Physik I-II für Informatiker Abteilung IIIc ETH/Zürich (WS 2000/01 – SS2001) Prof. Dr. André Rubbia Übungschef: Dr. Andreas Badertscher Kapitel 0 Kapitel 1 Kapitel 2 Physik Vorwort 11 Was ist Physik? 11 Die experimentelle Methode 12 Kinematik 15 Bewegung in einer Dimension 16 Massenpunkte oder Teilchen 16 Beschreibung der Bewegung 17 Bewegung in einer Dimension 21 Der Begriff der Geschwindigkeit 23 Momentane Geschwindigkeit 26 Der Begriff der Beschleunigung 29 Integration 32 Einige spezielle Bewegungsvorgänge 33 Beschleunigung durch die Gravitation 37 Bewegung in zwei oder drei Dimensionen 40 Der Ortsvektor 42 Der Geschwindigkeitsvektor 45 Der Beschleunigungsvektor 47 Zerlegung der Bewegung – Komponenten 49 Demonstrationsexperiment: Wurf im bewegten System 51 Demonstrationsexperiment: Schuss auf fallende Platte 54 Gleichförmige Kreisbewegung 57 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik 63 Masse 64 Die Definition der Masse 64 Träge und schwere Masse 67 Die Definition des Impulses 69 Der Impuls 69 Das allgemeine Gesetz 72 Die Impulserhaltung 72 1 2 Kapitel 3 Physik Das erste Newtonsche Gesetz: Trägheit 74 Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip 76 Die Definition der Kraft 76 Das zweite Newtonsche Gesetz 78 Das Newtonsche Gravitationsgesetz 79 Gravitationskraft eines homogenen Rings 82 Gravitationskraft einer homogenen Kugelschale 85 Gravitationskraft einer homogenen Vollkugel 88 Die Erdbeschleunigung 89 Satellitenbewegung 93 Rückstoss der Rakete 99 Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kräfte 103 Die Federkraft 104 Fadenkräfte 107 Die Atwoodsche Maschine 109 Reibungskräfte 113 Energie 117 Definition der Energie 118 Die relativistichen Grössen 120 Die Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit 120 Die relativistische Masse 122 Der relativistische Impuls 125 Langsam bewegte Teilchen 130 Die Masse-Energie Äquivalenz 126 Die kinetische Energie 128 Potentielle Energie der Gravitation 132 Die Arbeit 135 Bewegung in einer Dimension 135 Bewegung in mehreren Dimensionen 137 Das Arbeit-Energie Theorem 139 Allgemeine potentielle Energie 141 Konservative und nicht-konservative Kräfte 141 Mechanische Energie 143 Kapitel 4 Kapitel 5 Physik Beziehung zwischen Kraft und potentieller Energie 145 Allgemeine potentielle Energie der Gravitationskraft 147 Schwingungen und Resonanz 151 Harmonische Schwingungen 151 Sinus- und Kosinusförmige Bewegung 151 Horizontale Bewegung mit Federkraft (Federpendel) 155 Vertikale Bewegung mit Federkraft und aufgehängter Masse 157 Differentialgleichung der harmonischen Bewegung 158 Das Fadenpendel 161 Versuchsexperiment: Vergleich des Feder- und Fadenpendels 164 Energieerhaltung bei harmonischen Schwingungen 165 Gedämpfte harmonische Schwingungen 167 Erzwungene Schwingungen und Resonanz 171 Mechanische Wellen 179 Was sind Wellen? 179 Seil- oder Saitenwellen 179 Ausbreitungsgeschwindigkeit transversaler elastischer Seilwellen 181 Allgemeine Lösung der Wellengleichung 184 Ausbreitungsgeschwindigkeit von Seilwellen 186 Prinzip der Superposition 188 Harmonische Wellen 190 Superposition harmonischer Wellen 191 Stehende Wellen 194 Eigenschwingungen eines Seils 194 Wellenfunktionen stehender Wellen 197 Wellen im Festkörper 198 3 4 Kapitel 6 Physik Relativität 203 Relativbewegung 203 Transformation von einem Bezugssystem ins andere 204 Inertialsysteme 207 Scheinkräfte 209 Rotierendes Bezugssystem 210 Die Zentrifugalkraft 211 Die Corioliskraft 213 Die Erde als ein Nicht-Inertialbezugssystem 216 Die Galileische Transformation 223 Komponentendarstellung 225 Das Ereignis 226 Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle 230 Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit 234 Das Michelson-Morley Experiment 237 Das Postulat der konstanten Lichtgeschwindigkeit 241 Die Lorentz-Transformation 242 Die spezielle Relativitätstheorie 246 Prinzip der Relativität 246 Die Einsteinschen Postulate 249 Invarianz des Raumzeit-Intervalls 250 Eigenzeit und Zeitdilatation 252 Der ganze Weltraum gehört uns 258 Längenkontraktion 259 Die Geschwindigkeitstransformation 260 Gleichzeitigkeit 262 Der relativistiche Energie-Impuls Vektor 268 Die Rot- und Blauverschiebung des Lichts 273 Eine Übersicht der allgemeinen Relativitätstheorie 279 Das Gravitationsfeld 280 Das Äquivalenzprinzip 282 Die Gravitationsrotverschiebung 283 Die Ablenkung von Licht 286 Schwarze Löcher 290 Kapitel 7 Kapitel 8 Physik Teilchen, Atome und Moleküle 295 Teilchensysteme 295 Der Schwerpunkt 295 Kontinuierliche Massenverteilung 298 Innere und äussere Kräfte 301 Dynamik des Schwerpunkts 303 Das ballistische Pendel 309 Das Schwerpunktssystem 311 Kinetische Energie des Teilchensystems 314 Gesamtenergie eines Teilchensystems 315 Stossvorgänge 316 Stossvorgänge im Labor- und SP-Bezugssystem 319 Elastischer Stoss in zwei Dimensionen 321 Relativistischer Stoss 324 Atome 327 Die Bausteine der Materie 327 Die Elektrische Ladung 328 Das Coulombsche Gesetz 330 Das Atom und die Elemente 335 Das klassische Atom-Modell 337 Der Kern der Atome 341 Die Isotope 346 Moleküle 349 Die Avogadro-Zahl 357 363 Die Phasen der Materie 358 Mikroskopische Beschreibung der Materie 360 Temperatur und Gase Die Brownsche Molekularbewegung 363 Thermische Ausdehnung 367 Die Temperatur und das Gasthermometer 371 Das Gasthermometer 372 Die absolute Temperatur und die Kelvin-Skala 376 Gase 378 Die Zustandgleichung für ideale Gase 378 Mikroskopische Beschreibung des Gases 381 5 6 Kapitel 9 Kapitel 10 Physik Wärmekapazität 386 Wärmekapazität und Wärmeenergie 388 Wärmekapazität eines (einatomigen, idealen) Gases 390 Wärmekapazität eines Festkörpers 391 Latente Wärme 394 Klassischer Gleichverteilungssatz 395 Wärmekapazitäten und die klassische Mechanik 401 Wärmekapazitäten von Gasen 401 Anomale Wärmekapazitäten von Festkörpern 403 Schlussbemerkung 404 Thermodynamik 407 Hauptsätze der Thermodynamik 407 Mechanische Arbeit eines expandierenden Gases 410 Die Wärmekapazitäten CV und Cp 411 Thermische Prozesse des idealen Gases 414 Isobare Zustandsänderung 414 Isotherme Ausdehnung und Umwandlung von Wärme in mechanische Arbeit 416 Adiabatische Ausdehnung 419 Wärmemaschine 425 Die Entropie 429 443 Der Carnotsche Kreisprozess 430 Wärmemaschine mit maximalem Wirkungsgrad 436 Die Definition der Entropie 438 Eigenschaften der Entropie 440 Drehbewegung Der Drehimpuls 443 Definition des Drehimpulses 443 Erhaltung des Drehimpulses 446 Die Bewegung starrer Körper 450 Kapitel 11 Physik Die Winkelgeschwindigkeit 451 Gesamte Energie eines starren Körpers 453 Berechnung des Trägheitsmoments 457 Rollende Körper 460 Drehimpuls eines starren Körpers 463 Hauptachsen eines Körpers 465 Dynamik der starren Körper 466 Erhaltung des gesamten Drehimpulses 469 Elektromagnetismus 471 Elektrische und magnetische Felder 471 Das elektrische Feld 471 Das elektrische Feld und die Relativität 474 Die Lorentz-Kraft 480 Feldlininen 483 Elektrische Feldlinien 483 Magnetische Feldlinien 486 Elektrischer Strom 487 Berechnung der elektrischen und magnetischen Felder 492 Berechnung des E-Feldes 494 Berechnung des B-Feldes 497 Bewegte Ladungen in elektrischen und magnetischen Feldern 501 Elektrische potentielle Energie und elektrisches Potential 501 Das Elektronvolt 503 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld 504 Bewegung einer Punktladung in einem magnetischen Feld 504 Der Fluss und die Divergenz 509 Die Definition des Flusses 509 Der elektrische und magnetische Fluss 511 Die Divergenz des Feldes 516 Gesetz für das elektrische Feld 521 Das Gauss’sche Gesetz 520 7 8 Kapitel 12 Physik Berechnung des elektrischen Feldes mit Hilfe des Gauss’schen Gesetzes 523 Gesetz für das magnetische Feld 525 Stromdichte und Ladungserhaltung 528 Das Linienintegral eines Feldes 532 Linienintegral über eine Kurve 532 Theorem von Stokes 533 Rotation des Feldes und konservative Felder 536 Das Ampèresche Gesetz 538 Maxwellsche Gleichungen 543 Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) 545 Die induzierte Spannung 545 Das Ohmsche Gesetz 551 Der induzierte Strom 553 Induktion durch Bewegung 556 Elektromagnetische Wellen 559 Felder eines bewegten geladenen Drahtes 559 Die elektromagnetischen Wellen 568 Die Wellengleichung und die Ausbreitungsgeschwindigkeit 568 Harmonische ebene Wellen 573 Ebene Wellen 570 Das elektromagnetische Spektrum 575 Die Polarisation 577 Energie und Impuls der elektromagnetischen Wellen 580 Der Poynting-Vektor 580 Elektromagnetischer Druck 582 Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen 584 Das Prinzip von Huygens 585 Interferenz der elektromagnetischen Wellen 588 Beugung am Doppelspalt 590 Beugung am Einzelspalt 593 Kapitel 13 Physik Quantenmechanik 601 Einleitung 601 Die Quantisierung des Lichts 603 Die Wellennatur der Teilchen 606 Die Hypothese von de Broglie 606 Ein Elektron in einem Kasten 608 Die Schrödinger-Gleichung 614 Die stationären Zustände 617 Die Interpretation der Wellenfunktion 619 Überlagerung von Zuständen 622 Elektron durch Doppelspalt 624 Die Unschärferelation 629 Röntgen- und Elektronenbeugung 637 Röntgenbeugung 637 Elektronenbeugung 642 Mehr Quantisierung 644 Elektronen in Atomen 645 Rotation und Vibration von Molekülen 651 Das EPR-Paradoxon 653 Eine weitere Unschärferelation 658 9 10 Physik Kapitel 0 Vorwort 0.1 Was ist Physik? Das Wort kommt von einem griechischen Ausdruck für Natur. Die Physik sollte eine Wissenschaft sein, die alle natürlichen Phänomene untersucht. Heute können wir sagen: Die Physik stellt sich die Aufgabe, die Bestandteile der Materie und ihre Wechselwirkungen miteinander zu untersuchen. Die Eigenschaften der Materie und andere natürliche Phänomene werden mittels dieser Wechselwirkungen erklärt. 11 Die Materie besteht aus elementaren Teilchen und wir sind an den Wechselwirkungen zwischen diesen Teilchen interessiert. Diese Wechselwirkungen schaffen die Strukturen der Materie, die wir kennen. Physik 12 Vorwort 0.2 Die experimentelle Methode Die Physik stützt sich auf Beobachtungen und Versuche. Wir verstehen als Versuch ein Experiment, bei dem man ein Phänomen beobachtet, das unter vorher festgelegten und kontrollierten Bedingungen abläuft. Der Physiker/in findet Modelle und Regeln, um diese Beobachtungen zu beschreiben. Diese Regeln sind in der mathematischen Sprache ausgedrückt, weil man versucht, diese in quantitativer Art auszudrücken. Wie wird man ein Phänomen beobachten? Die Beobachtungen müssen zu einer quantitativen Information führen. Man spricht von Messungen. Eine Messung ist eine Technik, mit deren Hilfe wir einer physikalischen Grösse eine Zahl zuordnen kann. Diese Zahl ist das Ergebnis eines Vergleichs mit einer ähnlichen, standardisierten Grösse (die Einheit). Für jede Grösse, die wir messen wollen, müssen wir zuerst eine Einheit wählen. Gewöhnlich benutzt man das Internationale Einheitensystem (SI-System). Dieses System (auch das MKSA-System genannt) hat die folgenden vier fundamentalen, unabhängigen Grössen: Länge: Sekunde (s) Meter (m) Fundamentale Einheit Zeit: Kilogramm (kg) Ampère (A) Masse: Elektrischer Strom: Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die experimentelle Methode Alle anderen Grössen werden durch mathematische Beziehungen dieser vier Grössen ausgedrückt. Die Definitionen der Basisgrössen des MKSA-Systems und von drei zusätztlichen Grössen, die das ganze SI-System darstellen, sind in Tabelle 1 aufgelistet. Meter (m) MKSA Einheit Definition Einheitensystem (SI-System) : Basisgr ssen Grösse Der Meter ist die Länge des Weges, den das Licht in Vakuum im 1/299 792 458 ten Teil einer Sekunde zurücklegt. TABLE 1. Internationales Länge Sekunde (s) Zeit 13 Die Sekunde ist die Zeitdauer von 9 192 631 770 Schwingungsperioden einer Strahlung, die dem Übergang zwischen den zwei Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandsniveaus eines 133Cs Atoms entspricht. Physik 14 Vorwort Kilogramm (kg) MKSA Einheit Definition Einheitensystem (SI-System) : Basisgr ssen Grösse Das Kilogramm ist die Masse eines internationalen Prototyps des Kilogramms. Es ist ein Platin-IridiumZylinder, der im Bureau International des Poids et Mesures in Sèvres bei Paris aufbewahrt ist. TABLE 1. Internationales Masse Ampère (A) Elektrischer Strom Durch zwei unendlich lange, gerade Leiter mit vernachlässigbarem Querschnitt fliesst ein konstanter Strom von einem Ampère, wenn in einem Abstand von einem Meter im Vakuum eine Kraft von 2.10–7 Newton pro Längenmeter auf die Leiter wirkt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 1 Kinematik Wir beginnen die Vorlesung mit der klassischen Mechanik. Eine genaue Beschreibung von diesen Bewegungsvorgängen ist wichtig für ein Verständnis der physikalischen Welt. Viele Wissenschaftler haben zum Fortschritt der klassichen Mechanik beigetragen, wie zum Beispeil, Archimedes (-287– -212), Galileo Galilei (1564-1642), Copernicus (1473-1543), Tycho Brahé (15461601) und J. Kepler (1571-1630). Der besser bekannte Schöpfer der klassischen Mechanik ist natürlich Sir Isaac Newton (1642-1727). Seine drei Newtonschen Gesetze sowie sein Gravitionsgesetz bilden die Basis der gesamten Mechanik. 15 Im Rahmen der Kinematik wird die Bewegung eines Teilchens rein geometrisch charakterisiert. Die physikalischen Gesetze, die die Bewegung regeln, werden wir nachher im Rahmen der Dynamik studieren. Physik 16 Kinematik 1.1 Bewegung in einer Dimension In diesem Kapitel werden wir uns mit der Beschreibung von Bewegung beschäftigen (der sogenannten Kinematik). Die Bewegungsvorgänge finden in “etwas”, das wir Raum und Zeit nennen, statt. Ein Körper ist relativ zu einem anderen in Bewegung, wenn sich seine Lage, gemessen relativ zum zweiten Körper, mit der Zeit verändert. Andererseits sagt man, dass ein Gegenstand sich relativ in Ruhe befindet, wenn sich seine relative Lage mit der Zeit nicht verändert. Sowohl Ruhe wie Bewegung sind relative Begriffe. Zum Beispiel sind ein Haus und ein Baum relativ zur Erde in Ruhe, aber sie sind relativ zur Sonne in Bewegung. Wenn ein Zug durch eine Station fährt, sagen wir, dass sich der Zug relativ zur Station in Bewegung befindet. Ein Passagier des Zuges könnte aber genausogut sagen, dass sich die Station relativ zum Zug in Bewegung befindet, und zwar in entgegengesetzter Richtung. 1.1.1 Massenpunkte oder Teilchen Um unsere Betrachtung von Bewegung zu vereinfachen, beginnen wir zunächst mit Gegenständen, deren Position im Raum durch die Angabe der Koordinaten eines Punktes beschrieben werden kann. Einen solchen Gegenstand nennen wir ein Teilchen. Man spricht auch von Massenpunkt und meint damit einen idealisierten Körper, dessen Masse in einem Punkt konzentriert ist. Wir studieren die Bewegung makroskopischer Körper, die als solche Massenpunkte betrachtet werden können. In diesem Fall verstehen Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension wir als Massenpunkt einen Körper, dessen räumliche Ausdehnung als vernachlässigbar betrachtet werden soll. Für manche Zwecke ist es z.B. sinnvoll, die Erde als Teilchen zu betrachten: in diesem Fall bewegt sich das Teilchen “Erde” auf einer fast kreisförmigen Bahn um die Sonne. Der Begriff des Massenpunktes ist natürlich eine Idealisierung, und ob eine Masse als Massenpunkt betrachtet werden kann, hängt vom Problem ab. 1.1.2 Beschreibung der Bewegung Ein frei bewegliches Teilchen hat im Raum drei Freiheitsgrade. Das heisst, das Teilchen kann sich in drei unabhängige Richtungen bewegen: oben, unten, rechts, links, vorwärts und zurück. Ein Teilchen kann sich von einem Ort zu einem anderen Ort bewegen. Ein Teilchen ist in Bewegung, wenn sich seine Lage mit der Zeit verändert. Mit einer stroboskopischen Lampe, können wir die Position des Teilchens zu verschiedenen Zeiten sehen. Das Zeitintervall zwischen zwei Blitzen der stroboskopischen Lampe wird ∆t genannt. 17 Mit der stroboskopischen Methode können wir eine Liste von Ortslagen zu verschieden Zeiten schaffen. Diese Liste wird die Bewegung beschreiben. Physik 18 Kinematik FIGURE 1. Stroboskopisches Bild der Bewegung eines Balls. In diesem Bild ist das Zeitintervall ∆t zwischen den Blitzen lang, so dass es schwierig ist, die Bewegung zu verstehen. FIGURE 2. gleich wir in Figur 1, aber mit kleinem ∆t, und es ist leichter, die Bewegung zu verstehen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension Wie man in der Abb. 1 sehen kann, wird die Bewegung mit schlechter Genauigkeit beschrieben, wenn das Zeitintervall ∆t zwischen den Blitzen der Lampe gross ist. Wenn das Zeitintervall kleiner gemacht wird, ist die Bewegung besser beschrieben, wie in Abb. 2 dargestellt ist. Wenn das Zeitinterall ∆t gegen null geht, wird man eine kontinuierliche (funktionale) Beziehung zwischen der Lage und der Zeit gewinnen. 19 Die Verbesserung der Beschreibung mit kleiner werdenden Zeitintervallen ist in Abb. 3 dargestellt. Physik 20 Kinematik (a) (c) (e) s1 s1 s2 (b) (d) (f) s1 s1 s1 FIGURE 3. Die Bewegung wird besser charakterisiert, je kleiner das Zeitintervall ∆t ist. a) ∆t=1/15 s, b) ∆t=10/15 s, c) ∆t=6/15 s, d) ∆t=3/15 s, e) ∆t=2/15 s, f) ∆t=1/15 s. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension 1.1.3 Bewegung in einer Dimension Am Anfang beschränken wir uns auf die Bewegung in einer Dimension. Dass heisst, dass die Bewegung des Körpers geradlinig ist, seine Bahn ist eine gerade Linie. ein Auto, das auf einer ebenen, geraden und schmalen Strasse fährt ein Flugzeug ein Zug Einfache Beispiele: 1. 2. 3. Bei der Bewegung entlang einer geraden Linien gibt es nur zwei mögliche Richtungen: die positive und die negative. Siehe Abb. 4. Man führt auf dieser Geraden zunächst ein Koordinatensystem ein, in dem man einen Ursprung O und eine positive Richtung wählt. Die übliche Konvention mit positiven x-Werten nach der rechten Seite des Urspunges wird verwendet. –15 –10 0 5 10 x2 Verschiebung ∆x x1 –5 15 20 x (m) Positive Richtung 21 Jedem Punkt auf der Geraden entspricht eine Zahl x, die den Abstand des Punktes vom Ursprung angibt. –20 Ursprung Bewegung in einer Dimension. Definition der Verschiebung. Negative Richtung FIGURE 4. Physik 22 Kinematik x = f (t) 20 ∆t ss zu Fu 15 25 30 35 ∆X 40 45 50 Zeit (m) (EQ 1) Wenn das Teilchen sich bewegt, wird sich seine Lage mit der Zeit verändern. Dann kann der Ort x des Teilchens mit der Zeit durch eine funktionale Beziehung in Zusammenhang gebracht werden: 10 Ein Beispiel einer solchen Beziehung ist in Abb. 5 dargestellt. 8 7 6 5 4 3 2 1 0 5 uto Beispiel mit einem Wagen, der kein Benzin mehr hat. 0 mit A Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia FIGURE 5. Ort (km) Bewegung in einer Dimension 1.1.4 Der Begriff der Geschwindigkeit Der Begriff der Geschwindigkeit ist uns aus dem Alltag vertraut. Wir können ihn von einer Analyse der stroboskopischen Bilder verstehen. Die stroboskopischen Bilder stellen nicht nur die Bewegung dar, sondern, weil das Zeitintervall zwischen den Blitzen der Lampe konstant ist, auch die Geschwindigkeit, mit der das Teilchen sich bewegt. Siehe Abb. 6 und 7. ∆x ∆t Wir definieren die mittlere Geschwindigkeit (oder Durchschnittsgeschwindigkeit) als vm = wobei ∆x die Verschiebung des Teilchens darstellt und ∆t die verstrichene Zeit. Siehe Abb. 8. Die MKS-Einheit der Geschwindigkeit ist Meter pro Sekunde (m/s). x2 − x1 t2 − t1 Wenn wir annehmen, dass sich der Gegenstand zum Zeitpunkt t1 bei der Position x1 und zum späteren Zeitpunkt t2 bei x2 befindet, so ist die Durchschnittsgeschwindigkeit: vm = 23 Die Verschiebung kann sowohl positive als auch negative Werte annehmen. Die mittlere Gewschindigkeit kann auch positive oder negative Werte annehmen, je nachdem, ob x2 grösser oder kleiner als x1 ist. Ein positiver Wert entspricht einer Bewegung nach rechts, ein negativer Wert einer Bewegung nach links. Physik 24 t6 Kinematik t5 ∆t t4 ∆t t3 ∆t t2 ∆t t1 ∆t Zeit: x6 10 x5 5 x4 0 x3 –5 x2 –10 x1 –15 Ort: –20 ∆t 5 15 20 x (m) t5 t6 ∆t t4 x6 20 x (m) x5 15 x4 10 ∆t Bewegung eines Wagens mit konstanter Geschwindigkeit. t3 FIGURE 6. t2 ∆t t1 ∆t Zeit: x2 0 x1 –5 Ort: –10 Bewegung eines Wagens mit sich verändernder Geschwindigkeit. –15 x3 –20 FIGURE 7. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia ∆t ∆t v2= ∆t ∆t x3–x2 v3= ∆t ∆t x4–x3 0 x3 5 v4= x4 ∆t ∆t x5–x4 10 Definition der mittleren Geschwindigkeit –10 –5 x1 x2 x2–x1 –15 v1= Bewegung in einer Dimension –20 FIGURE 8. 20 x (m) x6 ∆t x6–x5 ∆t v5= 15 x5 Wir betrachten nun noch einmal das Beispiel des Wagens (siehe Abb. 5): der Wagen fährt von x1=0 bis zur Lage x2=5km, wo er kein Benzin mehr hat. Die Fahrt hat 8 Minuten lang gedauert. Nachdem spaziert der Fahrer zu Fuss weiter, 27 Minuten lang, bis er eine Tankstelle erreicht, die sich am Ort x3=6km befindet. x1 = 0 km x 2 = 5 km x 3 = 6 km Wir berechnen die folgenden mittleren Geschwindigkeiten mit t1 = 0 Minuten; t2 = 8 Minuten; t3 = 35 Minuten; 25 ∆x x2 − x1 5 − 0 km = = = 0, 625km / Min = 37, 5km / Stunde ∆t t2 − t1 8 − 0 Min Wagen: vm = Physik 26 Kinematik 6 − 5 km ∆x x − x2 = 3 = = 0, 037km / Min = 2, 22 km / Stunde 35 − 8 Min ∆t t3 − t2 Fahrer: vm = Gesamte Strecke 6 − 0 km ∆x x − x1 vm = = 3 = = 0,171km / Min = 10, 3km / Stunde ∆t t3 − t1 35 − 0 Min 1.1.5 Momentane Geschwindigkeit In Abb. 5 ist die Bewegung eines Wagens entlang der x-Achse gegen t aufgetragen. Eine solche Kurve nennen wir eine “Weg-Zeit” oder x-tKurve. Die Verschiebung ∆x und das Zeitintervall ∆t zwischen dem ersten und letzten Punkt sind in der Abbildung eingetragen. Die Strecke zwischen diesen Punkten ist die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks mit den Katheten ∆x und ∆t. Das Verthältnis ∆x/∆t ist demnach die Steigung dieser Strecke. Dieses Verhältnis entspricht aber genau der mittleren Geschwindigkeit im Zeitintervall ∆t und wir haben eine geometrische Bedeutung der Geschwindigkeit gewonnen. Die mittlere Geschwindigkeit entspricht der Steigung der Geraden, die die Punkte (x1,t1) und (xi,ti) (i=2,3,4,...) verbindet. Bewegung in einer Dimension 0 1 x1,t1 2 3 5 x3,t3 6 Tangente ∆t x2,t2 x-t-Kurve 4 7 ∆x x4,t4 8 t 9 Sprache der Mathematik bedeudet das, dass wir den Grenzwert des Quotienten berechnen. 140 120 100 80 60 40 20 0 ∆t → 0 ∆x ∆t FIGURE 9. Mittlere Geschwindigkeit und Momentangeschwindigkeit als die Steigung der Tangente an die x-t-Kurve. Das wird in der Form ∆t → 0 geschrieben. Dieser Grenzwert ist aber gleich der Ableitung von x nach der Zeit, d. h., v = lim v m = lim Um die momentane Geschwindigkeit in einem Punkt zu bestimmen, müssen wir das Zeitintervall ∆t so klein wie möglich machen. In der Physik 27 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Siehe Abb. 9. x 28 Kinematik v ( t) = dx = x«( t) dt In der eindimensionalen Bewegung kann das Teilchen sich nur nach rechts oder links bewegen. Das Vorzeichen der Geschwindigkeit wird dann positiv oder negativ sein. Bemerkung: Die physikalische Bedeutung der Geschwindigkeit, die als ein Grenzwert definiert ist, wird heute im Bereich der Physik nicht mehr als ein grundsätzliches Konzept der Mechanik betrachtet. Wir werden später sehen, dass ein solcher Grenzwert im Bereich der Quantenphysik nicht mehr benutzt werden kann. Die Definition der momentanen Geschwindigkeit soll “nur” als ein Begriff verstanden werden, der sehr nützlich ist für die Beschreibung der Bewegung von makroskopischen Körpern. Diese Definition soll nur benutzt werden in Fällen, in denen der Effekt der sogenannten Unschärferelation von Heisenberg nicht bemerkt werden kann. Diese wird im Kapitel der Quantenphysik genauer studiert. Beispiel 1: Ein Teilchen bewegt sich auf solche Weise entlang der x-Achse, dass seine Position zu jedem Zeitpunkt durch 2 x ( t ) = 5t + 1 gegeben ist, wobei x in Metern und t in Sekunden angegeben ist. Berechnen Sie seine mittlere Geschwindigkeit im Zeitintervall zwischen (a) 2s und 3s, (b) 2s und 2,1 s (c) 2s und 2,001 s, (d) 2s und 2,00001 s. (e) Berechnen Sie auch die momentane Geschwindigkeit bei 2 s. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension 1.1.6 Der Begriff der Beschleunigung ∆v ∆t Wenn sich die momentane Geschwindigkeit eines Teilchens mit der Zeit verändert, dann sagen wir, das Teilchen werde beschleunigt. Die mittlere Beschleunigung in einem bestimmten Zeitintervall ∆t ist als das Verhältnis ∆v/∆t definiert am = wobei ∆v = v 2 – v 1 die Änderung der momentanen Geschwindigkeit in dem Zeitintervall ∆t=t2–t1 ist. In MKS-System wird die Beschleunigung als Meter pro Sekunde im Quadrat ausgedrückt ( m ⁄ s 2 ) . Beispiel 2: Ein Körper bewegt sich entlang der x-Achse gemäss dem Bewegungsgesetz x ( t ) = 2t 3 + 5t 2 + 5 wobei x in Metern und t in Sekunden gegeben sei. Bestimmen Sie (a) die Geschwindigkeit und die Beschleunigung zu jedem beliebigen Zeitpunkt, (b) die Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung zu t=2s und 3s und (c) die mittlere Geschwindigkeit und Beschleunigung zwischen t=2s und t=3s. ∆v dv = ∆t dt Wie bei der Geschwindigkeit definieren wir nun die momentane Beschleunigung als Grenzwert der mittleren Beschleunigung für immer kleiner werdende Zeitintervalle: ∆t → 0 a( t) = lim 29 Die Beschleunigung ist damit als die zeitliche Ableitung der Geschwindigkeit definiert. Physik 30 Kinematik dv d dx d 2 x = ≡ dt dt dt dt 2 Da die Geschwindigkeit selbst als Ableitung des Ortes x nach der Zeit definiert ist, ist die Beschleunigung die zweite Ableitung von x nach t, geschrieben als a( t) = Diese Beziehungen zwischen Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung können wir in Abb. 10 sehen, wo die Bewegung eines Liftes dargestellt ist. In Abb. 10a) ist die x(t)-Kurve des Liftes gezeigt, wenn er sich nach oben entlang einer x-Achse bewegt. 20 10 0 4 3 2 1 0 2 0 -2 -4 0 0 2 2 2 4 4 4 6 6 6 8 8 8 Beispeil der Bewegung eines Liftes 0 Bewegung in einer Dimension Physik FIGURE 10. 2 In b) die Geschwindigkeit v(t) des Liftes. Sie ist die zeitliche Ableitung der x(t)-Kurve. In c) die Beschleunigung. Sie ist die zeitliche Ableitung der v(t)Kurve. Sie ist positiv wenn die Geschwindigkeit zunimmt, und negativ wenn die Geschwindigkeit abnimmt. Man bemerkt, dass die Änderung der Geschwindigkeit in den Zeitintervallen ∆t1 (von t=1 bis t=3s) und ∆t2 (von t=8 bis t=9s) gleich sind, aber mit entegengesetztem Vorzeichen. Weil ∆t2 halb so gross ist wie ∆t1, ist die Beschleunigung während ∆t2 doppelt so gross, wie während ∆t1, Dieser Effekt in einem Lift ist uns vertraut, weil unser Körper diese Beschleunigungen spürt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Lage x (m) Geschwindigkeit (m/s) Beschleunigung (m/s ) 10 Zeit t (s) 10 Zeit t (s) 10 Zeit t (s) 31 32 Kinematik 1.1.7 Integration Wir haben gesehen, wie man die Geschwindigkeitsfunktion v(t) und die Beschleunigungsfunktion a(t) durch Ableitung der Ortsfunktion x(t) nach der Zeit t gewinnen kann. Das umgekehrte Problem ist, die Funktion x(t) zu finden, wenn die Geschwindigkeit v(t) oder die Beschleunigung a(t) gegeben ist. Dazu müssen wir Integration anwenden. dx dt ⇒ dx = v(t )dt Wenn wir wissen, wie sich die Geschwindigkeit mit der Zeit ändert, d.h. wenn wir v=f(t) kennen, dann können wir die Position x zu jedem Zeitpunkt durch Integration erhalten. Es folgt v(t ) = Um die physikalische Bedeutung dieser Gleichung zu verstehen, muss man sehen, dass vdt die Verschiebung des Teilchens innerhalb des kleinen Zeitintervalls dt darstellt. (EQ 2) Jetzt werden wir sehen, dass die Positionsfunktion x(t) die Stammfunktion von v(t) ist. t Durch Integration von dx=vdt erhalten wir x t0 ∫ dx = ∫ v ( t’) dt’ x0 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension t ⇒ t0 x ( t) = ∫ v ( t′ ) dt′ + x 0 t wobei x0 der Wert von x zum Zeitpunkt t0 ist. Das heisst, t0 x − x 0 = ∫ v ( t′ ) dt′ Wir wissen aus der Mathematik, dass der Stammfunktion eine beliebige Integrationskonstante hinzugefügt werden muss, um die allgemeine Lösung zu erhalten. Diese Konstante ist durch die Position des Körpers zu einem bestimmten Anfangszeitpunkt gegeben, der gewöhnlich bei t=0 gewählt wird. Diese Konstante wird deshalb die Anfangsbedingung genannt. Da wir zweimal integrieren müssen um x(t) aus a(t) zu erhalten, treten nun zwei Konstanten x0 und v0 auf. Diese Konstanten sind durch die Anfangsbedingungen der Geschwindigkeit und der Position des Teilchens gegeben. 1.1.8 Einige spezielle Bewegungsvorgänge Wir werden nun zwei wichtige Bewegungen betrachten. Die Bewegungsgleichungen, die wir hier ableiten werden, werden immer wieder benötigt werden. v(t ) = Konst. ⇒ dv =0 dt ⇒ a( t ) = 0 33 a) Gleichförmige geradlinige Bewegung. Wenn sich ein Körper in gleichförmiger, geradliniger Bewegung befindet, ist seine Geschwindigkeit v konstant. Daher ist Physik 34 Kinematik Bewegung in einer Dimension Physik Siehe Abb. 11. x (t ) = 1 2 a0 t 2 t v(t ) = a0 t a(t ) = a0 Wenn wir x0=0, v0=0 und t0=0 setzen, finden wir 1 = x 0 + v 0 ( t − t0 ) + a0 ( t − t0 ) 2 2 t0 = x 0 + ∫ (v 0 + a0 ( t′ − t0 )) dt′ t t0 x ( t) = x 0 + ∫ v ( t′ ) dt′ und wir erhalten t t = x 0 + v 0 ( t − t0 ) t0 = x 0 + v 0 ∫ dt′ t0 x ( t) = x 0 + ∫ v ( t′ ) dt′ das heisst, es gibt keine Beschleunigung! Es folgt für konstantes v, dass mit x0=x(t0). b) Gleichförmig beschleunigte geradlinige Bewegung. Die Bewegung eines Teilches mit konstanter Beschleunigung kommt in der Natur häufig vor. So fallen zum Beispiel alle Gegenstände aufgrund der Gravitation senkrecht nach unten. t = v 0 + a0 ( t − t0 ) t0 = v 0 + a0 ∫ dt′ t0 v ( t) = v 0 + ∫ a( t′ ) dt′ t Wenn sich ein Körper in gleichförmig beschleunigter geradliniger Bewegung befindet, ist seine Beschleunigung a(t)=a0 konstant. Es folgt daher mit v0=v(t0). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 35 36 Kinematik Lage x (m) Geschwindigkeit (m/s) 2 40 20 0 10 7.5 5 2.5 0 2 1.5 1 0.5 0 0 0 0 2 2 2 4 4 4 6 6 6 8 8 8 Bewegung mit konstanter Beschleunigung Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia FIGURE 11. Beschleunigung (m/s ) 10 Zeit t (s) 10 Zeit t (s) 10 Zeit t (s) Bewegung in einer Dimension 1.1.9 Beschleunigung durch die Gravitation In der Nähe der Erde spürt jeder Körper die sogenannte Erdbeschleunigung. Diese Beschleunigung wird durch eine Anziehung zwischen der Erde und dem Körper (Gravitationskraft) verursacht. Wenn der Luftwiderstand als vernachlässigbar betrachtet werden kann, beobachten wir, dass jeder Körper, unabhängig von seinem Gewicht, die selbe Erdbeschleunigung fühlt. Wir nennen diese Beschleunigung die Erdbeschleunigung g. Die Richtung dieser Beschleunigung ist nach unten zum Erdzentrum gerichtet. Der Betrag ist g ≈ 9, 8 m / s2 ⇒ t= 2h g Demonstrationsexperiment: Fallversuch. Die Fallzeit eines Gegenstandes, der aus verschiedenen Höhen fallen gelassen wird, wird gemessen. Aus diesen Messungen bemerken wir, dass die Fallzeit proportional zur Quadratwurzel der Höhe ist. 1 2 1 2 a t = gt 2 0 2 Gleichförmig beschleunigte Bewegung: h= 37 Tabelle 1 zeigt eine Liste von gerechneten Fallzeiten mit einer Erdbeschleunigung g=9.81m/s2. Physik 38 Kinematik 0.3 0.2 0.1 H he h (m) 0.2856 0.2474 0.2020 0.1428 Fallzeit (s) der Fallzeite. 0.4 0.3193 TABLE 1. Tabelle 0.5 0.3498 0.3778 0.6 0.7 0.4516 0.4039 0.4736 0.8 1.0 0.4947 0.4284 1.1 0.9 1.2 Wenn wir uns von der Erde entfernen, wird die Gravitationsbeschleunigung abnehmen. Zum Beispiel, in einer Höhe von ≈2500 km, ist die Erdbeschleunigung ungefähr halb so gross, wie auf der Erdoberfläche, oder g≈5m/s2. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 Physik 0.1428 0.202 0.2 0.2474 0.3498 0.3778 0.4039 0.8 Höhe (m) 0.6 0.3193 Fallversuch 0.2856 0.4 gMond ≈ 1, 67 m / s 2 0.4284 1 0.4516 0.4736 0.4947 1.2 1.4 39 Auf anderen Planeten ist die Beschleunigung verschieden. Zum Beispiel, auf dem Mond ist g nur ungefähr 1/6 der Erdbeschleunigung, d.h. FIGURE 12. Plot der Beziehung zwischen den Höhen und den Fallzeiten im Fallversuch. Eine Beschleunigung g=9.81m/s2 wurde verwendet. 0 Bewegung in einer Dimension (s) Fallzeit 40 Kinematik 1.2 Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Jetzt betrachten wir die Bewegung eines Körpers in mehreren Dimensionen. Wir werden dieselben Begriffe, die wir für die eindimensionale Bewegung eingeführt haben, aber in komplizierterer Form wieder verwenden: Verschiebung, Geschwindigkeit und Beschleunigung werden nun als Grössen aufgefasst, die Vektoren sind. Abb. 13 zeigt ein Teilchen (einen Ball), das sich entlang einer Kurve im Raum bewegt. Die Verschiebungsvektoren S i stellen die Bewegung des Balles im Raum dar. Der Verschiebungsvektor S 1 entspricht der Bewegung zwischen dem 1. und 2. Blitz einer stro- s1 2 s2 3 s3 4 s4 s5 s6 7 s7 s8 8 9 boskopischen Lampe, der Vektor S 2 zwischen dem 2. und 3. Blitz, usw. 1 5 6 Verschiebungsvektoren. Dieses Bild stellt die Bewegung des Balles im Raum dar. Der Verschiebungsvektor S 1 entspricht der Bewegung FIGURE 13. zwischen dem 1. und 2. Blitz einer stroboskopischen Lampe, S 2 zwischen dem 2. und 3. Blitz, usw. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Die Kurve repräsentiert den Weg, den das Teilchen im Raum durchläuft, d.h. die Trajektorie oder die Bahnkurve des Teilchens. Sie sollte nicht verwechselt werden mit den Weg-Zeit-Kurven auf den vorherigen Seiten. Mit Hilfe eines mehrdimensionalen Koordinatensystems, können die Puntke auf der Bahnkurve durch Zahlen (Koordinaten) dargestellt werden. Mit den Koordinaten kann man numerische Rechnungen durchführen, zum Beispiel mit einem Computer. Um dieses Ziel zu erreichen, benutzen wir die Eigenschaft der Komponenten-Zerlegung eines Vektors: Wenn wir Einheitsvektoren benutzen, können wir einen beliebigen Vektor durch seine Komponenten ausdrücken. Ein Einheitsvektor ist als ein dimensionsloser Vektor definiert, der den Betrag 1.0 besitzt und in eine festgelegte Richtung zeigt. Wir werden die Einheitsvektoren e x, e y, e z benutzen, die in x-, y-, z-Richtung zeigen (siehe Abb. 14). 41 Jeder Vektor A kann als Linearkombination dieser Einheitsvektoren geschrieben werden : r r r r A ≡ Ax ex + Ay ey + Azez Physik 42 Kinematik ez ey y ex x O Ayey Azez z Definition kartesischer Einheitsvektoren. Ursprung O z FIGURE 14. 