Hier und dort – Rückkehr in die Heimat

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Rundbrief 44
nicht in Pfade umgewandelt
Hier und dort –
Rückkehr in die Heimat
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Editorial
Fokus
Liebe Leserin, lieber Leser
Viele Opfer von Frauenhandel kehren in ihr Herkunftsland zurück. Aus den Augen, aus dem Sinn? Nein,
oft haben wir noch Kontakt zu Frauen nach ihrer Rückkehr, erfahren, wie es ihnen geht, und informieren sie
über den Stand des laufenden Strafverfahrens.
In die Rückkehr der Opfer von Frauenhandel wurde in den letzten Jahren auf Bundesebene gross­zügig
investiert: viel Geld, viel Arbeitskraft, viel Engagement. Konzepte wurden entwickelt, Projekte ­erarbeitet,
Menschen geschult, damit Opfer von Frauenhandel gut unterstützt in ihre Herkunftsländer zurückkehren
können. Wir wünschten uns, dass gleich viel Energie und Geld auch in den Opferschutz in der Schweiz investiert würde. Aber es ist das ausländerpolitische Credo, dass möglichst wenige Menschen aus NichtEU-Staaten in der Schweiz leben sollen. Deshalb wird wohl auch der Rückkehr von ­Opfern von Menschenhandel so viel Bedeutung beigemessen.
Was aber bedeutet die Rückkehr für die einzelnen Frauen? Wie verarbeiten sie das hier an ihnen ver­
übte Verbrechen und die traumatischen Erinnerungen? Was braucht es, damit eine Rückkehr würdig sein
kann und nicht in die nächste Misere führt? Welche Art von Unterstützung gibt es bereits, welche wäre nötig?
Wir hoffen, dass wir mit den Beiträgen in diesem Rundbrief ein paar Antworten geben können.
Susanne Seytter und Doro Winkler
Rundbrief 44 | Mai 2009
Rückkehr in die Heimat – und dann?
«Ich fühle mich gezeichnet»
Auf sich allein gestellt
Stolpersteine und Umwege bei der Rückkehr
Rückkehrprojekt des Bundes
Ein steiniger Weg
Die Fotos in diesem Rund­
brief sind von Sabine Rock
und zeigen Situationen
von Abreise und Ankunft, hier
und dort.
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Rückkehr in
die Heimat – und dann?
Über die Rückkehr von Opfern von Frauenhandel wird viel geschrieben und auch gestritten: wann ist sie freiwillig, wann
unfreiwillig? Was braucht es, damit Frauen nicht ein weiteres
Mal gehandelt werden?
Keine freiwillige Rückkehr
Die Rückkehr muss in der Beratung auch thematisiert wer­
den, weil es keine Garantie für einen langfristigen Schutz
der Opfer von Frauenhandel in der Schweiz gibt. Die aus­
länderrechtlichen Regelungen lassen nicht den Frauen die
Wahl. Vielmehr entscheiden kantonale Migrationsbehörden
oder das Bundesamt für Migration über einen allfälligen
längerfristigen Aufenthalt mittels einer Härtefallbewilli­
Rückkehr ist von Beginn an Thema
gung oder einer vorläufigen Aufnahme.
Die Rückkehr ist für alle Opfer von Frauenhandel, die bei
FIZ Makasi Unterstützung suchen, eine zentrale Frage.
Hürden
Denn fast alle Frauen haben enge Bindungen an ihr Her­
Für einige Opfer ist die Rückkehr sehr schwer. Denn bei Ge­
kunftsland, zu den eigenen Kindern oder Eltern, zu Ge­
fährdung durch den Täter können sie nicht in ihr Dorf oder
schwistern und Freunden. Viele vermissen auch das Ver­
ihre Stadt zurückkehren und somit auch nicht zu ihren Fa­
traute, das Essen, die Sprache, das Wetter, die Gerüche und
milien. Rückkehr ins Dorf ist manchmal auch nicht möglich,
Landschaften.
weil es keine tragende Familie mehr gibt, sondern nur Zer­
Viele der Frauen wollen zurückkehren, einige sogar so
rüttung und Gewalt. Oder Familienangehörige gehören zur
schnell wie möglich. Sie hoffen, mit einer Rückkehr verges­
Täterschaft. Besonders vulnerable Opfer von Frauenhandel,
sen zu können. Und sie hoffen, dass mit der geografischen
zum Beispiel schwangere Frauen oder Frauen mit Klein­
Distanz auch die emotionale wachse.
kindern oder auch Frauen, die mit einer Krankheit wie HIV
Eine Rückkehr ist von der ersten Beratung an Thema.
angesteckt wurden, brauchen vor Ort Angebote, die ihren
Viele Frauen können erst, wenn sie von der FIZ unterstützt
spezifischen Bedürfnissen gerecht werden. Diese sind
werden, wieder regelmässigen Kontakt zu ihren Angehöri­
längst nicht an jedem Ort und in jedem Land vorhanden.
gen pflegen. Vorher war ihnen dies von den Ausbeutern ver­
Ganz schwierig ist es, wenn die Betroffenen zu Hause
wehrt worden oder das Geld fehlte. Beim ersten Gespräch
niemandem erzählen können, was ihnen geschehen ist. Das
mit der Familie müssen die Frauen erst einmal erklären, wa­
Leben mit diesem Geheimnis, das das Denken so besetzt,
rum sie kein oder nur wenig Geld nach Hause schickten.
macht einsam. Aber auch die ökonomische Situation ist
Denn die Familie zu unterstützen, war der Grund, warum sie
zentral: In dieselbe prekäre Lage zurückzukehren, zusätz­
weggegangen sind.
lich traumatisiert von der Ausbeutung im vermeintlichen
Fortsetzung auf Seite 4
4
Fokus
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«Ich fühle mich gezeichnet»
Opfer von Frauenhandel kehren meist in
ihre Heimat zurück. Im April 2008
sprach FIZ-Mitarbeiterin Eva Danzl in
Bra­silien mit neun Opfern über ihr Leben
nach der Rückkehr1. Die Frauen waren
2006 in einem Bordell in der Schweiz
ausgebeutet worden, hatten gegen die
Täter ausgesagt und waren während des
laufenden Verfahrens in die Heimat
zurück­gereist.
Monica2 war 2006 auf ein Arbeitsangebot
zeug verliess, wurde sie sofort von den
Blossgestellt in der Öffentlichkeit
re Einkünfte betrugen monatlich durch­
in der Schweiz eingegangen, weil sie nicht
übrigen Passagieren getrennt und von der
Die erste Begegnung mit der Familie sei
schnittlich 350 brasilianische Reales. Um
die Mittel hatte, die Hypothek für ihre
brasilianischen Bundespolizei in einen
schwierig gewesen. Der Menschenhan­
einigermassen leben zu können, benötige
Wohnung abzuzahlen. Die Rückkehr nach
Raum geführt. Dort mussten sich alle
delsfall war in den brasilianischen Me­
sie aber mindestens 600 BRL. Psychisch
Brasilien, erinnert
Monica, sei
nackt ausziehen und in die Hocke gehen.
dien sehr präsent. In einem Fernsehbei­
gehe es ihr nicht gut. Sie sei müde und
sich
schrecklich gewesen. Anstelle der erhoff­
Es wurde geprüft, ob die Frauen Drogen
trag hatte man ohne ihr Wissen und
traurig. Die Familie nenne sie «chorona»
ten Verbesserung habe sie sich in einer
oder etwas anderes schmuggelten. Alle
Einverständnis ihr Foto gezeigt. Sie fühlte
(portugiesisch: Heulsuse). Der Schock
vollkommen ausweglosen Situation be­
Opfer wurden mit offiziellen Polizeiautos
sich in der Öffentlichkeit blossgestellt.
über das Erlebte sitze tief, und sie könne
funden. Ihr Schuldenberg sei grösser ge­
zur Einvernahme geführt, ohne dass sie
Sie habe sich, so Monica, dadurch «ge­
nicht darüber reden. Seit der Rückkehr
wesen als bei ihrer Abreise. Dazu kam die
die auf dem Flughafen wartenden Fami­
zeichnet» gefühlt. Die Familien, die Nach­
leidet Monica an Depressionen. Sie erhält
Angst vor den Händlern und der Druck,
lien kontaktieren konnten. Dann seien sie
barn verstünden nicht, was ihr in der
vom Arzt ein Antidepressivum, das sie
kein Einkommen zu haben.
entlassen worden. Hätte ihnen die FIZ bei
Schweiz passiert sei. Sie werde als Pros­
täglich einnimmt. Der Arzt weiss nichts
der Abreise kein Geld gegeben, wären sie
tituierte angesehen. Hinzu komme der
von der in der Schweiz erlittenen Straftat.
Demütigende Ankunft
nicht einmal nach Hause gekommen. Ihre
Druck: wie alles bezahlen? Die Rechnun­
Er glaubt, ihr psychischer Zustand habe
Die Ankunft in Rio sei zudem demütigend
Stadt liegt etliche Busstunden von Rio
gen für Gas, Wasser und Elektrizität seien
mit ihrer prekären finanziellen Lage und
gewesen: Als die Frauengruppe das Flug­
entfernt.
offen, bis heute gelinge es ihr nur, alte
dem Stress im Alltag zu tun. Der Arzt sage,
Schulden zu zahlen, und auch das nur
sie müsse zum Psychiater gehen. Wenn
teilweise. Gleichzeitig stapelten sich die
man sich jedoch beim öffentlichen Spital
neuen Rechnungen. Hinzu kämen die
registriere, dauere es sehr lange, bis ein
Kosten für den 11-jährigen Sohn. Im letz­
Psychiater zugewiesen werde, und der
Fortsetzung von Seite 3
Paradies Schweiz, lässt befürchten, dass die Frau in eine
laufstelle im Herkunftsland, welche sie sowohl in psycho­
ten Jahr sei die Wohnung von der Bank
verschreibe ebenfalls nur Medikamente.
neue Ausbeutungssituation gerät.
sozialer als auch in finanzieller Hinsicht unterstützt. Für
zurückgefordert und zum Verkauf aus­
Es sei nicht so, dass man psychologische
einige Frauen wäre es gut, wenn sie in einem Ausbildungs-
geschrieben worden. Sie müsse jeden
Hilfe erhalte. Hinzu komme, dass ein pri­
Die richtige Rückkehr
oder Erwerbsprogramm Platz fänden. Auch eine geschützte
Moment die Wohnung verlassen. Wohin
vater Arzt 60 BRL pro Termin koste. Und
Deshalb wäre es zentral, dass eine Rückkehr nur dann statt­
Unterkunft ist wichtig.
sie dann gehen solle?
überhaupt würde auch der Arzt sie als
Prostituierte betrachten – genauso wie
findet, wenn sie freiwillig und selbstbestimmt ist. Frauen
Vor allem darf nicht vergessen werden, dass die Frau
müssen die Wahl haben. Auch sollte die Rückkehr gut vor­
über ihre Rechte als Opfer von Menschenhandel in der
Kein Geld
die Familie, die auch nur einen Teil der Ge­
bereitet und begleitet sein. Vor der Rückkehr muss mit der
Schweiz informiert werden und diese Rechte auch muss
In den ersten Monaten nach der Rück­
schichte kenne. Etwas, was immer prä­
betroffenen Frau intensiv darüber gesprochen werden, was
einfordern können, bevor sie zurückkehrt.
kehr wurden sie und ihr Sohn von ihren
sent sei, sei das Schamgefühl.
sie erwartet, wie ihr Umfeld reagieren wird, wem sie was er­
zählen kann und wo sie Halt findet. Opfer brauchen eine An­
Eltern unterstützt. Dann arbeitete sie als
Doro Winkler
Hauscoiffeuse auf eigene Rechnung. Ih-
Text gekürzt von Susanne Seytter
«Wie soll sie all die Rechnungen für Wasser, Gas
und Elektrizität bezahlen?»
1Danzl,
Eva: Unver­
öffentlichter
Bericht über die
Lebens­bedin­gungen der Opfer
des Verfahrens
[...] nach ihrer Rückkehr 2006–2008,
Mai 2008.
2Name
geändert
6
Fokus
Fokus
Stolpersteine und
Umwege bei der Rückkehr
Auf sich allein gestellt
Im Interview berichtet Eva Danzl, wie
eine Gruppe von Opfern von Frauen­
handel, die nach Brasilien zurückgekehrt
ist, unter prekäreren Bedingungen lebt
als vor der Migration.
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Eva, du hast in Brasilien neun Frauen
war. Als sie sich an die Polizei wandte,
interviewt. Wie geht es ihnen?
wusste dort niemand etwas davon. Das
Eva: Alle Opfer erlitten einen tiefen Riss
hat sie sehr beunruhigt.
in ihrer Lebensgeschichte. Sie waren vor
Eine Rückkehr ist nicht einfach eine räumliche Verschiebung
von A nach B. Es gibt Stolpersteine und Umwege, bis ein
Opfer von Frauenhandel wirklich «ankommt». Das zeigt die
Geschichte von Paula.
Sprachlosigkeit in der Familie
Als Paula wieder in ihr Herkunftsland zurückkehrte, konnte
sie nicht in ihr Dorf. Denn der Täter stammte aus demselben
Ort, er galt dort als angesehener Mann.
der Migration schon in einer prekären
Steht den Frauen eine Genugtuung zu?
ökonomischen und sozialen Situation
Bis eine Genugtuung gesprochen wird,
schehen sei, denn sie merkten, dass Paula nicht mehr die­
und sind jetzt noch schlechter dran. Zu­
vergehen Jahre. Der gesprochene Betrag
selbe war. Doch sie behielt das Erlebte geheim, und so ent­
rückgekehrt sind sie mit dem Trauma der
ist oft sehr klein im Vergleich zur Schwe­
Ausbeutung im «Gepäck». Auffallend ist,
re des Verbrechens und den für die Frau­
Paula, aus einem südosteuropäischen Land, war knapp
Die Beziehung zu ihrem Freund zerbrach kurz nach ihrer
dass keine der Betroffenen einen Ort
en entstandenen Folgekosten. Auch die
zwanzig Jahre alt. Die Polizei brachte sie, schwer verletzt
Rückkehr.
oder eine Person hat, mit der sie über das
realen Lebenskosten, die als Basis für die
und traumatisiert, vor fünf Jahren zur FIZ. Von einem Be­
Paula wollte ihr Studium weiterführen. Aber sie blieb
Erlebte sprechen kann.
Höhe der Genugtuung herangezogen wer­
kannten war sie in die Schweiz gebracht worden, mit dem
von posttraumatischen Belastungsstörungen nicht ver­
Versprechen, sie könne hier ein Praktikum machen. Doch
schont. Sie konnte sich nur noch schwer konzentrieren,
der Bekannte vergewaltigte sie und wollte sie der Prostitu­
wechselte aus Angst oft den Wohnort und fühlte sich ver­
tion zuführen.
folgt.
Erhalten sie denn keine Hilfe?
Einige Opfer zeigen Symptome einer chro­­nischen posttraumatischen Belastungs­
«Zurückgekehrt mit dem
Trauma im Gepäck.»
Paulas Familie und ihre Freunde fragten oft, was ge­
stand zur Familie und den Freundinnen eine grosse Distanz.
Die FIZ-Beraterin zog eine muttersprachliche Kultur­
störung. Sie bräuchten eine Fachbe­glei­
vermittlerin bei, und Paula wurde intensiv begleitet. Sie er­
Handeln gegen die Angst
tung auf psychosozialer Ebene, die sie
zählte detailliert, was mit ihr geschehen war, an jenem Tag,
Das Gerichtsverfahren in der Schweiz schloss mit einer Ver­
aber nicht bezahlen können. Ausserdem
den, werden von den Gerichten oft viel zu
der ihr Leben veränderte, wie sie selber sagte. Sie zeigte den
urteilung des Täters zu vier Jahren Gefängnis. Paula war er­
stellte sich heraus, dass in ihrer Region
tief eingeschätzt. Zudem wird bei den
Täter an, er wurde verhaftet. Paula blieb während des Er­
schüttert über die geringe Strafe. Sie kehrte in die Schweiz
keine Fachstelle für Opfer vorhanden ist.
Berechnungen oft nicht berücksichtigt,
mittlungs- und Strafverfahrens in der Schweiz.
zurück und wurde erneut von der FIZ und den Personen aus
Mit anderen Worten: Die Frauen sind völ­
dass das soziale System nicht mit dem
lig auf sich allein gestellt.
Sozialversicherungssystem der Schweiz
Zurück ja, aber mit grossen Ängsten
ben nach Gerechtigkeit suchte sie all die wichtigen Orte und
vergleichbar ist. Das bedeutet, dass die
Von Anfang an hatte Paula den Wunsch, in die Heimat zu­
Personen nochmals auf, sprach mit den Beteiligten und gab
Sind die Frauen auch in ihrer Heimat
Frauen auch nach ihrer Rückkehr an allen
rückzukehren. Sie hatte eine gute Beziehung zu ihren Eltern,
ihrer Verzweiflung über das milde Strafmass Ausdruck. Auf
bedroht worden?
Ecken und Enden weiterkämpfen müssen.
ihr Freund wartete auf sie, und ausserdem stand sie mitten
diese Weise versuchte sie, aktiv und handlungsfähig zu blei­
Eine Frau berichtete von dem Besuch
Das Interview führte Susanne Seytter mit Eva Danzl,
FIZ-Ressortleiterin Beratung
im Studium. Doch die Rückkehr machte ihr grosse Sorgen
ben, was zentral ist für eine Traumabewältigung.
eines Polizisten, als sie nicht zu Hause
dem für sie aufgebauten Netzwerk begleitet. In ihrem Stre­
und Angst. Sie thematisierte in der Beratung oft, was dieses
Trauma für einen Einfluss auf ihre Liebesfähigkeit haben
Nach vorne schauen
würde. Ob sie es ihrem Freund würde erzählen können? Ihrer
Nach diesem zweiten Aufenthalt in der Schweiz konnte Pau­
Schwester, damit sie nicht auch in so eine Situation käme?
la ein Stück Distanz gewinnen und nach vorne schauen. Sie
In Paulas Herkunftsland werden Frauen, die sexuelle Gewalt
kehrte endgültig in ihre Heimat zurück.
erlitten haben, ausgegrenzt. Es ist ein Tabu.
