Backgrounder: Morbus Bechterew (Ankylosierende Spondylitis, kurz AS) Morbus Bechterew ist eine chronische Erkrankung, die das Achsenskelett betrifft (die Knochen der Wirbelsäule, des unteren Rückens und des Brustkorbs). Entzündungsprozesse führen dazu, dass Gelenke der Wirbelsäule verknöchern. Im Verlauf der Erkrankung können diese Gelenke versteifen und zu einer nach vorne gebeugten Körperhaltung führen. Im Anfangsstadium sind die Symptome oft diffus und nicht immer leicht zuzuordnen. Anhand bestimmter Kriterien (Laboruntersuchungen, Tests und klinisches Bild können erfahrene Rheumatologen die Erkrankung heute in einer frühen Phase („Frühform“) feststellen. Morbus Bechterew verläuft in Schüben und ist in Bezug auf das Ausmaß der Beschwerden individuell unterschiedlich ausgeprägt. Schmerzhafte Erschöpfungszustände, manchmal begleitet von Fieber, wechseln sich mit beschwerdefreien Phasen ab. Morbus Bechterew ist nicht heilbar - allerdings steht eine Vielzahl an Behandlungsoptionen zur Verfügung. HÄUFIGKEIT An Morbus Bechterew kann jeder erkranken. In Österreich sind derzeit etwa 0,2–0,3 % der Bevölkerung von der Erkrankung betroffen, das entspricht in etwa einer Zahl von 17.000 Einwohnern. Die ersten Symptome treten oftmals in jungen Jahren, zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, auf. Männer erkranken häufiger an Morbus Bechterew als Frauen (das Verhältnis liegt bei bis zu 3:1). URSACHEN Die Ursachen von Morbus Bechterew sind noch weitgehend ungeklärt. Auch die Frage, warum speziell die Wirbelsäule betroffen ist, kann nach heutigem Kenntnisstand noch nicht beantwortet werden. Man weiß aber mittlerweile, dass eine Fehlsteuerung des Immunsystems die chronischen Entzündungen hervorruft. Untersuchungen zeigten, dass eine Mehrzahl der Patienten einen bestimmten genetischen Marker (HLA-B27) aufweist. Eine Erbkrankheit im klassischen Sinne ist Morbus Bechterew aber nicht. Bei Kindern von Morbus Bechterew-Patienten sind deshalb keine Vorsorgeuntersuchungen nötig. SYMPTOME & FRÜHERKENNUNG Bei jungen Erwachsenen sind es vor allem Rücken und Gelenkbeschwerden, die auf Morbus Bechterew hinweisen können. Auch Fersenschmerzen oder Schmerzen am Brustbein könnten Symptome sein. Als typische Anzeichen der Frühform gelten Beschwerden im Bereich der unteren Wirbelsäule. Nennen Patienten zwei der folgenden Symptome, wird der Schmerz meist durch eine Gelenkentzündung verursacht Schmerz in der zweiten Nachthälfte Morgensteifigkeit/Anlaufschmerz Müdigkeit nachlassende Steifigkeit infolge von Bewegung (nicht durch Ruhe) Schmerzen im Gesäß, abwechselnd links und rechts Ob Verknöcherungen zu erwarten sind oder nicht, steht in der Anfangsphase („Frühform“) noch nicht fest. 1 Datum der Erstellung: 04/2017, AT1704631422 VERLAUF und FOLGEERKRANKUNGEN Der Verlauf von Morbus Bechterew ist sehr unterschiedlich, er kann für keinen Patienten genau vorhergesagt werden. In der Literatur werden Patienten beschrieben, deren Symptome recht mild verlaufen und bei denen die Entzündung meist auf die untere Wirbelsäule beschränkt ist. Bei anderen Patienten wiederum entzünden sich größere Wirbelsäulenbereiche, sodass Brustkorb und Wirbelsäule zunehmend unbeweglich werden. Aufgrund der Versteifung kann sich im zeitlichen Verlauf ein Rundrücken ausbilden. Da sich das Entzündungsgeschehen auch auf andere Gewebe und Organe auswirkt, können bei schwereren Verlaufsformen Folgeerkrankungen auftreten, wie Augenentzündungen o der Regenbogenhaut o des Ziliarmuskels o der Aderhaut (rote, schmerzende