LV Recht und (Jugend-)Strafe

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Pht – Lehrgang „Ethik in Schule und Bildung I“ – 2012-14
LV Recht und (Jugend-)Strafe
Betreute Studienanteile
Dr. Christoph Thoma - Lehrgangskoordinator
11.12.2013
pht-Lehrgang ‚Ethik in Schule und Bildung I‘ – 2012-14
Inhaltsverzeichnis
I.
MMMAG. NINA HÄRTING: JUGENDGERICHTSBARKEIT .................................................................................. 3
1
Abgrenzung - Positionsbestimmung ........................................................................................................................... 3
1.1
Randgebiete ................................................................................................................................................................................ 3
1.1.1
Rechtsphilosophie .......................................................................................................................................................... 3
1.1.2
Rechtsgeschichte ............................................................................................................................................................ 3
1.1.2.1
Germanische Zeit (ca. 100 v. Chr. – 500 n. Chr.): Die Zeit des Gewohnheitsrechts ................................................. 3
1.1.2.2
Fränkische Zeit (ca. 500-888): Beginn von Rechtsetzung und Rechtsaufzeichnung- ................................................ 4
1.1.2.3
Mittelalter (888-ca. 1500): Die Zeit der Rechtszersplitterung ................................................................................... 4
1.1.2.4
Neuzeit (ca. 1500-ca. 1800): Die Zeit der Rezeption ................................................................................................ 5
1.1.2.5
Neueste Zeit (ab ca. 1800): Die Zeit der Rechtseinheit ............................................................................................. 5
1.2
Abgrenzungen: Strafrecht – Zivilrecht –Öffentliches Recht – Verwaltungsrecht ....................................................................... 6
1.2.1
Zivilrecht ......................................................................................................................................................................... 6
1.2.2
Öffentliches Recht .......................................................................................................................................................... 6
1.2.3
Arbeitsrecht .................................................................................................................................................................... 6
1.2.4
Strafrecht ........................................................................................................................................................................ 6
1.3
Abgrenzung: Strafrecht – Verwaltungsrecht............................................................................................................................... 6
1.4
Was ist Recht? ............................................................................................................................................................................ 7
2
3
Aufbau des Gerichtssystems (kurzer Überblick) ........................................................................................................ 8
Strafrecht .................................................................................................................................................................... 9
3.1
3.2
3.3
Geschichte des Strafrechts in Österreich .................................................................................................................................... 9
Ziele und Zwecke ....................................................................................................................................................................... 9
Grundprinzipien ....................................................................................................................................................................... 10
3.3.1
Inhaltliche Prinzipien .................................................................................................................................................... 10
3.3.2
Verfahrensprinzipien .................................................................................................................................................... 10
3.4
Ablauf Strafverfahren ............................................................................................................................................................... 10
3.5
Besonderheiten Jugendgerichtsgesetz (JGG) ............................................................................................................................ 11
3.5.1
Existenzbegründung für ein eigenes JGG ...................................................................................................................... 11
3.5.2
Aufgaben und Grenzen des JGG ................................................................................................................................... 11
3.5.3
Definition: ‚Jugendliche‘ ............................................................................................................................................... 12
3.5.4
Besondere Sanktionen im Jugendstrafrecht ................................................................................................................. 12
3.5.4.1
§ 4 JGG................................................................................................................................................................... 12
3.5.4.2
§ 6 JGG................................................................................................................................................................... 13
3.5.4.3
Diversion ................................................................................................................................................................ 13
3.5.4.4
Weitere Möglichkeiten ........................................................................................................................................... 14
3.5.4.5
Bewährungshilfe ..................................................................................................................................................... 15
3.5.4.6
Praktische Probleme ............................................................................................................................................... 15
4
Strafe / Sanktion ....................................................................................................................................................... 16
4.1
4.2
II.
Definition: ‚Strafe‘ ................................................................................................................................................................... 16
Zweck von Strafe – Straftheorien ............................................................................................................................................. 16
4.2.1
Die absolute Straftheorie der Gerechtigkeit ................................................................................................................. 17
4.2.1.1
Vorteile ................................................................................................................................................................... 17
4.2.1.2
Nachteile ................................................................................................................................................................. 17
4.2.2
Relative Straftheorien ................................................................................................................................................... 18
4.2.2.1
Generalprävention................................................................................................................................................... 18
4.2.2.2
Spezialprävention ................................................................................................................................................... 19
KOMPETENZWEGE ZUR INDIVIDUELLEN ODER GEMEINSCHAFTLICHEN BEARBEITUNG ................................. 20
5
6
7
Fragen/Aufgaben zur Ertragssicherung .................................................................................................................... 20
Fragen/Aufgaben Ertragserweiterung ....................................................................................................................... 20
Literatur .................................................................................................................................................................... 21
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I.
MMMAG. NINA HÄRTING: JUGENDGERICHTSBARKEIT
– überarbeitet von Dr. Christoph Thoma –
1
Abgrenzung - Positionsbestimmung
1.1 Randgebiete
1.1.1 Rechtsphilosophie
Zentrale Themen der Rechtsphilosophie sind:
 Der Begriff des Rechts
 Die Bedeutung des Rechts für die Gesellschaft
 Die inhaltliche Kritik des Rechts (die Auffindung des „richtigen Rechts“)
 Die Verbindlichkeit bzw. Geltung von Rechtsnormen
 Bedingungen verbindlicher bzw. geltender Rechtsnormen
 Folgen verbindlicher oder nichtverbindlicher Rechtsnormen
Richtungen der Rechtsphilosophie:
 Naturrecht (John Locke, Rousseau – Wesen des Menschen, Legitimation der
staatlichen Gewalt)
 Rechtspositivismus
 Rechtsrealismus
1.1.2 Rechtsgeschichte
1.1.2.1 Germanische Zeit (ca. 100 v. Chr. – 500 n. Chr.): Die Zeit des Gewohnheitsrechts
Die frühe Zeit kannte keine bewusste Rechtsetzung oder Gesetzgebung. Das Recht war nicht
planmäßig gemacht oder angeordnet. Es war als allgemein anerkannte Rechtsanschauung unhinterfragt in Kraft, die Rechtsetzung trat in den gelebten Ordnungen zutage. Das Recht war
ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, das erst im gerichtlichen Urteil kundgetan wurde.
Die Richtpunkte des Rechts waren Treue und Ehre: Der Treulose war ehrlos und der Ehrlose
war rechtlos.
Die Germanen begriffen die Welt als geschlossenes Ordnungsgefüge, in dem derjenige Recht
hatte, der im Recht war. Um dieses im Streitfall festzustellen, suchte man den Urteilsspruch
unverfügbarer Mächte. Das Recht war also nicht durch die Vernunft legitimiert bzw. installiert, es entsprang archaischer Religiosität und magisch-zauberischen Vorstellungen.


So etwa beschwor im Eid der Eidesleistende z.B. das Feuer, ihn zu vernichten,
sollte er die Unwahrheit sagen. Wurde er nun tatsächlich nicht vom Feuer vernichtet (wenn also der Fluch nicht auf ihn zurückkam), war er im Recht.
Ein wichtiges Mittel zur Rechtsfindung war auch der Zweikampf. Hier zeigte
der Sieg, wer im Recht war.
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In gewichtigen Angelegenheiten wurde Gericht in der Volksversammlung, dem Volksding
(angelsächsisch: thing), gehalten.