1.2.1 Der Ortsvektor y A Axex x Wir werden ein Bezugsystem definieren, relativ zu welchem die Bewegung beschrieben wird. Der Ursprung ist als der Nullpunkt des Koordinatensystems definiert. Der Ortsvektor ist als die Verschiebung zwischen dem Ursprung und einem Punkt definiert. In einer zweidimensionalen Darstellung wird z.B. der Ortsvektor als r r r r ≡ xex + yey geschrieben. Siehe Abb. 15. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia y r Bewegung in zwei oder drei Dimensionen ey ex x FIGURE 15. Definition eines zweidimensionalen Bezugsystems und des Ortsvektors r(x,y). Abb. 16 zeigt, wie die Verschiebungsvektoren S i , die früher definiert wurden, mit Hilfe der Ortsvektoren r i dargestellt werden können. Wie im Fall der Bewegung in einer Dimension, wird die Bewegung umso besser beschrieben, je kleiner das Zeitintervall ∆t ist. Deshalb betrachten wir den Grenzfall, für den ∆t nach null geht. Wir haben gesehen, dass diese Methode zum Gebiet der Differentialrechnung gehört. 43 Die Lage des Teilchens werden wir als eine funktionale Beziehung zwischen den Ortsvektoren und der Zeit beschreiben. Diese Beziehung entspricht der Bahnkurve des Teilchens und wird als Physik 44 Kinematik geschrieben. y r1 1 s1 r r r r ( t) = x ( t)ex + y ( t)ey r2 2 s2 x r3 3 s3 r4 4 s4 r5 5 s5 r6 6 s6 Darstellung der Verschiebungsvektoren S i und der ex 7 r7 s7 s8 8 9 Die anderen Grössen, die Geschwindigkeit und die Beschleunigung, werden als erste und zweite zeitliche Ableitungen des Ortvektors definiert. ey Ursprung O FIGURE 16. Ortsvektoren ri . Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen 1.2.2 Der Geschwindigkeitsvektor r r r r S (r − r ) v i ≡ i = i +1 i ∆t ∆t Um einen Geschwindigkeitsvektor zu erhalten, nehmen wir einen Verschiebungsvektor und dividieren ihn durch das Zeitintervall ∆t, d.h. ey ri Vi = i S i = r i +1 – r i r i +1 –r i ) (r Si = i +1 t t Definition des Geschwindigkeitsvektors ex Siehe Abb. 17. Dieser Vektor zeigt in die Richtung der Bewegung und sein Betrag ist gleich der Geschwindigkeit. FIGURE 17. 45 In Abb. 18 sehen wir, dass der Betrag des Verschiebungsvektors nicht gleich dem tatsächlich durchlaufenen Weg ist, der entlang der Kurve gemessen wird. Der Betrag des Verschiebungsvektors ist kleiner als diese Distanz. Wenn wir jedoch immer kleiner werdende Zeitinter- Physik 46 Kinematik valle betrachten, dann nähert sich der Betrag der Verschiebung der tatsächlichen Strecke, die das Teilchen entlang der Kurve zurücklegt. Die Richtung des mittleren Geschwindigkeitsvektors nähert sich dabei der Richtung der Tangente an die Kurve. 0 S0 ∆t v0 S0 ∆t 1 b) S0 ∆t v ~i = 0 Sec Si ∆t momentane Geschwindigkeit ∆t v ~i ∆t = 0.1 Sec v0 = v0 0 S0 1 r r dr r« v (t ) = = r (t ) dt S0 d) Definition der momentanen Geschwindigkeit. ∆t = 0.025 Sec v0 = S0 01 ∆t = 0.4 Sec v0 = v0 Wir haben gesehen, dass die Berechnung der mittleren Geschwindigkeit wenn ∆t nach null geht, zu einer zeitlichen Ableitung führt. Die momentane Geschwindigkeit ist nun ein Vektor, der tangential zur Bahn ist, und der durch die zeitliche Ableitung des Ortsvektors gegeben ist: a) c) FIGURE 18. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen = Um die Ableitung zu bestimmen, müssen wir den Ortsvektor in seine Komponenten zerlegen: r r dr v ( t) = dt r ∆r = lim ∆t → 0 ∆t r r ∆xex + ∆yey = lim ∆t → 0 ∆t ∆x r ∆y r e = lim ex + ∆t → 0 ∆t ∆t y dx r dy r e + e dt x dt y oder r r r r dy r dx e + e v ( t) = v x ( t)ex + v y ( t)ey = dt x dt y 1.2.3 Der Beschleunigungsvektor Der Vektor der mittleren Beschleunigung ist definiert als das Verhältnis der Änderung der Geschwindigkeit zum Zeitintervall ∆t r r r (v − v ) ai ≡ i +1 i ∆t 47 Man muss beachten, dass der Geschwindigkeitsvektor seinen Betrag, seine Richtung oder beides ändern kann. Von Beschleunigung spricht man, wenn der Geschwindigkeitsvektor in irgendeiner Weise variiert. Physik 48 Kinematik heisst, der momentane Beschleunigungsvektor ist die zeitliche Ableitung des Geschwindigkeitsvektors. Bewegung in zwei oder drei Dimensionen V2 V3 V3 V2 V4 V3 V4 V5 V5 V6 V7 mit v 0 = v ( 0 ) . r r v ( t) = v 0 t 0 r + ∫ a( t′ ) dt′ 0 t r r = v 0 + a0 ∫ dt′ r r = v 0 + a0 t 49 Für eine Bewegung mit gleichförmiger Beschleunigung, finden wir die folgende vektorielle Gleichung: Wir wollen jetzt die Bewegungsgleichung von zweidimensionalen Bewegungen integrieren. 1.2.4 Zerlegung der Bewegung – Komponenten = Um die zeitliche Ableitung zu bestimmen, müssen wir den Geschwindigkeitsvektor in seine Komponenten zerlegen: r r dv a ( t) = dt r r dv r dv y r e = v«x ( t)ex + v«y ( t)ey = xe + dt x dt y r r d2x r d2y r e = x««( t)ex + y««( t)ey e + dt 2 x dt 2 y Andererseits, wenn der Geschwindigkeitsvektor denselben Betrag und dieselbe Richtung hat, nennen wir dies eine Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit. Siehe Abb. 19a). V1 V1 V1 V2 Abb. 19b) und c) zeigen solche Arten von Beschleunigung. In b) ändert sich nur der Betrag der Geschwindigkeit, und in c) nur die Richtung. a) b) c) V4 Der momentane Beschleunigungsvektor ist der Grenzwert der mittleren Beschleunigung, wenn das Zeitintervall gegen null geht. Das Physik FIGURE 19. a) Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit. b) und c) sind beschleunigte Bewegungen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 50 Kinematik ( ) Nun fügen wir die Einheitsvektoren ein: r r r r r v ( t) = v 0 x ex + v 0 y ey + a0 x ex + a0 y ey t r r = (v 0 x + a0 x t)ex + (v 0 y + a0 y t)ey = r(0) . t Diese Bewegungsgleichung wird geschrieben, als: r r 1r = r0 + v 0 t + a0 t 2 2 0 r r r r ( t) = r0 + ∫ v ( t′ ) dt′ Mit einer ähnlichen Herleitung findet man für den Ortsvektor: wobei r0 0 t r r r r ( t) = r0 + ∫ v ( t′ ) dt′ r r 1r = r0 + v 0 t + a0 t 2 2 r r 1 1 = ( x 0 + v 0 x t + a0 x t 2 )ex + ( y 0 + v 0 y t + a0 y t 2 )ey 2 2 Solche Bewegungsgleichungen sagen uns, dass die horizontalen und vertikalen Komponenten der Bewegung unabhängig voneinander sind. Für eine mehrdimensionale Bewegung werden wir ein ähnliches Resultat finden: die Bewegung kann in unabhängige Komponenten zerlegt werden. Man muss beachten, dass diese Zerlegung nicht ganz trivial ist. Sie muss mit Versuchen geprüft werden. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen 1.2.5 Demonstrationsexperiment: Wurf im bewegten System Eine wichtige Anwendung der Bewegung in zwei Dimensionen ist die eines Teilchens, das in die Luft geworfen oder geschossen wird und sich dann frei bewegen kann. In diesem Versuch wird geprüft, ob die horizontalen und vertikalen Komponenten der Bewegung unabhängig voneinander sind. Wurf im bewegten System. Ein Ball (das Teilchen) wird von einem Wagen aus senkrecht in die Luft geworfen. Siehe Abb. 20. FIGURE 20. 51 Um diese Beweung zu bestimmen, betrachten wir eine zweidimensionale Bewegungsgleichung. Physik 52 Kinematik Das Teilchen erfährt während des Fluges eine konstante nach unten gerichtete Beschleunigung (Erdbeschleunigung) r r r a( t) = a0 = − gey ( g > 0) Der Anfangsgeschwindigkeitsvektor ist definiert als: r r r r v 0 = v ( t = 0) = v 0 x ex + v 0 y ey Wir zerlegen die Bewegung in die zwei unabhängigen Komponenten: x-Achse (// e x ): ax ( t) = a0 x = 0 v x ( t) = v 0 x + a0 x t = v 0 x 1 2 x ( t) = x 0 + v 0 x t + a0 x t = x 0 + v 0 x t 2 ⇒ Das Teilchen bewegt sich gleichförmig in x-Richtung Y-Achse (// e y ): ay ( t) = − g v y ( t) = v 0 y + a0 y t = v 0 x − gt 1 1 2 2 y ( t) = y 0 + v 0 y t + a0 y t = y 0 + v 0 y t − gt 2 2 ⇒ Das Teilchen bewegt sich in gleichförmig beschleunigter Bewegung in y-Richtung. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Das Teilchen wird vom Wagen aus senkrecht in die Luft geworfen. Wenn der Wagen in Ruhe ist, bewegt sich der Ball senkrecht nach oben und fällt dann zu seiner ursprünglichen Position zurück. Wenn der Wagen selbst sich horizontal mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, bewegt sich der Ball zum höchsten Punkt seiner Flugbahn, um dann wieder zurückzukehren. Der Ball wird vom Wagen wieder aufgefangen. Die maximale Höhe der Flugbahn hängt von der senkrechten Geschwindigkeit ab, die dem Ball beim Abwurf mitgegeben wird. Die vertikale Bewegung hat nichts zu tun mit der horizontalen. Im höchsten Punkt der Bahnkurve ist die vertikale Geschwindigkeit gleich null: v y = 0 . ⇒ v 0 y = gtmax ⇒ tmax = v0y g Wir nehmen an, dass die Kugel zur Zeit tmax diesen Punkt erreicht. Wir müssen nur die vertikale Komponente der Bewegungsgleichung betrachten: v y = v 0 y − gtmax ≡ 0 2 v v 1 1 v0y 0 y 0 y − g = y 0 + 2 g g 2 g 2 Wenn wir diesen Wert in den Ausdruck für y einsetzen, erhalten wir y max = y 0 + v 0 y 53 Wir bemerken, dass diese Gleichungen unabhängig von der horizontalen Anfangsgeschwindigkeit v 0x sind. Physik 54 Kinematik 1.2.6 Demonstrationsexperiment: Schuss auf fallende Platte Ein zweites Beispiel für die Zerlegung der Bewegung ist der Schuss auf eine fallende Platte. Man zielt mit der Kanone auf die Platte, die mit einem Elektromagneten gehalten wird. Wenn man schiesst, wird der Stromkreis im Elektromagneten unterbrochen, und die Platte fällt nach unten. Gäbe es keine Gravitation, würde die Platte nicht fallen (!), und das Geschoss der Kanone würde entlang einer geraden Linie fliegen. Die Bewegungsgleichung des Geschosses würde in diesem Fall sein: x ( t) = v 0 x t y ( t) = v 0 y t Um die Platte zu treffen, muss man den Winkel des Geschosses abstimmen, so dass, x (TTreffen ) = v 0 x TTreffen = D y (TTreffen ) = v 0 y TTreffen = h wobei D der horizontale Abstand zwischen der Kanone und der Plattte ist, h die Höhe der Platte, und TTreffen die Zeit des Treffens. Dann muss gelten, v0y h = v0x D Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen v0y h = v0x D Das heisst, dass das Geschoss unter einem Winkel tan θ = abgeschossen werden muss. Mit der Erdbeschleunigung, wird die Bewegungsgleichung des Geschosses so sein: x ( t) = v 0 x t 1 y ( t) = v 0 y t − gt 2 2 Die Bewegungsgleichung der Platte ist nun x ( t) = D y ( t) = h − 1 gt 2 2 ⇒ v0x D = v0y h =D v T 0 x Treffen 1 1 2 − gT 2 = h − gTTreffen v T 0 y Treffen 2 Treffen 2 so dass die Bedingung für das Treffen des Geschosses und der Platte folgendermassen gegeben ist oder v 0 x TTreffen = D v 0 y TTreffen = h 55 Aber dies wird immer der Fall sein, weil wir den Winkel der Kannone so bestimmt haben, dass diese Bedingung erfüllt ist! Physik 56 Unabhängig von der Geschwindigkeit des Geschosses werden die Platte und das Geschoss aufeinandertreffen. Kinematik Kreisbewegungen kennen wir aus der Natur und aus dem täglichen Leben. Zum Beispiel: 1.3 Gleichförmige Kreisbewegung Gleichf rmige Kreisbewegung 1. 2. 3. Die Bewegung der Erde um die Sonne oder die des Mondes um die Erde sind ungefähr Kreisbahnen. Autos bewegen sich auf Kreisbögen, wenn sie um Kurven fahren. Räder drehen sich im Kreis. Wäre die Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses höher, würde es die Platte an einem höheren Punkt treffen. Die physikalischen Gründe für das Treffen der Platte und des Geschosses sind – beide spüren dieselbe Erdbeschleunigung g, so dass beide Bewegungsgleichungen den Teil Wir betrachten nun ein bestimmtes Beispiel: die Bewegung eines Balles, der an einen Faden gebunden ist und sich so bewegt, dass der Faden gespannt ist. Die Bahnkurve des Balles wird damit auf einen Kreis gezwungen. 1 − gt 2 2 enthalten, Siehe Abb. 21a). und seinen Betrag als Wie muss die Beschleunigung des Balles sein? Physik 57 Wir bemerken, dass die Richtung dieses Vektors sich mit der Zeit ändert. Das heisst, das Teilchen muss beschleunigt werden, um auf der Kreisbahn zu bleiben. r v = v = v 02x + v 02y Der momentane Geschwindigkeitsvektor ist in der Abbildung dargestellt. Er ist zur Bahnkurve tangential. Wir schreiben diesen Vektor als r r r v = v 0 x ex + v 0 y ey – die vertikale Bewegung ist unabhängig von der horizontalen, die für Platte und Geschoss ja verschieden sind. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 58 Kinematik r n de Fa Ball V S1 S2 S3 S4 FIGURE 21. Gleichförmige Kreisbewegung eines Balles. a) Links: der Faden. b) Rechts: Die stroboskopische Analyse der Bewegung mit Verschiebungsvektoren. Wir betrachten eine gleichförmige Kreisbewegung, d.h. den Fall, in dem der Betrag des Geschwindigkeitsvektors konstant ist: r v = v = Konst. Eine stroboskopische Analyse einer solchen Bewegung zeigt die Verschiebungsvektoren. Siehe Abb. 21b). Wie früher definieren wir ∆t als das Zeitintervall zwischen zwei Blitzen der stroboskopischen Lampe. Weil v=Konst., sind die Beträge aller Verschiebungsvektoren in der stroboskopischen Analyse gleich. ( ) ( ) Mit den Verschiebungsvektoren erhalten wir die mittleren Beschleunigungsvektoren als r r r r S / ∆t − S1 / ∆t r v −v 2 a2 = 2 1 = ∆t ∆t Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gleichf rmige Kreisbewegung r r S v2 = 2 ∆t r r r S −S a2 = 2 2 1 ∆t r r S v1 = 1 ; ∆t wobei wir die Definition der mittleren Geschwindigkeit benutzt haben: Das heisst, S1 S2 – S1 ( S 2 – S 1) S3 S4 Bestimmung der Beschleunigung einer Kreisbewegung. 59 Zuerst bemerken wir, dass der Vektor S 2 – S 1 zum Zentrum der Kreisbahn zeigt. Siehe Abb. 22. Deshalb ist die Beschleunigung auch zum Zentrum gerichtet. FIGURE 22. Physik 60 Kinematik Das heisst, dass der Ball nach dem Zentrum des Kreises beschleunigt wird. In jedem Punkt des Kreises, muss der Beschleunigungsvektor senkrecht zum Geschwindigkeitsvektor sein und zum Zentrum des Kreises zeigen. Um den Betrag der Beschleunigung zu bestimmen, konstruieren wir zwei Dreiecke. Siehe Abb. 23. Zwei Ecken der Dreiecke haben denselben Winkel θ. Es gilt, r r v∆t S2 − S1 θ≈ = r v∆t wobei r der Radius des Kreises ist. Wir multiplizieren die Gleichung mit v und dividieren beide Seiten durch ∆t. Wir erhalten, r r r v 2 S2 − S1 = = a1 r v∆t 2 Dieselbe Herleitung gilt für jeden Punkt der Kreisbahn. die Beschleunigung zeigt zum Zentrum des Kreises und der Betrag ist konstant mit der Zeit und gleich Wir haben für eine gleichförmige Kreisbewegung gefunden 1. 2. r v2 a (t ) = r Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 2 ( S 2 – S 1) S1 Gleichf rmige Kreisbewegung 1 r θ (a) S2 θ –S1 3 S2 – S1 (c) t r V∆t θ V∆t S1 = θ S2 = V∆ r S1 = (b) FIGURE 23. Herleitung der Formel für den Betrag der Beschleunigung in einer gleichförmigen Kreisbewegung. T= 2πr v 61 Während eines Umlaufs legt das Teilchen einen Weg 2πr zurück. Die Periode T wird definiert als die benötigte Zeit, um diesen Weg zurückzulegen. Für v=Konst., gilt Physik 62 Kinematik Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 2 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wenn die Beschleunigung eines Teilchens bekannt ist, haben wir gelernt, wie wir seine momentane Geschwindigkeit und seine Lage als Funktion der Zeit mit Differentialrechnung oder mit numerischer Rechnung bestimmen können. Bislang haben wir gefragt, wie wird sich ein Teilchen bewegen. Aber in vielen realistichen Fällen, kennen wir die Beschleunigung des Teilchens nicht. Wir kennen die Kräfte, die auf das Teilchen wirken, oder die Energie des Teilchens, und wir wollen diese Arten von Information benutzen, um die Bewegung vorherzusagen. Wir wollen wissen, weshalb ein Teilchen sich bewegt. In diesem Kapitel werden wir von Kräften sprechen. 63 Diese Methoden bilden das Gebiet der Dynamik. Eine zentrale Rolle in der Dynamik spielt die Masse. Physik 64 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wir werden dazu physikalische Grössen einführen, die für die gesamte Physik von fundamentaler Bedeutung sind: der lineare Impuls und die Kraft. Auf den Begriffen Masse, Impuls und Kraft basiert die gesamte klassische Mechanik. 2.1 Masse 2.1.1 Die Definition der Masse In unserer Alltagssprache benutzen wir austauchbar die Wörter “Masse” und “Gewicht”. Im Rahmen der Physik werden diese Wörter mit verschiedener Bedeutung benutzt. Man kann sagen, dass 1. 2. das Gewicht eine Kraft ist, die ein Gegenstand auf den Boden ausübt. Das Gewicht ist eine Grösse, die mit einer Waage gemessen wird. die Masse eine Eigenschaft des Gegenstandes ist. Die Masse ist ein Mass dafür, wieviel “Stoff” im Gegenstand enthalten ist. Das Gewicht eines Körpers kann in verschiedenen Fällen verschieden sein. Das Gewicht eines Astronauts sei z.B. auf der Erdoberfläche “90 kg”. Wenn er in seiner Umlaufbahn um die Erde ist, ist sein Gewicht gleich null. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Masse Im Gegensatz dazu ist die Masse des Astronauts auf der Erde und in der Umlaufbahn immer dieselbe. Der Astonaut ist nicht masselos geworden, sondern nur gewichtslos. Rückstossversuch. Um die Masse genau zu definieren, werden wir einen Rückstossversuch verwenden. Wir betrachten zwei Wagen, A und B, die sich reibungsfrei über eine Luftkissenbahn bewegen können. Siehe Abb. 1. Am Anfang werden die beide Wagen mit einem Faden zusammen gebunden. Eine Feder ist zwischen den beiden Wagen eingeklemmt. In diesem Versuch wird der Faden zerschnitten und die Geschwindigkeiten der Wagen vA und vB gemessen. A Faden A Feder (a) B reibungsfreie Luftkissenbahn B VB 65 Wenn der Faden zerschnitten ist, entfernen sich beide Wagen voneinander mit engegengesetzen Geschwindigkeiten. Wir bemerken, dass die Geschwindigkeiten der Wagen nicht immer denselben Betrag besitzen. VA (b) FIGURE 1. Ein Rückstosssversuch. a) Anfangszustand b) Faden zerschnitten. Physik 66 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Aus Experimenten mit verschiedenen Wagen schliessen wir, dass das Verhältnis der Geschwindigkeiten der beiden Wagen gegeben ist durch m A vB = mB v A wobei mA und mB die “Massen” der Wagen sind. Wir bemerken, dass das Ergebnis unabhängig von der Feder ist. Wäre die Feder stärker, würden beide Wagen sich schneller voneinander entfernen. Das Verhältnis der Geschwindigkeiten würde sich aber nicht ändern. Das heisst, dass die Geschwindigkeit eines Wagens nur von den Eigenschaften der Wagen abhängt. Bis jetzt haben wir nur von einem Verhältnis gesprochen. Wie sollen wir die Masse definieren? vB mB vA Wir wählen eine der Massen, z.B. mB, so, dass sie eine genormte Masse besitzt. Dann werden alle Massen relativ zur Masse mB gemessen, als mA = Von der genormten Masse haben wir schon im Vorwort (Kapitel 0) gesprochen, als die Definition der Masse betrachtet wurde. Wir haben gesagt: Das Kilogramm ist die Masse eines internationalen Prototyps des Kilogramms. Es ist ein Platin-Iridium-Zylinder, der im Bureau International des Poids et Mesures in Sèvres bei Paris aufbewahrt wird. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Masse Alle anderen Massen werden dann durch einen Rückstossversuch als v BIPM − Prototyp mA = (1 Kilogramm) × vA definiert, wobei vBIPM-Prototyp die gemessene Geschwindigkeit des internationalen Prototyps ist. 2.1.2 Träge und schwere Masse Die vorher gegebene Definition der Masse entspricht einer genauen, aber komplizierten Art von Messung der Masse! Stab Drehpunkt 67 genormte Masse Eine Messung mit einer Waage ist eine einfachere Methode, um die Masse zu messen. Siehe Abb. 2. Gegenstand FIGURE 2. Waage. Wenn die zwei Massen gleich sind, wird der Stab stillstehen. Der Stab ist im Gleichtgewicht. Physik 68 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Die Waage vergleicht die nach unten gerichteten Gravitationskräfte, die die zwei Massen auf den Teller ausüben. Wenn die Gravitationskräfte einander gleich sind, bleibt der Stab im Gleichgewicht. Mit einer solchen Waage können wir die Gravitationskräfte von Massen mit der Gravitationskraft, die die genormte Masse auf den Teller ausübt, vergleichen. Wenn wir die Messungen mit einer Waage mit denjenigen des Rückstossversuches vergleichen, bemerken wir, dass gleiche Massen die gleichen Gravitationskräfte ausüben. Wir nehmen zwei Wagen, die sich mit derselben Geschwindigkeit im Rückstossversuch bewegen. Das heisst, dass sie die gleiche Masse besitzen. Wenn wir diese Wagen auf den Teller der Waage stellen, wird der Stab im Gleichgewicht stehen. Dieses experimentelle Ergebnis ist keine offensichtliche Sache! Der Physiker Etvös hat 1922 mit sehr genauen Versuchen bewiesen, dass Gegenstände mit gleicher Masse gleiche Gravitationskräfte ausüben. Er hat dieses Ergebnis mit einer Genauigkeit von 1 Teil in 109 geprüft. die träge Masse ist die Grösse, die wir mit einem Rückstossexperiment messen, und die schwere Masse ist die Grösse, die wir mit einer Waage messen. Wir sagen gewöhnlich 1. 2. Dank R.H. Dicke, der das Etvösche Experiment noch verbessert hat, wissen wir heutzutage, dass beide Definitionen mit einer Genauigkeit von1 Teil in 1011 gleich sind. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Impuls Im Bereich der Mechanik wird nichts gesagt, warum diese zwei Massen einander gleich sind. Nur in der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein kann man mit Hilfe des Äquivalenzprinzips verstehen, warum beide gleich sein müssen. 2.2 Der Impuls Nun werden wir das Gesetz der Impulserhaltung einführen. Ein “Erhaltungs”-Gesetz im Gebiet der Physik drückt aus, dass eine Grösse sich nicht ändert. Sie wird erhalten, d.h. sie wird vor und nach verschiedenen Vorgängen dieselbe sein. 2.2.1 Die Definition des Impulses m A vB = mB v A In der Definition der Masse haben wir gesehen, dass in Rückstossversuchen das Verhältnis der Geschwindigkeiten der Wagen eine konstante Zahl war, unabhängig von der Feder. Wir haben dieses Ergebnis als ausgedrückt. 69 Jetzt wollen wir diese Gleichungen verwenden, um eine Grösse zu definieren, die sich nicht ändern wird, wenn der Faden zwischen den Wagen zerschnitten wird. Physik 70 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wir schreiben die Gleichung als m A v A = mB vB Jetzt bemerken wir, dass vA und vB die Beträge der Geschwindigkeitsvektoren der Wagen sind. Da die Wagen sich in entgegengesetzen Richtungen voneinander entfernen, gilt r r m A v A = − mB vB wobei wir die Geschwindigkeitsvektoren statt der Beträge der Geschwindigkeiten benutzt haben. Diese Gleichung wird geschrieben als r r mA v A + mB v B = 0 (nachdem der Faden zerschnitten ist) Mit einem solchen Ausdruck haben wir die folgende Grösse den Wagen A und B zugeteilt: m A v A ist nur eine Eigenschaft des Wagens A, und m B v B nur eine Eigenschaft des Wagens B. Eine neue Grösse wird deshalb definiert: Der lineare Impuls eines Teilchens ist gleich dem Produkt aus seiner Masse m und seiner Geschwindigkeit v : r r p = mv Der Impuls ist eine vektorielle Grösse, weil er als das Produkt einer skalaren Grösse (die Masse) und einer vektoriellen Grösse (die Geschwindigkeit) ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Impuls Die Gleichung drückt aus, dass die Summe des Impulses nach dem Rückstoss gleich null ist. r vB = 0 Bevor der Faden zerschnitten wurde, sind beide Wagen in Ruhe. Vor dem Rückstoss, gilt r vA = 0 Die Summe des linearen Impulses bevor der Faden zerschnitten wurde, ist dann r r (bevor der Faden zerschnitten ist) mA v A + mB v B = 0 Wir schliessen daraus, dass die Summe des linearen Impulses der Wagen sich wegen des Rückstosses nicht geändert hat. r r r r r Ptot = pA + pB = mA v A + mBvB 71 Die Summe des linearen Impulses der Wagen nennen wir den Gesa- mtimpuls P tot Die Gleichung r r Ptot (vorher ) = Ptot (nachher ) drückt die Erhaltung des Gesamtimpulses aus. Physik 72 senbahn ausgeglichen. Die resultierende vertikale Kraft war deshalb gleich null. Die Impulserhaltung 2.3 Die Impulserhaltung Masse, Impulserhaltung und die Mechanik 2.3.1 Das allgemeine Gesetz Physik vA 73 Der Mann und der Junge werden als ein System betrachtet. Die Gravitationskraft, die beide erfahren, wird ausgeglichen durch die Kraft, FIGURE 3. Rückstoss der Eiskunstläufer. Das Gesamtimpuls wird erhalten. Da die Masse des Mannes doppelt so gross ist wie die des Jungen, beträgt seine Geschwindigkeit nur die Hälfte derjenigen des Jungen. vB Beispiel 1. Ein Mann mit einer Masse von 70kg und ein Junge mit einer Masse von 35kg stehen zusammen auf einer glatten Eisfläche, für die die Reibung vernachlässigbar sei. Wie weit sind die beiden nach 5 Sekunden voneinander entfernt, wenn sie sich voneinander abstossen und der Mann sich mit 0,3m/s relativ zum Eis bewegt? Siehe Abb. 3. Wenn der Faden zerschnitten wurde, hat die Feder eine nicht verschwindene Kraft ausgeübt. Diese Kraft ist aber keine äussere Kraft, sondern eine innere Kraft, die auf die Wagen wirkt. Sie kann deshalb den Gesamtimpuls des Systems nicht ändern. Auf den vorherigen Seiten haben wir einen Rückstossversuch betrachtet. Wir haben gefunden, dass in einem solchen Versuch eine vektorielle Grösse — der Gesamtimpuls — erhalten ist. Bisher haben wir nur das Ergebnis des Rückstossversuches auf eine verschiedene Art neu dargelegt. Das Gesetz der Impulserhaltung ist aber ganz allgemein gültig. Es kann so formuliert werden: Ein “isoliertes” System ist ein System, in dem die Teilchen keine resultierende äussere Kraft fühlen. In einem solchen isolierten System ist der Gesamtimpuls erhalten. Das Gesetz der Erhaltung des Impulses ist eines der grundlegenden und allgemein gültigen Gesetze der Physik. Wir kennen keine Ausnahmen von diesem Prinzip. Wir haben noch nicht viel von Kräften gesprochen. Von Kräften wird ein bisschen später gesprochen. Wir müssen nur verstehen, dass es im Rückstossversuch keine äussere Kraft gab. Wir haben im Versuch eine Luftkissenbahn verwendet, so dass keine äussere resultierende Kraft auf den Wagen wirkt. Die nach unten gerichtete Gewichtskraft eines Wagens wurde von der Luft der Luftkis- Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 74 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik die vom Eis ausgeübt wird. Die Reibung mit dem Eis ist vernachlässigbar. Das System ist dehalb isoliert, und der Gesamtimpuls wird erhalten. Da sich der Mann und der Junge ursprünglich in Ruhe befinden, ist der Gesamtimpuls gleich null. r r r r pA + pB = 0 mA v A + mB v B = 0 ⇒ r 70 kg m r (0, 3m / s) = 0, 6m / s vB = A vA = 35 kg mB Der Mann hat die doppelte Masse des Jungen und der Junge bewegt sich mit der doppelten Geschwindigkeit des Mannes. Nach 5 Sekunden hat sich der Mann 1,5 Meter, der Junge 3 Meter weit vom Ausgangspunkt weg bewegt, so dass sie nun 4,5 Meter voneinander entfernt sind. 2.4 Das erste Newtonsche Gesetz: Trägheit Eine erste Folgerung aus dem Impulserhaltungsgesetz ist das Trägheitsprinzip. ⇒ Wir sehen, dass für ein isoliertes System gelten muss: r dptot =0 dt r ptot = Konst Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das erste Newtonsche Gesetz: Tr gheit Wenn ein System nur ein Teilchen besitzt, ist der Gesamtimpuls gleich des Impulses des Teilchens, und wir erhalten r r r dp d ( mv ) dv =0= =m dt dt dt dv =0 ⇒ dt r v = Konst. r ⇒ a ( t) ≡ 0 wobei wir angenommen haben, dass sich die Masse des Teilchens mit der Zeit nicht ändert. Es folgt, Wir sagen, Trägheitsprinzip: Ein Teilchen bleibt in Ruhe oder bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit, wenn keine resultierende Kraft auf es wirkt. In den Zeiten vor Galileo Galilei (1564-1642) nahm man an, dass die Kraft in Verbindung mit der Geschwindigkeit eines Teilchen war. Man dachte, dass eine Kraft wirken muss, um ein Teilchen in Bewegung zu halten. Je grösser die Kraft, desto schneller bewegt sich das Teilchen. In unserer täglichen Erfahrungen ist dieses Denken nicht ganz so falsch. Galileo und Newton erkannten, dass in den meisten Situationen auf der Erdoberfläsche Körper sich nicht reibungsfrei bewegen. Das heisst, in den meisten Fällen sind die Körper nicht isoliert, weil die resultierende Kraft nicht gleich null ist. 75 Wenn ein Gegenstand geworfen wird und sich in der Luft bewegt, wirkt auf ihn die Gravitationskraft ein und er fühlt auch die Reibung von der Luft (d.h. Luftwiderstand). Physik 76 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wenn ein Gegenstand sich auf dem Boden bewegt, fühlt er die Reibung zwischen seiner Fläche und der Bodenfläche. Aus diesen Beobachtungen haben Galileo und Newton sich vorgestellt, was für eine Bewegung ein Teilchen machen würde, wenn es sich frei bewegt. Sie sind zum Schluss bekommen, dass die Kraft mit der Beschleunigung zusammenhängt, so dass das Trägheitsprinzip gelten muss. 2.5 Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip 2.5.1 Die Definition der Kraft Der Begriff der Kraft, wie der der Geschwindigkeit oder der Beschleunigung, ist uns aus dem Alltag vertraut. Wenn wir einen Gegenstand ziehen oder stossen, üben wir eine Kraft auf ihn aus. Je stärker wir ziehen oder stossen, desto grösser ist die Kraft. Die Richtung, in welcher wir ziehen oder stossen, ist die Richtung der Kraft. Das heisst, die Kraft ist eine vektorielle Grösse, die eine Richtung und einen Betrag besitzt. In der mathematischen Sprache benutzen wir einen Vektor F . Schon im Trägheitsprinzip haben wir bemerkt, dass die Kraft mit der Beschleunigung zusammenhängt. Wir werden nun zwei zusätzliche Beispiele betrachten, bei denen die Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung ganz klar ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip Als wir von der Wurfbewegung gesprochen haben, haben wir die Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung gesehen. Wenn der Luftwiderstand vernachlässigt wird, ist die Beschleunigung des Geschosses nach unten zum Zentrum der Erde gerichtet. Wenn wir auf der Erdoberfläche stehen, fühlen wir unser Gewicht, das unseren Körper nach unten zieht. Die Gravitationskraft zwischen unserem Körper und der Erde ist für eine solche nach unten gerichtete Anziehung verantwortlich. Die Gravitationskraft zwischen dem Geschoss und der Erde verursacht ebenfalls die nach unten gerichtete Beschleunigung des Geschosses. Als zweites Beispiel betrachten wir die Kreisbewegung. Wir haben gesehen, dass eine nach dem Zentrum des Kreises gerichtete Beschleunigung auf das Teilchen wirken muss, damit das Teilchen sich auf einer Kreisbahn bewegt (siehe Kapitel 1.3), n de Fa a Ball 77 In diesem Fall zieht der Faden den Ball. Siehe Abb. 4. Die Beschleunigung des Balles hat dieselbe Richtung, wie die vom Faden ausgeübte Kraft. r FIGURE 4. Die Beschleunigung des Balles hat dieselbe Richtung, wie die vom Faden ausgeübte Kraft. Physik 78 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Grundsätzlich kann man diese Gleichung benutzen, um die Anwesenheit einer Kraft zu beweisen, durch die Beschleunigung, die sie bei einem Teilchen bewirkt. Das Newtonsche Gravitationsgesetz i Physik r r ⇒ FG = mg 79 Newton behauptete 1665 (als er 23 Jahre alt war), dass dieselbe Kraft für den Fall von Gegenstände (z.B. ein Apfel) auf der Erde und für die Bewegung der Planeten verantwortlich ist. Kepler (1571-1630) analysierte die astronomischen Beobachtungen von Brahe (1546-1601). Dabei fand er empirisch drei Gesetze über die Bewegung der Planeten. Das erste Keplersche Gesetz sagt, dass alle Planeten sich auf elliptischen Bahnen bewegen, in deren einem Brennpunkt die Sonne ist. Die Beziehung zwischen Erdbeschleunigung und Gravitationskraft hat die Existenz einer allgemeinen, zwischen allen Körpern wirkenden, Kraft bewiesen. 2.6 Das Newtonsche Gravitationsgesetz wobei m die Masse des Teilchens ist. tionskraft F G bestimmen als: r r r F r F a= ⇒ g= G m m Dank der gemessenen Erdbeschleunigung g , können wir die Gravita- tionskraft F G bestimmen? Zum Beispiel, wie können wir in einer Wurfbewegung die Gravita- Dass die Beschleunigung mit der Kraft zusammenhängt, ist klar. Welche Rolle spielt dann die Masse? Die Beschleunigung eines Teilchens ist umgekehrt proportional zu seiner Masse und direkt proportional zur resultierenden Kraft, die auf es wirkt: r r F a= m Die resultierende Kraft ist die Vektorsumme aller Kräfte, die am Teilchen angreifen. i r r F = ∑ Fi 2.5.2 Das zweite Newtonsche Gesetz i ∑ F = ma Das zweite Newtonsche Gesetz wird gewöhnlich als r r ausgedrückt. Die Einheit der Kraft ist 1 Newton (N) und entspricht jener Kraft, die benötigt wird, um einen Körper der Masse 1 kg mit 1 m/s2 zu beschleunigen. Die Gleichung kann als Definition der Kraft verwendet werden. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 80 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Zuerst hat Newton 1686 mit einer mathematischen Berechnung bewiesen, dass eine solche Gravitationskraft die elliptischen Bahnen der Planeten um die Sonne erklären kann. Er behauptete, dass diese Kraft zwischen allen Objekten im Universum wirkt. m1 r1 ex r12 Die Definition des Vektors r12. x F12 r2 m2 Nach dem allgemeinen Newtonschen Gravitationsgesetz ist diese Kraft immer anziehend, proportional zu den Massen der beiden Körper und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes zwischen ihnen. Sie liegt in der Verbindungslinie zwischen ihnen. y ey FIGURE 5. In der mathematische Sprache wird die Gravitationskraft geschrieben als (siehe Abb. 5): r r Gm 1m2 r12 F12 = − r12 2 r12 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz G = 6,67 × 10–11 Nm2/kg2 wobei m1 und m2 zwei Punktmassen sind, und r 12 ⁄ r 12 ein Einheitsvektor, der von m1 nach m2 zeigt, und G ist die universelle Gravitationskonstante, die den Wert hat. Aus der Definition der Gravitationskraft kann man sehen, dass beide Körper dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen (siehe Abb. 6) spüren: r r r r F12 = − F21 F12 = F21 m1 F21 F12 m2 FIGURE 6. Die Gravitationskraft ist immer anziehend, und beide Körper spüren dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen. 81 Die Gravitationskraft wird von der Gegenwart anderer Massen nicht gestört. Im Fall, dass es viele Massen in der Nähe eines Körpers gibt, ist die Gesamtgravitationskraft auf den Körper gleich der Vektor- Physik 82 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik summe aller Gravitationskräfte, die die anderen Körper auf ihn ausüben. 