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Herzinfarktbehandlung
Schneller, besser, schonender?
Patienten, die einen Herzinfarkt überleben, tragen oft lebenslange Schäden davon. Neuartige
medizintechnische Verfahren sollen das Ausmaß dieser Schäden begrenzen.
Quelle: Fotolia/psdesign1
11.09.2015 Mit Herzkatheter und medikamentöser Hemmung der Blutgerinnung
können Kardiologen heute der Mehrzahl der Patienten mit akutem Herzinfarkt das
Leben retten. Doch nicht immer gelingt die optimale Versorgung. Mitunter dauert
die Diagnostik zu lang, und auch bei den Stents gibt es noch Defizite. Am
wichtigsten aber sind neue Verfahren bei Patienten mit sehr großen Herzinfarkten.
Denn viele von ihnen sterben noch immer. Und bei denen, die überleben, leidet
der Herzmuskel stark. von Philipp Grätzel von Grätz
1
Eine Erfolgsgeschichte mit Lücken
Die Versorgung von Patienten mit Herzinfarkt in Deutschland gilt mittlerweile als
erstklassig. Aber längst nicht jedem Patienten können die Mediziner optimal helfen.
Wer sehen will, was sich bei der Versorgung von Patienten mit Herzinfarkt in den
vergangenen Jahren getan hat, sollte im jährlich herausgegebenen Deutschen Herzbericht
der Deutschen Herzstiftung blättern. Der Trend ist unübersehbar: Die Zahl der Herzinfarkte
nimmt zu. Gleichzeitig jedoch sinkt die Zahl der Menschen, die daran sterben. Gleiches gilt für
die Sterblichkeit von Patienten mit ischämischer Herzerkrankung – einer
Durchblutungsstörung des Herzens, die dem Herzinfarkt zugrunde liegt: Zwar erkranken
immer mehr Menschen an einer Ischämie. Dennoch ist die Zahl der Todesfälle seit 1980 ist
um ein Viertel gesunken.
Noch immer stirbt einer
von vier Patienten
Die Situation ist trotzdem nicht rosig.
Im Jahr 2012 starben immer noch
rund 55.000 von 224.000 Patienten
mit akutem Herzinfarkt. Woran liegt
das? Ob ein Herzinfarkt tödlich verläuft,
entscheidet sich im Wesentlichen an
drei Faktoren. Eine wichtige
Zwischen 2010 und 2012 sank die Sterblichkeit bei
Todesursache sind
Herzinfarktpatienten um 5,4 Prozent: von 55.541 auf
Herzrhythmusstörungen, die nicht
52.516 Todesfälle. Gleichzeitig nahm die Zahl der
rasch genug therapeutisch beendet
Herzinfarktpatienten um 4,8 Prozent zu: von 212.914
werden. Lebensgefährlich wird es
auf 223.179 Betroffene.
auch, wenn der Herzmuskel so stark in
Quelle: Fotolia/Kzenon
Mitleidenschaft gezogen wird, dass
das Herz nicht mehr genug pumpen
kann, um den Rest des Körpers mit Sauerstoff zu versorgen. Und schließlich kann es
passieren, dass sich die Engstellen der Herzkranzgefäße nach einer Behandlung wieder
verschließen, sofort oder auch Monate oder Jahre später.
Mit Medizintechnik die Behandlung verbessern
Mit unterschiedlichen medizintechnischen Innovationen wird versucht, alle drei Probleme in
Angriff zu nehmen. Ein wichtiger Ansatzpunkt besteht darin, die Akutversorgung weiter zu
beschleunigen: Neue Labortests sollen dazu beitragen, dass Kardiologen schneller
entscheiden können, wer einen Herzkatheter braucht und wer nicht. Auch bei den Stents
herrscht wieder Bewegung: Bioresorbierbare Stents könnten möglicherweise bessere
Langzeitergebnisse bringen als die derzeit genutzten Metall-Stents. Und schließlich wird
versucht, mit ganz unterschiedlichen medizintechnischen Verfahren die Ausdehnung eines
Herzinfarkts zu begrenzen. So soll verhindert werden, dass die Pumpfunktion des Herzen zu
stark leidet.
Auch bei der Nachsorge hakt es
Zu allen genannten Themen wurden
Mehr News vom Kardiologenkongress:
beim Europäischen Kardiologenkongress
(ESC) in London neue Studien vorgestellt.
