Es geht mir gut, keine Übelkeit, ein klarer Kopf, ausführliche

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Es geht mir gut, keine Übelkeit, ein klarer Kopf, ausführliche
Gespräche mit meiner Frau, dem Pflegepersonal und den
Ärzten. Mit jedem Tag verringert sich die Anzahl der
Schläuche. Schon nach zwei Tagen darf ich Flüssigkeit
aufnehmen. Ich schaffe es, aufzustehen und mich gemeinsam
mit meiner Frau auf dem Flur fortzubewegen. Vor allem sie ist
es, die mir Mut macht: „Es gibt immer Ausnahmen, du bist
eine davon."
Das gibt Kraft und baut auf.
Sie besorgt Literatur, motiviert mich, die Zeit des Aufenthaltes
in der Klinik zu nutzen, zu lesen, Informationen einzuholen, zu
meditieren. Und immer wieder ist sie bemüht, meine positive
Grundeinstellung auszubauen und zu stabilisieren. Die Nächte
werden allerdings zur Tortur: Der Patient im Nachbarbett hat
Atemaussetzer und schnauft dann plötzlich laut wie ein
Elefant. Ich komme nicht zur Ruhe. Nach drei Nächten mit
äußerst wenig Schlaf schlage ich Alarm. Ich biete dem Arzt an,
auf dem Flur zu schlafen. Das wirkt. Schon einen Tag später
erhalte ich das begehrte Einzelzimmer. Mein Bettnachbar
zeigt Verständnis für meine Entscheidung. Ich merke, wie es
mir immer besser geht. Meine Wege in der Klinik werden
ständig länger. Ich bewege mich, freue mich auf die Besuche
meiner Frau, auf Zeit für intensive Gespräche. Wir sehen die
weitere Entwicklung positiv.
Ein kleiner Rückschlag bahnt sich dann doch an. Der zentrale
Venenkatheter am Hals verursacht eine Entzündung. Ich
bekomme Fieber, der Genesungsprozess verlängert sich daher
um etwa drei Tage. Doch schon eine Woche nach der
Operation erhalten wir die Genehmigung, uns auch außerhalb
der Klinik zu bewegen und nur einen Tag später besuchen wir
im benachbarten Schauspielhaus bereits eine Aufführung von
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Dürrenmatts „Physikern", ein Thema meiner mündlichen
Staatsprüfung vor über dreißig Jahren.
Der Tag in einer Klinik ist lang, vor allem, wenn man wieder
fast genesen ist. Ich habe Zeit zum Beobachten. Zeit für
Gespräche mit Patienten, Zeit für Gespräche mit dem Personal
und den jungen Ärzten. Den Chef sieht man selten. Die Visite
reicht gerade mal, um kurze, vorher klar formulierte Fragen zu
stellen, dann ist er auch schon wieder fort. Lustig erscheint mir
eher die Tatsache, wie festgefahren diese Strukturen einer
Chefarztvisite in einer Klinik gehandhabt werden: Schon eine
Stunde vor dem morgendlichen ersten Termin gegen sieben
Uhr erscheinen zwei Stationsmitarbeiter und rücken die
Bettwäsche zurecht. Wenn dann der Chef mit seinem Gefolge
auftaucht, muss offensichtlich eine bestimmte Hierarchie beim
Betreten des Krankenzimmers eingehalten werden: Tür auf für
den Chef, dann alle hinter ihm her, der Oberarzt mit
Krankenunterlagen neben ihm, ein kurzer Händedruck, knappe
Konversationen, Loswerden meiner Fragen, Erkundigungen
des Chefs beim Oberarzt über den Krankheitsverlauf und den
weiteren Ablauf der Behandlung und dann Tschüss. Alle
machen Platz. Die Tür wird aufgerissen, der Chef
verschwindet. Ein letzter, kurzer Blick des Arztes im
praktischen Jahr (AIP) zu mir, schon alles vorbei. Mir fällt eine
Fernsehsendung von einem der langen Abende ein: Kabarett
mit Dr. Stratmann. Ein Pseudomediziner erklärt die Bedeutung
des weißen Kittels in der Klinikhierarchie. Den Arzt in der
Ausbildung erkenne ich an den ausgebeulten Taschen. Voll
gestopft mit der entsprechenden Literatur für den richtigen
Augenblick. Leere Taschen gibt es dagegen beim Zivi und beim
Chef. Den Zivi allerdings erkenne ich an den vielen
Kugelschreibern, die aus der oberen Brusttasche
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herausragen, während der Chef lediglich an dieser Stelle einen
goldenen Kugelschreiber mit sich führt. Zudem gibt es noch
einen bedeutenden Unterschied zwischen diesen beiden: Der
Zivi ist dadurch leichter auszumachen, weil er in der Regel ein
Bett vor sich herschiebt, während der Chef einen
Rattenschwanz hinter sich herzieht. Ich empfinde, dass ich
langsam überflüssig in der Klinik werde. Die Zeit wird mir
langweilig. Der Pflegeaufwand sinkt. Ich muss auf Entlassung
drängen und schaffe es. Die Zusage bekomme ich nach nur
dreizehn Tagen Klinikaufenthalt. Wir nutzen die letzten drei
Nachmittage für intensive Gespräche über eine anstehende
Chemotherapie, die auf jeden Fall notwendig wird. Im Zuge
der Operation hat sich ergeben, dass die Leber von noch mehr
Metastasen befallen ist, als im Ultraschall festgestellt.