2.6.1 Gravitationskraft eines homogenen Rings Wir berechnen die gesamte Gravitationskraft auf der Achse eines homogenes Ringes. Abb. 7 zeigt den Ring der Gesamtmasse m mit dem Radius a und eine Punktmasse m0, die im Abstand x vom Kreismittelpunkt auf der Ache sitzt. Auf dem Ring wählen wir ein differentielles Massenelement dm. Diese Masse dm ist klein genug, um als Punktmasse betrachtet werden zu können. Die Masse dm befindet sich im Abstand s von der Punktmasse m0 auf der Achse. Die Verbindungslinie zwischen den Punktmassen bildet den Winkel α mit der Ringachse. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia dm Homogener Ring a Das Newtonsche Gravitationsgesetz FIGURE 7. x s α |dF| |dF|cosα ( dm)( m0 ) s2 m0 X Die Kraft dF , die von dm auf m0 wirkt, zeigt in Richtung der Masse dm, und hat den Betrag dF: dF = G Wir müssen jetzt über alle Massenelemente dm des Ringes integrieren. 83 Aus der Symmetrie der Anordnung schliessen wir, dass die resultierenden Kraft entlang der Achse des Ringes verläuft. Alle Kräfte senkrecht zur Achse kompensieren sich gegenseitig. Physik 84 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Die resultierende Kraft liegt in der Symmetrieachse und zeigt in die negative x-Richtung. Wir schreiben diesen Vektor als r r r r r F = Fx ex + Fy ey + Fzez = Fx ex wobei wir Fy=0, und Fz=0 benutzt haben. Der Betrag des Vektors wird durch Integration über alle Elemente des Ringes erhalten Fx = ∫ dFx ( dm)( m0 ) cos α = −G ∫ s2 Gm = − 2 0 cos α ∫ dm s Gmm0 cos α s2 =− Gmm0 x 2 + a2 und x x 2 + a2 cos α = = − Gmm0 2 x 3/ 2 x 2 + a2 + a2 ) x = s (x x wobei m die Gesamtmasse des Ringes ist. Wir schreiben dieses Ergebnis als Funktion des Abstandes x: s2 = x 2 + a2 und deshalb gilt Fx ( x ) = − Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz 2.6.2 Gravitationskraft einer homogenen Kugelschale Mit dem Ergebnis des Ringes können wir nun die Gravitationskraft auf eine Punktmasse m0 im Abstand r vom Mittelpunkt einer Kugelschale mit Radius R und Masse M berechnen. Wir betrachten den Fall, dass der Punkt ausserhalb der Kugelschale liegt, r>R. Ein Streifen der Kugel kann als Ring der Breite Rdθ mit dem Umfang 2πa=2πRsinθ betrachtet werden (siehe Abb. 8). 85 Die Gravitationskraft der Kugelschale werden wir durch Integration über alle Streifen auf der Kugelschale erhalten. dA = (2πa)( Rdθ ) = 2πR sin θRdθ = 2πR 2 sin θdθ Die Fläche dA des Streifens ist gleich Physik 86 R dθ a Homogene Kugelschale. θ Masse, Impulserhaltung und die Mechanik FIGURE 8. x r s dFx a=Rsinθ 2πR 2 sin θdθ M dA =M = sin θdθ 4πR 2 2 A m0 X Mit der Gesamtmasse der Kugel gleich M, ist die Masse des Streifens gleich dM = M wobei wir für die Kugeloberfläche A=4πR2 verwendet haben. (x 2 + a2 ) x 3/2 Mit dem Ergebnis für einen homogenen Ring erhalten wir dFx = −G( dM )( m0 ) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz Die Geometrie der Anordnung ist so, dass gilt = r 2 − 2 Rr cosθ + R 2 R x = ( r − R cosθ ) = r(1 − cosθ ) r x 2 + a 2 = ( r − R cosθ ) 2 + ( R sin θ ) 2 Die vom differentiellen Ring ausgeübte Kraft ist R r(1 − cosθ ) Mm0 r sin θdθ 2 ( r 2 − 2 Rr cosθ + R 2 ) 3 / 2 R r(1 − cosθ ) M r dFx = −G sin θdθ ( m0 ) 2 3/2 2 (r − 2Rr cosθ + R 2 ) = −G dz = − sin θ ⇒ dz = − sin θdθ dθ Wir führen die folgende Variablentransformation durch: z ≡ cosθ R r(1 − z) Mm0 r dz 2 ( r 2 − 2 Rrz + R 2 ) 3 / 2 womit wir die Gleichung für die Kraft so schreiben können dFx = G 180 0 ∫ dθ ⇒ −1 1 ∫ dz 87 Um die Gesamtgravitationskraft zu bestimmen, müssen wir über alle Streifen integrieren. D.h., Physik 88 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik −1 1 ∫ (r 2 Mm0 −2 Mm r = − G 2 0 r 2 r3 R 1− z 2 r 3 / 2 dz = − 3 r − 2 Rrz + R 2 ) Durch direkte Integration kann man beweisen, dass Wir erhalten damit Fx = G ( r > R) Die Kraft muss wegen der Symmetrie radial sein, deshalb können wir eine vektorielle Gleichung der Gravitationskraft einer Kugelschale schreiben als r r GMm 0 r F=− r2 r D.h., die Kraft ist dieselbe wir für eine Masse M im Zentrum der Kugel! Die Gravitationskraft der Kugelschale ist die gleiche, wie wenn ihre Masse im Zentrum der Kugel konzentiert wäre. 2.6.3 Gravitationskraft einer homogenen Vollkugel Wir verwenden nun dieses Ergebnis, um die Gravitationskraft einer Vollkugel zu bestimmen. Wir stellen uns vor, dass die Kugel aus einer kontinuierlichen Menge von Kugelschalen zusammengesetzt ist. Da die Gravitationskraft jeder Kugelschale die gleiche ist, wie wenn ihre Masse im Zentrum konzentiert ist, entspricht die Gravitationsk- Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz ( r > R) raft der gesamten Kugel der in ihrem Mittelpunkt konzentrierten Gesamtmasse M: r r GMm r F=− 2 r r 2.6.4 Die Erdbeschleunigung Wir sagen, dass die Gravitationskraft eine schwache Kraft ist. ±11 (1 m) 2 Nm2 / kg 2 )(80 kg)(80 kg) Zum Beispiel ist die Kraft zwischen zwei Studenten, die sich in einem Abstand von 1 Meter befinden und je eine Masse von 80kg haben, ungefähr (6,67 × 10 r Gm1m 2 F = r2 = ≈ 4 × 10 −7 N Dabei haben wir die Studenten als Punktmassen betrachtet. Ein solcher Betrag ist praktisch unmessbar. 89 Die Gravitationskraftwirkung ist messbar, wenn wir grosse Massen betrachten. Sie bindet z.B. Sterne in Galaxien (siehe Abb. 9), Galaxien in sogenannten “Superclusters”, und sie ist auch verantwortlich für die Bewegung der Planeten um die Sonne, die der Satelliten um die Planeten, und den Fall der Körper auf der Erde. Physik 90 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik FIGURE 9. Eine Galaxie. Die Sterne werden durch die Gravitationskraft aneinander gebunden. Wir spüren die Erdbeschleunigung deshalb, weil die Masse der Erde sehr gross ist: mE ≈ 6.0 × 10 24 kg Die Gravitationskraft der Erde. Erde Fg Das Newtonsche Gravitationsgesetz FIGURE 10. rE = Fg mE Wir berechnen die Gravitationskraft, die die Erde auf eine auf der Erdöberfläche liegende Masse m ausübt, als r GmE m FG = 2 wobei mE die Masse der Erde und rE der Radius der Erde sind. ⇒ g= GmE rE2 91 Um die Erdbeschleunigung zu bestimmen, benutzen wir das zweite Newtonsche Gesetz: GmE m = mg rE2 d.h., g ist unabhängig von m. ⇒ Die Erde übt auf den Körper eine Kraft aus, die dieselbe ist, als ob ihre ganze Masse im Zentrum der Erde konzentriert wäre (siehe Abb. 10). Physik r r FG = mg Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Nun verstehen wir den Betrag der Erdbeschleunigung und warum er unabhängig von der Masse eines Körpers ist. rErde 92 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Aus dieser Gleichung folgt die Messung der Masse der Erde: gr 2 (9.8m / s 2 ) × (6370 × 10 3 m)2 mE = E = 6.67 × 10 −11 Nm 2 / kg 2 G = 6.0 × 10 24 kg wobei wir die Beziehung 1 Newton = 1 kg m/s2 benutzt haben. Wir bemerken, dass diese Zahl nicht genau gleich die gemessenen Erdbeschleunigung ist, weil (a) die Erde nicht genau homogen und spärisch ist; (b) die Erde rotiert (wird später behandelt). Wie gross ist die Erdbeschleunigung, die auf einen Gegenstand wirkt, der sich in einer Höhe h = 2500 km über der Erdoberfläche befindet? FG GmE m = = m m(rE + h)2 Die Beschleunigung ist gleich a= GmE = (rE + h)2 ≈ (6.67 × 10 −11 Nm 2 / kg 2 )(6.0 × 10 24 kg) = ((6370 + 2500) × 10 3 m)2 g 2 ≈ 5, 087 m / s 2 Andere Werte sind in Tabelle 1 aufgelistet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz 9,81 Beschleunigung (m/s2) mittlere Erdbeschleunigung wo f r verschiedene H hen. Höhe (km) TABLE 1. Erdbeschleunigung 0 Halbe Erdbeschleunigung Space Shuttle Höchster Ballon mit Mensch 8,70 Mt. Everest 5,087 9,71 400 Geostationäre künstliche Satelliten 9,80 2500 0,225 Mond 8,8 35700 0,0027 36,6 380000 2.6.5 Satellitenbewegung Zuerst hat Newton sein universelles Gravitationsgesetz formuliert, um die Bewegung des Mondes um die Erde zu erklären. Er beobachtete, dass der Mond sich auf einer Kreisbahn um die Erde bewegt. Der Mond muss in Richtung der Erde beschleunigt werden, um sich auf einer solchen Kreisbahn zu bewegen. Siehe Abb. 11. Weil der Radius der Kreisbewegung des Mondes ungefähr gleich 3,82x108 m ist, muss die Erdbeschleunigung viel kleiner sein als auf der Erdoberfläche. r v2 aMond = Mond rMond 93 Um die Beschleunigung des Mondes zu bestimmen, benutzen wir die Gleichung für eine gleichförmige Kreisbewegung, d.h. Physik 94 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik wobei vMond die Geschwindigkeit des Mondes um die Erde ist, und rMond der Radius der Kreisbahn. Wir bemerken, dass die Umlaufzeit (die Periode) des Mondes T gleich 27,32 Tagen oder 2,36x106 Sekunden ist. Die Geschwindigkeit des Mondes ist gleich r vMond 2πrMond = T 2π × (3, 82 × 108 m) 2, 36 × 10 6 s = V ≅ 1, 02 × 10 3 m / s Mond Der Mond wird zum Zentrum der Erde beschleunigt. Erde F oder ungefähr 1 Kilometer pro Sekunde. FIGURE 11. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz Die Beschleunigung ist dann (1, 02 × 10 3 m / s)2 3, 82 × 108 m r v2 aMond = Mond rMond = ≅ 2, 70 × 10 −3 m / s 2 Wenn wir diese Zahl mit der Beschleunigung auf der Erdoberfläche vergleichen, finden wir aMond 2, 70 × 10 −3 m / s 2 = g 9, 81 m / s 2 ≅ 3 × 10 −4 2 2 d.h., die Beschleunigung des Mondes ist ungefähr 3300 Mal kleiner als die Erdbeschleunigung g. Diese Zahl kann mit dem Verhältnis der Radien im Quadrat verglichen werden: rErde 6370 × 10 3 m ≈ 3, 82 × 108 m rMond ≈ 3 × 10 −4 Dieses Ergebnis beweist, dass die Gravitationskraft proportional zum Quadrat des Abstandes ist. Wir bemerken nun, dass das allgemeine Gravitationsgesetzt sagt, dass durch die Gravitationskraft Körper einander anziehen. 95 Deshalb spüren der Mond und die Erde dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen (siehe Abb. 12). Physik 96 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik FG Drehpunkt Dass eine solche Kraft wirkt, können wir z.B. durch die Flut und Ebbe des Meers bemerken. Mond –FG Erde FIGURE 12. Der Mond und die Erde ziehen einander mit derselben Gravitationskraft aber mit entgegengesetztem Vorzeichen an. Der Drehpunkt ist ≈4700 km vom Erdzentrum entfernt. Beide, Erde und Mond, werden durch die Gravitationskräfte beschleunigt. ( 7, 36 × 10 22 kg) ( 3, 82 × 10 8 m) (6 × 10 24 kg) M Mond r M Erde Mond Eine Folgerung daraus ist, dass wenn wir beide Körper als ein einziges System betrachten, der Mond und die Erde sich um einen Drehpunkt drehen. Dieser Drehpunkt ist ≈ 4700 km vom Erdzentrum entfernt: rDrehpunkt = = ≈ 4, 7 × 10 6 m Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz Nun betrachten wir den Gesamptimpuls des Systems Erde-Mond. Es gilt r r r P = pErde + pMond r r = M Erdev Erde + M Mond v Mond tot Die zeitliche Ableitung des Gesamtimpulses ist gleich r r r dPtot dpErde dpMond = + dt dt dt r r dv dv = M Erde Erde + M Mond Mond dt dt r r = M Erde aErde + M Mond aMond Jetzt berechnen wir die Beschleunigungen des Mondes und der Erde: r r r r M M − FG 1 rMond 1 rMond aErde = = G Erde Mond = GM Mond 2 2 M r r M Erde Erde Mond rMond Mond rMond r r r M M F 1 r 1 rMond G Mond = −G Erde Mond 2 = −GM Erde 2 M Mond rMond rMond rMond rMond M Mond r aMond = Das heisst, der Gesamtimpuls des Systems Erde-Mond ist erhalten r r r 1 r 1 rMond dP tot Mond = M Erde GM Mond 2 + M Mond −GM Erde 2 dt rMond rMond rMond rMond =0 97 Wir verstehen dieses Ergebnis: in diesem Fall können wir das System Erde-Mond als ein isoliertes System betrachten, weil die Gravitation nur als interne Kräfte wirkt. Das Impulserhaltungsgesetz sagt voraus, dass in einem solchen Fall der Gesamtimpuls erhalten sein muss. Physik 98 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Eine ähnliche Situation ergibt sich auch, wenn wir z.B. frei fallen (siehe Abb. 13). Wir ziehen die Erde mit demselben Betrag an, mit dem die Erde uns anzieht. Natürlich sind die Beschleunigungen ganz verschieden voneinander. Zum Beispiel, für einen Mensch der Masse 60kg gilt r r r − mg F m r g =− aErde = G = M Erde M Erde M Erde Fg Fg Erdoberfläche FIGURE 13. Wenn wir frei fallen, ziehen wir die Erde mit demselben Betrag an, mit dem die Erde uns anzieht. 60 kg (9, 81m / s2 ) 6 × 10 24 kg Der Betrag der Beschleunigung der Erde ist ungefähr r aErde = ≈ 10 −22 m / s2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia R ckstoss der Rakete 2.7 Rückstoss der Rakete Der Raketenantrieb folgt aus der Impulserhaltung. Eine Rakete erzeugt ihren Schub, indem Treibstoff verbrannt und das dadurch erzeugte Gas nach hinten ausgestossen wird. Die Rakete wird durch den Rückstoss nach vorne getrieben. mK vK mG r r r r r Ptot = pGewehr + pKugel = mG vG + mK vK = 0 vG = − mG 99 vG Im Fall des zurückgerichteten Rückstosses eines Gewehres, wenn die Gewehrkugel vorwärts geschossen wird, folgt aus der Impulserhaltung und es gilt mK so dass, wenn mK << mG ist, ist vG << vK. vK Gewehr Impulserhaltung während des Rückstosses eines Gewehres. Gewehrkugel FIGURE 14. Versuchsexperiment. Rückstoss mit Wagen und CO2-Flasche Physik 100 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Der Gesamtimpuls ist gleich R ckstoss der Rakete d.h., p = M ( t )v p( t′ ) = Mv + Mdv − vdM − dMdv + vdM − udM ≈ Mv + Mdv − udM p( t′ ) = ( M − dM )(v + dv ) + dM (v − u) Der Gesamtimpuls ist deshalb gleich Wenn das Gas mit einer Geschwindigkeit u relativ zur Rakete ausgestossen wird, bewegt es sich mit einer Geschwindigkeit v–u. Nach dem Zeitintervall ∆t hat die Rakete eine Masse M–dM (wobei dM positiv ist) und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v+dv. Das CO2 Gas wird nach hinten ausgestossen. Durch den Rückstoss wird der Wagen (und der Mensch) nach vorne getrieben. Versuchsexperiment. Rückstoss ist unabhängig vom Medium Mit dem Wasserstrahl in Wasser und Luft bemerken wir, dass der Rückstoss unabhängig vom Medium ist. Der Rückstoss hängt nur von der Masse des ausgestossenen Stoffes ab. Wenn man Raketen z.B. in den Weltraum schiesst, drückt die Rakete gegen das Gas, das von ihr ausgestossen wird. Luft hat in diesem Fall nichts zu tun! Die Rakete stösst sich nicht von der Luft ab. Versuchsexperiment. Rückstoss mit Raketenwagen wobei wir den Term dMdv weggelassen haben, weil er ein Produkt aus zwei sehr kleinen Grössen ist und daher im Vergleich zu den anderen Grössen vernachlässigbar ist. Nun berechnen wir die sogenannte Raketengleichung. Wir brauchen nur das Impulserhaltungsgesetz. p( t′ ) − p( t) = Mv + Mdv − vdM − dMdv + vdM − udM ≈ Mdv − udM ≡0 Die Impulsänderung während des Zeitintervalls ∆t ist v = Geschwindigkeit der Rakete u = Ausstossgeschwindigkeit relativ zur Rakete M(t) = Masse der Rakete zur Zeit t. Mdv = udM ⇒ M dv dM =u dt dt wobei wir die Impulserhaltung benutzt haben. Es gilt daher Physik 101 Wir definieren die folgenden Grössen: 1. 2. 3. Wir berechnen die Impulsänderung des gesamten Systems während eines Zeitintervalls ∆t. Aus der Impulserhaltung muss die Impulsänderung gleich null sein. Zur Zeit t bewegt sich die Rakete mit der Anfangsgeschwindigkeit v. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 102 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik dM dt Aus m(dv/dt)=F folgt, dass auf die Rakete eine Schubkraft F wirkt, mit dem Betrag F=u und daher die Rakete beschleunigt wird. ⇒ v 0 M0 M0 − m ∫ dv = u ∫ dM M Wir integrieren nun die Raketengleichung und erhalten dM dv = u M wobei M0 die Anfangsmasse der Rakete, und m die Gesamtmasse des ausgestossenen Gases ist. Deshalb ist die Geschwindigkeit der Rakete als Funktion der ausgestossenen Masse gleich ⇒ v>u M0 ln >1 M0 − m M0 v = u(ln( M0 ) − ln( M0 − m)) = u ln M0 − m Für den Fall M0/(M0–m)>e gilt M0 >e M0 − m ⇒ Dann bewegt sich für einen Beobachter das ausgestossene Gas in der gleichen Richtung wie die Rakete. Experiment: Die letzten Kugeln rollen in gleicher Richtung wie der Wagen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte 2.8 Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kräfte Die Newtonschen Gesetze sorgen für eine Verbindung zwischen den dynamischen Grössen Masse und Kraft einerseits, und den kinematischen Grössen Beschleunigung, Geschwindigkeit und Verschiebung andererseits. r r r dv i =m r d 2r dt 2 Wir können die Bewegungsgleichung eines Teilchens direkt mit diesem Gesetze finden. Es gilt i ∑ F = ma = m dt D.h., wenn alle Kräfte (oder die resultierende Kraft) bekannt sind, die auf ein Teilchen wirken, können wir die Beschleunigung des Teilchens berechnen. Oder umgekehrt, wenn wir die Beschleunigung eines Teilchens, oder die zeitliche Ableitung seiner Geschwindigkeit, oder die zweite zeitliche Ableitung seiner Ortsvektorfunktion kennen, können wir die resultierende Kraft, die auf das Teilchen wirkt, bestimmen. Diese Gleichung kann auch mit Hilfe des Impulses ausgedrückt werden: r r r r dv d ( mv ) dp F=m = = dt dt dt wobei p der Impuls des Teilchens ist. 103 Wenn keine Kraft auf das Teilchen wirkt, ist sein Impuls erhalten, d.h. er ändert sich nicht mit der Zeit. Physik 104 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik In der Natur beobachten wir verschiedene Arten von Kräften. Wir werden uns mit den Kräften, die auf makroskopische Gegenstände wirken, beschäftigen. Diese Kräfte, sogenannte Kontaktkräfte, werden z.B. von Federn, Fäden oder Oberflächen ausgeübt, wenn diese in direktem Kontakt mit den Gegenständen sind. 2.8.1 Die Federkraft Um die von einer Feder ausgeübte Kraft einfach zu studieren, können wir Massen an der Feder aufhängen. Siehe Abb. 15. Wenn die Masse in Ruhe ist, ist ihre Beschleunigung gleich null. D.h., die Vektorsumme der Kräfte, die auf die Masse wirken, ist gleich null. In diesem einfachen Fall müssen wir nur zwei Kräfte betrachten: die i r r r r nach unten gerichtete Gravitationskraft mg und die nach oben gerichtete Federkraft F . Es gilt: i ∑ F = F + mg = ma = 0 wobei m die aufgehängte Masse ist und a ihre Beschleunigung. Es folgt daraus, dass der Betrag der Federkraft gleich mg ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 250 200 150 100 50 20 Masse (g) 300 Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte x 50 gm 50 gm Die Federkraft. 50 gm FIGURE 15. 40 80 100 F = k(x – x 0) 60 x 0= 35.9cm Länge 120cm Jetzt bemerken wir, dass wenn wir mehr Masse aufhängen, sich die Feder verlängert. Experimentell beobachten wir, dass bei kleiner Verlängerung die Länge der Feder zur wirkenden Kraft proportional ist. Diese Beziehung ist als Hookesches Gesetz bekannt und kann geschrieben werden als F = − k ( x − x0 ) = − k∆x 105 wobei k die Federkonstante, x0 die Länge der Feder, wenn keine Kraft auf sie wirkt, und ∆x die Verschiebung vom Ruhestand ist. Physik 106 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Die Einheit der Federkonstante ist N/m. Die Gleichung enthält ein negatives Vorzeichen. Für ∆x positiv zeigt die Federkraft in die negative Richtung. Für ∆x negativ (d.h. bei zusammengedrückter Feder) zeigt die Federkraft in die positive Richtung. Es folgt, dass die Federkraft versucht, die Feder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen. Man spricht von Rückstellkraft. Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte 2.8.2 Fadenkräfte Wenn wir an einem Faden ziehen, dann spannt sich der Faden und zieht mit einer gleich grossen, aber entgegengesestzten Kraft zurück. Wir können uns einen Faden als eine Feder vorstellen, die eine solch grosse Federkonstante besitzt, dass seine Verlängerung während der Kraftwirkung vernachlässigbar ist. Man spricht von masselosen Fäden. D.h. die Masse der Fäden ist viel kleiner als die Massen der Gegenstände, die an die Fäden gebunden werden. FIGURE 17. Physik F1 F1 (1) (1) S1 S1 = S2 = S S2 (2) (2) F2 F2 Fadenkraft. Zwei Menschen ziehen am Faden. 107 Wir betrachten die Situation der Abb 17. Zwei Menschen ziehen an einem Faden. Siehe die Kräftediagramme in Abb. 16. x Ein Faden ist eine sehr bequeme Vorrichtung, um eine Kraft zu übertragen. x x -k∆x x0 x x0 FIGURE 16. Federkraft Diagramm.Weil die Federkraft versucht, die Feder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen, spricht man von Rückstellkraft. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 108 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wir analysieren die Anordnung der Kräfte. Die Kräfte müssen entlang des Fadens wirken, weil der Faden nicht seitlich ziehen kann. Der Mensch (1) zieht nach links mit einer Kraft F 1 , und der Mensch (2) zieht nach rechts mit einer Kraft F 2 . Die Kräfte sind entgegengesetzt, deshalb ist der Faden gespannt. Die Beschleunigung des Fadens ist (Gravitationskraft wird vernachlässigt) r r r mFaden aFaden = ( F1 + F2 ) Wenn wir den Faden als wirklich masselos betrachten, gilt r r r r ( F1 + F2 ) = 0 ⇒ F1 = − F2 (Bemerken Sie, dass wenn die resultierende der auf den Faden wirkenden Kraft nicht gleich null ist, wäre die Beschleunigung des Fadens unendlich!) Jetzt führen wir die Spannung des Fadens ein. Wir sagen, dass diese Spannung sich im Faden befindet. Sie ist für eine Übertragung der Kräfte durch den Faden verantwortlich. Sie wirkt entlang des Fadens, so dass ein Faden, der zwei Punkte verbindet, überall dieselbe Spannung besitzt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte Wir sagen, dass im Punkt wo der Mensch (1) den Faden zieht, die und r r F2 + S2 = 0 Kraft F 1 kompensiert wird. Dieselbe Situation findet im Punkt (2) statt. D.h., r r F1 + S1 = 0 Da die Beträge von F 1 und F 2 gleich sind, gilt r r S1 = S2 d.h., die Spannung entlang des ganzen Fadens besitzt denselben Betrag. 2.8.3 Die Atwoodsche Maschine Wir betrachten die Anordnung in Abb. 18. Eine solche Anordnung wird eine Atwoodsche Maschine genannt. Wir nehmen an, dass der Faden masselos ist und dass die Rolle sich reibungsfrei bewegen kann. Wir schreiben das System der Bewegungsgleichungen (Bewegung ist nur in eine Richtung möglich) m1a1 = S − m1g m2 a2 = S − m2 g 109 wobei S die Spannung des Fadens ist. Wir haben zwei Gleichungen mit drei Unbekannten. Physik 110 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik h1 S m1 m 1g S m2 m 2g h2 FIGURE 18. Eine Atwoodsche Maschine mit einem masselosen Faden und einer reibungsfreien Rolle. Weil der Faden sich nicht verlängert, gilt l = h1 + h2 dl d d = h1 + h2 = v1 + v2 dt dt dt wobei l die Länge des Fadens ist. Mit der zeitlichen Ableitung dieser Gleichung, finden wir 0= Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia d d v1 + v2 = a1 + a2 dt dt Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte und 0= und ⇒ a1 = − a2 S= 2 m1m2 g m1 + m2 1 ((m1 − m2 )a1 + (m2 + m1 )g) 2 m2 − m1 g m2 + m1 m1a1 + m2 a1 = − m1g + m2 g m1a1 − m2 a1 = 2 S − m1g − m2 g m1a1 = S − m1g − m2 a1 = S − m2 g D.h., die Bewegungsgleichung kann geschrieben werden als Die Lösung ist d.h. a1 = S= m2 − m1 g m2 + m1 Mit Algebra findet man schliesslich a1 = − a2 = a1 = a2 = m2 − m1 g≤g m2 + m1 111 Die Beträge der Beschleunigungen sind einander gleich. Sie sind gleich Physik 112 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik d.h. die Beschleunigung der Masse ist kleiner als oder gleich der Erdbeschleunigung g. Die Spannung wirkt immer entgegen der Gravitationskraft und bremst die Massen. m =0 ⇒ ⇒ 2 a1 = g und a2 = − g 1 a = − g und a = g Wir verstehen dieses Ergebnis auch in den Grenzfällen: 2 m1 = 0 In diesen letzten Fällen ist die Spannung gleich null, und die Massen fallen frei mit einer Beschleunigung gleich g. Versuchsexperiment. Messung der Beschleunigung mit Wagen. Wir betrachten eine Anordnung mit einem Wagen, der sich in der horizontalen Richtung bewegen kann, und eine aufgehängte Masse, die sich in der vertikalen Richtung bewegen kann. Beide Massen sind mit einem Faden, der sich um eine Rolle dreht, aneinander gebunden. Wir betrachten den Faden als masselos und die Rolle als reibungsfrei. ⇒ m a= g M+m In diesem Fall ist die Spannung die einzige nicht verschwindende auf den Wagen wirkende Kraft, weil die Gewichtskraft des Wagens von einer nach oben gerichteten Kraft, die der Tisch ausübt, kompensiert wird. Die Bewegungsgleichung ist S = Ma mg − S = ma Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia m g M ⇒ a∝m Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte Wenn M>>m, gilt a≅ und a∝ 1 M wegen der schweren Masse m das System beschleunigt wird; wegen der trägen Masse M das System “gebremst” wird. Die träge Masse M des Wagens wirkt gegen seine Beschleunigung. Wir können sagen, dass 1. 2. 2.8.4 Reibungskräfte Reibung ist ein kompliziertes und nicht vollständig verstandenes Phänomen. Wenn zwei Gegenstände in Kontakt sind und man versucht einen relativ zum anderen zu bewegen, wird eine Reibungskraft erzeugt. Diese Kraft entsteht durch die Wechselwirkungen der Moleküle eines Gegenstandes mit denen des anderen. Sie wirkt überall dort, wo die Oberflächen der Gegenstände in engem Kontakt sind. Wir betrachten nun das Beispeil der Abb. 19. die Reibungskraft FR 113 die Gravitationskraft mg; die Normalkraft FN, die von der schiefen Ebene ausgeübt wird; Ein Körper befindet sich auf einer schiefen Ebene. In der Abb. sehen wir die Kräfte, die auf den Körper wirken: 1. 2. 3. Es ist üblich, die x-Achse parallel zur Ebene zu wählen. Wir zerlegen die Kräften entlang der x- und y-Achsen. Physik 114 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik FN m mg FR x: y: mg sin α − mg cos α x y FN m mg mg FR cos α mg sin α Kräftediagramme der schiefen Ebene mit Reibungskraft. α Die x- und y-Komponenten der Gewichtskraft sind gleich α FIGURE 19. Haftreibung: Für einen Winkel α, der kleiner ist als der kritische Winkel αK, gleicht die Reibungskraft die x-Komponente der Gravitationskraft, die entlang der Ebene abwärts wirkt, aus. Der Körper bewegt sich nicht. Er bleibt in Ruhe. Wir erhalten ∑ Fx = mg sin α − FR = 0 ∑ Fy = − mg cos α + FN = 0 Wir eliminieren mg aus diesen Gleichungen und finden Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia FR FN ⇒ Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte tan α = FR = FN tan α Diese Gleichung gilt, wenn der Winkel α kleiner als der kritische Winkel αK ist. Wenn der Winkel α grösser als αK ist, kann die Reibungskraft die Bewegung des Körpers nicht mehr verhindern. Dann wird der Körper die Ebene hinuntergleiten. Gewöhnlich drücken wir die maximale Haftreibungskraft aus als FR = µ H FN wobei µH die Haftreibungszahl ist. Aus dieser Gleichung sehen wir, dass die maximale Reibungskraft proportional ist zur Normalkraft, die zwischen den beiden Oberflächen wirkt. ⇒ µ H = tan α K Für den kritischen Winkel wird die Haftreibungskraft maximal, und wir können FH durch µHFN ersetzen FR = FN tan α K = µ H FN Gleitreibung: Wenn der Körper sich bewegt, wirkt noch eine Reibungskraft zwischen den Oberflächen des Körpers und der Ebene. Die Gleitreibungskraft wirkt der Bewegung entgegen. FR = µG FN 115 Wie im Fall der Haftreibung werden wir die Gleitreibungskraft schreiben als Physik 116 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik wobei µG die Gleitreibungszahl ist Für Winkel grösser als der kritische Winkel gleitet der Körper mit einer Beschleunigung ax. Jetzt ist die Reibungskraft gleich µGFN, und wir finden Fx = mg sin α − µG FN = max und wir ersetzen FN durch mgcosα ax = g(sin α − µG cos α ) Durch eine Messung der Beschleunigung, können wir µG bestimmen. Diese Gleichung gilt nur wenn der Körper sich bewegt, d.h. der Winkel α ist grösser als der kritische Winkel αK. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 3 Energie Im Prinzip kann man die Newtonschen Gesetze, die die Kraft und die Beschleunigung verbinden, verwenden, um ein beliebiges Bewegungsproblem, zu lösen. Die Gesetze können allgemein und in verschiedenen Bereichen benutzt werden, z.B. von der Bewegung eines Staubkorns bis zu der der Planeten oder der Galaxien. Die Fälle, in denen wir an der Bewegung von vielen Körpern oder Teilchen interessiert sind, sind praktisch sehr schwierig zu lösen. Stellen wir uns z.B. die Schwierigkeit vor, den Stoss zweier Autos in allen Einzelheiten zu beschreiben. Eine ähnliche Schwierigkeit treffen wir z.B. an bei der Beschreibung einer Explosion. 117 Um solche komplizierten Bewegungen zu beschreiben, können wir allgemeine Gesetze suchen, die aus Newtons Gesetzen folgen. Mit deren Hilfe können wir etwas über die komplizierten Bewegungen sagen. Physik 118 Energie Im Fall der Explosion oder des Stosses der Autos kann man das Impulserhaltungsgesetz benutzen, um etwas über die Bewegung vorauszusagen. In diesem Kapitel werden wir uns mit dem Begriff der Energie beschäftigen. Dieser Begriff ist wichtig, weil es ein allgemeines Prinzip der Erhaltung der Energie gibt. Wie für den Fall der Impulserhaltung, kann die Energieerhaltung benutzt werden, um Vorgänge als Ganzes zu definieren. 3.1 Definition der Energie die Strahlungsenergie ist die Energie, die durch Strahlen (z.B. Licht) ausgesandt oder absorbiert wird; die chemische Energie hängt mit dem chemischen Zustand zusammen; die Masse ist auch eine Form von Energie; usw... Definition der Energie 4. 5. 6. 7. Die Erhaltung der Gesamtenergie ist schwieriger auszudrücken, als die des Impulses, weil die Energie in verschiedenen Formen vorkommen kann. Man muss alle möglichen Formen betrachten, d.h. EStrahlung + EChem. + usw... EGesamt = EMasse + Ekin + E pot + EWärme + = Konst. Oft sagen wir, dass die Energie eines Teilchens nicht erhalten wird. Wenn z.B. ein Körper durch Reibung gebremst wird, wird ein Energieaustauch mit der Oberfläche stattfinden. Der Begriff der Energie ist nützlich wegen des Prinzips der Energieerhaltung. Es sagt, Bei allen Vorgängen muss die Gesamtenergie eines Systems und seiner Umgebung erhalten werden. Die Gesamtenergie wird erhalten, aber wir können die Energie, die durch die Reibung den Zustand der Oberfläche ändert, nicht ausdrücken, und wir werden deshalb sagen, dass die Energie des Körpers, z.B. definiert als, Physik 119 Andererseits, wenn wir wissen, dass der Austauch nur zwischen bestimmten Formen der Energie stattfindet, können wir die Teile der Gesamtenergie, die konstant bleiben, ignorieren. nicht erhalten ist. In diesem Fall haben wir nur die kinetische und die potentielle Energie betrachtet, und wenn es z.B Reibung gibt, wird sie nicht erhalten. E = Ekin + E pot ≠ Konst. Wenn die Energie eines Systems sich ändert, muss die Energie der Umgebung sich mit demselben Betrag aber entgegengesetzem Vorzeichen ändern, so dass die Summe sich nicht ändert. Man spricht von Energieaustauch zwischen dem System und seiner Umgebung. die kinetische Energie hängt mit der Bewegung des Teilchens zusammen; die potentielle Energie entspricht der Energie, die mit der räumlichen Anordnung der Körper eines Systems zueinander zusammenhängt; die Wärmeenergie ist mit der Temperatur des Systems verknüpft; Die Gesamtenergie ist die Summe von verschiedenen Teilen, die verschiedenen Formen der Energie entsprechen. Zum Beispiel, 1. 2. 3. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 120 Die relativistichen Gr ssen Im Bereich der klassischen Mechanik gibt es kein Problem mit diesen unendlichen Geschwindigkeiten. Energie 3.2 Die relativistichen Grössen Experimentell beobachten wir aber etwas anderes: entspricht der 299’792’458 Meter pro Sekunde höchsten Die Lichtgeschwindigkeit c wirkt als eine Grenzgeschwindigkeit, mit dem Wert Die Lichtgeschwindigkeit c Geschwindigkeit in der Natur. Kein Teilchen mit Masse kann eine Geschwindigkeit gleich der Lichtgeschwindigket c erreichen, unabhängig davon wieviel und wie lange es beschleunigt wird. Ein Teilchen der Masse m kann sich nie mit einer Geschwindigkeit grösser als die Lichtgeschwindigkeit c bewegen. 3.2.1 Die Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit Bei der Definition der Masse haben wir gesehen, dass in Rückstossversuchen das Verhältnis der Geschwindigkeiten der Wagen eine konstante Zahl war, unabhängig von der Feder. Wir haben dieses Ergebnis als m A vB = mB v A ausgedrückt, wobei mA und mB die Massen der Wagen sind. oder ungefähr c ≈ 3 × 108 m / s Wir fragen jetzt, was würde in einem solchen Rückstossexperiment geschehen, wenn wir eine der Masse kleiner und kleiner machen? Je kleiner die Masse, z.B. mB, ist, desto schneller wird sie sich nach dem Rückstoss bewegen. Dass die Geschwindigkeit eines Teilchens immer kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sein muss, können wir schreiben als Physik 121 Die Lichtgeschwindigkeit ist sehr gross im Vergleich zu unseren Alltagserfahrungen und deshalb ist es schwierig, die Existenz einer solchen Grenzgeschwindigkeit in der Natur zu beweisen. wobei v die Geschwindigkeit des Teilchens ist. v/c <1 Wenn mB nach null geht, wird ihre Rückstossgeschwindigkeit unendlich. Eine ähnliche Situation beobachten wir, wenn eine Kraft auf ein Teilchen wirkt und damit das Teilchen beschleunigt. ⇒ v→∞ Solange die Kraft wirkt, wird das Teilchen beschleunigt und dadurch kann es eine beliebige Geschwindigkeit erreichen. r r F = Konst ⇒ a = Konst ⇒ wenn t → ∞ Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 122 Energie Siehe Tabelle 1. TABLE 1. Geschwindigkeit 0,000000093 v/c 0,0000068 Was Schnellstes Flugzeug (Mach 6.72) 0,063 0,000099 Wagen 100 km pro Stunde Erdbewegung um die Sonne 0,94 0,13 Elektron beschleunigt durch 1000 Volt Um die Erde in 1 Sekunde 0,99999988 Elektron beschleunigt durch 1 Million Volt Elektron beschleunigt durch 1 Milliarde Volt Eine solche Grenze wurde bewiesen mit Elementarteilchen, die sich z.B. in kosmischen Strahlen befinden und sich mit sehr hoher Geschwindigkeit bewegen. Man hat auch Elektronen mit grossen elektrischen Spannungen beschleunigt und damit direkt bewiesen, dass die Masse des Elektrons mit der Geschwindigkeit zunimmt. In der Praxis kann man oft vergessen, dass es in der Natur eine höchste Geschwindigkeit gibt, aber dies hat unsere theoretischen Konzepte verändert. 3.2.2 Die relativistische Masse für hohe Geschwindigkeiten Eine Folgerung aus der Existenz einer Grenzgeschiwindigkeit ist, dass für hohe Geschwindigkeiten das Verhältnis, das wir im Rückstossexperiment gefunden haben, nicht mehr gelten wird! m A vB ≠ mB v A Das Verhältnis gilt nur wenn die Geschwindigkeiten der Körper relativ zur Lichtgeschwindigkeit klein sind. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die relativistichen Gr ssen gilt nur wenn vA / c << 1, und vB / c << 1 Wir drücken dieses Ergebnis aus als m A vB = mB v A Wir haben von der Gleichung mA/mB = vB/vA gesprochen, als wir das Impulserhaltungsgesetzt eingeführt haben. Müssen wir aus der Beobachtung, dass die Gleichung nicht mehr gilt, wenn die Geschwindigkeiten der Teilchen hoch sind, schliessen, dass das Impulserhaltungsgesetz auch nicht mehr gilt, wenn die Impulse der Teilchen sehr gross sind? Wir retten das Impulserhaltungsgesetz mit einer neuen Definition der Masse der Teilchen. Wir sagen, dass die Masse eines Teilchens sich mit seiner Geschwindigkeit ändert. 1 − v2 / c2 m0 Zuerst hat Einstein am Anfang des 20. Jahrhunderts eine solche Beziehung zwischen Masse und Geschwindigkeit geschrieben m= wobei m0 die Ruhemasse des Teilchens ist. 123 Die Ruhemasse m0 ist die Masse des Teilchens, wenn es sich in Ruhe befindet. Physik 124 Die relativistichen Gr ssen m = γm0 Energie . Faktoren 1000 km/Stunde 0 0.87 0.995 1— 4 ×10−13 1 unendlich 9 1.15 1.005 1+4×10−13 1 2 2 γ = (1 – v ⁄ c ) c/10 1/9 2 c/2 0 1–v ⁄c 0.994c Physik 1 – --2 125 Natürlich, solange die Geschwindigkeit des Teilchens ist klein relativ zur Lichtgeschwindigkeit, wird der Lorentz Faktor γ ≈ 1 und dann gilt die “klassische” Definition des Impulses. Man spricht vom relativistischen Impuls: r r r p = mv = γm0 v Mit der neuen Definition der Masse wird das Impulserhaltungsgesetz immer gelten. 3.2.3 Der relativistische Impuls Der Lorentz Faktor ist sehr nützlich. Wir werden ihn oft benutzen, wenn wir die Theorie der Relativität studieren. c v TABLE 2. Lorentz ist. Siehe Tabelle 2 so, dass die Masse eines Teilchens gleich ⇒ v ≈ 0.87c 2 2 2 Wir bemerken, dass 1 ⁄ 1 – v ⁄ c immer grösser als eins ist. Die Masse eines Teilchens wird deshalb immer mit der Geschwindigkeit zunehmen. Aus der Beziehung zwischen Masse und Energie folgt, dass es bei der Beschleunigung eines Teilchens, eine Erhöhung seiner Geschwindigkeit und eine Zunahme seiner Masse gibt! Beispiel 1. Ein Auto bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 110 Km pro Stunde. Wieviel hat seine Masse zugenommen? v / c ≈ ( 30 m / s) / ( 3 × 10 8 m / s) ≈ 10 −7 ⇒ m / m0 ≈ 1 + 5 × 10 −15 ≈ 1, 000000000000005 ⇒ 1 1− v2 / c2 = 2 Beispiel 2. Mit welcher Geschwindigkeit muss ein Gegenstand sich bewegen, um seine Masse zu verdoppeln? m /m = 2 0 Wir bemerken, dass die Änderung der Masse praktisch unmessbar ist, solange die Geschwindigkeit des Teilchens viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist. 1 Wir definieren den Lorentz Faktor γ γ = 1 − v2 / c2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 126 Energie Wenn die Sonne wie eine Kugel aus Kohle brennem würde, würde sie nur ungefähr 5000 Jahre lang leben. Die Masse-Energie quivalenz Wasserstoffkern (anfänglich in Ruhe) P FIGURE 2. Die Sonne. Wir wissen, dass die Sonne mit derselben Rate während ungefähr 5 Milliarden Jahre gebrannt hat. D.h., der klassische Impuls ist eine Näherung des Impulses eines Teilchens, der gilt, wenn die Geschwindigkeit des Teilchens viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist. P P FIGURE 1. Relativistische Impulserhaltung in Kernvorgängen: hier der Stoss eines Protons mit einem Wasserstoffkern. Nach dem Stoss werden zwei Protonen gemessen. Dass die Erhaltung der relativistischen Impulse gilt, hat man z.B. mit der Messung von Kernvorgängen bewiesen. Wir betrachten z.B. den Stoss zwischen einem Proton und einem Wasserstoffkern. Siehe Abb. 1. Anfänglich ist der Kern in Ruhe und das Proton bewegt sich, es hat einen Impuls. Man kann beweisen, dass die Summe der Anfangsimpulse gleich der Summe der Endimpulse ist. Der Gesamtimpuls ist in einem solchen Stoss erhalten. Wir wissen jedoch, dass die Sonne mit derselben Rate während ungefähr 5 Milliarden Jahre gebrannt hat, und sie soll noch während 5 Milliarden Jahren brennen. Zuerst hat Einstein 1905 erklärt, wie die Sonne eine solche Menge von Strahlungsenergie ausstossen kann, mit seiner berühmten Beziehung zwischen Masse und Energie: die Masse-Energie Äquivalenz Gleichung, 3.3 Die Masse-Energie Äquivalenz Auf die Erde kommt von der Sonne die grösste Menge von nützlicher Energie, meistens in Form von Strahlungsenergie (Licht). E = mc 2 Physik 127 wobei E die Energie, m die Masse und c die Lichtgeschwindigkeit ist. Die Sonne stösst eine enorme Menge von Strahlungsenergie aus. Siehe Abb. 2. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 128 Energie Diese Gleichung drückt aus, dass Masse eine Form von Energie ist. Die MKS Einheit der Energie ist Joule (J) m2 kg.m 1 J = 1 kg 2 = 1 2 .m = 1 N .m s s Eine 100 Watt Glühbirne braucht 100 Joule pro Sekunde. Wenn wir eine Masse von 1 Kilogramm ganz in Energie umwandeln könnten, folgt aus der Masse-Energie Beziehung, dass die gewonnene Energie E = mc 2 ≈ (1 Kg)(3 × 108 m / s)2 = 9 × 1016 J wäre. Masse enthält eine enorme Menge von Energie! Wenn 1 kg ganz in Energie umgewandelt werden könnte, könnte damit eine Stadt wie Zürich für ungefähr 50 Jahre beleuchtet werden. 3.4 Die kinetische Energie Wir haben gesehen, dass die Masse eines Teilchens mit der Geschwindigkeit zunimmt und sehr gross wird, wenn das Teilchen sich der Lichtgeschwindigkeit nähert. 1 − v2 / c2 m0 Wenn wir die Gleichung für die Zunahme der Masse mit der Geschwindigkeit m= Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die kinetische Energie mit der Beziehung zwischen Masse und Energie E = mc 2 1− v2 / c2 m0c 2 = γm 0c 2 kombinieren, erhalten wir die Gesamtenergie des Teilchens E = mc 2 = Die Ruheenergie wird definiert als die Energie des Teilchens, wenn es sich in Ruhe befindet. Sie ist gleich E0 = m0 c 2 Wenn das Teilchen sich bewegt, erhält es zusätzliche Energie. Die zusätzliche Energie, die ein Teilchen gewinnt, wenn es sich bewegt, ist seine kinetische Energie, und ist gleich E kin = E − E 0 = mc 2 − m0c 2 = (Gesamtenergie) − ( Ruheenergie) Ekin = mc 2 − m0 c 2 = γm0 c 2 − m0 c 2 = (γ − 1)m0 c 2 129 Die kinetische Energie kann mit Hilfe des Lorentz Faktors geschrieben werden Physik 130 Energie 3.4.1 Langsam bewegte Teilchen (1 + α )β ≈ 1 + βα (α << 1) Für Teilchen, die sich langsam bewegen, benutzen wir die Näherung woraus folgt 1 v2 1 − v2 / c2 ≈ 1 − 2 c2 1 1 v2 ≈1+ 2 c2 1 − v2 / c2 Die Gleichung kann für Geschwindigkeiten v<≈0,1c benutzt werden. Siehe Tabelle 3. 0,7c 0,5c 0,3c 0.2c 0,1c 0,01c v 7,1 2,30 1,41 1,148 1,048 1,0206 1,005037 1,00005003 2/c2)-1/2 γ=(1—v 1,49 1,40 1,25 1,125 1,045 1,0200 1,005000 1,000050000 1+v2/2c2 zwischen genauer und genäherter 0,9c Gleichung TABLE 3. Numerischer Vergleich 0,99c Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die kinetische Energie In diesem Fall ist die Gesamtenergie des Teilchens gleich 1 = m0c 2 1− v2 / c2 genäherte Gleichung genaue Gleichung E = mc 2 v2 ≈ m0c 2 1 + 2 2c v2 ≈ m0c 2 + m0c 2 2 2c 1 ≈ m0c 2 + m0v 2 2 Diese Gleichung gilt für Teilchen, die sich mit einer Geschwindigkeit kleiner als ≈0,1c bewegen. Wir haben die Gleichung E=mc2 als Summe von zwei Teilen geschrieben; der Teil der Ruhemasse und der kinetische Teil: 1 E = m0c 2 ( Ruheenergie) + m0v 2 ( kinetische Energie) 2 Solange die Geschwindigkeit eines Teilchens weniger als ≈0,1c ist, ist seine kinetische Energie viel kleiner als seine Ruhemasseenergie. 131 Beispiel: Wir betrachten eine Gewehrkugel der Masse 10 g, die sich mit einer Geschwindigkeit von 300 Meter pro Sekunde bewegt. Bestimme ihre kinetische und Ruhemasseenergie. Physik 132 Energie Kinetische Energie: Ekin 1 = m0 v 2 2 1 = × (0, 01kg) × (300 m / s)2 2 = 450 Joule Die Energie ist hoch genug, so dass die Kugel eine Planke durchdringt. Ruhemasseenergie; = (0, 01kg) × (3 × 108 m / s)2 E = m0 c 2 0 = 9 × 1014 Joule Diese Energie ist gleich der freigelassenen Energie einer mittelgrossen Atombombe. 3.5 Potentielle Energie der Gravitation Wir fahren nun weiter mit unserer Untersuchung der Teile der Gesamtenergie. Wir betrachten einen Ball, der von einer Höhe h frei fallen gelassen wird. Siehe Abb. 3. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia m0 Potentielle Energie der Gravitation Ruhe h 1m v 2 2 0 2 Geschwindigkeit v1=0 kinetische Energie = 0 m0 kinetische Energie = v2 FIGURE 3. Freier Fall eines Körpers. Wenn der Körper frei fällt, wird seine kinetische Energie zunehmen. Die potentielle Energie, die im Körper gespeichert wird, wenn er gehoben wird, wird sich in kinetische Energie umwandeln. Bevor der Körper losgelassen wird, ist er in Ruhe v1=0 und deshalb besitzt er keine kinetische Energie. Bevor er auf dem Boden landet, bewegt sich der Körper mit der Geschwindigkeit v2 und besitzt die kinetische Energie (1/2)m0v22. 133 Deshalb suchen wir die zusätzliche Form der Energie, d.h. die potentielle Energie, die im Körper gespeichert wird, wenn er auf eine Höhe h gehoben wird, und die sich in kinetische Energie umwandeln wird. Physik 134 Energie h= 1 2 gt 2 2 und v2 1 v2 g = 2 2 g 2g ⇒ 1 2 v2 = gh 2 v2 = gt Mit den Gleichungen der gleichförmig beschleunigten Bewegung finden wir eine Beziehung zwischen der Höhe und der Geschwindigkeit v2. h= Wenn wir diese Gleichung mit m0 multiplizieren, erhalten wir 1 m0 v22 = m0 gh 2 Am Anfang wird die Gesamtenergie des Körpers gleich 1 m0 v22 2 E1 = m0 c 2 + m0 gh sein, und am Ende ist sie gleich E2 = m0 c 2 + Die Gesamtenergie E in einem bestimmen Punkt der Höhe h ist gleich kinetische 1 2 2 E= m + m v + m0 gh 0c { 12 3 2 0 123 potentielle Ruhemasse Aus der Energieerhaltung folgt dass E=E1=E2. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Arbeit Beim freien Fall wird sich die potentielle Energie in kinetische Energie umwandeln. Die Ruhemasse ändert sich nicht und kann vernachlässigt werden. Was passiert, wenn der Körper auf dem Boden landet? Die kinetische Energie wird sich in andere Formen umwandeln, z.B. in Schallenergie, Wärmeenergie, Bodendeformationsenergie, usw... 3.6 Die Arbeit 3.6.1 Bewegung in einer Dimension Im Beispiel des frei fallenden Balls haben wir bewiesen, dass die potentielle Energie der Gravitation gleich E pot (h) = mgh ist, wobei m die Masse des Balls ist (wir nehmen an, dass die Geschwindigkeit des Balls sehr viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist). Das Ball fällt frei wegen der Gravitationskraft, die einen Betrag mg besitzt. ( mg) × h = ( Kraft ) × (Verschiebung) 135 Wir bemerken, dass der Betrag der Abnahme der potentiellen Energie und der, der Zunahme der kinetischen Energie, einander gleich sind, mit einem Wert Physik 136 Energie Wir definieren die Arbeit, die eine Kraft an einem Körper leistet, als das Produkt der Komponente der Kraft längs der Verschiebung und der Verschiebung, d.h. das Skalarprodukt der Vektoren r r r r W = F ⋅ ∆r = F ∆r cosθ wobei θ der Winkel zwischen dem Kraftvektor und dem Verschiebungsvektor ist. ∆x mg ∆x W=0 mg ∆x v Die Arbeit ist deshalb eine skalare Grösse. Sie nimmt einen positiven Wert an, wenn die Kraft und die Verschiebung in dieselbe Richtung zeigen, und einen negativen Wert, wenn sie entgegengestezte Richtungen haben. Siehe Abb. 4. mg W<0 Arbeit, die eine Kraft an einem Körper leistet. W>0 FIGURE 4. Die Einheit der Arbeit ist Joule (J) weil kg.m m2 1 N .m = 1 2 .m = 1 kg 2 = 1 J s s Die Arbeit besitzt deshalb dieselbe Einheit wie die Energie. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Arbeit 3.6.2 Bewegung in mehreren Dimensionen Wir betrachten z.B. den Fall einer Bewegung in mehreren Dimensionen. Die Kraft wird als eine Funktion des Ortsvektors geschrieben, die den Kraftvektor F am Punkt r darstellt: r r r F ≡ F(r ) y r1 F(r) x F(r) r2 F(r) Ein Teilchen bewegt sich entlang einer Bahn im Raum. Siehe Abb. 5. Die Arbeit wird berechnet entlang der Bahn und zwischen zwei Punkten 1 und 2. ey ex FIGURE 5. Ein Teilchen bewegt sich entlang einer Bahn in zwei Dimensionen, die zwei Punkte 1 und 2 verbindet. Die Kraft wird als eine Funktion des Ortsvektors definiert. Die Arbeit wird berechnet entlang der Bahn. Die Bahn zwischen den zwei Punkten 1 und 2 wird in differentielle 137 Strecken dr unterteilt, entlang denen die Kraft als konstant betrachtet Physik 138 Energie werden kann. Die geleistete Arbeit dW entlang dieser differentiellen Strecke ist gleich r r dW = F ⋅ dr Die gesamte geleistete Arbeit W wird berechnet als das Linieninter r r r gral von F entlang die Bahn zwischen den Punkten 1 und 2 r r1 2 2 r r r W12 = ∫ dW = ∫ F(r ) ⋅ dr r r1 Arbeit der Gewichtskraft. Wir berechnen die Arbeit der Gewichtskraft mit Hilfe des Linienintegrals. r r rr r r r r F ( r ) = − mg ey = mg und r = xex + yey r r Die von der Gewichtskraft geleistete Arbeit ist gleich r r r r1 r2 r r r r2 r r W12 = ∫ F ( r ) ⋅ dr = ∫ mg ⋅ dr = r r1 r r1 r 2 r r r r r r = mg ⋅ ∫ dr = mg ⋅ ( r2 − r1 ) = mg ⋅ ∆r = ( ) rr r r r = − mg ey ⋅ ( ∆xex + ∆yey ) = − mg ∆y = r ( g ≡ g > 0) = − mg( y 2 − y1 ) Das Ergebnis hängt nur vom Unterschied y2-y1 zwischen den Höhen der beiden Endpunkte ab. ( g > 0) Für den Fall des frei fallenden Balls, erhalten wir mit y2=0, y1=h, W12 = − mg(0 − h) = mgh Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Arbeit-Energie Theorem Die geleistete Arbeit hat einen positiven Wert, weil die nach unten gerichtete Gewichtskraft und die Verschiebung von y=h bis y=0 in derselben Richtung zeigen. Wenn der Ball vom Boden auf die Höhe h hochgezogen wird (d.h. y2=h, y1=0), hat die geleistete Arbeit einen negativen Wert, weil in diesem Fall die Gewichtskraft entgegengesetzt der Bewegung ist (d.h. man muss ziehen, um den Ball hochzuheben.) Fx = − kx Arbeit der Federkraft. Wir betrachten die von der Federkraft geleistete Arbeit. Es gilt für kleine Verschiebungen (Hookesches Gesetz) x x wobei der Ursprung der x-Achse die Gleichgewichtslage ist. Die geleistete Arbeit zwischen der (eindimensionalen) Verschiebungen x1 und ist gleich x2 2 2 1 W12 = ∫ F( x )dx = − k ∫ xdx = − k ( x22 − x12 ) 2 x1 x1 3.7 Das Arbeit-Energie Theorem Wir beginnen mit Newtons zweitem Gesetz in der vektoriellen Form r r r r r r F = ma ⇒ F ⋅ dr = ma ⋅ dr r r r r2 r2 r2 r r r r r dv r ⇒ ∫ F ⋅ dr = m ∫ a ⋅ dr = m ∫ ⋅ dr r r r dt r1 r1 r1 139 Wenn wir eine dreidimensionale Bewegung betrachten, erhalten wir Physik 140 Energie r r r2 r r2 dv r dv dv dv ⋅ dr = m ∫ x dx + y dy + z dz r dt dt dt dt r1 r r1 m∫ y2 z2 x 2 dv dv dv = m ∫ x dx + ∫ y dy + ∫ z dz dt dt x1 dt y1 z1 x v x1 vx v x1 vx ∫ 2 2 2 dv dx 1 x dx = ∫ dvx = ∫ vx dvx = (vx22 − vx21 ) dt dt 2 x1 Nun bemerken wir, dass gilt und deshalb ) 1 m vx22 + vy22 + vz22 − vx21 − vy21 − vz21 42 44 3 14 42 44 3 2 14 r r − v12 v 22 ( = 1 r2 1 r2 mv2 − mv1 2 2 r r2 r r 1 dv ⋅ dr = m vx22 − vx21 + vy22 − vy21 + vz22 − vz21 2 dt r r1 m∫ = r Die Arbeit, die an einem Körper geleistet wird, ist gleich der Änderung seiner kinetischen Energie. r2 r r r 1 1 r W12 = ∫ F ⋅ dr = mv22 − mv12 r 2 2 r1 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Allgemeine potentielle Energie r r r1 r ( ) r r1 r r r1 r Im Fall, dass viele Kräfte auf das Teilchen wirken, ist die Änderung der kinetischen Energie gleich der gesamten Arbeit, die von allen Kräften geleistete wird r r1 r2 r r r r r2 r r r 2 r r 2 r r W = ∫ F ⋅ dr = ∫ F1 + F2 + ... ⋅ dr = ∫ F1 ⋅ dr + ∫ F2 ⋅ dr + ... 3.8 Allgemeine potentielle Energie 3.8.1 Konservative und nicht-konservative Kräfte Wir haben zwei bestimmte Beispiele der geleisteten Arbeit berechnet: (1) die Arbeit der Gravitationskraft, (2) die Arbeit der Federkraft: W12 = − mg( h2 − h1 ) 1 W12 = − k ( x22 − x12 ) 2 In beiden Fällen hängt das Ergebnis nur von Anfangs- und Endpunkt der Bahn ab, d.h. die Arbeit ist unabhängig vom zurückgelegten Weg. Wenn ein Ball vom Boden auf die Höhe h hochgezogen wird, hat die von der Gravitationskraft geleistete Arbeit einen negativen Wert, weil die Gewichtskraft entgegengesetzt der Bewegung ist. Man muss ziehen, um den Ball hochzuheben. 141 Wir sagen, dass die von der Gravitationskraft geleistete Arbeit im Körper als potentielle Energie der Gravitation gespeichert wird. Da die Arbeit einen negativen Wert hat, wenn wir den Körper nach oben Physik 142 Energie ⇒ E pot ( h ) = mgh ziehen, definieren wir die Änderung der potentiellen Energie mit einem negativen Vorzeichen W = − ∆E pot = − mg( h − 0) = − mgh ⇒ ⇒ 1 W12 = −( E pot ( x 2 ) − E pot ( x1 )) = − k ( x 22 − x12 ) 2 W12 = −( E pot ( h2 ) − E pot ( h1 )) = − mg( h2 − h1 ) Die gespeicherte potentielle Energie wird in kinetische Energie umgewandelt, wenn der Körper frei nach unten fällt. Beispiele: Gravitationskraft: E pot ( h ) = mgh 1 2 kx 2 Federkraft: E pot ( x ) = In beiden Beispielen, die wir betrachtet haben, ist die von der Kraft geleistete Arbeit vom zurückgelegten Weg unabhängig. Deshalb können wir die potentielle Energie als eine Funktion von Anfangs- und Endpunkt des Wegs definieren. Es folgt aus der Definition der potentiellen Energie und ihrer Beziehung zur Arbeit, dass die geleistete Arbeit entlang einem geschlossenen Weg gleich null ist. Wenn wir einen Ball vom Boden auf die Höhe h hochziehen und ihn nachher wieder auf den Boden bringen, ist die geleistete Arbeit gleich null. Wir unterteilen alle Kräfte der Natur in zwei Gruppen: Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Allgemeine potentielle Energie 1) konservative Kräfte, wie die Gravitationskraft oder die Federkraft. Für diese Art von Kräften können wir eine potentielle Energie definieren. Die geleistete Arbeit entlang einem geschlossenen Weg ist gleich null. 2) nicht-konservative Kräfte, wie die Reibungskräfte. In diesem Fall kann keine potentielle Energie definiert werden. Wir bemerken, dass die von einer Reibungskraft geleistete Arbeit vom Weg abhängt. Je weiter wir einen Körper bewegen, der eine Reibungskraft spürt, desto mehr Arbeit wird geleistet. Wenn wir den Körper an den Anfangspunkt zurückbringen, ist die geleistete Arbeit nicht gleich null. 3.8.2 Mechanische Energie r Ges r 1 r 1 r ⋅ dr = mv22 − mv12 = ∆Ekin 2 2 Aus dem Arbeit-Energie Theorem folgt r r2 r r1 ∫F r konservative r ⋅ dr = − ∆E pot Die Gesamtarbeit der konservativen Kräfte kann mit Hilfe einer potentiellen Energie berechnet werden r r2 r r1 ∫F Emech = Ekin + E pot 143 Die Summe der kinetischen Energie und der potentiellen Energie eines Systems wird als mechanische Gesamtenergie Emech bezeichnet: Physik 144 Energie 3.8.3 Beziehung zwischen Kraft und potentieller Energie Allgemeine potentielle Energie r +F ) ⋅ drr = ∆E Physik Fx = − dE pot dx r r ) 145 Die Kraft ist somit die negative Ableitung der potentiellen Energie nach dem Ort x: erhalten wir r r r r r r dE pot = − Fx ex ⋅ dr = − Fx ex ⋅ ( dxex + dyey + dzez ) = − Fx dx Wenn die Kraft in der x-Richtung wirkt, d.h., r r F = Fx ex Für eine infinitesimale Verschiebungen dr folgt daraus r r dE pot = − F ⋅ dr r r1 2 r r r r ∆E pot = E pot ( r2 ) − E pot ( r1 ) = −W12 = − ∫ F ⋅ dr Aus der Definition der potentiellen Energie folgt Es ist klar, dass die Funktion Epot vom Ort abhängt. ( Allgemein können wir die geleistete Arbeit zwischen zwei Punkten 1 und 2 schreiben, als die Differenz der potentiellen Energie, gemessen an den Punkten 1 und 2 r r W12 = − ∆E pot = − E pot ( r2 ) − E pot ( r1 ) Falls nur konservative Kräfte wirken, d.h. r r FGes = Fkonservativ erhalten wir ∆E kin = − ∆E pot ⇒ ∆( E kin + E pot ) = 0 E mech = E kin + E pot = konst. r nk kin d.h. die mechanische Energie wird erhalten, wenn nur konservative Kräfte wirken. r r2 r r r r1 r 2 r r ⋅ dr + ∫ Fnk ⋅ dr = ∆Ekin konservative ∫ (F r r1 konservative r Wenn nicht-konservative Kräfte wirken gilt r r2 r r1 ∫F − ∆E pot + Wnk = ∆Ekin und man kann die Veränderung der mechanischen Energie berechnen Wnk = ∆Ekin + ∆E pot = ∆( Ekin + E pot ) = ∆E Die Änderung der mechanischen Energie ist gleich der Arbeit, die von nicht-konservativen Kräften geleistet wird. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 146 Energie Wir finden z.B. für die Federkraft dE d 1 pot F =− = − kx 2 = − kx dx dx 2 x Allgemeine potentielle Energie r r Die Gradientenoperation ist die Umkehrung des Linienintegrals r r1 2 r r r r E pot ( r2 ) − E pot ( r1 ) = − ∫ F ⋅ dr 3.8.4 Allgemeine potentielle Energie der Gravitationskraft Als wir die potentielle Energie der Gravitationskraft berechnet haben, haben wir benutzt, dass die Gewichtskraft konstant und gleich mg ist. Wenn die Kraft in einer beliebigen Richtung zeigt, d.h., r r r r F = Fx ex + Fy ey + Fzez müssen wir den sogenannten Gradienten benutzen, der die Ableitung der potentiellen Energie nach den drei Raumkoordinaten ist Wir wissen, dass dies nur in der Nähe der Erde gilt. Allgemein ist die Gravitationskraft gleich Physik r r r r r = xex + yey + zez 147 ist. Der Ortsvektor kann mit Hilfe seiner Komponenten ausgedrückt werden r GMm GMm E pot (r ) = − r = − r r Wir wollen nun beweisen, dass die allgemeine potentielle Energie, die der Gravitationskraft entspricht, gleich wobei M die Masse der Erde, und r der Abstandsvektor zwischen der Lage der Masse m und dem Erdzentrum ist. r r GMm r F=− 2 r r r r ∂E pot r ∂E pot r ∂E pot r F = − e + e + e ≡ −∇E pot ∂x x ∂y y ∂z z wobei wir den Nabla-Operator für die partiellen Ableitungen der potentiellen Energie eingeführt haben. Die partielle Ableitung einer Funktion, die von mehreren Variablen abhängt, ist die Ableitung nach einer Variablen, wenn die anderen konstant bleiben. z.B. f ( x, y ) = x 2 y 3 ∂f df ( x, y = konst.) d( x 2 ) = = y3 = 2 xy 3 ⇒ ∂x dx dx und ∂f df ( x = konst., y ) d( y 3 ) = = x2 = 3x 2 y 2 ∂y dy dy Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 148 Energie r r ∂ ∂ ∂ E E E pot r pot r pot r F = − e + e + e ≡ −∇E pot ∂x x ∂y y ∂z z Wir müssen beweisen, dass gilt d.h., r ? r GMm r 1 F =− ∇ − = GMm∇ r r r 1 ∂ 1 r ∂ 1r ∂ 1r e + e + e ∇ = r ∂x r x ∂y r y ∂z r z ) Um den Gradienten zu bestimmen, berechnen wir jede Komponente Wir erhalten ( ∂ 1 z =− 3 ∂z r r −1 / 2 ∂ 1 ∂ ∂ 1 = ( x 2 + y2 + z 2 ) = 1/ 2 = ∂x r ∂x ( x 2 + y 2 + z 2 ) ∂x −3 / 2 1 = − ( x 2 + y 2 + z 2 ) (2 x ) 2 x r3 =− und und eine ähnliche Herleitung gibt ∂ 1 y =− 3 ∂y r r ( ) und deshalb haben wir bewiesen, dass gilt r r r r r r r 1 1 1 r ∇ = − 3 xex + yey + zez = − 3 = − 2 r r r r r Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Allgemeine potentielle Energie r r r 1 GMm r F = GMm∇ = − 2 r r r 149 Wenn wir diese Beziehung benutzen, um die Kraft zu berechnen, finden wir Physik 150 Energie Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 4 Schwingungen und Resonanz Schwingungen sind Vorgänge, bei denen sich eine physikalische Grösse in Abhängigkeit von der Zeit periodisch ändert. Bei einer Schwingung bewegt sich z.B. ein Teilchen in einer periodischen Bewegung immer nur auf demselben Weg hin und her. 4.1 Harmonische Schwingungen 4.1.1 Sinus- und Kosinusförmige Bewegung Versuchsexperiment. Pendel bewegt sich sinusförmig 151 Wir betrachten ein Pendel. Eine Masse wird an einem Faden aufgehängt. Physik 152 Schwingungen und Resonanz Solche Bewegungen werden harmonische Schwingungen genannt. Harmonische Schwingungen 1 π 2 y = sin(θ ) = sin(ωt) π/2 Kreis θ 0 2π 5π 2 3π Es gilt d sin(ωt) = ω cos(ωt) dt d cos(ωt) = −ω sin(ωt) dt dx ( t) = Aω cos(ωt + φ ) dt v ( t = 0) = Aω cos(φ ) = v 0 Zur Zeit t=0 ist die Geschwindigkeit Physik 153 Bei maximaler Auslenkung ist die Geschwindigkeit null. Die Geschwindigkeit wird maximal, wenn die Masse durch die Gleichgewichtslage x=0 geht. v ( t) = und die erste zeitliche Ableitung, die die Geschwindigkeit liefert, ist gleich und wobei x0 der Anfangswert der Auslenkung ist. x ( t = 0) = A sin(φ ) ≡ x 0 Zur Zeit t=0 ist die Auslenkung x(t) gleich Die Amplitude A und die Phasenkonstante φ sind durch die Anfangsbedingungen festgelegt: Weil die Sinusfunktion nur Werte zwischen –1 und 1 annehmen kann, ist die grösste Auslenkung aus der Gleichgewichtslage gleich der Amplitude A, d.h. die Amplitude ist der Betrag der maximalen Auslenkung. Wenn wir die Masse aus seiner Gleichgewichtslage auslenken und sie loslassen, schwingt sie um die Gleichgewichtslage. Wie soll eine solche Bewegungskurve beschrieben werden? Wir beobacthen experimentell, dass für kleine Auslenkungen die Pendelbewegung gleich der Projektion einer Kreisbewegung ist. y 0 –1 3π 2 Siehe Abb. 1. Der Punkt läuft mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Kreis um. Die Projektion des umlaufenden Punktes auf die yAchse wird dargestellt als π ωt 3π/2 Figur 1. Die Pendelbewegung ist gleich der Projektion einer Kreisbewegung. Ein Punkt bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Kreis. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia wobei A die Amplitude, ω die Kreisfrequenz, und φ die Phasenkonstante ist. x ( t) = A sin(ωt + φ ) Daraus schliessen wir, dass die Bewegung, der am Pendel aufgehängten Masse um ihre Gleichgewichtslage, einen sinusförmigen Verlauf hat, der gegeben ist durch Lichtquelle 154 Schwingungen und Resonanz wobei v0 die Anfangsgeschwindigkeit ist. Mit Hilfe der Anfangsauslenkung und der Anfangsgeschwindigkeit werden die Konstanten A und φ festgelegt. z.B. für v0=0, π x (0) = A sin(φ ) = x 0 φ = ⇒ 2 v (0) = Aω cos(φ ) = 0 A = x 0 π ⇒ x ( t) = x sin(ωt + ) = x 0 cos(ωt) 2 0 Harmonische Schwingungen oder und so 2π ω ωT = 2π T= 1 ω = T 2π Die Frequenz ν ist die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde ν= 4.1.2 Horizontale Bewegung mit Federkraft (Federpendel) Die MKS-Einheit der Frequenz: Hertz (Hz) = 1/Sekunde sin(α + β ) = sin α cos β + cosα sin β Physik 155 wobei k die Federkonstante und x0 die Länge der entspannten Feder ist (Siehe Kapitel 2). Wir setzen x0=0, d.h. der Ursprung der x-Achse wird als die Gleichgewichtslage der Feder genommen. F = − k( x − x0 ) Für eine Verschiebung x aus der Gleichgewichtslage, gibt es eine Rückstellkraft, die nach dem Hookeschen Gesetz für kleine Verschiebung x proportional zu x ist: Wir betrachten nun die reibungsfreie Bewegung einer Masse, die mit einer Feder verbunden ist. Wir nennen eine solche Anordnung ein Federpendel. Siehe Abb. 2. Uns interessiert die eindimensionale Bewegung der Masse um ihre Gleichgewichtslage. Bemerkung. Harmonische Bewegungen können auch als Summe von Kosinus- und Sinusfunktionen ausgedrückt werden. Aus der Gleichung folgt x ( t) = A sin(ωt + φ ) = A sin ωt cosφ + A cosωt sin φ = B sin ωt + C cosωt wobei B, C Konstanten sind. Die Periode T der Schwingung ist definiert als die Zeit, die die Masse benötigt, um eine vollständige Schwingung durchzuführen. Bei einem vollständigen Zyklus erhöht sich die Phase der Sinusfunktion um 2π. Zur Zeit t+T unterscheidet sich die Phase um 2π von der Phase zur Zeit t: ω ( t + T ) + φ = 2π + ωt + φ Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 156 Schwingungen und Resonanz x F x F (Rückstellkraft) –kx F = –kx x Verschiebung Figur 2. Horizontales Federpendel. Die Feder versucht die Masse in ihre ursprüngliche Lage zurückzubringen. Wenn x=0 ist, sitzt die Masse in ihrer Gleichgewichtslage, und der Betrag der Federkraft ist gleich null. Wenn x verschieden von null ist, versucht die Federkraft die Masse in ihre Gleichgewichtslage zurückzubringen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen 4.1.3 Vertikale Bewegung mit Federkraft und aufgehängter Masse x=xG+∆x Im Fall, dass das Federpendel in vertikaler Richtung aufgehängt ist, wirken zwei Kräfte auf die Masse: die Federkraft und die Gravitationskraft. Siehe Abb. 3. F F = − k ( x − x 0 ) + mg Die Gesamtkraft, die auf die Masse wirkt, ist x0 xG Vertikales Federpendel. Gleichgewichtslage Figur 3. 157 Wenn wir die Masse an die Feder hängen, wird sich die Feder wegen der Gravitationskraft, die nach unten gerichtet ist, verlängern. Physik 158 Schwingungen und Resonanz Harmonische Schwingungen mg k Die Beschleunigung ist xG = x 0 + d.h. a= d2x dt 2 d2x k + x=0 dt 2 m dv d 2 x = dt dt 2 ⇒ dx ( t) = Aω cos(ωt + φ ) dt Durch die Ableitung nach der Zeit erhalten wir Physik 159 wobei A die Amplitude, ω die Kreisfrequenz, und φ die Phasenkonstante ist. x ( t) = A sin(ωt + φ ) Eine solche Bedingung erfüllen die Sinus- und Kosinusfunktionen. Wir schreiben den Ansatz 2 m d x ( t) x ( t) = − k dt 2 Diese Funktion x(t) ist bis auf den Faktor –(m/k) gleich ihrer zweiten Ableitung: Gesucht wird die Funktion x(t), die die Gleichung erfüllt. Diese Bewegungsgleichung wird eine Differentialgleichung genannt. Sie stellt eine Beziehung zwischen der Funktion x(t) und ihrer zweiten Ableitung dar. − kx = m Wir berechnen die Gleichgewichtslage xG als die Verschiebung, in welcher die Gesamtkraft gleich null ist: F ( xG ) = 0 = − k ( xG − x 0 ) + mg ⇒ ∆x = x − xG Nun sind wir an der Verschiebung der Masse relativ zur Gleichgewichtslage interessiert: Die Gesamtkraft ist F = − k ( ∆x + xG − x 0 ) + mg mg − x 0 ) + mg k = − k ( ∆x + x 0 + = − k∆x Wir schliessen daraus, dass die Rückstellkraft im Fall einer vertikal aufgehängten Masse auch proportional zur Verschiebung, gemessen relativ zur Gleichgewichtslage, ist. 4.1.4 Differentialgleichung der harmonischen Bewegung Mit Hilfe der Lösung einer Differentialgleichung werden wir die Kreisfrequenz der Schwingung als Funktion der physikalischen Grössen der schwingenden Anordnung bestimmen. Wir benutzen Newtons zweites Gesetz für den Fall, dass die Kraft proportional zur Verschiebung x ist, wobei der Ursprung der x-Ache (x=0) die Gleichgewichtslage der Masse ist: F = − kx = ma Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 160 Schwingungen und Resonanz und d 2 x ( t) = − Aω 2 sin(ωt + φ ) = −ω 2 x ( t) dt 2 k A sin(ωt + φ ) = 0 m d2x k + x=0 dt 2 m Wir setzen die Lösung x(t) in die Differentialgleichung ein und finden − Aω 2 sin(ωt + φ ) + ⇒ ω= m k und T = 2π k m Wir beobachten, dass die Zeitabhängigkeit verschwindet, wenn wir die Sinusfunktionen weglassen, und dass die Amplitude auch weggelassen werden kann. Es bleibt k −ω 2 + = 0 m D.h. die Kreisfrequenz ω ist durch die Federkonstante k und die Masse m festgelegt. Wir bemerken, dass 1. 2. 3. die Kreisfrequenz von der Federkonstante und der inversen Masse abhängt; die Kreisfrequenz unabhängig ist von der Amplitude A der Schwingung; sobald die Masse erst einmal harmonisch schwingt, sie diese Schwingung mit gleicher Amplitude, Kreisfrequenz und Phasenkonstante weiterführt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen 4.1.5 Das Fadenpendel Wir betrachten ein idealisiertes Fadenpendel. Es besteht aus einer punktförmigen Masse, die an einem masselossen Faden hängt. Wir betrachten keine Reibung. s = lθ Wenn das Pendel ausgelenkt und losgelassen wird, schwingt es unter der Wirkung der Gravitationskraft in einer vertikalen Ebene. Die Auslenkung s ist gleich wobei l die Länge des Fadens ist. Wir zerlegen die Gewichtskraft in eine tangentiale Komponente mgsinθ und eine radiale Komponente mgcosθ. Ftangential = − mg sin θ Die tangentiale Komponente ist eine rücktreibende Kraft, und wir schreiben deshalb Siehe Abb. 4. v tangential = l dθ dt und atangential = l d 2θ dt 2 161 Die Geschwindigkeit und die Beschleunigung können auch zerlegt werden. Für die tangentiale Geschwindigkeit und Beschleunigung gilt Physik 162 Fadenpendel. Schwingungen und Resonanz Figur 4. θ l mg sinθ s Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz folgt Ftangential = matangential d 2θ − mg sin θ = ml 2 dt s=lθ m mg und schliesslich finden wir die Differentialgleichung für die Bewegung des einfachen Fadenpendels d 2θ g + sin θ = 0 dt 2 l In diesem Fall ist die rücktreibende Kraft nicht proportional zur Auslenkung, sondern zum Sinus des Auslenkungswinkels. D.h. die Lösung dieser Gleichung ist nicht einfach harmonisch. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen – mg sin θ 2 π θ Um eine einfache harmonische Lösung zu finden, betrachten wir den Fall, in dem der Auslenkungswinkel klein ist, so dass mgθ sinθ≈θ sin θ ≈ θ Kraft und T= 2π l = 2π g ω 163 θ≈θ benutzen. Für kleine Auslenkungen kann man die Näherung sinθ 2 –π Siehe Abb. 5. Figur 5. d 2θ g + θ ≈0 dt 2 l Die Bewegungsgleichung wird vereinfacht g l mit einer einfachen harmonischen Lösung, wobei ω= die Periode T mit der Länge l zunimmt; Wir bemerken, dass 1. Physik 164 die Periode T unabhängig von der Masse m und der Schwingungsamplitude A ist; aus der Periode T die Erdbeschleunigung g bestimmbar ist. Schwingungen und Resonanz 2. 3. 4.1.6 Versuchsexperiment: Vergleich des Feder- und Fadenpendels Wir beweisen mit einem Vergleich ihrer Bewegungen, dass die Bewegungen des Feder- und Fadenpendels ähnlich sind. m k Die Periode des vertikalen Federpendels ist gleich TFeder = 2 π l g wobei m die Masse und k die Federkonstante ist. Die Periode des Fadenpendels ist TFaden = 2π wobei l die Länge des Fadens und g die Erdbeschleunigung ist. mg k Wenn die Masse an der vertikalen Feder aufgehängt wird, verlängert sich die Feder, bis das System seine Gleichgewichtslage erreicht, in dem die Federkraft die Gravitationskraft kompensiert. Die Verlängerung der Feder ist xG − x 0 = Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Energieerhaltung bei harmonischen Schwingungen mg k Wenn die Länge l des Fadens gleich der Verlängerung ist l = xG − x 0 = l mg m = 2π = 2π = TFeder g gk k ist die Periode des Fadenpendels gleich der des Federpendels: TFaden = 2π Beide Masse werden sich zusammen bewegen. 4.2 Energieerhaltung bei harmonischen Schwingungen 1 2 kx 2 Wir kennen den Ausdruck der potentiellen Energie, die in einer Feder gespeichert wird: E= wobei x die Verschiebungs ist. dx = Aω cos(ωt + φ ) dt 165 Wir kennen auch die analytische Lösung der harmonischen Schwingung x ( t) = A sin(ωt + φ ) v ( t) = und die Geschwindigkeit ist gleich Physik 166 Schwingungen und Resonanz potentielle Energie Mit diesen Beziehungen wird die gesamte mechanische Energie, die als die Summe der kinetischen und potentiellen Energie definiert ist, geschrieben als E = E kin + E pot kinetische Energie 1 1 = mv 2 + kx 2 2 2 1 1 = mA 2ω 2 cos2 (ωt + φ ) + kA 2 sin 2 (ωt + φ ) 2 44424443 1 2 44 1 42444 3 Nun bemerken wir, dass die Kreisfrequenz ω von k/m abhängt, so dass 2 1 1 k 1 k 1 mω 2 = m = m = k 2 2 m 2 m 2 ] und deshalb beide Teile der Gleichung für die Gesamtenergie denselben Faktor besitzen [ 1 E = kA 2 cos2 (ωt + φ ) + sin 2 (ωt + φ ) 2 1 2 kA 2 = Die gesamte mechanische Energie des Systems verändert sich nicht während der Schwingungsbewegung. Die Energie ist erhalten (natürlich, weil die wirkenden Kräfte rein konservativ sind, da wir keine Reibung betrachtet haben.) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Ged mpfte harmonische Schwingungen 4.3 Gedämpfte harmonische Schwingungen Bei der freien Schwingung bleibt die Gesamtenergie konstant. Einmal angeregt, wird die Masse unendlich lang weiterschwingen. Bei vielen Schwingungen bewegt sich die Masse nicht zwischen denselben Grenzen hin und her. In der Realität entziehen Reibungskräfte der Bewegung-Energie. Das System verliert mechanische Energie durch die von Reibungskräften geleistete Arbeit. Man spricht von gedämpften harmonischen Schwingungen. 167 Wir betrachten die idealisierte Situation, in der die Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit der Masse und immer ihr entgegengesetzt ist. F ( t) = FRückstellkraft + FDämpfungkraft = − kx ( t) − bv ( t) wobei b die Dämpfungskonstante ist. dx d2x = − kx − b dt dt 2 d 2 x b dx k + + x=0 dt 2 m dt m =m F = ma = − kx ( t) − bv ( t) Die Differentialgleichung ist dann d.h. Physik 168 Schwingungen und Resonanz Diese Gleichung ist die Bewegungsdifferentialgleichung der einfachen gedämpften harmonischen Schwingung. Nun müssen wir die Lösung x(t) vermuten. Der schwierigste Teil der Lösung einer Differentialgleichung ist, dass man schon den Ansatz vorher richtig raten muss, bevor man die Lösung finden kann. Der Ansatz ist in diesem Fall Amplitude Schwingung x ( t) = { Ae −δt sin( t4 +3 φ) 14ω 2 wobei δ der Dämpfungsfaktor ist. Die Lösung x(t) einer schwach gedämpften Schwingung ist in Abb. 6 gezeigt. Die Bewegung verläuft in Form einer harmonischen Schwingung, deren Amplitude allmählich abnimmt. k −δ2 m und δ= b 2m Mit Algebra findet man die Bedingungen für den Dämpfungsfaktor und die Kreisfrequenz ω= k m und ω = ω 02 − δ 2 Wir definieren als ω0 die Kreisfrequenz der freien Schwingungen ω0 = Wir diskutieren jetzt die möglichen Lösungen (Siehe Abb. 7), Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia ⇒ ω = ω 02 − δ 2 ω = ω0 = k m ⇒ Eine schwach gedämpfte Schwingung. Ged mpfte harmonische Schwingungen Figur 6. a) ungedämpfte Schwingung δ=0 b) gedämpfte Schwingung δ≠0 ω = ω 02 − δ 2 169 b1) δ < ω0: die Bewegung ist eine Schwingung mit einer gedämpften Amplitude. Aus der Gleichung Physik 170 Schwingungen und Resonanz k b δ 2 = < ω 02 = ⇒ 2m m 2 b < bk = 4 mk schliessen wir, dass die Kreisfrequenz der gedämpften Bewegung immer kleiner als die der freien Bewegung ist. Die Reibungskräfte verlangsamen die Schwingung. ⇒ Die Bedingung ist δ < ω0 d.h. die Dämpfungskonstante darf nicht zu gross sein, oder die Masse kann nicht schwingen. Wenn die Dämpfung zunimmt, wird sie einen kritischen Wert erreichen, bei dem keine Schwingung mehr auftritt. ⇒ b = bk = 4 mk = 2 mω 0 b2) δ = ω0: die Bewegung erreicht den aperiodischen Grenzfall, der kritische Dämpfung genannt wird. δ = ω0 Die Kreisfrequenz ist ω=0, und die Masse bewegt sich nur noch auf ihre Gleichgewichtslage hin, aber schwingt nicht. b3) δ > ω0: die Bewegung befindet sich im Bereich der überkritischen Dämpfung. Je grösser die Dämpfung, desto länger dauert die Rückkehr der Masse in die Ruhelage. Die Kreisfrequenz besitzt keine physikalische Bedeutung mehr, weil die Wurzel eines negativen Werts nicht reell ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Erzwungene Schwingungen und Resonanz Figur 7. Gedämpfte Schwingung. Die Auslenkung x(t) als Funktion der Zeit (t) und der Dämpfungskonstante b ist gezeigt. Wenn b grösser als der kritische Wert bk ist, gibt es keine Schwingungen mehr. 4.4 Erzwungene Schwingungen und Resonanz Obwohl die Wirkung von Reibungskräften nicht vermieden werden kann, ist es möglich, dem schwingenden System Energie zuzuführen, so dass die Reibungsenergieverluste kompensiert werden. 171 Wir können z.B. durch eine aufgezogene Feder Energie hineinbringen. Physik 172 Schwingungen und Resonanz Man spricht von erzwungenen Schwingungen. Wir betrachten eine, auf das schwingende System wirkende, äussere periodische Kraft, die kosinusförmig ist Fäussere = F0 cos(ωt) wobei ω die Kreisfrequenz der äusseren Kraft ist. Die Kreisfrequenz der freien Schwingung (die Eigenkreisfrequenz) wird als ω0 bezeichnet. Experimentell beobachten wir, dass nach einer nicht-stationären Schwingung (Einschwingvorgang), bei der sich die Masse kompliziert bewegt, die Masse dann mit der Kreisfrequenz der äusseren Kraft schwingt. Figur 8. Erzwungene Schwingung. Nach einer nicht-stationären Schwingung, wird die Masse mit der Kreisfrequenz der äusseren Kraft schwingen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Erzwungene Schwingungen und Resonanz Wir suchen die stationäre Lösung. m dx d2x +b + kx = F0 cos(ωt) dt dt 2 dx d2x = − kx − b + F0 cos(ωt) dt dt 2 Die Bewegungsgleichung einer schwingenden Masse, die an eine Feder mit Federkonstante k gebunden ist, und einer Reibungskraft – bv und der antreibenden Kraft F0cosωt unterworfen ist, ist d.h. m Der stationäre Ansatz wird geschrieben als x ( t) = A cos(ωt − α ) wobei ω die Kreisfrequenz der äusseren Kraft, A die Amplitude und α eine Phasenkonstante ist. Die Amplitude und die Phase der Schwingung hängen von der Amplitude und der Winkelgeschiwndigkeit der äusseren Kraft, von der Kreisfrequenz der freien Schwingung ω0, und vom Dämpfungsfaktor b ab. 173 Die Ausdrücke für A und α können leicht mit Algebra gefunden werden. Physik 174 Schwingungen und Resonanz Erzwungene Schwingungen und Resonanz reell 2 2 ω )+ (1k4−2m4 3 (− mω imaginär F ib ω = 0 e iα { A + ibω + k ) Ae − iα = F0 − mω 2 Ae i(ωt −α ) + ibωAe i(ωt −α ) + kAe i(ωt −α ) = F0e iωt m(−ω 2 z( t)) + b(iωz( t)) + kz( t) = F0e iωt Wenn wir diese Gleichung in der Differentialgleichung einsezten, finden wir dz d 2z + b + kz = F0e iωt dt dt 2 ist. Physik F0 2 m 2 (ω 02 − ω 2 ) + b 2ω 2 und ω0 = k / m tan α = bω m(ω 02 − ω 2 ) 175 wobei die Winkelgeschwindigkeit der freien Schwingung (die Eigenkreisfrequenz) A= Wenn wir nach der Amplitude und der Phase auflösen, finden wir F0 cosα = k − mω 2 A F0 sin α = bω A Nun betrachten wir den rellen und den imaginären Teile der Gleichung. Es gilt d.h. Wir lösen die Differentialgleichung mit Hilfe der komplexen Zahlen. Wir schreiben eine neue Gleichung, die für z in der komplexen Ebene gilt m Gesucht ist die komplexe Lösung z(t). Wegen der Eulerschen Formel, e iθ = cosθ + i sin θ ist die Lösung x(t) gleich der reellen Projektion der komplexen Lösung z(t) x ( t) = Re z( t) Um die Differentialgleichung zu lösen, verwenden wir den folgenden komplexen Ansatz z( t) = Ae i(ωt −α ) Die zeitlichen Ableitungen sind dz = Aiωe i(ωt −α ) = iωz( t) dt d 2z = A(iω ) 2 e i(ωt −α ) = −ω 2 z( t) dt 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 176 Schwingungen und Resonanz Wir schliessen daraus, dass die Amplitude und die Phase stark von der Kreisfrequenz der treibenden Kraft abhängen. Wenn die Kreisfrequenz der treibenden Kraft in der Nähe der Eigenkreisfrequenz ist, wird die Amplitude der Schwingung zunehmen. Eine Resonanzbedingung wird erreicht, wenn die Amplitude der Schwingung viel grösser als die der antreibenden Kraft ist (Siehe Abb. 9), Wenn wir die Energie des Systems betrachten, beobachten wir, dass die von der treibenden Kraft geleistete Arbeit Energie zuführt, die die Schwingungsamplitude vergrössert. Diese Energie wird auch durch Reibung verloren. Zwischen zugeführter und verlorener Energie stellt sich schliesslich ein Gleichgewicht ein. Die Masse schwingt mit der Kreisfrequenz der treibenden Kraft ω und einer Amplitude die von ω und ω0 abhängt. Figur 9. Erzwungene Schwingung. Wenn die Kreisfrequenz der antreibenden Kraft in der Nähe der Eigenkreisfrequenz ist, wird die Amplitude der Schwingung zunehmen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Erzwungene Schwingungen und Resonanz Für eine Kreisfrequenz ω stark verschieden von der Eigenkreisfrequenz ω0, folgt α ≈ 0. Ist ω0≈ω, wird α ≈ π/2. b2 2m 2 Die Rezonanzbedingung, bei der die Amplitude maximal wird, ist ω ≈ ω Resonanz = ω 02 − dx = − Aω sin(ωt − α ) dt Die Geschwindigkeit der Masse kann mit der Ableitung nach der Zeit gefunden werden v ( t) = Im Resonanzfall, wenn α ≈ π/2, sind die Geschwindigkeit und die treibende Kraft in Phase π v ( t) = − Aω sin(ωt − ) = A cos(ωt) 2 177 Die Beziehung der Amplitude als Funktion des Verhältnisses ω/ω0 ist in Abb. 10 für verschiedene Dämpfungsfaktoren gezeigt.Für b=0 (d.h. keine Dämpfund) wird die Amplitude unendlich, wenn die Resonanzbedingung erreicht wird. Physik 178 Schwingungen und Resonanz Figur 10. Amplitude der erzwungenen Schwingung. Die verschiedenen Kurven entsprechen verschiedenen Dämpfungsfaktoren. Für b=0 (keine Dämpfung) wird die Amplitude unendlich, wenn die Resonanzbedingung erreicht wird. Versuchsexperiment. Tacoma Brücke. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 5 Mechanische Wellen 5.1 Was sind Wellen? Wir betrachten ein Medium in seiner Gleichgewichtslage. Wenn wir eine physikalische Eigenschaft dieses Mediums in einem Punkt stören, wird sich diese Störung durch das Medium ausbreiten. Diese Störung wird eine Welle genannt. Man spricht von Wellenausbreitung. 179 Als Medium können wir viele verschiedene Beispiele erwähnen, z.B. ein Seil, eine Saite, ein Festkörper, die Luft, Wasser, usw... 5.2 Seil- oder Saitenwellen Wir betrachten ein Seil. Physik 180 Wenn wir es mit einem kurzen seitlichen Ruck auslenken, beobachten wir, dass die anfängliche Auslenkung als Wellenberg mit konstanter Geschwindigkeit entlang dem Seil wandert. Siehe Abb. 1. Mechanische Wellen Der Zusammenhang zwischen der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen und den physikalischen Eigenschaften des Seils kann mit Hilfe der Newtonschen Gesetze hergeleitet werden. 5.2.1 Ausbreitungsgeschwindigkeit transversaler elastischer Seilwellen Seil- oder Saitenwellen Ein Massenelement kann sich in der vertikalen Richtung um seine Ruhelage bewegen. Wir unterteilen das Seil in viele differentielle Massenelemente dm. Wir sagen, dass sich die transversale Auslenkung als eine Welle ausbreitet. a) Zur Zeit t=0 kann die Form des Seils durch eine Funktion ξ(x) beschrieben werden, wobei ξ die Auslenkung des Seils ist. Jede bestimmte Koordinate x entspricht einem Massenelement. Nach einiger Zeit ist der Wellenberg weitergewandert und die Form des Seils ist nun durch eine andere Funktion gegeben. b) c) Die Form des Seils als Funktion der Zeit kann deshalb durch eine Funktion von zwei Variablen ausgedrückt werden Physik Fy = S sin α ′ − S sin α 181 Wir betrachten nun ein einzelnes Massenelement. Die auf das Massenelement wirkende resultierende vertikale Komponente der Kraft ist wobei x die Raumkoordinate, und t die Zeit ist. Diese Funktion, die Wellenfunktion heisst, beschreibt die Ausbreitung der Wellen durch eine Anordnung aller Massenelemente des Seils als Funktion der Zeit. ξ ( x, t) d) Figur 1. Ausbreitung einer Seilwelle. Der Wellenberg wandert mit konstanter Geschwindigkeit. Man kann sich die Wellen als Auslenkung kleiner Massenlemente des Seils vorstellen. Wir bemerken, dass die einzelnen Massenelemente des Seils durch die Wellenbewegung nicht transportiert werden: Sie schwingen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Welle. Sie bleiben so lange in Ruhe, bis der Wellenberg sie erreicht, führen dann eine Schwingung um ihre Ruhelage aus und kehren schliesslich in den Ruhestand zurück. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 182 Mechanische Wellen α S α' ξ(x+dx) x+dx dm S ξ(x) x Kräfte, die auf das Massenelement dm wirken. x wobei S die Spannung des Seils ist. α und α’ sind die Winkel an beiden Enden des Massenelements zu Horizontalen (die Gravitationskraft wird als vernachlässigbar gegenüber der Spannung vorausgesetzt.). Siehe Abb. 2. y Figur 2. Für kleine Auslenkungen gilt die genäherte Gleichung Fy ≈ S tan α ′ − S tan α ∂ξ ( x, t) ∂x und tan α ′ = ∂ξ ( x + dx, t) ∂x Die Steigung des Seils im Punkt x ist gleich der Ableitung nach x der Auslenkung. Da die Funktion ξ von zwei Variablen abhängt, müssen wir eine partielle Ableitung benutzen: tan α = Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Seil- oder Saitenwellen D.h. die resultierende vertikale Kraft kann als Funktion der Ableitung der Auslenkungsfunktion geschrieben werden Fy ≈ S tan α ′ − S tan α ∂ 2ξ dx ∂x 2 ∂ξ ( x + dx, t) ∂ξ ( x, t) = S − ∂x ∂x ≈S wobei wir differentielle dx-Segmente angenommen haben. ∂ξ ∂t und a( x, t) = S ∂ 2ξ ∂ 2ξ dx = dm 2 ∂x 2 ∂t ∂ 2ξ ∂t 2 Die Geschwindigkeit und die Beschleunigung der differentiellen Segmente können mit Hilfe der zeitlichen partiellen Ableitungen gewonnen werden: v ( x, t) = ⇒ Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz folgt Fy = ( dm) a M L ⇒ dm = ρdx 183 Wir führen nun die Gesamtmasse des Seils M und seine Länge L ein. Die Längendichte ρ des Seils wird definiert als ρ= Die Einheit der Längendichte ist Masse/Länge, d.h. kg/m. Physik 184 Mechanische Wellen ⇒ ∂ 2ξ S ∂ 2ξ = ∂t 2 ρ ∂x 2 Mit Hilfe der Definition der Längendichte gilt die folgende Bewegungsgleichung ∂ 2ξ ∂ 2ξ dx = ρdx 2 ∂t ∂x 2 Seil- oder Saitenwellen geschrieben werden, wobei v der Ausbreitungsgeschwindigkeit (oder Phasengeschwindigkeit) der Welle entspricht. Diese Gleichung stellt eine Welle dar, die sich ohne Dispersion in die negative x-Richtung (+) oder die positive x-Richtung (–) ausbreitet. Wir betrachten z.B. eine Welle, die sich in positiver x-Richtung bewegt. S Diese Gleichung wird die Differentialgleichung der Wellenausbreitung genannt. Siehe Abb. 3. v×t v ξ′ = ξ′( x ′) y' O' Bewegtes Koordinatensystem. beschrieben. y O Figur 3. Physik v x,x' 185 Der Wellenberg bewegt sich bezüglich des Ursprungs O mit der Geschwindigkeit v längs der positiven x-Achse. Im mitbewegten System mit Ursprung O’ wird die Bewegung für beliebige Zeiten durch Im allgemein nennt man eine Gleichung der Form ∂ 2ξ ∂ 2ξ −K 2 =0 ∂t 2 ∂x Wellengleichung, wobei K eine Konstante ist. Wir beweisen nun, dass die Konstante K der Ausbreitungsgeschwindigkeit im Quadrat entspricht. 5.2.2 Allgemeine Lösung der Wellengleichung Wir suchen eine Funktion ξ(x,t), die die Wellengleichung erfüllt. Im Fall der Seilwellen beschreibt ξ(x,t) die transversale Auslenkung des Seils. Gewöhnlich wird sich die Form eines Wellenberges mit der Zeit verändern. Dieser Effekt heisst Dispersion. Wir werden die Dispersion vernachlässigen und eine stabile Form des Wellenberges annehmen. Wenn ξ(x,t) die zeitliche und räumliche Ausbreitung der Wellen darstellt und es keine Dispersion gibt, sind die zwei Variablen x und t nicht voneinander unabhängig. Die Ausbreitung der Wellen kann als ξ ( x, t) = ξ ( x ± vt) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 186 Mechanische Wellen ⇒ ξ ( x, t) = ξ ( x ′, 0) = ξ ( x − vt, 0) Damit lautet die Wellenfunktion im nicht bewegten Koordinatensystem. x ′ = x − vt Wir werden beweisen, dass die Geschwindigkeit der Ausbreitung mit Hilfe der Differentialgleichung bestimmt werden kann. ∂ξ ( x, t) ∂ξ ∂x ′ ∂ξ ∂ 2ξ ( x, t) ∂ 2ξ = = (−v ) ⇒ = v2 ∂t ∂x ′ ∂t ∂x ′ ∂t 2 ∂x ′ 2 ∂ξ ( x, t) ∂ξ ∂x ′ ∂ξ ∂ 2ξ ( x, t) ∂ 2ξ = = ⇒ = ∂x ∂x ′ ∂x ∂x ′ ∂x 2 ∂x ′ 2 Seil- oder Saitenwellen S ρ ⇒ v=± S ρ Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Seilwellen wird damit vorausgesagt als v2 = wobei S die Spannung des Seils oder der Saite, und ρ die Längendichte ist. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt nur von den Eigenschaften des Seils ab. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit nimmt mit der Spannung zu. Je grösser die Spannung ist, desto schneller wird das Massenelement in seine Gleichgewichtslage zurückkehren. Versuchsexperiment: Seilwelle: Ausbreitungsgeschwindigkeit bei verschiedenen Spannungen. Wir erhalten daraus ∂ 2ξ ( x, t) ∂ 2ξ ∂ 2ξ ( x, t) = v2 = v2 ∂t 2 ∂x ′ 2 ∂x 2 2 2 [m ] = m [s ] s Die Ausbreitungsgeschwindigkeit nimmt mit der Längendichte ab. Je grösser die (träge) Masse ist, desto langsamer wird das Massenelement in seine Gleichgewichtslage zurückkehren. ] m / s2 = kg / m [kg D.h. die Ausbreitungsgeschwindigkeit kann direkt von der Differentialgleichung abgelesen werden. = Wir bemerken, dass die Einheiten der Gleichung gegeben sind durch [N ] [kg / m] d.h., die Einheit entspricht wirklich einer Geschwindigkeit. Physik 187 5.2.3 Ausbreitungsgeschwindigkeit von Seilwellen Wir verwenden das Ergebnis ∂ 2ξ ( x, t) ∂ 2ξ ( x, t) − v2 =0 ∂t 2 ∂x 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 188 In Abb. 4 beobachten wir zwei Wellenberge, die sich in entgegensetzten Richtungen bewegen. 5.3 Prinzip der Superposition Mechanische Wellen Ist ξ1(x-vt) die Wellenfunktion der sich in positiver x-Richtung bewegenden Welle und ξ2(x+vt) der sich in negativer x-Richtung bewegenden Welle, so ist die Gesamtwellenfunktion die mathematische Summe der Einzelwellenfuntkionen: Prinzip der Superposition ξ ( x, t) = ξ1 ( x − vt) + ξ2 ( x + vt) Im Fall, dass die Wellen entgegengesetzte Amplituden haben, werden sie einander auslöschen (siehe Abb. 5.) a) b) c) d) Figur 5. Prinzip der Superposition. Die resultierende Welle wird durch Addition beider Wellen gefunden. Physik 189 Wenn sich die beiden Wellenberge treffen, ist die gesamte Auslenkung des Seils gleich der Summe der Auslenkungen der einzelnen Wellenberge. Nachher trennen sich die Wellenberge wieder und laufen weiter, ohne dass sich ihre Form geändert hat. a) b) c) d) Figur 4. Zwei Wellen begegnen sich. In c) ist die resultierende Amplitude gleich der Summe der Amplituden der beiden einlaufenden Wellen. Diese fundamentale Eigenschaft von Wellen wird das Prinzip der Superposition genannt. Mathematisch wird diese Eigenschaft einfach ausgedrückt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 190 Mechanische Wellen 5.4 Harmonische Wellen Wenn wir das Ende eines Seils in Form einer harmonischen Schwingung auf und ab bewegen, wird sich längs des Seils eine sinusförmige Welle ausbreiten. Eine solche Welle wird als harmonische Welle bezeichnet. Siehe Abb. 6. Die laufende Welle kann mit Hilfe einer Sinusfunktion geschrieben werden ξ ( x, t) = ξ ( x ± vt) = ξ0 sin( k ( x ± vt)) ω v Sinusförmige Welle. λ x wobei k die Wellenzahl (oder Wellenvektor), und ξ0 die Amplitude ist. Figur 6. Der Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Wellenkämmen wird die Wellenlänge λ genannt. Die Form der Welle wiederholt sich im räumlichen Abstand einer Wellenlänge. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Superposition harmonischer Wellen ⇒ k= 2π λ Die Wellenzahl hängt mit der Wellenlänge zusammen. Aus der Raumabhängigkeit des Arguments der Sinusfunktion folgt k ( x + λ ) = kx + 2π ⇒ kλ = 2π Die Wellenfunktion kann als Funktion der Kreisfrequenz ω berechnet werden ξ ( x, t) = ξ0 sin( k ( x ± vt)) = ξ0 sin( kx ± kvt) oder v= ω k = ξ0 sin( kx ± ωt) wobei für die Kreisfrequenz gilt ω = kv 5.5 Superposition harmonischer Wellen Die durch Superposition harmonischer Wellen resultierende Welle hängt von den Phasen der ursprünglichen Wellen ab. 191 Wir betrachten z.B. zwei harmonische Wellen, die von zwei gleichen Quellen Q1 und Q2 mit derselben Amplitude, derselben Frequenz und einem bestimmten Phasenunterschied kommen. Die zwei Wellen treffen sich in einem Punkt P, der sich im Abstand x1 von Q1, und x2 von Q2 befindet. Siehe Abb. 7. Wir betrachten einen bestimmten Zeitpunkt. Physik 192 Mechanische Wellen Superposition harmonischer Wellen Für Physik harmonische Welle n = 0,1, 2,... 1 2 A cos (δ + k∆x ) 2 1 (δ + k∆x ) = nπ 2 1 1 (δ + k∆x ) = n + π 2 2 n = 0,1, 2,... 193 ist der Gangunterschied so, dass die beiden Wellen in Phase sind. Die resultierende Welle besitzt die doppelte Amplitude. Man spricht von konstruktiver Interferenz. Für d.h. die resultierende Welle ist eine harmonische Welle mit derselben Frequenz und derselben Wellenzahl wie die einlaufenden Wellen. Die Phase unterscheidet sich von beiden ursprünglichen Wellen. Die Amplitude der resultierenden Welle ist gleich Amplitude 1 1 = 2 A cos (δ + k∆x ) sin kx1 − ωt + (δ + k∆x ) 2 1444 2444 3 144442244443 1 1 ξ = 2 A sin kx1 − ωt + (δ + k∆x ) cos (δ + k∆x ) 2 2 1 1 sin α + sin β = 2 sin (α + β ) cos (α − β ) 2 2 Aus der Gleichung Q2 folgt Wegen des Prinzips der Superposition ist die resultierende Welle im Punkt P gleich der Summe der zwei einlaufenden Wellen: X1 X2 Q1 ξ ( x, t) = ξ1 ( x, t) + ξ2 ( x, t) = A sin( kx1 − ωt) + A sin( kx 2 − ωt + δ ) Gangunterschied. P wobei δ der Quellenphasenunterschied ist. Figur 7. Weil die Wellen verschiedene Wege zurückgelegt haben, erreichen sie den Punkt P mit einer zusätzlichen Phase. Diese Wegdifferenz wird als der Gangunterschied ∆x bezeichnet ∆x = x 2 − x1 ⇒ ξ = A sin( kx1 − ωt) + A sin( k ( x1 + ∆x ) − ωt + δ ) = A sin( kx1 − ωt) + A sin( kx1 − ωt + (δ + k∆x )) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 194 Mechanische Wellen addieren sich die Wellen zu null, weil sie gleich grosse, aber entgegengesetzte Amplituden besitzen. Man spricht von destruktiver Interferenz, und die resultierende Welle verschwindet. 5.6 Stehende Wellen 5.6.1 Eigenschwingungen eines Seils Versuchsexperiment: Eigenschwingung einer Saite Ein Seil ist an zwei Wänden fixiert. Wenn wir das Seil mit einer äusseren Kraft in Form einer harmonischen Schwingung auslenken, beobachten wir für bestimmte Frequenzen eine stehende Welle. Die Amplitude der Schwingung ist in diesem Fall gross. Man spricht von Resonanzfrequenzen. Die tiefste Frequenz heisst Grund- oder erste Eigenfrequenz ν1. Die Welle wird als erste Harmonische bezeichnet. Die zweite Eigenfrequenz ν2 hat die doppelte Frequenz. Siehe Abb. 8. Die Schwingung (d.h. die zweite Harmonische) besitzt einen Knoten und zwei Bereiche, die Bäuche genannt werden. Allgemein besitzt die n-te Harmonische (d.h. die stehende Welle miz der Eigenfrequenz νn) genau n Bäuche und n-1 Knoten. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Stehende Wellen λ =L 2 n = 1, 2, 3,... Um die Eigenfrequenzen zu bestimmen, bemerken wir, dass für eine stehende Welle die Länge L der Saite gleich einem ganzzahligen Vielfachen von λ/2 sein muss: n 2L n n = 1, 2, 3,... D.h. es gibt eine unendliche Anzahl von Eigenfrequenzen, die die Wellenlänge λn besitzen, wobei gilt λn = v v =n 2L λn (n = 1, 2, 3,...) Aus dieser Bedingung für stehende Wellen können wir die Eigenfrequenzen νn der n-ten Harmonischen ableiten, als υn = v 2L und υ n = nυ1 wobei v die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle in der Saite ist. Die Frequenz der n-ten Harmonischen kann als Funktion der Grundfrequenz (der ersten Harmonischen) ausgedrückt werden υ1 = S ρ ⇒ υ1 = 1 S 2L ρ Aus der Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit folgt v= 195 wobei S die Spannung der Saite, und ρ die Längendichte ist, d.h. die Harmonischen der Saite können mit Hilfe der Spannung geändert werden. Physik 196 Saite L λ 1 = 2L 1 λ 3 = 2L 3 λ 2 = 2L 2 Dritte Harmonische λ 5 = 2L 5 λ 4 = 2L 4 5-te Harmonische 2L n λ n= Eigenschwingungen einer Gitarrensaite. n-te Harmonische 4-te Harmonische zweite Harmonische erste Harmonische Mechanische Wellen Figur 8. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Stehende Wellen 5.6.2 Wellenfunktionen stehender Wellen und ξ2 ( x, t) = ξ0 sin( kx + ωt) Wir betrachten zwei Wellen gleicher Wellenzahl, Frequenz und Amplitude, und entgegengesetzter Ausbreitungsrichtung. ξ1 ( x, t) = ξ0 sin( kx − ωt) = ξ0 sin( kx − ωt) + ξ0 sin( kx + ωt) = 2ξ0 sin( kx )cos(ωt) ξ ( x, t) = ξ1 ( x, t) + ξ2 ( x, t) Aus dem Prinzip der Superposition folgt, dass die resultierende Welle gleich ist. Es folgt, dass ein Punkt an einem beliebigen Ort x eine einfache harmonische Bewegung hat, und dass die Amplitude von Ort zu Ort verschieden ist. für alle Zeiten t Ist die Saite an beiden Enden (d.h. bei x=0 und x=L) fest eingespannt, gibt es eine Randbedingung, die für alle Zeiten gelten muss ξ (0, t) = ξ ( L, t) = 0 für alle Zeiten t Die Bedingung ist bei x=0 immer erfüllt. Bei x=L muss gelten ξ ( L, t) = 2ξ0 sin( kL)cos(ωt) = 0 ⇒ sin( kL) = 0 k n L = nπ n = 1, 2, 3,... 197 Die Bedingung wird erfüllt, wenn die Wellenzahl die folgenden Werte besitzt Physik 198 Mechanische Wellen 2L n 2π L = nπ λn oder in Wellenlängen ausgedrückt oder λn = n = 1, 2, 3,... n = 1, 2, 3,... Dieses Ergebnis entspricht genau der Bedingung für stehende Wellen, die wir schon gesehen haben. nπ und ω n = 2πυ n L ( n = 1, 2, 3,...) ξn ( x, t) = ξn sin( kn x )cos(ω m t) Die Wellenfunktion für die n-te Harmonische kann daher ausgedrückt werden als wobei kn = 5.7 Wellen im Festkörper Longitudinale und transversale Wellen können sich durch Festkörper ausbreiten. Ein Schlag an eine Ende eines festen Stabs pflanzt sich z.B. längs des Stabs fort, und wird schliesslich an das andere Ende des Stabs gelangen. Versuchsexperiment. Welle im Messingstab. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellen im Festk rper Longitudinale Wellen können sich in allen Medien ausbreiten, die Volumenelastizität besitzen, wie z.B. in Festkörpern, aber auch in flüssigen und gasförmigen Stoffen. Es muss eine Rückstellkraft wirken, die der Volumenänderung entgegen gerichtet ist. Transversale Wellen sind etwas komplizierter, da bei ihnen Schubkräfte an den Massenlementen des Körpers angreifen müssen, um sie wieder in ihre Ausgangslage zurückzutreiben. Solche Wellen breiten sich nur in festen Körpern aus. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der longitudinalen elastischen Wellen in einem Festkörper lässt sich mit einem Gesetz über elastische Deformationen herleiten. ] Der Ausdruck für die Ausbreitungsgeschwindigkeit kann mit einer Dimensionsbetrachtung vermutet werden. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Festkörperdeformationen im Quadrat muss umgekehrt proportional zur Dichte des Körpers sein [ m 2 Y v2 3 = s ρ kg / m M V 199 wobei Y eine Konstante ist. Die Dichte (oder Volumendicthe) ρ wird definiert als ρ= wobei M die Masse des Körpers und V das Volumen ist. Die Einheit der Dichte ist Masse/Volumen, d.h. kg/m3. Physik 200 Mechanische Wellen Die Konstante Y muss die folgende Einheit besitzen: kg m 2 kg kg.m N Y= 3 = 2= 2 2= 2 m s m.s m s m Sie wird Elastizitätsmodul Y genannt. Allgemein ändert ein Körper seine Form, wenn Kräfte an ihm ziehen oder ihn komprimieren. Wenn der Körper seine ursprüngliche Form wieder annimmt, wenn die Kräfte nicht mehr wirken, dann heisst die Deformation elastisch. Die meisten Körper sind nur bis zu einer bestimmten Grenze der Kräfte elastisch, die Elastizitätsgrenze genannt wird. ∆l = YAε l Innerhalb der Elastizitätsgrenze eines Metallstabs gilt das Hookesche Gesetz F = YA ∆l l wobei F die Kraft, die an dem Stab zieht, A der Querschnitt des Stabs und Y das Elastizitätsmodul ist. Die relative Längenänderung (oder Dehnung) ist ε= Nach dem Hookeschen Gesetz ist die Dehnung des Stabs proportional zu der Kraft geteilt durch den Querschnitt. Einige repräsentative Ausbreitungsgeschwindigkeiten in verschiedenen Medien sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellen im Festk rper Elastizitätsmodul (N/m2) TABLE 1. Ausbreitungsgeschwindigkeit Stoff Gase 201 Ausbreitungsgeschwindigkeit (m/s) 331 343 Luft 0°C Luft 20°C 1284 965 1402 Helium 20°C Flüssigkeiten Wasserstoff 20°C Wasser 0°C 6000 5941 6420 1522 Festkörper 1482 1x1011 Wasser 20°C Aluminium Seewasser 20°C Stahl 2x1011 Granite Physik 202 Mechanische Wellen Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 6 Relativität 6.1 Relativbewegung Im ersten Kapitel (Mechanik) haben wir gelernt, dass sowohl Ruhe wie Bewegung relative Begriffe sind. Wenn ein Zug z.B. durch eine Station fährt, befindet er sich relativ zur Station in Bewegung. Ein Passagier des Zuges kann aber genau so gut sagen, dass sich die Station relativ zum Zug in Bewegung befindet, und zwar in entgegengesetzter Richtung. D.h., die Bewegung muss immer relativ zu einem bestimmten Koordinatensystem (oder Bezugssystem) definiert werden. Wir sagen, dass ein Bezugssystem vom Beobachter gewählt wird. Siehe Abb. 1. 203 Der Beobachter befindet sich im Ursprung seines Bezugssystems. Seine Beobachtungen und seine Experimente werden relativ zu seinem Bezugssystem durchgeführt. Physik 204 Relativität Figur 1. ez e y Ursprung O z y Beobachter ex x Definition des Beobachters und seines Bezugssystems. Im Beispiel des Zuges, der durch die Station fährt, haben wir zwei Beobachter mit zwei verschiedenen Bezugssystemen betrachtet. Ein Beobachter, der sich mit dem Zug bewegt, und ein zweiter, der sich in Ruhe in der Station befindet. Da verschiedene Beobachter verschiedene Bezugssysteme verwenden, ist es wichtig zu wissen, wie Beobachtungen, die von verschiedenen Beobachtern gemacht werden, miteinander in Beziehung stehen. 6.1.1 Transformation von einem Bezugssystem ins andere Wir betrachten zwei Beobachter O und O’, die sich relativ zueinander bewegen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Relativbewegung y R(t) r(t) x z' O' y' r'(t') x' Beide Beobachter O und O’ kennen die Gesetze der Mechanik und beobachten dasselbe Ereignis, z.B. die Bewegung eines Körpers entlang seiner Bahn. O Siehe Abb. 2. z Figur 2. Definition von zwei Beobachtern, die die Bewegung eines Körpers messen. 205 Beobachter O und O’ messen die Bahnkurve des Körpers als Funktion der Zeit. Sie benutzen ähnliche Uhren, um die Zeiteinheit zu definieren. Beide Beobachter werden die Bahn relativ zu ihrem eige- Physik 206 Relativität nen Koordinatensystem definieren. Die Ortsvektoren als Funktion der Zeit werden bezeichnet als r r r r r = r ( t) O′: r ′ = r ′ ( t′ ) O: Zeit. Beide Beobachter benutzen ähnliche Uhren. Wir nehmen an, dass beide Uhren synchronisiert wurden, und deshalb verwenden beide Beobachter die gleiche Zeit. t = t′ Das scheint eine vernünftige Annahme zu sein (aber sie gilt nur, wenn die Zeit unabhängig von der Bewegung des Beobachters ist. Siehe später.). ) Übergang von O nach O' Wir leiten die Gleichungen der Transformation für den Ortsvektor und die Zeit von einem Bezugssystem ins andere her r r r r r r r ( t) = R( t) + r ′ ( t′ ) r ′ ( t′ ) = − R( t) + r ( t) t ′ = t t = t′ 14442444 3 144424443 Übergang von O' nach O ( Für die Transformation der Geschwindigkeit von O’ nach O gilt r r r r r r dR dr ′ dR r dr ( t) d r = R( t) + r ′ ( t) = + = + v′ v ( t) = dt dt dt dt dt wobei r r r dr ′ dr ′ v′ = = dt dt′ die Geschwindigkeit des Körpers gemessen relativ zum Beobachter O’ ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Inertialsysteme relativ zu O Es folgt, dass die Transformation der Geschwindigkeit gleich r r r dR ( t) = v{ + v{ ′ ( t) dt relativ zu O ′ ist. Aus einer ähnlichen Herleitung folgt die Transformation der Beschleunigung r r r d 2R ( t) = 2 + a{ a{ ′ ( t) dt relativ zu O ′ relativ zu O Im Allgemeinen folgt aus den Tranformationsgleichungen, dass verschiedene Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, verschiedene Geschwindigkeiten und Beschleunigungen messen. 6.2 Inertialsysteme Das erste Newtonsches Gesetz (Trägheitsprinzip) sagt, dass ein Körper in Ruhe bleibt oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, wenn keine resultierende Kraft auf ihn wirkt. D.h., dass die Beschleunigung des Körpers gleich null ist, wenn die resultierende Kraft, die auf den Körper wirkt, verschwindet. 207 Wir haben gelernt, dass im Allgemeinen zwei Beobachter nicht dieselbe Beschleunigung beobachten, d.h. Physik 208 Relativität r r r d 2R ( t) = 2 + a{ a{ ′ ( t) dt relativ zu O ′ relativ zu O ⇒ relativ zu O ′ r r ( t) ≠ a{ a{ ′ ( t) relativ zu O wenn r d 2R ≠0 dt 2 Wenn die zwei Beobachter eine unterschiedliche Beschleunigung messen, kann das zweite Newtonsche Gesetz nicht für beide Beobachter gelten! Im Fall, dass die auf den Körper wirkende resultierende Kraft verschwindet, muss die gemessene Beschleunigung gleich null sein. Aber wenn r d 2R ≠0 dt 2 kann die Beschleunigung nicht gleichzeitig für beide Beobachter verschwinden. Wir haben bewiesen, dass die Newtonschen Gesetze nicht in allen Bezugssystemen gelten. Ein Bezugssystem, in dem die Newtonschen Gesetze gelten, heisst Inertialsystem. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Scheinkr fte 6.3 Scheinkräfte Welches Ergebnis bekommen wir, wenn wir die Beschleunigung eines Körpers relativ zu einem Bezugssystem messen, das relativ zu einem Inertialsystem beschleunigt wird? D.h. r d 2R ≠0 dt 2 r a{ relativ zu O ≠ relativ zu O ′ r a{′ wenn r d 2R ≠0 dt 2 In diesem Fall stimmt im beschleunigten Bezugssystem die resultierende Kraft, die auf den Körper wirkt, nicht mit dem Produkt der Masse und der gemessenen Beschleunigung überein r r Inertialsystem O: F = ma r r F ≠ ma ′ O′: weil In bestimmten Fällen können keine Kräfte auf den Körper wirken, aber der Körper kann doch relativ zum Nicht-Inertialsystem beschleunigt werden. Wenn wir das zweite Newtonsche Gesetz in einem beschleunigten Bezugssystem anwenden wollen, müssen wir fiktive Kräfte (oder Scheinkräfte) einführen. Diese fiktiven Kräfte werden nicht wirklich wirken. Sie dienen als Hilfsmittel, damit die Beziehung r r F = ma 209 auch für Beschleunigungen gilt, die relativ zum Nicht-Inertialsystem gemessen werden. Physik 210 Relativität 6.3.1 Rotierendes Bezugssystem Wir betrachten eine um eine feste Drehachse rotierende Scheibe, auf der eine Masse sitzt. Siehe Abb. 3. Scheinkr fte Die Einheit der Winkelgeschwindigkeit ist Radiant/Zeit, d.h. rad/s. Physik dθ ds ( rdθ ) = =r = rω dt dt dt 2 v2 (rω ) =m = mω 2 r r r 211 Für einen Beobachter auf der Scheibe ist der Körper in Ruhe und wird nicht beschleunigt. Aus der Verlängerung der Feder muss er schliessen, dass die Feder eine nach dem Kreiszentrum gerichtete Kraft bewirkt. (Siehe Abb. 3C) Die zum Kreiszentrum gerichtete Kraft wird von der Feder ausgeübt. D.h., die Feder wird auseinandergezogen, wenn sich die Scheibe dreht. F=m Für einen Beobachter im Inertialsystem (Siehe Abb. 3B) dreht sich der Körper mit einer Geschwindigkeit v im Kreis und wird deshalb zum Kreiszentrum beschleunigt. Der Betrag, der zum Kreiszentrum gerichteten Kraft ist gleich 6.3.2 Die Zentrifugalkraft wobei s die Bogenlänge ist. v ( t) = Die Winkelgeschwindigkeit ω entspricht dem überstrichenen Winkel dθ in einer Zeit dt. Sie hat einen positiven Wert für Drehungen im Gegenuhrzeigersinn (d.h. wenn θ grösser wird) und einen negativen Wert für Drehungen im Uhrzeigersinn (d.h. wenn der Winkel θ abnimmt). C) Feder Masse F Rotierendes Bezugssystem Scheibe Fs Jeder Punkt auf der Scheibe bewegt sich auf einer Kreisbahn und wird deshalb beschleunigt. Das Bezugssystem, das mit der Scheibe verbunden ist, ist daher kein Inertialsystem. Feder Masse B) F Scheibe ω Wenn der Körper sich bei einem Radius r befindet, ist seine Geschwindigkeit gleich θ (t) ω Die Masse, die relativ zur Scheibe ruht, ist über eine Feder mit dem Mittelpunkt der Scheibe verbunden. A) Scheibe Inertialsystem Figur 3. Rotierende Scheibe A) Die Definition des Drehwinkels und der Winkelgeschwindigkeit B) Drehung der Masse relativ zum Inertialsystem C) Ruhezustand der Masse relativ zum rotierenden Bezugssystem. Die Drehung der Scheibe um die Drehachse kann mit Hilfe des Drehwinkels θ beschrieben werden. Siehe Abb. 3A. dθ ( t ) dt Die Winkelgeschwindigkeit wird als die zeitliche Ableitung der Winkelfunktion θ(t) definiert ω ( t) ≡ Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 212 Relativität Weil die gesamte Kraft veschwinden muss, schliesst er daraus, dass die Federkraft von einer fiktiven, nach aussen gerichteten Kraft, der Zentrifugalkraft, kompensiert wird. v2 = mω 2 r r Der Betrag der Zentrifugalkraft ist gleich FZentrifugal ≡ m Experiment. Konisches Pendel. Zentrifugalkraft hebt alle Kugeln auf gleiche Höhe. h Konisches Pendel. ω α r li S mig α mi FZ Kugeln mit verschiedenen Massen mi werden an Seilen mit verschiedenen Längen li aufgehängt. Die Achse rotiert und es wird beobachtet, dass alle Massen in der gleichen Horizonalebene rotieren. Siehe Abb. 4. Figur 4. Wir beobachten die Kugeln bezüglich eines rotierenden (nicht-inertialen) Koordinatensystems. In diesem System sind die Kugeln in Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Scheinkr fte tan α = g ω2 r FZ r m ω 2r ω 2r = = r = i h mi g mi g g Ruhe. D.h., die resultierende Kraft muss verschwinden. Die Gewichtskraft, die Spannung des Seils und die Zentrifugalkraft müssen einander kompensieren. r r r FZ + S + mi g = 0 Es gilt und es folgt h= unabhängig von li und mi. Alle Massen rotieren in der gleichen Ebene. Experiment. Gras wächst gegen die Kräfte - Vektoraddition von Erdgravitation und Zentrifugalkraft. 