Augen, Lichtempfindlichkeit) entzündliche Darmerkrankungen Seltener treten Entzündungen im Bereich anderer Organe (Lunge, Nieren, Herz, Hauptschlagader) Morbus Bechterew kann sowohl kontinuierlich voranschreiten als auch in Schüben verlaufen. THERAPIE VON MORBUS BECHTEREW Bei der Therapie von Morbus Bechterew liegt der Schwerpunkt auf der Kombination aus nichtmedikamentösen und medikamentösen Maßnahmen und wird durch Patientenschulungen ergänzt. Je nach Krankheitsverlauf können unter Umständen operative Eingriffe nötig werden. Bei der Behandlung der Morbus Bechterew-Patienten lautet das therapeutische Ziel den Schmerz zu reduzieren die fortschreitende Gelenksteifigkeit zu drosseln strukturelle Schädigungen zu verhindern die körperliche Funktionsfähigkeit zu erhalten die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit möglichst lange aufrechtzuerhalten Eine Dokumentation der Symptome unter der Therapie ermöglicht es dem Arzt, den aktuellen Status der Erkrankung festzustellen sowie das Ansprechen auf die Therapie zu messen. Gemäß der Zielsetzung und der individuellen Situation des Patienten passt der Arzt die notwendigen Behandlungsmaßnahmen dann immer wieder an. Ein möglichst früher Behandlungsbeginn ist wichtig – denn einmal entstandene strukturelle Schädigungen können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Nicht medikamentöse Therapien Eine wichtige Säule im Behandlungskonzept des Morbus Bechterew sind Physiotherapie, manuelle Therapie sowie regelmäßige Bewegungsübungen. Ziele dieser nicht medikamentösen Therapie sind 2 Schmerzreduktion Erhalt der körperlichen Mobilität Verminderung der Steifigkeit verbesserte Körperhaltung und Koordination Sturzprävention Erhalt der Funktionalität Datum der Erstellung: 04/2017, AT1704631422 Neben Bewegungsübungen, die zu Hause durchgeführt werden können, wird der behandelnde Arzt angeleitete Bewegungstherapien (Trocken- oder Wasserübungen, individuell oder in der Gruppe) anordnen. Physiotherapie und manuelle Therapie (Mobilisation) können die Wirbelsäulenbeweglichkeit günstig beeinflussen und die Körperhaltung verbessern. Manipulationen direkt an der Wirbelsäule dürfen jedoch nicht erfolgen. Medikamentöse Therapie Die medikamentöse Behandlung spielt in der Morbus Bechterew-Therapie ebenfalls eine zentrale Rolle. Zielsetzungen sind Schmerzreduktion Verbesserung der Funktionstüchtigkeit Reduktion der Steifheit Hemmung der entzündlichen, die Gelenke zerstörenden Prozesse Folgend aufgeführte medikamentöse Therapieoptionen stehen zur Verfügung: Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) Nicht steroidale Antirheumatika (Wirkstoffe wie zum Beispiel Ibuprofen, Diclofenac, Etoricoxib und Celecoxib) – alle in Tablettenform einnehmbar – sind ein wesentlicher Faktor in der Morbus Bechterew-Behandlung. Dosierung und Verabreichungszeitraum der NSAR-Therapie richten sich nach dem Beschwerdeumfang. Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs (DMARDs = krankheitsmodifizierende antirheumatische Medikamente) DMARDs (Wirkstoffe wie beispielsweise Methotrexat, Sulfasalazin, Leflunomid) werden allgemein in der Rheumatologie auch unter dem weitverbreiteten Begriff Basistherapeutika DMARDs (Disease Modifying Antirheumatic Drugs) zusammengefasst. In der Morbus Bechterew-Therapie ist diese Bezeichnung jedoch irreführend, weil hier DMARDs nur dann verabreicht werden, wenn auch Gelenke außerhalb der Wirbelsäule, zum Beispiel an den Gliedmaßen, von entzündlichen Prozessen betroffen sind. Biologika (therapeutische Antikörper) Antikörper