Zehn Punkte für eine nachhaltige kommunale Haushalts

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Zehn Punkte für eine nachhaltige
kommunale Haushalts- und Finanzpolitik
in Nordrhein-Westfalen
Gemeinsames Papier von
Bertelsmann Stiftung und Deutschem Gewerkschaftsbund NRW
anlässlich des NRW-Forums Kommunalfinanzen 2010
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Liebe Leserin, lieber Leser,
unsere Stadt, unser Dorf, unsere Gemeinde - das sind Orte, in denen wir wohnen und arbeiten und unser Leben organisieren. Hier bringen wir unsere Kinder in die Schule, wir treiben
Sport, engagieren uns ehrenamtlich, treffen Freunde, gehen einkaufen und feiern Feste. Hier
vor Ort wird erfahrbar, was politisch entschieden wird. Dabei ist die Kommune jedoch nicht
allein Ort der Umsetzung von Politik, sondern in den Kommunen selbst fallen wichtige politische Entscheidungen. Hier wird entschieden, wie die Wirtschaft gefördert, die Sicherung und
Schaffung von Arbeitsplätze unterstützt werden kann, wie viele Krippenplätze für die Kleinsten und Schulen mit Ganztagesbetreuung angeboten werden, wie ein faires Zusammenleben
der Bürgerinnen und Bürger miteinander organisiert und gewährleistet wird.
Damit Kommunen ihre vielfältigen Aufgaben – auch und gerade im Bereich der Daseinsvorsorge – bewältigen können, sind sie auf eine solide Finanzausstattung angewiesen. Diese
allerdings ist mittlerweile für viele Kommunen in Frage gestellt. Gegenwärtig erleben wir die
schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Krise bleibt
nicht ohne Auswirkungen auf die Kommunalfinanzen. Zuvor hatten sich bereits die Senkungen der Steuern auf Einkommen und Unternehmen für die Kommunen Einnahme mindernd
ausgewirkt. Weitere Steuersenkungen, die zu Lasten von Kommunen gehen sind für die dort
lebenden und arbeitenden Menschen nicht mehr tragbar.
Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat und die Kommunen zur Daseinsvorsorge. Erst
mit der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllt der Staat seinen grundgesetzlichen Auftrag für
die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Öffentliche Daseinsvorsorge garantiert
den gleichberechtigten Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zu öffentlichen Gütern. Sie leistet gleichzeitig einen bedeutenden Beitrag zu Wirtschaftskraft und Wohlstand. Öffentliche
Daseinsvorsorge ist Kernaufgabe der Kommunen. Es muss daher vordringlichstes Ziel sein,
die Kommunen (wieder) in die Lage zu versetzen, öffentliche Daseinsvorsorge in adäquatem
Umfang zu betreiben.
Wie können wir es schaffen, eine nachhaltige kommunale Haushalts- und Finanzpolitik zu
realisieren? Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist mittlerweile und völlig zu Recht bei Themen
wie beispielsweise dem Umweltschutz fest in den Köpfen der Menschen verankert – gleiches
gilt aber noch nicht zwangsläufig bei anderen Politikfeldern. Gerade die Haushaltspolitik ist in
den vergangnen Jahren nicht immer diesem Prinzip gefolgt. Die Schulden in Bund, Ländern
und Kommunen – und auf kommunaler Ebene insbesondere die Kassenkredite – sind rapide
gewachsen. Zinsaufwand und Tilgung werden in weiten Teilen von nachrückenden Genera-
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tionen zu tragen sein. Die Gründe für diese Fehlentwicklung sind vielfältig und liegen keinesfalls allein in kommunaler Verantwortung. Überhaupt ist die Suche nach „den Schuldigen“
nicht hilfreich. Viel wichtiger ist die Neujustierung der Weichen, damit in Zukunft nach der
Maxime der Nachhaltigkeit gehandelt werden kann und gehandelt wird.