6.3.3 Die Corioliskraft Eine zweite Scheinkraft (die sogenannte Corioliskraft) hängt von der Geschwindigkeit des Körpers ab. Sie wirkt senkrecht zur Geschwindigkeitsrichtung des Körpers (relativ zum rotierenden Bezugssystem) und führt zu einer seitlichen Ablenkung. 213 Eine Corioliskraft spürt z.B. eine Masse, die sich auf der Scheibe nach innen oder nach aussen bewegt. Physik 214 Relativität Experiment. Corioliskraft. Spur der rollenden Kugel auf Brett mit Drehstuhl. Das Brett ist am Drehstuhl befestigt. Zur Zeit t=0 wird eine Stahlkugel im rotiereden System losgelassen. Sie beschreibt eine gekrümmte Bahn. ω B) Masse Scheibe FCoriolis Wir betrachten den Fall, in dem eine Masse nach aussen geworfen wird. In einem Inertialsystem bewegt sich die Masse geradlinig. Im rotierenden Bezugssystem wird die Bahnkurve infolge der Corioliskraft gekrümmt. Siehe Abb. 5. A) Masse Scheibe Inertialsystem Rotierendes Bezugssystem Figur 5. A) In einem Inertialsystem bewegt sich die Masse geradlinig. B) Im rotierenden Bezugssystem wird die Masse nach rechts abgelenkt. Die Scheinkraft heisst Corioliskraft. Wir unterteilen die gekrümmte Bewegung der Masse in kleine differentielle Strecken dR. ds = ( dθ )( dR) = (ωdt)( dR) Die Ablenkung ds ist gleich (Siehe Abb. 6) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Scheinkr fte dθ ds dθ=ω(dt) Berechnung der Corioliskraft. dR ds = (ωdt)(vdt) = ωv ( dt) 2 Die Strecke dR ist gleich dR=vdt, wobei v die radiale Geschwindigkeit ist. Es gilt Figur 6. 1 a (dt) 2 2 Coriolis Für eine gleichförmig beschleunigte Bewegung mit Beschleunigung aCoriolis gilt ds = Daraus folgt, dass der Betrag der Coriolisbeschleunigung aCoriolis = 2ωv 215 ist, wobei ω die Winkelgeschwindigkeit der Drehung und v die radiale Geschwindigkeit der Masse im rotierenden System ist. Experiment. Corioliskraft. Schuss vom Drehstuhl. Physik 216 Relativität Treffer Rechtsabweichung Linksabweichung Wir betrachten eine Pistole, die im Rotationszentrum eines rotierenden Systems dreimal abgefeuert wird. ω = 0: ω > 0: ω < 0: 2 Wenn s<<R, wobei s die Abweichung und R der Abstand der Pistole ist, ist die Abweichung gleich 2 1 1 R ωR = s ≈ aCoriolist 2 = (2vω ) v 2 2 v wobei v die Geschwindigkeit der abgeschossenen Kugel ist. 6.3.4 Die Erde als ein Nicht-Inertialbezugssystem Die Erde dreht sich um ihre Achse. Die Periode der Drehung ist gleich 1 Sterntag = 8, 616 × 10 4 Sekunden Infolge der Rotationsbewegung der Erde bewegen sich alle Punkte auf der Erdoberfläche in gleichförmiger Kreisbewegung mit einer Winkelgeschwindigkeit 2π ω= = 7, 292 × 10 −5 rad / s T Obwohl die Winkelgeschwindigkeit klein ist, ist sie bemerkbar durch die messbaren Zentrifugal- und Corioliskräfte. Siehe Abb 7. Der Winkel λ wird als geographische Breite bezeichnet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Scheinkr fte Wenn sich die Erde um die NS-Achse dreht, beschreibt ein Punkt einen Kreis mit dem Radius R, mit R = r cos λ ω N ω S R r λ v Geschwindigkeit eines Punktes auf der Erdoberfläche. O wobei r der Betrag des Ortsvektors ist (d.h. der Radius der Erde). Figur 7. v = ωR = ωr cos λ 217 Die Geschwindigkeit des Punktes auf der Erdoberfläche ist tangential zum Kreis und parallel zur Äquatorebene. Ihr Betrag ist d.h. v ≈ 460 cos λ m / s ≈ 1650 cos λ Kilometer pro Stunde Physik 218 Relativität Der maximale Wert von v wird am Äquator erreicht und ist gleich null an den Polen. Eine Zentrifugalkraft und eine Corioskraft treten aufgrund der Erddrehung in allen Bezugssystemen auf, die mit der Erde verbunden sind. Ein Bezugssystem, das bestimmte Koordinaten relativ zur Erdoberfläche besitzt, ist kein Intertialsystem! Erdbeschleunigung. Wir betrachten einen Körper, der sich in Ruhe relativ zur Erdoberfläche befindet. Wir wissen, dass der Körper wegen der Gravitationskraft “nach unten” beschleunigt wird. Unter der Annahme, dass die Erde homogen und kugelförmig ist, wird die Gravitationskraft radial in Richtung zum Erdmittelpunkt zeigen. Infolge der Zentrifugalkraft weicht die Richtung der resultierenden Beschleunigung (die effektive Erdbeschleunigung) leicht von der radialen Richtung ab. aZ = 2 v 2 (ωr cos λ ) = = ω 2 r cos λ R r cos λ Der Betrag der Zentrifugalbeschleunigung ist gleich Siehe Abb. 8. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Scheinkr fte Figur 8. O ω N R r λ aZcosλ aZ Äquatorialebene Zentrifugalbeschleunigung infolge der Rotation der Erde. Er ist sehr klein im Verhältnis zur Gravitationsbeschleunigung g≈9,8m/s2: aZ = ω 2 r cos λ ≈ 3, 34 × 10 −2 cos λ m / s2 g ≈ g0 − az cos λ = g0 − ω 2 r cos2 λ 219 Für praktische Anwendungen können wir jedoch annehmen, dass die Vertikale mit der radialen Richtung zusammenfällt. Die Grösse der effektiven Erdbeschleunigung g ist etwas geringer als die Gravitationsbeschleunigung g0. Sie kann ungefähr als Physik 220 Relativität ausgedrückt werden. Einige Werte für die effektive Erdbeschleunigung sind in Tabelle 1 gezeigt. Paris Anchorage (Alaska) Nordpol Ort 0°0’ 8°55’ 48°50’ 61°10’ 90°0’ Breitengrad 9,7799 9,7822 8,8094 9,8218 9,8321 g (m/s2 ) für die effektive Erdbeschleunigung. Panama TABLE 1. Werte Äquator Corioliseffekt. Wenn sich ein Körper in einer horizontalen Ebene auf der Erdoberfläche bewegt, führt die Coriolisbeschleunigung auf der nördlichen Hemisphäre zu einer leichten Rechtsabweichung der Bahn und zu einer Linksabweichung auf der südlichen Hemisphäre. Der Corioliseffekt ist an den Polen maximal und am Äquator null. Corioliskräfte sind vor allem für das Verständnis des Wetters von grosser Bedeutung. Wenn sich in der Atmosphäre ein Tiefdruckzentrum entwickelt, wird der Wind radial zum Zentrum fliessen. Die Coriolisbeschleunigung lenkt in der nördlichen Hemisphäre nach rechts ab, was zu einer Bewegung der Wolken gegen den Uhrzeigersinn führt. Siehe Abb. 9. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Scheinkr fte Figur 9. Wirbel des Windes um ein Tiefdruckgebiet dreht auf der nördlichen Halbkugel gegen den Uhrzeigersinn. Als zweites Beispiel für den Corioliseffekt betrachten wir die Schwingung eines Pendels. 221 Wenn die Schwingungsamplitude gering ist, können wir annehmen, dass die Bewegung der Pendelmasse eine horizontale Bahn beschreibt. Physik 222 Relativität Wegen der Coriolisbeschleunigung rotiert die Schwingungsebene des Pendels auf der nördlichen Hemisphäre im Uhrzeigersinn, und auf der südlichen gegen den Uhrzeigersinn. Siehe Abb. 10. Experiment. Das Foucault Pendel. J.L. Foucault hat dieses Experiment 1851 erstmals mit einem Pendel der Masse 28kg und der Fadenlänge 70m im Pantheon von Paris vorgeführt. Mit einem solchen Experiment wurde eine direkte Prüfung der Erdumdrehung erreicht. Man beweist, dass die Ebene der Pendelbewegung als Folge der Erdumdrehung sich dreht. Figur 10. Rotation der Schwingungsebene eines Pendels infolge der Coriolisbeschleunigung (auf der nördlichen Halbkugel). Auf der südlichen Halbkugel ist die Rotation entgegengesetzt gerichtet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Galileische Transformation 6.4 Die Galileische Transformation Wir betrachten zwei Beobachter O und O’, die sich relativ zueinander mit konstanter Geschwindigkeit V bewegen. Weil die zwei Beobachter sich relativ zueinander mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, gilt (siehe Abb. 2): r r R( t) = Vt Es folgt r r r r ′ ( t′ ) = r ( t) − Vt Die Beziehung zwischen der Geschwindigkeit und der Beschleunigung, die beide Beobachter messen, kann leicht gefunden werden r r r r r r dr ′ ( t′ ) r ( t) − Vt r ( t) r r v ′ ( t′ ) = = = − V = v ( t) − V dt′ dt dt d.h., die Galileische Transformation für die Geschwindigkeit ist r r r v′ = v − V 223 Diese Gleichung führt auf die gewöhnliche Vektoraddition der Geschwindigkeiten. Dieser Begriff ist uns aus dem Alltag vertraut. Für die Beschleunigung gilt r r r r r r dv ′ ( t′ ) v ( t) − V v ( t) V ( t) r a ′ ( t′ ) = = = − = a ( t) dt′ dt dt dt Physik 224 Relativität Beide Beobachter messen dieselbe Beschleunigung. Wir sagen, dass die Beschleunigung eine Invariante der Galileischen Transformation ist. Das folgende Gesetz folgt daraus: Alle Bezugssysteme, die über die Galileische Transformation eines Inertialssystems gefunden werden, sind ebenfalls Inertialsysteme. Beispiel: Wir stellen uns z.B. eine Person vor, die sich auf einem Eisenbahnwaggon bewegt r v PW = Geschwindigkeit der Person relativ zum Waggon r vWE = Geschwindigkeit des Waggons relativ zur Erdoberfläche vWE Vektoraddition der Geschwindigkeit. vPW vPE vPW vWE Die Geschwindigkeit der Person relativ zur Erdoberfläche ist die Vektorsumme dieser beiden Geschwindigkeiten r r r v PE = v PW + vWE Figur 11. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Galileische Transformation 6.4.1 Komponentendarstellung Da der Geschwindigkeitsvektor V konstant ist, können wir die Koordinatensysteme so wählen, dass sich der Beobachter O’ in positiver Richtung der x-Achse des Bezugssystems O bewegt. y Vt z' O' y' x,x' Die Beobachter O und O’ mit einer Relativgeschwindigkeit V. O Wir betrachten zusätzlich den Fall, in dem die Ursprünge der Bezugssysteme O und O’ zu den Zeiten t=t’=0 zusammenfallen und die Koordinatenachsen immer parallel bleiben, da keine relative Rotation stattfindet. Siehe Abb. 12. z Figur 12. In diesem Fall wird die Geschwindigkeit geschrieben als r r V = Vex = (V , 0, 0) 225 Die Ortsvektoren können als Funktion ihrer Komponenten ausgedrückt werden r r r = ( x, y, z ) und r ′ = ( x ′, y ′, z′ ) Physik 226 Relativität Der Übergang von einem Bezugssystem ins andere wird mit Hilfe der Galileischen Transformation geschrieben. Galileische Transformation Für den Übergang von O nach O’ gilt das folgende Gleichungssystem x ′ = x − Vt y′ = y z′ = z t′ = t 0 1 0 0 0 0 1 0 0 t 0 x 0 y 1 z Matrixdarstellung Es kann auch als eine Matrizengleichung ausgedrückt werden t′ 1 x ′ −V = y ′ 0 z′ 0 6.4.2 Das Ereignis Wir definieren ein Ereignis als etwas, das an einem bestimmten Punkt des Raums und zu einer bestimmten Zeit stattfindet. D.h., ein Ereignis findet in einen Punkt mit bestimmten Raumkoordinaten x,y,z und zu einer bestimmten Zeit t statt. Der Zusammenstoss zwischen zwei Körpern ist z.B. ein Ereignis. Ein anderes Ereignis besteht darin, dass eine Lampe einen Lichtblitz emittiert. Ein drittes Ereignis ist der Aufprall eines Steines, durch den die Windschutzscheibe eines Autos beschädigt wird. Jedes Ereignis ist eine reale Gegebenheit. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Galileische Transformation Man sagt, dass ein Ereignis an einer bestimmten Stelle in der Raumzeit stattfindet. Ein dreidimensionaler Ortsvektor stellt einen Punkt im Raum dar, r r = ( x, y, z ) ( t, x, y, z) ≡ ein bestimmter Punkt in der Raumzeit Ein Ereignis wird mit einem vierdimensionalen 4-Vektor in der Raumzeit dargestellt Wir sagen, dass ein Ereignis einem Punkt in der vierdimensionalen Raumzeit entspricht. Wir bemerken, dass die erste Komponente (d.h. die Zeit) und die anderen drei Komponenten (d.h. die Raumkoordinaten) des 4-Vektors verschieden sind. Wir können die Zeit auch mit der Einheit der Länge messen. Wir lassen z.B. einen Lichtstrahl zwischen zwei parallelen Spiegeln, die 0,5 Meter voneinander entfernt sind, hin und her laufen. Eine solche Anordnung können wir als eine “Uhr” verwenden, die jedesmal “tickt”, wenn der Strahl zu einem bestimmten Spiegel zurückkehrt. Damit alle Komponenten des 4-Vektors dieselbe Einheit besitzen, definieren wir die erste Komponente (d.h. die Zeitkomponent) als das Produkt der Zeil t (in Sekunde) mal der Lichtgeschwindigkeit c (in Meter/Sekunde) und erhalten ct (in Meter). 227 Wir benutzen die Lichtgeschwindigkeit, weil sie die einzige fundamentale Konstante in der Natur ist, die die nötige Einheit zur Umwandlung einer Zeit in eine Länge hat. Physik 228 Relativität (µ = 0,1, 2, 3) Der Raumzeit 4-Vektor wird dann geschrieben als xµ ≡ = ( x 0 , x1, x 2 , x 3 ) = (ct, x, y, z) wobei der Index µ über die 4 Komponenten des Vektors läuft. Mit dieser Definition besitzen die vier Komponenten des 4-Vektor dieselbe Einheit, d.h. die Einheit einer Länge (z.B. Meter). µ x ′ µ = MG x µ Die Galileische Transformation kann dann als die Transformation der 4-Vektoren ausgedrükt werden, wobei µ Beide entsprechen demselben Ereignis x = (ct, x, y, z) x ′ = (ct′, x ′, y ′, 3 z′ ) 1 4 4 2 44 3 1 44 4 2 444 Raumzeitkoordinaten für O für O ′ 1 44444442Raumzeitkoordinaten 4444444 3 (Wir haben angenommen, dass die Konstante c dieselbe ist für beide Beobachter.) MG ist eine Matrix, die die Galileische Transformation darstellt. Beide, xµ und x’µ, entsprechen demselben Ereignis, aber von verschiedenen Beobachtern O und O’ beobachtet. Im Allgemeinen haben wir mit dieser Form angenommen, dass verschiedene Beobachter dasselbe Ereignis mit verschiedenen Raumkoordinaten und Zeiten beschreiben. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Galileische Transformation ct′ 1 x ′ −V / c = y′ 0 z′ 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 ct 0 x 0 y 1 z Im Fall der Galileischen Transformation gilt und x′µ M G (β ) xµ ct′ 1 0 0 0 ct x ′ −β 1 0 0 x = y ′ 0 0 1 0 y z′ 0 0 0 1 z { 1442443 { Wir haben den Geschwindigkeitsparameter β definiert β ≡ V /c wobei V die Geschwindigkeit des Beobachters O’ relativ zu O, und c die Lichtgeschwindigkeit ist. x = x ′ + Vt = x ′ + βct y = y′ z = z′ t = t′ Galileische Transformation 229 Die inversen Galileischen Transformationen von O’ nach O lauten Physik 230 Relativität und xµ ct 1 x β = y 0 z 0 { 0 1 0 0 0 0 1 0 x′µ 0 ct′ 0 x ′ 0 y ′ 1 z′ { 6.5 Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle Wir betrachten die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer longitudinalen Federwelle, die sich von links nach rechts ausbreitet.Siehe Abb. 13. Um die Ausbreitungsgeschwindigkeit zu bestimmen, messen wir die Zeit, die die Welle benötigt, um einen Stab zu passieren. Beobachter in Ruhe. Wir beginnen mit dem Fall, in dem der Beobachter relativ zur Feder in Ruhe ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia x x2µ=(ct2,x2) Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle x1µ=(ct1,x1) Figur 13. Messung der Ausbreitungsgeschwindigkeit von einer longitudinalen Federwelle, die sich von links nach rechts ausbreitet. Die Zeit, die die Welle benötigt, um den Stab zu passieren, wird gemessen. Beide Beobachter sind relativ zur Feder in Ruhe. Wir definieren zwei Ereignisse, x1µ und x2µ: x1µ = (ct1, x1, y1, z1 ) = Wellenberg trifft den Stab an µ x 2 = (ct2 , x 2 , y 2 , z2 ) = Wellenberg verlässt den Stab (in diesem Fall sind nur die Zeit und die x-Koordinate wichtig) Die gemessene Ausbreitungsgeschwindigkeit vA wird bestimmt mit x −x x −x 2 1 =c 2 1 ct2 − ct1 t2 − t1 231 Hilfe der Raumzeitkoordinaten der zwei Ereignisse x1µ=(ct1,x1,y1,z1) vA = und x2µ=(ct2,x2,y2,z2) als Physik 232 Relativität Bewegter Beobachter. Wir betrachten nun den Fall, in dem der Beobachter O’ sich relativ zur Feder mit konstanter Geschwindigkeit V (d.h. mit einem Geschwindigkeitsparameter β=V/c) bewegt. Siehe Abb. 14. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle, gemessen bezüglich O’, kann mit Hilfe einer Galileischen Transformation der Raumzeitkoordinaten bezüglich O berechnet werden. Wir benutzen die Koordinaten der zwei Ereignisse bezüglich O und O’. x1µ und x1’µ entsprechen demselben Ereignis, aber bezüglich den zwei Bezugssystemen der zwei Beobachter O und O’. Eine ähnliche Beziehung gilt zwischen x2µ und x2’µ . x2µ=(ct2,x2) x x1µ=(ct1,x1) x'2µ=(ct'2,x'2) Beobachter O x'1µ=(ct'1,x'1) v Beobachter O' Figur 14. Messung der Ausbreitungsgeschwindigkeit von einer longitudinalen Federwelle, die sich von links nach rechts ausbreitet. In diesem Fall bewegt sich der Beobachter relativ zur Feder nach rechts. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle Die Ausbreitungsgeschwindigkeit vA’ bezuglich O’ ist gleich x 2 − x1 βc ( t2 − t1 ) − t2 − t1 t2 − t1 x 2 − x1 − β (ct2 − ct1 ) t2 − t1 2 x′ − x′ vA ′ = 2 1 t2′ − t1′ x − βct2 − x1 + βct1 t2 − t1 = = = = vA − V wobei wir die gemessene Grösse vA’ bezüglich O’ als Funktion der Grössen, die bezüglich O gemessen sind, ausgedrückt haben. x x1µ=(ct1,x1) 233 D.h., wenn er sich in dieselbe Richtung wie die Welle bewegt, schliesst der Beobachter O’, dass sich die Welle mit der geringeren Geschwindigkeit vA’ =vA–V ausbreitet. x2µ=(ct2,x2) x'2µ=(ct'2,x'2) Beobachter O x'1µ=(ct'1,x'1) v Beobachter O' Figur 15. Messung der Ausbreitungsgeschiwndigkeit von einer longitudinalen Federwelle, die sich von links nach rechts ausbreitet. In diesem Fall bewegt sich der Beobachter nach links relativ zur Feder. Physik 234 Relativität Mit einer ähnlichen Herleitung kann man beweisen, dass wenn sich der Beobachter O’ der Welle entgegengesetzt bewegt, die Welle sich für ihn mit der grösseren Geschwindigkeit vA’ =vA+V ausbreitet. Daraus folgt, dass die beobachtete Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle von der Geschwindigkeit der Beobachter relativ zum Medium, durch welches sich die Welle ausbreitet, abhängt. Sie ist gleich vA–V wenn sich der Beobachter in dieselbe Richtung wie die Welle bewegt und vA+V wenn er sich der Welle entgegengesetzt bewegt. 6.6 Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit laser pulse laser Die Lichtgeschwindigkeit kann mit Hilfe eines Laserpulses gemessen werden. Wie früher messen wir die Zeit, die der Laserpuls benötigt, um einen Stab zu passieren. Siehe Abb. 16. Figur 16. Messung der Lichtgeschwindigkeit. Die Zeit, die der Laserpuls benötigt, um den Stab zu passieren, wird gemessen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit Wir definieren die zwei Ereignisse x1µ = (ct1, x1, y1, z1 ) = Licht passiert den ersten Empfänger µ x 2 = (ct2 , x 2 , y 2 , z2 ) = Licht passiert den zweiten Empfänger x 2 − x1 t2 − t1 In diesem Fall wird die Lichtgeschwindigkeit c gemessen als c= Wir bemerken nun, dass die Ausbreitung des Lichtes verschieden von der Ausbreitung mechanischer Wellen ist: Alle mechanischen Wellen benötigen ein Medium, um sich ausbreiten zu können, und die Geschwindigkeit der Wellen wird durch die Eigenschaften des Mediums bestimmt. Seit dem 19. Jahrhundert wusste man, dass das Licht sich wie Lichtwellen (elektromagnetische Wellen) verhält, durch die Beobachtung von Phänomenen wie optische Interferenz, Beugung und Polarisationseffekte. Lichtwellen können sich aber durch den leeren Raum (d.h. Vakuum) ausbreiten. Sie brauchen kein Medium, durch welches sie sich ausbreiten müssen. 1 ≈ 3 × 10 8 Meter / Sekunde ε 0µ 0 235 Nach der Maxwellschen1 Theorie des Elektromagnetismus (Siehe Kap. 11) ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit von elektromagnetischen Wellen gleich c= 1. James C. Maxwell (1831-1879) Physik 236 Relativität wobei ε0 und µ0 die Dielektrizitäts- und Permeabilitätskonstante im Vakuum sind. Die Maxwellsche Gleichung liefert aber keine Aussage, in welchem Bezugssystem die Lichtgeschwindigkeit diesen Wert annimmt! laser Eine Messung der Lichtgeschwindigkeit in einem Bezugssystem, das sich bewegt, müsste ein grösseres oder kleineres Ergebnis liefern, je nach Richtung der Bewegung relativ zum Lichtstrahl. Siehe Abb. 17 und 18. laser pulse Figur 17. Messung der Lichtgeschwindigkeit. Die Zeit, die der Laserpuls benötigt, um der Stab zu passieren, wird gemessen. Der Beobachter, der den Stab hält, bewegt sich in Richtung des Beobachters, der den Laser hält. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit laser pulse laser Figur 18. Messung der Lichtgeschwindigkeit. Die Zeit, die der Laserpuls benötigt, um der Stab zu passieren, wird gemessen. Der Beobachter, der den Stab hält, entfernt sich vom Beobachter, der den Laser hält. Galileische Transformation 6 474 8 = Wenn wir die Galileische Transformation benutzen, werden wir schliessen, dass die gemessene Lichtgeschwindigkeit wie folgt sein müsste, gemessene Lichtgeschwindigkeit c − V in derselben Richtung c + V in entgegengesetzter Richtung 6.6.1 Das Michelson-Morley Experiment 237 Im Jahr 1881 begann Michelson, die Lichtgeschwindigkeit mit Hilfe von Laufzeitmessungen des Lichts zu messen. Physik 238 In einer Serien von Experimenten versuchten Michelson und Morley die Abhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom Bewegungszustand des Bezugssystems aufzudecken. Relativität Wenn sich Lichtquelle und Spiegel mit einer Geschwindigkeit V in gleicher Richtung bewegen, dann sollte sich das Licht mit der Geschwindigkeit c–V auf den Spiegel zubewegen und mit der Geschwindigkeit c+V von ihm wegbewegen. Siehe Abb. 20. Die Lichtstrahlen wurden zwischen nahezu parallelen Spiegeln hin und her reflektiert. Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit Physik L L L(c + V ) + L(c − V ) 2 Lc = 2 + = c −V c +V c2 − V 2 c (1 − V 2 / c 2 ) t= −1 2L (1 − V 2 / c 2 ) ≈ 2cL (1 + V 2 / c 2 ) c 2 V 2 / c 2 ≈ (10 −4 ) = 10 −8 L c–V c+V Spiegel 239 Geschwindigkeit V Figur 20. Eine Lichtquelle und ein Spiegel, die sich mit konstanter Geschwindigkeit V bewegen. Lichtstrahl Der Effekt ist sehr klein und daher auf direktem Weg sehr schwer nachzuweisen. wobei Für V≈3x104 m/s viel kleiner als c≈3x108 m/s gilt t= Die gesamte Laufzeit des Lichts ist daher Sie benutzten die Erde als bewegtes Bezugssystem: die Erde dreht sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 30x103 Metern pro Sekunde um die Sonne. Sie verglichen die Zeiten, die Licht benötigt, um dieselbe Strecke parallel und senkrecht zur Bewegungsrichtung der Erde zurückzulegen. Das Michelson-Morley Interferometer. Siehe Abb. 19. Figur 19. Wir betrachten die Lichtstrahlen, die sich parallel zur Richtung der Erde bewegen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 240 Relativität Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit um die Sonne in die entgegengesetzte Richtung bewegt, aber mit demselben Ergebnis. Dieses Experiment wurde unter verschiedenen Bedingungen wiederholt, aber das Ergebnis ist immer dasselbe: keine Änderung des Interferenzmusters wird beobachtet. Um diese kleine Differenz zu bestimmen, verwendeten Michelson und Morley ein Interferometer. Wie in Abb. 19 gezeigt, fällt das Licht auf einen Strahlteiler. Ein Teil des Lichts geht in die Richtung parallel zur Erdbewegung und ein anderer Teil wird um 90° reflektiert. Die beiden Teile werden reflektiert und werden schliesslich wieder zusammentreffen. Das Null-Resultat des Michelson-Morley-Experiments kann mit Hilfe des Postulats der Lichtgeschwindigkeit erklärt werden. Es sagt: Physik 241 O1 misst eine Lichtgeschwindigkeit c. O2 misst auch eine Lichtgeschwindigkeit c (nicht c+V). Dieses Postulat scheint vielleicht im Widerspruch zu unserer Anschauung. Wir betrachten z.B. zwei Beobachter O1 und O2 und eine Lichtquelle S. O1 befindet sich relativ zu S in Ruhe, und O2 bewegt sich mit der Geschwindigkeit V auf S zu. Siehe Abb. 21. D.h., die Lichtgeschwindigkeit ist isotrop (gleich in alle Richtungen) und unabhängig von der Bewegung des Beobachters. Jeder Beobachter misst in allen Richtungen für die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum denselben Wert c. 6.6.2 Das Postulat der konstanten Lichtgeschwindigkeit Wegen des Prinzips der Superposition (siehe Kap. 5.3) der elektromagnetischen Wellen, wird die resultierende Welle die Summe der einlaufenden Wellen sein. Wenn beide Strecken (d.h. parallel und senkrecht) zu einer Laufzeitdifferenz führen, werden wir es durch Interferenzphänomene (siehe Kap 5.5) zwischen den beiden Lichtstrahlen bemerken. = 650 nm = 650 × 10 −9 m ≈ 0, 65 µm = 0, 65 × 10 −6 m Für das menschliche Auge ist der elektromagnetische Wellenlängenbereich von ungefähr 0,4µm bis 0,7µm beobachtbar (der sichtbare Spektralbereich). Die rote Farbe hat z.B. eine Wellenlänge ungefähr gleich λ rot Es folgt daraus, dass mit einer Laufzeitdifferenz-Messung, durchgeführt mit einem Interferometer und sichtbarem Licht, räumliche Phasenunterschiede im Bereich von µm gemessen werden können. Die Anwesenheit einer solchen Laufzeitdifferenz wollten Michelson und Morley mit der Änderung des Interferenzmusters, wenn das Experiment um 90° gedreht wird, beweisen. Bei seinem ersten Versuch im Jahr 1881 hat Michelson keinen Effekt beobachtet. Er wiederholte seine Messungen nach einem halben Jahr, da sich die Erde auf ihrer Bahn Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 242 Relativität Lichtquelle S V O1 O2 Figur 21. Eine ruhende Lichtquelle S, ein ruhender Beobachter O1, und ein sich mit der Geschwindigkeit V in Richtung der Quelle bewegender Beobachter O2. Wir bemerken, dass die Lichtgeschwindigkeit c eine fundamentale Grösse in der Natur ist. Sie wirkt als eine Grenzgeschwindigkeit, die der höchsten möglichen Geschwindigkeit entspricht (Siehe Kap. 3.2.1). Eine vernünftige Annahme ist, dass diese fundamentale Grösse c dieselbe für alle Beobachter sein muss, unabhängig von ihrem Bewegungszustand. 6.7 Die Lorentz-Transformation Das Postulat der Lichtgeschwindigkeit ist im Widerspruch zur Vektoraddition der Geschwindigkeit, die eine Folgerung der Galileischen Transformation ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Lorentz-Transformation D.h., die Galileische Transformation entspricht einer Näherung, die nur gilt, wenn die Geschwindigkeiten viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sind. Wir suchen eine neue Transformation. Wir nehmen an, dass die Galileische Transformationsgleichung für x bis auf einen Faktor K gilt x = K ( x ′ + βct′ ) wobei K von V und c (d.h. vom Geschwindigkeitsparameter β) abhängen kann, aber nicht von den Koordinaten. Die inverse Transformation ist dann x ′ = K ( x − βct) Wir betrachten einen Lichtpuls, der im Ursprung vom Beobachter O zur Zeit t=0 emittiert wird. Wir nehmen gewöhnlich an, dass die Ursprünge von O und O’ für t=t’=0 zusammenfallen. Es folgt, dass der Lichtpuls auch in O’ zum Zeitpunkt t=0 startet. bezüglich O: bezüglich O′: x = ct x ′ = ct′ ct = K (ct′ + βct′ ) = K (1 + β )ct′ ct′ = K (ct − βct) = K (1 − β )ct 243 Nach dem Postulat der Lichtgeschwindigkeit muss die Gleichung für die x-Komponente des Lichtpulses in O und O’ gleich lauten: Wir erhalten Physik 244 Relativität und 1 = K (1 − β )K (1 + β ) ⇒ K2 = 1− β 2 1 1 1− β 2 Deshalb muss die Konstante K gleich dem Lorentz-Faktor sein (Siehe Kap. 3.2.2), d.h. K=γ, wobei, γ ≡ Wir erinneren daran, dass γ immer grösser als 1 ist und γ ≈ 1 für β<<1 oder V<<c. 1 K 2 x ′ (1 − 2 ) + βct′ K Kβ = K 2 x ′ + K 2βct′ − Kβct x ′ = K ( x − βct) = K (K ( x ′ + βct′ ) − βct) Die Transformationsgleichung für die Zeit ist und deshalb K 2 ( x ′ + βct′ ) − x ′ = Kβ x ′ = K 2 ( x ′ + βct′ ) − Kβct ⇒ ct = 1 1 = K x ′ (1 − 2 ) + ct′ K β Mit der Definition von K = γ = 1 ⁄ ( 1 – β 2 ) finden wir 1 1 1 (1 − 2 ) = (1 − (1 − β 2 )) = β β β K Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Lorentz-Transformation und schliesslich erhalten wir für die Zeittransformation ct = γ (βx ′ + ct′ ) Lorentz − Transformation Die sogenannten Lorentz Transformationen für den Raum und die Zeit folgen daraus x ′ = γ ( x − βct) y ′ = y z ′ = z ct′ = γ (ct − βx ) oder mit einer Matrixdarstellung x′µ M Lorentz ( β ) xµ −γβ 0 0 ct ct′ γ x ′ −γβ γ 0 0 x = 0 1 0 y y′ 0 0 0 1 z z′ 0 { 14442444 3{ Mit dieser Darstellung ist eine Symmetrie zwischen Raum und Zeit bemerkbar. β ↔ −β; x ↔ x ′; y ↔ y ′; z ↔ z′; t ↔ t′ Die inverse Transformation können wir durch den folgenden Austauch finden. 245 Die Lorentz Transformation erfüllt das Postulat der Lichtgeschwindigkeit. Physik 246 Relativität Sie stellt eine Beziehung her zwischen den Raum- und Zeitkoordinaten eines Ereignisses in einem Bezugssystem O und den Koordinaten desselben Ereignisses in einem anderen Bezugssystem O’, das sich mit der Geschwindigkeit βc relativ zu O bewegt. Bemerkung. Für Geschwindigkeiten viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit vereinfachen sich die Lorentz-Transformationen zu den Galileischen Transformationen. Es gilt im Fall V<<c (d.h. β<<1 und γ≈1) Die spezielle Relativit tstheorie “Man kann eine geradlinige Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit nicht fühlen.” Wir stellen uns z.B. vor, dass wir in einem Flugzeug sind. Das Flugzeug bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 1000 Kilometer pro Stunde. Wir sitzen im Flugzeug und schauen einen Film. Wenn die Fenster des Flugzeugs geschlossen sind, können wir die Höhe der Geschwindigkeit nicht fühlen. Falls wir unser Getränk verschütten, wird es auf unsere Beine fallen, wie wenn wir auf der Erdoberfläche sitzen würden. Aus den verschiedenen Dingen, die im Flugzeug geschehen, oder aus allen Experimenten, die wir im Flugzeug machen können, ist es unmöglich ganz sicher zu schliessen, ob das Flugzeug sich wirklich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt oder nicht. In einigen Fällen kann es logischer sein anzunehmen, dass das Flugzeug sich in Ruhe befindet, und die Erde als bewegtes System zu betrachten. Siehe Abb. 22. V x ′ = γ ( x − βct) ≈ x − ct ≈ x − Vt c y′ = y z′ = z ct′ = γ (ct − βx ) ≈ ct − V x ≈ ct c und wir erhalten die Galileischen Transformationen wieder. In welchem Fall können wir sicher schliessen, dass wir uns bewegen? Physik 247 Wenn wir scharf anfahren oder bremsen, oder wenn wir um eine scharfe Kurve fahren, fühlen wir die Beschleunigung. Die Änderung der Richtung oder des Betrages der Geschwindigkeit können wir fühlen! 6.8 Die spezielle Relativitätstheorie Der Name Relativitätstheorie wird gewählt, um die Unabhängigkeit der Naturgesetze vom Bewegungszustand des Beobachters auszudrücken. 6.8.1 Prinzip der Relativität Das Prinzip der Relativität ist uns nicht fremd. Es sagt: Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 248 Relativität Flugzeug de h G en Zü f ric Flugzeug Er Bewegung des Flugzeugs oder der Erde. Erde Zürich Genf Figur 22. Aber wenn es keine Beschleunigung gibt und wir uns geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, können wir nie sagen, ob wir uns wirklich bewegen oder nicht. Das Prinzip der Relativität kann ausgedrückt werden als: Alle relativ zu einem Inertialsystem gleichförmig bewegten Bezugssysteme sind ebenfalls Inertialsysteme und im Rahmen der Mechanik gleichwertig. D.h., es ist nicht möglich, durch die Überprüfung der physikalischen Gesetze ein frei bewegtes Bezugssystem vom anderen zu unterscheiden. Es folgt daraus, dass es in der Natur keine absolute Geschwindigkeit gibt. Bewegung ist wirklich ein relativer Begriff! Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die spezielle Relativit tstheorie 6.8.2 Die Einsteinschen Postulate Im Jahr 1905 veröffentlichte Einstein (im Alter von 26 Jahren) seine Arbeit “Über die Elektrodynamik bewegter Körper”, in der die spezielle Relativitätstheorie enthalten ist. Die Theorie basiert auf zwei Postulaten: 1. Das Prinzip der Relativität gilt: “Es gibt kein physikalisch bevorzugtes Inertialsystem. Die Naturgesetze müssen in allen Inertialsystemen dieselbe Form annehmen.” 1 ≈ 3 × 10 8 Meter / Sekunde ε 0µ 0 2. Die Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismus gilt (in allen Inertialsystemen): “Die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts (allgemein der elektromagnetischen Wellen) im Vakuum besitzt für jeden beliebigen Inertialbeobachter denselben Wert c, c= wobei ε0 und µ0 die Dielektrizitäts- und Permeabilitätskonstante im Vakuum sind. Es folgt, dass zwei verschiedene Beobachter, die sich relativ mit konstanter Geschwindigkeit V bewegen, ihre Beobachtungen des gleichen Ereignisses über die Lorentz-Transformation korrelieren müssen. 