalen. Wird ein Läufer positioniert, erhält er als Eigenschaft seine Diagonalennummer. Stehen zwei Läufer auf einer Diagonalen, so bedrohen sie sich. Es ist zunächst klar, dass maximal 15 Läufer positioniert werden können. Steht jedoch ein Läufer auf Diagonale 1, so bedroht er den Läufer auf Diagonale 15 und umgekehrt. Eine dieser beiden Diagonalen muss also frei bleiben (analog zum Visitenkartenproblem oben) und es können maximal 14 Läufer aufgestellt werden. Da es eine Lösung mit 14 Läufern gibt (siehe Abb.), ist die Maximalzahl gefunden. Antwort: Es geht mit 14 Läufern und 16 Königen. Lösung zu b): Wir zerlegen das Brett in sechzehn 2 × 2-Bereiche. Dann gibt es eine Lösung (jeweils in der gleichen Ecke einen König). Würde eine Lösung mit 17 oder mehr Königen existieren, so stünden in einem Quadrat 2 Könige (Schubfachprinzip) und diese würden sich bedrohen. Wie viele Könige brauchen Sie mindestens, um alle Felder des Schachbrettes abzudecken? Da ein König maximal 9 Felder bedrohen kann, zerlegen wir zunächst rechts oben beginnend das Schachbrett in 3×3-Unterfelder. Es verbleiben schließlich 2×3-, bzw. 2×2-Restteile und wir erhalten insgesamt 9 Teile des Schachbrettes. Wir sehen, dass bei geschickter Positionierung der Könige nun alle Felder abgedeckt werden. D1 D2 D3 D4 D5 D6 D7 D8 L L L L L L L L L L L L L L K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K Schließlich ist noch zu argumentieren, warum es mit 8 Königen nicht funktionieren kann: Würde eine Lösung mit 8 Königen existieren, bliebe eines der Unterfelder leer. Da aber in jedem Unterfeld je ein Feld existiert, welches von keinem Nachbarfeld aus erreicht werden kann, kann eine solche Lösung mit 8 Königen nicht existieren. Verteilen wir unendlich viele Elemente auf endlich viele Schubladen, so ergibt sich, dass eine Schublade mit un- Mathematikinformation Nr. 55 50 endlich vielen Elementen existieren muss. Aufgabe 11: Wir betrachten die Reihen {1, 5, 9, 13, 17, 21, ...} und {3, 7, 11, 15, 19, 23, …}. Gibt es dort unendlich viele Primzahlen? Die einen Zahlen sind die ungeraden Zahlen, die bei der Division durch 4 den Rest 1 lassen, die anderen, die den Rest 3 lassen. Damit fällt jede ungerade Zahl in eine der beiden Schubladen. Da es unendlich viele Primzahlen gibt, muss eines der Schubfächer unendlich viele Elemente enthalten. Auch diese Variante des Schubfachprinzips wird häufig verwendet. Auf weitere Beispiele wird hier verzichtet. Literatur: Beutelspacher, A., Zschiegner, M. A.: Diskrete Mathematik für Einsteiger. Mit Anwendungen in Technik und Informatik,Vieweg Verlag Wiesbaden 2007 Steger, A.: Diskrete Strukturen 1. Kombinatorik, Graphentheorie, Algebra, Springer Verlag Berlin 2007 Prof. Dr. Christof Schelthoff FH Aachen FB 9 – Medizintechnik und Technomathematik Heinrich-Mußmannstraße 1 52428 Jülich [email protected] www.schelthoff.de Eingereicht am 9. 4. 2011, angenommen am 27. 4. 2011 Mathematikinformation Nr. 55