9 Phytotherapie Special Sonderrubrik der Medical Tribune Nr. 7 · 15. Februar 2013 Phytotherapie bei viralen Infekten Erkältungssymptome pflanzlich lindern BADEN – Pflanzenextrakte spielen bei der Vorbeugung und Behandlung von Erkältungskrankheiten nach wie vor eine grosse Rolle. An der 27. Schweizerischen Jahrestagung für Phytotherapie berichteten Experten über den aktuellen Wissensstand. Zu den bewährten Phytotherapeutika zählen Bronchipret® aus der Primelwurzel und dem Thymiankraut, Echinaforce® bzw. Echinamed® aus dem roten Sonnenhut (95 % Kraut, 5 % Wurzel), GeloDurat® aus Eukalyptus- und Myrthenblättern, Kaloba® bzw. Umckaloabo® aus den Wurzeln der südafrikanischen KaplandPelargonie und Sinupret®, eine Kombination aus arzneilich wirksamen Bestandteilen aus Enzianwurzel, Schlüsselblume, Sauerampferkraut, Holunderblüten und Eisenkraut. Zu all diesen Präparaten liegen zahlreiche Studien vor. Um die antivirale Wirkung dieser Präparate zu nutzen, muss mit der Therapie – wie bei den Neuraminidasehemmern bei der Influenza – innerhalb von 48 Stunden nach Eintritt der Infektion begonnen werden. Nur so lässt sich die Replikation der Viren und deren Ausschüttung in den Organismus unterbinden. Die pflanzlichen Produkte besitzen aber ausserdem eine antimikrobielle, antientzündliche und antioxidative Wirkung, was zusätzlich dazu beiträgt, dass Atemwegsinfektionen schneller abklingen. Für drei der Präparate (Kaloba® bzw. Umckaloabo®, Bronchipret® und Sinupret®) verweisen zusammenführende Stu- Dr. Andreas Schapowal Landquart Foto: MR-Archiv dien auf das Ausmass der Wirksamkeit und auf die Unbedenklichkeit auch bei Kindern ab zwei Jahren. Nach der Erfahrung von Dr. Andreas Schapowal, Landquart, sind Echinaforce®-Resistenztropfen bzw. Echinamed®-Resistenztabletten auch zur Langzeitprophylaxe von viralen Erkältungskrankheiten geeignet. Weniger infektanfällig dank Echinacea-Extrakt Nach einer Schätzung des «National Institute of Allergy and Infectious Diseases» erkranken allein in den USA jährlich etwa eine Milliarde Menschen an Erkältungen und grippalen Infekten. Schulkinder fehlen deswegen an 42 Millionen Tagen in der Schule und die geschätzten Tage, an denen die Aktivitäten eingeschränkt sind, wird auf 148 Millionen Tage beziffert. Das verdeutlicht die Notwendigkeit zum Schutz vor grippalen Erkrankungen. Wundheilung mit pflanzlichen Präparaten Nach Professor Dr. Christoph Schempp, Dermatologische Klinik der Universität Freiburg, zeigen akute Wunden, wie oberflächliche Abschürfungen oder kleinere Brandwunden, eine hohe Spontanheilungstendenz. Ätherische Öle können aufgrund ihrer antibakteriellen Wirkung eine Superinfektion verhindern. Viel versprechend sind auch die topische Anwendung eines Extrakts aus der Birkenrinde (Hauptwirkstoff Betulin), der ausser der antibakteriellen Wirkung auch antientzündlich und wundheilungsfördernd ist und ein Präparat aus Johanniskraut und Niemöl. Chronische Wunden können verschiedene Ursachen haben wie z.B. Diabetes, arterielle Durchblutungsstörungen oder eine chronisch-venöse Insuffizienz. Neben der Behandlung der Ursachen empfiehlt die traditionelle Medizin je nach Wundheilung im exsudativen Stadium (Sulfur): Blüte (z. B. Johanniskraut, Calendula), im Granulationsstadium (Merkur): Blatt (z. B. Spitzwegerich, Weisskohlblätter) und im Epithelisierungsstadium (Sal): Rinde, Wurzel (z. B. Eichenrinde, Birkenkork). Obwohl die Evidenzlage zur Wirksamkeit der betulinhaltigen Creme und des pflanzlichen Wundsprays «1 Primary Wound Dressing®» aus Johanniskraut (vor allem antientzündliche Wirkung) und Niemöl (vor allem antibakterielle Wirkung) noch dünn ist, sind in Kürze weitere Studien zu erwarten. Die bisherigen Praxiserfahrungsberichte sind viel versprechend, wie Prof. Schempp erläuterte. Mit den Echinacea-Extrakten Echinaforce® oder Echinamed® werden immunologische Prozesse schon nach acht Tagen Behandlung unterstützt. Chemotaktische Mediatoren wie z.B. Interleukin-8 wurden bei Probanden gesteigert und Zytokine, die den