249 Diese Postulate sagen Effekte unmittelbar voraus, die zunächst sonderbar, sogar unheimlich scheinen. Sonderbar oder nicht, werden sie durch logische Argumente bewiesen und durch Experimente bestätigt! Physik 250 Relativität 6.8.3 Invarianz des Raumzeit-Intervalls Aus der Lorentz-Transformation folgen wichtige Effekte für Zeitintervalle und räumliche Entfernungen. Wir betrachten zwei Ereignisse mit Raumzeitkoordinaten x1µ=(ct1,x1,y1,z1) und x2µ=(ct2,x2,y2,z2) relativ zum Beobachter O. Wir definieren die räumliche Entfernung (den Abstand) zwischen den zwei Ereignisse als 2 2 ∆r 2 = ( x 2 − x1 ) 2 + ( y 2 − y1 ) 2 + ( z2 − z1 ) 2 2 = ( ∆x ) + ( ∆y ) + ( ∆z) Das Zeitintervall (die zeitliche Entfernung) ∆t zwischen den zwei Ereignissen wird definiert als ∆t = t2 − t1 und x 2′ µ = (ct2′ , x 2′ , y 2′ , z2′ ) Für einen anderen Beobachter O’ erscheinen die zwei Ereignisse im Allgemeinen mit verschiedenen Raumzeitkoordinaten x1′ µ = (ct1′ , x1′ , y1′ , z1′ ) 2 1 Die spezielle Relativit tstheorie und mit einer ähnliche Herleitung für das Zeitintervall, finden wir die folgenden Gleichungen für die Transformation der Entfernungen ∆x, ∆y, ∆z und ∆t. ∆x ′ = γ ( ∆x − βc∆t) ∆y ′ = ∆y ∆z′ = ∆z c∆t′ = γ (c∆t − β∆x ) Es folgt daraus, dass räumliche und zeitliche Entfernungen in verschiedenen Bezugssystemen unterschiedlich sind: ∆t ≠ ∆t′; ∆x ≠ ∆x ′ ⇒ ∆r ≠ ∆r′ D.h., von verschiedenen Beobachtern gemessene Zeitintervalle oder räumliche Abstände zwischen zwei Ereignissen sind nicht immer gleich. 2 2 2 2 2 Gibt es eine “Entfernung”, die dieselbe für alle Beobachter ist? Das Raumzeit-Intervall ∆s wird definiert als Physik 251 Wir beweisen nun, dass das Raumzeit-Intervall eine Invariante der Lorentz-Transformation ist. (das negative Vorzeichen für den Raum ist sehr wichtig!) 2 = (c∆t) − ( ∆x ) − ( ∆y ) − ( ∆z) (∆s) 2 ≡ (c∆t) 2 − (∆r) 2 Wir bestimmen die räumliche und zeitliche Entfernung bezüglich O’. Für die x-Koordinate gilt Zeitliche Räumliche − = Entfernung Entfernung 1 = γ ( x − x ) − γβ (ct − ct ) ∆x ′ = x 2′ − x1′ = γ ( x 2 − βct2 ) − γ ( x1 − βct1 ) 2 = γ ( ∆x − βc∆t) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 252 Relativität 2 2 2 2 2 2 2 2 2 − ( ∆x ) ) − ( ∆y ) 2 2 2 2 − ( ∆z) 2 − ( ∆z) 2 2 2 2 2 D.h., jeder beliebige Beobachter misst im Allgemeinen eine verschiedene räumliche und zeitliche Entfernung, aber dasselbe RaumzeitIntervall zwischen zwei Ereignissen: (∆s′ ) 2 = (c∆t′ ) 2 − (∆x ′ ) 2 − (∆y ′ ) 2 − (∆z′ ) 2 2 2 2 = (γ (c∆t − β∆x )) − (γ ( ∆x − βc∆t)) − ( ∆y ) − ( ∆z) ( 2 ) − 2βc∆t∆x + (β∆x ) ) − − 2βc∆t∆x + (βc∆t) ) − ( ∆y ) ((∆x) = γ 2 (c∆t) γ2 ( 2 2 = γ 2 (c∆t) − (βc∆t) − ( ∆x ) + (β∆x ) − ( ∆y ) − ( ∆z) =γ2 (1 − β )((c∆t) 2 = (c∆t) − ( ∆x ) − ( ∆y ) − ( ∆z) = ( ∆s) Man kann sagen, dass der Raum und die Zeit für veschiedene Beobachter unterschiedlich sind, aber die Raumzeit für alle gleich ist. Die spezielle Relativit tstheorie y x Die Rakete reist ohne Antrieb durch den Weltraum (d.h. sie wird nicht beschleunigt) und sie spürt keine äussere Kraft, insbesondere keine Gravitationskraft. Es folgt, dass die Rakete ein Inertialsystem ist. O ∆x=∆y=0 ∆t=Periode T Figur 23. Das Raketenbezugssystem bewegt sich ohne Antrieb und frei durch den Weltraum (es wirkt keine Gravitationskraft). Ein Beobachter O misst die Schwingungsperiode T der Masse, die an der Feder angebunden ist. Ein Beobachter O befindet sich in der Rakete. Er lenkt die Masse in die y-Richtung aus, und beobachtet die Schwingung der Masse. Relativ zu einem zweiten Beobachter O’ bewegt sich die Rakete mit einer Geschwindigkeit βc in die x’-Richtung, d.h. senkrecht zur Richtung der Schwingung. 6.8.4 Eigenzeit und Zeitdilatation Wir betrachten nun die Bewegung einer Masse, die an einer Feder angebunden ist. Wir definieren zwei Ereignisse. Physik 253 2. Ereignis: die Masse hat eine volle Schwingung durchgeführt. 1. Ereignis: die Masse wird losgelassen Siehe Abb. 24. Wir wissen schon (Siehe Kap. 4.1.3 und folgende), dass für eine nicht zu grosse Anfangsauslenkung die Masse eine harmonische Schwingung ausführt. Wir nehmen an, dass das Masse-Feder-System sich in einer Rakete befindet und dass die Masse in der y-Richtung schwingen wird. Siehe Abb. 23. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 254 Relativität y' O' x' Geschwindigkeit V βc(∆t') ∆x'=βc(∆t') ∆y'=0 ∆t'=gemessene Periode T' Geschwindigkeit V Figur 24. Relativ zum Beobachter O’ bewegt sich die Rakete mit einer Geschwindigkeit βc in die x’-Richtung. Ein Beobachter O’ misst die Schwingungsperiode T’ der Masse, die an der Feder angebunden ist. Wir betrachten die Schwingung bezüglich O. Nach einer Schwingung befindet sich die Masse wieder in ihrer Anfangsposition. Bezüglich O ist die räumliche Entfernung zwischen den zwei Ereignissen gleich null. Die zeitliche Entfernung entspricht der Periode T der Schwingung. Die zeitliche Entfernung zwischen Ereignissen, die bezüglich einem Bezugssystem am selben Ort stattfinden, heisst Eigenzeitintervall ∆τ. Für den Beobachter O, der sich relativ zum Masse-Feder-System in Ruhe befindet, ist das Eigenzeitintervall ∆τ gleich der Periode der Schwingung. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die spezielle Relativit tstheorie 2 2 Das Raumzeit-Intervall zwischen den zwei Ereignissen ist für O gleich 2 Eigenzeit 2 zeitliche zeitliche − (∆s) 2 = Entfernung Entfernung 2 = (c × ( Periode T )) − (0) ≡ (c∆τ ) 2 2 2 2 2 2 Bezüglich dem Beobachter O’ bewegt sich die Rakete. Der Beobachter O’ bestimmt das Raumzeit-Intervall zwischen den zwei Ereignissen als zeitliche räumliche (∆s′ ) 2 = − Entfernung Entfernung = (c∆t′ ) − ( ∆x ′ ) − ( ∆y ′ ) − ( ∆z′ ) ∆x ′ = (βc ) ∆t′ Nach einer Schwingung kehrt die Masse bezüglich O’ nicht in die Anfangsposition zurück. Sie ist in die x’-Richtung um ∆x’ verschoben 255 Während der Schwingung mit der gemessenen Periode ∆t’, hat sich das Masse-Feder-System mit der Geschwindigkeit βc in die x’-Richtung bewegt. Physik 256 Relativität 2 Das Raumzeit-Intervall ist dann gleich zeitliche räumliche (∆s′ ) 2 = − Entfernung Entfernung 2 2 2 2 2 2 = (c∆t′ ) − ( ∆x ′ ) − ( ∆y ′ ) − ( ∆z′ ) 2 = (c∆t′ ) − (βc∆t′ ) − 0 2 − 0 2 = (1 − β 2 )(c∆t′ ) = γ2 1 123 (∆s′ ) 2 = (1 − β 2 )(c∆t′ ) = (∆s) 2 = (c∆τ ) 2 Da das Raumzeit-Intervall eine Invariante ist, muss es denselben Wert für alle Beobachter besitzen. D.h. und es folgt bezüglich O ′ bezüglich O gemessene gemessene Zeit } } Zeit ∆t′ = γ ∆τ Das Zeitintervall, gemessen in einem bewegten Bezugssystem, ist immer um den Faktor γ grösser als das Eigenzeitintervall. Man spricht von Zeitdilatation. D.h., Vorgänge scheinen länger zu dauern, wenn sie in einem System ablaufen, das sich relativ zum Beobachter bewegt, als wenn sich das System in Ruhe befindet. Werden unterschiedliche Geschwindigkeiten von allen Uhren “wirklich” beobachtet? Die Antwort ist “ja!”. Wäre es möglich, dass komplizierte Uhren (d.h. komplizierter als die einfache Bewegung einer Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die spezielle Relativit tstheorie schwingenden Masse) nicht langsamer gehen? Die Antwort ist “nein”. Wäre das mit einer bestimmten Uhr gemessene Zeitintervall verschieden vom Wert, den die Zeitdilatation voraussagt, dann könnte man diese Uhr benutzen, um zu entscheiden, ob man sich wirklich bewegt oder nicht. Dies ist aber im Widerspruch zum Relativitätsprinzip. Es folgt, dass wenn eine Art von Uhr durch Geschwindigkeitseffekte langsamer geht, dann müssen alle Uhren und, im Allgemeinen, alle Vorgänge, die von der Zeit abhängen, um genau denselben Faktor γ langsamer gehen, um das Relativitätsprinzip nicht zu verletzen. Das Flugzeugexperiment2: Am 22. November 1975 flog ein Patrouillenflugzeug 15 Stunden lang in einer Höhe von 25000 bis 35000 Fuss. Im Flugzeug befanden sich sehr genaue Atomuhren. Die Uhren wurden mit genau gleichen Uhren auf der Erde verglichen. Bei einer mittleren Fluggeschwindigkeit von 140 Metern pro Sekunde lagen die durch die Luft transportierten Uhren nach dem 15-Stunden-Flug im Durchschnitt 5,6 Nanosekunden zurück. Die Theorie sagt für diese Geschwindigkeit eine Differenz von 5,7 Nanosekunden vorher. Der Zeitdilatationseffekt war bei diesem Experiment klein, weil die Geschwindigkeit des Flugzeuges klein war relativ zur Lichtgeschwindigkeit. Aber die Atomuhren sind so genau, dass das Nachgehen der Uhren eindeutig ist, und es stimmt mit der Theorie überein. 257 2. C.O. Alley, Quantum Optics, Experimental Gravity, and Measurement Theory, ed. P. Meystre und M.O. Scully (Plenum, New York, 1983). Physik 258 Relativität 6.8.5 Der ganze Weltraum gehört uns Das Lichtjahr wird definiert als die Entfernung, die das Licht in einem Jahr zurücklegt: 1 Lichtjahr = c × (1Jahr) ≈ 9, 5 × 1015 Meter Etwa 99 Lichtjahre von der Erde entfernt liegt der Stern Kanopus. Wir nehmen an, dass wir den Stern besuchen wollen, um ihn zu photographieren und mit den Aufnahmen nach Hause zurückzukehren. Ist das möglich? Wir denken: “Wir haben nur wenig mehr als 100 Jahre zu leben. Wir können höchstens die halbe Zeit für den Hinflug und die halbe Zeit für den Rückflug aufbringen. Selbt wenn wir mit Lichtgeschwindigkeit fliegen würden, würden wir 99 Jahre brauchen, nur um dorthin zu gelangen...” Dieses Denken ist nicht richtig, weil wir die Zeitdilatation verwenden müssen. 1 − (0, 994 ) 1 2 ≈9 Wenn die Rakete zum Kanopus sich z.B. mit einer Geschwindigkeit V=0,994c bewegt, ist der Lorentz-Faktor gleich γ= D.h., alle Uhren in der Rakete (und auch unser Lebenslauf) gehen 9 Mal langsamer als auf der Erde. Was für jemand auf der Erde als 99 Jahre lang erscheint, dauert für jemand in der Rakete nur 99/9=11 Jahre. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die spezielle Relativit tstheorie x 99 Lichtjahr /γ = / γ = 99, 6 / γ ≈ 11 Jahre V 0, 994 c Wenn die Rakete sich mit einer Geschwindigkeit V=0,994c bewegt, dauert für jemand in der Rakete die Reise zum Stern Kanopus t= Mit einer solchen Geschwindigkeit dauert die Reise zum Kanopus und zurück 22 Jahre. Es ist dann ganz gut möglich, Kanopus zu besuchen und mit den Aufnahmen nach Hause zurückzukerhen. Für die Leute, die auf der Erde bleiben, hat die Reise natürlich 99,6x2≈200 Erdjahre gedauert... Wenn wir in derselben Flugzeit weiter weg reisen wollen, müssen wir eine schnellere Rakete benutzen! Weil der Lorentz-Faktor γ nach unendlich geht wenn V nach c geht, können wir im Prinzip so weit entfernte Ziele bereisen, wie wir wollen. Der ganze Weltraum gehört uns. 6.8.6 Längenkontraktion x = Vt = (0, 994 c )(11Jahre) ≈ 11 Lichtjahre Wir betrachten noch einmal die Reise zum Stern Kanopus. Wir haben gefunden, dass für die Leute in der Rakete die Reise ungefähr 11 Jahre dauert. In dieser Zeit hat die Rakete den folgenden Abstand zurückgelegt Wie konnte die Rakete Kanopus erreichen, wenn sie nur einen Abstand von 11 Lichtjahren zurückgelegt hat? Kanopus ist für die Leute in der Rakete viel weniger weit entfernt. Wie die Zeitdilatation ist das Phänomen der Längenkontraktion reell. 259 Die räumliche Entfernung zwischen zwei Punkten (oder die Länge eines Gegenstandes) erscheint geringer, wenn sich der Physik 260 Relativität Beobachter relativ zu diesen Punkten bewegt als wenn er relativ zu ihnen ruht. Die Länge eines Gegenstandes, gemessen in seinem Ruhesystem, heisst Eigenlänge ∆λ (oder Ruhelänge). Wie können wir z.B. die Länge eines sich bewegenden Stabes messen? Eine Möglichkeit ist, zur selben Zeit die Positionen der beiden Enden zu markieren. D.h., der gemessene Abstand zwischen den beiden Enden des Stabes ist gleich der räumliche Entfernung zwischen Ereignissen, die zu derselben Zeit gemessen werden (Siehe die Definition des Zeitintervalls Kap. 6.8.4). Zum Beweis betrachen wir einen Stab, der sich im Bezugssystem O in Ruhe befindet. Ein zweiter Beobachter O’ bewegt sich relativ zum Stab mit einer Geschwindigkeit V. Es gilt ∆λ = ∆x = γ ( ∆x ′ + βc∆t′ ) bezüglich O ′ gemessene Länge } ∆x ′ = gemessene Länge } ∆λ γ bezüglich O Für O’ ist die Länge des Stabes gleich dem, zu derselben Zeit gemessenen Abstand, d.h. ∆t′ = 0 ⇒ ∆λ = γ ( ∆x ′ ) ⇒ 6.8.7 Die Geschwindigkeitstransformation Wir haben gesehen, dass aus der Galileischen Transformation die gewöhnliche Vektoraddition der Geschwindigkeit folgt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die spezielle Relativit tstheorie Mit Hilfe der Lorentz-Transformation können wir berechnen, wie sich Geschwindigkeiten beim Übergang von einem Beobachter zu einem anderen transformieren. Wir betrachten einen Körper, der sich mit einer Geschwindigkeit r u ′ = ux ′ , uy ′ , uz′ im Bezugssystem O’ bewegt, das sich relativ zum Bezugssystem O mit einer Geschwindigkeit V in x-Richtung bewegt. Die Geschwindigkeit des Körpers bezüglich O ist ( ) r dx dy dz u = ux , uy , uz = , , dt dt dt Die Lorentz-Transformation gilt auch für differentielle Intervalle (Siehe Kap. 6.8.3): dx = γ ( dx ′ + βcdt′ ) dy = dy ′ dz = dz′ cdt = γ (cdt′ + βdx ′ ) 261 Der Geschwindigkeitsvektor bezüglich O kann damit berechnet werden. Für die x-Komponente gilt dx ′ + βc dt′ γ ( dx ′ + βcdt′ ) u ′ +V dx dx ux = =c =c =c = x β dx ′ cdt dx cdt dt + γ β ′ ′ ( ) c + β 1 + ux ′ c dt′ Physik 262 Relativität Für die y-Komponente gilt dy ′ uy ′ dy ′ dy dy dt′ uy = =c =c =c = dx β ′ cdt dx cdt dt γ β + ′ ′ ( ) γ c + β γ 1 + ux ′ dt′ c und eine ähnliche Gleichung für die z-Komponente. Diese Gleichungen unterscheiden sich vom gewöhnlichen Ergebnis der Vektoraddition, weil die Nenner nicht gleich 1 sind. Für den Grenzfall V<<c und ux’<<c gehen diese Gleichungen in die Galileische Vektoraddition über. 6.8.8 Gleichzeitigkeit Die spezielle Relativit tstheorie O y c l x Laser l Strahlteiler c grüne Lampe y' O' x' Geschwindigkeit V Da der Laserpuls sich in beide Richtungen des Tischs mit derselben Geschwindigkeit c ausbreitet, werden die grüne und die rote Lampe gleichzeitig eingeschaltet. rote Lampe Figur 25. Eine Anordnung, um die Gleichzeitigkeit von Ereignissen zu prüfen. Da der Laserpuls sich in beide Richtungen mit der Geschwindigkeit c ausbreitet, werden die grüne und rote Lampe gleichzeitig eingeschaltet. Wir stellen uns nun die Frage, was geschehen würde, wenn der Tisch sich bewegt. Wir werden nun beweisen, dass der Ausdruck “zur selben Zeit” gewöhnlich nur für ein Bezugssystem Gültigkeit hat. Abb. 25 zeigt eine Anordnung, die auf einem Tisch liegt. Ein Laserpuls wird emittiert. Wir definieren zwei Ereignisse im Bezugssystem O des Tischs: Physik 263 wobei l der Abstand zwischen den Lampen und dem Strahlteiler ist. Wir haben das Ergebnis benutzt, dass das Licht die beiden Lampen x1µ = (ct, + l, 0, 0) µ x 2 = (ct, − l, 0, 0) Die Raumzeit-Koordinaten dieser Ereignisse bezüglich O sind gleich 2. Ereignis: das Licht erreicht die rote Lampe 1. Ereignis: das Licht erreicht die grüne Lampe Der Laserpuls fällt auf einen Strahlteiler. Ein Teil des Lichts geht nach vorn, wo er schliesslich einen Empfänger erreicht, der an eine grüne Lampe angeschlossen ist. Ein anderer Teil geht nach hinten, wo er einen anderen Empfänger erreicht, der an eine rote Lampe angeschlossen ist. Wenn der Laserpuls einen Empfänger trifft, schaltet die angeschlossene Lampe ein. Wir nehmen an, dass der Laser und der Strahlteiler sich in der Mitte des Tischs befinden. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 264 Relativität gleichzeitig erreicht, und deshalb die Zeiten t1 und t2 der beiden Ereignisse einander gleich sind: t1=t2=t. Die Raumzeit-Koordinaten bezüglich einem Beobachter O’, der sich mit einer Geschwindigkeit βc relativ zum Tisch bewegt, wird mit Hilfe der Lorentz-Transformation gefunden. Es gilt ct1′ = γ (ct1 − βx1 ) = γ (ct − βl) ′ ct2 = γ (ct2 − βx 2 ) = γ (ct + βl) Der von O’ gemessene Zeitunterschied ∆t’ ist dann gleich 1 1 2γβl ∆t′ = ct2′ − ct1′ = (γ (ct + βl) − γ (ct − βl)) = c c c D.h., der Zeitunterschied hängt von der Geschwindigkeit ab und verschwindet nicht, wenn β≠0. Bezüglich des bewegten Beobachters schalten die beiden Lampen nicht gleichzeitig ein! Die Gleichzeitigkeit von Ereignissen ist relativ. Dieses Ergebnis wird oft als Einsteinsches Zugsparadoxon bezeichnet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die spezielle Relativit tstheorie ⇒ ∆t′ < 0 ⇒ t2′ < t1′ ⇒ erst schaltet die rote Lampe ein ⇒ ∆t′ > 0 ⇒ t2′ > t1′ ⇒ erst schaltet die grüne Lampe ein Wir bemerken zusätzlich, dass das Vorzeichen des Zeitunterschieds vom Vorzeichen des Geschwindigkeitsparameters β abhängt. Wir unterscheiden zwei Fälle β > 0 β < 0 d.h., die zeitliche Ordnung des Einschaltens der Lampen hängt von der Richtung der Bewegung ab. Nicht nur ist die Gleichzeitigkeit von Ereignissen vom Beobachter abhängig, aber auch ihre zeitliche Ordnung. Dass ein Ereignis früher oder später als ein anderes Ereignis geschieht, ist ein relativer Begriff!3 Wie wird der sich bewegende Beobachter erklären, dass die beiden Lampen nicht gleichzeitig einschalten? Wir stellen uns vor, dass der bewegte Beobachter O’ den Tisch sieht, wie Abb. 26 zeigt. 265 3. Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse wird von der Relativitätstheorie gebrochen. Man kann beweisen, dass die Kausalität von Ereignissen nicht verletzt wird, solange keine Information sich schneller als die Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Physik 266 Relativität Geschwindigkeit V V rote Lampe O y c c l' x Laser c l' Strahlteiler c grüne Lampe V y' O' Figur 26. Der Tisch, wie er vom Beobachter O’ gesehen wird. Der Beobachter sieht, dass die rote Lampe sich vom Lichtstrahl entfernt, und dass die grüne Lampe sich dem Lichtstrahl nähert. x' Der Tisch, der Laser und die Lampen bewegen sich mit einer Geschwindigkeit βc in die negative x-Richtung (d.h. nach links in der Abbildung). l γ Wegen der Lorentz-Kontraktion erscheint der Tisch verkürzt mit einer halben Länge l′ = Wir schreiben die Gleichungen, die die Bewegung der Lampen und des Lichtstrahls beschreibt. Wir nehmen an, dass der Laserpuls zur Zeit t’=0 emittiert wird, und dass zur Zeit t’=0 der Beobachter O’ sich an der Position des Strahlteilers befindet. Für den Beobachter O’ entfernt sich die rote Lampe vom Lichtstrahl mit einer Geschwindigkeit βc, und die grüne Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die spezielle Relativit tstheorie Lampe nähert sich dem Lichtstrahl mit einer Geschwindigkeit βc. l x grün ( t1′ ) = l′ − Vt1′ = − βct1′ γ x ( t ′ ) = − l′ − Vt ′ = − l − βct ′ rot 2 2 2 γ Wegen des Postulats der Lichtgeschwindigkeit, breitet sich der Laserpuls in beide Richtungen des Tischs mit derselben Geschwindigkeit c aus. x licht _ 1 ( t1′ ) = ct1′ ′ ′ x licht _ 2 ( t2 ) = −ct2 l x grün ( t1′ ) = − βct1′ = ct1′ ⇒ γ x ( t ′ ) = − l − βct ′ = −ct ′ ⇒ 2 2 rot 2 γ (1 − β )ct2′ = l (1 + β )ct1′ = γ l γ Die Lichtstrahlen und die Lampen treffen sich zu den Zeiten t1’ resp. t2’ Es folgt 2βγl c l 1 l 1 + β − 1 + β 2βl 2 1 1 − γ ∆t′ = ct2′ − ct1′ = = = cγ 1 − β 1 + β cγ 1 − β 2 cγ c = 267 d.h., wir haben das Ergebnis wieder gefunden, das mit Hilfe der Lorentz-Transformation hergeleitet wurde. Physik 268 Relativität 6.9 Der relativistiche Energie-Impuls Vektor ) Im Kap. 3.2.2 und 3.2.3 haben wir die relativistiche Masse und den relativistischen Impuls eines Teilchens definiert als ) ( m = γm0 r r r r p = mv = γm0v = γm0βc ( wobei m0 die Ruhemasse des Teilchens und r β ≡ v x / c, v y / c, v z / c = β x , β y , β z der normierte Geschwindigkeitsvektor ist. Die Energie des Teilchens ist wegen der Masse-Energie-Äquivalenz gleich E = mc 2 = γm0c 2 Weil Energie und Impuls von der Geschwindigkeit des Teilchens abhängen, werden verschiedene Beobachter im Allgemeinen unterschiedliche Energien und Impulse desselben Teilchens messen. E = m 0c 2 ⇒ r r r p = γm0v = 0 Wir definieren das Teilchen-Ruhebezuggsystem (oder Ruhesystem) als das System, in dem sich das Teilchen in Ruhe befindet. D.h., relativ zum Ruhebezugssystem gilt β = 0 ⇒ γ =1 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der relativistiche Energie-Impuls Vektor (µ = 0,1, 2, 3) Ähnlich wie für den Raumzeit 4-Vektor, definieren wir den EnergieImpuls 4-Vektor als pµ ≡ = ( p 0 , p1, p 2 , p 3 ) = ( E , px c, py c, pzc ) r = ( E , pc ) wobei der Index µ über die 4 Komponenten des Vektors läuft. Wir bemerken, dass mit einer solchen Definition alle Komponenten des Energie-Impuls 4-Vektors dieselbe Einheit besitzen. Bezüglich des Ruhebezugssystems ist der Energie-Impuls 4-Vektor eines Teilchens gleich p µ ≡ ( m0c 2 , 0, 0, 0) wobei m0 die Ruhemasse des Teilchens ist. Wir bemerken, dass verschiedene Beobachter ihre Messungen des Energie-Impuls 4-Vektors durch eine Lorentz-Transformation korrelieren. ( ) 269 Wir betrachten ein Bezugssystem O’, das sich relativ zu O mit einer Geschwindigkeit V=βc in der x-Richtung bewegt, d.h. r β = β x , β y , β z = (β, 0, 0) Physik 270 Relativität Die Transformation des Energie-Impuls 4-Vektors von O nach O’ ist p′µ M Lorentz ( β ) p E′ γ −γβ 0 0 E cp ′ 0 0 cpx x = −γβ γ cpy ′ 0 0 1 0 cpy 0 0 1 cpz cpz′ 104442 444 3 123 123 µ In diesem Fall beobachtet man eine Symmetrie zwischen Energie und Impuls (Siehe Kap. 6.7). Als Beispiel betrachten wir ein Teilchen, das sich relativ zu O in Ruhe befindet. 2 2 E E cp γ β = − ′ ( x ) = γ ( m 0c − 0) = γm 0c 2 2 ′ cpx = γ (cpx − βE ) = γ (0 − βm0c ) = −γm0βc cpy ′ = cpy ′ cpz = cpz Relativ zu O’ ist der Energie-Impuls 4-Vektor gleich d.h. p′ µ = (γm0c 2 , −γm0βc 2 , 0, 0) = γm0c 2 , (−γm0v x )c, 0, 0 3 123 1424 E′ p x′ c Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der relativistiche Energie-Impuls Vektor und deshalb bewegt sich das Teilchen relativ zu O’, das sich relativ zum Teilchen in der positiven x-Richtung bewegt, mit einer Geschwindigkeit –βc in der negativen x’-Richtung. ) p µ = (γm0c 2 ,γm0βc 2 , 0, 0) Wir betrachten nun ein Teilchen, das sich mit einer Geschwindigkeit βc relativ zum Beobachter O in der positiven x-Richtung bewegt. Ein zweiter Beobachter O’ bewegt sich in derselben x-Richtung und mit derselben Geschwindigkeit wie das Teilchen. Es gilt und ( 2 2 2 2 2 2 E ′ = γ ( E − βcpx ) = γ γm0c − β (γm0βc ) = γ m0c (1 − β ) = m0c 2 2 ′ cpx = γ (cpx − βE ) = γ (γm0βc − βγm0c ) = 0 D.h., das Teilchen befindet sich relativ zum Beobachter O’ in Ruhe. 271 Ruhemasse. Als wir die Raumzeit-Koordinaten eines Ereignisses studiert haben, haben wir bemerkt, dass verschiedene Beobachter dasselbe Ereignis mit unterschiedlichen Koordinaten ausdrücken. Auch waren die räumliche und zeitliche Entfernungen zwischen Ereignissen verschieden für verschiedene Beobachter, aber das Raumzeit-Intervall wurde so definiert, dass es eine Invariante der Lorentz-Transformation ist (d.h. es besitzt denselben Wert für alle Beobachter). Physik 272 Relativität 2 2 Im Fall des Energie-Impuls 4-Vektors können wir in ähnlicher Weise eine Grösse definieren als ( ) 2 Energie Impulse 2 2 = ( E ) 2 − ( px c ) − py c − ( pzc ) − Koordinate Koordinaten r 2 2 = ( E ) − ( pc ) (Das negative Vorzeichen ist wichtig!). Man kann beweisen, dass, wie im Fall des Raumzeit-Intervalls, diese Grösse eine Invariante der Lorentz-Transformation ist. Es folgt 2 2 r r 2 ( E ) 2 − ( pc ) 2 = (γm0c 2 ) − (γm0vc ) r v2 = γ 2 m02c 4 1 − 2 c = m02c 4 = ( m0c 2 ) und deshalb messen alle Beobachter denselben Wert für die Ruhemasse des Teilchens. D.h., die Ruhemasse eines Teilchens ist eine Invariante der Lorentz-Transformation. Energie-Impulserhaltung. Das Konzept des Energie-Impuls 4-Vektors ist wichtig, weil aus dem Prinzip der Erhaltung der Energie und des Impulses ein ähnliches Prinzip der Erhaltung des Energie-Impuls 4-Vektors folgt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Rot- und Blauverschiebung des Lichts In Vorgängen, in denen viele Teilchen teilnehmen, wird der GesamtEnergie-Impuls 4-Vektor definiert als i P µ = p1µ + p2µ + ... = ∑ piµ Wenn das System isoliert ist, wird der Gesamt-Energie-Impuls 4Vektor erhalten. Diese Grösse ist deshalb sehr nützlich, und kann relativ zu verschiedenen Bezugssystemen mit Hilfe der LorentzTransformation berechnet werden. Siehe z.B. Kap. 7.1.9 (Stossvorgänge). 6.10 Die Rot- und Blauverschiebung des Lichts Wir betrachten eine Lichtquelle (im Bezugssystem O’), die sich mit einer konstanten Geschwindigkeit βc in Richtung eines Beobachters O bewegt. ⇒ λ′ = c ν′ Bezüglich O’ ist die Wellenlänge λ’ des emittierten Lichts gleich c = ν ′λ ′ ∆t′ = 1 ν′ 273 wobei ν’ die Frequenz des Lichts ist. Das Zeitintervall ∆t’ zwischen zwei aufeinanderfolgenden Wellenbergen ist gleich Physik 274 Relativität Für den Beobachter O ist wegen der Zeitdilatation dieses Zeitintervall ∆t gleich ∆t = γ∆t′ Die vom Beobachter O gemessene Wellenlänge λ ist gleich λ = c∆t − βc∆t = (1 − β )c∆t ⇒ λ 1− β ≤1 = λ′ 1+ β weil sich die Quelle um eine Strecke βc∆t auf den Beobachter zubewegt, während ein Wellenberg in einem Zeitintervall ∆t eine Entfernung c∆t zurücklegt. Siehe Abb. 27. Es folgt λ′ = 1− β λ′ 1+ β λ = (1 − β )c∆t = (1 − β )c (γ∆t′ ) c = (1 − β )γ ν′ 1− β 2 1− β = (1 − β )γλ ′ = Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Rot- und Blauverschiebung des Lichts Ruhende Quelle βc Bewegte Quelle βc Bewegte Quelle λ λ λ Wellenberge c c c Figur 27. Licht wird von einer Quelle emittiert. Die Wellenlänge erscheint länger or kürzer, wenn die Quelle sich bewegt. Wenn sich die Quelle in Richtung des Beobachters bewegt, wird die vom Beobachter gemessene Wellenlänge kleiner als sie im Quellensystem erscheint. D.h., das Verhältnis der Frequenzen des Lichts ist gleich 1+ β ν λ′ ≥1 = = 1− β ν′ λ 275 Weil Wellenlängen im Bereich von 0,7µm der roten Farbe und 0,4µm der blauen Farbe ensprechen, spricht man von Blauverschiebung des Lichts, wenn λ < λ’. Physik 276 Relativität Im Fall einer sich vom Beobachter wegbewegenden Quelle finden wir mit β → −β 1− β ν λ′ ≤1 = = 1+ β ν′ λ und man spricht von Rotverschiebung des Lichts. Rotverschiebung von Galaxien. Die Rotverschiebung kann benutzt werden, um die Geschwindigkeit von entfernten Galaxien relativ zur Erde zu bestimmen. Man misst sogenannte Lichtlinien von Atomen, die mit charakteristischen Wellenlängen emittiert und absorbiert werden. Eine Linie der Balmer-Serie des Wasserstoffatoms hat z.B. eine Wellenlänge von λ Balmerlinie = 656 nm Im Licht einer entfernten Galaxie wird z.B. die Wellenlänge dieser Linie mit dem folgenden Wert gemessen λ = 1460 nm 4, 95 − 1 ≈ 0, 664 4, 95 + 1 1 + β 1460 = ≈ 4, 95 1 − β 656 2 D.h., man beobachtet eine Rotverschiebung der Linie. Mit der Verschiebung berechnen wir die Geschwindigkeit und wir finden 1 + β = 4, 95(1 − β ) ⇒ β = Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Rot- und Blauverschiebung des Lichts Mit der Methode der Rotverschiebung in den Lichtspektren von Galaxien kann man die (radiale) Geschwindigkeit der Galaxien relativ zur Erde bestimmen. v=210 km/s v=2300 km/s v=5500 km/s v=15000 km/s v=23000 km/s d=2,6 Mpc d=28,8 Mpc d=68,8 Mpc d=187,5 Mpc d=287,5 Mpc Im Jahr 1929 hat E.P. Hubble mit einer solchen Methode eine Beziehung zwischen der Geschwindigkeit einer Galaxie und ihrer Entfernung von der Erde gefunden. Zum Beispiel, NGC221 NGC4473 NGC379 Galaxie im Ursa Major Haufen Galaxie im Gemini Haufen wobei 1 pc = 1 Par sec ≈ 3,1 × 1016 m ≈ 3,1 Lichtjahre und 1 Mpc = 106 pc. v = Hr Das Hubble-Gesetz sagt eine lineare Beziehung voraus wobei v die Geschwindigkeit relativ zur Erde, r die Entfernung von der Erde, und H die Hubble-Konstante ist. 277 In Abb. 28 sind neue Messungen der Beziehung zwischen der Entfernung und der Geschwindigkeit von entfernten Objekten zusammengefasst. Diese Messungen, bis zu Entfernungen von 400 Mpc (d.h. ≈1,2 GLj = 1,2x109 Lichtjahre), wurden mit Hilfe des NASA/ESA Hubble Space Telescopes durchgeführt. Physik 278 Relativität einer beliebigen Galaxie die gleiche Feststellung machen würde. Es folgt, dass sich alle Galaxien voneinander entfernen. Man spricht von der Expansion des Universums. Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie Physik 1 r r = = v Hr H 1 ≈ 4, 3 × 1017 Sekunde 72 km / s / Mpc 279 Die spezielle Relativitätstheorie spricht von Inertialsystemen. Sie sagt, dass es kein physikalisch bevorzugtes Inertialsystem gibt, und dass die Naturgesetze in allen Inertialsystemen dieselbe Form annehmen müssen. Die Verallgemeinerung der speziellen Relativitätstheorie auf NichtInertialsysteme heisst allgemeine Relativitätstheorie. Sie wurde von Einstein im Jahr 1916 veröffentlicht. 6.11 Eine Übersicht der allgemeinen Relativitätstheorie d.h., ungefähr 15 Milliarden Jahre. Zum Vergleich, das Alter der Erde ist ungefähr 5 Milliarden Jahre. ≈ 15 × 10 9 Jahre T≈ wobei r die Entfernung ist. Wir finden T= Unter dieser Annahme hat das Universum mit dem “Big-Bang” (Urknall) begonnen und sich seitdem ausgedehnt. Mit der HubbleKonstante kann das Alter des Universums bestimmt werden: Der genaue Wert der Hubble-Konstante ist schwierig zu berechnen weil die genauen Entfernungen der weit entfernten Objekte im Universum schwierig zu bestimmen sind. Ein mittlerer Wert von neuen Messungen gibt H = 72 ± 8 ( km / s) / Mpc ≈ 2, 4 (cm / s) / Lj Figur 28. Neue Messung der Hubble-Konstante mit dem Hubble Space Telescope (HST). (Freedman et al., astro-ph/0012376, Dez 2000) Das Hubble-Gesetz sagt, dass sich die Galaxien alle von uns entfernen. Da es keinen Grund gibt zur Annahme, dass unsere Lage auf der Erde bevorzugt ist, müssen wir annehmen, dass ein Beobachter in Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 280 Relativität Die spezielle Relativitätstheorie hängt stark vom Begriff des Inertialsystems ab. Eine genaue Definition eines Inertialsystems fehlt trotzdem in der speziellen Relativitätstheorie. Man sagt4, dass dies einer der Gründe ist, der Einstein zur Entwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie geführt hat. 6.11.1 Das Gravitationsfeld Im Kap. 2.6 haben wir die Existenz der allgemeinen Gravitationskraft gelernt. Wenn wir die Erde und, in einem bestimmten Abstand von ihr, einen beliebigen Körper betrachten, so übt die Erde eine Kraft auf diesen Körper aus. Die Gravitationskraft, die die Erde auf eine Masse m ausübt, ist gleich (siehe Kap. 2.6.4) r r Gm Em r FG = − r2 r wobei G die universelle Gravitationskonstante, mE die Masse der Erde und r der Ortsvektor der Masse ist. Der Ursprung des Koordinatensystems ist der Erdmittelpunkt. Wir definieren das Gravitationsfeld der Erde als r r r r F Gm r g (r ) = G = − 2 E m r r E 4. W. Rindler, “Essential Relativity”, Springer-Verlag (1979). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie Das Feld entspricht der Kraft, die eine Masse m in diesem Feld erfährt, dividiert durch die Masse (d.h. der Beschleunigung der Masse m). Wir sagen, dass wegen der Anwesenheit der Erde ein Gravitationsfeld im ganzen Weltraum erzeugt wird. Im Allgemeinen erzeugt ein beliebiger Körper, der eine Masse besitzt, ein Gravitationsfeld im ganzen Weltraum um ihn. Die Gravitations-Wechselwirkung zwischen der Erde und einem beliebigen Körper wird so erklärt: die Erde erzeugt ein Gravitationsfeld gE in jedem Punkt des Weltraums. Der Betrag dieses Feldes hängt vom Abstand zum Erdmittelpunkt ab. Ein beliebiger Körper der Masse m spürt den lokalen Wert des Feldes und spürt damit eine Kraft gleich r r r FG = mgE ( r ) In einer ähnlichen Weise können wir das Gravitationspotential definieren als r E pot ( r ) r GmE φG ( r ) ≡ =− m r wobei Epot die potentielle Energie der Gravitationskraft ist (Siehe Kap. 3.8.4). Wir erinnern uns daran, dass die Kraft mit Hilfe des Gradienten gefunden werden kann (Siehe Kap. 3.8.3) r r ∂E ∂E pot r ∂E r r pot pot F ≡ −∇E pot = − e + e + e ∂x x ∂y y ∂z z r r g ≡ −∇φG 281 Es folgt, dass das Gravitationsfeld gleich dem Gradient des Gravitationspotentials ist Physik 282 Relativität 6.11.2 Das Äquivalenzprinzip Die Grundlage der speziellen Relativitätstheorie bilden zwei Postulate. Im Fall der allgemeinen Relativitätstheorie ist die Grundlage das sogenannte Äquivalenzprinzip: Ein homogenes Gravitationsfeld ist zu einem gleichförmig beschleunigten Bezugssystem völlig äquivalent. Ein Körper der schweren Masse mg erfährt in einem homogenen Gravitationsfeld eine Kraft r r FG = mg g ⇒ Die Beschleunigung ist gleich die Kraft dividiert durch die träge Masse mI: r r F = mI a r mg r r F g = a= mI mI Wegen der Äquivalenz von schwerer und träger Masse, die in der Newtonschen Mechanik betrachtet wird (siehe Kap. 2.1.2), spüren alle Körper die gleiche Beschleunigung, unabhängig von ihrer Masse r r ⇒ a=g mI ≡ mg Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie = g Homogenes Gravitationsfeld Erde In der allgemeinen Relativitätstheorie nahm Einstein an, dass dieses Prinzip (das sogenannte Äquivalenzprinzip) nicht nur in der Mechanik, sondern in der gesamten Physik, gelten muss. a Beschleunigte Rakete Figur 29. Nach dem Äquivalenzprinzip können sich die Beobachtungen in einer gleichförmig beschleunigten Rakete nicht unterscheiden von denen in einem homogenen Gravitationsfeld, falls die Beschleunigung und das Gravitationsfeld denselben Betrag besitzen. 