1.1.2.2 Fränkische Zeit (ca. 500-888): Beginn von Rechtsetzung und RechtsaufzeichnungIn der Fränkischen Zeit traten die Germanen als staatsbildende Völkerschaften in die Weltpolitik ein. Die Rechtsüberzeugung war nun nicht mehr alleinige Rechtsquelle. Es kam zur
Rechtsetzung und zu Rechtsaufzeichnungen, und zwar in lateinischer Sprache. Neben das
Volks- oder Stammesrecht, die ‚leges barbarorum‘ (ein Spottname aus späterer Zeit, zu
Deutsch: ‚Gesetze der Fremden‘, ‚Gesetze der Ungebildeten‘), trat das Königsrecht. Dessen
Sammlungen bezeichnet man wegen ihrer Einteilung in ‚Capitula‘ als ‚Kapitularien‘. Die ‚leges barbarorum‘ und die ‚Kapitularien‘ zählen zu den ältesten Aufzeichnungen deutschen
Rechts.
Archaisch-religiöse und magisch-zauberische Vorstellungen bestimmten auch in der fränkischen Zeit das Recht. Doch wurden die Erscheinungen archaischer Religiosität allmählich von
christlichen Symbolen und Ritualhandlungen überlagert. So wurde der Eid nicht mehr auf
Waffen, Eidring, Haselstab oder in einer Schwurstätte geleistet, sondern auf den Reliquienbehälter eines Heiligen oder auf das Evangelium abgelegt. Mit dem aufkommenden Christentum
vertraute man darauf, dass die Wahrheit selbst die Kraft hat, sich durchzusetzen, weil die
Ordnung der Welt als gottgewollt galt und daher als gerecht und richtig vorausgesetzt wurde.
Vor allem Feuer und Wasser hielt man für geeignet, das richtige Urteil zu weisen. Die Gottesurteile entstanden. Diese Urteile liefen nach einem durch religiös-kirchliche und obrigkeitliche Gewalt genau festgelegten Ritual ab. Sie wurden zum Beispiel herbeigeführt durch Kesselfang oder Eisenprobe oder Pflugscharengang. Dafür musste der Beweispflichtige eine Sache aus einem Kessel mit siedendem Öl oder Wasser holen oder ein glühendes Eisenstück mit
bloßer Hand tragen oder neun glühende Pflugscharen barfuß überschreiten. Blieben Hand und
Fuß unverletzt oder verheilten die Wunden schnell, war der geforderte Unschuldsbeweis erbracht.
1.1.2.3 Mittelalter (888-ca. 1500): Die Zeit der Rechtszersplitterung
Das wesentlichste Merkmal des mittelalterlichen Rechts ist die Rechtszersplitterung: Es entstanden Rechte für einzelne Gebiete, für bestimmte Klassen und für besondere Rechtsverhältnisse (Landrecht, Stadtrecht, Lehensrecht, Dienstrecht, Hofrecht ect). Die alten Stammesrechte verloren allmählich ihre Geltung. Doch fanden viele ihrer Inhalte in den neuen Rechten ihre
Fortsetzung.
Hauptziel der mittelalterlichen Landfrieden war ein Zurückdrängen des Fehderechts. Wer
einen Rechtsgrund hatte und sich stark genug fühlte, verzichtete damals oft auf den Prozess
vor Gericht und griff zum Mittel der Fehde. Diese bereits im germanischen Recht verankerte
Privatrache zielte auf die Abwehr von Unrecht und auf die Rechtswahrung im Wege der
Selbsthilfe. Gegen ihren Missbrauch wurde immer wieder das Mittel des Landfriedens eingesetzt.
Der Sachsenspiegel ist ein privates Rechtsbuch, in dem das sächsische Land- und Lehensrecht
umfassend dargestellt wird. In seinem landrechtlichen Teil finden sich sowohl Privat-, Strafals auch Verfahrens- und Staatsrecht. Schon bald fand der Sachsenspiegel Eingang in den
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Gerichtsgebrauch. Es erlangte die Bedeutung eines Gesetzes und behielt sie in Teilen
Deutschlands bis 1900. Einige Handschriften des Sachsenspiegels wurden später mit farbigen
Zeichnungen ausgestattet.
Die Rechtsentscheidungen wurden auch im Mittelalter noch von Urteilsfindern, also von Laien getroffen. Sie stellten auf Befragen kraft ihres sozialen Ansehens verbindlich fest, was
Rechtens war. Einen Juristenstand mit besonderem Fachwissen gab es nicht.
Den Mittelpunkt des Rechtsbegriffs bildeten nach wie vor die Treue und die Ehre. Geurteilt
wurde stark gefühlsbetont. Man erachtete das Recht als Werk Gottes und die Rechtsordnung
als Teil der göttlichen Weltordnung. Als neues Ermittlungsverfahren kam die Folter auf. Ihr
Einsatz führte im 13. und 14. Jahrhundert zum Niedergang der Gottesurteile. Hierzu hat auch
das vierte Laterankonzil von 1215 beigetragen, auf dem die Praxis der Gottesurteile von der
Kirche missbilligt worden war.
1.1.2.4 Neuzeit (ca. 1500-ca. 1800): Die Zeit der Rezeption
Als ‚Rezeption‘ wird die allmähliche ‚Übernahme römischen Rechts in Deutschland‘ bezeichnet. Ihre Anfänge reichen zurück in das 12. Jahrhundert, verstärkten sich im ausgehenden Mittelalter und erreichten zu Beginn der Neuzeit ihren Höhepunkt. Das ‚kirchlich gesetzte‘ bzw. ‚kanonische‘ Recht begünstigte diese Entwicklung. Denn dieses Recht, das bereits in
fränkischer Zeit über die geistlichen Gerichte im deutschen Rechtskreis wirkte, stand in engem Zusammenhang mit dem römischen Recht.
Dennoch, das römische Recht konnte sich auch in Deutschland nicht überall durchsetzen. So
etwa in Sachsen, wo die mittelalterlichen Rechtsbücher eine hinreichende Grundlage für die
Rechtsanwendung geschaffen hatten. Auch einzelne Rechtsbereiche, wie das Bauernrecht und
das Handelsrecht behielten ihre deutschrechtlichen Regelungen.
Mit Ende der Neuzeit Anfang des 19. Jahrhunderts waren die positiven und negativen Folgen
für das deutsche Recht und die Beziehung der Menschen zu ihm evident: Die Übernahme des
römischen Rechts in Deutschland und das durch sie ausgelöste Eindringen der Wissenschaft
in das deutsche Recht brachten einen gewaltigen Fortschritt. Dieser war jedoch untrennbar
verbunden mit der Entfremdung zwischen Volk und Recht. Alle späteren Bemühungen um
klare, allgemeinverständliche Gesetze konnten daran nichts ändern. Das aus dem Gefühl geschöpfte Recht, das für jedermann da gewesen war, war endgültig verloren.
1.1.2.5 Neueste Zeit (ab ca. 1800): Die Zeit der Rechtseinheit
Erst jetzt, mit dem 19. Jahrhundert, begann die zusammenfassende Regelung großer Rechtsgebiete. Für Österreich sehr bedeutend sind das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB;
1811) und der Code Civile (1807–1815).
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1.2 Abgrenzungen: Strafrecht – Zivilrecht –Öffentliches Recht – Verwaltungsrecht
1.2.1 Zivilrecht
 Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Parteien auf gleicher Ebene, kann grundsätzlich
durch Vereinbarung der Parteien auch abgeändert werden (mit Ausnahmen)
 Verträge, Schadenersatz/Haftung bei Unfällen, Familienrecht (Scheidung, Obsorge,
Erbrecht – teilweise Besonderheiten, Baumängel, Unterlassungsklagen, Besitzstörung,...)
 wichtigstes Gesetz: ABGB, zahlreiche Nebengesetze (Ehegesetz, Eisenbahnenteignungsgesetz, Kleingartengesetz, Liegenschaftsbewertungsgesetz, Todeserklärungsgesetz,…)
 Sonderbereich Konsumentenschutz: Der Konsument steht als schwächerer Partner einer Übermacht des Unternehmers gegenüber, daher muss er besonders geschützt werden. Aus diesem Grund gibt es zahlreiche Gesetze zum Schutz des Konsumenten.