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Nicht alle zeigten die erhofften
Meilenstein für die Herzbildgebung
Ergebnisse. Doch langfristig bringen auch
Rückschläge die klinische Forschung
voran. Für eine weitere Verbesserung
der Versorgung von Herzinfarktpatienten

in Deutschland ist nicht nur die
Studienziel verfehlt
Medizintechnik gefragt. Ansatzpunkte gibt
So hat die im European Journal of Preventive Cardiology (2012; 20(2):218-28) publizierte
APTOR-Studie im europäischen Vergleich gezeigt, dass die Nachbehandlung von
Herzinfarktpatienten mit Hemmstoffen der Blutplättchen in Deutschland
verbesserungsbedürftig ist: Diese Präparate werden hier zu Lande oft zu schnell wieder
abgesetzt. Das ist allerdings eher eine Frage der Fortbildung als der technischen Optimierung.
Mehr im Internet:
Deutscher Herzbericht
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Neue Tests und neue Stents können überzeugen
Beim Herzinfarkt kommt es auf Schnelligkeit an: Ein neuer Test, der die Diagnose
beschleunigt, kommt deswegen gerade recht. Auch bei der Stenttherapie deuten sich
in den kommenden Jahren Änderungen an.
Wenn Kardiologen wissen wollen, ob ein Patient mit plötzlichen Brustschmerzen einen
Herzinfarkt hat oder nicht, blicken sie als erstes auf das Elektrokardiogramm (EKG). Zeigen sich
dort typische Abweichungen der sogenannten ST-Strecke, die bestimmten Regionen des
Herzens zuzuordnen sind, ist der Fall klar. Die Patienten haben einen „ST-Hebungsinfarkt“
oder STEMI. Sie benötigen sofort eine Herzkatheteruntersuchung.
Schwieriger wird es, wenn ST-Hebungen im EKG nicht vorhanden sind. In diesem Fall hilft ein
Blutwert, das Troponin. Es ist Bestandteil der Herzmuskelzellen und normalerweise nicht im
Blut nachweisbar. Findet es sich doch, ist ein Herzinfarkt wahrscheinlich. Die Experten
sprechen dann von einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt oder NSTEMI.
Diagnostische Klarheit schon nach einer Stunde
Soweit die Theorie. Die Realität in der Notaufnahme ist jedoch, dass Erhöhungen des
Troponins gar nicht so selten auch bei Patienten vorkommen, die keinen Herzinfarkt haben.
Um unnötige Herzkatheter zu verhindern, muss das Troponin gemäß Leitlinien zweimal
gemessen werden: einmal direkt bei Aufnahme und noch ein weiteres Mal nach drei Stunden.
Damit können viele Patienten, die keinen Herzinfarkt haben, aussortiert werden. Für die
Patienten mit Herzinfarkt freilich bedeutet das eine unnötige, potenziell gefährliche Wartezeit.
An diesem Punkt setzen neue
Diagnosealgorithmen an, bei denen
hoch sensitive Troponintests zum
Einsatz kommen. Beim
Kardiologenkongress in London hat
Privatdozent Dr. Dirk Westermann vom
Universitätsklinikum HamburgEppendorf die Ergebnisse der BACCStudie vorgestellt. In dieser Studie
wurde statt des in Deutschland weit
verbreiteten Troponin T (TnT) mit
einem hoch sensitiven Assay Troponin
Neuartige Troponintests – also eine Untersuchung
I bestimmt („hsTnI“). Die Kardiologen
des Blutes auf ein bestimmtes – können sehr
verglichen bei 1.045 Patienten mit
schnell Aufschluss darüber geben, ob Patienten
Brustschmerzen eine Messung des
tatsächlich einen Herzinfarkt hatten.
hsTnI-Spiegels bei Aufnahme und
nach einer Stunde mit dem üblichen
Quelle: Fotolia/Guido Grochowski
dreistündigen Prozedere unter Einsatz
eines TnT-Assays. Dabei wurde ein sehr niedriger Grenzwert für hsTnI gewählt, um trotz
schnellerer Abklärung möglichst keinen Herzinfarkt zu übersehen.
Diese Studie war sehr erfolgreich: Nach einer Stunde konnten auf Basis des einstündigen
Algorithmus 418 der 1.045 Patienten entlassen werden, weil sie definitiv keinen Herzinfarkt
hatten. Außerdem wurden weitere 125 Patienten schon nach einer Stunde zum Herzkatheter
geschickt, weil es keinen Zweifel an der Diagnose gab. Anders ausgedrückt: Bei mehr als der
Hälfte der Patienten stand das Vorgehen schon nach einer Stunde fest, lediglich bei den
anderen musste noch abgewartet werden.