Die Menschen erleben in den Städten, Gemeinden und Landkreisen des Landes die Auswirkungen politischer Entscheidungen durch kommunale Räte unmittelbar. Die Preisgestaltung
des ÖPNV, die Öffnung oder Schließung öffentlicher Gebäude und Einrichtungen, die Förderung von kulturellen Einrichtungen, Investitionen in Schulen oder die Bereitstellung von Gewerbeflächen sind hier nur einige Beispiele. Die Kommunen müssen diesen politischen Gestaltungsspielraum daher unbedingt behalten. Die Finanzkrise der Kommunen führt jedoch in
weiten Teilen zu einer Entmachtung der Kommunalpolitik und somit potenziell zu einer Krise
unseres demokratisch organisierten Gemeinwesens.
Kommunen sind ein entscheidender Motor für das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigungsentwicklung in der Region. In den letzten Jahren hat sich ein immenser Investitionsstau in den Kommunen angesammelt. Die Entschuldung notleidender Kommunen ist Voraussetzung dafür, dass vor Ort die dringend nötigen Investitionen wieder getätigt und damit
wichtige Impulse für Wachstum und Beschäftigung durch die Kommunen gesetzt werden
können.
Vor diesem Hintergrund haben der Deutsche Gewerkschaftsbund Nordrhein-Westfalen und
die Bertelsmann Stiftung beschlossen, gemeinsam auf die Suche nach Auswegen aus der
finanziellen Misere zahlreicher NRW-Kommunen zu gehen. Wir möchten auf diese Weise
dazu beitragen, die Kommunale Selbstverwaltung und mit ihr die Teilhabechancen der Menschen in unseren Kommunen dauerhaft zu sichern.
Dr. Kirsten Witte
Guntram Schneider
Bertelsmann Stiftung
DGB NRW
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ZEHN PUNKTE FÜR EINE NACHHALTIGE KOMMUNALE
HAUSHALTS- UND FINANZPOLITIK IN NORDRHEIN-WESTFALEN
1.
Es ist Zeit zum Handeln – schon seit langem!
Die Finanzlage der Kommunen ist seit Jahren extrem angespannt. Zwar haben die Jahre 2007 und 2008 deutschlandweit und auch in NRW zu einer
sichtbaren Erholung im Bereich der Kommunalfinanzen geführt. Aber selbst
nach Abschluss dieser “guten Jahre“ lag die Verschuldung der Kommunen1
bei mehr als 3.000 € pro Einwohner – in NRW gar bei rund 4.000 Euro je Einwohner.
Die Finanzkrise hat diese ohnehin schwierige Finanzlage nun zur Eskalation
gebracht. Die Ursachen der Verschuldung jedoch liegen tiefer. Es geht nicht
nur darum, die Folgen der Finanzkrise zu mildern. Es muss darum gehen, die
Handlungsfähigkeit der Kommunen langfristig zu sichern.
2.
Die Schere zwischen reichen und armen Kommunen öffnet sich weiter
Insgesamt lässt sich die Kommunalfinanzsituation in Nordrhein-Westfalen nur
schwer allein anhand von Durchschnittswerten beurteilen. Die Spannweite
zwischen reichen und armen Kommunen ist enorm. Wie groß die Disparitäten
innerhalb der kommunalen Familie des Landes im Einzelnen sind, dokumentiert der Kommunale Finanz- und Schuldenreport NRW der Bertelsmann Stiftung in aller Ausführlichkeit. Nachdenklich stimmt vor allem der Vergleich von
Kommunen mit und ohne Kassenkreditschulden. Erstere erzielen regelmäßig
höhere Defizite – unter anderem weil ihre Kredite und Kassenkredite Jahr für
Jahr die Haushalte belasten. Die Schulden werden über den Zinsaufwand zum
Motor ihrer eigenen Entwicklung und tragen zur Verfestigung der bestehenden
Probleme bei. Gerade angesichts der Unsicherheiten in Bezug auf die Zinsentwicklung stecken in diesen Schulden auch weitere enorme Risiken. Steigende Disparitäten gefährden die Gleichheit der Lebensverhältnisse.
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inkl. ausgelagerter Eigenbetriebe, öffentlicher Fonds, Einrichtungen und Unternehmen
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3.
Zunehmende Finanzprobleme führen zur Aushöhlung der kommunalen
Selbstverwaltung
Kommunen erbringen Pflichtaufgaben und freiwillige Aufgaben. Dabei ist uns
allen längst klar, dass gerade diese sogenannten freiwilligen Aufgaben den
Kern einer lebenswerten Kommune ausmachen: Kultur, Bildung, die Förderung von Bürgerengagement und Umweltschutz…
Kommunale Selbstverwaltung setzt daher eigene Gestaltungsspielräume voraus. Kommunen in der Haushaltssicherung haben geringere Spielräume. Und
sobald das Eigenkapital aufgezehrt ist, „gehören“ diese Kommunen den Banken und nicht mehr den Bürgern. Auf dieser Basis kann von kommunaler
Selbstverwaltung keine Rede mehr sein.
4.
Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand
Kommunale Selbstverwaltung bedeutet, dass die Bürger über Quantität und
Standards kommunaler Leistungserbringung mit demokratischen Instrumenten
entscheiden. Selbstverwaltung ist ein zentrales Element von Teilhabegerechtigkeit.
Man muss vor dem Hintergrund knapper Kassen über alle Politikfelder hinweg
über die Standards der Leistungserbringung – in den meisten Fällen sind sie
staatlich verordnet – diskutieren. Man darf die Situation jedoch nicht zum Anlass für den Ausverkauf kommunaler Zuständigkeiten oder dem „Verkauf
kommunalen Tafelsilbers“ nehmen.
Der in den vergangenen Jahren erlebbare Ausverkauf kommunalen Vermögens muss gestoppt werden, wobei – das gehört zur Wahrheit dazu – viele
kommunale Akteure angesichts der desolaten Finanzlage schlichtweg keine
andere Möglichkeit hatten, als ihre Haushalte auf Grundlage von Veräußerungen auszugleichen. Die Privatisierung öffentlichen Vermögens spült kurzfristig
Geld in die Kassen, langfristig löst sie das Problem einer schwierigen Finanzsituation jedoch nicht, sondern hilft bestenfalls, es zu kaschieren.
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5.
Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam Lösungen finden
Zur Wahrheit gehört auch, dass die Länder und insbesondere der Bund heute
noch weit höhere Schuldenberge aufgetürmt haben als die Kommunen. Einschließlich Auslagerungen war der Bund Ende 2008 mit rund 17.000 € und die
Länder mit über 6.000 € je Einwohner verschuldet . Die Entschuldung notleidender Kommunen ist notwendig. Aber nicht Verteilungskämpfe zwischen den
einzelnen Ebenen des föderalen Systems sind gefragt, sondern Lösungen, die
insgesamt zu einer nachhaltigen öffentlichen Finanzpolitik beitragen. Dazu
gehört auch, die Einnahmen für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben nach
dem Prinzip der Leistungsfähigkeit zu verbessern. Eine Übernahme kommunaler Schulden durch Land oder Bund sind aus Sicht der Bürgerinnen und
Bürger ein Nullsummenspiel und keine Lösung. Dennoch muss das Land dort
helfen, wo aus eigener Kraft eine Konsolidierung nicht mehr gelingen kann
und insbesondere Entlastung durch die Übernahme von erdrückenden Zinszahlungen schaffen.
6.
„Wer bestellt, bezahlt!“
Gestaltungsspielraum ist nur dann vorhanden, wenn die kommunalen Einnahmen nicht schon durch die Erfüllung der Pflichtaufgaben aufgezehrt werden. Gestaltungsspielräume sind somit nur dann vorhanden, wenn den Kommunen nicht nur Aufgaben, sondern auch die zu ihrer Erfüllung erforderlichen
Mittel
übertragen
werden.
„Wer
bestellt,
bezahlt!“,
so
will
es
das
Konnexitätsprinzip.
Notwendig ist daher eine fortlaufende Bestandsaufnahme zur Erforderlichkeit
der Aufgabenübertragung und zur Auskömmlichkeit der dafür zur Verfügung
gestellten Finanzausstattung. Stellt sich dabei heraus, dass hier ein Ungleichgewicht herrscht, ist das Land in der Pflicht. Eine Finanzierung des Solidarpaktes Ost über Kassenkredite der Kommunen macht sicherlich keinen Sinn.