Teilweise werden diese Gesetze auch von den entsprechenden Organen der EU beschlossen und in Österreich ins Konsumentenschutzgesetz (KSCHG) aufgenommen,
weil sie dorthin passen (Fernabsatzrichtlinie, Kreditbestimmungen...)
1.2.2 Öffentliches Recht
 Rechtsstreitigkeiten zwischen übergeordnetem Subjekt und untergeordnetem Subjekt, also zwischen dem Einzelnen und dem Staat, öffentliches Recht kann durch
Vereinbarung von Parteien nicht abgeändert werden
 Verwaltungsrecht – Bescheide, Verfassungsrecht – Eingriff in Grundrechte
 Dienstverhältnis der Beamten
1.2.3 Arbeitsrecht
 Zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht angesiedelt: Eigentlich Privatrecht
weil Vertrag, aber Arbeitgeber in stärkerer Position, daher viele Schutzgesetze
1.2.4 Strafrecht
 Sonderstellung, der Staat stellt ein bestimmtes Verhalten unter Strafe, die Rechtssubjekte sind also nicht gleichgeordnet, daher gehört das Strafrecht eher zum öffentlichen Recht
1.3 Abgrenzung: Strafrecht – Verwaltungsrecht
 Verwaltungsrecht: Strafzettel von BH, Ruhestörung, Jugendschutzgesetz, Fahren
ohne Führerschein, alkoholisiert Autofahren, Erregung öffentlichen Ärgernisses,
Fahren ohne Helm, Fahrerflucht (ohne verletzte Personen), Anzeigen nach Veranstaltungsgesetz, Feuerpolizeigesetz,...
 Strafrecht: Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung, Widerstand gegen
die Staatsgewalt, Diebstahl, Vergewaltigung, Mord, teilweise sind in Verwaltungsgesetzen Strafbestimmungen (zB. Lebensmittelgesetz), teilweise auch in anderen Gesetzen (zB. Aktiengesetz)
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1.4 Was ist Recht?
Das Recht ist ein geistiges Erzeugnis menschlicher Gemeinschaften. Es ist nicht etwa von
Anfang an vorgegeben, sondern Resultat menschlichen Tuns. Deshalb ist es auch von Land zu
Land verschieden und ändert sich mit der Zeit.
‚Recht‘ kann daher definiert werden als ‚eine große Zahl von Vorschriften, die zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Rechtsgemeinschaft gelten.‘
Jedes Volk, jeder Gliedstaat, jede örtliche Gemeinschaft ist durch eine eigene soziale Lebensordnung gekennzeichnet. Die soziale Lebensordnung regelt die Beziehungen der Menschen
innerhalb der Gemeinschaft zueinander und gewährt eine gewisse Abgeschlossenheit nach
außen gegenüber anderen Gemeinschaften dar. Das Recht ist nur ein Bestandteil der sozialen
Lebensordnung. Andere Bestandteile sind:
 Bräuche und Sitten: Sie führen zu bestimmten gleichmäßigen Verhaltensweisen und
gesellschaftlichen Spielregeln innerhalb einer Gemeinschaft. Diese gelebte Ordnung
stellt sich automatisch ein und wird zumeist ganz von selbst befolgt.
 ‚Bräuche‘ sind ‚eingespielte Formen des Umgangs miteinander‘, „an die man
sich hält“, z.B. Volksbräuche und Ortsbräuche, Berufsgewohnheiten und Handelsbräuche (z.B. derjenige, der in ein Zimmer tritt, grüßt, Geschenke zu
Weihnachten)
 ‚Sitte‘ entwickelt sich im Umgang der Menschen miteinander und bestimmt ihr
Verhalten. Entstehungsgrund ist aber nicht bloß das, was allgemein üblich ist,
sondern die Forderung zu sittlich gutem Handeln. Redlichkeit in den mitmenschlichen Beziehungen (zB. Hilfsbereitschaft gegenüber Alten und Kranken)
 Religion: In einem säkularen Staat besteht der wesentliche Unterschied zwischen
Brauch, Sitte und Recht einerseits und Religion andererseits in Betreff der jeweiligen
verhaltensregulierenden Funktion darin, dass die religiös aufgegebenen Pflichten begründet werden durch ein der explizit säkularen Vernunft nicht vollständig subsumierbares Referenzobjekt (‚Gott‘, ‚Göttliches‘ etc.)
Brauch, Sitte und Religion regeln das Verhalten der Menschen in der Gemeinschaft. Auch das
Recht beeinflusst den Umgang der Menschen miteinander. Es enthält Forderungen an die
Menschen für ihr Verhalten zueinander. Es ist eine objektive Ordnung, die sagt, was gilt. Von
den übrigen Ordnungen unterscheidet sich das Recht vor allem durch seine Erzwingbarkeit
(aufgrund der Gewalt des Staates).
Die Ordnungssysteme überschneiden sich mitunter, so etwa in den ‚Zehn Geboten‘ oder im
Gebot der Hilfeleistung. Letzteres kann auch strafrechtlich relevant werden, z.B. nach einem
Unfall der Sachverhalt der ‚unterlassenen Hilfeleistung‘. Ebenso gibt es Überschneidungen
zwischen den Rechtsbereichen (arbeitsrechtliche Vorschriften zum Schutz von Behinderten,
Kranken, Schwangeren; familienrechtliche Bestimmungen über Pflichten der Eltern; im Vertragsrecht z.B. Bestimmungen zu sittenwidrigen Verträge oder Klauseln).
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Aufgabe des Rechts ist es, das Zusammenleben der Menschen zu schützen und zu ordnen. Es
soll das friedliche Miteinander der Menschen gewährleisten. Gelingt dieses, so ist das Recht
Garant menschlicher Freiheit. Das Recht bringt Ordnung in das Gemeinschaftsleben und es
fördert das Gemeinwohl in mannigfacher Weise.
Die Aufgaben des Rechts und der Rechtsordnung lassen sich in folgende vier Gruppen einteilen:
(1) Sicherung des Friedens (Verbot des Faustrechts, vorgegebene Mittel zur Konfliktlösung
(2) Schutz der Freiheit (Freiheit des einzelnen endet dort, wo Freiheit der anderen beeinträchtigt wird. Erst indem die Rechtsordnung die Freiheit jedes einzelnen begrenzt,
schafft sie größtmögliche Freiheit für alle.)
(3) Ordnung des Gemeinwesens,
(4) Förderung des Gemeinwohls. Die ursprünglichste Aufgabe des Rechts ist es, gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Menschen zu vermeiden.
2
Aufbau des Gerichtssystems (kurzer Überblick)
Neben Gesetzgebung (Legislative: Parlament, Landtage) und Verwaltung (Exekutive: Bund,
Länder, Gemeinden) ist die dritte Säule des Rechtsstaates in Österreich die Gerichtsbarkeit
(Judikative). Gerichtsbarkeit ist in Österreich Bundeskompetenz. Zur Justiz gehören die Gerichte, die Staatsanwaltschaften und die Justizanstalten. Die Verwaltung der Justiz (Personal,
Gehalt, Organisation) untersteht dem Bundesministerium für Justiz, ansonsten ist die Justiz
von der Verwaltung aber in allen Instanzen getrennt, d.h. das BMJ darf den Gerichten keine
Anweisungen geben, wie sie zu entscheiden haben. Ausnahme: Das BMJ darf den Staatsanwaltschaften Weisungen geben (geschieht selten). Polizeibehörden unterstehen dem Bundesministerium für Inneres.