Mittlerweile wurde der schnelle Algorithmus an zwei weiteren großen Datensätzen von
anderen klinischen Studien validiert. „Die Ergebnisse haben unsere Daten reproduziert“, so
Westermann in London. In Hamburg soll das schnellere Vorgehen deswegen jetzt zum
Standard werden. Und auch die neue, Ende August vorgestellte NSTEMI-Leitlinie der
Europäischen Gesellschaft für Kardiologie erlaubt jetzt die beschleunigte Diagnostik, sofern
der eingesetzte Test entsprechend validiert wurde.
Bio-Therapie statt Metallgerüst
Neue Daten gab es in London auch an der Katheterfront. Hier ist seit einigen Jahren die
Behandlung mit medikamentenbeschichteten Stents (DES) der Standard. Aber Professor
Patrick Serruys vom Imperial College London zweifelt daran, dass das so bleiben wird. Er
präsentierte die Ergebnisse der TROFI II-Studie, bei der ein neuartiger bioresorbierbarer Stent
mit einem DES verglichen wurde.
Erste bioresorbierbare Stents sind
bereits zugelassen und werden bei
stabiler Koronarerkrankung eingesetzt.
Beim akuten Herzinfarkt dagegen
halten sich die Kardiologen bisher
noch zurück. Den prinzipiellen Vorteil
von resorbierbaren Stents sieht
Serruys darin, dass in die
Herzkranzgefäße kein permanenter
Bioresorbierbare Stents sind bei der koronaren
„Käfig“ eingesetzt wird. Anders als bei
Herzerkrankung bereits zugelassen. In fünf Jahren
Metallstents bekämen die Blutgefäße
könnten sie auch bei Herzinfarktpatienten eingesetzt
letztlich wieder ihre normale Funktion.
werden, schätzt Professor Patrick Serruys vom
Außerdem sei zu erwarten, dass die
Imperial College London.
aufgedehnte Stelle langfristig nicht so
Quelle: BVMed
leicht wieder zuwachse, da kein
Fremdmaterial mehr vorhanden sei.
Letzteres ist freilich bisher noch eine reine Hypothese. In der TROFI II-Studie erhielten jetzt
191 Patienten mit Herzinfarkt entweder den bioresorbierbaren Stent oder den konventionellen
DES. „Nach sechs Monaten war der bioresorbiere Stent dem DES nicht unterlegen“, so
Surreys. Auf den Nachweis dieser Nicht-Unterlegenheit war die Studie angelegt. Damit gibt es
jetzt erstmals auch günstige Daten zu bioresorbierbaren Stents bei Herzinfarktpatienten aus
einer randomisierte Studie.
Wirklich spannend wird es allerdings erst, wenn in den nächsten Jahren Langzeitdaten zu
bioresorbierbaren Stents vorgestellt werden. Denn dann wird sich zeigen, ob diese Produkte
wirklich auf lange Sicht besser abschneiden. Er persönlich glaube, dass in etwa fünf Jahren die
Mehrheit der bei Herzinfarktpatienten eingesetzten Stents bioresorbierbar sei, so Surreys
optimistisch.
Mehr im Internet:
Neue Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie für den NSTEMI-
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Herzinfarkt
3
Der Schutz des Herzmuskels gestaltet sich schwierig
Trotz besserer Akutversorgung verstirbt etwa jeder vierte Patient mit Herzinfarkt im
Krankenhaus oder auf dem Weg dorthin. Mit medizintechnischen Methoden wird
versucht, die Größe des Infarkts zu begrenzen.
Einen Herzinfarkt darf man sich nicht
als einen einzelnen, kurz andauernden
K.o.-Schlag für das Herz vorstellen. Die
Schädigung des Herzmuskels beim
Herzinfarkt laufe vielmehr in Phasen
ab, betonte Professor Gregg W. Stone
von der Columbia University in New
York. Die erste Phase ist die Ischämie:
Ein Blutgerinnsel verstopft ein
Herzkranzgefäß. Die Herzmuskelzellen
Ein Herzinfarkt schädigt das Herzmuskelgewebe –
werden von der Blutversorgung
nicht nur während des Infarkts, sondern auch noch
abgeschnitten und gehen wegen
danach.
Sauerstoffmangels zugrunde. Dieses
Quelle: Fotolia/crevis
Problem beseitigen Kardiologen,
indem sie das verschlossene
Blutgefäß per Herzkatheter wiedereröffnen.
Nach der Wiedereröffnung des Herzkranzgefäßes ist der Infarkt für den Herzmuskel aber
noch nicht ausgestanden. Es folgt die Phase der Reperfusion, also der plötzlichen
Durchblutung des Herzmuskels nach der Wiedereröffnung des Blutgefäßes. Auch das ist für
die Herzmuskelzellen nicht ganz ungefährlich: Durch metabolische Prozesse kann es zu auf
den ersten Blick paradox anmutenden Reperfusionsschäden kommen. Diese führen in letzter
Konsequenz dazu, dass der Herzinfarkt nach der Gefäßeröffnung noch ein Stückchen größer
wird, bevor sich alles wieder einpendelt.
Schrittmachertherapie zur Entlastung des Herzens erfüllt nicht die
Erwartungen
Insbesondere bei großen Herzinfarkten gelte es heute als ausgemacht, dass ein relevanter
Teil der Zerstörungen am Herzmuskel auf die Reperfusion zurückgehe, so Stone. Das ist der
Hintergrund für Studien, in denen mit medizintechnischen Methoden versucht wird,
Reperfusionsschäden zu begrenzen. Eine Möglichkeit könnte die gezielte Stimulation des in
der Umgebung des ursprünglichen Infarkts liegenden Gewebes mit Hilfe eines Schrittmachers
sein.
„Die These ist, dass dadurch die Herzwand in dem geschädigten Areal entlastet und so ein
infarktbedingter Umbau des Herzmuskels, ein Remodelling, verhindert wird“, erläuterte Stone.
Der Kardiologe stellte in London die Ergebnisse der PRomPT-Studie vor, die genau das
untersucht hat. 126 Patienten mit einem ersten Herzinfarkt wurden entweder konventionell
behandelt oder erhielten zusätzlich einen temporären Herzschrittmacher. Dann wurde im
Abstand von anderthalb Jahren geschaut, wie sich das Volumen der linken Herzkammer
veränderte.
Dieses Volumen am Ende der Füllungsphase des Herzens erlaubt eine Abschätzung des
Ausmaßes der Schädigung des Herzmuskels im Langzeitverlauf. Das Ergebnis war angesichts
vielversprechender Daten aus Vorabstudien, in denen die Herzwand durch die
Schrittmachertherapie tatsächlich entlastet werden konnte, ernüchternd: „Wir fanden praktisch
keine Unterschiede. Die Ergebnisse sind so neutral, dass das Verfahren aus unserer Sicht
nicht weiter verfolgt werden sollte“, so Stone.
Bioresorbierbares Stützgerüst für die Herzwand
Nicht viel mehr Glück hatte Professor Uwe Zeymer vom Institut für Herzinfarktforschung in
Ludwigshafen mit der von ihm geleiteten PRESERVATION I-Studie. Auch in dieser Studie ging
Ludwigshafen mit der von ihm geleiteten PRESERVATION I-Studie. Auch in dieser Studie ging
es darum, das durch die erneute Durchblutung verursachte Remodelling unmittelbar nach
dem Herzinfarkt zu verhindern. In diesem Fall wurde von den behandelnden Kardiologen kein
Schrittmacher eingesetzt, sondern eine bioresorbierbare Matrix in die Herzkranzgefäße injiziert.
Es handelt sich dabei um eine Art Geliermittel, das unter anderem Natriumalginat und
Calciumgluconat enthält. Die Flüssigkeit reagiert mit ionisiertem Calcium im Herzmuskel und
bildet dadurch ein Gel, das die Herzmuskelzellen während der Reparaturprozesse nach dem
Herzinfarkt wie ein Gerüst in Form hält und entlastet, bis es sich dann auflöst bzw. abgebaut
wird.
Auch hier sei in Vorstudien gezeigt worden, dass das Prinzip funktioniere, so Zeymer. Das mit
unterschiedlichen Methoden nachweisbare Remodelling des Herzmuskels wurde tatsächlich
gebremst. Klinisch profitierten die Patienten in der PRESERVATION I-Studie freilich nicht
davon: Die mittels Echokardiographie nach sechs Monaten gemessenen Veränderungen im
Volumen der linken Herzkammer waren in beiden Studienarmen ähnlich. Auch bei der
Lebensqualität und beim Sechs-Minuten-Gehtests gab es keine Unterschiede.
Aus seiner Enttäuschung über dieses Ergebnis machte Zeymer in London keinen Hehl. Er hält
es aber für zu früh, den Therapieansatz schon jetzt fallen zu lassen. Denkbar ist für ihn, dass
die Intervention einfach zu spät kam, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Er plädierte
deswegen für weitere Studien, um das optimale Timing und auch die optimale Zielgruppe für
die Biomatrix zu finden.
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