Doro Winkler, Sara Donath
8
Fokus
Einblicke
Rückkehrprojekt des Bundes
Seit 2008 haben auch Opfer von Menschenhandel Zugang
zum Rückkehrhilfeangebot des Bundes. Bereits sind die ersten
mit Unterstützung des Projektes zurückgekehrt.
Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden in die Aus­
wertung des Pilotprojektes einfliessen.
Erste Erfahrungen
Bisher sind neun Frauen im Rahmen des Pilotprojektes in
ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Die betroffenen Per­
9
Ein steiniger Weg
Statistisch gesehen stellt der Menschenhandel in der Schweiz
kein wirkliches Problem dar: Zwischen 2002 und 2006 gab
es 28 Verurteilungen wegen Menschenhandels. Höher sind die
Verurteilungen wegen Förderung der Prostitution: zwischen
2002 und 2006 immerhin 58, davon im Kanton Solothurn gerade
mal eine.1 In Solothurn wurde 2008 erstmals ein Menschen­
händler verurteilt.
anderen Kantonen überdurchschnittlich stark verbreitet
ist. Dennoch gab es bis Ende 2007 im Kanton Solothurn kei­
ne Verurteilungen wegen Menschenhandels. Dies wirft un­
weigerlich die Frage auf: Weshalb ist das so?
Knappe Ressourcen für die Bekämpfung
Das Projekt
sonen kommen aus sehr unterschiedlichen Ländern. So
Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Auslände­
sind bisher zwei Frauen in die Ukraine, zwei nach Rumänien,
rinnen und Ausländer (AuG) wurde das Rückkehrhilfean­
zwei nach Brasilien und je eine nach Usbekistan, Paraguay
gebot für Asylsuchende erstmals auf bestimmte Personen­
und Tschechien zurückgereist. Es handelt sich mehrheitlich
gruppen im Ausländerbereich erweitert. Demzufolge wurde
um Opfer von Menschenhandel. Die Mehrzahl der Teil­
eher schlanken und personell knapp dotierten Strafverfol­
am 1. April 2008 ein zweijähriges Pilotprojekt eingeführt, um
nehmerinnen wurde von der FIZ Fachstelle für Frauenhan­
gungsapparat aufweist. Dies mag wohl etwas dazu beige­
die Überführung in eine definitive Form vorzubereiten. Das
del und Frauenmigration an die kantonalen Rückkehrbera­
Projekt wird vom Bundesamt für Migration (BFM) in Zusam­
tungsstellen verwiesen. Falls die FIZ bereits Unterstüt­
So viel zur Statistik. In der Praxis sieht es freilich ganz an­
dem Einsatz von Ressourcen zur Bekämpfung des Men­
menarbeit mit der Internationalen Organisation für Migra­
zungsleistungen via ihr Partnernetzwerk im Herkunftsland
ders aus. Wohl in keinem anderen Deliktbereich klaffen Ver­
schenhandels. Wer will sich schon gerne vorwerfen lassen,
tion (IOM) und der Direktion für Entwicklung und Zusam­
vorgesehen hat, können diese somit durch Rückkehrhilfe­
urteilungsstatistik und faktische Wirklichkeit so weit aus­
aufwendige Verfahren zu führen, welche doch nur zu Frei­
menarbeit (Deza) umgesetzt. Es richtet sich an Opfer und
leistungen ergänzt werden.
einander. Das trifft insbesondere im Kanton Solothurn zu.
sprüchen führen. Dies gilt natürlich umso mehr, wenn die
Immer wieder hört man, Solothurn sei eine Hochburg des
Ressourcen für die Strafverfolgung knapp bemessen sind.
Eine Begründung, die man auch von anderen Kantonen
kennt, ist die naturgemäss schwierige Beweislage in Ver­
fahren wegen Menschenhandels. Hinzu kommt, dass der
Kanton Solothurn einen im Vergleich zu anderen Kantonen
tragen haben, dass man tendenziell zurückhaltend war mit
Zeuginnen und Zeugen von Menschenhandel sowie an Ca­
baret-Tänzerinnen und -Tänzer, die in der Schweiz ausge­
Weitere Unterstützung
Rotlichtgewerbes. Auch wenn rein statistisch die Verbrei­
Aber wo genau liegen denn die Schwierigkeiten der Beweis­
beutet wurden. Ziel ist die Unterstützung von anspruchsbe­
Das BFM unterstützt auch Projekte zur Bekämpfung des
tung dieses Gewerbes in den einzelnen Kantonen nur
führung in Strafverfahren wegen Menschenhandels?