 GERICHTE: Gerichte sind staatliche Institutionen zur Entscheidung über alle
Ansprüche und Streitigkeiten und über Anklagen. Es gibt Bezirksgerichte, Landesgerichte und Oberlandesgerichte und den Obersten Gerichtshof. Die Bezirksgerichte entscheiden immer in erster Instanz; die Landesgerichte teilweise in erster Instanz, teilweise über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Bezirksgerichte; die Oberlandesgerichte über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Landesgerichte. Der Oberste Gerichtshof entscheidet in besonderen Fällen (in Zivilsachen bei grundlegenden Rechtsfragen, in Strafsachen über Rechtsmittel gegen Urteil der Schöffen- und Geschworenengerichte).
 GERICHTSHÖFE DES ÖFFENTLICHEN RECHTS: Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof, UVS- neu: Verwaltungsgerichte (ab 1.1.2014 in den
Ländern)
 STAATSANWALTSCHAFTEN, OBERSTAATSANWALTSCHAFTEN (in
Österreich: Vier Oberstaatsanwaltschaften, denen unterstellt sind die Staatsanwaltschaften). Sie sind besondere, von den Gerichten getrennte Organe der Gerichtsbarkeit, die das Ermittlungsverfahren in Strafsachen leiten und über Anklage
oder Einstellung von Verfahren entscheiden.
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3
Strafrecht
3.1 Geschichte des Strafrechts in Österreich
 ursprünglich Blutrache und Fehde
 1499 eingeführt von Erzherzog Maximilian ‚Maximilianische Halsgerichtsordnung‘ (=Tiroler Malefizordnung)
 seit 1532 ‚Constitutio Criminalis Carolina‘ von Karl V. (galt in Österreich und
Deutschland, partikuläres Strafrecht blieb aber in Kraft)
 1768 Maria-Theresia ‚Constitutio Criminalis Theresiana‘ (1. einheitliches Gesetz
für materielles Strafrecht und Strafprozessrecht)
 1787 Josef II ‚Josefinisches Gesestbuch‘ (Todesstrafe fast abgeschafft)
 1803 Strafgesetz (erste Kodifizierung, Todesstrafe wieder eingeführt)
 viele Novellen
 große Novelle erst 1974 – ‚Strafgesetzbuch 1975‘
 seither diverse Novellen, derzeit Überarbeitung, große Novelle geplant, vor allem
Änderungen bei Strafhöhe (Verhältnis Strafen für Vermögensdelikte zu jenen für
Delikte gegen Leib und Leben, „Gewerbsmäßigkeit“, Problematik Jugendliche in
U-Haft)
3.2 Ziele und Zwecke
Gewisse Verhaltensweisen sind in Gesellschaft verpönt. Werden sie dennoch gesetzt, erfolgt
eine Sanktion. Welche Verhaltensweisen wie geahndet werden, unterliegt gesellschaftlichem
Wandel. Das Strafrecht ist das schärfste Steuerungsinstrument des Staates, weil hiermit in der
Regel am härtesten in die Privatsphäre eingegriffen wird Deshalb darf dieses Mittel aus
rechtsstaatlichen Gründen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) nur als letztes Mittel, als ultima ratio, eingesetzt werden.
Ausprägungen dieses Prinzips sind, dass Handlungen, die eine Straftat vorbereiten, grundsätzlich noch nicht unter Strafe gestellt werden und die Strafbarkeit erst - bei schweren Delikten mit Tatbeginn einsetzt. Das Ausspionieren einer günstigen Gelegenheit, zum Beispiel für einen Diebstahl, ist noch nicht strafbar, weil viele schon mal solche verwerflichen Gedanken
haben, von der Realisierung aber doch zurückschrecken. Die Bestrafung solch einer bösen
Absicht wäre möglich nur im Rahmen eines Gesinnungsstrafrechts. Erst wenn der Tatplan
konkret umgesetzt wird, beginnt die Strafbarkeit.
Daher deckt Strafrecht auch nicht alle „Regelverstöße“ ab, zB Verstöße gegen Normen im
Sport, Zivilrecht, Verwaltungsübertretungen
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3.3 Grundprinzipien
3.3.1 Inhaltliche Prinzipien
 Das materielle Strafrecht bestimmt strafbare Handlungen und deren Merkmale
 Das formelle Strafrecht regelt den Verfahrensablauf
 Keine Strafe ohne Schuld: wer nicht schuldhaft handelt, weil er sich nicht anders
verhalten hätte können, kann nicht bestraft werden. So etwa gelten Erwachsene in
Österreich als schuldfähig. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar, nämlich z.B.
durch entsprechende psychiatrische Gutachten. Von Unmündigen (unter 14jährige) gilt in Österreich die Schuldunfähigkeitsvermutung. Diese ist nicht widerlegbar.
 Im Zweifel für den Angeklagten (in dubio pro reo), damit verbunden: Unschuldsvermutung (heute: Vorverurteilung durch Medien)
 Keine Strafe ohne Gesetz (nulla poena sine lege - nur strafbar wenn ausdrücklich
vom Gesetz geregelt)
3.3.2 Verfahrensprinzipien
 Fair Trial (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, vor allem Art. 6)
 Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit (direkter Kontakt des Gerichtes
mit Parteien, Kontrolle der Gerichtsbarkeit durch die Allgemeinheit, Verhinderung von Willkürlichkeit)
 Geschworene: Die schwersten Delikte und politische Delikte sollen von „der Bevölkerung“ beurteilt, eine Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung also garantiert werden.
 Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Richter bewerten alle Beweisergebnisse
nach ihrer Überzeugung, keine Vorgaben, wann welche Aussage wie viel zählt)
 Amtswegige Erforschung der Wahrheit (Richter muss von sich aus alle Beweise
aufnehmen, die der Wahrheitsfindung dienen, nicht wie zB in USA, dass nur die
Beweise aufgenommen werden, die von Staatsanwalt und Verteidiger beantragt
werden)
3.4 Ablauf Strafverfahren







Straftat
Anzeige bei Polizei / Polizei aus Eigenem / Anzeige bei Staatsanwaltschaft
Ermittlungen durch Polizei
Bericht an Staatsanwaltschaft
Beurteilung – Einstellung/Anklage/Alternative Maßnahmen
Gerichtsverhandlung – Urteil – Strafe
Alternative Maßnahmen (DIVERSION)
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3.5 Besonderheiten Jugendgerichtsgesetz (JGG)
3.5.1 Existenzbegründung für ein eigenes JGG
Im Laufe der Zeit entstand in zivilisierten Gesellschaften die Überzeugung, dass sehr junge
Straftäter, die zwar grundsätzlich schon bestraft werden können, dennoch nicht gleich behandelt werden sollen wie erwachsene Straftäter. Dies ergab sich aus der grundsätzlichen Überlegung, dass Jugendliche in ihrer „Sturm und Drang“-Zeit eher einmal die Regeln des Gesetzes
übertreten und Straftaten begehen bzw. in ihrer autonomen Verhaltenskontrolle noch eingeschränkt sind. Von ihnen müsse daher eine ‚eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit‘ angenommen werden.
Jugendliche lernen noch, sich normgerecht zu verhalten. Verstöße passieren leichter als bei
Erwachsenen. Gleichzeitig gesteht man Jugendlichen eine erhöhte Fähigkeit zu, sich noch zu
ändern, sodass zahlreiche Bestimmungen darauf abzielen, den straffällig gewordenen Jugendlichen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Häufig sind Konflikte mit dem Strafgesetz
nur eine vorübergehende Phase. Das Jugendstrafrecht ist damit eine Übergangsregelung zwischen Strafunmündigkeit und voller strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Aus diesem Grund
sind die Strafen für Jugendliche weniger streng als für Erwachsene, eine Haft soll grundsätzlich und soll soweit möglich vermieden werden. Im Vordergrund steht die Resozialisierung.
Eine strafrechtliche Sanktion auf Verfehlungen Jugendlicher soll immer nur „ultima ratio“
sein.
