Generali Hochaltrigenstudie Präsentation der Ergebnisse der Biographischen Interviews und der Institutionenbefragung Köln, 20. März 2014 „Gutes, gelingendes Leben“ im Alter Vier zentrale Kategorien Selbstständigkeit in der Alltagsgestaltung Selbstverantwortung in der Lebensgestaltung Mitverantwortung in der Lebensgestaltung Bewusst angenommene Abhängigkeit Andreas Kruse (2007/2014). Das letzte Lebensjahr Weltgestaltung im hohen Alter: Ein erweiterter Sorgebegriff Bevor ich zu mir selbst komme, steht mir „der Andere“ gegenüber. Diesem kommt die Qualität der unbedingten, der „vorausgehenden Verpflichtung“ zu. Durch „den Anderen“ erst komme ich mehr und mehr zu mir selbst. Emmanuel Levinas (1906‐1991) Emmanuel Levinas, E. (1995). Zwischen uns. Versuche über das Denken an den Anderen. Empirische Grundlage Ausführliche biographische Interviews mit N= 400 Frauen und Männern im Lebensalter von 85 bis 98 Jahren. Eine umfassende Erhebung in N= 800 Kommunen (gesamtes Bundesgebiet) zu Altersbildern und Gelegenheitsstrukturen. Biographische Interviews: Stichprobe Altersbereich: 85-89 Jahre: 65%; 90-94 Jahre: 27%; 95-99 Jahre: 8% Wohnform: 74% Privathaushalt; 11% Wohnstift; 15% Altenpflegeheim Geschlechterverteilung: 66% Frauen, 34% Männer Region: Stadt: 41%; Städtischer Einzugsbereich: 28%; Ländlicher Raum: 31% Familienstand: Verheiratet: 30%; Verwitwet: 58%; Ledig: 7%; Geschieden: 5% Schulischer Bildungsstand: Hoch: 27%; Mittel: 48%; Eher niedrig: 17%; Niedrig: 8% Pflegebedürftigkeit (SGB XI): Ja: 21%; Nein: 79% Subjektiver Gesundheitszustand Eher gut: 63% Eher schlecht: 37% Institutionenbefragung Kirche Freie Wohlfahrtspflege Kommune Verband Verein Private Träger Land Stiftung Selbsthilfegruppen Sonstiges/Fehlend 23.1% 12.4% 9.0% 9.0% 7.7% 7.3% 5.3% 4.7% 3.3% 18.2% 2.510 Fragebögen wurden ausgesandt, in der ersten Welle wurden 452 Bögen zurückgesandt, in der zweiten Welle 348 Bögen. Institutionenbefragung Biographische Interviews: Methode 1. Erläuterung der Zielsetzung der Studie 2. Fragen zu (a) Alter und Familienstand, (b) soziale Netzwerke, (c) Erwerbsbiografie, (d) bürgerschaftliches Engagement, (e) subjektiver Gesundheitszustand, (f) Selbstständigkeit im Alltag 3. Subjektiv wichtigste Stationen der Biografie, Erwartungen, Hoffnungen, Befürchtungen mit Blick auf persönliche Zukunft einzugehen 4. Aktuelle Erlebnisse, Erfahrungen und Gedanken 5. Merkmale der Persönlichkeit, des sozialen und institutionellen Umfeldes, die Kontakt zu anderen Menschen bzw. die Sorge um andere Menschen fördern oder erschweren 6. Spezifischen Sorgeformen Umgang mit aktueller Lebenssituation, hierfür zentrale Zielsetzungen, Werten und Bedürfnisse 7. Valuation of Life (N= 75) Dauer: 90-150 Minuten Institutionenbefragung: Methode 1. Angebots- und Nutzerstruktur 2. Nutzerbarrieren 3. Konzeptentwicklung zum Engagement im hohen Lebensalter 4. Altersbilder (differenziert nach 65-84 J., 85 J. und älter) 5. Standardisierte und offene Fragen Dauer: 20 Minuten Kompletterhebung nach vorliegendem Verzeichnis Daseinsthemen (Angaben in Prozent; von den 27 identifizierten Daseinsthemen sind hier die ersten fünf genannt) 1. Freude und Erfüllung in einer emotional tieferen Begegnung mit anderen Menschen (76) 2. Intensive Beschäftigung mit der Lebenssituation und Entwicklung nahestehender Menschen – vor allem in der eigenen Familie, in nachfolgenden Generationen (72) 3. Erfüllung im Engagement für andere Menschen (61) 4. Bedürfnis, auch weiterhin gebraucht zu werden und geachtet zu sein – vor allem von nachfolgenden Generationen (60) 5. Sorge vor dem Verlust der Autonomie (59) Daseinsthemen (Fortsetzung) 9. Phasen von Einsamkeit (39) 10. Fehlende oder deutlich reduzierte Kontrolle über den Körper (36) … 12. Phasen der Niedergedrücktheit (31) 13. Chronische oder passagere Schmerzzustände und Bemühen, diese zu kontrollieren (30) …. 