Taking To The Streets - Untersuchungen zur Qualität des öffentlichen Raums am Phänomen der Strasse Strassen bilden seit jeher das Grundgerüst jeder Stadt. Sie bilden für das Leben der Menschen notwendige Verbindungs- und Aufenthaltsräume, verbinden Innen und Aussen, das Private mit dem Öffentlichen. Der Strassenraum ist ein wichtiger öffentlicher Raum, er ist Handlungs- und Bewegungsraum, Raum der Inszenierung, des Handels und der Kommunikation, der politischen Äußerung, wie auch der subversiven Intervention. Unterschiedliche Kulturen und Gesellschaften haben unterschiedliche öffentliche Räume für die verschiedensten Nutzungen und Bedürfnisse hervorgebracht; Nutzungen, die sich zum Teil über die Jahrhunderte kaum verändert haben und in jeder Kultur zu finden sind, wie zum Beispiel Märkte; aber auch ganz neue, wie beispielsweise die Inbesitznahme des öffentlichen Raums mittels digitaler Medien. Das Projekt Taking To The Streets untersucht die Schnittstelle zwischen der gebauten Umwelt und den Handlungen der Menschen und zeigt, in welcher Weise diese beiden Seiten aufeinander wirken und sich gegenseitig beeinflussen. Untersuchungsorte für das transkulturell vergleichende Projekt sind Zürich, Berlin, Shanghai und Tokyo. Transdisziplinarität Der Raum der Strasse, als Beispiel eines stets aktuellen und verdichteten urbanen öffentlichen Raums, geht aus den vielschichtigen Relationen zwischen den Handlungen und Wahrnehmungen der Menschen und der gebauten Umwelt hervor. Um dieser Komplexität gerecht zu werden siedelt sich die Untersuchung zwischen Landschaftsarchitektur, Architektur und Städtebau, Kulturwissenschaften und Soziologie an und vereint sowohl architektur-, stadt- und raumsoziologische, wie ethnografische, kulturwissenschaftliche und phänomenologische Sichtweisen und Methoden. Theorie des lived space Die Theorie nimmt aktuelle Ansätze aus der Raumsoziologie und der kulturwissenschaftlichen Stadtforschung auf und stellt sie in den Kontext einer weiter gefassten Raumwissenschaft, um sie für komplexe urbanistische Fragestellungen fruchtbar zu machen. Die Strasse ist ein öffentlicher Raum, der seine Qualität nicht allein durch die architektonische Planung erhält, sondern immer auch durch lebendige soziale Prozesse. Gemäß der von uns als relevant betrachteten relationalen Raumtheorien (Henri Lefebvre, Martina Löw, Edward Soja) konstituiert sich Raum erst aufgrund des Zusammengehens konkreter materieller, sozialer, wie auch kognitiver Handlungen. Der französische Philosoph und Soziologe Henri Lefebvre spricht diesbezüglich auch von einer Raumtriade: perceived, conceived and lived space. Beobachten und Zeigen Neben der Theorie steht die Feldforschung im Mittelpunkt dieses Projekts. In den vier ausgewählten Städten werden in je zwei charakteristischen begrenzten Gebieten case studies durchgeführt. Mit Anleihen vor allem aus der ethnologischen Forschung kommen unterschiedliche qualitative Methoden der Beobachtung zur Anwendung. Vor allem gilt unser Interesse einer Weiterentwicklung der Methode des Image-based Research. Die Fotobeobachtungen führen je nach Intention zu zwei prinzipiell unterschiedlichen Ergebnissen: einerseits entstehen Bilder, die als Zwischenergebnis zur weiteren Analyse dienen, andererseits – und dies ist das Hauptanliegen des Image-based Research - entstehen Bildserien, die als Endergebnisse die anvisierte Aussage zeigen, und nicht weiter in Text übersetzt werden müssen. In Bruno Latours Sinne stellen diese Bilder Transkriptionen urbaner Netzwerke dar und haben als solche ihre spezifische Art der Darstellung, das Zeigen. Raumproduktion Unterschiedliche Nutzungen und (Be-)Handlungen des öffentlichen Raums stehen im Zentrum der Betrachtung. In einem ersten Schritt geht es darum, an ausgewählten Beispielen zu zeigen, wie diese Nutzungen den Raum konstituieren, wie unterschiedliche Interaktionen den öffentlichen Raum immer wieder aufs Neue transformieren und jeweils andere Aspekte des Urbanen aufscheinen lassen. Raum ist nicht per se gegeben, sondern er wird gemacht, bzw. produziert (Lefebvre). Raum ist nicht statisch, sondern ein ständig fortlaufender Prozess. Die unterschiedlichsten Akteure bringen durch ihre Handlungen mit „sozialen Gütern und Menschen“ (Löw) den Raum erst hervor; sie generieren immer wieder aufs Neue ineinander verschobene und sich überlagernde multidimensionale Netzwerke von beschränkter Dauer. Wie dies genau geschieht, welche Rolle dabei die gebaute Umwelt spielt und was diese interaktive Raumproduktion für die Wahrnehmung des öffentlichen Raums und letztlich auch für die urbane Form bedeutet, soll in dem Projekt untersucht und dargestellt werden. Qualität des öffentlichen Raums Aus diesen Beobachtungen heraus