Entzündungsprozess unterhalten, gehemmt. Bei erhöhter Infektanfälligkeit und bei gestressten Personen kam es zu einem signifikanten Anstieg von Interferon g, das an der antiviralen Wirkung beteiligt ist. In einer am Common Cold Center der Cardiff University in Wales über vier Monate durchgeführten Präventionsstudie mit 755 Patienten zeigte sich, dass die Anzahl der Erkältungsepisoden und der Episodentage unter der präventiven Echinaforce®-Behandlung signifikant geringer war als unter Placebo. Die präventiven Effekte zeigten sich bei Untergruppen mit erhöhter Anfälligkeit (bei Schlafmangel, Personen mit Stressbelastung) besonders ausgeprägt. In der Schweiz ist die Behandlungsdauer mit Echinacea wegen möglicher unerwünschter Effekte zeitlich auf zwei Monate kontinuierlicher Einnahme limitiert. Im Verlauf der viermonatigen Therapie unterschied sich das Vorkommen von Nebenwirkungen unter der Echinaforce®Behandlung nicht von dem unter der Placebobehandlung. Diese neuen Ergebnisse bestätigen, dass der Spezialextrakt aus Echinacea purpurea nicht nur v irale Atemwegserkrankungen wirksam bekämpft, sondern auch gut vertragen wird. Prof. Dr. Sigrun Chrubasik Wer braucht einen Grippeschutz? Entsprechend der Lehrmeinung empfahl Dr. Schapowal, die herbstliche Grippeimpfung bei allen Personen, die ein erhöhtes Risiko für Komplikationen bei tatsächlicher Influenzaerkrankung haben, wie Schwangere und chronisch Kranke sowie bei Gesundheitsfachpersonen mit Kontakt zu diesen Risikogruppen. Doch sollten die Erwartungen an den Erfolg der Grippeimpfung wie auch an den Erfolg der Einnahme von Neuraminidasehemmern nicht zu hoch angesetzt werden. Der Schutz vor viralen Atemwegsinfektionen beträgt bei beiden Optionen maximal nur 30 %. Evidenz von Cranberry noch nicht eindeutig geklärt Bei Harnwegsinfekten nicht gleich zu Antibiotika greifen BADEN – Von rezidivierenden Harnwegsinfektionen wird gesprochen, wenn Entzündungen der Blase mehr als zweimal pro Halbjahr bzw. mehr als dreimal pro Jahr auftreten. Aufgrund der zunehmenden Antibiotikaresistenzen versucht man zunehmend, auch die Heilkraft von Pflanzen zu nutzen. Gemäss der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie ist eine Diagnosestellung allein aufgrund der klinischen Symptomatik nicht zuverlässig. Eine alleinige Diagnose mittels Teststreifen ist aufgrund der unzureichenden Sensitivität und Spezifität nicht zu empfehlen. Eine Keimzahl von mehr als 105 Keimen pro ml im Mittelstrahlurin belegt die Infektion im Praxisalltag. Cranberry: Evidenz nicht eindeutig geklärt Wie Professor Dr. Bernhard. Uehleke, Berlin, berichtete, enthalten die früher viel empfohlenen Bärentraubenblätter das antibakte- riell wirksame Arbutin. Doch sind heute aufgrund ungenügender Untersuchungen zur Sicherheit, Zubereitungen aus Bärentraubenblättern in der Langzeitanwendung obsolet. Auch die amerikanische Moosbeere (Cranberry) oder die Preiselbeere enthalten Arbutin, wenn auch in geringerer Konzentration. Der Wirkstoff der Preiselbeere hemmt darüber hinaus bei Vorliegen einer E.-Coli-Infektion das Andocken der Bakterien an der Blasenwand. Obwohl es sehr viele Studien zur Wirksamkeit verschiedener Präparate aus Cranberry gibt, ist die Evidenzlage nicht eindeutig und hängt sehr wahrscheinlich vom Wirkstoffgehalt des Präparats ab. Angesichts möglicher Spontanheilung spricht nichts dagegen, den akuten Blaseninfekt mit einem Präparat aus der Preiselbeere, mit harntreibenden Tees oder dem Kombinationspräparat Angocin® (enthält Rettichwurzel und Nasturtium) zu behandeln. Gleich ein Antibiotikum zu verschreiben, wäre sicher von Nachteil, zum einen, weil eine Antibiotikabehandlung nicht Erfolg versprechender ist als eine Behandlung mit pflanzlichen Präparaten und zum anderen wegen der zunehmenden Resistenz der Bakterien gegen Antibiotika. In der Dauertherapie chonisch rezidiverender Blasenentzündungen ist ebenfalls reichliche Flüssigkeitszufuhr von Vorteil – und möglicherweise auch der Einsatz eines Cranberry-Präparats. Prof. Dr. Sigrun Chrubasik