Sonderbestimmungen für Jugendliche gibt es in Österreich seit 1.1.1929 (Jugendgerichtsgesetz 1928). Bereits im Strafgesetz von 1852 war allerdings geregelt, dass Kinder vor dem 10.
Lebensjahr bloß „der häuslichen Züchtigung“ überlassen werden. Es gab schon damals auch
Sonderbestimmungen für Personen zwischen 10 und 14 Jahren. In anderen Gesetzen und anderen Ländern fanden sich auch schon früher gewisse Sonderbestimmungen.
3.5.2 Aufgaben und Grenzen des JGG
Das JGG dient in erster Linie dem Ziel, Jugendlichen deutlich zu machen, dass strafbares
Verhalten gesellschaftlich nicht toleriert wird. Gleichzeitig soll der Jugendliche auch vor der
Stigmatisierung geschützt werden, die mit jeder Verurteilung einher geht. Aus diesem Grund
wird versucht, Verurteilungen zu vermeiden, solange dies möglich ist. Auch die Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister (‚Leumundszeugnis‘) dient diesem Zweck. Gewisse
Verurteilungen scheinen gar nicht auf. Die Öffentlichkeit kann von Verhandlungen leichter
ausgeschlossen werden, wenn dies dem Schutz des Jugendlichen (auch des Täters!) dient. So
will man auch eine Stigmatisierung über die Medien vermeiden. Die Spezialprävention steht
im Vordergrund, es geht darum, den jugendlichen Täter selbst von der Begehung weiterer
Straftaten abzuhalten. Das Ziel, auch andere Jugendliche von strafbaren Handlungen abzuhalten, tritt in den Hintergrund. Erziehungsberechtigte sind stärker eingebunden, sie haben z.B.
auch gegen die Willen des Jugendlichen die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu dessen Gunsten
zu erheben. Die Bestimmungen des Jugendstrafrechtes dienen also auch dem Schutz des Jugendlichen.
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In Österreich wurde der Erziehungsgedanke aus dem Jugendstrafrecht weitgehend zurückgedrängt, anders als beispielsweise in der Schweiz, wo der Richter oder Staatsanwalt auch Erziehungsmaßnahmen wie eine Heimunterbringung usw. anordnen kann. Dafür ist in Österreich ausschließlich die Jugendwohlfahrt bzw. allenfalls noch das Pflegschaftsgericht zuständig. Auch für die Behandlung von nicht strafmündigen Personen (unter 14 Jahren) sind nicht
die Staatsanwaltschaft oder das Gericht, sondern ist die Jugendwohlfahrt zuständig. Auch eine
Entziehung der Obsorge und ähnliche Maßnahmen fallen nicht in die Kompetenz der Staatsanwaltschaften und Strafgerichte. Von diesen können im Wesentlichen lediglich die bekannten Sanktionen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe angewendet werden. Die Unterbringung eines
jugendlichen Straftäters in einer geschlossenen Anstalt ist nur unter den auch für Erwachsene
geltenden Voraussetzungen (aufgehobene Zurechnungsfähigkeit, Gefährlichkeit) zulässig und
kommt selten vor.
3.5.3 Definition: ‚Jugendliche‘
Jugendlich sind im strafrechtlichen Sinne Personen, die das 14., nicht aber das 18. Lebensjahr
vollendet haben. Das Ende des ‚Jugendalters‘ fiel nicht immer mit dem Beginn der ‚Volljährigkeit‘ zusammen. So etwa ist in Österreich die Volljährigkeit erst seit dem 1.7.2001 mit 18
statt (zuvor) mit 19 Lebensjahren erreicht.
Personen unter 14 Jahren sind ‚Unmündige‘. Unmündige sind in Österreich nicht strafbar. Es
gilt die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung, dass sie nicht in der Lage sind, sich schuldhaft zu verhalten. Dies kann im Einzelfall natürlich zu problematischen Fällen führen, in denen ein noch nicht 14-jähriger vielfach Straftaten begeht, im Wissen, dass er nicht bestraft
werden kann. Dies ist allerdings im Sinne der Rechtssicherheit in Kauf zu nehmen. In der
Schweiz ist diese Grenze beispielsweise viel niedriger (11 Jahre), weil dem Jugendrichter
oder Jugendstaatsanwalt eben auch erzieherische Kompetenzen zukommen und er damit auch
auf Delinquenz von sehr jungen Tätern angemessen reagieren kann. Die Strafmündigkeitsgrenze wurde schon im Jahr 1928 mit 14 Jahren festgelegt (Vollendung der Schulpflicht, Eintritt in neue Lebensphase, Geschlechtsreife).
Für „junge Erwachsene“ zwischen 18 und 21 Jahren gelten besondere Bestimmungen, etwa
entfällt bei den Strafdrohungen die Untergrenze.
3.5.4 Besondere Sanktionen im Jugendstrafrecht
3.5.4.1 § 4 JGG
In § 4 Abs. 1 JGG ist geregelt, dass Unmündige nicht strafbar sind. Wenn ein Verfahren also
nach § 4 Abs. 1 JGG eingestellt wurde, wurde es eingestellt, weil der Täter zum Tatzeitpunkt
noch nicht 14 Jahre alt war.
In § 4 Abs. 2 sind zwei Fälle geregelt. Zum einen wird geregelt, dass Jugendliche, die strafbare Handlungen begehen, dann nicht strafbar sind, wenn sie aus bestimmten Gründen noch
nicht reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (=
verzögerte Reife im strafrechtlichen Sinne, eine Art ‚Unzurechnungsfähigkeit‘, muss allerdings mit geeigneten Beweisen nachgewiesen werden). Dies meint nicht nur, dass Jugendliche
nicht altersgemäß reif wären, sondern dass sie überhaupt nicht reif sind. So kann man bei eiDr. Christoph Thoma - LV Betreute Studienanteile: Recht und (Jugend-)Strafe
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nem Delikt wie Diebstahl davon ausgehen, dass schon Kinder im Volksschulalter wissen, dass
man anderen Menschen Dinge nicht wegnehmen darf, sprich, dass sie in der Lage sind, das
Unrecht solcher Taten einzusehen und sich entsprechend zu verhalten. Ein Beschuldigter
müsste dann schon die geistige Reife eines Kleinkindes haben, um hier aufgrund verzögerter
Reife straffrei zu sein. Im Einzelfall sind zu dieser Frage Gutachten von Sachverständigen
erforderlich.
Zum anderen geht der Gesetzgeber davon aus, dass Personen zwischen 14 und 16 Jahren nicht
bestraft werden müssen, wenn es sich um leichtere Formen der Kriminalität handelt und weitere Maßnahmen nicht erforderlich erscheinen (zB ein bislang unauffälliger 14-jähriger begeht einen Ladendiebstahlt, wird ohnehin im Beisein der Eltern von der Polizei vernommen
und hat den Schaden bezahlt,...). Die Bestimmung im 2. Satz des § 4 Abs. 2 JGG regelt, dass
ein solches Verhalten gar nicht strafbar ist (Strafauschließungsgrund).
3.5.4.2 § 6 JGG
§ 6 JGG sieht vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen jugendliche Straftäter nicht weiter
verfolgt werden, nämlich ebenfalls bei leichten Formen der Kriminalität und wenn weitere
Maßnahmen nicht erforderlich erscheinen. Zusätzlich kann, wenn dies für erforderlich erachtet wird, das zuständige Pflegschaftsgericht ersucht werden, den Beschuldigten über das Unrecht seiner Tat und über die Folgen und möglichen Konsequenzen für ihn zu belehren. Diese
Belehrungen können, je nachdem, wie sie gemacht werden, sinnvoll und zweckmäßig sein. §
6 JGG wird zB angewendet bei 17-jährigen, die einen Ladendiebstahl begehen, bei Jugendlichen, die ihre Ausweise fälschen um in Lokale oder auf Veranstaltungen eingelassen zu werden ect. Auch in Fällen, in denen die Konsequenzen der Tat für den Jugendlichen ohnehin
schon Strafe genug sind, kann unter Umständen § 6 JGG angewendet werden (hohe Schadensgutmachung wurde geleistet, der Jugendliche hat selbst auch erheblichen Schaden erlitten
ect.). Ein Sachverhalt, der unter § 6 JGG fällt, ist zwar grundsätzlich strafbar, der Jugendliche
braucht aber im Einzelfall nicht bestraft werden.