sollen in einem zweiten Schritt Kriterien zur Beurteilung der Qualität des öffentlichen Raums entwickelt werden. Leitet man aus den bisher bestehenden Raumtheorien einige grundlegende Begriffe ab, kann man daraus bereits die Richtung der Kriterien ablesen: guter öffentlicher Raum erlaubt eine lebendige Interaktion und Partizipation aufgrund seiner Offenheit, Temporalität und Prozesshaftigkeit. Bezug nehmend auf das triadische Raummodell von Lefebvre kann man sagen, dass für die Qualität des öffentlichen Raums das Wahrnehmen des materiell Gebauten (perceived space) in gleichem Masse wichtig ist wie die Handlungen und Interaktionen der Akteure (lived space) inklusive all ihrer mentalen Verarbeitungs- und Symbolleistungen (conceived space). West/Ost Zusätzlich zum transdisziplinären Ansatz der Untersuchung kommt die transkulturelle Perspektive. Mit der urbanen Form ist nicht nur eine abendländische oder europäische gemeint, sondern das Urbane allgemein. Um diesem Faktum näher zu kommen untersucht das Projekt öffentliche Räume auch in unterschiedlichen Kulturen. Untersuchungsorte sind deshalb neben Zürich, auch Berlin, Shanghai und Tokyo. Vor allem von der Beschäftigung mit ostasiatischen Städten erhofft sich das Projekt zu einer anderen Perspektive zu gelangen. Der Blick auf Ostasien soll aber nicht zuletzt auch den eigenen Standpunkt schärfen und klarer hervortreten lassen. Was der Westen vom Osten oder umgekehrt, hier lernen kann, ist erst in Andeutungen erkennbar. Wir gehen jedoch davon aus, dass trotz aller kultureller Distinktionen und Kontingenzen, auch einige allgemein gültige Kriterien zu finden sein werden, die es ermöglichen sinnvoll Vergleiche zwischen Orient und Okzident anzustellen. privat/öffentlich Die Beschäftigung mit ostasiatischen Metropolen resultiert auch aus dem Bedürfnis vieler westlicher Theoretiker aus bestimmten festgefahrenen Dichotomien heraus zu kommen. Vor allem geht es um den Versuch andere Beschreibungsmöglichkeiten für die Dichotomie von privat und öffentlich zu finden. Schon lange ist man sich darüber einig, dass diese simple Zweiteilung nicht mehr greift, andere Konzepte liegen aber keine vor. Umso interessanter ist auch hier ein Blick nach China und Japan, in denen diese Zweiteilung nicht in unserem Sinne existiert und deshalb auch anders sprachlich gefasst wird. Die relevanten Forschungsfragen Gemäss der Theorie von Lefebvre und des relationalen Raums entsteht Raum – damit auch öffentlicher Raum - in dem Zusammenspiel der drei Raumaspekte: der wahrgenommene, der vorgestellte und der gelebte Raum. Die Menschen sind an dieser Produktion des Raums vor allem durch ihre Nutzungen und Aneignungen massgeblich beteiligt. Der Fokus des Projekts liegt deshalb auf diesem prozesshaften Geschehen der Raumproduktion – Raum ist immer Raumgeschehen. Die Fragestellungen teilen sich in drei sich überlagernde Bereiche: a - Feldforschung Welche Formen der Nutzung, Ablehnung, Aneignung und Inbesitznahme vorgegebener Strukturen gibt es? Mit welchen Strategien, Interventionen und Inszenierungen interagieren und kommunizieren die Raumnutzenden? b - Theorie Hat die Dichotomie von privat und öffentlich heute noch Aktualität? Wie kann der urbane Raum als dynamisches Geschehen analysiert, verstanden und beschrieben werden? Wie sehen Konzepte und Vorstellungen öffentlicher Räume in Ostasien aus und welche Erkenntnisse können daraus für das eigene Verständnis gewonnen werden? c – Qualität Welche Kriterien können zur Beurteilung der Qualität öffentlicher Räume benannt werden? Wie können in Zukunft gute öffentliche Räume gestaltet werden? Ziele Ziel der Forschung ist es, aufgrund der Analyse der Nutzungen und Interaktionen Kriterien für die Qualität des öffentlichen Raums zu entwickeln und diese sowohl Stadtplanern und Architekten, wie auch einer breiten Öffentlichkeit in Form von Publikationen zugänglich zu machen. Die Ergebnisse sollen des Weiteren in den Entwurf und die Planung integriert werden. Innerhalb der Stadtforschung und der Raumwissenschaft sind neue Erkenntnisse darüber zu erwarten, wie öffentlicher Raum von Seiten der Raumnutzenden her produziert wird. Stadt- und raumtheoretische Fragestellungen sollen dadurch vertieft und konkretisiert werden. Projektverantwortlicher: Professor Günther Vogt Projektleitung: Jürgen Krusche Mitarbeit: Cyril Kennel, Monika Litscher Kooperationspartner Dr. Frank Roost, Universität Dortmund, Fachbereich Entwicklung und Raumplanung Dr. Matthias Messmer / Hsin-Mei Chuang, China Frontiers, Shanghai Dauer: 2008 – 2011 Publikation: Taking to the streets I: Tokyo. Lived Space (Frühjahr 2010) Taking to the streets II: Image-based Research (Frühjahr 2011) beide Publikationen erscheinen bei Lars Müller Publishers