EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA JÖRN STEUDING — WÜRZBURG, KURZSKRIPT WINTERSEMESTER 2013/14 Wir werden sehen, dass das reguläre Siebzehneck mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist: r ! q q q √ √ √ √ √ 2π 1 cos = −1 + 17 + 34 − 2 17 + 2 17 + 3 17 − 34 − 2 17 − 2 34 + 2 17 17 16 Trotz dieser geometrischen Anwendung besteht das Leitmotiv der Algebra im Studium von Polynomen und deren Nullstellen mit Hilfe von assoziierten Strukturen. Rudimentäres Wissen über Polynome, Gruppen, Ringe und Körper wie im Rahmen von Linearer Algebra 1 & 2 wird vorausgesetzt! Meine Skripte zu diesen Vorlesungen sind erhältlich unter http://www.mathematik.uni-wuerzburg.de/∼steuding/lehre.html. Das Skript enthält keine Beweise! Zugrundeliegende Literatur: • A. Baker, An Introduction to Galois Theory, www.maths.gla.ac.uk/ ∼ajb (der Schwerpunkt dieses frei zugänglichen, gut lesbaren online-Skriptes liegt auf der Galois-Theorie) • G. Fischer, Lehrbuch der Algebra, Vieweg, 2. Auflage 2011 (schön aufbereitet, ausführlich und umfangreich) • M. Holz, Repetitorium Algebra, Binomi 2004 (mit 570 Aufgaben und Lösungen!) • F. Lemmermeyer, F. Lorenz, Algebra 1: Körper und Galoistheorie, Spektrum 2004, 4. Auflage (stellt die Körper- und Galoistheorie in den Vordergrund) • K. Meyberg, Algebra, Teil 1 & 2 & Aufgaben und Lösungen, Hanser, 1975-78 (ein Klassiker mit vielen Aufgaben und Lösungen! Kürzlich mit Co-Autor C. Karpfinger wiederaufgelegt) • I. Stewart, Galois Theory, Chapman & Hall/CRC 2004, 3rd ed. (auch ein Klassiker, der buchstäblich die Galoistheorie betont, dabei auch den geschichtlichen Hintergrund beleuchtet!) • B. van der Waerden, A history of algebra. From al-Kwārizmı̄ to Emmy Noether, Springer 1985 (sehr ¯ lesenswerter historischer Abriss) • J. Wolfart, Einführung in die Zahlentheorie und Algebra, Vieweg, 2. Aufl. 2011 (die ultimative Quelle für Zahlentheorie UND Algebra; viele zahlentheoretische Ergebnisse wirkten als Katalysator für die Entwicklung der Algebra!) 1 2 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Inhaltsverzeichnis 1. Kurzer historischer Abriss über das Lösen polynomieller Gleichungen 2. Ringe, Körper und Polynome: Altes und Neues 2.1. Ringe, Körper und ihre Homomorphismen 2.2. Polynome und deren Faktorisierung 2.3. Irreduzibilitätskriterien 2.4. Elementar-symmetrische Polynome 3. Auf zu neuen Ufern: Körpererweiterungen 3.1. Primkörper 3.2. Körpertürme und Gradformel 3.3. Algebraische Erweiterungen 3.4. Der algebraische Abschluss 3.5. Transzendente Erweiterungen 4. Normalität und Separabilität 4.1. Zerfällungskörper 4.2. Normale Erweiterungen 4.3. Algebraische Differentiation 4.4. Endliche Körper 4.5. Separable Erweiterungen 5. Radikale (-) Umbrüche Anfang des neunzehnten Jahrhunderts 6. Galois-Theorie 6.1. Körperautomorphismen und die Galois-Gruppe 6.2. Fixkörper 6.3. Galois-Erweiterungen 6.4. Der Hauptsatz - erster Teil 7. Einfache und auflösbare Gruppen 7.1. Der Satz von Lagrange 7.2. Normalteiler 7.3. Der Hauptpsatz - zweiter Teil 7.4. Umkehrproblem der Galoistheorie 7.5. Auflösbare und einfache Gruppen 7.6. Die Isomorphiesätze 8. Struktursätze der Gruppentheorie 8.1. Die Sylow-Sätze 8.2. Zyklische Gruppen 8.3. Die Struktur der primen Restklassengruppen 8.4. Kreisteilung 9. Finale: Anwendungen der Galois-Theorie 9.1. Radikalerweiterungen 9.2. Was geht? – Unterwegs mit Zirkel und Lineal 9.3. Ein alternativer Beweis des Fundamentalsatzes :-) 9.4. Worüber wir nicht gesprochen haben... ”I hope to interest the Academy in announcing that among the papers of Évariste Galois I have found a solution, as precise as it is profound, of this beautiful problem: whether or not there exists a solution by radicals.” (Liouville an die Pariser Akademie der Wissenschaften am 4. Juli 1843; cf. [I. Stewart, p. xxiii]) 3 5 5 8 10 12 14 14 15 16 18 19 21 21 22 22 23 24 25 31 31 32 33 34 35 35 36 37 37 39 40 41 41 43 43 44 46 46 48 51 52 Kurzer historischer Abriss über das Lösen polynomieller Gleichungen 3 1. Kurzer historischer Abriss über das Lösen polynomieller Gleichungen Die ältesten Disziplinen der Mathematik sind Geometrie und Zahlentheorie. Bereits bei den Babyloniern wurden explizite lineare und quadratische Gleichungen numerisch gelöst. In der Arithmetica des Diophant (wahrscheinlich im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung) finden sich neben solchen expliziten Gleichungen auch Fragestellungen, die auf das Lösen polynomieller Gleichungen (teilweise auch höheren Grades) zurückgeführt und durch geschickte Variablensubstitution gelöst werden. al-Hwārizmı̄ gibt als Erster ¯ mit seiner quadratischen Ergänzung einen geometrisch motivierten Beweis für die Lösung allgemeiner quadratischer Gleichungen aX 2 + bX + c = 0 mit gegebenen reellen Zahlen a, b, c, wobei a 6= 0, durch (die ’Mitternachtsformel’)∗ p 1 (−b ± b2 − 4ac). x1,2 = 2a Hierbei ist jedoch möglicherweise aus einer negativen Zahl die Wurzel zu ziehen, nämlich wenn die Diskriminante bzw. b2 −4ac negativ ist. Mit Hilfe der komplexen Zahlen, welche sich aus den Arbeiten von u.a. Rafael Bombelli (1526-1572) und Albert Girard (15951632) mit den grundlegenden Studien von Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und AugustinLouis Cauchy (1789-1857) etablieren, lässt sich dieses Problem bekanntlich lösen. Übrigens liest man bereits bei Bombelli ’meno di meno uia men di meno fá meno’, was in heutiger Notation (−i) · (−i) = −1 √ mit der imaginären Einheit i = −1 entspräche. Gemäß dem zuerst von Gauß ordentlich formulierten und in seiner Doktorarbeit erstmals bewiesenen Fundamentalsatzes der Algebra besitzt jede polynomielle Gleichung (positiven Grades) genau so viele komplexe Lösungen (mit Vielfachheiten gezählt), wie der Grad der Gleichung angibt. Dieser Satz wird üblicherweise mit analytischen Methoden bewiesen. Als algebraischer Abschluss einer Vervollständigung des Körpers Q der rationalen Zahlen besitzt der Körper C der komplexen Zahlen analytische Eigenschaften, die sich im Wesentlichen durch Grenzwertbetrachtungen erschließen und somit nicht unmittelbar Gegenstand der Algebra sind! al-Hwārizmı̄ (ca. 780 – 850) ist der Namensgeber für das Wort ’Algorithmus’, und er ¯ gilt zudem als Begründer der Algebra. Das Wort ’Algebra’ basiert auf dem Unvermögen der Europäer, das arabische Wort ’al-ğabr’ (Ergänzen) im Titel des von al-Hwārizmı̄ ver¯ fassten Lehrbuchs ’al-Kitāb al-muhta dsar fı̄ hisab al-ğabr wa’l-muqābala’ (etwa ’Kleines ¯ Buch über das Rechnen durch Ergänzung und Ausgleich’) korrekt auszusprechen. Übrigens verdanken wir René Descartes (1596-1650) nicht nur die analytische Geometrie sondern auch einen Großteil des mathematischen Formalismus, den wir oben bereits stillschweigend verwendet haben. Erst mit seinen Arbeiten ziehen Buchstaben als Statthalter für unbekannte Größen ein; wo zuvor noch langatmige, oftmals schwer verständliche Texte einen algebraischen Term beschrieben, notiert Descartes bereits √ aa + bb für die Quadratwurzel aus a2 + b2 . Zwar mag jede Formel in einem populärwissenschaftlichen Buch dessen Verkaufszahl halbieren, aber das Konzept der Formel ist aus der Mathematik heutzutage nicht mehr wegzudenken. Bereits bei Diophant findet man abkürzende Symbole wie etwa ein K für einen Kubus,† aber dies steht eher für eine sprachliche Abkürzung K v́βoζ. Es ist davon auszugehen, dass Diophant (und Vorgänger) beliebige quadratische Gleichungen lösen konnte, er jedoch keine allgemeingültige Formel hierfür aufstellen konnte. Ein Mangel an Kalkül mag der Grund hierfür gewesen sein. ∗ In der Regel notieren wir variable Größen mit großen Buchstaben und benutzen kleine für Zahlen (wie etwa Lösungen polynomieller Gleichungen). † also eine dritte Potenz 4 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Im sechzehnten Jahrhundert bemühten sich zumeist italienische Mathematiker um die Lösung polynomieller Gleichungen dritten und vierten Grades. Im kubischen Fall ist Scipione del Ferro (1465 – 1526) der Erste, der kubische Gleichungen zu lösen vermochte. Auf seinem Totenbett gibt er sein Wissen an seine Schüler weiter: einer dieser Schüler, Tartaglia (ein Spitzname, ’Stotterer’ bedeutend; bürgerlich wohl Niccolò Fontana; 1499/1500 – 1557), tritt in öffentlichen Wettstreiten mit seinen Lösungen an;‡ sein oftmals unterlegener Widersacher Gerolamo Cardano (1501 – 1576) erfährt schließlich Tartaglias Formeln und reproduziert diese ohne dessen Wissen in seinem Lehrbuch ’Ars magna sive de Regulis Algebraicis’, welches er 1545 in Nürnberg veröffentlicht, und macht Tartaglias Geheimnis damit öffentlich! Und so geht’s: Ausgehend von X 3 + AX 2 + BX + C = 0 mit A, B, C ∈ R, erzielt man mittels einer nach Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708) benannten Transformation X 7→ X = X + A 3 die Darstellung (1) X 3 + aX + b = 0 mit a, b ∈ R[A, B, C]; die Koeffizienten a, b, c sind hier polynomielle (explizit berechenbare) Ausdrücke in A, B, C.§ Wir dürfen also annehmen, dass kein quadratischer Term in der kubischen Gleichung auftritt. Mehr Freiheit ergibt sich zunächst vermöge des Ansatzes X = U + V , womit sich (1) übersetzt in U 3 + 3U 2 V + 3U V 2 + V 3 + a(U + V ) + b = 0 bzw. U 3 + V 3 = −b und 3U V = −a (bzw. U 3 V 3 = −( a3 )3 ). Wir setzen nun entsprechend u + v = −b und uv = −( 3a )3 und lösen mit dem Wurzelsatz von François Viète (1540 – 1603) Z 2 + bZ − ( a3 )3 = (Z − u)(Z − v) = 0 durch z = U 3 , V 3 . Damit ergibt sich nun die so genannte Cardanosche Formel r q 3 x = u1 + v1 mit u1 , v1 = − 2b ± ( 2b )2 + ( a3 )3 als Lösung von (1). Hierbei ist u1 eine der drei komplexen Wurzeln und v1 ist durch u1 v1 = − 3a festgelegt; weitere Lösungen von (1) ergeben sich durch √ 2πi x = ζu1 + ζ 2 v1 , ζ 2 u1 + ζv1 mit ζ = exp( ) = 21 (−1 + −3), 3 einer primitive dritten Einheitswurzel. Der Fall nicht-reeller Lösungen (’casus irreduzibilis’) tritt genau dann auf, wenn ( 2b )2 + ( a3 )3 ≥ 0; verschwindet die linke Seite, tritt eine reelle Lösung mehrfach auf. Q Übungsaufgabe 1: Zeige, dass die Diskriminante ∆(P ) := i<j (αi − αj )2 des Polynoms Q X 3 + aX + b = 1≤j≤3 (X − αj ) gegeben ist durch ∆(P ) = −(4a3 + 27b2 ). Was hat dies mit dem Fall ’casus irreduzibilis’ zu tun? Übungsaufgabe 2: Beweise 3= ‡ q q √ √ 3 3 −18 + 325 + −18 − 325. Seine Auseinandersetzung über dreißig zu lösende kubische Gleichungen mit Antonio Maria Fior aus dem Jahre 1535 gilt als die Geburtsstunde der zero-knowledge-Verfahren in der Kryptologie zugrunde liegenden Idee zu vermitteln, ein Geheimnis zu besitzen ohne dieses Preis zu geben! Siehe A. Beutelspacher et al., Moderne Verfahren der Kryptographie: von RSA zu Zero-Knowledge, Vieweg 2006. § Die Beschränkung auf reelle Koeffizienten lässt sich ohne weiteres aufheben, ist aber in unserem Kontext völlig ausreichend. Ringe, Körper und Polynome: Altes und Neues 5 Biquadratische Gleichungen benötigen wiederum eine andere Behandlung, aber auch hier existieren wie im kubischen Falle explizite Lösungsformeln. Lodovico Ferrari (1522 – 1565), jugendlicher Diener von Cardano, hat mit der Rückführung auf den kubischen Fall die richtige Idee. Beispielsweise sei die Gleichung X 4 + 6X 2 + 36 = 60x gegeben. Durch Addition von 6X 2 auf beiden Seiten ergibt sich (X 2 + 6)2 = 6X 2 + 60X. Stünde rechts ein Quadrat, könnte man die Gleichung durch Wurzelziehen lösen. Durch weitere Addition ergibt sich (2) (X 2 + 6 + Y )2 = 6X 2 + 60X + 2X 2 Y + Y 2 + 12Y = (2Y + 6)X 2 + 60X + Y 2 + 12Y. Nun wählt man Y so, dass die rechte Seite ein Quadrat eines Ausdrucks aX + b ist, also (2Y + 6)(Y 2 + 12Y ) = 302 bzw. Y 3 + 15Y 2 + 36Y − 450 = 0; diese kubische Gleichung lässt sich nach dem obigen Muster lösen durch q q √ √ 3 3 y = 190 + 33 903 + 190 − 33 903 − 5 und Einsetzen derselben in (2) liefert nach dem Ziehen der Quadratwurzel eine quadratische Gleichung in X. (Mehr hierzu in van der Waerdens history of algebra oder auch bei Stewart.)) Damit bestehen für beliebige algebraische Gleichungen eines Grades kleiner oder gleich vier stets Formeln, die mit Hilfe rationaler Operationen und Wurzelausdrücken, gebildet aus den Koeffizienten der jeweiligen Gleichung, deren Lösungen darstellt. Man sagt auch, dass sich diese Gleichungen durch Radikale lösen lassen. Hingegen entzieht sich die allgemeine Gleichung fünften Grades den Versuchen der Mathematiker,¶ eine Lösungsformel zu erstellen. Die Lösung dieser Fragestellung im Jahre 1824 durch Niels Henrik Abel (1802 – 1829) benötigt allerdings wesentlich mehr Mathematik als die obigen Termumstellungen. Übungsaufgabe 3: Formuliere ein Verfahren zur Lösung einer allgemeinen Gleichung vierten Grades und wende dieses auf ein nicht-triviales Beispiel an! Knobelaufgabe: Wandele auf Diophants Pfaden und löse sein Problem 24 aus Buch N der Arithmetica: Teile eine gegebene Zahl in zwei Zahlen, so dass deren Produkt gleich einem Kubus minus einer Seite ist. Übertreffe ihn, in dem Du nicht nur ein Beispiel hierfür findest, sondern untersuche darüber hinaus, ob es derer unendlich viele Lösungen gibt! 2. Ringe, Körper und Polynome: Altes und Neues 2.1. Ringe, Körper und ihre Homomorphismen. Eine Gruppe ist eine Menge G ausgestattet mit einer assoziativen Verknüpfung ◦ : G × G → G, (a, b) 7→ a ◦ b, so dass ein neutrales Element e ∈ G existiert (∃e ∈ G mit e ◦ a = a ∀a ∈ G) und für jedes Element ein Inverses existiert (∀a ∈ G ∃a−1 ∈ G mit a−1 ◦ a = e); gilt stets a ◦ b = b ◦ a, so heißt G kommutativ bzw. abelsch (im additiven Fall). Ein Ring R ist eine Menge mit zwei Verknüpfungen (Addition) + und (Multiplikation) ×, so dass R mit der Addition eine abelsche Gruppe ist (also insbesondere ein additiv neutrales Element 0 existiert), die Multiplikation assoziativ ist und die Distributivgesetze gelten. Ein Ring heißt kommutativ, ¶ hier wird das Maskulinum verwendet, weil sich zu dieser Zeit ausschließlich Männer mit diesem Problem beschäftigt haben; erst im zwanzigsten Jahrhundert treten vereinzelt Frauen in der Algebra auf. Diese traurige Unterrepräsentation hat nichts mit Algebra zu tun, sondern war und ist leider auch heute noch in allen Bereichen der Mathematik ausgeprägt! 6 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA wenn die Multiplikation kommutativ ist; existiert ein bzgl. der Multiplikation neutrales Element, nennen wir dies Einselement und notieren es mit 1. Im Folgenden sei R (bis auf weiteres) stets ein kommutativer Ring mit 1 6= 0 (und also insbesondere R 6= {0}) (und wir notieren die Multiplikation oft mit ab oder a · b statt a × b). Ein Gruppenhomomorphismus ist eine Abbildung zwischen Gruppen φ : (G, ◦) → (G′ , ∗), der die Struktur derselben bzgl. der jeweiligen Verknüpfungen erhält, d.h. φ(a ◦ b) = φ(a) ∗ φ(b) für alle a, b ∈ G. Ein solcher Gruppenhomomorphismus ist genau dann ein Isomorphismus, wenn ein weiterer Homomorphismus φ−1 : G′ → G existiert, so dass φ ◦ φ−1 die Identität auf G′ und φ−1 ◦ φ die Identität auf G ist; dieses ist äquivalent zur Bijektivität von φ. Sind hierbei G und G′ Ringe sowohl bzgl. der jeweiligen Additionen als auch bzgl. der jeweiligen Multiplikationen, so ist φ ein Ringhomomorphismus; ferner gelte φ(1) = 1 mit den jeweiligen Einselementen, um triviale Abbildungen auszuschließen. Solch ein Homomorphismus φ heißt Mono-, Epi- oder Isomorphismus, wenn φ injektiv, surjektiv bzw. bijektiv ist. Diese strukturerhaltenden Homomorphismen∗ sind äußerst hilfreich beim Studium von Strukturen. Beispielsweise offenbart der Ringhomomorphismus n 7→ n mod 2, der einer ganzen Zahl ihren Rest bei Division durch 2 zuordnet (also 0 oder 1), bereits viele Informationen über die Parität bei Multiplikation mit der Zahl 2.† Ganz allgemein ist das homomorphe Bilder eines Ringes wieder ein Ring; ist dieser kommutativ, dann auch sein homomorphes Bild. Sämtliche algebraische Eigenschaften werden jedoch im Allgemeinen nur von Isomorphismen übertragen! Ein Integritätsbereich ist ein nullteilerfreier kommutativer Ring mit Einselement; hierbei bedeutet nullteilerfrei, dass aus a · b = 0 stets a = 0 oder b = 0 folgt. Ein Körper K ist ein Integritätsbereich, in dem K \ {0} bzgl. der Multiplikation eine kommutative Gruppe ist; insbesondere besitzt jedes Körperelement a 6= 0 ein eindeutiges Inverses, welches wir mit a−1 oder auch a1 notieren. Beispielsweise ist die Menge Z der ganzen Zahlen ein Integritätsbereich, die Menge N der natürlichen Zahlen jedoch nicht. Ferner ist die Menge Q der rationalen Zahlen ein Körper, nicht aber Z. Weitere Beispiele liefern die Restklassenringe modulo q Z/qZ = {a + qZ : a ∈ Z} mit a + qZ := {a + qm : m ∈ Z}, wobei q ∈ N. Hinter den letzt genannten Beispielen steckt eine allgemeine Konstruktionsmethode: Sei R ein kommutativer Ring mit 1 6= 0. Dann heißt eine Teilmenge I Ideal in R, wenn I eine additive Untergruppe von R ist, die bzgl. Multiplikation mit Ringelementen abgeschlossen ist. In diesem Fall entsteht vermöge der Äquivalenzrelation a ≡ b mod I : ⇐⇒ b−a∈I ⇐⇒ b∈ a+I die Menge R/I := {a + I : a ∈ R} mit den (Äquivalenz- bzw.) Restklassen a + I := {a + i : i ∈ I} modulo I. Tatsächlich ist R/I mit den wohldefinierten Verknüpfungen der Addition + (a + I) + (b + I) := (a + b) + I und Multiplikation × ∗ (a + I) × (b + I) := (a × b) + I Ein Pleonasmus; etymologisch rührt Homomorphismus von folgenden Wörtern her: homós für ’ähnlich’ und morphé für ’Form’. † Der Kern besteht genau aus den geraden ganzen Zahlen 2Z, welche einen Unterring in Z bilden; was genau ein Unterring ist, mag sich die LeserIn selbst überlegen. Darüber hinaus ist 2Z sogar ein Ideal: Multiplikation mit einer geraden Zahl liefert eine gerade Zahl – eine triviale, aber in der Zahlentheorie durchaus hilfreiche und ausbaufähige Beobachtung! Ringe, Körper und Polynome: Altes und Neues 7 ein kommutativer Ring mit Einselement 1 + I (und Nullelement I), der sogenannten Restklassenring modulo I (bzw. Faktorring). Die kanonische Projektion (bzw. Quotientenabbildung) π : R → R/I, r 7→ r + I ist ein surjektiver Ringhomomorphismus. Über die homomorphen Bilder solcher Restklassenringe R/I gibt der folgende Satz Auskunft: Satz 2.1 (Homomorphiesatz für Ringe). Sei φ : R → R′ ein surjektiver Ringhomomorphismus. Dann ist der Kern ker φ = I ein Ideal in R und ι : R/I → R′ , a + I 7→ φ(a) ist ein Isomorphismus von Ringen; insbesondere gilt R/I ∼ = R′ und ι ◦ π = φ. Für die additiven Gruppen der Ringe induziert ι insbesondere einen Gruppenhomomorphismus (dazu jedoch mehr, wenn wir uns eingehend mit Gruppen beschäftigen werden). Im Falle von Körpern K und K′ spricht man von einem Körper-Homomorphismus, wenn stets + φ(α + × β) = φ(α) × φ(β) und φ(1) = 1. Die einzigen Ideale in einem Körper K sind {0} und K selbst. Ein Ideal I = 6 R in einem kommutativen Ring R heißt maximal, wenn für jedes Ideal J mit I ⊂ J ⊂ R entweder J = I oder J = R gilt. Satz 2.2. Sei R ein kommutativer Ring mit 1 6= 0 und I ein Ideal. Dann ist R/I genau dann ein Körper, wenn I maximal ist. Mit Hilfe des euklidischen Algorithmus (nach Euklid, ca. 600 vor unserer Zeitrechnung) erweist sich so der Restklassenring Z/qZ genau dann als Körper, wenn q eine Primzahl ist (denn genau für solche q ist das Ideal I = qZ maximal in Z).‡ In diesem Fall nennen wir Fq := Z/qZ den Restklassenkörper modulo q. Mit den Restklassen [a] := a + qZ lässt sich wie mit ganzen Zahlen rechnen: Per Definition ist [a + b] = [a] + [b] und entsprechendes besteht für die Multiplikation, sowie P ([a]) = [P (a)] für jedes Polynom P ∈ Z[X]. Es gilt genau dann [a] = [b] bzw. a + qZ = b + qZ, wenn a − b ein Vielfaches von q ist, wofür wir abkürzend a ≡ b mod q : ⇐⇒ a − b ∈ qZ schreiben. Diese auf Gauß zurückgehende modulare Arithmetik§ ist von zentraler Bedeutung in der Zahlentheorie (insbesondere bei Teilbarkeitsuntersuchungen). Dieses zahlentheoretische Beispiel steht historisch vor dem abstrakten Satz 2.2; tatsächlich sind viele Begriffe und Konzepte der Algebra durch Abstraktion konkreter zahlentheoretischer oder geometrischer Beispiele entstanden! Eine weitere Konstruktion von Ringen bzw. Körpern ergibt sich durch Quotientenbildung. Ganz ähnlich wie der Körper Q der rationalen Zahlen aus dem Ring Z der ganzen Zahlen konstruiert wird, lässt sich zu einem gegebenen Integritätsbereich R ein Quotientenkörper Quot(R) bestehend aus Quotienten a/b mit a, b ∈ R bilden: Übungsaufgabe 3: Sei R ein Integritätsbereich. Beweise, dass hierzu K := {ab−1 : a, b ∈ R, b 6= 0} ein Körper ist und dieser bis auf Isomorphie eindeutig ist mit der Eigenschaft, dass K der kleinste Körper ist, der R als Unterring enthält. Jeder Integritätsbereich lässt sich also in einen Körper einbetten! Dies ist ohne die Annahme der Nullteilerfreiheit offensichtlich falsch. Übungsaufgabe 4: Sei K ein Körper. Zeige, dass die Menge K(X) =: {P/Q : P, Q ∈ K[X], Q 6≡ 0} aller rationalen Funktionen einer Veränderlichen X der Quotientenkörper des Polynomrings K[X] ist. ‡ Eine natürliche Zahl n > 1, die keine echten Teiler besitzt, heißt Primzahl; Eigenschaften derselben und auch der euklidische Algorithmus werden nicht hier sondern in der Zahlentheorie studiert! § siehe seine Disquisitionae Arithmeticae von 1801 8 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA 2.2. Polynome und deren Faktorisierung. (In Hinblick auf die letzte Aufgabe wiederholen wir einige weitere Begriffe:) Ein Polynom P mit Koeffizienten aj aus einem Ring R ist ein formaler Ausdruck der Gestalt P = an X n + an−1 X n−1 + . . . + a1 X + a0 mit einer Unbestimmten X. Gilt für den Leitkoeffizienten an 6= 0, so ist deg P = n der Grad von P ; ist der Leitkoeffizient an = 1, heißt P normiert. Wir schreiben manchmal P (X) um die Abhängigkeit von der Variablen X zu betonen.¶ Ist R ein Ring, dann bildet auch die Menge R[X] := {P = an X n + an−1 X n−1 + . . . + a1 X + a0 : aj ∈ R} mit der üblichen Addition und Multiplikationk von Polynomen einen Ring; ist R darüberhinaus ein Integritätsbereich, dann auch R[X]. Dabei gilt für die Grade bzgl. der Verknüpfungen offensichtlich deg(P + Q) ≤ max{deg P, deg Q} und deg(P · Q) = deg P + deg Q. Unter einer rationalen Funktion verstehen wir den Quotienten zweier Polynome. Später werden wir auch Polynome und rationale Funktionen mehrerer Unbestimmter betrachten. Übungsaufgabe 5: Sei R ein Ring. Beweise: Der Ring R[X] der Polynome ist isomorph zur Menge aller unendlich-dimensionalen Vektoren (a0 , a1 , . . .) ∈ RN , für welche jeweils nur endlich viele aj ungleich null sind, ausgestattet mit der üblichen Vektoraddition und der durch das Cauchy-Produkt erklärten Multiplikation. ergibt sich so ein zu R[X] isomorpher Vektorraum. Zeige ferner, dass die Abbildung ′ : P = (a0 , a1 , . . . , an , . . .) 7→ (a1 , 2a2 , . . . , (n + 1)an+1 , . . .) =: P ′ linear ist und, dass der Kern dieser Abbildung R ist. Was hat dies mit der Ableitung aus der Analysis zu tun? Nun kommen wir zum polynomiellen Analogon der Primfaktorzerlegung ganzer Zahlen: Sei R ein Integritätsbereich; dann heißt ein vom Nullpolynom verschiedenes Polynom P ∈ R[X] irreduzibel, wenn in jeder Produktzerlegung P = P1 P2 mit Polynomen Pj innerhalb des Polynomrings stets mindestens einer der Faktoren Pj eine Einheit ist (also eine Gleichung Pj Q = 1 mit einem weiteren Polynom Q besteht); ansonsten heißt P reduzibel. Irreduzibilität hängt vom Koeffizientenring ab. Beispielsweise ist X 2 + 1 über R irreduzibel, jedoch reduzibel über C, wie die Faktorisierung √ X 2 + 1 = (X − i)(X + i) mit i = −1 zeigt. Hier und im Folgenden bezeichnet die imaginäre Einheit i die Quadratwurzel aus −1, welche in der oberen komplexen Halbebene liegt (wenngleich diese geometrische Festlegung algebraisch unerheblich ist). Über einem Körper sind lineare Polynome stets irreduzibel; die konstanten Polynome 6= 0 sind in diesem Fall Einheiten. Satz 2.3. Sei K ein Körper. Dann ist der Polynomring K[X] faktoriell. Jedes vom Nullpolynom verschiedene P ∈ K[X] besitzt eine (bis auf die Reihenfolge der Faktoren) eindeutige Faktorisierung P = ǫP1 · . . . · Pn in ein Produkt normierter irreduzibler Polynome P1 , . . . , Pn ∈ K[X] positiven Grades und einer Einheit ǫ ∈ K. ¶ Hingegen ist f : K → K eine Polynomfunktion, wenn hierzu ein P ∈ K[X] existiert, so dass f (α) = P (α) für jedes α ∈ K; während für Körper K mit unendlich vielen Elementen diese Begriffe zusammenfallen, offenbart etwa das vom Nullpolynom verschiedene X 2 + X ∈ F2 [X] die Schwierigkeit des Polynombegriffs über Körpern mit nur endlich vielen Elementen. k als Cauchy-Produkt Ringe, Körper und Polynome: Altes und Neues 9 Im Falle von konstanten Polynomen ist das Produkt über die Pj leer. Der Beweis verläuft analog zum Nachweis der eindeutigen Primfaktorzerlegung der ganzen Zahlen und basiert auf sukzessiver Division mit Rest (statt euklidischem Algorithmus nun Polynomendivision): Gegeben P, Q ∈ K[X] existieren eindeutig bestimmte q, r ∈ K[X] mit P = qQ + r mit deg r < deg Q. Darauf aufbauend lässt sich der größte gemeinsame Teiler ggT von Polynomen definieren; zwei Polynome heißen teilerfremd, wenn die einzigen polynomiellen Teiler konstant sind. Ist K ein Körper und sind P1 , P2 ∈ K[X] teilerfremd, dann existieren Polynome Q1 , Q2 ∈ K[X] mit P1 Q1 + P2 Q2 = 1. Im Falle Z anstelle des Polynomrings K[X] ist diese Aussage der Satz von Bézout nach Étienne Bezout (1730 – 1783) und die explizite Lösung der entsprechenden Gleichung p1 X + p2 Y = 1 gelingt etwa mit dem euklidischen Algorithmus. Eine weitere Analogie: Gilt P | P1 P2 mit einem irreduziblen Polynom P , so wird mindestens einer der Faktoren bereits von P geteilt wird. Im Falle des Ringes Z der ganzen Zahlen besitzen, wie bereits in Euklids Elementen zu lesen ist, genau die Primzahlen die entsprechende Eigenschaft, dass nämlich ein durch eine Primzahl teilbares Produkt mindestens einen Faktor besitzt, der von dieser Primzahl geteilt wird (was jedoch offensichtlich falsch für zusammengesetzte Zahlen ist, wie 6 = 2 · 3 zeigt). Insofern bilden die irreduziblen Polynome die Analoga der Primzahlen! Diese Konzepte lassen sich folgendermaßen verallgemeinern: Es seien r und t Elemente in einem Integritätsbereich R. Dann ist t ein Teiler von r, in Zeichen t | r, wenn r = s · t für ein s ∈ R gilt; Teiler des Einselementes 1 nennen wir Einheiten. Ist t kein Teiler von r, notieren wir dies mit t ∤ r. Ein Element r ∈ R, welches weder null noch Einheit ist, heißt irreduzibel, wenn es nur von sich selbst und von Einheiten geteilt wird, wenn also in jeder Zerlegung r = s · t in R mindestens einer der Faktoren s oder t eine Einheit ist; ansonsten heißt r reduzibel. Neben der Null und den Einheiten sind also genau die Elemente reduzibel, die eine Darstellung als Produkt von Nichteinheiten besitzen. In Verallgemeinerung der Notation bei ganzen Zahlen schreiben wir ferner a ≡ b mod t, wenn t ein Teiler von a − b ist. Die Einheiten eines Ringes R bilden eine multiplikative Gruppe, welche wir als R∗ notieren; im Falle eines Körpers besteht diese aus allen von null verschiedenen Elementen. Ein Integritätsbereich R heißt faktorieller Ring,∗∗ wenn jedes Element r ∈ R \ {0} eine Produktzerlegung von r in irreduzible Elemente rj ∈ R besitzt, d.h. r = r1 · . . . · rn für gewisse irreduzible rj ∈ R, welche bis auf die Reihenfolge der Faktoren und Multiplikation mit Einheiten eindeutig ist. Auf Grund der√ eindeutigen Primfaktorzerlegung ist Z ein faktorieller Ring, nicht √ jedoch der Ring Z[ −5] := {a + b −5 : a, b ∈ Z}, denn hier bestehen mit beispielsweise √ √ 2 · 3 = (1 − −5) · (1 + −5) nicht eindeutige Faktorisierungen in irreduzible Elemente. Darüber hinaus nennt man eine von null verschiedene Nichteinheit p eines Integritätsbereiches R ein Primelement (oder kurz prim), wenn aus p | ab in R stets p | a oder p | b gilt. √ √ Übungsaufgabe 6: Zeige, dass 2, 3, 1 ± −5 irreduzibel in Z[ −5] sind, aber nicht prim. √ Das Beispiel des nicht-faktoriellen Rings Z[ −5] geht auf Richard Dedekind (1831 – 1916) zurück, der eingehend die Arithmetik solcher Ringe studierte und wesentliche Teile der Ring- und Ideal-Theorie begrüdente und damit wesentlich über die obigen Sätze (die wohl im Wesentlichen bereits Gauß bekannt waren) hinausging. Von ähnlicher Struktur ∗∗ in einiger Literatur auch ZPE-Ring (für Zerlegung in Primelemente eindeutig) 10 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA √ wie Z[ −5] sind tatsächlich viele Ringe im folgenden Sinne: Seien R, R′ kommutative Ringe mit Einselement und R ⊂ R′ , dann ist für jedes α ∈ R′ die Abbildung φα : R[X] → R′ , P 7→ P (α) φα : R[X] → C, P 7→ P (α) ein Ringhomomorphismus, der so genannte Einsetzungshomomorphismus. Das Bild von φα wird mit R[α] bezeichnet. Beispielsweise ist für irrationale α ∈ C durch mit R = Z oder Q ein solcher Einsetzhomomorphismus gegeben; im Falle eines quadratisch irrationalem ᆆ ist dabei Q[α] ein Körper, welchen wir auch mit Q(α) bezeichnen dürfen (s.o.). Ein weiteres Beispiel ist für eine quadratische Matrix A ∈ Kn×n gegeben durch den Einsetzungshomorphismus ‡‡ φA : K[X] → Kn×n , P 7→ P (A) mit Bild K[A]. Ein Ideal I in einem Integritätsbereich, welches von einem Element erzeugt wird, d.h. I = (i) := {r · i : r ∈ R} mit einem i ∈ I, heißt Hauptideal; sind Ideale stets Hauptideale, so ist R ein Hauptidealring. Ein zentrales Resultat zur weiteren Struktur von Polynomringen über einem Körper liefert Satz 2.4. Ist K ein Körper, so ist K[X] ein Hauptidealring. Übungsaufgabe 7: Zeige, dass ein Hauptidealring stets faktoriell ist. Begründe ferner am Beispiel Z[X], dass die Umkehrung i.A. nicht gilt. Speziell die irreduziblen Polynome sind interessant, erzeugen sie doch die maximalen Ideale in K[X]. Mittels Satz 2.2 erhalten wir so weitere (u.U. auch bereits bekannte) Körper. Beispielsweise zeigt sich so C ∼ = R[X]/(X 2 + 1) auf Grund der Irreduzibilität von X 2 +1 über R. Die Isomorphie erklärt sich insbesondere durch den Einsetzungshomomorphismus ϕi : R[X] → C, 7→ P (i). Allgemeiner gilt Satz 2.5. Sei K ein Körper und P ∈ K[X] irreduzibel. Dann ist (P ) ein maximales Ideal in K[X] und K[X]/(P ) ein Körper. Und noch allgemeiner gilt: Ist a irreduzibel in einem Hauptidealring R, so ist R/(a) ein Körper. 2.3. Irreduzibilitätskriterien. Im Folgenden wollen wir den wichtigen (und nicht einfachen) Irreduzibilitätsbegriff genauer untersuchen. Beachte hierzu: 3X ist irreduzibel in Q[X], aber reduzibel in Z[X]; hingegen ist das konstante Polynom 3 irreduzibel in Z[X], aber reduzibel in Q[X].∗ Bemerkenswerterweise lässt die Integritätsbereichserweiterung Z[X] ⊂ Q[X] Irreduzibilität im wesentlichen unverändert: Satz 2.6 (Lemma von Gauß). Ist P ∈ Z[X] nicht konstant und irreduzibel, dann ist P auch irreduzibel in Q[X]. Ferner ist Z[X] faktoriell. Zum Nachweis mag man den Begriff der Primitivität verwenden: Durch Multiplikation mit einer geeigneten ganzen Zahl lässt sich ein vom Nullpolynom verschiedenes Polynom P ∈ Q[X] stets ohne Veränderung der Nullstellen (bzw. der Faktorisierung in irreduzible Polynome) in ein über Z definiertes Polynom überführen. Hierbei kann man stets erzielen, dass die Koeffizienten teilerfremd sind und der Leitkoeffizient positiv ist; solche Polynome †† Hier ist α eine irrationale Zahl, die Nullstelle eines quadratischen Polynoms P ∈ Z[X] ist; solche √ Zahlen besitzen eine Darstellung α = a + b d mit a, b ∈ Q und einem quadratfreien d ∈ Z. ‡‡ Dieser hat eine wichtige Rolle in der linearen Algebra im Kontext der Jordanschen Normalform gespielt! ∗ Beachte 3 ist eine Einheit in Q. Tatsächlich weicht die Definition (ir)reduzibler Polynome P bei Stewart von denen anderer Autoren dahingehend ab, dass reduzible P eine Darstellung P = P1 P2 mit Polynomen desselben Rings eines Grades deg Pj < deg P besitzen. Ringe, Körper und Polynome: Altes und Neues 11 heißen primitiv. Sicherlich sind irreduzible Polynome primitiv, jedoch gilt sicher nicht die Umkehrung im Allgemeinen. Gauß zeigte, dass das Produkt primitiver Polynome wieder primitiv ist. Die Aussage des Gaußschen Satzes lässt sich unschwer auf faktorielle Ringe ausdehnen: Übungsaufgabe 8: Sei R faktoriell. Zeige: ist P ∈ R[X] irreduzibel, dann ist P auch irreduzibel in Quot(R)[X]. Das Gaußsche Lemma erlaubt folgendes starkes Irreduzibilitätskriterium: Satz 2.7 (Irreduzibilitätskriterium von Schönemann 1846, Eisenstein 1850). Sei P = an X n + . . . + a1 X + a0 mit aj ∈ Z. Existiert eine Primzahl p mit den Eigenschaften • p ∤ an , d.h. der Leitkoeffizient ist kein Vielfaches von p; • p | aj für j < n, d.h. die nachfolgenden Koeffizienten sind Vielfache von p; • p2 ∤ a0 , d.h. der konstante Term ist kein Vielfaches von p2 . Dann ist P irreduzibel in Q[X]. Dieses Irreduzibilitätskriterium ist in der modernen Literatur oft nur nach Gotthold Eisenstein (1823 – 1852) benannt, währenddessen die entsprechende Arbeit von Theodor Schönemann (1812 – 1868) älter ist und Eisenstein bekannt gewesen sein sollte.† Wir geben einige Anwendungsbeispiele: Ist p eine Primzahl, dann ist also X n − p irreduzibel in Z[X] für jedes n ∈ N und entsprechend p1/n irrational für n ≥ 2. Ferner ist für primes p das Polynom X (3) Φp = X j = X p−1 + X p−2 + . . . + X + 1 0≤j<p irreduzibel über Q. Dies folgt wiederum durch Anwenden des Schönemann– Eisensteinschen Irreduzibilitätskriteriums auf P (X) = Φp (X + 1). In diesem Zusammenhang interessant ist auch der nach Ferdinand Georg Frobenius (1849 – 1917) benannte Frobenius-Automorphismus σp : Fp → Fp , a 7→ ap (der uns später in einem etwas größeren Kontext noch des öfteren beschäftigen wird). Der Nachweis der Homomorphismus-Eigenschaft‡ (4) (x + y)p = xp + y p für beliebige ( pk ) x, y ∈ Fp basiert auf der Teilbarkeit der Binmoialkoeffizienten bzgl. der Primzahl p mit 1 ≤ k < p. Hieraus ergibt sich leicht der nach Pierre de Fermat (1607(?) – 1665) benannte kleine Fermatsche Satz, dass stets xp ≡ x mod p für beliebige Primzahlen p und ganze Zahlen x.§ Übungsaufgabe 9: Untersuche die Polynome Φn := X n + X n−1 + . . . + X + 1 für n = 4, 5, 6, 7, 8 auf Irreduzibilität in Q[X]; faktorisiere ggf. in ein Produkt irreduzibler Faktoren. Stelle eine Vermutung auf, für welche n das Polynom Φn irreduzibel ist! Übungsaufgabe 10: Beweise folgende Variante des Kriteriums von SchönemannEisenstein: Sei R ein faktorieller Ring, p ∈ R ein Primelement und P := an X n + † Siehe hierzu auch: D.A. Cox, Why Eisenstein Proved the Eisenstein Criterion and Why Schönemann Discovered It First, Amer. Math. Monthly 118 (2011), 3-21 ‡ mitunter auch als freshman’s dream oder idiot’s binomial theorem in der einschlägigen Literatur bekannt § Die Umkehrung gilt für die meisten Module p ∈ Z, aber nicht für alle, wie etwa die zusammengesetzte Zahl p = 561 = 3·11 cdot17 zeigt; insofern liefert dies keinen einfachen Primzahltest. Allerdings lässt sich der ’kleine Fermat’ zu einem deterministischen Primzahltest (in Polynomialzeit) ausbauen wie Agrawal et al. zeigten; siehe M. Agrawal, N. Kayal, N. Saxena, Primes is in P, Ann. Math. 160 (2004), 781-793. 12 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA an−1 X n−1 + . . . + a1 X + a0 ∈ R[X]. Gilt p ∤ an und p | aj für j < n sowie p2 ∤ a0 , dann ist P irreduzibel in R[X] und Quot(R)[X]. Nun noch eine andere Methode zur Aufdeckung von Irreduzibilität: Die kanonische Projektion Z → Z/qZ mit einer natürlichen Zahl q erhält Faktorisierungen von Polynomen P = P1 P2 in Z[X]; ist der Leitkoeffizient von P kein Vielfaches von q und P irreduzible in Z/qZ[X], so ist P irreduzibel in Z[X]. Hierbei liegt es nahe für q geeignete Primzahlen zu wählen, weshalb diese Vorgehensweise Reduktion modulo p genannt wird. Beispielsweise erweist sich so P = X 4 + 15X 3 + 7 als irreduzibel in Z[X] (bzw. Q[X]), denn Reduktion modulo 5 führt auf das Polynom P̃ = X 4 + 2 in F5 [X], welches weder einen linearen noch einen quadratischen Teiler besitzt (da stets x4 6= 2 in F4 und auch P̃ = (X 2 + aX + b)(X 2 + cX + d) über F5 unmöglich ist). Polynomringe R[X1 , . . . , Xn−1 , Xn ] in mehreren Unbestimmten X1 , . . . , Xn erklärt man induktiv vermöge (R[X1 , . . . , Xn−1 ])[Xn ]. Die Elemente sind hier formale endliche Summen der Gestalt X aj1 ,...,jn X1j1 · . . . · Xnjn , P = j1 ,...,jn wobei die jk nicht-negative ganze Zahlen sind und die Koeffizienten dem Ring R entstammen. Im Falle eines Grundkörpers K anstelle des Ringes R notieren wir den bis auf Isomorphie eindeutigen Quotientenkörper mit K(X1 , . . . , Xn−1 , Xn ) als den Körper der rationalen Funktionen in mehreren Unbestimmten. Als Anwendung zeigt sich so etwa die Irreduzibilität von P = X n + Y n − 1 ∈ Z[X, Y ] für jedes n ∈ N. Die reellen Nullstellen eines solchen Polynoms in zwei Unbestimmten bilden eine Kurve in der euklidischen Ebene (siehe links oben die Kurve zum Exponenten n = 5, rechts diejenige für n = 12); die Irreduzibilität von P ist den Graphen anzusehen! Andrew Wiles bewies 1994 die Fermatsche Vermutung, dass nämlich für beliebigen Exponenten n ≥ 3 keine Punkte mit rationalen Koordinaten außer den trivialen (±1, 0) und (0, ±1) auf diesen Kurven X n + Y n = 1 liegen. Vor kurzem veröffentlichte ein namhafter Mathematiker ein Gegenbeispiel im Falle n = 12; auf der nächsten Seite ein Bild dieses Mannes bei seiner Arbeit. Sicherlich liegen unendlich viele rationale Punkte auf X 2 + Y 2 = 1. 2.4. Elementar-symmetrische Polynome. Wir erinnern in diesem Zusammenhang and den vorangegangenen Exkurs über Lösungen polynomieller Gleichungen kleinen Grades: Beispielsweise gilt (im Sinne des Satzes von Viète) (X − α1 )(X − α2 ) = X 2 − (α1 + α2 ) + α1 α2 , so dass also die Koeffizienten sich als Funktionen der Nullstellen manifestieren. Im kubischen Fall und auch bei Polynomen höheren Grades offenbaren sich ganz ähnliche Ringe, Körper und Polynome: Altes und Neues 13 Abhängigkeiten mit einer Vielzahl von Symmetrien: Y X (X − αj ) = (−1)j sj (α1 , . . . , αn )X n−j 1≤j≤n 0≤j≤n mit den elementar-symmetrischen Polynomen sj := sj (α1 , . . . , αn ) definiert durch s0 s1 = 1, = α1 + . . . + αn , s2 = α1 α2 + . . . + α1 αn + α2 α3 + . . . + α2 αn + . . . + αn−1 αn , s3 = α1 α2 α3 + . . . , .. .. . . sn = α1 · . . . · αn . Allgemein heißt eine Funktion f symmetrisch, wenn f (X1 , . . . , Xn ) = f (Xσ(1) , . . . , Xσ(n) ) für alle Permutationen σ der symmetrischen Gruppe Sn gilt. Zur Erinnerung: Die Menge der bijektiven Abbildungen σ : Nn := {1, 2, . . . , n} → Nn bildet mit der Komposition von Abbildungen eine Gruppe und heißt symmetrische Gruppe.¶ Beispiele symmetrischer Funktuionen sind die elemntar-symmetrischen Polynome; aus diesen lassen sich sämtliche symmetrischen Funktionen konstruieren. In Verallgemeinerung von X12 + X22 = (X1 + X2 )2 − 2X1 X2 = s21 − 2s2 mit Xj statt αj gilt nämlich Satz 2.8 (Hauptsatz über elementar-symmetrische Funktionen). Sei R ein kommutativer Ring mit 1 6= 0 und f ∈ R[X1 , . . . , Xn ] symmetrisch. Dann existiert ein eindeutiges Polynom P ∈ R[Y1 , . . . , Yn ], so dass f (X1 , . . . , Xn ) = P (s1 (X1 , . . . , Xn ), . . . , sn (X1 , . . . , Xn )). Der recht technische Induktionsbeweis basiert auf dem Prinzip der lexikographischen Ordnung (und für den Beweis sei auf [Fischer, §III.4.1] verwiesen). ¶ Bereits Joseph-Louis Lagrange (1736 – 1813) studierte die elementarsymmetrischen Polynome im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zu polynomiellen Gleichungen; Cauchy entwickelte als Erster eine systematische Theorie der symmetrischen Gruppen. 14 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Übungsaufgabe 11: Zeige, dass das Polynom X 3 Z ∈ Z[X, Y, Z] nicht symmetrisch ist, sich aber zu einem symmetrischen Polynom ergänzen lässt, nämlich Q := X 3 Z + XZ 3 + X 3 Y + XY 3 + Y Z 3 + Y 3 Z; Finde die Darstellung von Q als Polynom in den elementarsymmetrischen Funktionen s1 , s2 , s3 (dem Beweis des Hauptsatzes folgend). √ √ Knobelaufgabe: Welche reellen Lösungen besitzt die Gleichung 4 97 − X + 4 X = 5? Und was hat Deine Lösung mit elementar-symmetrischen Polynomen zu tun? 3. Auf zu neuen Ufern: Körpererweiterungen 3.1. Primkörper. Sind K und L Körper und K ⊂ L, so heißt L eine Körpererweiterung von K, in Zeichen: L/K; hierbei nennt man L den Oberkörper von K bzw. K den Unterkörper (bzw. Teilkörper) von L. √ Beispielsweise ist Q( 2)/Q eine Körpererweiterung mit dem Körper √ √ Q( 2) := {a + b 2 : a, b ∈ Q}. √ und Ferner ist R/Q( 2) eine Körpererweiterung √ auch R/Q; letztere besitzt Q( 2) als Zwischenkörper. Wir notieren derartige Verwandschaftsverhältnisse mit Diagrammen der nebenstehenden Art: R | √ Q( 2) | Q Primzahlen bzw. -elemente stehen für das unteilbare; solch eine atomare Unterstruktur ist auch in Körpern auffindbar: Weder Q noch die Restklassenkörper Fp = Z/pZ besitzen Unterkörper; hingegen sind diese stets die kleinsten Unterkörper: Satz 3.1. Jeder Körper L besitzt einen eindeutig bestimmten, (im mengentheoretischen Sinne) kleinsten∗ Unterkörper K, den so genannten Primkörper. Dieser ist entweder isomorph zu Q oder zu einem Restklassenkörper Fp mit einer Primzahl p und die Charakteristik von L ist entsprechend definiert durch 0 falls K ∼ = Q, char L = p falls K ∼ = Fp . Sind alle Summen ±(1 + . . . + 1) in L verschieden, existiert ein eindeutig bestimmter injektiver Ringhomomorphismus φ : Z → L; andernfalls ist φ nicht injektiv und die Charakteristik char L ist gleich der minimalen Summe von p Einsen, die sich zu null aufsummieren: 1 + . . . + 1 = 0. Der Kern dieses Ringhomomorphismus ist also entweder trivial oder das Ideal pZ mit einer Primzahl p, je nachdem ob die Charakteristik als null oder positiv ausfällt. In jedem Fall lässt sich Z mittels φ in einen Körper L einbetten. Übungsaufgabe 12: Übertrage den Begriff der Charakteristik auf kommutative Ringe mit Einselement und formuliere und beweise ein Analogon zu dem obigen Satz. Jeder Unterkörper von C besitzt Q als Primkörper. Die Körper K und der zugehörige Körper der rationalen Funktionen K(X) besitzen denselben Primkörper. Sei L/K eine Körpererweiterung und M ⊂ L. Dann heißt die Menge M ein Erzeugendensystem für L/K, wenn L der kleinste Körper ist, der sowohl K als auch M enthält. In diesem Fall sagen wir, dass L aus K durch Adjunktion von M entsteht und notieren L = K(M). Ist M endlich, so ist L/K eine endlich erzeugte Körpererweiterung; existiert ein α ∈ L, so dass L = K(α) gilt, wenn also M einelementig ist, dann spricht man von einer einfachen Erweiterung. Im Falle M = {α1 , . . . , αn } erhalten wir K(α1 , . . . , αn ) = {x/y : x, y ∈ K[α1 , . . . , αn ]}. ∗ Der kleinste Unterkörper eines Körpers ist der Durchschnitt aller Unterkörper. Auf zu neuen Ufern: Körpererweiterungen 15 als Quotientenkörper des Rings K[α1 , . . . , αn ] := {P (α1 , . . . , αn ) : P ∈ K[X1 , . . . , Xn ]}, der seinerseits durch Einsetzen der αj für die Unbestimmten Xj im Polynomring K[X1 , . . . , Xn ] ensteht. Übungsaufgabe 13: Zeige, dass K(α1 , . . . , αn ) der Quotientenkörper von K[α1 , . . . , αn ] ist. Wie hängen die Primkörper von K und K(α1 , . . . , αn ) voneinander ab? 3.2. Körpertürme und Gradformel. Sei L/K eine Körpererweiterung. Dann ist L ein Vektorraum über K und dessen Dimension wird mit Grad bezeichnet und mit [L : K] notiert. Die Körpererweiterung heißt L/K endlich, wenn [L : K] < ∞; andernfalls ist L/K eine unendliche Erweiterung.† Beispielsweise ist C √ ein Vektorraum der Dimension zwei über R und eine Basis ist gegeben durch 1, i = −1, während R/Q auf Grund der Überabzählbarkeit von R (nach Georg Cantor (1845 – 1918)) keine endliche Erweiterung ist.‡ Satz 3.2 (Gradformel). Im Falle von Körpererweiterungen M/L und L/K ist M/K genau dann endlich, wenn M/L und L/K endlich sind; in diesem Fall besteht die Gradformel [M : K] = [M : L][L : K]. Diese Formel lässt sich wie ein Kürzen des Zwischenkörpers L in der Erweiterung M/K lesen: M/L × L/K √ = M/K. Übrigens impliziert [L : K] = 1 unmittelbar L = K. Der Körper Q( 3 2) besteht aus der Menge aller§ √ √ 2 3 3 α+β 2+γ 2 mit α, β, γ ∈ Q. √ √ 2 √ 3 Hier ist der Grad [Q( 2) : Q = 3 (denn hier sind 1, 3 2√und 3 2 linear unabhängig über Q)) und damit eine Primzahl. Insbesondere besitzt Q( 3 2)/Q keine Zwischenkörper! √ √ Q( 3 2, −3) ❂❂ qq ❂❂ 2 qqq ❂❂ qq q ❂❂ q q ❂❂ 3 √ 3 ❂❂ Q( 2) ❂❂ ❁❁ ❂❂ ❁❁ ❂❂ ❁❁ ❂ ❁❁ √ ❁❁ Q( −3) 3 ❁❁ ❁❁ ♦♦ ❁❁ ♦♦♦ ♦ ♦ ❁❁ ♦♦♦ 2 ♦♦♦ Q Beispielsweise gelten √ √ √ 3 3 [Q( 2, −3) : Q( 2)] = 2 sowie √ 3 Q( 2) : Q] = 3 und mit der Gradformel folgt also √ √ √ 3 3 [Q( 2, −3) : Q( 2)] √ √ √ 3 3 = [Q( 2, −3) : Q( 2)] × √ 3 ×[Q( 2) : Q] = 2 × 3 = 6. Dasselbe Argument entlang des anderen Pfades ergibt natürlich dasselbe Ergebnis. √ √ √ √ Übungsaufgabe 14: Bestimme [Q( 5, 6) : Q] und [Q( 7, 3 5) : Q]. Gib’ eine Erweiterung L/Q vom Grad vier an, die genau drei Zwischenkörper enthält! Übungsaufgabe 15: Welchen Grad haben die Körpererweiterungen Lj /Q mit L1 = √ √ √ √ Q( 2, 3) und L2 = Q( 2, −2)? Gib’ jeweils alle Zwischenkörper von Lj /Q an! Ein Körper heißt endlich, wenn er nur endlich viele Elemente enthält. Wir konstruieren einen Körper mit genau vier Elementen: Der Primkörper eines endlichen Körpers ist stets ein Restklassenkörper Fp . Insofern ist hier der zugehörige Primkörper sicherlich † nicht zu verwechseln mit den Begriffen der endlich erzeugten bzw. unendlich erzeugten Körpererweiterung. ‡ oder alternativ mit der linearen Unabhängigkeit der Logarithmen log p der Primzahlen √ über Q § und ist somit also von etwas komplizierterer Bauart als der quadratische Körper Q( 2) 16 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA F2 = {0, 1} ist, suchen wir einen Erweiterungskörper L von K = F2 vom Grad zwei. Mit Blick auf die Körperaxiome ergibt sich L = {0, 1, α, α + 1} mit folgenden Verknüpfungen: 0 + 0 0 1 1 α α α+1 α+1 1 1 0 α+1 α α α+1 α α+1 α+1 α 0 1 1 0 und × 0 1 α α+1 0 1 0 0 0 1 0 α 0 α+1 α α+1 0 0 α α+1 α+1 1 1 α Offensichtlich ist damit L (bis auf Isomorphie) eindeutig bestimmt und wir notieren ihn als F4 .¶ Eine alternative Konstruktion wäre der zu F4 isomorphe Körper F2 [X]/(X 2 +X +1) mit dem über F2 irreduziblen Polynom P = X 2 +X +1 gemäß Satz 2.5. Man beachte, dass für α ∈ F4 ja α2 = α + 1 gilt, so dass also α Nullstelle von X 2 + X + 1 ist. Entsprechend gilt somit auch F4 = {0, 1, α, α2 }. Satz 3.3. Sei K ein endlicher Körper. Dann besitzt K einen Primkörper F isomorph zu Fp und es gilt charK = p mit einer Primzahl p sowie ♯K = pf mit f = [K : F]. Aufgrund von ♯Q = ∞ kommen nur Restklassenkörper Fp als Primkörper eines endlichen Körpers in Betracht; wegen ♯K < ∞ ist K ein endlich-dimensionaler Vektorraum über seinem Primkörper, also ergibt sich unmittelbar ♯K = (♯F)f = pf . Später werden wir endliche Körper eingehend studieren und insbesondere klassifizieren! Übungsaufgabe 16: Konstruiere einen Körper mit genau neun Elementen; gib’ dessen Elemente explizit an! 3.3. Algebraische Erweiterungen. Sei L/K eine Körpererweiterung. Dann heißt α ∈ L algebraisch über K, wenn ein vom Nullpolynom verschiedenes P ∈ K[X] existiert, welches α annuliert, also P (α) = 0 und P 6≡ 0; im Falle K = Q sagen wir in diesem Falle auch kurz, dass α algebraisch ist. Ist α algebraisch über K, so heißt das normierte Polynom minimalen Grades mit der Eigenschaft α zu annulieren das Minimalpolynom von α über K und wir notieren dieses mit µα ; der Grad eines solchen α ist der Grad seines Minimalpolynoms und wird mit degK (α) = [α : K] := deg µα notiert. Existenz und Eindeutigkeit des Minimalpolynoms ergibt sich via Satz 2.4 aus der Eigenschaft des Polynomrings K[X] ein 2 Hauptidealring zu √sein. Ferner beachte man, dass X + 1 beispielsweise das Minimalpolynom von i = ± −1 über R ist, hingegen X − i das Minimalpolynom von i über C ist. Eine Körpererweiterung L/K heißt algebraisch, wenn jedes α ∈ L algebraisch über K ist. Beispielsweise ist C/R algebraisch, denn X 2 − 2aX + a2 + b2 ∈ R[X] annuliert a + ib ∈ C. Gibt es hingegen zu einem gegebenen α ∈ L im Ring K[X] kein Polynom außer dem Nullpolynom, welches α als Nullstelle besitzt, so nennt man α transzendent über K.∗ Beispielsweise ist X transzendent im Körper der rationalen Funktionen K(X), aber auch π ist transzendent über Q (wie wir später zeigen werden). Ist α transzendent über K, so ist der Einsetzungshomomorphismus φα : K[X] → L, P 7→ P (α) † (wo also für X die Größe α eingesetzt wird) mit Bild φα (K[X]) = {P (α) : P ∈ K[X]} =: K[α] injektiv und K[α] ∼ = K[X] ein Ring, und für die zugehörigen Quotientenkörper besteht ebenso eine Isomorphie K(X) ∼ = K(α). Ist hingegen α algebraisch über K, so ist φα nicht injektiv und das Ideal kerφα = {P ∈ K[X] : P (α) = 0} ist nicht trivial {0}. Weil K[X] nach Satz 2.4 ein Hauptidealring, existiert somit ein normiertes Polynom µα ∈ K[X] ¶ nicht zu verwechseln mit dem Restklassenring Z/4Z (welcher kein Körper ist)! transzendent ist lateinisch für übersteigend und wurde als Begriff wohl von Leonhard Euler (1707 – 1783) eingeführt † vgl. §2.2 ∗ Auf zu neuen Ufern: Körpererweiterungen 17 mit kerφα = (µα ). Das erzeugende Polynom ist das Minimalpolynom von α über K und insbesondere irreduzibel.‡ In diesem Fall ist K(α) = K[α] ∼ = K[X]/(µα ) ein Körper nach Satz 2.5. Mit dieser Isomorphie lassen sich einfache algebraische bzw. endliche Körpererweiterungen charakterisieren: Satz 3.4. Sei K ein Körper. Dann sind äquivalent: (i) (ii) (iii) (iv) α ist algebraisch über K, K(α) = K[α] und K(α) ist ein Körper, K(α)/K ist eine endliche Erweiterung, K(α)/K ist eine algebraische Erweiterung. In diesem Fall ist degK (α) = [K(α) : K] < ∞ und jedes β ∈ K(α) besitzt eine eindeutige Darstellung X λj αj mit λj ∈ K. β= 0≤j<deg (α) K Mit diesem Satz gelingt auch die Konstruktion einfacher algebraischer Körpererweiterungen wie folgt: Dazu nehme man ein über Q irreduzibles Polynom √ wie etwa P = X 2 + d mit einem quadratfreien d ∈ Q (also √ insbesondere irrationalem d) und erhält durch Adjunktion einer der beiden Wurzeln a eine quadratische Erweiterung √ √ Q( d) = {a + b d : a, b ∈ Q} ∼ = Q[X]/(X 2 + a); hierbei sprechen wir von einer quadratischen Erweiterung, weil der Grad der Körpererweiterung zwei ist. Übungsaufgabe 17: Beweise, dass jede quadratische Erweiterung L/Q von der Form L = √ √ Q( d) √ mit einem ganzzahligen quadratfreien d ist. Zeige ferner, dass die Körper Q( d1 ) und Q( d2 ) genau dann isomorph sind, wenn d1 = q 2 d2 mit einem Quadrat q 2 gilt. Im Falle einfacher algebraischer Erweiterungen ist insbesondere die Darstellung beliebiger Körperelemente β bzgl. der K-Basis 1, α, . . . , αdegK (α)−1 von angenehmer Form. Ein weiteres, alt bekanntes Beispiel: Der endliche Körper F4 besitzt die F2 -Basis 1, α, wobei α eine (beliebige) Nullstelle des Polynoms X 2 + X + 1 ist; die andere Nullstelle ist gerade die Linearkombination α + 1 der beiden Basiselemente. Hier ist α algebraisch über F2 vom Grad zwei. Der Fall nicht-einfacher Körpererweiterungen ist etwas komplizierter: Satz 3.5. Sei L/K eine Körpererweiterung. Dann sind äquivalent: (i) L/K ist endlich, (ii) L/K ist algebraisch und L = K(α1 , . . . , αn ), (iii) L = K(α1 , . . . , αn ) ist endlich erzeugt, wobei die αj jeweils algebraisch über K(α1 , . . . , αj−1 ) für j = 1, . . . , n sind. Insbesondere ist auch jeder Zwischenkörper einer algebraischen Erweiterung wiederum algebraisch: Endliche Körpererweiterungen sind also stets algebraisch! Beispielsweise ist C/R algebraisch (vom Grad zwei) obwohl R (und damit auch C) über Q transzendente Elemente besitzt. Die Umkehrung hiervon gilt i.A. nicht: Im folgenden Abschnitt werden wir unendliche algebraische Erweiterungen kennen lernen. Satz 3.6. Seien M/L und L/K Körperweiterungen, dann ist M/K genau dann algebraisch, wenn die Erweiterungen M/L und L/K beide algebraisch sind. ‡ Man erinnere sich an das Minimalpolynom von Endomorphismen bzw. quadratischen Matrizen in der linearen Algebra! 18 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Die Eigenschaft einer Erweiterung, algebraisch zu sein, ist also transitiv! Übungsaufgabe 18: Sei L/K algebraisch. Zeige, dass dann L die Vereinigung aller endlichen Zwischenerweiterungen ist. Damit können algebraische Körpererweiterungen also durch endliche Zwischenkörper charakterisiert werden! Übungsaufgabe 19: Gegeben das Polynom P = X 4 − 5X 2 + 6. Finde eine Körpererweiterung L/Q möglichst kleinen Grades, so dass sämtliche Nullstellen von P in L enthalten sind. Beschreibe ferner die Elemente von L explizit! 3.4. Der algebraische Abschluss. Eine mehr oder weniger unmittelbare Konsequenz der letzten Sätze ist: Sei L/K eine Körpererweiterung. Dann ist KL := {α ∈ L : α ist algebraisch über K} eine algebraische Körpererweiterung von K und heißt der algebraische Abschluss von K in L. Tatsächlich gilt wesentlich allgemeiner, dass die Menge sämtlicher algebraischer Elemente eines Körpers K (ungeachtet irgendeiner Erweiterung L) selbst wieder einen Körper bildet. Ein Körper L heißt algebraisch abgeschlossen, wenn jedes Polynom P ∈ L[X] positiven Grades mindestens eine Nullstelle in L besitzt (d.h. es existiert ein α ∈ L mit P (α) = 0). Satz 3.7. Es sind äquivalent: (i) K ist algebraisch abgeschlossen; (ii) jedes Polynom positiven Grades zerfällt in Linearfaktoren; (iii) die irreduziblen Polynome positiven Grades sind linear; (iv) ist L/K algebraisch, dann gilt bereits L = K. Der Beweis basiert auf dem sukzessiven Abspalten von Linearfaktoren mittels Division mit Rest. Allgemeiner gilt: Über einem Integritätsbereich R besitzt ein vom Nullpolynom verschiedenes P ∈ R[X] höchstens deg P viele Nullstellen (mit Vilefachheiten gezählt). Speziell im Fall R = R zerlegt sich ein beliebiges reelles Polynoms P in ein Produkt von Linearfaktoren und irreduziblen quadratischen Polynomen Qk : s r Y Y (X − αj ) · Qk (X); P = j=1 k=1 hierbei sind die αj die reellen Nullstellen und mittels deg Qk = 2 gilt deg P = r + 2s. Gemäß dem Fundamentalsatz der Algebra zerfallen die quadratischen Qk über C. Auf die Voraussetzung der Nullteilerfreiheit des Ringes R kann nicht verzichtet werden: X 2 − 1 besitzt vier Nullstellen im Restklassenring Z/8Z. Satz 3.8 (Fundamentalsatz der Algebra, Gauß 1799). C ist algebraisch abgeschlossen; jedes nicht-konstante Polynom P ∈ C[X] besitzt deg P viele komplexe Nullstellen. Ein einfacher Beweis, der mit verhältnismäßig wenig topologischen Eigenschaften der reellen und komplexen Zahlen auskommt, geht auf Jean Argand (1768 – 1822) zurück (siehe auch [Wolfart, §6.3.2]). Sei K ein Körper, dann heißt K algebraischer Abschluss von K, falls K algebraisch abgeschlossen und K/K algebraisch ist. Damit besitzt jeder Zwischenkörper K von C/Q einen algebraischen Abschluss (denn C = C); insbesondere bildet die Menge aller algebraischen Zahlen (über Q) einen Körper Q von unendlichem Grad [Q : Q] = ∞. Übungsaufgabe 20: Zeige, dass Q tatsächlich ein unedlich-dimensionaler Q-Vektorraum √ ist, also [Q : Q] = ∞. Betrachte hierzu die Zahlen m p mit natürlichem m ≥ 2 und Primzahlen p. Existenz und Eindeutigkeit des algebraischen Abschlusses im Fall allgemeiner Körper hat Ernst Steinitz (1871 – 1929) behandelt: Satz 3.9 (Steinitz 1910). Jeder Körper K besitzt eine algebraischen Abschluss K; dieser ist bis auf Isomorphie eindeutig. Auf zu neuen Ufern: Körpererweiterungen 19 Steinitz’ ursprünglicher Beweis basiert auf transfiniter Induktion§ Übungsaufgabe 21: Zeige, dass F4 nicht algebraisch abgeschlossen ist. 3.5. Transzendente Erweiterungen. Wir hatten mit X bereits ein transzendentes Element in K(X) kennen gelernt. Auch zeigte die Diskussion des Einsetzungshomomorphismus φα : K[X] → K[α] im Falle eines transzendenten α gewisse Konsequenzen auf: Satz 3.10. Sei L/K eine Körpererweiterung und α ∈ L. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent: • α ist transzendent über K; • K[α] ist ein Integritätsbereich isomorph zu K[X] (vermöge des Einsetzungsisomorphismus φα ), aber kein Körper; • K(α) ∼ = K(X) und [K(α) : K] = ∞; • α2 ist transzendent und K(α2 ) ( K(α) ist eine echte Inklusion. Im Folgenden beschäftgen wir uns mit der speziellen Situation transzendenter Zahlen über Q. Mit Cantors Überabzählbarkeitsargument gelingt leicht zu zeigen: Die Menge Q der algebraischen Zahlen ist abzählbar; die Menge C \ Q der transzendenten Zahlen ist überabzählbar. Explizite Beispiele transzendenter Zahlen sind X 10−n! und e = exp(1) n≥1 wie Joseph Liouville (1809 – 1882) bzw. Charles Hermite (1822 – 1901) bewiesen. Somit ist etwa Q(e) keine algebraische Erweiterung. P Transzendenznachweise sind i.A. sehr schwierig: Beispielsweise ist unbekannt, ob ζ(3) = n≥1 n−3 transzendent ist.∗ Stellvertretend hier ein berühmtes Resultat von Carl Louis Ferdinand von Lindemann (1852 – 1939):† Satz 3.11 (Lindemann 1882). π ist transzendent. Der Beweis basiert auf der Eulerschen Identität exp(πi) + 1 = 0 und einer genialen Methode von Hermite für den Nachweis der Transzendenz von e.‡ Hier die Beweisskizze: Angenommen, π wäre algebraisch, dann ebenso α := iπ von einem Grad d. Mit α1 = α, α2 , . . . , αd bezeichnen wir die d Nullstellen des Minimalpolynoms µα von α; hierbei haben wir den Fundamentalsatz der Algebra benutzt. Durch Mulitplikation von µα mit einer geeigneten ganzen Zahl entsteht ein primitives Polynom µ ∈ Z[X] mit denselben Wurzeln α1 , . . . , αd (vgl. Lemma von Gauß). Aus der Eulerschen Identität folgt (1 + eα1 )(1 + eα2 ) · . . . · (1 + eαd ) = 0. | {z } =0 Das Produkt links lässt sich darstellen als Summe von 2d Summanden der Form eρ mit ρ = δ1 α1 + . . . + δdαd , wobei δj = 0 oder 1. Es seien nun genau n dieser Zahlen ρ ungleich null, und wir notieren diese als β1 , . . . , βn . Dann folgt q + eβ1 + . . . + eβn = 0 mit q := 2d − n. § einer Methode der von Cantor einige Jahre zuvor ins Leben gerufenen und damals noch heiß umstrittenen Mengenlehre; in seiner 150 Seiten langen Abhandlung ’Algebraische Theorie der Körper’ führt Steinitz auch den Begriff des Primkörpers ein und begründet die systematische Körpertheorie. ∗ Auch die Aufdeckung von Irrationalität kann sehr schwierig sein: Erst 1979 gelang Roger Apéry (1916 P −13 – 1994) der Nachweis von ζ(3) 6∈ Q; unbekannt ist heute beispielswiese noch, ob ζ(13) = n≥1 n irrational ist. † Lindemann wurde in Hannover geboren; studierte in Göttingen, Erlangen und München; er habilitierte sich 1877 in Würzburg. Zum Zeitpunkt seines Transzendenzbeweises war er bereits Professor in Freiburg; später hatte er dann Professuren in Königsberg und schließlich in München inne. ‡ Tatsächlich hat sich hieraus das hermitesche Interpolationsverfahren der angewandten Mathematik entwickelt. 20 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Sei nun np p−1 f (x) = ℓ x n Y k=1 (x − βk )p , wobei ℓ der Leitkoeffizient von µ und p eine große Primzahl sei. Weil Y ρ (x − ρ) = xq n Y (x − βk ) k=1 symmetrisch bzgl. α1 , . . . , αd sind, folgt mit dem Hauptsatz über elementar-symmetrische Polynome, dass f ganzzahlige Koeffizienten besitzt. Sei nun Z t I(t) := exp(t − x)f (x) dx. 0 Dann liefert partielle Integration Z t m m t X X f (j) (t) f (j) (0) − I(t) = − exp(t − x)f (x) + exp(t − x)f ′ (x) dx = exp(t) x=0 0 j=0 mit m = (n + 1)p − 1. Sei nun H := n X k=1 j=0 I(βk ). Dann folgt H = −q m X j=0 f (j) (0) − m X n X f (j) (βk ). j=0 k=1 Die Summe über k rechts ist wiederum ein symmetrisches Polynom in den Zahlen ℓβ1 , . . . , ℓβn mit ganzzahligen Koeffizienten. Insbesondere folgt aus dem Hauptsatz über elementar-symmetrische Polynome, dass diese Summe selbst eine ganze Zahl sein muss. Wegen f (j) (βk ) = 0 für j < p, ist diese Summe durch p! teilbar. Ferner ist f (j) (0) eine ganze durch p! teilbare Zahl im Falle j 6= p − 1. Schließlich ist f (p−1) (0) = (p − 1)!(−ℓ)np (β1 · . . . · βn )p , eine ganze durch (p − 1)! aber nicht durch p! teilbare Zahl, wenn p hinreichend groß ist. Also ist |H| ≥ (p − 1)! für p > q. Andererseits gilt Z t |I(t)| ≤ | exp(t − x)f (x)| dx ≤ |t| exp(|t|)F (|t|), 0 wobei F das Polynom ist, welches aus f hervorgeht, indem alle Koeffizienten durch ihre Absolutbeträge erstzt werden. Damit folgt |H| ≤ n X k=1 |βk |F (|βk |) ≤ cp mit einer von p unabhängigen Konstanten c, ein Widerspruch zu obiger Ungleichung |H| ≥ (p − 1)!. Also ist π nicht algebraisch. Übungsaufgabe 22: Zeige, dass mindestens eine der Zahlen e + π und e · π transzendent ist. Es sei erlaubt, e, π 6∈ Q ohne Beweis zu benutzen. Knobelaufgabe: Sei K ein Körper und α transzendent über K und algebraisch über K(β). Zeige, dass dann β algebraisch über K(α) ist. Gib ein Beispiel an! Normalität und Separabilität 21 4. Normalität und Separabilität 4.1. Zerfällungskörper. Sei R ein Ring. Gegeben ein Polynom P ∈ R[X] heißt bekanntlich α eine Nullstelle von P , wenn P (α) = 0 gilt. In diesem Fall ist der Linearfaktor X − α ein Teiler von P , bzw. es existiert ein Polynom Q ∈ R[X], so dass P = (X − α)Q. Eine solche Nullstelle α heißt einfach, wenn (X − α)2 ∤ P und sie hat Ordnung ν, wenn (X − α)ν | P, aber (X − α)ν+1 ∤ P. Übungsaufgabe 23: Bestimme einen Zerfällungskörper von X 3 −X 2 +X −1 über K = Q, R und F2 . Übungsaufgabe 24: Man beweise: Besitzt P = an X n + . . . + a1 X + a0 ∈ Z[X] eine ganzzahlige Nullstelle α, so ist α ein Teiler des konstanten Koeffizienten: α | a0 . Sei K ein Körper und P Zerfällungskörper von P , wenn ∈ K[X] nicht-konstant; dann heißt ein Körper L P =ǫ d Y (X − αj ) j=1 mit gewissen (nicht notwendig verschiedenen) αj ∈ L und L = K(α1 , . . . , αd ).∗ Damit ist ein Zerfällungskörper √ der kleinste Körper, der sämtliche Nullstellen √ von P enthält. Beispielsweise ist Q( 5) der Zerfällungskörper von X 2 − 5, aber Q( 3 5) ist nicht der Zerfällungskörper von X 3 − 5. Satz 4.1 (Kronecker). Zu jedem nicht-konstanten Polynom P über einem Körper K existiert ein Zerfällungskörper L mit Grad [L : K] ≤ (deg P )! Dieser Satz geht zurück auf Leopold Kronecker (1823 – 1891), einem Verfechter konstruktiver Methoden.† Man beachte, dass im Falle ein irreduzibles P ∈ K[X] in K[X]/(P ) die Nullstelle α = X + (P ) besitzt. Die Abschätzung für den Grad des Zerfällungskörpers kann nicht verschärft werden. Das nächste Ziel besteht darin, die Eindeutigkeit des Zerfällungskörpers zu zeigen. Hierzu betrachten wir zu zwei Körpern K und K̃, versehen mit einem Isomorphismus φ : K → K̃, den folgenden Homomorphismus der zugeordneten Polynomringe X X φ(λj )X j . λj X j 7→ φ̃(P ) = φ̃ : K[X] → K̃[X], P = j j Satz 4.2. Unter diesen Bedingungen sei P ∈ K[X] irreduzibel und α ∈ L eine Nullstelle von P in einer Erweiterung L/K. Dann existiert zu jeder Nullstelle α̃ von φ̃(P ) = P̃ ∈ K̃[X] aus einer Erweiterung L̃/K̃ ein Isomorphismus φ∗ : K(α) → K̃(α̃) mit φ∗ (α) = α̃ und φ |K = φ, d.h. φ∗ (λ) = φ(λ) für alle λ ∈ K. Insbesondere existiert zu jedem Körperisomorphismus φ : K → K̃ ein weiterer Isomorphismus φ∗ : K(α) → K̃(α̃) mit φ∗ (α) = α̃ fortgesetzt. Daraus ergibt sich unmittelbar: Ist P ∈ K[X] irreduzibel mit Nullstellen α1 , α2 ∈ L in einer Erweiterung L/K, so gibt es einen Isomorphismus σ : K(α1 ) → K(α2 ), α1 7→ σ(α1 ) = α2 und σ |K = id. Diese Konsequenz bildet tatsächlich den Kern der Galoistheorie, die wir im √ Folgenden entwickeln werden! Zum Beispiel existieren im Falle des Zerfällungskörpers Q(√ 2) des√Polynoms X 2 − 2 ∈ Q[X] die √ beiden√Automorphismen id (welche also gemäß ± 2 7→ ∓ 2 abbildet) und σ mit σ(± 2) = ∓ 2; dieses σ ist die algebraische Konjugation.‡ ∗ Hierbei ist ǫ der Leitkoeffizient von P und also Element von K. und Widersacher Cantors! ‡ Im Spezialfall K = C ist diese identisch mit der komplexen Konjugation z = a + ib 7→ z = a − ib (mit a, b ∈ R). † 22 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Übungsaufgabe 25: Welche Körperautomorphismen φ : K → K bestehen für die Körper √ √ K = Q( 5) bzw. K = Q( 3 5)? Satz 4.3. Sei φ : K → K̃ ein Körperisomorphismus und P ∈ K[X] nicht-konstant sowie L ein Zerfällungskörper von P über K und L̃ ein Zerfällungskörper von P̃ = φ̃(P ) über K̃. Dann existiert ein Isomorphismus Φ : L → L̃, der φ fortsetzt, d.h. Φ(λ) = φ(λ) für alle λ ∈ K. Insbesondere sind je zwei Zerfällungskörper desselben Polynoms sind isomorph. Ein Körperisomorphismus φ wird zu einem ebensolchen Φ zwischen den zugehörigen Zerfällungskörpern geliftet. L | K Φ / L̃ | φ / K̃ 4.2. Normale Erweiterungen. Eine Körpererweiterung L/K heißt normal (über K), wenn L/K algebraisch ist und jedes irreduzible Polynom P ∈ K[X], welches eine Nullstelle in L besitzt, bereits über L ganz in Linearfaktoren zerfällt. Tatsächlich ist die Forderung an des Zerfalls eines jeden irreduziblen Polynoms wesentlich schwächer als sie auf den ersten Blick scheint: Satz 4.4. Eine endliche Körpererweiterung L/K ist genau dann normal, wenn L Zerfällungskörper eines Polynoms P ∈ K[X] ist. √ Die Körpererweiterung C/R ist also normal, während etwa Q( 3 2/Q nicht normal ist. Jede endliche Körpererweiterung lässt sich zu einer endlichen normalen Körpererweiterung erweitern: Zu jeder endlichen Körpererweiterung L/K existiert eine endliche und normale Körpererweiterung M/K mit K ⊂ L ⊂ M. Ebenso ist mit einer normalen Erweiterung M/K mit einem Zwischenkörper L auch M/L normal. Im Falle [M : K] < ∞ ist dies eine unmittelbare Folgerung aus dem vorangegangenen Satz. Übungsaufgabe 26: Beweise, dass im Falle eines Körperturms K ⊂ L ⊂ M mit normalem M/K auch M/L normal ist. Knobelaufgabe: Zeige: Ist α eine komplexe Nullstelle von P = X 3 − 3X + 1, dann auch 2 − α − α2 und α2 − 2. Ist Q(α)/Q normal? Wie sieht die Situation über F2 bzw. F3 aus? 4.3. Algebraische Differentiation. Nun machen wir eine Anleihe in der Analysis und erklären Differentiation. Weil wir uns dabei auf Polynome beschränken werden, können wir Differentiation rein formal auffassen: Gegeben ein Polynom P = d X λj X j j=0 heißt die formale Summe P ′ := d X mit λj ∈ R jλj X j−1 j=1 die Ableitung von P (vgl. Übungsaufagbe 5). Mit P ist dann auch P ′ ∈ R[X]. Es gelten (wie man leicht nachrechnet) die aus der Analysis bekannten Rechenregeln der Differentiation: (αP + βQ)′ = αP ′ + βQ′ , (P Q)′ = P ′ Q + P Q′ mit beliebigen α, β ∈ K und P, Q ∈ R[X]. Mit Hilfe der Ableitung lässt sich leicht entscheiden, ob ein gegebenes Polynom mehrfache Nullstellen besitzt: Satz 4.5. Sei K ein Körper. Dann besitzt ein Polynom P ∈ K[X] genau dann eine mehrfache Nullstelle (in einem Oberkörper), wenn P und die Ableitung P ′ einen gemeinsamen nicht-konstanten Teiler in K[X] haben. Normalität und Separabilität 23 Der Beweis erfolgt einmal mehr mit Bézout. Beispielsweise folgt so, dass P = X n − 1 über einem Körper der Charakteristik null nur einfache Nullstellen besitzt. Der Satz hat Konsequenzen: Insbesondere hat ein irreduzibles Polynom über einem Körper der Charakteristik null nur einfache Nullstellen. Hingegen ist die Situation im Falle positiver Charakteristik verschieden: Das irreduzible Polynom Y 2 − X ∈ F2 (X)[Y ] besitzt die mehrfache Nullstelle y (so dass y 2 = X) im Zerfällungskörper F2 . Hier gilt vielmehr folgendes Korollar: Sei K ein Körper mit char K = p 6= 0 und P ∈ K[X] irreduzibel mit mehrfachen Nullstellen. Dann gibt es ein Polynom Q ∈ K[X] mit P (X) = Q(X p ). Übungsaufgabe 27: Sei K ein Körper der Charakteristik p 6= 0 (also ist p prim). Zeige, dass dann X n − 1 über K nur einfache Nullstellen hat, wenn n nicht durch p teilbar ist; f zeige ferner, dass X ap − 1 über K nur Nullstellen der Vielfachheit pf hat, wenn a kein Vielfaches von p ist. 4.4. Endliche Körper. Bereits Gauß rechnete in endlichen Körpern (wenngleich in der Form von Gleichungen mit irreduziblen Polynomen über Restklassenkörpern); das eigentliche Konzept endlicher Körper hat aber erst Evariste Galois (1811 – 1832) entwickelt.§ Endliche Körper spielen eine wichtige Rolle in Algebra und Zahlentheorie, aber auch in Kryptographie und Kodierungstheorie. Von zentraler Bedeutung ist Satz 4.6 (Struktursatz für endliche Körper). Sei p prim und f ∈ N sowie q = pf und K der Zerfällungskörper von P = X q − X über Fp . Dann besitzt K genau q Elemente und diese sind genau die verschiedenen Nullstellen von P : Y P = Xq − X = (X − α). α∈K Hierbei ist K bis auf Isomorphie im folgenden Sinne eindeutig: Ist L/Fp eine Körpererweiterung mit q Elementen, dann gilt L ∼ = K. Entsprechend notieren wir den (im Wesentlichen) eindeutigen Zerfällungskörper von X q − X als Fq und sprechen von dem endlichen Körper mit q Elementen. Zu jeder Primzahlpotenz pf gibt es also einen (bis auf Isomorphie) eindeutigen Körper mit genau pf Elementen. Zu natürlichen Zahlen n, die mindestens zwei verschiedene Primteiler besitzen, gibt es hingegen keinen endlichen Körper mit genau n Elementen (wie sich sofort aus einer Argumentation mit der Charakteristik bzw. Primkörper ergibt). Der Beweis des Satzes basiert auf der Existenz des Zerfällungskörpers gemäß Satz 4.1 (bzw. der Konstruktion endlicher Körper nach Satz 2.5; vgl. auch das Beispiel F4 aus §3): Formales Ableiten liefert P ′ = (X q − X)′ = −1 und insbesondere sind P und seine Ableitung teilerfremd, womit P über K in ein Produkt von q verschiedenen Linearfaktoren X − α zerfällt. Wie man leicht nachrechnet bildet die Menge der q verschiedenen Nullstellen von P einen Körper identisch mit dem Zerfällungskörper K von P . Hierfür wird der Frobenius-Automorphismus α 7→ σp (α) := αp mit der Primzahl p auf K zu Hilfe genommen; es gilt also in jedem Körper der Charakteristik p 6= 0 (α + β)p σp (α + β) = σp (α) + σp (β) = αp + β p (vgl. the idiot’s binomial theorem in §2). Der Frobenius-Automorphismus σp ist über einem endlichen Körper K der Charakteristik p ein Isomorphismus, und insbesondere besitzt jedes Element von K eine p-te Wurzel. Im Primkörper Fp ist der Frobenius gleich der Identität. Ferner wird eine triviale Anleihe aus der Gruppentheorie benötigt: Ist G eine endliche Gruppe der Ordnung ♯G mit neutralem Element e, dann gilt g ♯G = e für jedes g ∈ G. § In einiger Literatur liest man GF (q) statt Fq und spricht von Galois-Feldern; hierzu ist nur zu sagen, dass im mathematischen Englischen das Wort field für Körper verwendet wird, der Begriff des Körpers aber wohl erstmalig bei Dedekind um 1871 zu finden ist. 24 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Q Dies erschließt sich unmittelbar aus dem Produkt j gj über sämtliche Gruppenelemente gj , welches invariant bleibt unter Anwendung der Bijektion gj 7→ ggj . Dieser Satz geht im Falle der Einheitengruppe der klassischen Restklassenringe auf Fermat zurück. Später werden wir mit dem Satz von Lagrange noch eine Verallgemeinerung kennen lernen. Übungsaufgabe 28: Zeigen Sie Fq ∼ = Fp /(Q) für jedes beliebige(!) irreduzible Q ∈ Fp [X] von einem Grad deg Q = f , wobei q = pf , sowie Fq = Fp (α) für eine beliebige Nullstelle α von Q. Übungsaufgabe 29: Konstruiere den endlichen Körper F343 . Für welche Körper F7f gilt F343 ⊂ F7f ? Knobelaufgabe: Sei P ∈ Fp [X] irreduzibel mit deg P = f ≥ 2 und sei q = pf . Zeige, dass dann P ein Teiler von X q−2 + X q−3 + . . . + X + 1 in Fp [X] ist. Auf diese Weise findet man die irreduziblen Polynome über Fp ! 4.5. Separable Erweiterungen. Sei K ein Körper. Dann heißt ein Polynom P ∈ K[X] separabel, wenn jeder irreduzible Faktor von P in K[X] nur einfache Nullstellen hat. Im Falle eines irreduziblen Polynoms P ist dies äquivalent dazu, dass P und seine Ableitung P ′ teilerfremd sind (d.h. keinen gemeinsamen Faktor positiven Grades gemeinsam haben). Ein Körper K wird vollkommen genannt, wenn jedes Polynom aus K[X] separabel ist. Satz 4.7. Ist K ein Körper der Charakteristik null, so ist jedes Polynom P ∈ K[X] separabel und also K vollkommen. Ist K ein Körper der Charakteristik p 6= 0, so ist K genau dann vollkommen, wenn der Frobenius-Automorphismus σp surjektiv ist. Insbesondere ist jeder endliche Körper vollkommen. Allerdings gilt die Aussage nicht für beliebige Körper positiver Charakteristik, wie etwa das Beispiel F2 (X) illustriert; hier liegt nämlich etwa X nicht im Bild des Frobenius. Es sei L/K eine Körpererweiterung, dann heißt α ∈ L separabel über K, wenn α Nullstelle eines separablen Polynoms aus K[X] ist. Ferner heißt L/K separabel, wenn jedes α ∈ L separabel über K ist. √ Jede separable Erweiterung ist also insbesondere algebraisch. Beispielsweise ist i = −1 separabel über Q. Allgemein gilt Satz 4.8. Jede algebraische Erweiterung eines vollkommenen Körpers ist separabel. Insbesondere sind also algebraische Erweiterungen eines Körpers der Charakteristik null oder eines endlichen Körpers separabel. Transzendente Erweiterungen verhalten sich i.A. anders: Die Erweiterung F2 (X)/F2 (X 2 ) ist nicht separabel, denn Y 2 + X 2 = (Y − X)2 hat als Polynom in F2 (X 2 )[Y ] die doppelte Nullstelle X. Satz 4.9. Sei L/K eine Körpererweiterung und α ∈ L algebraisch über K mit Minimalpolynom µα . Dann sind äquivalent: (i) α ist separabel, (ii) µα ist separabel, (iii) α ist eine einfache Nullstelle von µα , (iv) µ′α 6= 0. Der nachstehende Satz offenbart die Relevanz des Separabilitätsbegriffes für die Theorie der Körpererweiterungen: Satz 4.10 (Satz vom primitiven Element). Es sei K ein Körper und α, β Elemente einer Erweiterung von K, so dass α separabel und β algebraisch über K sind. Dann besitzt K(α, β) ein primitives Element, d.h. es existiert ein γ ∈ K(α, β) mit K(α.β) = K(γ). Somit ist K(α, β)/K letztlich also √ einfache Erweiterung. Der Beweis √ ist √ konstruktiv √ eine und zeigt beispielsweise, dass 2 + 3 ein primitives Element von Q( 2, 3) ist. √ √ Übungsaufgabe 29: Es seien a, b rationale Zahlen. Zeige, dass Q( a, b) ein primitives Element besitzt und gib’ ein solches an! Normalität und Separabilität 25 Der Satz vom primitiven Element ist ansatzweise bereits bei Galois zu finden und spielte eine fundamentale Rolle in der von ihm entwickelten Galois-Theorie (der wir uns als nächstes Thema zuwenden werden). Steinitz formulierte ihn 1910 in der (leicht abgeänderten) äquivalenten Form, dass L/K genau dann einfach und algebraisch ist, wenn L/K nur endlich viele Zwischenkörper enthält.¶ Übungsaufgabe 30: Beweise die Steinitzsche Formulierung des Satzes vom primitiven Element. In Kombination mit unseren Ergebnissen zu Separabilität und Vollkommenheit ergibt sich: Jede einfache Erweiterung eines vollkommenen Körpers (also etwa eine s Körpers der Charakteristik null) ist einfach. √ Der Körper Q( 3 2, ζ) mit ζ := √ exp( 2πi 3 ) ist Zerfällungskörper Q( 3 2, ζ) ✼ des separablen Polynoms P = q ✼✼ qqq 3 ✼✼ q X − 2 ∈ Q[X]. Es gilt etwa q √ ✼✼ 3 qqq q 2, ζ) = Q(γ) mit dem (nicht Q( ✼✼ √ ✼✼ K = Q( 3 2) eindeutigen!) primitiven Element ❂❂ √ ✼✼ ❂❂ γ = 3 2 + ζ. Wie sieht das Mi✼✼ ❂❂ ✼✼ nimalpolynom√ von γ aus? Der ❂❂ ❂❂ Grad von Q( 3 2, ζ)/Q ist sechs. Q(ζ) 3 ❂❂ ❂❂ s ss ❂❂ ss s ❂❂ ss 2 ss Q Übungsaufgabe 31: Zeige, dass jede endliche normale und separable Erweiterung L/K Zerfällungskörper eines separablen Polynoms aus K[X] ist. 5. Radikale (-) Umbrüche Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Nicht nur politisch hatte das ausgehende 18. und das beginnende 19. Jahrhundert Neues zu bieten; auch in Philosophie und Wissenschaft fanden große Umwälzungen statt. Zeitgleich mit der französischen Revolution und den politischen Wirren in ganz Europa strebte die Philosophie der Aufklärung einen nicht absolutistischen Staat mit Gewaltenteilung an. In den Wissenschaften wurden zunehmend die traditionellen und schlecht begründeten Konstrukte und Theorien der Alten (oftmals alten Griechen) in Frage gestellt. Es entwickelte sich eine Blütezeit der Naturwissenschaften, aber auch die Mathematik (als Geisteswissenschaft) erlebte einen großen Aufschwung.∗ Eines der herausragenden Forschungsthemen des 17. und 18. Jahrhunderts war die Frage nach der Auflösbarkeit polynomieller Gleichungen durch Radikale. Mit den Formeln von Cardano und Ferrari konnten Gleichungen dritten und vierten Grades durch Radikale gelöst werden (vgl. §1).† Darunter versteht man das Extrahieren einer Lösung α einer poylnomiellen Gleichung P (X) = 0 durch rationale Operationen und Wurzelziehen; als Resultat entsteht so eine Darstellung der Lösung als rationale Funktion der Koeffizienten des Polynoms in Kombination mit Wurzeln. Beispielsweise stellt die Mitternachtsformel für die allgemeine Gleichung zweiten Grades die Lösungen a(X − α1 )(X − α2 ) = aX 2 + bX + c = 0 α1,2 = ¶ p 1 (−b ± b2 − 4ac) 2a mit a 6= 0 Emil Artin (1898 – 1962) gelang in den 1920ern ein anderer (modernerer) Zugang zur Galois-Theorie, welche den Satz vom primitiven Element nicht mehr als zentralen Bestandteil enthält. ∗ Hierzu sei angemerkt, dass zu dieser Zeit kaum eine Unterscheidung zwischen Physik und Mathematik vorherrschte, von reiner und angewandter Mathematik ganz zu schweigen. † radix steht im Lateinischen für Wurzel 26 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA bereit. Unter den namhaften Mathematikern dieser Epoche, die sich an der Gleichung fünften Grades die Zähne ausgebissen haben, sind insbesondere Leibniz, Bézout und Euler zu nennen. Ein weiterführender Schritt gelang Lagrange 1770/71 in seiner Arbeit Réflections sur la résolution agébraique des équations (von stattlichen 217 Seiten Umfang). Eine allgemeine Gleichung dritten Grades X 3 + aX + b = 0 studierend, lässt sich nach Cardano‡ eine Lösung in der Form x = r + s darstellen, wobei r3 und s3 Wurzeln einer quadratischen Gleichung sind (siehe §1). Bezeichnen α1 , α2 , α3 die drei Nullstellen von P = X 3 + aX + b, so findet Lagrange die Darstellungen r = s = 1 3 (α1 1 3 (α1 + ζα2 + ζ 2 α3 ), + ζ 2 α2 + ζα3 ), wobei ζ eine dritte Einheitswurzel ζ = exp( 2πi 3 ) (oder dessen Quadrat) sei. Ähnliches gelingt Lagrange für Gleichungen vierten Grades. Mit diesen Darstellungen als Funktionen der Lösungen bestehen somit Symmetrien zwischen den Lösungen einer solcher Gleichung! Offen bleibt jedoch, inwiefern dies mit einer Lösungsdarstellung durch Radikale zusammenhängt. Übungsaufgabe 32: Beweise Lagranges Darstellung von r und s. Paolo Ruffini (1765 – 1822) war ein Schüler von Lagrange. In dessen Fußstapfen tretend untersuchte er polynomielle Gleichungen und versuchte lange Zeit, die Lösungen durch Radikale ausdrücken zu können. Schließlich jedoch setzte er alles daran zu beweisen, dass eine solche Lösung für Gleichungen fünften Grades im Allgemeinen nicht mehr möglich ist. Er veröffentlichte hierzu 1799 (und 1813) einen langen Beweis (von über fünfhundert Seiten), jedoch entdeckten seine Zeitgenossen Francesco Malfatti (1731 - 1807), Adrien-Marie Legendre (1752 – 1833) und Lazare Nicolas Marguérite Carnot (1753 – 1823) etliche Beweislücken. Trotzdem enthält seine Arbeit wesentliche Ideen, die dann von Cauchy in seinen Untersuchungen der Permutationen und Substitutionen (in heutiger Sprache ist das die Theorie der symmetrischen Gruppe) aufgenommen und weiter entwickelt wurden. Hoch anzurechnen ist Ruffini sicherlich auch, die Unmöglichkeit der Lösung durch Radikale überhaupt angedacht zu haben! Schließlich zeigte Niels Henrik Abel (1802 – 1829) im Jahre 1824 in seiner Mémoire sur les équations algébraiques die Unmöglichkeit der Lösung der allgemeinen Gleichung fünften oder höheren Grades durch Radikale. Sein Beweis wurde später von Kronecker noch vereinfacht; im Wesentlichen basieren seine Ausführungen auf den Vorarbeiten von Lagrange und Cauchy. Offen blieb jedoch die letztlich wichtigere Frage, wie zu entscheiden ist, ob eine vorliegende explizite Gleichung fünften oder höheren Grades auflösbar ist? Hier stellte sich kurz nach Abels frühen Tod, hervorgerufen durch eine Tuberkulose, eine Lösung ein, wenngleich diese eine lange Zeit ihrer Anerkennung harren musste. In diesem Zusammenhang sei kurz auf eine spezielle Klasse von polynomiellen Gleichungen verwiesen, der Kreisteilungsgleichung X n − 1 = 0, wobei n eine natürliche Zahl größer oder gleich drei sei. Die Lösungen dieser Gleichungen sind genau gegeben durch die n-ten Einheitswurzeln ζnj für 0 ≤ j < n mit ζn = exp( 2πi n ) (oder jeder anderen primitiven n-ten Einheitswurzel) und bilden wegen der Euler-de Moivreschen Identität exp(ix) = cos x + i sin x ein regelmäßiges n-Eck mit den ζnj als Eckpunkten.§ Eine klassische Konstruktionsaufgabe der antiken griechischen Mathematiker war das regelmäßige n-Eck unter alleiniger Verwendung von Zirkel und Lineal zu ‡ bzw. del Ferro und Tartaglia Abraham de Moivre (1667 – 1754), beschäftigte sich nicht nur mit elementarer Wahrscheinlichkeitstheorie, sondern auch mit den zu seiner Zeit noch seltsamen komplexen Zahlen. § Normalität und Separabilität Abbildung 1. 27 Das regelmäßige Fünfeck ist konstruierbar. Rechts die Dürersche Konstruktion. konstruieren (und wir werden uns diesem Problem auch später noch stellen). Die Möglichkeit einer solchen Konstruktion des regulären Fünfecks (Pentagramm) war bereits einigen griechischen Mathematikern bekannt und auch in den Arbeiten von Albrecht Dürer (1471 – 1528) findet sich eine Lösung (s.o.): Hierzu mag man folgende Beziehung benutzen: √ 1 5−1 2π 4 = Re ζ5 = (ζ5 + ζ5 ) = = (2G)−1 , cos 5 2 4 √ wobei G := 21 ( 5 + 1) der goldene Schnitt ist. Man beachte, dass damit also s√ √ 5−1 5+5 +i ζ5 = 4 8 gilt und somit eine Lösung der Gleichung X 5 − 1 = 0 durch Radikale gefunden ist. Allerdings ist hier anzumerken, dass die Faktorisierung X 5 − 1 = (X − 1)(X 4 + X 3 + . . . + X + 1) das Problem eigentlich auf die Lösung einer Gleichung vierten Grades führt, welches mit der Formel von Ferrari möglich ist (siehe §1). Jedenfalls erlaubt diese explizite Lösung die Konstruktion eines regelmäßigen Fünfecks, denn Quadratwurzeln und auch deren Iterationen lassen sich nämlich mit Zirkel und Lineal konstruieren. Knobelaufgabe: Konstruiere explizit das reguläre Fünfeck mit ausschließlich Zirkel und Lineal! Sollte dabei von obiger Formel für cos 2π 5 Gebrauch gemacht werden, so ist diese Formel zu beweisen. Wie so oft löste Gauß das allgemeine Problem der Kreisteilung (1796 als Neunzehnjähriger) und konstruierte u.a. das reguläre Siebzehneck (siehe auch das Titelbild des Skriptes) und berechnete hierzu den algebraischen Wert cos( 2π ) 17 = 1 16 −1 + √ r ! q q q √ √ √ √ 17 + 34 − 2 17 + 2 17 + 3 17 − 34 − 2 17 − 2 34 + 2 17 . Man beachte, dass hier das zugrunde liegende Polynom X 17 − 1 sich in die über Q irreduziblen Faktoren X − 1 und X 16 + X 15 + . . . + X + 1 zerlegt und der zweite einen Grad deutlich größer fünf besitzt. Dies zeigt sehr eindrucksvoll, dass also sehr wohl gewisse polynomielle Gleichungen durch Radikale lösbar sind. Es war der junge Galois, der ein Werkzeug entwickelte, mit dem sich entscheiden lässt, ob eine gegebene Gleichung fünften oder höheren Grades durch Radikale lösbar ist oder nicht. Évariste Galois wurde am 25. Oktober 1811 un Bourg-la-Reine nahe Paris geboren; er verstarb am 31. Mai 1832 an einer Verletzung, die er sich in einem Duell zugezogen hatte. Sein Leben war sehr kurz, aber sein schillernder Lebenslauf sucht seinesgleichen. Évaristes Eltern waren sehr gebildet. Der Vater Nicolas war Republikaner und plädierte somit in den politischen Wirren 1814/15 um Napoleons Regentschaft für die Absetzung des Marionettenkönigs Louis XVIII (von den alliierten Mächten als Nachfolger Napoleons); anschließend wurde er Bürgermeister in Bourg-la-Reine. Évaristes Mutter, Adelaide 28 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Marie Demante, erzog den jungen Évariste zunächst zuhause, u.a. in Latein und Griechisch, erst ab 1823 ging dieser in eine öffentliche Schule. Hier fiel Évaristes mathematisches Talent auf und bereits zu Schulzeiten las er Legendres Géométrie und auch Arbeiten von Lagrange. Mit dem Jahr 1829 beginnt Évariste Galois’ Leben als Forscher und Revolutionär. In seiner ersten Publikation untersucht er rein-periodische Kettenbrüche und der nach ihm benannte Satz spielt eine wichtige Rolle in der Theorie der Pellschen Gleichung.¶ Auch reicht er bei der Pariser Akademie der Wissenschaften Arbeiten zur Lösung polynomieller Gleichungen ein; Cauchy wird mit der Lektüre beauftragt, jedoch ignoriert dieser zunächst Galois’ Einreichung. Später ermuntert er Galois zu weiteren detaillierteren Einreichungen; schließlich soll sogar eine der Galoischen Arbeiten für den Großen Preis der Akademie im Jahr 1830 berücksichtigt werden, doch der Gutachter Jean Baptiste Joseph Fourier (1768 – 1830)k verstirbt, so dass auch diese Einreichung in Vergessenheit gerät. Im selben Jahr 1829 begeht Évaristes Vater Selbstmord (aus politischen Gründen), und dem jungen Galois misslingt wiederholt die Aufnahmeprüfung an der renommierten École Polytechnique; ein Grund hierfür mag das unordentlich und unaufgeräumte Arbeiten Galois’ gewesen sein, auch soll er Probleme gehabt haben, seine mathematischen Ideen nachvollziehbar zu kommunizieren. Schließlich studiert Galois an der weniger renommierten École Normale landet. Während der Revolution von 1830 wird Galois mehrere Male verhaftet, teilweise bewaffnet, aber auch wegen obrigkeitsfeindlicher Reden. Im Laufe eines Gefängnisaufenthaltes lernt Évariste die junge Stephanie-Felice du Motel kennen. Über ihre Beziehung gibt es nur Spekulationen; jedenfalls mag diese der Grund für ein Duell Galois’ Ende Mai 1832 mit Perscheux d’Herbinville gewesen sein. In der Nacht vor dem Duell schreibt Galois in größter Eile seine Theorie polynomieller Gleichungen nieder, übergibt sein Werk dem Bruder und dem Freund Auguste Chevalier mit der Bitte, diese Papiere an Gauß, Carl Gustav Jacob Jacobi (1804 – 1851) und andere führende Mathematiker seiner Zeit zu übersenden. Übermüdet wird Galois beim Duell angeschossen und erliegt seinen Verletzungen am übernächsten Tag im Krankenhaus Hôpital Cochin in Paris. Die Galoischen Ausführungen seiner Theorie zu polynomiellen Gleichungen verschwinden einige Zeit, keiner der großen Mathematiker scheint von ihnen Notiz genommen zu haben; erst der junge Liouville bekommt sie 1843 in die Hände und übergibt sie der Akademie der Wissenschaften mit dem Kommentar: ”I hope to interest the Academy in announcing that among the papers of Évariste Galois I have found a solution, as precise as it is profound, of this beautiful problem: whether or not there exists a solution by radicals.” (Liouville an die Pariser Akademie der Wissenschaften am 4. Juli 1843; cf. [Stewart, p. xxiii]) Die Arbeiten Galois’ werden 1846 veröffentlicht; ihre Rezeption benötigt weitere lange Jahre bevor dem Kreis der Mathematiker und Mathematikerinnen bewusst wird, welch einen Schatz Galois gehoben hat!∗∗ Hier ein kurzer Aperitif zur Galois-Theorie: Die Lösungen einer polynomiellen Gleichung hängen eng mit dem Polynom P ∈ K[X] selbst und dessen Zerfällungskörper L zusammen; die Körpererweiterung L/K kann als Vektorraum über K gedeutet werden, was einen Eindruck von deren Größe vermittelt, nicht aber von deren Form. Hier setzt Galois mit der Zuweisung einer Gruppe — genauer: der Gruppe der Körperautomorphismen von L, die K festlassen, – an und erhält damit wesentlich mehr Information über die Struktur der Erweiterung. Hierbei ist zu betonen, dass zu dem Begriff der Gruppe zu ¶ Das ist die diophantische Gleichung X 2 − dY 2 = 1 mit gegebenem quadratfreien d ∈ Z, welche in natürlichen Zahlen x, y zu lösen ist; √ eine solche Lösung existiert stets, wie Euler und Lagrange mit Hilfe der Kettenbruchentwicklung von d heraus fanden (aber dies ist ein Thema der Zahlentheorie). k Begründer der nach ihm benannten Fourier-Analysis und Ägyptenfahrer unter Napoleon ∗∗ Mehr zu Galois’ bewegtem Leben findet man bei [I. Stewart, pp. xvii], der Webseite http://turnbull.mcs.st-and.ac.uk/∼history/ und dem lesenswerten Roman Der französische Mathematiker von Tom Petsinis. Normalität und Separabilität 29 Zeiten Galois’ weder eine ausgearbeitete Theorie derselben vorlag noch überhaupt eine ordentliche Definition gegeben war; lediglich die oben erwähnten Ansätze von Beispielen (wie symmetrische Gruppen) existierten. Wir illustrieren diese Ideen an einem Beispiel und betrachten die Gleichung (5) P := X 4 − 2X 2 − 3 = 0 Das Polynom auf der linken Seite lässt sich faktorsieren, und wir erhalten damit: (X 2 + 1)(X 2 − 3) = 0. √ Damit besitzt die Gleichung die Lösungen (bzw. P die Nullstellen) ±i und ± 3. Diese kommen in zwei natürlichen Paaren. Wir schreiben √ √ α = i, β = −i und γ = 3, δ = − 3. Mit dieser Maskerade ist Q(α, β, γ, δ) der Zerfällungskörper von P über Q, und es gelten Gleichungen wie α2 + 1 = 0, β 2 + 1 = 0, α + β = 0, γ 2 − 3 = 0, usw. Ein Austausch α ↔ β bzw. γ ↔ δ überführt bestehende Gleichungen in andere oder auch neue (wahre) Gleichungen, während hingegen α ↔ γ aus einer wahren Aussage eine falsche macht. Wir fassen diese Substitutionen als Permutationen in der symmetrischen Gruppe S4 auf und entdecken unter den insgesamt 24 = 4! = ♯S4 Permutationen der vier verschiedenen Nullstellen mit α β γ δ α β γ δ id = , σ1 = =: (α β) α β γ δ β α γ δ α β γ δ α β γ δ σ2 = =: (γ δ) , σ1 σ2 = = (α β)(γ δ) α β δ γ β α δ γ genau vier Permutationen mit dieser Eigenschaft; hierbei notieren wir also α ↔ β durch (α β) und schreiben kurz σ1 σ2 für σ1 ◦ σ2 (was in diesem Fall auch gleich σ2 ◦ σ1 ist). Wir beobachten, dass diese vier Permutationen eine Untergruppe der S4 bilden und notieren dies als G := hσ1 , σ2 i := {id, σ1 , σ2 , σ1 σ2 } ≤ S4 . Allgemein werden wir U ≤ G schreiben, wenn U eine Untergruppe von G ist (also U mit der Verknüpfung in G selbst eine Gruppe bildet und ihre Elemente eine Teilmenge von G bilden††); die Notation hσ1 , σ2 i steht für die von σ1 und σ2 erzeugte Gruppe. Tatsächlich ist G isomorph zur Kleinschen Vierergruppe (Z/2Z) × (Z/2Z); neben der zyklischen Gruppe Z/4Z gibt es (bis auf Isomorphie) keine weitere Gruppe mit vier Elementen. Wir bemerken, dass G genau vier Untergruppen enthält, nämlich die von seinen Elementen erzeugten Untergruppen sowie hσ1 σ2 i. Diesen Permutationen der Nullstellen können wir nun Körperautomorphismen zuordnen. Hierzu sei an Satz 4.2 erinnert, welcher (mittels φ als Identität) insbesondere besagt: Ist P ∈ K[X] irreduzibel mit Nullstellen α1 , α2 in einer Erweiterung L von K, dann gibt es einen Isomorphismus σ : K(α1 ) → K(α2 ) mit α1 7→ σ(α1 ) = α2 und σ |K = id also insbesondere σ(λ) = λ für alle λ ∈ K. Fortgesetzt asl Körperautomorphismus des Zerfällungskörpers Q(α, β, γ, δ) von P liefert jenes σ also genau das Vertauschen der Nullstellen von P (die Reduzibilität von P sei hier nicht weiter erörtert). Insofern induziert eine Permutation unserer Gruppe G also einen Automorphismus des Zerfällungskörpers, der sicherlich Q, aber gegebenenfalls auch noch Elemente einer Erweiterung fest lässt. Betrachten wir jetzt die jeweiligen Automorphismen von Q(α, β, γ, δ) bzw. die einzelnen Untergruppen von G, so lässt genau die Identität sämtliche Elemente von Q(α, β, γ, δ) unverändert, aber kein anderer Automorphismus. Betrachten wir als Nächstes die von †† oder alternativ: wenn für alle u, v ∈ U auch uv−1 ∈ U 30 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA σ1 erzeugte Untergruppe: Weil σ1 aber α und β vertauscht, jedoch γ und δ fest lässt, werden alle Elemente des Körpers Q(γ, δ) von σ1 fixiert; ganz ähnlich zeigt sich σ2 (λ) = λ für λ ∈ Q(α, β), also σ2 |Q(α,β) = id. Die entsprechende Schlussweise für σ1 σ2 überlassen wir der Leserin/dem Leser. Schließlich beobachten wir noch, dass die Substitutionen von G in ihrer√Gesamtheit nur Q fest lassen. Offensichtlich gelten Q(α, β) = Q(i) sowie Q(γ, δ) = Q( 3). Entsprechend bestehen also folgende korrespondierenden Diagramme √ Q(i, 3) ✽✽ ✉ ✽✽ ✉✉ ✉ ✽✽ ✉✉ ✉ ✽✽ ✉✉ √ ✽✽ Q(i) Q(i 3) ✽✽ ✻✻ ✽✽ ✻✻ ✽✽ ✻✻ ✽ ✻✻ √ ✻✻ Q( 3) ✻✻ t ✻✻ tt tt ✻✻ t t ✻ tt tt Q ❦ {id} ●● ❦❦❦ ❦ ●● ❦ ❦❦ ●● ❦❦❦ ❦ ●● ❦ ❦ ❦ ●● ❦ ❦❦❦ ●● ●● hσ2 i hσ1 σ2 i ●● ●● ●● ●● ●● ●● ●● ●● ● ●● ●● ●● hσ i ❦❦ 1 ●● ❦❦❦ ●● ❦ ❦ ●● ❦❦ ❦❦❦ ●● ❦❦❦ ❦ √ Gal(Q(i, 3)/Q) := G = hσ1 , σ2 i √ Später werden √ wir G als Galois-Gruppe der Körpererweiterung Q(i, 3)/Q auffassen und mit Gal(Q(i, 3)/Q) notieren. In großer Allgemeinheit besagt der Hauptsatz der Galois-Theorie (den wir im nächsten Kapitel beweisen werden), dass im Falle gewisser Körpererweiterungen eine Bijektion zwischen der Menge der Zwischenkörper der Erweiterung und der Menge der Untergruppen der zugehörigen Galois-Gruppe besteht. Diese so genannte Galois-Korrespondenz von Zwischenkörpern und Untergruppen liefert unmittelbar tiefen Einblick in die Struktur der Erweiterung, aus der sich viele nützliche Informationen ziehen lassen! Im obigen Beispiel zeigt sich folgendermaßen, dass eine Lösung der Ausgangsgleichung (5) durch Radikale möglich ist:‡‡ Hier besteht nämlich ein Turm von quadratischen Körpererweiterungen (s.o.), welche jeweils mittels der ’Mitternachtsformel’ (oder besser quadratischer Ergänzung) durch Adjunktion einer Wurzel entsteht. Unter gewissen Umständen treten jedoch Körpererweiterungen in solchen Türmen auf, welche durch andersartige Adjunktion entstehen und entsprechend haben dann die jeweiligen Untergruppen andere Eigenschaften. Wie wir genau ausarbeiten werden, liefert dieser Ansatz (tatsächlich mit Hilfe des Umweges über die Gruppentheorie) ein Werkzeug zu entscheiden, ob eine vorgegebene polynomielle Gleichung durch Radikale lösbar ist oder nicht! Galois’ ursprüngliche Argumentation war gruppenlastiger; die Korrespondenz der Permutationen und iherer Untergruppen mit den Körperautomorphismen der Zwischenkörpern geht einmal mehr auf Dedekind (1894) zurück. Übrigens war die Galoissche Idee wegweisend in vielerlei Hinsicht. Etliche Anwendungen seiner Theorie werden uns im Rahmen dieser Vorlesung beschäftigen; darüber hinaus sei aber auf das Erlanger Programm von Felix Klein (1849 – 1925) verwiesen, jegliche Geometrie als Theorie der Invarianten spezieller Transformationsgruppen aufzufassen! Hierzu ergibt sich die euklidische Geometrie als Theorie der Invarianten der abstandserhaltenden Transformationen der Ebene, aber auch Galois’ Theorie der Körpererweiterungen als die ’Geometrie’ der damit verbundenen Automorphismen. Diese beiden Beispiele mögen für Klein maßgebend für seine Proklamation des Erlanger Programms im Jahre 1872 (im nicht weit entfernten Erlangen) gewesen sein! ‡‡ ohne das wir hier die ’Ferrari-Formel’ benutzen! Galois-Theorie 31 6. Galois-Theorie 6.1. Körperautomorphismen und die Galois-Gruppe. Es sei L/K eine Körpererweiterung. Mit Aut(L) bezeichnen wir die Gruppe der Automorphismen von L mit der Komposition von Abbildungen als Verknüpfung; hierbei ist die Identität id das neutrale Element und die weiteren Gruppeneigenschaften verifiziert man leicht. Automorphismen σ : L → L, die K elementweise fixieren, also σ |K = id bzw. σ(λ) = λ für alle λ ∈ K erfüllen, heißen K-Automorphismen und die Menge all dieser bildet eine Untergruppe, welche wir mit Gal(L/K) = {σ ∈ Aut(L) : σ |K = id} notieren und die Galois-Gruppe von L/K nennen.∗ Wie zuerst Dedekind zeigte, sind verschiedene Körperhomomorphismen σ : K → L linear unabhängig. Damit gelingt eine Abschätzung der Kardinalität der Galois-Gruppe: Satz 6.1 (Endlichkeitssatz). Ist L/K eine endliche Körpererweiterung, so gilt ♯Gal(L/K) ≤ [L : K]. Ist L/K darüber hinaus normal und separabel, so ist ♯Gal(L/K) = [L : K]. Übungsaufgabe 33: Beweise die Umkehrung des Satzes: Gilt ♯Gal(L/K) = [L : K] für eine endliche Erweiterung L/K, so ist diese normal und separabel. Wie brechnet man Galois-Gruppen? Hier hilft wie so oft nur die Praxis! Beispielsweise ist C/R einfach, normal und separabel (denn die Adjunktion i besitzt das Minimalpolynom X 2 + 1 = (X − i)(X + i)) und die Galois-Gruppe besteht aus der Identität √ id und der komplexen√Konjugation a + ib 7→ a − ib (gemäß i 7→ −i). Hingegen ist Gal(Q( 3 2/Q) Polynoms X 3 − 2 und trivial, denn 3 2 ist die einzige reelle Nullstelle√des irreduziblen √ 3 3 somit besteht einzig und allein die Möglichkeit 2 7→ 2, was auf die Identität√als einzigen Q-Automorphismus führt. Gehen wir hingegen zum Zerfällungskörper Q( 3 2, ζ) mit † ζ = exp( 2πi 3 ) über, so gilt √ √ √ 3 3 3 X 3 − 2 = (X − 2)(X − 2ζ)(X − 2ζ 2 ) √ und mit der Schreibweise αj = 3 2ζ j , 1 ≤ j ≤ 3, für die drei Nullstellen induzieren α1 7→ αj Isomorphishmen Q(α1 ) → Q(αj ). Nun ist X 2 +X +1 das Minimalpolynom von ζ über √ 3 Q (und über Q( 2)) mit Nullstellen βk = ζ k , 1 ≤ k ≤ 2, und hier liefern β1 7→ β k zwei weitere Isomorphismen von Q(β1 )√ → Q(βk ), so dass sich rein kombinatorisch insgesamt 3 · 2 = 6 Automorphismen von Q( 3 2) ergeben: ) (√ ) √ ) (√ √ ) (√ √ ) (√ √ √ 3 3 3 3 2 7→ 3 2 2 7→ 3 2ζ 2 7→ 3 2ζ 2 7→ 3 2ζ 2 2 7→ 3 2ζ 2 , , , , ζ 7→ ζ 2 ζ 7→ ζ ζ 7→ ζ 2 ζ 7→ ζ ζ 7→ ζ 2 (√ 3 id, √ √ in Übereinstimmung mit ♯Gal(Q( 3 2, ζ)/Q) = [Q( 3 2, ζ) : Q] = 6. Diese Abbildungen besitzen auch eine geometrische Interpretation: Beispielsweise überführt die zweite die beiden nicht-trivialen Einheitswurzeln ineinander über; diese werden also an der reellen Achse gespiegelt. Hingegen liefert die dritte eine Drehung um 2π 3 entgegen dem Uhrzeigersinn, aber diese Gedanken werden wir später vertiefen. Wie man jedoch leicht sieht, ist diese Galois-Gruppe isomorph zu S3 .‡ √ √ Übungsaufgabe 34: Finde eine Erweiterung L von Q( 2, 3)/Q, die normal ist und berechne die Galois-Gruppe von L/Q. ∗ In einiger Literatur schreibt man hierfür AutK (L) oder Ähnliches; auch sprechen manche erst im Falle einer normalen Erweiterung L/K von der ’Galois-Gruppe’. † siehe hierzu Beispiel und Diagramm auf Seite 25 ‡ bzw. zur Diedergruppe D3 , doch auch dazu später mehr... 32 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Übungsaufgabe 35: Bestimme die Galois-Gruppe von Q(exp( 2πi p ))/Q, wobei p eine Primzahl ist. (Der allgemeine Fall wird später im Rahmen der Kreisteilungstheorie ausführlich behandelt werden!) 6.2. Fixkörper. In einer Körpererweiterung L/K mit Galois-Gruppe G := Gal(L/K) heißt die zu einer Untergruppe U ≤ G gebildete Menge Fix(L, U ) := {α ∈ L : σ(α) = α ∀σ ∈ U } der Fixkörper von U in L.§ Dies ist ein gutgewählter Name, denn Fix(L, U ) ist ein Zwischenkörper von L/K und ♯U ≤ [L : Fix(L, U )]. Mit eben diesen Fixkörpern wird sich eine Bijektion zwischen der Menge G(L/K) := {U : U ≤ Gal(L/K)} der Untergruppen der Galois-Gruppe und der Menge K(L/K) := {F : F ist Zwischenkörper von L/K} der Zwischenkörpern der Erweiterung ergeben (vorausgesetzt, dass die Erweiterung schöne Eigenschaften besitzt). Hierzu definieren wir die Abbildungen¶ f : G(L/K) → K(L/K), U 7→ φ(U ) = Fix(L, U ) g : K(L/K) → G(L/K), F 7→ g(F ) = Gal(L/F ). und Offensichtlich gilt für einen Zwischenkörper F von L/K wegen K ⊂ F ⊂ L dann Gal(L/F ) ≤ Gal(L/K). Fernenr gelten F ⊂ Fix(L, Gal(L/F ) und U ≤ Gal(L/Fix(L, U )) sowie und F1 ⊂ F2 =⇒ Gal(L/F2 ) ≤ Gal(L/F1 ) U1 ≤ U2 =⇒ Fix(L, U2 ) ⊂ Fix(L, U1 ) mit Zwischenkörpern Fj und Untergruppen Uj von L/K bzw. Gal(L/K). Man beachte hier die Notation ’⊂’, die wir im Zusammenhang mit Körpern für die Teilkörpereigenschaft benutzen, und ’≤’, welche die Untergruppeneigenschaft wiederspiegelt. Mit Hilfe der soeben eingeführten Abbildungen f und g können wir hierfür auch F ⊂ f (g(F )) und U ≤ g(f (U )) sowie und F1 ⊂ F2 =⇒ g(F2 ) ≤ g(F1 ) U1 ≤ U2 =⇒ f (U2 ) ⊂ f (U1 ) schreiben. Anwendung von f bzw. g kehrt also die Relation um! Übungsaufgabe 36: Beweise sämtliche der obigen Aussagen (auch wenn langweilig...) Satz 6.2 (Artin 1926). Es sei L/K eine endliche Körpererweiterung und U eine Untergruppe der Galois-Gruppe Gal(L/K). Dann gilt für den Fixkörper Fix(L, U ) von U [L : Fix(L, U )] = ♯U. § Man erinnere sich an das einfache Beispiel aus §5! Eselsbrücken: Anwendung von f liefert ein field und Anwendung von g liefert eine group. ¶ Galois-Theorie 33 Dieser Satz spielt eine zentrale Rolle und geht in dieser Form zurück auf Emil Artink um 1926 in seiner Hamburger Vorlesung zur Galois-Theorie, welche mehr die Theorie der Körper fokussiert als die Welt der Polynome. Diese Entwicklung steht im Anschluss an Dedekinds Ansatz, Körperhomomorphismen mit Methoden der linearen Algebra zu behandeln (wie eingangs des Kapitels).∗∗ Eine wichtige Konsequenz ist Satz 6.3. Es sei L/K eine endliche Körpererweiterung und U eine Untergruppe der Galois-Gruppe Gal(L/K). Dann gilt Gal(L/Fix(L, U )) = U. Unter Verwendung der Abbildungen f und g gilt somit g(f (U )) = U für beliebige Untergruppen U von Gal(L/K) im Falle einer endlichen Erweiterung L/K. Insofern ist also g ◦f = id die Identität auf der Menge der Untergruppen der Galois-Gruppe. √Hingegen gilt f ◦ g = id bzw. f (g(F )) = F nur bedingt: Beispielsweise folgt aus Gal(Q( 3 2)/Q) = {id} unmittelbar √ √ 3 3 f (g(Q)) = Fix(Q( 2), {id}) = Q( 2) 6= Q. Hier ist die Galois-Gruppe gewissermaßen zu klein bzw. der Erweiterungskörper zu groß. Übungsaufgabe 37: Bestimme den Zerfällungskörper L des Polynoms P = X 4 − 3 über Q und berechne die Galois-Gruppe Gal(L/Q) und finde alle zugehörigen Fixkörper. Gibt es Zwischenkörper von L/Q, die nicht als Fixkörper auftreten? 6.3. Galois-Erweiterungen. Von besonderem Interesse sind die Körpererweiterungen, deren Galois-Gruppe normal und separabel sind; in diesen Fällen ist nämlich die GaloisGruppe hinreichend groß, dass f ◦ g = id die Identiät auf der Menge der Zwischenkörper ist und also eine Bijektion zwischen K und G besteht. Satz 6.4 (Artin 1926). Es sei L/K eine endliche Körpererweiterung. Dann sind äquivalent: • K ist der Fixkörper der Galois-Gruppe, d.h. K = Fix(L, Gal(L/K)); • [L : K] = ♯Gal(L/K); • L/K ist normal und separabel; • L ist Zerfällungskörper eines über K separablen Polynoms. Eine endliche Erweiterung L/K heißt galoisch†† bzw. Galois-Erweiterung, wenn L/K eine der obigen Bedingungen (und damit alle) erfüllt. √ √ 3 2, ζ) mit Es ist also Q( 3 2)/Q nicht galoisch; der Übergang zum Zerfällungskörper Q( √ 3 2πi 3 (wie üblich) ζ = exp( 3 ) des Minimalpolynoms X − 2 der Adjunktion 2 hingegen liefert eine galoische Erweiterung. Der Beweis des Satzes basiert im Wesentlichen auf den Eigenschaften normaler und separabler Körpererweiterungen sowie den vorangegangenen Sätzen (insbesondere Satz 6.2). Insbesondere folgt mit dem Satz vom primitven Element: Jeder Zwischenkörper F einer endlichen galoischen Erweiterung L/K ist einfach, d.h. von der Form F = K(γ) für ein γ ∈ F . Ferner zeigt sich k Artin war einer der bedeutendsten Verterter der algebraischen Zahlentheorie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts; seine Arbeiten zur Klassenkörpertheorie und die Riemannsche Zertafunktion verallgemeinernden L-Funktionen auch löste er 1927 das 17. Hilbertsche Problem über die Zerlegung definiter Funktionen in Quadrate. Artin war aber auch einer der Unterzeichner des Bekenntnisses von 1933 der Hochschullehrer zu Hitler; 1937 wurde Artin seine Professur in Hamburg entzogen, weil seine Frau jüdischer Abstammung war, woraufhin seine Familie in die USA emigrierte. ∗∗ Ein Anliegen Artins war auch, den Satz vom primitiven Element nicht zu benutzen, worauf wir hier aber verzichten. †† eine seltsame Wortschöpfung vergleichbar mit abelsch; tatsächlich liest man bisweilen auch galoissch. 34 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Satz 6.5. Sei L/K eine endliche galoische Erweiterung. Dann ist ein Zwischenkörper F genau dann normal über K, wenn σ(F ) := {σ(α) : α ∈ F } = F für alle σ ∈ Gal(L/K). √ Normale Erweiterungen sind also invariant unter der Galois-Gruppe! Hingegen ist Q( 3 2) √ ζ) mit √ (wiederum) ein nicht-normaler Zwischenkörper der√galoischen√Erweiterung Q( 3 2,√ 3 3 3 2 7→ 3 2ζ, ζ 7→ ζ ζ = exp( 2πi 3 ); beispielsweise gilt σ(Q( 2) = Q( 2ζ) für den durch erklärten Automorphismus σ. √ √ Übungsaufgabe 38: Betrachte die Körpererweiterungen Q ⊂ Q( 2) ⊂ Q( 4 2); welche der damit verbundenen drei Erweiterungen sind galoisch? bzw. normal? 6.4. Der Hauptsatz - erster Teil. Im Falle endlicher galoischer Körpererweiterungen besteht eine Korrespondenz zwischen den Untergruppen der Galois-Gruppe und den Zwischenkörpern: Satz 6.6 (Hauptsatz der Galois-Theorie - erster Teil). Sei L/K eine endliche galoische Erweiterung. Dann sind die Abbildungen (6) f : G(L/K) → K(L/K), U 7→ φ(U ) = Fix(L, U ) g : K(L/K) → G(L/K), F 7→ g(F ) = Gal(L/F ). bijektiv und invers zueinander und für jedes U ∈ G(L/K) gilt [L : f (U )] = ♯U . Die inverse Beziehung der Abbildungen f und g zueinander im Falle einer endlichen galoischen Erweiterung erinnert an den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, welcher gewissermaßen die Inversität von Differentiation und Integration beinhaltet. Wir illustrieren die diversen Zusammenhänge an√einem Beispiel. Das Polynom X 3 − 2 besitzt bekanntlich (s.o.) den Zerfällungskörper Q( 3 2, ζ) mit ζ = exp( 2πi 3 ). Hier ergibt sich die folgende Galois-Korrespondenz zwischen den Untergruppen der Galois-Gruppe (rechts) und den Zwischenkörpern (links): √ Q( 3 2,✽ ζ) ✐ {id}❄ ✐ ✐ r ❄❄ ✐♥✐♥✐♥✐♥♥ ✐ ✽✽ r ✐ ✐ ✐ ✐ r ✐ ✐ ❄❄ ✽✽ ✐✐✐♥♥♥♥ ✐✐✐ rrrr ✐ ✐ ✐ ✐ ❄❄ ✐ ✐ ♥ r ✐✐ ✽✽ ✐✐ ♥ ✐ ✐ r ✐ ✐ ♥ ❄❄ ✐ ✐ r ♥ ✐ ✐ ✐ ✐ ♥ √ √ √ ✽ ✐ ✐ ❄❄ ✽✽ Q( 3 2)▲ hτ σ2 i hτ σi Q( 3 2ζ) Q ( 3 2ζ 2 ) hτ i ▲ ❄❄ ✿✿ ❆❆ ✽✽ ▲▲ ▲▲ ❄❄ ▲ ❆ ✿✿ ▲▲ ▲ ✽ ❆❆ ▲▲ ❄❄ ✽✽ ▲▲ ✿✿ ▲ ❆ ▲▲ ❄❄ ▲▲ ✽ ❆❆ ✿✿ ▲▲ ▲ ▲ ❆ ▲▲ ▲ ✿ ▲▲ ❆❆ ✿ ▲▲ hσi Q(ζ) ▲▲ ❆❆ ▲▲ ✿✿ ♦♦ t ▲▲ ❆ ♦ ▲▲ ✿✿ t ♦ t ▲▲ ❆❆ ▲▲ ✿ t ♦♦♦ ▲▲ ❆ ▲▲ ✿ ttt ▲▲ ❆ ♦♦♦ t ▲▲ ✿ ♦ t ♦ ▲ tt √ Q Gal(Q( 3 2, ζ)/Q) ∼ = S3 Die sechs-elementige Galois-Gruppe ist isomorph zur S3 und lässt sich wie folgt explizit beschreiben: √ 3 Gal(Q( 2, ζ)/Q) = {id, σ, σ 2 , τ, τ σ, τ σ 2 } = hτ, σi ∼ = S3 mit (√ √ ) 3 2 7→ 3 2ζ σ : ζ 7→ ζ und hierbei gilt σ 3 = id = τ 2 und beispielsweise √ √ 3 3 hτ i = {id, τ } = Gal(Q( 2, ζ)/Q( 2)) ←→ (√ √ ) 3 2 7→ 3 2 τ : ; ζ 7→ ζ 2 √ √ 3 3 Fix(Q( 2, ζ), hτ i) = Q( 2, ζ). Weitere Untergruppen als die im obigen Diagramm auftretenden gibt es nicht (wie eine mühsame, aber endliche Inspektion offenbart). Entsprechend eine Frage, der wir im Folgenden nachgehen werden: Wie bestimmt man sämtliche Untergruppen einer gegebenen Gruppe? Einfache und auflösbare Gruppen 35 Übungsaufgabe 39: Bestimme sämtliche Untergruppen der Galois-Gruppe des Zerfällungskörpers von P = X 4 − 2 über Q sowie sämtliche Zwischenkörper dieser Erweiterung und erstelle ein Diagramm zur Galois-Korrespondenz! Abschließend reissen wir ein Beispiel zur Galois-Theorie unendlicher Erweiterungen an: Die Erweiterung K(X)/K ist transzendent, also unendlich. Die Abbildung a b aX + b mit ∈ GL2 (K) X 7→ cX + d c d liefert einen K-Automorphismus und die Galois-Gruppe von K/X)/K ist isomorph zur projektiven linearen Gruppe PGL2 (K) = GL2 (K)/K∗ ( 10 01 ). Knobelaufgabe: Gebe einen rigorosen Beweis hierfür, also Gal(K(X)/K) ∼ = PGL2 (K). Für die Ergänzungen zum Hauptsatz werden wir im Folgenden verstärkt Gruppen studieren. Insbesondere erweist sich der gruppentheoretische Ansatz als die leichter zugängliche Seite der Galois-Korrespondenz und die Gruppentheorie liefert letztlich starke Werkzeuge zur Behandlung von Fragen über die Lösbarkeit polynomieller Gleichungen und weiteren Problemen der Algebra! 7. Einfache und auflösbare Gruppen 7.1. Der Satz von Lagrange. Ist G eine Gruppe, so nennt man die Anzahl ihrer Elemente die Ordnung von G und notiert dies mit ord G = ♯G; beispielsweise gilt ord Sn = n! für die symmetrische Gruppe, wie ein leichter Induktionsbeweis zeigt. Für die Einheitengruppe (Z/nZ)∗ des Restklassenrings modulo n gilt ord (Z/nZ)∗ = ϕ(n) mit der Eulerschen ϕ-Funktion; hierbei zählt ϕ(n) die primen Restklassen modulo n, also die von der Form a mod n mit zu n teilerfremden 1 ≤ a ≤ n. Besitzt G unendlich viele Elemente (wie etwa GLn (Q)) schreiben wir ord G = ∞. Sei nun U ≤ G eine Untergruppe von G. Mit a∼b ⇐⇒ ab−1 ∈ U ⇐⇒ a ∈ U b := {ub : u ∈ U } wird eine Äquivalenzrelation mit den Äquivalenzklassen U a := {ua : u ∈ U } definiert; dabei sind diese Rechtsnebenklassen U b paarweise disjunkt und wegen der Bijektion U → U b, u 7→ ub erweisen sich alle als gleichmächtig. Mit dem Index (G : U ) von U in G bezeichnen wir deren Anzahl. Es folgt Satz 7.1. Satz von Lagrange Sei G eine Gruppe und U ≤ G eine Untergruppe. Dann gilt ord G = (G : U ) · ord U. Die Aussage gilt auch für unendliche Gruppen bei entsprechender Interpretation. Mit Hilfe des Satzes von Lagrange lassen sich die Untergruppen einer gegebenen Gruppe systematisch bestimmen. Als Konsequenz ergeben sich der kleine Fermatsche Satz (siehe §2) aber auch das etwas allgemeinere Resultat a♯G = e, welches wir zum Beweis des Struktursatzes hergeleitet hatten (in §4), wobei e das neutrale Element der (multiplikativ geschriebenen) Gruppe G sei. Ist nämlich G eine Gruppe, so nennen wir ord a = min{n ∈ N : an = e} die Ordnung von a, falls dieses Minimum existiert; ansonsten ist die Ordnung unendlich und wir notieren dies mit ord a = ∞. Übrigens kann ein Element einer unendlichen Gruppe auch endliche Ordnung haben; man denke etwa an die GLn (Q) und die Einheitsmatrix oder ihr Negatives. Ist die Ordnung von a endlich, so gilt für die von a erzeugte Untergruppe offensichtlich hai = {a, a2 , . . . , aord a = e} 36 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA (mit ak = aℓ genau für k ≡ ℓ mod ord a) und insbesondere folgt aord G = e nach Lagrange. Im Spezialfall der Einheitengruppe von Z/nZ ergibt sich ein Satz von Euler: für teilerfremde a, n ∈ N gilt aϕ(n) ≡ 1 mod n . Übrigens heißt eine Gruppe G zyklisch, wenn sie von einem Element erzeugt wird, wenn also ein a ∈ G existiert, so dass G = hai gilt. Übungsaufgabe 40: Berechne für n = 15 und n = 25 die von Elementen a ∈ (Z/nZ)∗ erzeugten Untergruppen und bestimme deren Ordnung. Erkennst Du einen Unterschied? Übungsaufgabe 41: Es seien U und V gemäß U ≤ V ≤ G geschachtelte Untergruppen von G. Zeige (G : U ) = (G : V )(V : U ). Inwiefern erinnert dies an die Gradformel für Körpererweiterungen? Alternativ hätten auch Linksnebenklassen aU := {au : u ∈ U } einer Untergruppe U ≤ G benutzt werden können. In abelschen Gruppen gilt stets aU = U a, nicht jedoch etwa in der S3 , wie das Beispiel ∗ (13)U = {(13), (123)} 6= {(13), (132)} = U (13) mit U = h(12)i zeigt. Allerdings ist die Anzahl der Linksnebenklassen stets identisch mit der Anzahl der Rechtsnebenklassen, wie die Bijektion U a → a−1 U offenbart. 7.2. Normalteiler. Eine Untergruppe U ≤ G heißt Normalteiler von G, wenn aU a−1 ⊂ U für alle a ∈ G besteht; hierzu muss also aua−1 ∈ U liegen für alle a ∈ G und u ∈ U . Wir notieren solche Untergruppen oft mit N (statt U ) und schreiben dann N ⊳ G. Satz 7.2. Sei G eine Gruppe und U eine Untergruppe. Dann sind äquivalent: (i) U ist ein Normalteiler von G; (ii) aU a−1 = U für alle a ∈ G; (iii) aU = U a für alle a ∈ G; (iv) aU ⊂ U a für alle a ∈ G; (v) ab−1 ∈ U ⇐⇒ a−1 b ∈ U . In jeder Gruppe G mit neutralem Element e sind stets {e} und G Normalteiler. In abelschen Gruppen ist jede Untergruppe Normalteiler; die nicht-abelschen symmetrischen Gruppen Sn oder auch die Matrizengruppen GLn (K) mit n ≥ 3 bzw. 2 liefern Beispiele, wo nicht jede Untergruppe ein Normalteiler ist (s.o.). Übungsaufgabe 42: Sei G = GLn (R)+ die Menge aller invertierbaren Matrizen M ∈ Rn×n mit positiver Determinante det M > 0. Zeige, dass G ein Normalteiler der GLn (R) vom Index zwei ist. Normalteiler sind insbesondere im Zusammenspiel mit Homomorphismen interessant. Wir erinnern: Sind (G, ∗) und (H, ◦) Gruppen, so ist ϕ : G → H ein Gruppenhomomorphismus, wenn ϕ(a ∗ b) = ϕ(a) ◦ ϕ(b) für alle a, b ∈ G besteht. Bekanntlich sind in diesem Fall sowohl das Bild als auch der Kern von G unter ϕ Untergruppen von H bzw. G. Tatsächlich gilt sogar: Der Kern eines Gruppenhomomorphismus ist ein Normalteiler: kerϕ ⊳ G. Dem gegenüber steht Satz 7.3. Ist N ein Normalteiler einer Gruppe G. Dann ist G/N := {aN : a ∈ G} mit (aN ) · (bN ) = (ab)N eine Gruppe, die so genannte Faktorgruppe von G nach N . Dabei ist ord G = (G : N ) und π : G → G/N, a 7→ π(a) := aN ist ein Gruppenhomomorphismus mit Kern N . ∗ Neben der Zykelschreibweise beachte man hier, dass die Komposition von Abbildung von rechts abzuarbeiten ist! Einfache und auflösbare Gruppen 37 Dies entspricht den Faktorringen, die wir in §2 kennen gelernt hatten. Die Rolle von Idealen spielen hier die Normalteiler; als Korollar ergibt sich: Eine nicht-leere Teilmenge N einer Gruppe G ist genau dann ein Normalteiler, wenn N Kern eines Gruppenhomomorphismus ϕ : G → H ist. Ein erstes Beispiel liefert die (additive) Restklassengruppe Z/qZ modulo q. Die Bestimmung von Faktorgruppen gelingt in der Regel mit dem Pendant des Homomorphiesatzes für Ringe: Satz 7.4 (Homomorphiesatz für Gruppen). Seien G und H Gruppen und ϕ : G → H ein Gruppenhomomorphismus. Dann gilt G/kerϕ ∼ = ϕ(G). Der Beweis basiert auf dem expliziten Isomorphismus Φ : G/N → ϕ(G), aN 7→ ϕ(a). Beispielsweise besitzt der Gruppenhomomorphismus nZ → Z/mZ, an 7→ a mod m den Kern mnZ und also gilt nZ/mnZ ∼ = Z/mZ. Als einfache Konsequenz ergibt sich: Zu jeder natürlichen Zahl n existiert eine bis auf Isomorphie eindeutige zyklische Gruppe der Ordnung n, nämlich (Z/nZ, +) und jede unendliche zyklische Gruppe ist isomorph zu Z. Übungsaufgabe 43: Speziell für G = GLn (K) mit einem Körper K und dem durch die invertierbaren Matrizen positiver Determinante definierten Normalteiler gebe man ϕ und Φ aus dem Beweis des Homomorphiesatzes explizit an und bestimme das isomorphe Bild. 7.3. Der Hauptpsatz - zweiter Teil. Wir komplettieren den Hauptsatz 6.6 der GaloisTheorie mit seinem zweiten Teil: Satz 7.5 (Hauptsatz der Galois-Theorie - zweiter Teil). Sei L/K eine endliche galoische Erweiterung. Dann gilt für jeden Zwischenkörper F von L/K und jeder Untergruppe U ∈ G(L/K) der Galois-Gruppe [F : K] = (Gal(L/K) : Gal(L/F )) sowie [L : Fix(L, U )] = ord U. Ferner ist ein Zwischenkörper F von L/K genau dann galoisch über K, wenn Gal(L/F ) ein Normalteiler von Gal(L/K) ist; in diesem Fall gilt Gal(F/K) ∼ = Gal(L/K)/Gal(L/F ). In der Sprache der in (6) definierten bijektiven und zueinander inversen Abbildungen f und g ist damit [F : K] = (Gal(L/K) : g(F )) und [L : f (U )] = ord U. Der Beweis zeigt u.a.: Ein Zwischenkörper F in L/K ist genau dann galoisch (normal und separabel), wenn Gal(L/F ) ⊳ Gal(L/K). √ Wir betrachten mit der galoischen Erweiterung Q( 3 2, ζ)/Q mit ζ = exp( 2πi 3 ) † ein altes ist S3 . Es ist √ zur Illustration: Die zugehörige Galois-Gruppe √ √ Beispiel Gal(Q( 3 2, ζ)/Q( 3 2)) = hτ i mit dem Automorphismus τ , der 3 2 fixiert und τ (ζ) = ζ 2 genügt; dem entspricht die von etwa der Transposition (13) erzeugte√ Unterguppe, die kein Normalteiler der S3 ist, und entsprechend√ist der Fixkörper Q( 3 2) von √ hτ i nicht √ galoisch über Q. Andererseits ist hσi ⊳ Gal(Q( 3 2, ζ)/Q) mit dem durch σ( 3 2) = 3 2ζ und ζ fixierenden Automorphismus σ ein Normalteiler und also Q(ζ)/Q galoisch. 7.4. Umkehrproblem der Galoistheorie. Sei K ein Körper und P ∈ K[X] ein Polynom, so ist die Galois-Gruppe von P identisch mit der Galois-Gruppe des Zerfällungskörpers L des Polynoms über K (bzw. der Gleichung P (X) = 0 über K), und wir schreiben entsprechend Gal(P ; K) statt Gal(L/K). Wie man leicht sieht ist die Galois-Gruppe eines Polynoms P mit n verschiedenen Nullstellen isomorph zu einer Untergruppe der Sn . In vielen Fällen ist dabei Gal(P ; K) = Sn ; tatsächlich besitzen in einem gewissen maßtheoretischen Sinne fast alle Gleichungen eine symmetrische Galois-Gruppe † Wir verzichten hier und im Folgenden meist auf das ∼ =-Symbol. 38 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA nach einem Satz von Bartel Leendert van der Waerden (1903 – 1996) aus dem Jahre 1933. Ein illustrierendes Beispiel: Sei K ein Körper. Die Diskriminante eines Polynoms P mit Nullstellen α1 , . . . , αn ist definiert durch Y (αj − αi )2 . disc(P ) = i<j Zur Vereinfachung betrachten wir ein kubisches Polynom P = X 3 + aX + b ∈ K[X] mit Nullstellen αj für j = 1, 2, 3 und nehmen an, dass die Charakteristik 6= 2, 3 ist; mit Hilfe der elementarsymmetrischen Polynome findet man leicht disc(P ) = −4a3 − 27b2 (vgl. §1). Ist P irreduzibel und separabel über K, so gilt ( p Z/3Z für disc(P ) ∈ K ∼ Gal(P ; K) = Gal(L/K) = S3 sonst, p Q wobei L der Zerfällungskörper von P sei. Ist nämlich δ := disc(P) = i<j (αj − αi ), dann gilt δ ∈ L. Für die jeweiligen Erweiterungen K(αj )/K gilt mit der Gradformel [K(αj ) : K] = 3 | [L : K] = ord Gal(L/K). Es ist ord Gal(P ; K) ≤ 3! = org S3 und Gal(P ; K) isomorph zu einer Untergruppe der S3 (da Umbenennungen αj → ασ(j) keine Veränderungen liefern). Nun besitzt die S3 nur zwei Untergruppen einer durch 3 teilbaren Ordnung, nämlich < (123) > als drei-elementige und S3 als sechs-elementige Untergruppe. Also folgt Gal(L/K) ∼ = Z/3Z. Im zweiten Fall wäre [L : K] ungerade =< (123) >∼ = S3 oder ∼ und, da δ über K höchstens Grad zwei hat, kann K(δ) kein echter Zwischenkörper von L/K sein, dh. δ ∈ K. Ist umgekehrt δ ∈ K, so gilt σ(δ) = δ für alle σ ∈ Gal(P ; K) und somit enthält Gal(P ; K) keine Transposition τ (mit τ (δ) = sgnτ · δ = −δ). Damit folgt Gal(P ; K) ∼ = Z/3Z. Ein paar explizite Beispiele anhand des Polynoms P = X 3 − aX − 1 über dem Körper K = Q. Für a = 1 ist P = X 3 − X − 1 irreduzibel und separabel mit disc(P ) = −23, und folglich ist die zugehörige Galois-Gruppe S3 . Hingegen ergibt sich für a = 3 mit P = X 3 − 3X − 1 ein irreduzibles Polynom mit disc(P ) = 81 = 92 und die Galois-Gruppe ist Z/3Z. Das Kriterium offenbart bereits, weil Quadrate selten sind, dass die meisten Galoisgruppen tatsächlich symmetrisch sind! Übungsaufgabe 44: Bestimme die Galois-Gruppe der Polynome P = X 3 − aX − 1 für a = 1, 2, . . . , 10. Übungsaufgabe 45: Denke Dir ein Polynom P ∈ Q[X] aus und bestimme dessen Zerfällungskörper L und Galois-Gruppe G sowie sämtliche Zwischenkörper; welche Zwischenkörper sind galoisch und welche Normalteiler besitzt G. Wenn Dir kein Polynom einfällt, untersuche diese Fragen für P = X 5 − 2. Ein bemerkenswertes Resultat zur Reichhaltigkeit symmetrischer Gruppen ist Satz 7.6 (Cayley, 1849/54). Jede endliche Gruppe der Ordnung n ist isomorph zu einer Untergruppe der symmetrischen Gruppe Sn . Wer die symmetrische Gruppe kennt, kennt die Welt!‡ Tatsächlich gilt sogar eine Variante des Cayleyschen Satzes für unendliche Gruppen; diese finden sich in den Permutationsgruppen S(X) := {f : X → X bijektiv} zu beliebigen Mengen X wieder. Arthur Cayley (1821 – 1895), verfasste über neunhundert mathematische Forschungsartikel in nahezu allen Gebieten der Mathematik des 19. Jahrhunderts (obwohl er lange Zeit zum Brotererwerb als Anwalt tätig war); Cayley war der Erste, der eine abstrakte Gruppe definierte,§ und er entwickelte die Theorie der Matrizen (zusammen mit seinem Freund James Joseph Sylvester (1814 – 1897)). ‡ Eigentlich heißt es: Wer die Zetafunktion kennt, kennt die Welt! in Anspielung auf das erstaunliche Universalitätstheorem von Sergei Voronin (1946 – 1997), welches nichts mit Algebra zu tun hat. § axiomatisch war wohl Leopold Kronecker (1823 – 1891) im Jahre 1870 der Erste. Einfache und auflösbare Gruppen 39 Gegeben eine endliche Gruppe G, mag man sich fragen, ob eine Galois-Erweiterung L/K existiert, so dass die Galois-Gruppe der Erweiterung isomorph zu der vorgegebenen Gruppe ist, also G = Gal(L/K) gilt? Nach dem Satz von Cayley ist jede endliche Gruppe isomorph zu einer Untergruppe einer symmetrischen Gruppe Sn und also ist lediglich eine Galois-Erweiterung mit Galois-Gruppe Sn zu konstruieren. David Hilbert (1862 – 1943) stellte 1892 jedoch mit der zusätzlichen Restriktion des Grundkörpers K = Q eine wesentlich schwierigere, im Allgemeinen sogar noch nicht vollständig beantwortete Frage. Wichtige Beiträge zur Klärung dieser Frage gelangen Emmy Noether (1882 – 1935) ab 1917. Für Gleichungen mit symmetrischer Galois-Gruppe ist die Frage relativ leicht zu beantworten: Ist G eine endliche abelsche Gruppe, so gibt es unendlich viele galoische Erweiterungen L/Q mit G = Gal(L/K). Wesentliches Hilfsmittel hierbei ist der Struktursatz für endlich erzeugte abelsche Gruppen; für den Beweis sei auf [Wolfart, §7.2.5] verwiesen. Übungsaufgabe 46: Arbeite dies (und insbesondere den Struktursatz und dessen Beweis) nach! 7.5. Auflösbare und einfache Gruppen. Eine Gruppe G heißt einfach, wenn sie abgesehen von den trivialen Normalteilern {e} (mit dem neutralen Element e) und G selbst keinen weiteren Normalteiler besitzt. Aus Mangel an Untergruppen sind Gruppen von Primzahlordnung stets einfach. Unter einer Normalreihe von G verstehen wir eine Folge sukzessiver Normalteiler {e} =: Nk ⊳ Nk−1 ⊳ . . . ⊳ N1 ⊳ N0 := G. Die zugehörigen Faktorgruppen Nj−1 /Nj heißen Faktoren; sind diese alle abelsch, nennen wir G auflösbar; sind sie einfach, so heißt die Normalreihe eine Kompositionsreihe von G. Beispielsweise sind abelsche Gruppen stets auflösbar; ferner ist die S3 auflösbar mit Kompositionsreihe {id} ⊳ h(123)i ⊳ S3 . Übungsaufgabe 47: Bestimme sämtliche Untergruppen der symmetrischen Gruppe Sn für n = 3 und n = 4. Welche Untergruppen sind Normalteiler? Zeige, dass sowohl die S3 als auch die S4 auflösbar ist. Für Elemente a, b einer Gruppe G heißt [a, b] := aba−1 b−1 der Kommutator von a und b; die von allen solchen Kommutatoren erzeugte Untergruppe [G, G] := h{[a, b] : a, b ∈ G}i ist die Kommutatorgruppe von G. Diese besteht aus genau allen möglichen endlichen Produkten von Kommutatoren, und [G, G] ist der kleinste Normalteiler N , so dass G/N abelsch ist. Ferner gilt: Ist π : G → G/[G, G] die kanonische Projektion, so existiert zu jedem Gruppenhomomorphismus ϕ : G → H mit einer abelschen Gruppe H genau ˜ ◦ π. Mit dieser universellen ein Homomorphismus ϕ̃ : G/[G, G] → H mit ϕ = varphi Abbildungseigenschaft gelingt folgende wichtige Charakterisierung von Ausflösbarkeit: Satz 7.7. Eine Gruppe G ist genau dann auflösbar, wenn die rekursiv definierte Folge von Kommutatorgruppen G0 := G, Gj+1 := [Gj , Gj ] für j = 0, 1, . . . abbricht, d.h. ein k ∈ N existiert, so dass Gk = {e} (mit dem neutralen Element e in G). Als unmittelbare Konsequenz zeigt sich, dass jede Untergruppe einer auflösbaren Gruppe selbst wieder auflösbar ist. Ferner ist das Bild einer auflösbaren Gruppe unter einem surjektiven Gruppenhomomorphismus auflösbar. Übungsaufgabe 48: Gebe einen strengen Beweis für die beiden vorangegangenen Aussagen. 40 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Die Elemente σ der Sn mit positivem Signum sgn σ = +1 bilden eine Gruppe, die so genannte alternierende Gruppe An ; diese hat offensichtlich Index zwei in Sn bzw. Sn /An ∼ = Z/2Z; dabei ist An der Kern des Gruppenhomomorphismus sgn : Sn → {±1} und also stets ein Normalteiler der Sn . Während also sowohl die A3 als auch die A4 einfach oder auflösbar sind (siehe obige Übungsaufgabe), zeigt sich mit ein wenig Rechnerei hingegen [A5 , A5 ] = A5 , und also ist die A5 nicht auflösbar. 7.6. Die Isomorphiesätze. spielen eine zentrale Rolle in der Gruppentheorie; sie gehen auf Emmy Noether zurück, welche die so genannte moderne Algebra Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts begründete.¶ Satz 7.8 (Erster Isomorphiesatz). Sei U eine Untergruppe und N Normalteiler einer Gruppe G. Dann ist U N := {un : u ∈ U, n ∈ N } eine Untergruppe von G und U ∩ N ein Normalteiler von U und es gilt U N/N ∼ = U/(U ∩ N ) vermöge des Isomorphismus gN 7→ g(U ∩ N ). Der Beweis basiert auf dem kanonischen Homomorphismus U N 7→ U N/N . Ein Bestandteil ist folgende Übungsaufgabe 49: Es sei G eine abelsche Gruppe. Beweise: Mit Untergruppen U und V von G ist auch U V eine Untergruppe von G. Ein illustrierendes Beispiel: Die Kleinsche Vierergruppe (bzw. ihr isomorphes Bild in der S4 ) ist gegeben durch V4 := {id, (12)(34), (13)(24), (14)(23)} ∼ = Z/2Z × Z/2 Z. Es ist V4 ⊳ S4 und S3 V4 = S4 ,k so dass also S4 /V4 = S3 V4 /V4 ∼ = S3 . = S3 /S3 ∩ V4 ∼ Entsprechend ergibt sich die Kompositionsreihe {id} ⊳ V4 ⊳ A4 ⊳ S4 . Übrigens besagt der Satz von Jordan-Hölder (benannt nach Camille Jordan (1838 – 1922) und Otto Hölder (1859 – 1937)), dass je zwei Kompositionsreihen ein und derselben Gruppe äquivalent sind. Satz 7.9 (Zweiter Isomorphiesatz). Sei ϕ : G → H ein surjektiver Homomorphismus von Gruppen G und H mit Kern K = ker ϕ (⊳ G). Dann gelten: (i) Ist N die Menge aller Normalteiler von G, die K enthalten, und M die Menge aller Normalteiler von H, so ist die Abbildung N ∋ N 7→ ϕ(N ) ∈ M bijektiv mit Inversem Ψ : M → N , M 7→ ϕ−1 (N ). (ii) Für jedes N ∈ N (gemäß i)) ist G/N ∼ = H/ϕ(N ) vermöge des Isomorphismus gN 7→ ϕ(g)ϕ(N ). Als Konsequenz ergibt sich das auch gemeinhin als Kürzungssatz bezeichnete Korollar: Ist K ein Normalteiler einer Gruppe G, so entsprechend die Normalteiler N von G, die K enthalten, eineindeutig den Normalteilern der Faktorgruppe G/K vermöge der bijektiven Abbildung N 7→ N/K; hierbei gilt insbesondere G/N ∼ = (G/K) / (N/K) vermöge gN 7→ (gK)(N/K). Damit gelingt nun eine weitere, für das Weitere relevante Charakterisierung von Auflösbarkeit: Satz 7.10. Es sei G eine Gruppe und N ⊳ G Normalteiler. Dann ist G genau dann auflösbar, wenn N und G/N auflösbar sind. ¶ siehe die Internetseiten http://www.tollmien.com/noetherlebensdaten.html von Cordula Tollmien zu ihrem Lebenslauf. k Hierbei fassen wir S3 vermöge der Restriktion (4) als Untergruppe der S4 auf. Struktursätze der Gruppentheorie 41 Damit ist der Begriff der Auflösbarkeit stabil bzgl. des Bildens von Untergruppen (wie wir oben gesehen hatten) und bzgl. Faktorgruppenbildung! Mit diesen Kriterien lassen sich leicht Gruppen als nicht auflösbar nachweisen. Nach einem obigen Beispiel ist A5 nicht auflösbar, wohl aber S5 /A5 ∼ = Z/2Z, womit also auch die S5 nicht auflösbar ist. Damit folgt, wie bereits Galois wußte: Für n ≥ 5 ist die alternierende Gruppe An nicht auflösbar. (Alternativ kann man dies natürlich auch aus der Stabilität des Auflösbarkeitsbegriffes bzgl. Untergruppen heraus folgern.) Daraus werden wir später ableiten, dass die allgemeine Gleichung fünften oder höheren Grades nicht durch Radikale lösbar ist.∗∗ Knobelaufgabe: Beweise dass die Diedergruppe Dn := {a, b : an = b2 = 1, b−1 ab = a−1 } für beliebiges n ∈ N auflösbar ist. 8. Struktursätze der Gruppentheorie Einige der folgenden Resultate werden nur skizzenhaft bewiesen, andere gar nicht. Wünschenswer wäre, den Stoff nachzuarbeiten. (Und mehr Zeit für die Vorlesungsstoff zu haben!) 8.1. Die Sylow-Sätze. Im Folgenden bezeichne p stets eine Primzahl. Der kleine Fermat (siehe §2) zeigt: Eine Gruppe G der Ordnung p ist notwendig isomorph zur additiven Gruppe Z/pZ, aber was lässt sich im Falle ord G = pm mit einem m ≥ 2 schlussfolgern? Der Satz von Lagrange impliziert, dass die Ordnung von Untergruppen stets Teiler der Gruppenordnung sind. Dies ist ein hilfreiches Kriterium zum Aufspüren von Untergruppen. Ferner stellt sich auch die Frage, ob zu jedem Teiler der Gruppenordnung auch eine Untergruppe mit eben diesem Teiler als Ordnung existiert. Tatsächlich ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Ein allererster Schritt ist folgendes Lemma von Cauchy: Ist G eine endliche abelsche Gruppe und p ein Primfaktor von ord G, so existiert i) ein Element g ∈ G mit ord g = p und ii) eine Untergruppe U ≤ G mit ord U = p. Mit ein wenig mehr Aufwand zeigt man selbiges für beliebige endliche Gruppen. Eine Gruppe G heißt eine p-Gruppe, wenn die Ordnung eine Potenz von p ist, also ord G = pm für ein m ∈ N gilt. Für beliebige endliche Gruppen G nennen wir eine Untergruppe U ≤ G eine p-Untergruppe von G, wenn U eine p-Gruppe ist; ferner heißt ein solches U eine p-Sylow-Untergruppe von G, wenn ord U = pm die größte Potenz von p ist, die ord G teilt. Die Benennung ist zu Ehren des Mathematikers Peter Ludwig Mejdell Sylow (1832 – 1918). Satz 8.1. Sei G eine endliche Gruppe und p ein Primfaktor von ord G. Dann existiert eine p-Sylow-Untergruppe von G Der Beweis erfolgt per Induktion nach ord G in Kombination mit dem Lemma von Cauchy und der Klassenformel: X ord G = ord ZG + (G : NG (x)); x∈V hierbei ist ZG := {g ∈ G : gh = hg ∀h ∈ G} das Zentrum von G (ein Normalteiler von G und Maß für die Kommutativität in G) sowie NG (x) := {g ∈ G : gx = xg} der Normalisator von x, und V ein Vertretersystem der verschiedenen Orbits G · x mit Index (G : NG (x)) > 1 bzgl. der Äquivalenzrelation y ∼ x :⇔ y = g · x (siehe [Meyberg, §2.1 in Band 1]).∗ Übungsaufgabe 50: Arbeite die Klassenformel nach und vervollständige den Beweis von Satz 8.1. ∗∗ was auch die Namensgebung erklärt Die Klassenformel spielt auch eine wichtige Rolle in der Klassifikation der Alkohole durch George Pólya (1887 – 1985); siehe K. Jacobs, Einfhrung in die Kombinatorik, De Gruyter, Berlin 2004. ∗ 42 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Ein wichtiges technisches Detail zur Untergruppenstruktur: Ist U eine p-Untergruppe einer Gruppe G, so ist auch gU g −1 für beliebiges g ∈ G eine p-Untergruppe. Damit gelingt Satz 8.2 (Sätze von Sylow, 1872). Sei G eine endliche Gruppe und p ein Primfaktor von ord G. Dann gelten: (i) Jede p-Untergruppe U ≤ G ist in einer p-Sylow-Untergruppe S ≤ G enthalten. (ii) Alle p-Sylow-Untergruppen S von G sind konjugiert, d.h. zu je zwei p-SylowUntergruppen S1 , S2 existiert ein g ∈ G mit S2 = gS1 g −1 (und insbesondere sind S1 und S2 isomorph). (iii) Die Anzahl Np der p-Sylow-Unterguppen von G ist ≡ 1 mod p und ein Teiler von ord G. Es gilt also Np = 1 + ap sowie ord G = bNp für gewisse a, b ∈ N. Die Sylowschen Sätze liefern viel Informationen über die Struktur endlicher Gruppen. Beispielsweise wollen wir uns Überblick über die Untergruppen der S4 verschaffen: Wegen ord S4 = 24 = 23 · 3 existieren nach den Sylowschen Sätzen Untergruppen der Ordnung drei und acht. Die Untergruppen der Ordnung drei ergeben sich durch die verschiedenen Drei-Zykel der Form (ijk) mit verschiedenen i, j, k ∈ {1, 2, 3, 4}; es gibt also insgesamt vier 3-SylowUntergruppen und deren Konjugiertheit illustriert beispielsweise h(123)i = (34) h(124)i (34)−1. Etwas aufwendiger gestaltet sich das Auffinden der acht-elementigen Untergruppen. Ein Beispiel einer 2-Sylow-Untergruppe ist das Produkt V4 h(12)i mit der Kleinschen Vierergruppe V4 (aus §7); wegen V4 ∩ h(12)i = {id} ist ord (V4 h(12)i) = ord V4 · ord h(12)i = 4 · 2 = 8. Übungsaufgabe 51: Bestimme sämtliche p-Sylow-Untergruppen der S3 und S4 . Finde eine 2-Sylow-Untergruppe der A5 . Übungsaufgabe 52: Folgere aus den Sylow-Sätzen, dass eine Gruppe G der Ordnung p2 abelsch und demzufolge die S3 somit die kleinste nicht-abelsche Gruppe ist. Eine weitere, recht allgemeine Konsequenz der Sylow-Sätze: Ist G eine Gruppe der Ordnung 2p mit einer ungeraden Primzahl p, so ist G entweder (i) zyklisch, d.h. G ∼ = Z/2pZ; (ii) isomorph zur Dieder-Gruppe† Dp := hd, s : dp = s2 = id, sds = d−1 i = {id, d, . . . , dp−1 , s, sd, . . . , sdp−1 }. Die Dieder-Gruppe ist nicht nur für ungerade Primzahlen p definiert, sondern ganz analog für beliebige natürliche Zahlen ≥ 2; interpretiert man d als Drehung um den Winkel 2π n um den Ursprung (entgegen dem Uhrzeigersinn) in der komplexen Ebene sowie s als die Spiegelung an der reellen Achse, so ergibt sich Dp als die Symmetriegruppe des ‡ regulären p-Ecks mit den p-ten Einheitswurzeln ζpk = exp( 2πik p ). Speziell für die Primzahl p = 2§ klassifizieren sich die Gruppen der Ordnung 4 = 22 als isomorph zu entweder Z/4Z oder Z/2Z × Z/2Z, wobei letztere identisch ist mit der Kleinschen Vierergruppe V4 ; hingegen ist eine Gruppe der Ordnung 8 = 23 isomorph zu einer der folgenden fünf Gruppen: Z/8Z, Z/4Z × Z/2Z, (Z/2Z)3 , D4 (der Dieder-Gruppe mit acht Elementen) oder der Quaternionengruppe Q := hx, y : x4 = y 4 = e, x2 = y 2 , yxy −1 = x−1 i † Silbentrennung: Di-eder, entsprechend spricht man: di – eder; griech. für Zweiflächner Für Symmetriegruppen von Würfel, Oktaeder, Fußbällen usw. verweisen wir auf [Fischer, §I.5]. § im englischsprachigen Raum auch wegen ihrer Eigenheiten als ’the oddest prime’ bekannt ‡ Struktursätze der Gruppentheorie 43 benannt nach William Stirling Hamilton (1788 – 1856).¶ Eine komplette Liste aller Isomorphietypen von Gruppen einer Ordnung ≤ 15 findet sich in [Fischer, §I.6.13].k Übungsaufgabe 53: Verifiziere: Eine Gruppe der Ordnung p2 mit einer Primzahl p ist abelsch und isomorph zu entweder Z/p2 Z oder Z/pZ × Z/pZ. Übungsaufgabe 54: Zeige: Eine p-Sylow-Untergruppe U von G ist genau dann ein Normalteiler von G, wenn U die einzige p-Sylow-Untergruppe ist. Ferner besitzen zwei verschiedene p-Sylow-Untergruppen nur das neutrale Element gemeinsam. 8.2. Zyklische Gruppen. Die Notation direkter Produkte U × V := {(u, v) : u ∈ U, v ∈ V } ist aus der linearen Algebra bekannt; mit der Verknüpfung (u1 , v1 ) · (u2 , v2 ) := (u1 u2 , v1 v2 ) lassen sich si aus (multiplikativ geschriebenen) Gruppen U und V neue Gruppen U ×V bilden. Beispielsweise kann die Kleinsche Vierergruppe V4 als Z/2Z×Z/2Z aufgefasst werden. Die Gruppenordnung verhält sich dabei multiplikativ: ′ ord U × V = ord U · ord V, und U := {(u, e) : u ∈ U } sowie V ′ := {(e, v) : v ∈ V } sind Normalteiler in U × V , die nur das neutrale Element (e, e) gemein haben; ferner gilt U × V = U ′ V ′ . Tatächlich gilt auch eine gewisse Umkehrung: Ist G eine Gruppe mit Normalteilern U und V , so dass U ∩ V = {e} und G = U V sowie uv = vu für alle u ∈ U, v ∈ V , so ist G ∼ = U ×V. Hiermit gelingt in Kombination mit modularer Arithmetik∗∗ Z/mnZ = Z/mZ × Z/nZ, (Z/mnZ)∗ = (Z/mZ)∗ × (Z/nZ)∗ im Falle teilerfremder natürlicher Zahlen m, n.†† Weiteres Aufspalten liefert Y Z/pνp (m)Z, Z/mZ ∼ = p|m Q wobei ord G = m = p pνp (m) die Primfaktorzerlegung von m ist. Als Konsequenz des Homomorphiesatzes hatten wir zyklische Gruppen G bereits als isomorph zu Z/mZ (im Falle ord G = m) bzw. isomorph zu Z (im Falle ord G = ∞) klassifiziert. Darüber hinaus gilt Satz 8.3 (Struktursatz für endliche abelsche Gruppen). Jede endliche abelsche Gruppe G ist direktes Produkt zyklischer Untergruppen. Es gilt Q (i) G ∼ = pd Z/pd Z, wobei die pd nicht notwendig verschiedene Primzahlpotenzen Q sind und ord G = m = p pd ; (ii) G ∼ = Z/d1 Z × Z/d2 Z × . . . × Z/ dr Z, wobei die dj eindeutig bestimmte natürliche Zahlen, die so genannten Elementarteiler von G, sind mit 1 < d1 | d2 | . . . | dr . Im Falle G = {e} sind die Produkte leer. Der Beweis erfolgt per Induktioon nach der Gruppenordnung. Für den noch allgemeineren Struktursatz für endlich erzeugte abelsche Gruppen verweisen wir auf [Fischer, §I.6.4-9]. Übungsaufgabe 55: Arbeite diese Sätze mit Beweisen(!) nach. 8.3. Die Struktur der primen Restklassengruppen. ist eigentlich ein Thema der Zahlentheorie. Wir schließen jedoch noch eine alte Lücke im Beweis des Satzes vom primitiven Element durch Satz 8.4. Die multiplikative Gruppe F∗ eines endlichen Körpers F ist zyklisch; insbesondere ist die prime Restklassengruppe (Z/pZ)∗ für eine Primzahl p zyklisch und es existieren ϕ(p − 1) Erzeugende. ¶ Die Quaternionen bilden eine nicht-kommutative Struktur oberhalb der komplexen Zahlen. und auch etwas zu Don Giovanni Gruppen in Anlehnung an Mozarts Oper! ∗∗ der chinesische Restsatz wird ausgiebig in der Zahlentheorie behandelt †† Wir erinnern: R∗ steht für die Einheitengruppe (also die multiplikative Gruppe der invertierbaren Elemente) eines Rings R. k 44 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA Hierbei ist ϕ(m) = ord (Z/mZ)∗ die altbekannte Eulersche ϕ-Funktion. Die Erzeugenden der primen Restklassengruppe (a.k.a. der Einheitengruppe des Restklassenrings∗) heißen Primitivwurzeln modulo p; beispielsweise gilt (Z/5Z)∗ = {1 = 20 , 2, 3 ≡ 23 , 4 = 22 mod 5} = h2 mod 5i, (Z/7Z)∗ = h3 mod 7i. Der Beweis ist nicht konstruktiv† und basiert auf der Ungleichung X X ϕ(d) = n, ψ(d) ≤ n= d|n d|n wobei ψ(d) die Anzahl der Elemente der Ordnung d zählt und (sich letztlich als ϕ(d) erweist) und n := ord F∗ . Mit mehr Aufwand gelingt ein Satz von Gauß: Es ist (Z/mZ)∗ genau dann zyklisch, wenn m = 2, 4, pν oder 2pν mit einer ungeraden Primzahlpotenz pν . Übungsaufgabe 56: Zeige, dass jede Untergruppe einer zyklischen Gruppe wiiederum zyklisch ist. 8.4. Kreisteilung. Die komplexen Nullstellen des Polynoms X n − 1 ∈ Q[X] heißen n-te Einheitswurzeln und bilden ein reguläres n-Eck in der komplexen Ebene;‡ sie sind das Bild des Homomorphismus Z → C, a 7→ ζna 2π 2π mit ζn = exp( 2πi n ) = cos n + i sin n . Mit der 2πi-Periodizität der Exponentialfunktion ergibt sich der Isomorphismus Z/nZ → Cn := {1, ζn , ζn2 , . . . , ζnn−1 } ⊂ C; man beachte, dass links eine additive Gruppe steht, während rechts eine multiplikativ abgeschlossene Menge steht.§ Satz 8.5 (Gauß, 1796/1801). Die Menge Cn der n-ten Einheitswurzeln bildet eine zyklische Gruppe der Ordnung n und Q(ζn ) ist der Zerfällungskörper von X n − 1 über Q vom Grad [Q(ζn ) : Q] = ϕ(n). Die Erweiterung√Q(ζn ) heißt der n-te Kreisteilungskörper; beispielsweise ist Q(ζ4 ) = Q(i) und Q(ζ3 ) = Q( 3i). Der Beweis des Satzes geht weitgehend analog wie der von Satz 8.4. Die ϕ(n) Erzeugenden ζna mit zu nteilerfremden a heißen primitive n-te Einheitswurzeln und sie bilden mit der Verknüpfung ζna ∗ ζnb := ζnab eine zu (Z/nZ)∗ isomorphe Gruppe, die wir mit Cn∗ notieren. Übungsaufgabe 57: Verifiziere: i) Cd ≤ Cn genau dann, wenn d teilt n; ii) ist d ein Teiler von n, so ist Cd∗ = {ζ ∈ Cn : ord ζ = d}; sowie iii) [ Cd∗ Cn = d|n und diese Vereinigung ist disjunkt. Wir illustrieren dies an einem Beispiel: Im Falle n = 3 sind die dritten Einheitswurzeln √ 1 ζ3 = exp( 2πi 3i) und sein Konjugiertes ζ32 primitiv (und im nachstehenden ) = (−1 + 3 2 Bild sieht man ein entsprechendes reguläres Dreieck); im Falle n = 4 sind die imaginären Einheiten ζ4 = +i und ζ43 = −i primitiv. ∗ also die Menge der Restklassen a mod m mit zu m teilerfremden a Viele moderne Kryptographieverfahren basieren auf der Arithmetik primer Restklassengruppen zu großen Primzahlen. ‡ siehe Titelbild für den Fall n = 17 § Hintegrund ist letztlich die Funktionalgleichung der Exponentialfunktion: exp(x + y) = exp(x) · exp(y). † Struktursätze der Gruppentheorie 45 Abbildung 2. Dreihasenfenster im Paderborner Dom aus dem 16. Jhd. Nach einer geeigneten Drehung stehen die Fußspitzen der Hasen auf den drittenEinheitswurzeln auf dem komplexen Einheitskreis. Eine frühere Abbildung zeigt ein reguläres Fünfeck. Zur Berechnung des Erweiterungsgrades der Körpererweiterung Q(ζn )/Q bzw. Bestimmung des Minimalpolynoms des primitiven Elementes ζn definieren wir das n-te Kreisteilungspolynom Y Y Φn = (X − ζ) = (X − ζns ). ∗ ζ∈Cn a∈(Z/nZ)∗ Beispielsweise gilt Φ1 = X − 1, Φ2 = X + 1, Φ3 = X 2 + X + 1. Wie etwa Φ105 = X 48 + . . . − 2X 7 − . . . + 1 lehrt, sind die Koeffizienten nicht stets 0 oder ±1; allerdings sind die Kreisteilungspolnome tatächlich über Z definiert: Für n ∈ N ist Φn ∈ Z[X] und irreduzibel. Dies folgt im Falle eines primen n aus dem Kriterium von SchönemannEisenstein (vgl. §2) und im (schwierigeren) allgemeinen Fall aus der Identität Y Y Φd ; Φd = Φn · Xn − 1 = d|n d|n d6=n letztere erlaubt die rekursive Berechnung der Kresiteilungspolynome. So gilt u.a.: Φ6 = X6 − 1 X6 − 1 = = X 2 − X + 1. Φ1 Φ2 Φ3 (X − 1)(X + 1)(X 2 + X + 1) Übungsaufgabe 58: Berechne sämtliche Kreisteilungspolynome Φn für n ≤ 12. Als Korollar ergibt sich: Φn ist das Minimalpolynom einer jeden primitiven n-ten Einheitswurzel ζ ∈ Cn∗ und deg Φn = ord Cn∗ = ϕ(n). Dies schließt den Beweis von Satz 8.5 ab. Satz 8.6. Der Kreisteilungskörper Q(ζn ) ist eine normale und separable (und damit galoische) Erweiterung von Q mit Galois-Gruppe Gal(Q(ζn )/Q) ∼ = (Z/nZ)∗ vermöge des durch a mod n 7→ σa definierten Isomorphismus mit σa : ζn 7→ ζna (für zu n teilerfremde a). Insbesondere sind die Galois-Gruppen von Kreisteilungskörper abelsch und oftmals sogar zyklisch. Darüberhinaus gilt der bemerkenswerte Satz von Kronecker-Weber:¶ Jede galoische Erweiterung L/Q mit abelscher Galois-Gruppe ist in einem Kreisteilungskörper ¶ Heinrich Martin Weber (1842 – 1913); vervollständigte die Kroneckersche Argumentation 46 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA enthalten. Dies erinnert natürlich an den Satz 7.6 von Cayley zur Reichhaltigkeit von Permutationsgruppen! Relativ leicht lassen sich immerhin die quadratischen Zahlkörper wiederfinden: Zunächst bestehen die Orthogonalitätsrelationen X n falls a ≡ 0 mod n, ak ζn = 0 sonst, 0≤k<n und insbesondere verschwindet also die Summe aller n-ten Einheitswurzeln. Für eine ungerade Primzahl p und hierzu teilerfremde a sei das Legendre-Symbol modulo p definiert durch ( ap ) = +1, falls die kongruenz X 2 ≡ a mod p lösbar ist, und ( ap ) = −1 sonst, sowie die assoziierte Gaußsche Summe (eine gewichtete Summe von Einheitswurzeln) X b ζ ab τa := p p b mod p und τ := τ1 ; hierbei läuft die Summation über ein vollständiges (primes) Restsystem modulo p. Gauß fand die folgenden fundamentalen Beziehungen: X p−1 2 a τa = τ, τ = ζpx , τ 2 = (−1) 2 p. p x mod p k Die Beweise basieren auf dem Restklassenkalkül und der Orthogonalitätsrelation. √ Ins√ besondere ist ±p = τ ∈ Q(ζp ) und letztlich jeder quadratische Zahlkörper Q( d) in einem Kreisteilungskörper enthalten. Übungsaufgabe 59: Besuche die Zahlentheorie nächstes Semester oder arbeite dies nach! Eine seltsame Anwendung der Theorie der Kreisteilungspolynome zeigt: Zu beliebigem q existieren unendlich viele Primzahlen der Form p = qn + 1. Sind nämlich p1 , . . . , pr Primzahlen dieser Art, so gilt für m := qp1 · . . . · pr (bzw. m = q im Falle r = 0), dass Φq (nm) ≡ φq (0) ≡ ±1 mod m bzw. mod pj für jedes j ≤ r und beliebiges n. Damit ist Φq (nm) nicht durch pj teilbar und keiner seiner Primfaktoren teilt q. Für hinreichend große n ist dabei sicherlich Φq (nm) 6= ±1 und es gibt eine von den pj verschiedene Primzahl p, die Φq (nm) teilt. Nun besitzt nm mod p wegen p | Φq (nm) die Ordnung q und mit dem Satz von Lagrange ist q ein Teiler von p−1, also von der gewünschten Form. Dieses Auffinden einer weiteren Primzahl p ≡ 1 mod q lässt sich ad infinitum fortsetzen. Tatsächlich besagt ein Satz von Dirichlet weitaus mehr: Jede prime Restklasse a mod q (also a und q teilerfremd) enthält unendlich viele Primzahlen. Der Beweis ist wesentlich schwieriger und benutzt sowohl algebraische wie analytische Hilfsmittel.∗∗ Rechercheaufgabe: Die Beweisidee des letzten Satzes über unendlich viele Primzahlen der Form p = qn + 1 verallgemeinert den (aus der Schule bekannten?) Euklidschen Beweis von der Unendlichkeit der Menge der Primzahlen. Recherchiere, wer zuerst diese Art von Argumentation (mit Hilfe der Kreisteilungspolynome) geführt hat, um unendlich viele Primzahlen der Form p ≡ 1 mod n nachzuweisen. 9. Finale: Anwendungen der Galois-Theorie 9.1. Radikalerweiterungen. Im Folgenden sei (der Einfachheit halber) die Charakteristik aller auftretenden Körper stets null, also Q der Primkörper. Eine Körpererweiterung L/K heißt Radikalerweiterung, wenn es eine Folge ineinandergeschachtelter Zwischenkörper Fj mit K =: F0 ⊂ F1 ⊂ F2 ⊂ . . . ⊂ Fr−1 ⊂ Fr := L k Die genaue Bestimmung des komplexen Vorzeichens der Gauß-Summe τ , nämlich τ = √ bzw. = i p für p ≡ 3 mod 4, soll Gauß sogar vier Jahre Forschung gekostet haben. ∗∗ und ist Gegenstand der Master-Vorlesung zur Zahlentheorie √ p für p ≡ 1 Anwendungen der Galois-Theorie 47 gibt, so dass für jedes j = 1, . . . , r ein αj ∈ Fj und ein nj ∈ N existieren mit Fj = Fj−1 (αj ) n αj j ∈ Fj−1 . und Hierbei entsteht Fj also aus Fj−1 durch Adjunktion einer Nullstelle eines Polynoms n der einfachen Form X nj − αj j ∈ Fj−1 [X] — gewissermaßen also durch Ziehen einer nj -ten Wurzel; eine n-te Wurzel heißt auch Radikal vom Exponenten n. Tatsächlich ist √ 1 das Symbol β n bzw. n β für n ≥ 2 im folgenden Sinne mehrdeutig: Bezeichnet L den Zerfällungskörper von P = X n − β über K, so enthält L sämtliche n-ten Einheitswurzeln 1 ζn , . . . , ζnn−1 , ζnn = 1, die Nullstellen von P sind gegeben durch ζnj β n für j = 1, . . . , n und 1 L = K(β n , ζn ). Wegen 1 K ⊂ K(ζn ) ⊂ K(β n , ζn ) = L handelt es sich bei L/K selbst um eine Radikalerweiterung. Ferner sind die Kreisteilungskörper selbst Radikalerweiterungen. Ein noch einfacheres Beispiel liefert die Mitternachtsformel: Für rationale p und q gilt p p X 2 + pX + q = (X − 12 (p + p2 − 4q))(X − 12 (p − p2 − 4q)) p und die Nullstellen sind in dem Körper Q( p2 − 4q) enthalten, womit dieser eine Radikalerweiterung von Q darstellt. Entsprechend führen auch die Formeln von Cardano und Ferrari für Gleichungen dritten und vierten Grades auf Radikalerweiterungen. Ein Polynom P ∈ K[X] heißt durch Radikale lösbar, wenn ein Körper L existiert, der den Zerfällungskörper von P enthält, und L/K eine Radikalerweiterung ist. Insbesondere sind dann die Nullstellen von P durch Radikale darstellbar; tatsächlich besitzt aber damit jede Zahl in L eine Darstellung durch Radikale verknüpft mit rationalen Operationen.∗ Warum nicht vom Zerfällungskörper Radikalität gefordert wird, erläutert die nachstehende Übungsaufgabe 60: Gib ein Beispiel eines Körperturms L/F/K an, so dass L/K eien Radikalerweiterung ist, nicht aber F/K. Tatsächlich liefert die Galois-Theorie nun Aufschluss über die Auflösbarkeit von polynomiellen Gleichungen. Es korrespondieren nämlich Radikalerweiterungen mit auflösbaren Galois-Gruppen: Satz 9.1 (Galois 1832). Es sei K ein Körper der Charakteristik null. Dann ist ein Polynom P ∈ K[X] genau dann durch Radikale lösbar, wenn die Galois-Gruppe Gal(P ; K) auflösbar ist. Zunächst einmal beweist man per Induktion nach dem Grad: Zu jeder Radikalerweiterung L/K existiert eine Erweiterung M/L, so dass M/K galoisch und Radikalerweiterung ist. Hierbei sind die Zerfällungskörper von X n − αn zu untersuchen. Als nächsten Schritt beweist man Satz 9.2. Ist L/K eine galoische Radikalerweiterung, so ist die Galois-Gruppe Gal(L/K) auflösbar. Für den Nachweis dieses Satzes werden nahezu sämtliche Sätze der Galois-Theorie benötigt. Hilfreich ist die Adjunktion einer primitiven n-ten Einheitswurzel ζ mit n = n1 n2 · . . . · nr ; in Analogie zu den Kreisteilungskörpern besitzt dann nämlich Gal(L(ζ)/K) eine Normalreihe mit zyklischen (also insbesondere abelschen) Faktoren. Der Übergang zu Polynomen und deren assoziierten Galois-Gruppe ist einfach: Ist Gal(P ; Q) nicht auflösbar, so ist P nicht durch Radikale lösbar! Insofern liefert dieser Satz bereits eine Implikation des Galoischen Satzes 9.1. Beispielsweise erweist sich so das Polynom P = X 5 − 2X 4 + 2 ∗ Diese letzte Definition ist vielleicht unerwartet, da sie eine gewisse Körpererweiterung in den Vordergrund stellt, was allerdings die Anwendbarkeit der Körpertheorie betont! 48 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA als nicht auflösbar. Allgemeiner gilt: Ist P ∈ Q[X] irreduzibel von Primzahlgrad deg P = p und besitzt P nur zwei nicht reelle Nullstellen, so gilt Gal(P ; Q) ∼ = Sp . Man erinnere sich, dass die symmetrische Gruppe Sn für n ≥ 5 nicht auflösbar ist. Noch allgemeiner gilt Satz 9.3 (Ruffini–Abel–Galois 1799/1826/1832). Die allgemeine Gleichung n-ten Grades für n ≥ 5 nicht auflösbar. Tatsächlich ist die Galois-Gruppe des allgemeinen Polynoms n-ten Grades P = X n + a1 X n−1 + . . . + an−1 X + an mit unbestimmten Koeffizienten a1 , . . . , an isomorph zur symmetrischen Gruppe Sn . Man beachte, dass die Koeffizienten gleich den elementar-symmetrischen Polynomen (vgl. §2) ausgewertet in den Nullstellen von P sind. In Galois’ Nachlass findet sich der Galoistheoretische Beweis; Ruffini hatte bereits 1799 eine alternative, aber sehr lückenhafte Lösung, die Abel 1823/26 vervollständigte. Allerdings mag die allgemeine Gleichung fünften oder höheren Grades mit weiteren Hilfsmitteln lösbar sein. Dieser Frage sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Mathematiker nachgegangen. Hier ist insbesondere Felix Klein mit seiner Ikosaedergleihung zu nennen; hierzu verweisen wir einmal mehr auf [Fischer, §III.5.12]. Übungsaufgabe 61: Bestimme für a = 1, 2 den Zerfällungskörper L von X 5 − aX + 1 über Q, die Galois-Gruppe zu L/Q und sämtliche Zwischenkörper bzw. Untergruppen von Gal(L/Q). Natürlich existieren Polynome, die durch Radikale lösbar sind, wie beispielsweise sämtliche Kreisteilungspolynome. Auch hier ist die Galois-Gruppe das entscheidende Kriterium; letztlich basiert die entsprechende Implikation des Galoischen Satzes 9.1 auf dem Lemma: Ist L/K endlich und galoisch mit auflösbarer Galois-Gruppe Gal(L/K), so existiert eine Einheitswurzel ζ mit der Eigenschaft, dass L(ζ)/K eine Radikalerweiterung ist. Übungsaufgabe 62: Beweise, dass alle Polynome P ∈ Q[X] mit einem Grad deg P ≤ 4 durch Radikale lösbar sind. Verifiziere hierfür die Kompositionsreihe {id} ⊳ V4 ⊳ A4 ⊳ S4 . Knobelaufgabe: Für welche reellen Werte von a ist das Polynom X 6 + aX + 1 durch Radikale lösbar? 9.2. Was geht? – Unterwegs mit Zirkel und Lineal. Zunächst widmen wir uns noch einmal der Kreisteilung. Nach Satz 8.6 ist die Galois-Gruppe eines Kreisteilungskörpers abelsch, also insbesondere auflösbar und somit folgt mit dem Galoischen Satz 9.1: Das Kreisteilunsgpolynom ist durch Radikale lösbar. Dies wußte bereits Gauß (wenngleich in anderer Sprache; noch zuvor bewies Vandermonde 1771, dass jede elfte Einheitswurzel eine Darstellung durch Radikale besitzt). Deren Methoden waren sogar explizit, und für eine solche Gaußsche Radikaldarstellung einer primitiven siebzehnten Einheitswurzel schaue man sich die Titelseite des Skriptes an.† Wir skizzieren hier lediglich im einfachen Fall p = 5 eine solche Radikaldarstellung: Es ist Φ5 := X 4 + X 3 + X 2 + X + 1 = 0 äquivalent zu Y2+Y −1=0 mit Y := X + X −1 . √ Lösen der letzten quadratischen Gleichung liefert y = 12 (−1 ± 5) und via X 2 − yX + 1 = 0 ergibt sich als Lösung der Ausgangsgleichung Φ5 (ζ) = 0 nun die Lösungen q √ √ 1 (7) ζ = 4 −1 ± 5 ± −10 ∓ 2 5) † Für Details zu den Methoden von Vandermonde und Gauß verweisen wir auf [Stewart, §21]. Anwendungen der Galois-Theorie 49 für die primitiven fünften Einheitswurzeln. Eine klassische Konstruktionsaufgabe der Geometrie besteht in der Konstruktion regulärer n-Ecke unter ausschließlicher Verwendung von Zirkel und Lineal. Bereits Pythagoras und seine Schule konstruierte das reguläre Fünfeck. Euklid gibt in seinen Elementen ebenfalls diese Konstruktion an und zeigt, dass sich die Seiten im Pentagramm im Verhältnis des goldenen Schnittes teilen.‡ Und tatsächlich lässt sich die obige Darstellung der fünften Einheitswurzeln durch Radikale (7) hierzu verwenden, doch bevor wir dies weiter erörtern, wollen wir zunächst die Aufgabenstellung der Konstruktion mit Zirkel und Lineal präzisieren und algebraisieren. Gegeben zwei Punkte (0, 0) und (1, 0) in der euklidischen Ebene R2 bzw. 0 und 1 in der komplexen Zahlenebene C, sind folgende Operationen zugelassen: • durch je zwei verschiedene gegebene bzw. konsturierte Punkte kann man (mit dem Lineal genau) eine Gerade legen; • um jeden gegebenen oder konstruierten Punkt kann man (mit dem Zirkel) einen Kreis schlagen mit einem Radius, den man als Abstand zwischen zwei gegebenen oder konstruierten Punkten abgreift; • Schnittpunkte von Gerden mit Geraden oder Kreisen bzw. von Kreisen mit Kreisen, die bereits konstruiert wurden, sind konstruierte Punkte. Wir legen also die euklidische Geometrie und den euklidischen Abstand zugrunde.§ Mit diesen Konstruktionen können also Parallelen dzu konstruierten Geraden gebildet werden, das Lot, und es lassen sich auch Winkel halbieren. Desweiteren lassen sich Punktund Geradenspiegelungen sowie Translationen als Hintereinanderführung von Spiegelungen an parallelen Geraden und Drehungen konstruieren. Übungsaufgabe 63: Verifiziere, dass die obigen Konstruktionen und das Errichten einer Lotgeraden durch einen gegebenen Punkt allesamt mit Zirkel und Lineal realisierbar sind. Gegeben eine die Punkte P = (0, 0) und Q = (1, 0) umfassende Menge M von Punkten in der euklidischen Ebene, sei Z(M ) die Menge all der Punkte, die sich aus M mit endlich vielen Konstruktionsschritten mit Zirkel und Lineal gewinnen lassen. Beispielsweise folgt (0, 1) ∈ Z(M ) durch den Schnitt eines Kreises um P ∈ M ⊂ Z(M ) vom Radius des Abstandes der in M enthaltenden Punkte P und Q mit dem Lot der Sekante durch P und Q errichtet auf P . Mit dieser Lotkonstruktion ist genau dann (a, b) ∈ Z(M ), wenn (a, 0) und (b, 0) in Z(M ) liegen. Entsprechend gelten Z(M ) = {(a, b) ∈ R2 : a, b ∈ K(M )} mit K(M ) := {a : ∃b : (a, b) ∈ Z(M )} und: K(M ) ist ein in R enthaltener Körper; die Elemente von K(M ) sind die konstruierbaren Zahlen. Beispielsweise zeigt der Strahlensatz, dass mit (a, 0) und (b, 0) ∈ Z(M ) auch (ab, 0) ∈ Z(M ) liegt; für den Nachweis von a−1 ∈ K(M ) zu gegebenem (a, 0) ∈ Z(M ) \ {P } schneide man die Parallele zur Sekante durch (a, 0) und (0, 1) durch Q mit √ der Sekante durch P und (0, 1). Mit dem Satz von Thales¶ zeigt sich ferner: a ∈ K(m) für 0 < a ∈ K(M ) sowie Satz 9.4. Eine reelle Zahl a ist genau dann konstruierbar, also a ∈ K, wenn es einen Körperturm reeller quadratischer Erweiterungen von K gibt, Q =: K0 ⊂ K1 ⊂ . . . ⊂ Km−1 ⊂ Km ⊂ R mit [Kj+1 : Kj ] = 2, so dass a ∈ Km . ‡ In seinem Buch Underweysung in der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien ebnen und gantzen corporen gibt der bekannte fränkische Künstler Albrecht Dürer (∗ 1471 - † 1528) mit expliziten Konstruktionen des regulären Fünfecks und approximativen Methoden für beliebige reguläre n-Ecke seinen Einstand als Mathematiker; ein Bild seiner Konstruktion hatten wir bereits in §5 gegeben. § und Zirkel und Lineal sind beliebig groß! ¶ Thales von Milet (ca. 624 – ca. 547 vor unserer Zeitrechnung) gilt als der erste griechische Philosoph und der erste griechische Mathematiker überhaupt. 50 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA √ √ Insbesondere ist also α ∈ Q( β1 , . . . βm ) für gewisse rationale βj und der Körpergrad [Q(a) : Q] stets eine Zweierpotenz für a ∈ K. Die Umkehrung hiervon gilt nicht: Es existieren algebraische Erweiterungen Q(β)/Q vierten Grades ohne echten Zwischenkörper. Ein Beispiel ist etwa Q[X]/(X 4 + X + 1). Übungsaufgabe 64: Löse die Konstruktionsaufgabe, ein Rechteck zu quadrieren, d.h. zu einem gegebenen Rechteck ist unter Verwendung von ausschließlich Zirkel und Lineal ein flächengleiches Quadrat zu konstruieren. (Dies ist Proposition 14 aus Band II aus Euklids Elementen.) Aus dem Satz folgt unmittelbar, dass√das√ reguläre Fünfeck konstruierbar ist, denn die√Radikaldarstellung (7) zeigt ζ5 ∈ Q( 5, G2 − 4) mit dem Goldenen Schnitt G := 1 2π 2 ( 5 + 1). Hingegen ist das regulr̈e Siebeneck nciht konstruierbar, denn 2 cos 7 = ζ7 + −1 ∗ 3 2 ζ7 ist Nullstelle des irreduziblen Polynoms X + X − 2X − 1. Als Achtzehnjähriger gelang Gauß der Nachweis, dass reguläre n-Ecke mit Zirkel und n LIneal konstruiert werden können, wenn n eine Fermatsche Primzahl ist, also fn := 22 +1 prim ist.† Bislang sind mit 3 = 21 + 1, 5 = 22 + 1, 17 = 24 + 1, 257 = 28 + 1, 65 537 = 216 + 1 nur insgesamt fünf solche Fermatsche Primzahlen bekannt und es wird vermutet, dass es keine weiteren gibt.‡ Natürlich ist auch das reguläre 2n-Eck konstruierbar, wenn das n-Eck konstruierbar ist. Auch stellt sich die Frage, ob es neben den Fermatschen Primzahlen nicht weitere ungerade Zahlen n gibt, für die das reguläre n-Eck konstruierbar ist. Schließlich bewies Pierre-Laurent Wantzel (1814 – 1848) im Jahr 1838, eine Charakterisierung, welche n die Konstruktion eines regulären n-Ecks zulassen: Satz 9.5 (Gauß– Wantzel, 1796/1837). Das reguläre n-Eck ist genau dann mit Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn n sich in der Form Y n = 2ℓ fj darstellen lässt, wobei ℓ ∈ N0 und die fj paarweise verschiedene Fermatsche Primzahlen sind. Der Nachweis basiert auf der Auflösbarkeit der Kreisteilungsgleichungen und folgender Darstellung der Eulerschen ϕ-Funktion als Produkt Y 1 , 1− ϕ(n) = n p p|n wobei das Produkt über alle Primteiler p von n erhoben wird; diese Formel folgt aus der Multiplikativität der ϕ-Funktion und ϕ(pk ) = ord (Z/pk Z)∗ = pk − pk−1 für Primzahlpotenzen pk .§ Übungsaufgabe 65: Konstruiere mit Zirkel und Lineal die regulären n-Ecke für n = 3, 4, 5, 10 und 15. Übungsaufgabe 66: (cf. [Lemmermeyer & Lorenz]): In einem dänischen Schulbuch aus dem Jahre 1854 (erschienen in Flensburg) findet sich folgende Konstruktionsvorschrift: Schlage um z1 = 1 einen Kreis vom Radius 1. Dessen Schnittpunkte mit dem Kreis C vom Radius 1 um 0 seien z2 und z3 . Sei ferner z4 der Schnittpunkt der Geraden durch z2 und z3 mit der Geraden durch 0 und z1 . Beginnend in z1 = 1 trage man nun die Länge |z4 − z2 | siebenmal nacheinander auf dem Kreis C ab. Ist damit die Siebenteilung des Kreises C gelungen? ∗ in Erinnerung an eine Klausuraufgabe! Es ist nicht schwer zu zeigen, dass 2m +1 nur dann eine Chance hat, prim zu sein, wenn der Exponent eine Zweierpotenz ist. ‡ Ein reguläres Siebzehneck ziert die Gauß-Statue am Gauß-Berg in Braunschweig. § und wird in der Zahlentheorie bewiesen † Anwendungen der Galois-Theorie 51 Neben der Kreisteilung gibt es noch einige weitere klassische Konstruktionsprobleme, die wohl bereits auf Anaxagoras und Hippokrates zurückgehen. Zunächst sei hier die Quadratur des Kreises erwähnt: Gegeben ein Kreis, konstruiere man ein √ flächengleiches Quadrat. Eine Lösung dieser Aufgabe würde beinhalten, dass die Zahl π konstruierbar sein müsste. Weil jedoch π transzendent ist, wie Lindemann bewies (siehe Satz ?), ist √ π nicht einmal algebraisch. Also Satz 9.6 (Lindemann 1882). Die Quadratur des Kreises unter Verwendung von ausschließlich Zirkel und Lineal ist unmöglich. Übungsaufgabe 67: In einen Halbkreis zeichne man ein gleichschenkliges Dreieck und erichte weitere Halbkreise über den Katheten des Dreieckes. Das Möndchen des Hippokrates ist dann die durch die beiden Kreisbögen begrenzte Figur. Berechne den Flächeninhalt des Möndchens. Inwiefern kann man dies als ein Versuch der Quadratur des Kreises interpretieren? Die nächste Konstruktionsaufgabe besteht unter der Verdopplung des Würfels: √ Gegeben ein Würfel, ist ein Würfel doppelten Volumens zu konstruieren.¶ Hier müsste 3 2 konstruierbar sein; zwar ist dies eine algebraische Zahl, aber da ihr Grad gleich drei und somit ungleich einer Zweierpotenz ist, folgt die Unmöglichkeit dieser Konstruktion. Schließlich noch die Dreiteilung des Winkels: Gegeben ein Winkel, konstruiere einen Winkel der ein Drittel des gegebenen Winkels ist. Dieses Problem ist etwas schwieriger zu beantworten: Mit Hilfe des Additionstheorems cos 3α = 4(cos α)3 − 3 cos α 3 ergibt sich für x = cos 2π 6 die irreduzible algebraische Gleichung 8x − 6x − 1 = 0. Wir fassen zusammen: Satz 9.7 (Wantzel 1837). Die Würfelverdopplung unter Verwendung von ausschließlich Zirkel und Lineal ist unmöglich. Die Winkeldreiteilung unter Verwendung von ausschließlich Zirkel und Lineal ist im Allgemeinen unmöglich; beispielsweise lässt sich der 60◦ -Winkel nicht dritteln. √ Übrigens lässt sich 3 2 druch Papierfalten erzeugen. Übungsaufgabe 68: Für welche Winkel ist die Winkeldreiteilung möglich? Welche Winkel lassen sich dritteln, wenn zudem die Parabel mit der Gleichung y = x2 gegeben ist? Übrigens bewies Lorenzo Mascheroni (1750 – 1800), dass alle Konstruktionen mit Zirkel und Lineal sich bereits einzig mit Zirkel realisieren lassen. k Unter Zuhilfenahme gewisser algebraischer Kurven lassen sich jedoch einige der oben genannten Konstruktionsprobleme positiv lösen. 9.3. Ein alternativer Beweis des Fundamentalsatzes :-). Zum Abschluss beweisen wir noch einmal den Fundameentalsatz der Algebra, also die algebraische Abgeschlossenheit von C. Dieser zweite Beweis bedient sich der tiefliegendsten Sätze, die uns in der Algebra begegnet sind und liefert also einen schönen mathematischen Schlusspunkt: Sei P = X 2 + aX + b ein quadratisches Polynom mit komplexen Koeffizienten a und b. Dann ist a 2 a2 P (X) = X + +c mit c = b − ∈ C, 4 √ 2 und mit c = u + iv gilt |c| = u2 + v 2 ≥ ±u, so dass also reelle Zahlen x und y mit x2 = 21 (|c|−u und y 2 = 12 (|c|+u) existieren. Eine Rechnung zeigt, dass bei richtiger Wahl der Vorzeichen von x und y dann P (x + iy) = a2 + 2iab − b2 + c = 0 gilt. Damit besitzt C keine Körpererweiterung vom Grad 2. Ist nun L/C eine endliche Erweiterung von einem Grad [L : C] > 1, so ist [L : R] = 2k ℓ mit natürlichen Zahlen k, ℓ (wegen des Gradsatzes ¶ auch als Delisches Problem bekannt siehe hierzu das Buch Was ist Mathematik? von Courant & Robbins, Springer 1992, 4. Auflage, drittes Kapitel k 52 EINFÜHRUNG IN DIE ALGEBRA und [C : R] = 2), wobei wir ℓ als ungerade annehmen dürfen. Nach dem Hauptsatz der Galois-Theorie und den Sylowschen Sätzen besitzt Gal(L/R) eine 2-Sylow-Untergruppe S der Ordnung ord S = 2k ; ferner gilt wiederum nach dem Hauptsatz [L : Fix(L, S)] = 2k und [Fix(L, S) : R] = ℓ. Nun besitzt Fix(L, S)/R nach Satz 4.10 ein primitives Element, sagen wir α, dann hat das Minimalpolynom von α über R ungeraden Grad [Fix(L, S) : R] = ℓ und besitzt also eine Nullstelle in R, womit notwendig ℓ = 1 ist. Entsprechend ist [L : R] = 2k und [L : C] = 2k−1 . Übungsaufgabe 69: Verifiziere, dass in jeder p-Sylow-Untergruppe der Ordnung pℓ eine Untergruppe der Ordnung pℓ−1 enthalten ist. Weiter im Beweis: In der 2-Sylow-Untergruppe Gal(L/C) existiert damit eine Untergruppe S ′ der Ordnung 2k−2 und für den Fixkörper Fix(L, S ′ ) folgt Fix(L, S ′ ) : C] im Widerspruch zu dem Gezeigten (dass C keine quadratische Erweiterung besitzt). Dieser Beweis benutzt lediglich zwei einfache Resultate aus der Analysis: Jedes über R definierte Polynom ungeraden Grades besitzt eine reelle Nullstelle und jede nicht-negative reelle Zahl besitzt eine reelle Quadratwurzel; insofern ist dieser Beweis noch einfacher als der in §3.4 gegebene. Dieser Beweis folgt Ideen eines lückenhaften Beweises von Legendre (der jedoch keine Galois-Theorie zur Verfügung hatte) und William Kingdon Clifford (1845 – 1879) (cf. [Stewart, §23]). 9.4. Worüber wir nicht gesprochen haben... ... und was trotzdem Algebra ist. Aber vielleicht zuerst eine mögliche Antwort, was denn überhaupt Algebra ausmacht und von anderen Disziplinen unterscheidet: In der Algebra werden mathematische Beobachtungen und Methoden sowie Objekte strukturell untersucht; dabei sind die Objekte oftmals selbst insofern Bestandteil der Algebra, dass nämlich ihre Definition es erst ermöglicht, einen gewissen Sachverhalt strukturell zu analysieren. Was macht die wesentlichen Eigenschaften einer Problemstellung aus, dann wird eine den Kern der Sache treffende Struktur definiert, welche die gegebene Situation wiedergibt, vielleicht bereits in abstrahierter Form, und später wird diese Struktur auf ihre grundlegenden Eigenschaften (meist mit algebraischen Methoden) untersucht. Musterbeispiel ist der Begriff der Gruppe, der in den verschiedensten mathematischen Disziplinen wiederzufinden ist: in der Geometrie als Symmetriegruppe (Stichwort: Diedergruppen) oder in der Zahlentheorie (als Restklassengruppe bei modularer Arithmetik). Auch die Verallgemeinerung des kleinen Fermatschen Satzes (in §2) zum Satz von Lagrange (in §7) ist ein typisches Beispiel algebraischen Abstrahierens! Ferner ist die Lösung der klassischen Konstruktionsprobleme — eigentlich eine Fragestellung aus der Geometrie — letztlich durch eine Algebraisierung gefunden worden! Der Begriff Algebra steht also für weitaus mehr als dem Rechnen mit unbekannten Größen.∗ Was kam zu kurz? Bleiben wir zunächst einmal bei den Gruppen. Hinsichtlich Auflösbarkeit könnte man hier erwähnen: Jede endliche p-Gruppe ist auflösbar und ein Satz von Scholz und Shafarevich besagt: Jede auflösbare Gruppe tritt als Galois-Grupp einer Erweiterung L/Q auf. Der Satz von Burnside besagt, dass jede Gruppe einer Ordnung pk q ℓ mit Primzahlpotenzen pk und q ℓ auflösbar ist. Und der berühmte Satz von Feit-Thompson aus dem Jahr 1963 liefert: Jede endliche Gruppe ungerader Ordnung ist auflösbar.† Eine Kuriosität: Die sporadischen Gruppen sind jene endlichen einfachen Gruppen, die sich nicht in eine der 18 Familien endlicher einfacher Gruppen einordnen lassen; es gibt insgesamt 26 sporadische Gruppen und das so genannte Monster (bzw. die Monstergruppe) wurde von Robert L. Griess 1982 entdeckt (genauer gesagt: konstruiert) ∗ Übrigens spricht man in der Strukturmathematik von einer Algebra a, wenn a sowohl ein Ring als auch ein endlich-dimensionaler Vektorraum über einem Körper K ist. † Der Originalbeweis benötigt 255 Seiten! Worüber wir nicht gesprochen haben... 53 und ist mit einer Ordnung von 246 · 320 · 59 · 76 · 112 · 133 · 17 · 19 · 23 · 29 · 31 · 41 · 47 · 59 · 71 = 808 017 424 794 512 875 886 459 904 961 710 757 005 754 368 000 000 000 die größte unter diesen! Der von John Conway vermutete Zusammenhang mit der Kleinschen j-Funktion aus der abseits liegenden Theorie der Modulformen wurde als monstrous moonshine bezeichnet und 1998 von Richard E. Borcherds bewiesen.‡ Ein Grund mehr, sich mit Gruppentheorie, aber auch Modulformen zu beschäftigen! Hinsichtlich der Körpertheorie sei noch auf die Differential-Galois-Theorie verwiesen, welche auf Liouville zurückgeht und sich mit der elementaren Integrierbarkeit beschäftigt. R Bekanntlich besitzt das Gaußsche Fehlerintegral§ exp(−x2 ) dx keine elementare Stammfunktion, ein Schicksal, wie es auch die Integrale der Funktionen (exp x)/x, (log x)−1 sowie (sin x)/x teilen. Dies ergibt sich aus folgendem Satz: Gegeben rationale Funktionen f, g ∈ C(z), ist f (z) exp(g(z)) genau dann elementar integrierbar, wenn es eine rationale Funktion h gibt, so dass f = h′ + hg ′ . Ein wichtiges Hilfsresultat hierzu ist die Transzendenz der komplexen Exponentialfunktion exp(z) über C(z). Viel zu kurz gekommen ist die (insbeondere für die Zahlentheorie so wichtige) Ringtheorie. Als Beispiel sei hier angeführt, dass die Ganzheitsringe endlicher algebraischer Erweiterungen von Q (so genannte Zahlkörper) i.A. keine eindeutige Zerlegung in irreduzible Elemente zulassen, also nicht faktoriell sind (siehe auch das Beispiel in §2). Abhilfe schaffen hier die idealen Zahlen von Ernst Eduard Kummer (falls noch nicht bekannt) bzw. die angenehmer zu behandelnden Ideale von Dedekind. Mit Hilfe der Arithmetik dieser Ideale (und insbesondere der Primideale). Motivation hinter den Kummerschen Untersuchungen war wohl die Fermatsche Vermutung (siehe §2). Übrigens lässt sich mit Algebra und Zahlentheorie zeigen, dass die Gleichung X3 + Y 3 = Z3 keine√nicht-trivialen Lösungen¶ in Z[ρ] (und also insbesondere in Z) besitzt, wohl aber in Z[ 2] wie das folgende Beispiel lehrt: √ √ (18 + 17 2)3 + (18 − 17 2)3 = 423 . Nach Douglas Adams (1952 – 2001) ist 42 die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest und somit ein schöner Schlusspunkt dieser Vorlesung! ‡ wöfur dieser mit der Fieldsmedaille ausgezeichnet wurde früher eine Zierde des 10 DM-Scheins ¶ eine triviale Lösung x, y, z ist eine mit xyz = 0. §