rechtigten Personen bei der freiwilligen Rückkehr und bei
Menschenhandels in Herkunftsländern von Betroffenen (so­-
schwerlich erhoben werden kann, spricht einiges für diese
der Reintegration in ihrem Herkunftsstaat (oder Drittstaat).
genannte Strukturhilfe). Die Auswahl der Projekte erfolgt in
Behauptung. Gemäss FIZ-Statistik wurden im Jahre 2006
Aussage des Opfers als Hauptbeweis
Zusammenarbeit mit der Deza. Im Rahmen des Pilotprojek­
insgesamt 133 Opfer von Frauenhandel beraten. Bei der
Der Menschenhandel ist primär ein Delikt gegen die körper­
Das Angebot
tes werden drei Strukturhilfeprojekte zur Unterstützung der
Verteilung dieser Opfer auf die einzelnen Kantone nach geo­
liche und psychische Integrität eines Individuums. Wie bei
Das Rückkehrhilfeangebot beinhaltet grundsätzlich die
Opferbetreuung in Rumänien und Bulgarien finanziert. Die
grafischem Tatort rangiert der Kanton Solothurn nach Zü­
allen Straftaten dieser Deliktkategorie ist vorherrschendes
Rückkehrberatung, die Organisation der Rückreise, eine fi­
Projekte werden von IOM Rumänien, IOM Bulgarien und der
rich und Bern auf Rang 3 (mit 13 Opfern)2. Ähnlich sieht es
Beweismittel die Aussage des Opfers. Nun liegt es in der
nanzielle Starthilfe, materielle Zusatzhilfe und medizini­
bulgarischen Nichtregierungsorganisation Animus Associ­
aus, wenn man als Messgrösse die von den Ausländerbehör­
Natur der Sache, dass Opfer von Menschenhandel in erster
sche Hilfe. Die Rückkehr und Reintegration der am Projekt
ation umgesetzt.
den erteilten Bedenkzeiten an Opfer von Menschenhandel,
Linie ausländische Frauen sind. Vornehmlich geht es um
verbunden mit einer vorübergehenden Duldung des Aufent­
Frauen, welche weder die hiesige Sprache beherrschen
haltes, betrachtet. Hier rangiert der Kanton Solothurn im
noch eine Aufenthaltsbewilligung oder gar Arbeitsbewilli­
Jahre 2006 mit 11 gar an zweiter Stelle, unmittelbar nach
gung in der Schweiz besitzen. Gerade dieser Status der
teilnehmenden Personen wird im Auftrag des BFM von IOM
Weitere Informationen zum Pilotprojekt sind auf den
organisiert. Dazu gehört auch die Auszahlung von Rück­
Web-Seiten des BFM und der IOM aufgeschaltet: www.bfm.
kehrhilfe vor Ort und die Begleitung während der Reintegra­
admin.ch oder www.ch.iom.int.
tion. IOM führt während der Pilotphase ein Monitoring durch
und evaluiert die angebotenen Unterstützungsleistungen.
Jarmila Mazel
Bundesamt für Migration, Sektion Rückkehrhilfe
1Bericht
der Ge­
schäftsstelle KSMM
zur Bekämpfung des
Menschenhandels
in der Schweiz vom
8.11.2007, S. 21, 22
2KSMM-Bericht, S. 25
3KSMM-Bericht, S. 24
(17)3. Vieles
scheint somit darauf hinzudeuten, dass
Schwäche, welche diese Frauen für ihre Händler so beliebt
der Menschenhandel im Kanton Solothurn im Vergleich zu
macht, erschwert die Beweisführung im Strafverfahren.
Zürich
Aktuelles
10
11
Neues aus der FIZ
Einerseits fürchten sich die Opfer vor Repressionen ihrer
handel zu rechnen ist. Wichtig dabei ist in der Praxis, dass es
Neue Beraterin
FIZ bietet Nachhaltigkeit ein Dach
Europarates zur Bekämpfung von Men­
Zuhälter im Falle einer Kooperation mit den Strafverfol­
zu keinen Rollenkonflikten kommt. Für alle Beteiligten muss
Im März hat Regula Rosenstock Rodri­
Der Verein Kampagne Euro 08 gegen Frau­
schenhandel. Die FIZ und alle Trägerorga­
gungsbehörden. Andererseits aber haben sie auch Angst vor
klar sein, dass die FIZ nicht «Diener» der Strafverfolgungs­
gues da Paz mit einem Stellenpensum von
enhandel hat sich Ende 2008 aufgelöst
nisationen der Kampagne Euro 08 gegen
Nachteilen seitens der staatlichen Behörden, immerhin be­
behörden ist, sondern Ansprechpartner der Opfer. Sowohl
70 Prozent die Beratung der portugiesisch-
und das Vereinsvermögen zu treuen Hän­
Frauenhandel freuen sich, dass die For­
finden sich viele Opfer von Menschenhandel illegal im Land.
eine Vertrauensbasis zwischen Opfern und FIZ-Mitarbeite­
sprachigen Klientinnen der FIZ über­nom-
den der FIZ übereignet. Mit den verbliebe­
derungen der Kampagne im Parlament
Viele sind somit streng genommen auch Täterinnen.
rinnen wie zwischen Letzteren und den Strafverfolgungsbe­
men. Sie arbeitet sowohl in der FIZ-Bera­
nen Mitteln soll die Nachhaltigkeit der
diskutiert werden und hoffen, dass eine
hörden ist unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolg­
tungsstelle als auch in der Interventions­
Kampagne gestärkt werden. Federfüh­
Mehrheit sich dafür einsetzt. Jetzt ist
Opfer schützen – auch seitens
der Strafverfolgungsorgane
reiche kooperative Vorgehensweise gegen den Men­schen­-
stelle Makasi. Regula Rosenstock ist
rend sind cfd, Amnesty International, das
Lobbyarbeit gefragt...
handel. Ein weiterer Schritt hierzu wurde im Kanton
Psychologin. Sie hat vielfältige psycholo­
Zürcher Gleichstellungsbüro sowie die
Genau hier liegt meines Erachtens der Anknüpfungspunkt,
Solothurn damit getan, dass Polizei, FIZ und Migrations­
gische und sozialpädagogische Berufs­
FIZ. Sie bieten im Juni 2009 eine nationa­
wenn es darum geht, im Kampf gegen Menschenhandel
behörden bei der Staatsanwaltschaft immer den gleichen
kenntnisse und -erfahrungen gesammelt,
le Fachtagung zu Frauenhandel an (siehe
Romandie für Opferschutz
sensibilisiert
Fortschritte zu erzielen. Wenn es uns gelingt, die betroffe­
Ansprechpartner haben, indem die Führung von Strafver­
in ihrer berufsbegleitenden The­rapeutin­
Vorankündigung im Kasten).
Am 26. März nahm die FIZ an der KSMM-
nen Frauen aus ihrer sowohl objektiv (prima vista) be­
fahren wegen Menschenhandels in der Abteilung für Wirt­-
nenausbildung am C.G.-Jung-Institut in
stehenden wie auch subjektiv wahrgenommenen «Täter­
schaftskriminalität und organisierte Kriminalität (WOK)
Küsnacht, in der Jugendpsychiatrie und
rolle» herauszulösen und die Strafverfolgungsorgane ihnen
konzentriert wird.
den Eindruck vermitteln können, dass sie von diesen Hilfe
Veranstaltung zur Sensibilisierung von
Stellen in der Romandie zum Thema Men­
auf einer sozialpädagogischen Wohn­
Ein weiterer Schritt für verbesserten
Opferschutz
gruppe mit sozial auffälligen Jugendli­
Die Rechtskommission des Nationalrates
über die spezialisierte Interventionsstel­
chen sowie als Familienarbeiterin.
hat eine Motion lanciert, welche die For­
le für Opfer von Menschenhandel Maka­-
derungen der Petition 2008 für einen bes­
si und stellte sich im anschliessenden
schenhandel teil. Doro Winkler referierte
und Schutz erwarten können, dann ist ein wichtiger Schritt
Erste Erfolge auf steinigem Weg
getan. Dies stellt rein rechtlich kein Problem dar, geht doch
Rückblickend auf das Jahr 2008 kann festgestellt werden,
der Tatbestand des Menschenhandels von einer fehlenden
dass diese durch die Regierung geebnete und die beteiligten
Workshop den Fragen von Westschweizer
Behörden und Institutionen (inkl. FIZ) gelebte Kooperation
Neuer Träger Amnesty International,
Schweizer Sektion
seren Opferschutz aufnimmt: Die Motion
(gültigen) Zustimmung der betroffenen Frau hinsichtlich
verlangt die Schaffung eines Rechtsan­
Opferhilfestellen und NGO. Hauptthema
der Prostitution aus. Ohne Möglichkeit der Entfaltung des
im Kampf gegen den Menschenhandel Früchte getragen
Amnesty International Schweiz ist ab
spruchs auf eine Aufenthaltsbewilligung
unter den rund 30 Teilnehmenden war,
freien Willens kann sie aber auch nicht Täterin sein, weshalb
hat. Insgesamt drei Strafverfahren gegen mehrere Beschul­
2009 Trägerin der FIZ. Wir freuen uns,
für Opfer des Frauenhandels, unabhängig
welches spezialisierte Wissen es für die
allfällige Strafverfahren wegen Verstosses gegen die Aus­
digte wegen Menschenhandels wurden im vergangenen
dass wir mit ai eine einflussreiche und
von ihrer Aussagebereitschaft. Auch will
Beratung von Opfern von Frauenhandel
ländergesetzgebung mangels Vorsatz oder Verschulden
Jahr durch die Amtsgerichte im Kanton Solothurn erstins­
­engagierte Kämpferin für die Menschen­
sie für alle Kantone verbindliche Stan­
braucht. Weiter wurde diskutiert, wie die­
(resp. gestützt auf Art. 52 oder 54 StGB, allenfalls Art. 115
tanzlich beurteilt. Diese führten zu insgesamt sieben Ver­
rechte für die FIZ gewonnen haben. Die
dards zum Schutz der Opfer, die Förde­
ses Fachwissen in der französischen und
Abs. 4 AUG) einzustellen wären.
urteilungen wegen Förderung der Prostitution (drei sind
regelmässigen Beiträge der FIZ-Träger­
rung von Sensibilisierungs- und Informa­
italienischen Schweiz aufgebaut werden
­bereits rechtskräftig) und sieben Verurteilungen wegen
organisationen tragen wesentlich zur fi­
tionskampagnen in der Schweiz und die
könnte und mit welchen Ressourcen.
Rollen der Beteiligten klar definieren
Menschenhandels (davon eine rechtskräftig). Ob es sich­
nanziellen Planungssicherheit bei.
rasche Ratifizierung der Konvention des
Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat am 12.12.2005
bei diesen Verurteilungen bereits um eine Trendwende im
eine koordinierte Vorgehensweise in der Bekämpfung des
Kampf gegen den Menschenhandel oder lediglich um ein­
Frauenhandels beschlossen. Tragende Basis dieser Koordi­
malige Erfolge handelt, bleibt abzuwarten. Wichtig dürften
nation ist der möglichst frühe Beizug der FIZ in Untersu­
diese Verfahren aber vor allem in präventiver Hinsicht sein.
chungsverfahren, bei welchen mit Opfern von Menschen­
Rolf von Felten, Leitender Staatsanwalt der Abteilung WOK, Kanton Solothurn
Impressum Rundbrief 44, Mai 2009
FIZ Fachstelle Frauenhandel
und Frauenmigration
Badenerstrasse 134, 8004 Zürich,
Tel. 044 240 44 22
Fax 044 240 44 23
www.fiz-info.ch
[email protected]
Postkonto 80-38029-6
Redaktion: Doro Winkler, Susanne Seytter
Fotos: Sabine Rock
Grafik: c.p.a. Clerici Partner AG, Zürich
Druck: ROPRESS Genossenschaft, Zürich
Papier: Cyclus Offset, 100 % Recycling
Der Rundbrief erscheint zweimal jährlich.
Auflage: 4500 Ex.
12
Aktuelles
Fachtagung: Frauenhandel in der Schweiz – Strategien der Bekämpfung
Am 11. Juni 2009 findet im Volkshaus in Zürich eine nationale Fachtagung zum Thema
«Frauenhandel in der Schweiz – Strategien der Bekämpfung» statt. Fachleute beleuchten in
Impulsreferaten, Podiumsdiskussionen und Foren zentrale Aspekte in der Bekämpfung
von Frauenhandel. So werden die Wirksamkeit von runden Tischen in den Kantonen, die Zusammenarbeit zwischen Behörden und NGO, die Sensibilisierungsarbeit mit Freiern so­wie die rechtlichen Grundlagen und Arbeitsbedingungen der Frauen in der Schweiz diskutiert
und erörtert. Die Tagung wird organisiert von Amnesty International, Schweizer Sektion,
cfd Die Feministische Friedensorganisation, FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration und der Fachstelle für Gleichstellung – Stadt Zürich.
Das Detailprogramm liegt dem Rundbrief bei oder ist auf www.stop-frauenhandel.ch
zu finden.
Anmeldung: Fachstelle für Gleichstellung – Stadt Zürich, Telefon 044 447 17 77,
via www.stadt-zuerich.ch/gleichstellung > Veranstaltungen oder per Mail an
[email protected]
Der neue FIZ-Name ist nun auch in anderen Sprachen da:
Englisch
FIZ Advocacy and support for migrant women and victims of trafficking
Spanisch
FIZ Centro de apoyo a mujeres migrantes y víctimas de trata de mujeres
Portugiesisch
FIZ Centro de apoio à mulheres migrantes e vítimas de tráfico de mulheres.
Französisch
FIZ Centre d’assistance aux migrantes et aux victimes de la traite des femmes
Talon
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Verdienende Fr. 60.–
Nichtverdienende Fr. 40.–
Kollektivmitglieder Fr. 220.–)
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