3.5.4.3 Diversion
Bei Jugendlichen wird verstärkt von den verschiedenen Möglichkeiten der diversionellen Erledigung Gebrauch gemacht, wobei nicht alle Möglichkeiten gleich sinnvoll sind. Geldbußen
sind in den meisten Fällen nicht angemessen, weil sie häufig von den Eltern bezahlt werden
und der Jugendliche keine Konsequenzen verspürt. Nachdem von der Diversion vor allem in
den Fällen Gebrauch gemacht wird, in denen der Jugendliche „etwas spüren“ soll, sprich lernen soll, dass seine Taten Konsequenzen haben, eignen sich besonders gemeinnützige Leistungen. Hier muss der Jugendliche in seiner Freizeit unentgeltlich arbeiten. Der zusätzliche
Vorteil ist, dass Jugendliche, die sich sonst schwer tun, sich an Vereinbarungen und Regeln zu
halten, dies lernen können und sie ein wenig „Arbeitsluft“ schnuppern. Zu den erfolgreichsten
Fällen zählen jene, in denen man später erfährt, dass der Jugendliche beispielsweise eine Ausbildung in der Einrichtung angefangen hat, in der er die gemeinnützigen Leistungen erbrachte.
Arbeitslose Jugendliche erhalten eine gewisse Tagesstruktur und allenfalls auch ein gutes Arbeitszeugnis.
Ebenfalls geeignet für Jugendliche sind der Tatausgleich (vor allem bei Aggressionsdelikten),
da ihnen die Konsequenzen ihrer Taten aus der Sicht der Opfer vor Augen geführt werden.
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Zudem erlernen sie Strategien im Umgang mit derartigen Konflikten. Geeignet ist auch die
‚Probezeit‘, allerdings nur im Zusammenhang mit Bewährungshilfe, da auch hiermit eine
Aufarbeitung der Delinquenz verbunden ist.
Eine Diversion kann entweder vor dem Beginn eines Gerichtsverfahrens oder aber, im Falle
einer Anklageerhebung, während des Gerichtsverfahrens, dann aber nur vom Gericht durchgeführt werden. Letztes z.B. dann, wenn zuvor seitens des Angeklagten keine Bereitschaft
festgestellt werden konnten, mitzuarbeiten, oder wenn es zwischenzeitlich zu einer Schadensgutmachung kam.
3.5.4.4 Weitere Möglichkeiten
Neben der im Falle eines Schuldspruches zu verhängenden Geld- oder Freiheitsstrafe sieht
das JGG zwei weitere Möglichkeiten vor: den (i) Schuldspruch ohne Strafe und den (ii)
Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe.
(ad i) Beim Schuldspruch ohne Strafe kommt das Gericht zwar zum Ergebnis, dass der Beschuldigte die Tat begangen hat und zu verurteilen ist, befindet allerdings, dass im Einzelfall
die Verhängung einer Strafe nicht erforderlich ist, um den Jugendlichen in Zukunft von der
Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Diese Variante ist nur selten sinnvoll, da in der
Regel bereits zuvor vom Staatsanwalt geprüft worden ist, ob nicht eine Diversion zweckmäßig wäre – eine Prüfung, die im Falle einer nachfolgenden Anklageerhebung ja ergeben hat,
dass eine Verurteilung angeraten ist. Lediglich in Fällen, in denen eine diversionelle Erledigung nicht (mehr) möglich ist, z.B. bei einem Todesfall, wäre eine Anwendung sinnvoll.
(ad ii) Ein Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe bedeutet, dass zwar ein Schuldspruch gefällt, aber (noch) keine Strafe verhängt wird, sondern diese für die Dauer einer Probezeit von
in der Regel drei Jahren vorbehalten wird. Begeht der Jugendliche in dieser Zeit eine weitere
Straftat, kann die Strafe für die alte und die neue Tat gemeinsam festgesetzt werden. Auch
hier gelten obige Ausführungen, eine Anwendung ist selten.
Beide Bestimmungen stammen noch aus der Zeit vor der Einführung der Diversion, sodass
ihrer Anwendung weitgehend der Boden entzogen ist. Problematisch ist weiters, dass in der
Regel eine Anklageerhebung erst dann erfolgt, wenn bereits einmal eine Diversion durchgeführt wurde, sodass der Jugendliche bereits einmal eine Reaktion auf sein strafbares Verhalten
verspürt hat, die ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten hat. Wenn er jetzt
im Fall einer Verurteilung erneut keine Reaktion verspürte, verfehlte dies erfahrungsgemäß
zumeist seine Wirkung. Jugendrichter und -staatsanwälte berichten, dass Jugendliche derartige Verurteilungen, ebenso wie solche zu gänzlich bedingten Strafen, nicht verstehen und nicht
als Verurteilungen wahrnehmen. Sie geben auf Frage meist an, es sei „eh nichts passiert“.
Konkret befragt über Vorstrafen gab ein Jugendlicher an, er habe keine. Über Vorhalt der
Strafregisterauskunft, in welche sehr wohl eine Verurteilung aufschien, gab er an „ja aber
damals ist ja nichts passiert“. Irgendeine Reaktion der Strafverfolgungsbehörden sollte in Fällen, in denen angeklagt und verurteilt wird, erfolgen.
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3.5.4.5 Bewährungshilfe
Bewährungshilfe ist bei Jugendlichen immer dann anzuordnen, wenn diese in Untersuchungshaft sind (‚vorläufige Bewährungshilfe‘) und wenn sie bedingt entlassen werden. Zweckmäßig wäre eine Anordnung der Bewährungshilfe auch bei der Mehrheit der bedingten Strafen
(wird in der Praxis großteils gemacht) und im manchen Fällen auch bereits im Ermittlungsverfahren, nämlich dann, wenn keine Haft verhängt wird. In solchen Fällen ist die Anordnung der
Bewährungshilfe durch die Staatsanwaltschaft allerdings vom Gesetz (noch?) nicht vorgesehen.
Die Person des Bewährungshelfers wird in Österreich vom Verein NEUSTART bestimmt, der
es auch übernimmt, mit dem Beschuldigten die notwendigen Gespräche zu führen und Vereinbarungen zu treffen. Theoretisch wäre auch Bewährungshilfe durch andere Personen möglich.
3.5.4.6 Praktische Probleme
Bereits angesprochen wurde, das Problem, auf das Fehlverhalten Jugendlicher zu spät zu reagieren, so dass diese viel zu lange das Gefühl haben, es passierte nichts. Teilweise gibt es bei
Verurteilungen relativ lange bedingte Haftstrafen und Geldstrafen und dann plötzlich doch
Untersuchungshaft und eine unbedingte Haftstrafe samt Widerruf der zuvor bedingt verhängten Strafen – der Jugendliche ist dann möglicherweise relativ lang inhaftiert, was natürlich
Vor- und Nachteile hat.
Ein weiteres Problem stellt die Behandlung unmündiger Straftäter dar, da hier die Staatsanwaltschaft keine Handhabe und sie keinerlei Recht hat auf Informationen durch die Jugendwohlfahrt. Wir sehen, dass 12 oder 13-jährige unzählige Straftaten begehen, können die Verfahren aber nur unter Verständigung der Jugendwohlfahrt einstellen. Was von dieser Seite
dann veranlasst wird, sehen wir nicht.
Jugendliche in Haft sind nie eine besonders gute Lösung, leider gibt es in einigen (in Tirol
wenigen) Fällen keine andere Möglichkeit mehr, den Jugendlichen aus der Spirale der Kriminalität herauszuholen. Unterbringungsmöglichkeiten für Jugendliche sind generell rar.
Die Staatsanwaltschaft und das Gericht haben nur begrenzte Möglichkeiten, sich ein Bild über
die Lebenssituation des Jugendlichen zu machen. Hier helfen unter Umständen Erhebungen
der Jugendwohlfahrt oder von NEUSTART. Es ist aber von der Motivation des Einzelnen
abhängig, wie verwertbar solche Erhebungen sind. Natürlich hängt es auch vom Staatsanwalt
und vom Richter ab, ob und inwiefern Informationen zum Umfeld des Jugendlichen eingeholt
werden.
Gewisse Arten jugendlicher Delinquenz, auf die die Staatsanwaltschaft nur begrenzt einwirken kann, sind quantitativ zunehmend, etwa ‚Sexting‘ und Handyraub. Generell ist es nach
Auffassung der Jugendstaatsanwälte nicht so, dass die Kriminalität bei Jugendlichen allgemein zunähme, sprich, dass die Jugend immer schlimmer werden würde. Jedoch nimmt die
Brutalität bei Körperverletzungsdelikten deutlich zu, vermutlich deshalb, weil die Hemmschwelle gesunken ist. So galt es früher als ein Zeichen von Schwäche, auf einen am Boden
Liegenden noch einzutreten, heute kommt das häufig vor. In einer Gesellschaft, in der propa-
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giert wird, dass sich jeder selbst der Nächste ist (‚Ich-AG‘) und man sich sowieso von anderen (auch von „denen da oben“) nichts gefallen lassen muss, ist es nachvollziehbar, dass Jugendlichen Werte wie Mitgefühl oder Zivilcourage langsam abhandenkommen. Beispiele
sind:
 völliges Unverständnis von einigen Schülern in einer Klasse auf die Aufforderung, offensichtlich schwer betrunkenen oder sonst beeinträchtigten Personen zu
helfen
 Liegenlassen von betrunkenen Freunden/Freundinnen, damit diese wieder nüchtern werden, während man selbst weiter feiert
 Ausgesprochen unangemessene Reaktion im Verhältnis zur Exekutivgewalt (Polizei)
4
Strafe / Sanktion
4.1 Definition: ‚Strafe‘
„Die Strafe ist ein Übel, das einer Person, (dem ‚Täter‘), für ihr eigenes, vergangenes, tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln (Tun oder Unterlassen) von der
Gesellschaft auferlegt wird und mit dem ein sozialethischer Tadel als Unwerturteil gegenüber
dieser Person verbunden ist“.
Der Begriff der ‚Strafe‘ ist damit zu unterscheiden vom Begriff der ‚Maßregel‘, der ‚Besserung‘ und der ‚Sicherung‘, deren zwei entscheidenden Begriffsmerkmale lediglich die ‚tatbestandsmäßige Tat‘ und die ‚rechtswidrige Tat‘ sind.
4.2 Zweck von Strafe – Straftheorien
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4.2.1 Die absolute Straftheorie der Gerechtigkeit
„Strafe um des Strafens willen“
Absolute Straftheorien zielen den Schuldausgleich und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit an. Die absoluten Theorien verfolgt keinen sozial nützlichen Zweck und sind deshalb von
gesellschaftlichen Auswirkungen der Strafe losgelöst (lat.: absolutus = losgelöst). Sie beziehen ihre Legitimation einzig aus einem metaphysischen1 Prinzip von Gerechtigkeit. Strafe ist
Vergeltung oder Sühne.
Diese Theorie möchte das durch die Handlung des Täters geschaffene Unrecht durch die Strafe aufwiegen, um die verletzte Rechtsordnung auf diese Weise wiederherzustellen. Sie dient
dem Schuldausgleich und stellt auf diese Weise die Gerechtigkeit wieder her. Bekannte Vertreter dieser Theorie sind Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, wobei Kant
das Talionsprinzip vertrat, wonach die Strafe der Tat entsprechen muss (Auge um Auge),
während Hegel lediglich eine Wertgleichheit von Strafe und Tat fordert und eine Restaurierung des Rechts durch eine ‚Negation der Negation‘ verlangt.
4.2.1.1 Vorteile
Der Vorteil einer an der absoluten Straftheorie orientierten Rechtsprechung ist, dass sich die
Höhe der Strafe nach der begangenen Tat richtet, frei nach dem Prinzip „Auge um Auge“
(‚Talionsprinzip‘). Dies kann richterliche Willkür, wie etwa die Statuierung eines Exempels,
verhindern und wirkt somit auch freiheitsbewahrend. Bei Tatschuldausgleich kann nunmehr
auch das Ausmaß der persönlichen Schuld mitberücksichtigt werden.
4.2.1.2 Nachteile
Die absolute Straftheorie folgt einem und realisiert einen metaphysischen2 Gerechtigkeitsbegriff, der natürlich rechtfertigungspflichtig und kritisierbar ist. Sie steht dem entgegen, dass
säkulare Staaten die Legitimation ihrer Gewalt von den (freien) Bürgern und nicht von Gott
oder von einem über wesensmetaphysische Argumente eingeführten obersten Prinzip ableiten.
Die absolute Straftheorie hat Auswirkungen, die nicht dem Interesse des Einzelnen entsprechen:
 Die absolute Straftheorie fordert auch dann eine Strafe, wenn diese gesellschaftlich
nicht notwendig ist. So vertrat etwa Kant die Ansicht, dass – auch wenn der Staat und
die Gesellschaft sich auflösten – noch „der letzte im Gefängnis befindliche Mörder
vorher hingerichtet werden [muss], damit jedermann das widerfahre, was seine Taten
wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung
nicht gedrungen hat“.
 Die Verfolgung der Vergeltungstheorie kann in der Praxis zu sozial unerwünschten
Folgen führen, wie etwa Sozialisationsschäden, die oft Ursache für die Verübung von
Verbrechen sind. Die Gesellschaft würde somit vor Verbrechen unter Umständen
nicht stärker, sondern eventuell sogar weniger geschützt.
 Das Schuldprinzip beruht auf der Prämisse einer in naturwissenschaftlicher oder in
Anm. C.T.: ‚metaphysisches‘ Prinzip hier von Härting nicht als terminus technicus philosophischer Wissenschaftlichkeit verwendet, sondern im allgemeinen Sinne eines ‚philosophisch gerechtfertigten‘ Prinzips.
2
Anm. C.T.: ‚metaphysischer‘ Gerechtigkeitsbegriff von Härting nicht als terminus technicus philosophischer Wissenschaftlichkeit verwendet, sondern im allgemeinen Sinne eines ‚philosophisch gerechtfertigten‘ Gerechtigkeitsbegriff.
1
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anderer positiv-empirischer Wissenschaftlichkeit nicht beweisbaren Willensfreiheit
des Menschen.3 Mit der Behauptung, der Täter hätte willentlich anders handeln können, begründet es schwerste Sanktionen. Auch folgt aus dem Prinzip der Eigenverantwortung nicht die staatliche Zwangsstrafe, sondern die freiwillige Übernahme einer Buße.
4.2.2 Relative Straftheorien
„Strafe, damit keine weiteren Taten geschehen“
Die relative Straftheorie (lat.: relatus = bezogen auf) ist präventiv orientiert und dient der
Verhinderung künftiger Straftaten. Sie unterteilt sich in die Generalprävention und die Spezial- bzw. Individualprävention.
4.2.2.1 Generalprävention
Die Generalprävention zielt auf den Schutz der Allgemeinheit und nimmt damit die Interessen
der Gesellschaft wahr. Hierzu nutzt sie die Sozialwissenschaften als Referenz- und Legitimationsquellen ihrer Entscheidungen. Zu unterscheiden ist eine ‚positive‘ von einer ‚negativen‘
Generalprävention:
 positiv: Die positive Generalprävention soll das Vertrauen der Gesellschaft in die
Rechtsordnung stärken. Dabei lassen sich drei unterschiedliche, ineinander übergehende Ziele und Wirkungen differenzieren:
(1) die Einübung der Rechtstreue als Lerneffekt
(2) der Vertrauenseffekt, der sich ergibt, wenn der Bürger sieht,
dass das Recht sich durchsetzt
(3) der Befriedigungseffekt, der sich einstellt, wenn sich das allgemeine Rechtsbewusstsein auf Grund der Sanktion beruhigt und
den Konflikt mit dem Täter als erledigt ansieht.
 Kritik: Das Schuldprinzip, teils als Ausdruck der Menschenwürde verstanden, verbietet es, einen Täter mit schuldunangemessenen Strafen zu
belegen, nur um Abschreckungseffekte bei der Bevölkerung zu erzielen.
 negativ: Die negative Generalprävention soll die Gesellschaft von der Begehung
einer Tat abschrecken, indem deutlich gemacht wird, welche Strafen drohen.
 Kritik: Das Abstellen auf generalpräventive Zwecke hat zwar den Vorteil, dass andere Menschen in der Tat von der Begehung von Unrecht
abgehalten werden können, allerdings darf nicht übersehen werden,
dass viele Straftaten trotz der dem Täter bekannten Strafandrohung aus
einem spontanen Entschluss heraus und ohne vernünftige Abwägung
hinsichtlich der Folgen begangen werden. Auch noch so hohe Strafandrohungen führen nicht dazu, dass künftig keine Straftaten mehr begangen werden.
3
Amm. C.T.: Siehe hierzu die Ausführungen in den Unterlagen zu den LVen des Moduls 2 – Anthropologie und Freiheit.
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4.2.2.2 Spezialprävention
Die Spezialprävention zielt auf die Reduktion der vom Täter ausgehenden Gefährdungen.
Hierzu nutzt sie die empirisch-kriminologische Wissenschaftlichkeit als Referenz- und Legitimationsquellen ihrer Entscheidungen. Auch hier ist eine ‚positive‘ von einer ‚negativen‘
Spezialprävention zu unterscheiden:
 positiv: Die positive Spezialprävention soll zur Besserung des Täters und seiner
Resozialisierung führen. Positive Sanktionen sind z. B. Lob, Belohnung, Auszeichnung.
 Kritik: Was ist mit völlig resozialisierten Tätern und mit Tätern, die
sich nicht resozialisieren lassen?
 negativ: Die negative Spezialprävention möchte die Allgemeinheit vor dem Täter
schützen und den Täter durch Strafe davon abbringen, nochmals eine Tat zu begehen. Negative Sanktionen können z. B. sein: Tadel, Anzeige, Schmerzensgeld,
Sicherungsverwahrung.
 Kritik: Besteht keine Begrenzung des Strafmaßes, so ist es fraglich, inwieweit der Staat einen Täter über dessen (abgesessene) Strafe hinaus
festhalten darf (Sicherungsverwahrung).
Strittig beantwortet wird die Frage danach, welche Zwecke die Strafe hauptsächlich verfolgen
soll. Dabei bleibt die Tat als solche der Ausgangspunkt des Strafens. Zugleich findet die Strafe ihre Begrenzung in der Tat, im Umfang der Verletzungen/Schädigungen und in der subjektiven Tatschuld, da nur die Strafe, die der Schuld angemessen ist (schuldangemessene Strafe),
gerecht ist. Ausschlaggebend für die Höhe der Strafe ist die Schuld des Täters. Trifft den Täter keine Schuld, kann er nicht bestraft werden. Zweck der Strafe im österreichischen Strafrecht ist die General- und Spezialprävention, der Vergeltungsgedanke ist weitgehend zurückgedrängt. Die im Einzelfall verhängte Strafe darf also nicht höher sein, als notwendig, um den
Täter und die Allgemeinheit von der Begehung solcher Taten abzuhalten. Nachdem zahlreiche Forschungen das Ergebnis bringen, dass strengere Strafe kein Garant dafür sind, zukünftige Täter abzuhalten, kann der Zweck tatsächlich in Frage gestellt werden (Bsp. USA – Todesstrafe – Wirkung?). „Strafe ist dem Wesen nach Sühne, dient aber vor allem general- und
spezialpräventiven Gründen.“ Der Vorrang der Spezialprävention ist meist anerkannt. Heutzutage sollte erster Zweck des Strafens die „positive Generalprävention“ sein.
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II.
KOMPETENZWEGE ZUR INDIVIDUELLEN ODER GEMEINSCHAFTLICHEN BEARBEITUNG
5
Fragen/Aufgaben zur Ertragssicherung
(1) Nennen Sie die fünf wichtigsten Etappen der Rechtsgeschichte und deren jeweiligen spezifischen Merkmale.
(2) Nennen Sie die Hauptmerkmale des Zivilrechts, des Öffentlichen Rechts, des Arbeitsrechts und des Strafrechts. Wer sind die jeweiligen Rechtssubjekte?
(3) Erklären Sie den Aufbau des österreichischen Gerichtssystems.
(4) Nennen und erklären Sie die Grundprinzipien des Strafrechts.
(5) Nennen und erklären Sie die besonderen Sanktionen der Jugendgerichtsbarkeit.
(6) Im Bereich der Strafzwecke werden voneinander unterschieden die absolute Straftheorie
und die relative Straftheorie. Was ist der dem Strafen jeweils vorgegebene Zweck? Was
folgt daraus für die Tätigkeit des Strafens?
6
Fragen/Aufgaben Ertragserweiterung
(1) Können Sie Erfahrungen aus Ihrem beruflichen Umfeld anführen, die dafür sprechen, eine
eigens den Jugendlichen vorbehaltene Gerichtsbarkeit installiert zu haben?
(2) Härting formuliert einen positivistischen Rechtsbegriff.4 Was spricht für, was gegen den
Rechtspositivismus?
(3) Jede der zwei vorgestellten Straftheorien setzt einen spezifischen Zweck des Strafens voraus. Zwecke sind handlungsleitend, bedürfen also der ethischen Rechtfertigung. Formulieren Sie in Verwendung ethischer Termini mögliche Argumente zugunsten jeder der zwei
angeführten Zwecke. Welchen Argumenten stimmen Sie zu? Begründen sie Ihre Entscheidung in Anbringung handlungstheoretischer und ethischer Terminologie.
(4) Nur für besonders Interessierte: Als eine von den vier Aufgaben des Rechts und der
Rechtsordnung nennt Härting den Schutz der Freiheit. Eine Prämisse ihres entsprechenden
Arguments lautet, dass die Freiheit des einzelnen dort ende, wo die Freiheit der anderen
beeinträchtigt wird. Ist diese Behauptung wahr?
a. Welcher Freiheitsbegriff wird hier von Härting implizit angeführt?
4
S.o., 1.4 Was ist Recht?, S. 6.
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b. Kennen sie einen Freiheitsbegriff, demnach die Freiheit bei der Freiheit des anderen nicht endet, sondern letztere vielmehr die Möglichkeitsbedingung von (eigener) Freiheit ist?
c. Was kann widerspruchsfrei Gehalt von Freiheit sein (ohne also die als Freiheit ergehende Öffnungsbewegung zu negieren)?
7
Literatur
Hoerster, Norbert: Was ist Recht? Grundfragen der Rechtsphilosophie, München (Beck)
2013.
Kirste, Stephan: Einführung in die Rechtsphilosophie, Darmstadt (WBG) 2010.
Nolte, Paul: Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart, München (Beck) 2012.
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