7.
Kommunen müssen ihre Konsolidierungspotentiale nutzen
Natürlich müssen die Kommunen ihren Teil zur langfristigen Verbesserung der
kommunalen Haushaltssituation beitragen. Sie müssen ihre Gestaltungsspielräume nutzen und Effizienzreserven schöpfen.
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Auf der Ausgabenseite ist dabei Transparenz das oberste Gebot. Das Neue
Kommunale Finanzmanagement (NKF) bringt sehr viel mehr Transparenz mit
sich. Hier sind die Kommunen in NRW deutschlandweit Vorreiter.
Aber: Transparenz ist nur der erste Schritt. Verantwortlichkeit der Politik und
Kontrolle durch die Bürger sind mindestens ebenso wichtig.
Heute können Kommunen die Hebesätze für die Gewerbsteuer und für die
Grundsteuer autonom festlegen. Mehr kommunale Autonomie bei der Lohnund Einkommensteuer könnte die Fühlbarkeit kommunaler Entscheidungen
für die Bürgerinnen und Bürger weiter erhöhen und damit die Konnexität auch
in der Beziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und ihrer Kommune
stärken:
Kommunale Autonomie auf der Einnahmeseite könnten aber auch einen
Steuerwettbewerb der Kommunen auslösen, in dessen Folge sich die Schere
zwischen reichen und armen Kommunen weiter öffnen würde und der zu Lasten der finanziell schwachen Einwohner/innen ginge.
Die Einbeziehung von Freiberuflern in den Kreis der Gewerbesteuerpflichtigen kann zur Verbesserung der Einnahmesituation der Kommunen beitragen.
8.
Haushaltskonsolidierung gelingt nur unter Beteiligung der Bürger
Ob pflichtige oder freiwillige Aufgabe, prinzipiell werden alle kommunalen Leistungen für Bürgerinnen und Bürger erbracht. Oft werden sie auch gemeinsam
mit freien Trägern erbracht. Werden die öffentlichen Mittel abgezogen, dann
können diese freien Träger ihre Leistungen nicht mehr erbringen und ziehen
auch die von ihnen eingebrachten privaten Mittel zurück. Insofern ist es auch
folgerichtig, die Bürger und die Organisationen der Zivilgesellschaft bei der
Frage um Konsolidierungspotentiale einzubeziehen. Wird das unterlassen,
kann das schnell zu Verdruss führen und einen Keil zwischen Kommunalpolitik
und die Bevölkerung treiben. Notwendig ist eine ehrliche Kommunikation. Dazu gehört auch transparent zu machen, was unausgeglichene Haushalte langfristig für Politikfelder wie Bildung, Familie oder Verkehr bedeuten. Praktisch
kann Bürgerbeteiligung sehr effektiv durch das Instrument des Bürgerhaushaltes eingefordert werden.
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9.
Qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die wichtigste strategische Ressource der Kommune
Kommunale Selbstverwaltung kann nur so gut sein wie ihre Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter. Gerade in Zeiten des demographischen Wandels müssen
Kommunen eine langfristig vorausschauende Personalpolitik betreiben und als
Arbeitgeber attraktiv sein und bleiben. Dazu gehören eine kontinuierliche
Nachwuchsakquise und –förderung, die Übernahme qualifizierter, selbst ausgebildeter Fachkräfte sowie angemessene Bezahlung und adäquate Qualifizierungs- und Aufstiegsangebote. Werden diese Stellschrauben missachtet,
sägen Kommunen am Ast, auf dem sie sitzen. Dass Personal Geld kostet ist
unstrittig. Es ist aber auch richtig, dass ohne qualifiziertes und motiviertes
Personal kommunale Leistungen nicht dauerhaft in erforderlicher Quantität
und Qualität angeboten werden können.
10.
Handlungsfähig bleiben!
Die Finanzkrise stellt die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen.
Viele Kommunen drohen unter dem bestehenden Schuldenberg unterzugehen. Auch Bund und Länder weisen strukturelle Defizite auf. Steuerentlastungen gefährden die Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen.
Diese Herausforderungen müssen gemeinsam geschultert werden!
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