16. Sorge vor fehlender finanzieller Sicherung (24) Institutionenbefragung: Potentiale des Alters Welche spezifischen Sorgeformen sind erkennbar? (Angaben in Prozent; von den 23 identifizierten Sorgeformen sind hier die ersten sieben genannt) 1. Intensive Beschäftigung mit dem Lebensweg nachfolgender Generationen der Familie (85) 2. Unterstützende, anteilnehmende Gespräche mit nachfolgenden Generationen der Familie (78) 3. Beschäftigung mit dem Schicksal nachfolgender Generationen (72) 4. Unterstützung von Nachbarn im Alltag (68) 5. Unterstützung von Familienangehörigen im Alltag (65) 6. Unterstützung junger Menschen in ihren schulischen Bildungsaktivitäten (58) 7. Gezielte Wissensweitergabe an junge Menschen (54) Engagement für andere Menschen Institutionenbefragung: Engagementbereiche Rahmenbedingungen Institutionenbefragung: Barrieren Engagement und Mitverantwortung im sehr hohen Alter Anliegen und Möglichkeiten ihrer Verwirklichung Anliegen … weil ich wahnsinnig gerne mit Menschen umgehe. … Da sitzt jemand, ist uralt, hat ein unglaubliches Wissen angeeignet, will dieses Wissen weitergeben. … Wenn man so lange gelebt hat, muss man irgend etwas gelernt haben, viel verstanden haben. Ich müsste versuchen weiterzugeben, was ich selbst verstanden habe, und denen zur Verfügung stellen, die es brauchen. Möglichkeiten der Verwirklichung VE R A N T WOR T U NG Hannah Arendt Erst durch das Handeln im öffentlichen Raum wird der Mensch motiviert, Initiative zu ergreifen, etwas Neues zu beginnen. Charlotte Bühler SELBST- Verstehen, auf welche letzte Ziele das Streben des Menschen gerichtet ist. MITVERANTWORTUNG Im Alter gilt besonders: Fremdbilder, die in unserer Gesellschaft kommuniziert werden, bestimmen Selbstbilder mit. Ursula Lehr Engagementmotive und –möglichkeiten, Gefühl nützlich zu sein Hohes Motiv und keine Möglichkeiten Geringes bis mittleres Motiv und einige Möglichkeiten Hohes Motiv und viele Möglichkeiten Sehr hohes Motiv und sehr viele Möglichkeiten Engagementmotive und ‐möglichkeiten, Bindung an das Leben Hohes Motiv und keine Möglichkeiten Geringes bis mittleres Motiv und einige Möglichkeiten Hohes Motiv und viele Möglichkeiten Sehr hohes Motiv und sehr viele Möglichkeiten Höchstwert der Skala = 26 / VOL (Lawton et al. 1999) Das Problem des Nicht-mehrGebrauchtwerdens der Frau H. , 95 Jahre Ich bin traurig, dass ich anderen nichts mehr geben kann und die Kinder brauchen mich nicht mehr. Bin mit 95 zu den Enkeln mit dem Zug gefahren, aber ich werde nicht mehr gebraucht und das ist etwas was mir den Lebensinhalt nimmt. Vom Seniorenbüro bin ich nur noch locker eingebunden... hab noch eine Einladung wegen vergangenem Engagement. Ich will nicht als lebende Leiche im Bett liegen, will nicht in die medizinische Mühle. Die Ärztin sagt: Sie ahnen nicht was wir alles operieren müssen, wenn sie keine Verfügung hinterlassen. Ich möchte eine Pille zum Suizid. Gebrauchtwerden und nützlich sein Es muss keine heile Welt sein, aber es muss eine Welt sein, wo die jungen Menschen sehen, da ist ein gewisses System, eine gewisse Ordnung darin. Das ist ein totaler Job. Ich habe großes Glück gehabt. So lange ich das hier habe geht es mir glänzend. Zwischenmenschliche Ereignisse passieren allen Menschen, aber viele nehmen es nicht wahr, dass das jetzt ein Mensch in Not gewesen ist, ich habe es gemerkt und dadurch meine Fähigkeiten entwickelt Mitverantwortung und Engagement auch bei Pflegebedürftigkeit Frau B. 87 Jahre, pflegebedürftig, Besucherin einer Tagespflege und dort mitverantwortlich tätig „Meine Stärke ist, dass ich alles annehmen und verarbeiten kann. Habe Frohnatur in mir.“ Frau K. 87 Jahre, pflegebedürftig, Besucherin einer Tagespflege (früher Spitzenturnerin) „Ich will leben (lacht ausdrucksvoll), dann kann ich anderen noch helfen.“ • • • Aufrechterhaltung einer positiven Lebensperspektive trotz Verletzlichkeit Diese psychologische Leistung kann als Resilienz gedeutet werden Mitverantwortung als Soziale Aktivität trägt wesentlich zur Resilienz bei Mitverantwortung und Engagement auch bei Pflegebedürftigkeit „Wer das Gute sucht, findet es auch“ „Ich lerne viel von anderen Menschen – und da kann man überall einmal hineinhören“ Frau K., 89 Jahre, pflegebedürftig, Besucherin einer Tagespflege und dort helfend tätig „Ich würde auch fühlen, wenn jemand Hilfe braucht“ Mitverantwortung und Engagement auch bei Pflegebedürftigkeit Herr S., 95 Jahre, pflegebedürftig, früher Musiker und Schulamtsdirektor, begleitet regelmäßig die Tagespflege mit Musik Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit