Umgang mit Zahnersatz Herausnehmbarer Zahnersatz erfüllt die ihm zugedachte Funktion nur, wenn er regelmäßig getragen wird. Lehnt der Patient dies ab, so gibt es dafür in der Regel beachtenswerte Gründe, als solche sind beispielsweise schmerzhafte, weißlich erscheinende Schleimhautdefekte (Ulcerationen) oder schlechter Sitz der Prothese bei starkem Gewichtsverlust zu nennen. Auf die Notwendigkeit der Reinigung von herausnehmbarem Zahnersatz wurde bereits hingewiesen. Über Besonderheiten und Möglichkeiten der Palliativpflege geben Hospizdienste und Pflegedienste für onkologische Patienten Auskunft. Zahnbehandlung in der Pflege Das vollständige Gebiss Das vollständige Gebiss umfasst 32 Zähne einschließlich der 4 Weisheitszähne (siehe Abbildung). Schneidezähne d n d u n s Ge m Mu i - auch im Pflegefall Eckzahn kleine Backenzähne gr. Backenzähne (Mahlzähne) Oberkiefer Weisheitszahn Der behandelnde Zahnarzt ist bereit, Pflegende über Zahnpflege allgemein und über spezifische Zahnprobleme des gemeinsamen Patienten zu beraten. Zwei Kontrolluntersuchungen jährlich durch den Zahnarzt sollten die Regel bleiben, auch bei Bewohnern von Altenheimen und bei Patienten in ambulanter oder stationärer Pflege. So lassen sich plötzliche Notfallbehandlungen am besten vermeiden. Selbstverständlich sind Patienten mit akuten Zahnschmerzen unverzüglich zahnärztlicher Behandlung zuzuführen. Verbreitete Vorurteile über nachlassendes Interesse an der Zahngesundheit im Alter, über Erfolglosigkeit trotz intensiver Zahnpflege und über fehlende Behandlungskonzepte werden durch die Erkenntnisse und Erfolge moderner geriatrischer Zahnmedizin widerlegt. 18 17 16 15 14 13 12 11 21 22 23 24 25 26 27 28 48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38 Weisheitszahn Unterkiefer gr. Backenzähne (Mahlzähne) kleine Backenzähne Eckzahn Schneidezähne Ein Gebiss-Schema, wie es der Zahnarzt verwendet, erleichtert die Orientierung. Ausgehend von den Schneidezähnen (Frontzähne) werden im Ober- und Unterkiefer die Zähne jeder Gebisshälfte von 1 – 8 durchnummeriert. Zur eindeutigen Lokalisation werden die Nummern der Zähne jeder Kieferhälfte mit einer Kennziffer versehen (oben rechts = 1, oben links = 2, unten links 3, unten rechts=4). Herausgeber: Landeszentrale für Gesundheit in Bayern (LZG) in Zusammenarbeit mit der Bayerische Landeszahnärztekammer, Ref. Gerostomatologie und der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München Verantwortlich für den Inhalt: Prof. Dr. med. dent. Christoph Benz, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der LMU; Dr. med. dent. Anton Euba, Lehrbeauftragter an der Poliklinik für Kieferorthopädie der LMU; Prof. Dr. med. Johannes Gostomzyk, Vorsitzender der LZG; Dr. Herbert Michel und Dr. Johannes Müller, Bayerische Landeszahnärztekammer; Heide Pruß, Stv. Geschäftsführerin; Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe, Landesverband Bayern e.V. Anschrift: Landeszentrale für Gesundheit in Bayern (LZG) Landwehrstraße 60 - 62, 80336 München Telefon: 089 / 5 44 07 30 eMail: [email protected], Internet: www.lzg-bayern.de Gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Gestaltung und Fotos: Manfred Dilling, www.mdilling.de Diese Information richtet sich an alle, die Menschen mit Pflegebedarf betreuen. Gesund im Mund – auch im Pflegefall Pflegebedürftigkeit bedeutet Abhängigkeit von fremder Hilfe für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Dazu zählt auch die Zahnpflege, wenn ein hinreichend selbständiges Handeln nicht mehr gewährleistet ist. Die gesetzliche Pflegeversicherung formuliert dafür einen Rechtsanspruch (SGV XI § 14). Die Mehrzahl der Pflegebedürftigen wird zu Hause versorgt, ein wesentlicher Teil davon durch professionelle ambulante Pflegedienste. Ca. ein Drittel lebt in stationärer Betreuung in Pflegeheimen. Sprache und Berührung sind zentrale Kommunikationswege in der Pflege, die Nahrungsaufnahme ist mitbestimmend für die Lebensqualität. Bei jedem Pflegebedürftigen ist die Mund- und Zahngesundheit ein unverzichtbares Pflegeziel im Pflegeplan und zwar unabhängig von der Anzahl vorhandener Zähne. Regelmäßiges und gründliches Zähneputzen ist dafür die Basis. Dabei sollten die Möglichkeiten der Mobilisierung noch vorhandener Fähigkeiten der Patienten im Sinne einer aktivierenden Pflege ausgeschöpft werden. Fremdhilfe, egal ob durch Familienangehörige oder durch professionelle Pflege, kann sich zunächst auf Kontrolle des Putzerfolges und eventuelles Nachputzen beschränken, solange eigenhändiges Putzen hinreichend möglich ist. Wenn dies nicht mehr gewährleistet ist, muss die Aufgabe von Pflegenden übernommen werden. Im Rahmen der Qualitätssicherung in der Pflege ist der Zahnstatus bzw. die Mundhygiene ein sensibler und gut prüfbarer Indikator für Prozess- und Ergebnisqualität der Pflege. Warum ist Mundhygiene in der geriatrischen Pflege so wichtig? Prinzipiell treffen dafür die gleichen Gründe zu, wie in jedem anderen Lebensabschnitt: • Mund- und Zahngesundheit begünstigt die allgemeine Gesundheit, mangelhafte Mundpflege kann die Entwicklung von Krankheiten fördern. • • • • Zahnpflege beugt der Zahnzerstörung durch Karies vor und hält das Zahnfleisch gesund. Eine gute Kaufunktion ermöglicht eine genussvolle Nahrungsaufnahme. Mundhygiene vermeidet Mundgeruch. Das Gesicht wird wesentlich von den Zähnen mitgeprägt, Zahnverluste können die Ästhetik des Gesichts und die Aussprache beeinträchtigen. Bedingungen, die eine spezifische Kompetenz in der geriatrischen Pflege erfordern: • • • • Verminderte Kaufunktion durch Zahnverluste oder eingeschränkt funktionsfähige Prothesen und/oder schmerzhafte Veränderungen der Mundschleimhaut behindern eine natürliche Nahrungsaufnahme. Mundgesundheit durch erfolgreiche Mundhygiene schafft Lebensqualität und erleichtert die allgemeine Pflege. Sie hilft Sondenernährung zu vermeiden. Werden Mundprobleme längere Zeit ignoriert, können akut auftretende Schmerzen eine Notfallversorgung erforderlich machen, die dann häufig auch noch zum Zahnverlust führt. Bewegungseinschränkungen, vermindertes Sehvermögen, Antriebsarmut und nachlassende Gedächtnisleistungen reduzieren die Möglichkeiten für eine ausreichende selbständige Mundpflege. Dann werden Hilfsmittel (Greifhilfe, elektrische Zahnbürste u.a.) und Hilfen durch Pflegende notwendig. Unter den genannten Voraussetzungen sind drei pflegerische Situationen unterscheidbar, zwischen denen fließende Übergänge bestehen, und zwar in beiderlei Richtungen, je nach Befindlichkeit des Patienten: • 1. Eigenhändige Zahnpflege ist möglich: • • • • Mund- und Zahnpflege in der Pflege Art und Umfang der Unterstützung des Patienten durch die Pflegenden bei der Zahnpflege hängt von der Beeinträchtigung der dafür notwendigen Funktionen ab. Ist die willkürliche Kontrolle der Mundfunktion (Öffnen und Schließen, Zusammenbeißen der Zähne, Trinken, Spucken und Schlucken) gegeben? Beherrschen die Hände die erforderlichen Bewegungen, bei Bedarf unter Verwendung speziell angepasster Geräte (Zahnbürste, Zahnpaste, Becher, Wasserhahn etc.)? Kann der Patient stehen, muss er sitzen oder liegen? Wie ist seine subjektive Einstellung zur Zahnpflege, macht er mit, verhält er sich passiv oder ist er aktiv ablehnend und leistet gar Widerstand? 2. Eigenhändige Zahnpflege ist teilweise möglich: • • Zähne müssen mit der Bürste gereinigt werden. Das selbständige Zähneputzen wird bei Bedarf durch angepasste Geräte (Zahnbürste mit dickerem Griff, elektrische Zahnbürste, Munddusche) unterstützt. Für die richtige Reinigung der Zahnzwischenräume einschließlich der Zahnhälse empfiehlt sich eine Zahnzwischenraumbürste (vgl. Abbildung). Die Verwendung f luor idhal t iger Zahnpaste ist günstig für den Erhalt der Zahnoberfläche. Zahnpaste ist nicht toxisch, es entsteht keine Gefahr, wenn davon etwas verschluckt wird. Herausnehmbarer Zahnersatz (Prothese) muss mit Zahnpaste oder Flüssigseife und einer Zahnbürste von allen Seiten gereinigt und während der Nacht in einem Glas Wasser aufbewahrt werden. Zahnprothesen sind beim Fall zerbrechlich, die Reinigung sollte deshalb über einem Tuch oder einem gefüllten Wasserbehälter erfolgen. Die Gewöhnung an die Zahnprothese bleibt erhalten durch regelmäßiges, möglichst langes Tragen tagsüber. Voraussetzung dafür ist auch eine gesunde Mundschleimhaut durch entsprechende Pflege. Sie wird morgens und abends regelmäßig mit Gaze oder mit einer weichen Zahnbürste abgewischt. Reichliche Flüssigkeitsaufnahme fördert die Mundreinigung. Allerdings sind zuckerhaltige Getränke „zwischendurch“ für die Zahngesundheit schädlich, sie fördern das Wachstum von Mundbakterien und damit die Entwicklung von Karies. • • Die Eigenaktivität des Patienten ist durch angepasste Einrichtungen (Sitzgelegenheit, Spülbecken) und Geräte (elektrische Zahnbürste, Dreikopf-Zahnbürste vgl. Abbildung) zu unterstützen, auch wenn das Ergebnis der Bemühungen nicht optimal ausfällt. Notwendig ist die Kontrolle des Putzerfolges. Dazu werden mit einem Zahnhölzchen oder mit Wattestäbchen an mehreren Zähnen die Zahnhälse, also die Region am Übergang zwischen Zahn und Zahnfleisch, abgestreift. Zeigt sich ein weißer Belag, ist der Putzerfolg unzureichend. Dann sollten die Pflegenden nachputzen. Zahnbürsten werden niemals stark aufgedrückt. Blutet das Zahnfleisch dennoch, ist es entzündet und darf trotzdem nicht „geschont“ werden. Vielmehr müssen die Zähne weiterhin normal gereinigt werden. 3. Eigenhändige Zahnpflege ist nicht möglich: • • • Die Pflegenden übernehmen die Mund- und Zahnpflege. Dazu sollte der Patient eine sitzende oder möglichst aufrechte Position einnehmen. Notwendige Geräte sind die Zahnbürste (elektrische Zahnbürste, Dreikopf-Zahnbürste), die Zahnzwischenraumbürste und zur besseren Kontrolle ein Mundspiegel. Ein „Mundkeil“ aus Gummi oder Schaumstoff kann zum Schutz der Finger und auch der Zahnbürste zwischen Ober- und Unterkiefer geschoben werden, falls das Risiko durch Zubeißen besteht. Ein derartiges Vorgehen erfordert vor und auch während des Eingriffs, falls der Patient seine Meinung ändert, in jedem Fall ein sorgfältiges Abwägen zwischen dem Pflegeziel Mundhygiene und dem Recht des Patienten auf Selbstbestimmung.