Natürlich muss noch der Port gesetzt werden. Das ist ein
kleines Gefäß von ca. zwei Zentimetern Höhe und drei
Zentimetern im Durchmesser. Auf der oberen Seite befindet
sich eine Membrane. Dieses Gefäß wird unterhalb des
Schlüsselbeines mit einem kleinen Hautschnitt eingesetzt um
von dort aus eine direkte Verbindung mit einem Katheter über
die Subclaviavene direkt zum Herzen herzustellen. Der Port
befindet sich somit direkt unter der Haut und kann bei Bedarf
mit einer Spezialnadel angestochen werden, so dass die
notwendige Chemoflüssigkeit direkt über den Katheter in den
Blutkreislauf im Vorbereich des Herzens gelangen kann. Das
Setzen des Port geschieht ohne großen Aufwand bei örtlicher
Betäubung im OP. Ich nutze die Zeit, mir den Eingriff erläutern
zu lassen, zusehen darf ich leider nicht. Nach einer Stunde ist
der Port eingesetzt. Lediglich einige Stunden Ruhe mit
Kompresse auf der Wunde werden mir noch abverlangt, dann
ist die Sache vergessen. Am nächsten Morgen wird dann
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abschließend die richtige Lage des Port in einem Röntgenbild
überprüft.
Der behandelnde Arzt der Klink arrangiert einen
Gesprächstermin mit dem Onkologen des Hauses. Es zeichnet
sich ab, dass es schwer wird, die für mich geeignete
Einrichtung zur Durchführung der Chemotherapie zu finden.
Nach dem Gespräch mit dem Onkologen wird mir allerdings
sofort klar: Auf keinen Fall in Dortmund. Ich will keine
Chemotherapie mit stationärer Unterbringung, nicht mit
Gleichgesinnten zusammen sein. In der Nähe unseres
Wohnortes gibt es eine onkologische Klinik, die zwar gut
begleitet, doch auch negative Informationen habe ich erhalten.
Das ist sicherlich eine subjektive Betrachtung, jedoch eben
meine Entscheidung.
Wir suchen weiter nach onkologischen Einrichtungen in der
heimischen Region. Durch die Freundin unseres Sohnes
erinnern wir uns an das Krankenhaus in Witten-Herdecke und
arrangieren für den nächsten Nachmittag dort einen
Gesprächstermin. Einen Tag später machen wir uns auf den
Weg nach Herdecke. Schnell finden wir das Krankenhaus, das
nur etwa zwanzig Kilometer von Dortmund entfernt liegt. Ich
kann mich erinnern: Erst vor zwei Monaten waren wir
gemeinsam hier, es ist der Heimatort der Freundin unseres
Sohnes Jan. Er hatte Geburtstag und befand sich gleichzeitig zu
einer Behandlung im nahe gelegenen Remscheid. Bei den
Eltern der Freundin in Herdecke war er zu dieser Zeit
untergebracht. Wir trafen uns dort zum gemeinsamen
Geburtstagsessen. In der Klink haben wird zunächst einen
positiven Eindruck, jedoch verläuft das Gespräch meiner
Auffassung nach auch nicht zufrieden stellend. Auch dort ist
eine stationäre Unterbringung mit integriert. Hinzu kommt die
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Entfernung von ca. 100 km vom Heimatort im Sauerland. Wir
sind unschlüssig. Über Internetrecherche hat meine Frau
parallel eine onkologische Klinik in Freiburg, dem Studienort
unseres Sohnes, ausgemacht. Es laufen lange Telefongespräche
und erste Terminvereinbarungen, allerdings tauchen auch
Unsicherheiten auf: Stationärer Aufenthalt für eine Woche,
dann drei Wochen Pause, aber auch experimentelle Onkologie,
das beeindruckt. Wir sind hin- und hergerissen. Eines wird uns
allerdings auch schnell klar. Zum einen ist die Entfernung zu
groß, insbesondere wenn Komplikationen auftauchen sollten.
Zum anderen haben wir das Gefühl, dass wir unseren Sohn
während seines Studiums mit meiner Anwesenheit unnötig
belasten könnten. Somit wird auch die Alternative Freiburg
gestrichen.
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