sind Eiweiße, die bestimmte Zielstrukturen passgenau erkennen können. Normalerweise sind Antikörper Teil des menschlichen Immunsystems. Sie werden im Körper von einer Untergruppe der Leukozyten (B-Zellen, T-Zellen, NK-Zellen) gebildet und haben die Aufgabe, eindringende Viren oder Bakterien abzufangen und so unschädlich zu machen. Dieses Prinzip macht man sich bei den therapeutischen Antikörpern zunutze. Heute ist man in der Lage, gezielt zur Behandlung von Erkrankungen Antikörper herzustellen, die bestimmte Zielstrukturen im Körper erkennen und eliminieren können. Da die Stoffe den natürlich im menschlichen Organismus vorkommenden Antikörpern nachempfunden sind, nennt man sie Biologika. Die pharmazeutische Forschung hat in den vergangenen Jahren für jene Morbus Bechterew-Patienten, die auf die Standardtherapie mit NSAR nicht ansprachen, Biologika entwickelt, die die am Entzündungsvorgang beteiligten Botenstoffe unspezifisch oder spezifisch hemmen. Bedingt durch die Fehlsteuerung des Immunsystems werden bestimmte Abwehrzellen (TZellen) aktiviert, die aus dem Blut in Gelenke, Haut und andere Gewebe einwandern und dort Botenstoffe ausschütten. Zu diesen Botenstoffen gehören beispielsweise der TumornekroseFaktor-alpha (TNF-alpha) oder die Interleukine 12, 23 und 17. 3 Datum der Erstellung: 04/2017, AT1704631422 Der alarmierte Organismus reagiert darauf mit zunehmenden Entzündungen in bestimmten Gelenken (zum Beispiel in den Wirbelgelenken oder in den Kreuz-Darmbein-Gelenken) und führt manchmal zu den für Morbus Bechterew typischen Schmerzen und Verformungen. Tumornekrosefaktor-alpha-Blocker (TNF-alpha-Blocker) TNF-alpha-Blocker (mit Wirkstoffen, wie zum Beispiel Adalimumab, Etanercept, Golimumab, Infliximab, Certolizumab-Pegol) sind Antikörper, die den Tumornekrosefaktor alpha hemmen. Dieser wird hauptsächlich von bestimmten weißen Blutzellen ausgeschüttet und ist als Botenstoff des Immunsystems an entzündlichen Prozessen im Körper beteiligt. Interleukin-Hemmer Interleukine sind, ebenso wie TNF-alpha, proinflammatorische Zytokine (Entzündungen auslösende Botenstoffe, die zu Entzündungen führen bzw. sie verstärken). Bei Morbus Bechterew-Patienten kommen einige Interleukine in erhöhten Konzentrationen vor. Interleukin-Hemmer „fangen“ diese Botenstoffe (Zytokine) ab und hemmen so den entzündlichen Prozess. Referenzen Chen H.-H. u. A. Clinics (Sao Paulo) 2011; 66:251–254. Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V., www.bechterew.de, abgerufen am: 27.01.2016. Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), der beteiligten medizinischwissenschaftlichen Fachgesellschaften und weiterer Organisationen; Langfassung der S3-Leitlinie Axiale Spondyloarthritis inklusive M. Bechterew und Fühformen, AWMF-Leitlinien Register Haroon N. Clin. Rheumatol. 2015; 34:1003–1007 Lories R. J., Baeten D. L. Clin. Exp. Rheumatol. 2009; 27:S10–4. Marktforschung im Bereich Rheumatologie 2015 Mörike, Betz und Mergenthaler (2001): Biologie des Menschen, Quelle und Meyer Verlag, Wiebelsheim. Nummer: 060/003, Entwicklungsstufe: S3, Version: November 2013. Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie, www.rheumatologie.at, abgerufen am: 17.03.2016 Österreichische Vereinigung Morbus Bechterew, www.bechterew.at, abgerufen am: 17.03.2016 Rheuma in Zahlen (Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V.), Stand: 2009. www.gesundheits-lexikon.com, Klassifikation Morbus Bechterew, DocMedicus-Verlag, Bad Münder, abgerufen am: 27.01.2016 4 Datum der Erstellung: 04/2017, AT1704631422