6.11.3 Die Gravitationsrotverschiebung Wir betrachten eine Rakete, in der sich zwei gleiche Uhren befinden. Die erste Uhr A hängt an der Decke der Rakete, und die zweite Uhr B liegt auf dem Boden der Rakete. D.h., vom Standpunkt der Mechanik aus gibt es keinen Unterschied zwischen der Wirkung eines homogene Gravitationsfelds, das alle Körper gleich beschleunigt, und der einer hypothetischen Beschleunigung, die auch alle Körper gleich beschleunigt, falls das Gravitationsfeld und die Beschleunigung denselben Betrag besitzen. Siehe Abb. 29. Physik 283 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 284 Relativität Wenn die Rakete sich in Ruhe befindet, beobachten wir, dass beide Uhren in jedem Zeitintervall ∆t einen Lichtpuls mit derselben Lichtfrequenz ν emittieren. Die Rakete wird nun gleichförmig beschleunigt. Wir sitzen auf dem Boden und vergleichen die Lichtpulse von A und B. Siehe Abb. 30. a A a L B Zeit t+∆t Geschwindigkeit v+a∆t A B Zeit t Geschwindigkeit v Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie Zeitintervalls ∆t wurde die Rakete gleichförmig beschleunigt und bewegt sich jetzt mit der grösseren Geschwindigkeit v + a∆t = βc + a∆t L c ⇒ ∆β ≈ aL c2 Weil die Rakete während des Zeitintervalls ∆t beschleunigt wurde, erscheint die Quelle A des Lichtpulses in Bewegung in Richtung des Punkts B, mit einer relativen Geschwindigkeit (βc + a∆t) − βc = a∆t ≈ a wobei L der Abstand der Uhren ist. Die scheinbare Geschwindigkeit des Empfängers B relativ zur Quelle A ist konstant gleich ∆β (für eine gleichförmige Beschleunigung a). L 1− a 2 c L 1+ a 2 c 2 ≈1+ a L c2 Damit misst der Beobachter in B eine Blauverschiebung des Lichtes (Siehe Kap. 6.10) 1 + ∆β 1 + ∆β ν λ′ ≈ = = = 1 − ∆β ν′ λ 1 − ∆β 2 Weil der Beobachter weiss, dass die Uhren dieselben sind, schliesst er aus der Beobachtung der Blauverschiebung, dass die Zeit in A schneller als in B geht! Nach dem Äquivalenzprinzip können sich die Beobachtungen in einer gleichförmig beschleunigten Rakete nicht unterscheiden von denen in einem homogenen Gravitationsfeld, falls die Beschleunigung und das Gravitationsfeld denselben Betrag besitzen. Figur 30. Gravitations-Zeitdilatation. Wegen der Beschleunigung der Rakete erscheint in Punkt B die Quelle A als ob sie sich relativ zu B bewegen würde. Wir nehmen an, dass zur Zeit t ein Lichtpuls von A emittiert wird. Die Rakete bewegt sich mit einer Geschwindigkeit βc=v. Während des Physik 285 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 286 Relativität ∆t′ ⇒ ∆t = gL 1 + 2 c Es folgt daraus eine Abhängigkeit der Zeit vom Gravitationsfeld, die sogenannte Gravitations-Zeitdilatation: gL ν ∆t′ = ≈1+ 2 c ν ′ ∆t d.h., das in B beobachtete Zeitintervall ∆t ist kleiner als das Eigenzeitintervall ∆t’ der Uhr A. Es folgt, dass die Uhr A schneller als die Uhr B geht. Experimenteller Beweis: ⇒ gL (1600 m)(9, 81m / s2 ) ≈ 1, 7 × 10 −13 ≈ 2 c2 (3 × 108 m / s) L ≈ 5320 Fuss ≈ 1600 Meter Eine Atomuhr am “National Bureau of Standards” in Boulder, Colorado, die sich 5400 Fuss über Meereshöhe befindet, gewinnt eine Zeitdifferenz von ungefähr 5 µs pro Jahr (= 5x10–6 Sekunde pro Jahr) relativ zu einer gleichen Atomuhr, die sich am “Royal Greenwich Observatory” in Grossbritanien in einer Höhe von nur 80 Fuss befindet. Die intrinsische Genauigkeit der Uhren ist 1 µs pro Jahr. und deshalb gL × (1Jahr) ≈ 5 × 10 −6 Sekunde pro Jahr c2 6.11.4 Die Ablenkung von Licht Wir betrachten einen Lichtstrahl, der in eine beschleunigte Rakete eintritt. Siehe Abb. 31. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie a t2 a t3 a t4 Lichtstrahl Die verschiedenen Positionen der Rakete sind nach gleichen Zeitintervallen gezeigt. Da die Rakete beschleunigt wird, vergrössert sich der zurückgelegte Abstand nach jedem Zeitintervall. Die Ablenkung wird zur Verdeutlichung stark übertrieben. a t1 g Lichtstrahl Figur 31. Lichtablenkung. Das Zeitintervall zwischen aufeinanderfolgenden Zeiten t1, t2, t3 und t4 ist konstant. Die Ablenkung wird zur Verdeutlichung stark übertrieben. 287 Für einen Beobachter, der sich in der Rakete befindet, beschreibt der Lichtstrahl eine Parabel. Physik 288 Relativität Wegen des Äquivalenzprinzips gibt es keine Möglichkeit zwischen der beschleunigten Rakete und einem Inertialsystem, das sich in einem homogenen Gravitationsfeld befindet, zu unterscheiden. Wir schliessen daraus, dass das Licht in einem Gravitationsfeld (d.h. in der Nähe einer Masse) abgelenkt wird. Wegen der hohen Lichtgeschwindigkeit ist dieser Effekt sehr schwer zu messen. Einstein erwähnte die Möglichkeit, die Ablenkung des Lichts von einem weit entfernten Stern zu beobachten, wenn das Licht sich nahe an der Sonne vorbeibewegt. Weil die Sonne so hell ist, wurde der Effekt erfolgreich zuerst im Jahr 1919, während einer Sonnenfinsternis, beobachtet. 4G M c2 ξ Mit Hilfe der allgemeinen Relativitätstheorie kann man beweisen, dass der von einer Punktmasse M bewirkte Ablenkungswinkel α gleich α (ξ ) = ξ M α Erde ist, wobei ξ die Entfernung zwischen der Masse und dem Lichtstrahl ist. Siehe Abb. 32. Lichtquelle Figur 32. Gravitationslinse. Das Licht einer weit entfernten Lichtquelle wird von einer Masse M abgelenkt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie M ( kg) ξ ( m) −11 3 2 4 G M 4 (6, 67 × 10 m / kg / s ) M ≈ c2 ξ ξ (9 × 108 m 2 / s2 ) Mit G = 6,67 × 10–11 m3/kg/s2 und c2 =9× 108m2/s2 erhalten wir α (ξ ) = ≈ 3 × 10 −19 Gravitationslinsen -Galerie vom Hubble Space Telescope. 289 Gravitationslinse. Der Effekt wird besser beobachtet, wenn die Masse sehr gross ist. Typische Galaxien besitzen 1012 Sterne und werden das Licht von weit entfernten Objekten ablenken. Damit können sogenannte Gravitationslinseneffekte beobachtet werden. Siehe Abb. 33. Figur 33. Physik 290 Relativität 6.11.5 Schwarze Löcher Oppenheimer und Snyder haben zuerst die Existenz von sogenannten Schwarzen Löchern im Jahr 1939 vorausgesagt. Wir betrachten die (klassische) Gesamtenergie eines Körpers, der sich bei einem Radius r mit der Geschwindigkeit v in der Nähe einer Masse M befindet E tot = E kin + E pot 1 Mm = mv 2 − G 2 r ⇒ vF = 2GM r wobei der Ursprung der Koordinaten in der Mitte der Masse M angenommen wird. Die Fluchtgeschwindigkeit wird definiert als die minimale benötigte Geschwindigkeit, um der Masse M zu entfliehen. Die Fluchtgeschwindigkeit ist gleich der Geschwindigkeit, die benötigt wird, um das Unendliche ( r → ∞ )mit der Geschwindigkeit null zu erreichen. Es folgt Mm 1 2 mv − G =0 r 2 F Die Fluchtgeschwindigkeit nimmt mit der Masse zu und mit dem Radius ab. Für einen kleiner werdenden Radius wird die Fluchtgeschwindigkeit zunehmen. Was passiert, wenn diese Fluchtgeschwindigkeit den Wert der Lichtgeschwindigkeit erreicht? 2GM RS ⇒ RS = 2GM c2 Der Grenzradius heisst der Schwarzschild-Radius und ist gleich5: c= Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie Für einen Körper mit der Masse der Sonne ist der SchwarzschildRadius ungefähr 3 km. Wenn die ganze Masse der Sonne innerhalb einem Radius von 3 km konzentriert wäre, würde das Gravitationsfeld so gross werden, dass nichts, nicht einmal Licht, ausgesendet werden könnte. Kein Objekt kann die Oberfläche eines Schwarzen Loches verlassen. Heutzutage gibt es keine sicheren Beweise für die Existenz von Schwarzen Löchern, wohl aber eine ganze Anzahl von Kandidaten. Astrophysiker haben Hinweise für ihre Existenz im Zentrum von verschiedenen Galaxien gefunden. Astrophysiker sind heutzutage der Meinung, dass die Galaxie M87 schlüssige Evidenz für die Existenz von Schwarzen Löchern bringt. Die Entfernung der M87 (im Virgo Haufen) von der Erde beträgt 50x106 Lichtjahre. Von einer Analyse der Bewegung der warmen Gase in der Galaxie kann man schliessen, dass sich ein Schwarzes Loch in der Mitte der M87 Galaxie befindet. Die Masse des Objekts, das sich in der Mitte der Galaxie befindet, ist ungefähr 3 Milliarden Sonnenmassen. Sie ist aber in einem Bereich konzentriert, der nicht grösser ist als unser Sonnensystem. 291 5. Strenggenommen kann die Newtonsche Mechanik in diesem Fall nicht benutzt werden, aber sie liefert dasselbe Ergebnis, wie die allgemeine relativistische Rechnung. Physik 292 Relativität Figur 34. Gas in der M87 Galaxie. Die warmen Gase, mit einer Temperatur von ungefähr 10000°K, drehen sich mit sehr hohen Geschwindigkeiten um das Objekt. Mit Hilfe der Blau- und Rotverschiebung des Lichts, das vom Gas emittiert wird, kann man die Geschwindigkeit des Gases berechnen. Mit der Auflösung des Hubble Space Telescopes konnte man beweisen, dass ein Teil des Gases sich in Richtung der Erde bewegt (d.h. Blauverschiebung), und dass ein anderer Teil sich von der Erde entfernt (d.h. Rotverschiebung). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Eine bersicht der allgemeinen Relativit tstheorie 293 Aus der Messung der Verschiebung folgt, dass sich das Gas sehr schnell um das Objekt dreht, mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 500 km pro Sekunde. Rot- und Blauverschiebung der Lichtspektren von der M87 Siehe Abb. 35. Figur 35. Galaxie. Physik 294 Relativität Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 7 Teilchen, Atome und Moleküle 7.1 Teilchensysteme Bis jetzt haben wir von der Dynamik eines Teilchens (einer Punktmasse) gesprochen (Siehe Kap. 1.1.1). Wir wollen nun das Problem mehrerer Teilchen betrachten. 7.1.1 Der Schwerpunkt 295 Wir betrachten ein System, das aus N Teilchen mit den (konstanten) Massen m1, m2, m3, ... = mi (i=1,N) besteht, die relativ zu einem Inertialsystem die Ortsvektoren r r r r (i = 1,..., N ) ri = x iex + y iey + ziez haben. Physik 296 Teilchen, Atome und Moleküle i =1, N ∑m i = m1 + m2 + ... Die Gesamtmasse M des Systems ist M= i =1, N ( ) Der Schwerpunkt des Teilchensystems wird definiert als der Punkt, der durch den Ortsvektor r r r r r MrSP ≡ ∑ mi ri = ∑ mi x iex + y iey + ziez i =1, N r r r = ∑ m i x i ex + ∑ m i y i ey + ∑ m i z i ez i =1,N i =1,N i =1,N i i ∑mx; i =1, N My SP = i i ∑my i =1, N und MzSP = i =1, N i i ∑mz gegeben ist. Diese Vektorgleichung ist im Fall von 3 Dimensionen äquivalent zu den folgenden Koordinatengleichungen: Mx SP = Beispiel: Zwei Teilchen der Masse m1 und m2 mit dem Abstand d. Wir wählen das Koordinatensystem so, dass x1 und x2 die Teilchenkoordinaten in der x-Richtung sind. Zusätzlich können wir annehmen, dass x1=0, d.h. der Ursprung des Koordinatensystems fällt mit dem Zentrum der Masse m1 zusammen. Siehe Abb. 1. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia m1 y x1 O m2 x x2 SP d d 2 x mx +m x m0+m d m 1 ∑ m x = 1m1 + m2 2 = m1 + m2 = m +2m d M i =1,N i i 1 2 1 2 1 2 Ein System mit zwei Teilchen. Teilchensysteme Figur 1. Es gilt x SP = Spezialfälle: m2 = 0: x SP = 0 m1 = 0: x SP = d m1 = m2 : x SP = 297 Für Teilchen gleicher Masse liegt der Schwerpunkt auf der halben Strecke zwischen den beiden Teilchen. Sonst liegt er näher beim Teilchen mit der grösseren Masse. Physik 298 Teilchen, Atome und Moleküle 7.1.2 Kontinuierliche Massenverteilung Einen gewöhnlichen Gegenstand, wie z.B. einen Stab, kann man sich aus sehr vielen “Teilchen” bestehend vorstellen. Wir betrachten deshalb einen Gegenstand so, als ob er eine kontinuierliche Masseverteilung besitzen würde. dm dm = r dxdydz d 3 r Seine Dichte wird definiert als eine Funktion der Raumkoordinaten: r ρ( r ) = ρ( x, y, z) = wobei dxdydz ein differentielles Volumenelement und dm die darin enthaltene Masse ist. Für einen homogenen Körpers ist die Dichte innerhalb des Körpers konstant und gleich r M ρ( r ) = ρ = V wobei M die Gesamtmasse und V das Gesamtvolumen des Körpers ist. Es gilt (wir betrachten den dreidimensionalen Fall) M = ∫ dm = ∫∫∫ ρ( x, y, z) dxdydz Der Schwerpunkt wird durch das Ersetzen der Summe durch ein Integral gefunden r r r r MrSP ≡ ∫ rdm = ∫∫∫ r ρ( r ) dxdydz Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme oder Mx = xdm = ∫∫∫ xρ( x, y, z)dxdydz SP ∫ My SP = ∫ ydm = ∫∫∫ yρ( x, y, z) dxdydz MzSP = ∫ zdm = ∫∫∫ zρ( x, y, z) dxdydz Beispiel: Schwerpunkt einer homogenen Scheibe mit Radius 2R mit einem Loch vom Radius R. Siehe Abb. 2. Wir benutzen eine Anordnung des Koordinatensystems, wie in Abb. 2 gezeigt. 1 1 ydm = ∫∫ yρ( x, y ) dxdy M∫ M Die y-Koordinate des Schwerpunkts ist gleich y SP = y SP 1 = yρ( x, y ) dxdy M ∫∫ 1 1 yρdxdy + yρdxdy M y∫∫ M y∫∫ <0 >0 = =0 299 Die Verteilung der Masse ist symmetrisch um die x-Koordinatenachse. Es folgt Physik 300 2 y 2R S Homogene Scheibe mit einem Loch. S R Teilchen, Atome und Moleküle Figur 2. 1 = M S 1− S 2 x SP x Um die x-Koordinate des Schwerpunkts zu bestimmen, betrachten wir die zwei Scheiben S1 und S2, wobei S1 eine homogene Scheibe mit Radius 2R und S2 eine homogene Scheibe mit Radius R ist. Es gilt =− M S2 R ∫∫S xρdxdy = ∫∫S xρdxdy + S ∫∫S xρdxdy 1 2 1− 2 1 424 3 1 424 3 1 4243 =0 ⇒ 0 = − M S2 R + M S1 − S2 x SP Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme und x SP = M S2 M S1 − S2 R= ( ρπR 2 2 ρ π (2 R) − πR 2 7.1.3 Innere und äussere Kräfte ) R= 1 R 3 Wir betrachten eine Anordnung, in der zwei Massen m1 und m2 durch eine Feder mit der Federkonstante k verbunden sind. Wenn die Feder gedehnt wird, werden sich die Massen in relativer Schwingungsbewegung befinden. Wir beginnen mit dem Fall, in dem die Massen nur ihre gegenseitigen Wechselwirkungen spüren, d.h., es wirkt nur die Feder auf sie und keine anderen Kräfte (z.B. Gravitationskraft). Man spricht von einer inneren Kraft (oder internen Kraft) für die Federkraft und von äusseren Kräften für die anderen, d.h., wir betrachen den Fall, in dem keine äusseren Kräften (oder externen Kräfte) wirken. m1 r dv1 r = F12 dt r r F12 = − F21 und m2 r dv 2 r = F21 dt r r F12 = F21 = kx 301 Die Bewegungsgleichung für jede Masse relativ zu einem Inertialbeobachter O ist wobei Physik 302 12 1 F 21 m2 Zwei Massen, die durch eine Feder verbunden sind. m F Teilchen, Atome und Moleküle Figur 3. 1 d r r 1r (v − v ) = + F dt 1 2 m1 m2 12 Die Kräfte zeigen längs der Linie, die die zwei Massen verbindet. x ist die Dehnung der Feder. Es folgt r r r r dv1 dv 2 F12 F21 − = − ⇒ dt dt m1 m2 Die Geschwindigkeit von m1 relativ zu m2 ist gleich r r r v1 - v 2 = v12 und deshalb r r µa12 = F12 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme und r r dv a12 = 12 dt wobei wir die reduzierte Masse µ und die relative Beschleunigung definiert haben 1 1 1 = + µ m1 m2 k µ Es folgt, dass die relative Bewegung der Masse ganz einfach zu beschreiben ist. Die Massen schwingen mit einer Frequenz ω= wobei µ die reduzierte Masse ist. Um die Wirkung von äusseren Kräften zu verstehen, werden wir die Bewegung des Schwerpunkts analysieren. 7.1.4 Dynamik des Schwerpunkts Wir betrachten nun den Fall, in dem interne und externe Kräfte auf die Massen eines Teilchensystems wirken. r i i ∑mr i =1, N Wenn wir die zeitliche Ableitung der Gleichung des Schwerpunkts nehmen, erhalten wir die Geschwindigkeit des Schwerpunkts r r r r dr d ⇒ Mv SP = ∑ mr = ∑ m i = ∑ mv dt i =1,N i i i =1,N i dt i =1,N i i r MrSP = r r r r d MaSP = ∑ mv = ∑ ma = ∑ F dt i =1,N i i i =1,N i i i =1,N i 303 Wir differenzieren noch einmal, um die Beschleunigung des Schwerpunkts zu erhalten Physik 304 Teilchen, Atome und Moleküle i =1, N ( i i i ) i =1, N i =1, N wobei wir das zweite Newtonsche Gesetz benutzt haben, um die auf die Masse i resultierende Kraft zu ersezten r r F =ma i =1, N Wir unterteilen die resultierende Kraft in interne und externe Teile: r r r r r r MaSP = ∑ Fi = ∑ Fi,int + Fi,ext = ∑ Fi,int + ∑ Fi,ext Das Aktion-Reaktion Gesetz: Wie nehmen an, dass die internen Kräfte zwischen Paaren von Teilchen wirken. Wir betrachten z.B. ein System mit drei Teilchen, die durch Federn verbunden sind. Die Kräfte, die auf die Massen wirken, können in Paaren von Kräften zusammengefasst werden, die mit demselben Betrag aber entgegengesetzter Richung wirken r r r r r r F12 = − F21; F13 = − F31; F23 = − F32 Diese Eigenschaft von Kräften wird als drittes Newtonsches Gesetz (oder Aktion-Reaktion Gesetz) bezeichnet. Das dritte Newtonsche Gesetz folgt aus der Erhaltung des Impulses eines isolierten Systems. Wenn wir zwei isolierte aufeinander wirkende Massen wie in Abb. 3 betrachten, dann folgt aus dem Prinzip der Erhaltung des Gesamtimpulses, dass r r r dP d ( p1 + p2 ) = =0 dt dt Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme m 1 F F 12 13 F 31 F 3 m 21 F 2 m 32 23 F Figur 4. Ein System mit drei Teilchen, die durch Federn verbunden sind. Die Kräfte, die auf die Massen wirken, können in Paaren zusammengefasst werden. Es gilt r r r r r r dv dv d ( p1 + p2 ) dp1 dp2 = + = m1 1 + m2 2 dt dt dt dt dt r r = m1a1 + m2 a2 r r r r = F12 + F21 = 0 ⇒ F12 = − F21 =0 r r r r Ma = ∑ Fi,int + ∑ Fi,ext = ∑ Fi,ext i =1, N i =1, N 12 4 4 3 i =1,N SP 305 Bewegungsgleichung des Schwerpunkts. Das dritte Newtonsche Gesetz wird benutzt, um die Bewegungsgleichung des Schwerpunkts zu vereinfachen Physik 306 Teilchen, Atome und Moleküle Weil wir über alle Teilchen im System summieren, kompensieren sich die internen Kräfte gegenseitig, und übrig bleiben nur die externen Kräfte. Die Gleichung der Bewegung des Schwerpunkts hat die gleiche Form wie das zweite Newtonsche Gesetz für einen Körper der Masse M, die sich im Schwerpunkt befindet und die Wirkung der resultierenden äusseren Kräfte spürt. Es folgt daraus, dass sich der Schwerpunkt so bewegt, als ob die Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert wäre. Wenn keine resultierende Kraft auf das Teilchensystem wirkt, bewegt sich der Schwerpunkt mit konstanter Geschwindigkeit. i =1, N r r P = Mv SP Gesamtimpuls des Teilchensystems. Aus der zeitlichen Ableitung der Definition des Schwerpunkts folgt r r Mv SP = ∑ miv i i oder Da der Impuls eines Teilchens gleich r r pi = miv i r ∑ p = Gesamtimpuls des Systems i =1, N ist, können wir schreiben r r r P 1 v SP = ∑p= M i =1,N i M wobei r P≡ Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme Daraus können wir schliessen, dass der Gesamtimpuls eines Systems so erscheint, als ob die Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert wäre und sich mit einer Geschwindigkeit v SP bewegt. Deshalb wird v SP als Systemgeschwindigkeit bezeichnet. Wenn wir von der Geschwindigkeit eines Körpers sprechen, der aus vielen Teilchen besteht, wie z.B. ein Flugzeug oder ein Auto, oder die Erde oder der Mond, beziehen wir uns auf die Geschwindigkeit seines Schwerpunkts. m2 2 v e v2=0 Holzklotz Beispiel: Ein Geschoss wird auf einen Holzklotz abgefeuert. Wir nehmen an, dass keine resultierende äussere Kraft wirkt, d.h., der Holzklotz bewegt sich reibungsfrei auf dem Boden. Siehe Abb. 5. Kugel v 1 m1 Reibungsfreie Bewegung 1 m +m 307 Figur 5. Geschoss auf Holzklotz. Da keine äussere resultierende Kraft wirkt, sind der Gesamtimpuls und die Geschwindigkeit des Schwerpunkts vor und nach dem Stoss gleich. Physik 308 Teilchen, Atome und Moleküle i 2 Vor dem Stoss: am Anfang sind die Impulse der Massen gleich r r r p1 = m1v1 und p2 = 0 r ∑p= 1 Die Geschwindigkeit des Schwerpunkts ist r r r p1 + p2 m1v1 = M m +m r 1 v SP = M i =1, N Nach dem Stoss: das Geschoss und der Holzklotz kleben zusammen. Der Endimpuls ist gleich r r pe = ( m1 + m2 )v e r i, ext ∑F i =1, N =0 r ⇒ v SP = Konst. r MaSP = ⇒ r aSP = 0 Da keine resultierende äussere Kraft wirkt, ist die Geschwindigkeit des Schwerpunkts vor und nach dem Stoss dieselbe. Und deshalb r r v e = v SP Teilchensysteme 7.1.5 Das ballistische Pendel Bei einem ballistischen Pendel wird ein Klotz als Pendel aufgehängt. Siehe Abb. 6. Ein Geschoss wird auf den Klotz abgefeuert. Nach dem Aufprall werden das Geschoss und der Klotz zusammenkleben. Das GeschossKlotz-System wird zu einer Höhe h ausgelenkt. Mit Hilfe der Impulserhaltung können wir die Projektilgeschwindigkeit bestimmen. ∆x ≈ 25cm h = l(1 − cosθ ) ≈ 0, 58 cm ∆x ≈ lθ ⇒ l = 535cm ⇒ θ ≈ 2, 7° Experiment: Ballistisches Pendel. Das Geschoss wird abgefeuert. Wir messen den Ausschlag ∆x des Pendels. Die Länge des Pendels wird als l bezeichnet. und Während des Aufpralls bleibt der Gesamtimpuls erhalten, d.h. der Anfangsimpuls ist gleich dem Endimpuls. Es folgt Geschoss − Klotz − System mv m + M )vGK {G = (1 4243 Geschoss wobei m die Masse des Geschosses, M die Masse des Klotzes, vG die Geschwindigkeit des Geschosses (vor dem Aufprall) und vGK die Geschwindigkeit des Geschoss-Klotz-Systems nach dem Aufprall ist. Der Endimpuls ist r r r r r r m1v1 = m1v1 = p1 pe = ( m1 + m2 )v e = ( m1 + m2 )v SP = ( m1 + m2 ) m1 + m2 Wir haben explizit bewiesen, dass der Gesamtimpuls erhalten ist. Physik 309 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 310 Teilchen, Atome und Moleküle l θ Ausschlag ∆x Ein ballistisches Pendel. Kugel m h m+M m+M m + M vGK = vG = 2 gh m m 700 g ≈ 2(9, 81m / s2 )(0, 58 × 10 −2 m) 1g ≈ 240 m / s Es gilt für m=1 g und M+m=700 g Figur 6. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme 7.1.6 Das Schwerpunktssystem Wir haben ein Beispiel betrachtet, in dem zwei Massen durch eine Feder verbunden waren. Wir haben gesehen, dass die relative Bewegung der Massen ziemlich einfach ausgedrückt werden konnte. Im Allgemeinen ist es oft praktisch, ein Koordinatensystem zu wählen, dessen Ursprung im Schwerpunkt des Systems liegt. Oft können Vorgänge leichter relativ zum Schwerpunkt untersucht werden. O yL ySP SP zSP xL xSP 311 Wir definieren das SP-Bezugssystem mit Koordinatenachsen XSP, YSP, ZSP als das System, das mit dem Schwerpunkt des Teilchensystems zusammenfällt. Das L-Bezugssystem (oder Labor-Bezugssystem) ist relativ zu einem Inertial-Beobachter fixiert. Siehe Abb. 7. zL Figur 7. Das Labor- und das Schwerpunktsbezugssystem. Die Koordinatenachsen müssen nicht parallel sein. Physik 312 Teilchen, Atome und Moleküle Im Allgemeinen sind die Achsen des L- und SP-Bezugssystems nicht parallel zueinander. Wenn das Teilchensystem z.B. eine bestimmte Symmetrie besitzt, kann man die Richtung der Achsen des SP-Koordinatensystems so definieren, dass die Symmetrie respektiert wird. r = Mv SP ≡ 0 Relativ zum SP-Bezugssystem befindet sich der Schwerpunkt in Ruhe! Es folgt, dass der Gesamtimpuls relativ zum SP-Bezugssystem gleich null ist r P SP { bezüglich SP Deshalb wird das SP-Bezugssystem auch als Nullimpuls-Bezugssystem bezeichnet. Beispiel: Wir untersuchen das Beispiel mit dem Geschoss auf den Holzklotz im Schwerpunktsystem. Siehe Abb 8. Vor dem Stoss: Bezüglich des Schwerpunktsystems sind die Geschwindigkeiten des Geschosses und des Holzklotzes vor dem Stoss gegeben durch r r r r r m2 r m1v1 m1 r v = 1 − v1,SP = v1 − v SP = v1 − v = m1 + m2 m1 + m2 1 m1 + m2 1 vr = vr − vr = − m1 vr 2, SP 2 SP m1 + m2 1 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme Vor dem Stoss: v1,SP Im SP v2,SP ve,SP=0 p1+p2=0 pe=0 Geschoss-Holzklotz-Stoss im Schwerpunktssystem. Nach dem Stoss: Figur 8. Der Gesamtimpuls bezüglich des SP ist gleich m r r r m1 r 2 v1 p1,SP + p2,SP = m1 v1 + m2 − m1 + m2 m1 + m2 =0 wie erwartet. Bezüglich des SP haben beide Körper gleich grosse und entgegengesetzte Impulse. 313 Nach dem Stoss: das Geschoss steckt im Holzklotz. Der Schwerpunkt bewegt sich mit derselben Geschwindigkeit wie das GeschossHolzklotz-System. Bezüglich des SP ist diese Geschwindigkeit gleich null. Der Endimpuls ist desalb null und gleich dem Anfangsimpuls, d.h. der Impuls wurde während des Stosses erhalten. Physik 314 Teilchen, Atome und Moleküle 7.1.7 Kinetische Energie des Teilchensystems ∑E i =1, N kin , i = 1 r 2 i i ∑ 2mv i =1, N Die kinetische Energie des Teilchensystems ist die Summe der kinetischen Energien der einzelnen Teilchen E kin = bezüglich SP r 2 1 ∑ m (v ) 2 =1,N i i,SP 1i 4 42443 i =1, N ∑ p i , SP = 0 Die Geschwindigkeit eines Teilchens kann geschrieben werden, als die Summe der Schwerpunktsgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Teilchens relativ zum Schwerpunkt: r r r v i = v SP + v i,SP { Es folgt E kin r 2 1 M (v SP ) + 2 424 1 3 kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt r r 2 1 r 1 = ∑ miv i2 = ∑ mi (v SP + v i,SP ) 2 , = 1 i =1, N 2 i N r 2 1 r 2 r r 1 = ∑ m (v ) + ∑ m (v ) + v ∑ miv i,SP SP 2 i =1,N i SP 2 i =1,N i i,SP i =1, N 142 43 r = kinetische Energie des Schwerpunkts Wir haben das Ergebnis benutzt, dass der Gesamtimpuls relativ zum Schwerpunkt gleich null ist. Die kinetische Energie ist die Summe von zwei Termen: die kinetische Energie des Schwerpunkts und die kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme 7.1.8 Gesamtenergie eines Teilchensystems Wir betrachen den Fall, in dem interne und externe Kräfte auf die Teilchen wirken. Wir nehmen an, dass alle Kräfte konservativ sind, d.h., sie können mit Hilfe einer potentiellen Energie beschrieben werden. ∑E i =1, N kin , i + ∑E i =1, N pot , i r 2 1 ∑ m (v ) 2 =1,N i i,SP 1i 4 42443 kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt + E pot ,externe + E pot, interne Die Gesamtenergie ist die Summe der kinetischen und potentiellen Energien E= r 2 1 = M (v SP ) + 2 4243 1 kinetische Energie des Schwerpunkts i =1, N Mh SP i =1, N E pot ,i = ∑ mi ghi = g ∑ mi hi = gMhSP 12 4 4 3 Wir betrachten z.B. die äussere Gravitationskraft. Die externe potentielle Energie des Teilchensystems ist gleich ∑ i =1, N wobei hi die Höhe der einzelnen Teilchen und hSP die Höhe des Schwerpunkts ist. Die externe potentielle Energie ist die gleiche, wie wenn die Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert wäre. Die innere potentielle Energie entspricht den inneren Kräften, die zwischen Teilchenpaaren wirken. Sie hängt oft nur vom Abstand zwischen einem Teilchenpaar ab. In diesem Fall ist die innere potentielle Energie unabhängig vom Bezugssystem, weil sie nur vom Abstand abhängt. 315 Die innere Energie U des Systems wird definiert als die Summe der kinetischen Energien der Teilchen relativ zum Labor-System und Physik 316 Teilchen, Atome und Moleküle +E pot, interne r2 1 = ∑ miv i + E pot, interne 2 i =1,N ihrer inneren potentiellen Energie, welche nach unserer Annahme unabhängig vom Bezugssystem ist U=E kin E= U { innere Energie + E pot ,externe 14 24 3 potentielle Energie der äusseren Kräfte Die Gesamtenergie, im Fall, dass nur konservative äussere Kräfte wirken, ist dann gleich 7.1.9 Stossvorgänge Man spricht von einem Stoss, wenn 1. 2. zwei oder mehr Teilchen (Körper) sich einander nähern; die Teilchen mit relativ grossen Kräften kurzzeitig wechselwirken. Wir nehmen an, dass ein Stoss ziemlich schnell geschieht, so dass die Wirkung der äusseren Kräfte relativ zur Wirkung der inneren Kräfte als vernachlässigbar betrachtet werden kann. Während des Stosses wird Impuls zwischen den Teilchen übertragen. Aber wenn nur innere Kräfte ins Spiel kommen, bleibt der Gesamtimpuls der Teilchen erhalten. Impulserhaltung: nach vor r r ∑ pi′ = ∑ pi = Erhaltung des Gesamtimpulses i =1, N i =1, N 1 23 1 23 Erhaltung der kinetischen Energie: Wenn alle Kräfte konservativ sind, d.h., sie können mit Hilfe einer potentiellen Energie beschrieben werden, ist die Gesamtenergie des Teilchensystems gleich Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme E= = ∑E i =1, N U { kin , i innere Energie + + ∑E i =1, N pot , i E pot ,externe 14 24 3 potentielle Energie der äusseren Kräfte = Konst. = E kin + E pot, interne = Konst. und diese Energie wird erhalten. Wenn zusätzlich nur innere Kräfte ins Spiel kommen, wie im Fall eines kurzzeitigen Stosses, wird die innere Energie erhalten U { innere Energie Die innere potentielle Energie entspricht der relativen Anordnung des Teilchens. Es folgt, dass die kinetische Energie sich wegen der Möglichkeit innerer Umordnungen der Teilchen während des Stosses verändern kann. Die kinetische Energie nimmt bei einer Zunahme der inneren Energie ab, und nimmt auf Kosten der inneren Energie des Teilchens zu. Wenn nicht-konservative Kräfte wirken, wird die von den nicht-konservativen Kräften geleistete Arbeit die kinetische Energie des Systems auch modifizieren. nach vor Q ≡ E kin ( nach ) − E kin (vor) r 2 1 r 2 1 = ∑ miv i′ − ∑ miv i,vor 2 =1,N 2 =1,N 1i 4 243 1i 4 4244 3 317 Im Allgeimeinen heisst der Wert der Änderung der kinetischen Energie Q-Wert der Reaktion: Physik 318 Teilchen, Atome und Moleküle Elastischer Stoss: Q=0 Inelastischer Stoss Wir unterscheiden: 1. 2. Q > 0: exoenergetisch E kin ( nach ) > E kin (vor) Q < 0: endoenergetisch E kin ( nach ) < E kin (vor) Wenn alle Körper nach dem Stoss zusammenkleben, heisst der Stoss total inelastisch. In diesem Fall müssen die Endgeschwindigkeiten der Teilchen gleich der Geschwindigkeit des Schwerpunkts sein r r v{i′ = v SP i = 1,..., N nach Das ballistisches Pendel und das Geschoss-Holzkoltz Beispiel entsprechen total inelatischen Stössen. Beispiel: Wir betrachten das Geschoss-Holzkoltz Beispiel im LaborSystem. Siehe Abb. 5. 1 r2 mv 2 11 Vor dem Stoss: Die anfängliche Energie des Systems ist die kinetische Energie des Geschosses E vor = Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme Nach dem Stoss: Die kinetische Energie ist die kinetische Energie des Geschoss-Holzklotz-Systems E nach r r2 1 1 = ( m1 + m2 )v e2 = ( m1 + m2 )v SP 2 2 2 r r m v m 1 1 (m + m2 ) m +1 m1 = 2 m +1m m1v12 2 1 1 2 1 2 = m1 = E vor < E vor m1 + m2 Ein Teil der kinetischen Energie geht verloren, d.h. Q<0 (endoenergetisch), weil die Kräfte zwischen Geschoss und Holzklotz nicht konservativ sind. Ein Teil wird in thermische Energie umgewandelt, ein Teil produziert die Verformungen von Geschoss und Holzklotz. Zusätzlich geht ein Teil in die Energie der Schallwellen, die während des Stosses erzeugt werden. Q ≡ E nach − E vor Der Q-Wert der Reaktion ist gleich oder m1 Q ≡ E nach − E vor = E vor − E vor m1 + m2 m2 = − E vor < 0 m1 + m2 319 7.1.10 Stossvorgänge im Labor- und SP-Bezugssystem Wir analysieren nun denselben Stoss bezüglich des SP. Physik 320 m 2 ySP 2 v =0 vSP 2 Holzklotz Im Labor Kugel v 1 m 1 Teilchen, Atome und Moleküle Siehe Abb. 9. Vor dem Stoss: 1 m +m Ekin>0 Ekin>0 xSP v 1,SP v ve,SP=0 Im SP 2,SP m1+m2 Total inelastischer Stoss im Labor- und im SP-System. Nach dem Stoss: Figur 9. 2 p +p =0 1 Ekin,SP>0 p =0 e Ekin,SP=0 Die ursprüngliche kinetische Energie des Kugel-Holzklotz-Systems im SP ist 2 m1 r 1 m2 r 1 v v + m2 − m 2 1 m1 + m2 1 2 m1 + m2 1 2 1 r2 1 r mv + m v2 2 1 1,SP 2 2 2,SP = r r m2 m1 1 1 m m v2 + m m v2 2 ( m1 + m2 ) 2 1 2 1 2 ( m1 + m2 ) 2 1 2 1 E kin ,SP = = 1 m2 r 2 m2 = mv = E 2 m1 + m2 1 1 m1 + m2 vor E kin ,SP = 0 Nach dem Stoss ist die kinetische Energie gleich null: Nach dem Stoss: Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme Der Q-Wert der Reaktion bezüglich des SP ist deshalb gleich QSP ≡ E kin ,SP ( nach ) − E kin ,SP (vor) m2 = 0− E vor m1 + m2 m2 = − E vor = Q m1 + m2 Er ist gleich demjenigen bezüglich des Labor-Systems. Die Werte der kinetischen Energie sind unterschiedlich im Lund SP-System, die verlorene Energie, die in andere Formen von Energie umgewandelt wird, d.h. der Q-Wert, ist aber dieselbe in beiden Systemen. 7.1.11 Elastischer Stoss in zwei Dimensionen Wir betrachten zwei Teilchen mit den Massen m1 und m2. Das Teil- 321 chen 1 bewegt sich mit dem Impuls p 1 . Das Teilchen 2 befindet sich ursprünglich in Ruhe, d.h. p 2 = 0 (“stationäres Target”). Impulserhaltung: nach r r r p1 = p1′ + p2′ { 1 424 3 vor Energieerhaltung: Elastischer Stoss Q=0 1 r2 1 r 2 1 r 2 m v = m v ′ + m1v 2′ 2 11 2 11 2 Wir benutzen die Koordinaten, wie in Abb. 10 gezeigt. Physik 322 v y 2 v =0 m2 x Impulse vor und nach einem Stoss. 1 Teilchen, Atome und Moleküle m1 Figur 10. y 1 v ' θ1 θ2 v2 ' x Wir drücken die Endimpulse mit Hilfe von ihren Komponenten aus und mit Hilfe der Beträge der Impulse und zwei Winkeln r r r p1′ = p1′x ex + p1′y ey = m1v1′ cosθ1; m1v1′ sin θ1 r p2′ = m2v 2′ cosθ 2 ; m2v 2′ sin θ 2 Es folgt aus der Impulserhaltung m1v1 = m1v1′ cosθ1 + m2v 2′ cosθ 2 0 = m1v1′ sin θ1 + m2v 2′ sin θ 2 und die Erhaltung der kinetischen Energie ist 1 1 1 m v 2 = m v ′ 2 + m1v 2′ 2 2 11 2 11 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Teilchensysteme wobei v1, v1’ und v2’ die Beträge der Geschwindigkeiten vor und nach dem Stoss sind. Wir erhalten 3 Gleichungen mit 4 Unbekannten: v1’ , v2’, θ1 und θ2. Zur Lösung ist noch eine weitere Bedingung notwendig. Man muss z.B. einen Winkel in einem bestimmten Stoss messen, um die anderen Grössen zu berechnen. Wir betrachten den speziellen Fall, in dem beide Teilchen dieselbe Masse besitzen m1 = m2 r r r 2 r r r r p12 = p1′ + p2′ = p1′ 2 + 2 p1′ ⋅ p2′ + p2′ 2 323 Wir bemerken, dass die kinetische Energie eines Teilchens immer als Funktion seines Impulses ausgedrückt werden kann r r 1 r2 1 p2 mv = (mv ) 2 = 2 2m 2m E kin = Wir schreiben die Beziehung für die kinetische Energie (Q=0) als r r r p12 p′ 2 p′ 2 = 1 + 2 2 m1 2 m1 2 m2 Wenn beide Teilchen dieselbe Masse besitzen r r r p12 = p1′ 2 + p2′ 2 m1 = m2 ⇒ ⇒ Aus der Impulserhaltung folgt aber nach r r r p1 = p1′ + p2′ { 1 424 3 vor Physik 324 Teilchen, Atome und Moleküle ⇒ r r p1′ ⊥p2′ und deshalb müssen nach dem Stoss die Teilchen unter 90° auseinanderfliegen r r 2 p1′ ⋅ p2′ = 0 Experiment:Stoss mit Luftkissenbüchsen. Bei gleichen Massen wird der Winkel 90°. 7.1.12 Relativistischer Stoss Bis jetzt haben wir Stossvorgänge betrachtet, in denen die Teilchen sich mit Geschwindigkeiten viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit bewegten. Was passiert, wenn wir annehmen, dass die Teilchen sich relativistisch bewegen? Teilchensysteme E = γm0c 2 Wir bemerken, dass in relativistischen Stössen die Energie eines Teilchens seiner Gesamtenergie entspricht, wobei die Gesamtenergie gleich ist. Wegen der Masse-Energie-Äquivalenz, entspricht die Masse eines Teilchens einer Form von Energie, und die Masse kann deshalb wie andere Formen von Energien während eines Stosses umgewandelt werden. D.h., im Allgemeinen kann sich die Zahl der Teilchen während eines Stosses ändern nach p1µ + p2µ = ∑ pi′ µ 12 4 4 3 i =1,N vor 123 wobei N die Endzahl von Teilchen mit Massen m’i ist. Beispiel: N=1. Ein schweres Teilchen kann während eines Stosses von zwei leichten aber schnell bewegten Teilchen erzeugt werden. Wir nehmen an, dass das während des Stosses erzeugte schwere Teilchen sich in Ruhe befindet. Um relativistische Stossvorgänge zu beschreiben, müssen wir die relativistischen Impulse und Energien benutzen. Man verwendet gewöhnlich die Energie-Impuls 4-Vektoren des Teilchens (Siehe Kap. 6.9) Wenn wir z.B. den Stoss zweier Teilchen betrachten r r Vor dem Stoss: p1µ = ( E1, p1c ); p2µ = ( E 2 , p2c ) r r Nach dem Stoss: p1′ µ = ( E1′, p1′c ); p2′ µ = ( E 2′ , p2′ c ) p′ µ = ( Mc 2 , 0) Ruhemasse des schweren Teilchen: M nach Ruhemassen der leichten Teilchen: m1 und m2 r r p1µ = ( E1, p1c ) und p2µ = ( E 2 , p2c ) Physik 325 Die relativistische Energie-Impulserhaltung wird geschrieben als vor p1µ + p2µ = p1′ µ + p2′ µ 12 4 4 3 1424 3 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 326 Teilchen, Atome und Moleküle Es muss gelten deshalb vor nach r r r p1 = − p2 ≡ p p1µ + p2µ = { p′ µ 12 4 4 3 r r p1c + p2c = 0 ⇒ E = 2 2 2 r (− pc ) + (m c ) 2 Wie erwartet müssen beide Teilchen Impulse mit demselben Betrag aber entgegengesetzter Richtung besitzen, um die schwere Masse M in Ruhe zu erzeugen. Der Schwerpunkt nach dem Stoss liegt in der Masse M und befindet sich in Ruhe. Deshalb muss der Schwerpunkt vor dem Stoss sich auch in Ruhe befinden. Es folgt, dass beide Teilchen entgegengesetze und im Betrag gleiche Impulse besitzen. 2 2 2 Mc 2 = E1 + E 2 1 r ( pc ) + (m c ) 2 Es gilt für die erzeugte Masse M wobei E = 1 Wenn beide Teilchen gleiche Masse haben m1 = m2 = m ⇒ E1 = E 2 = E 2 E 2γmc 2 = = 2γm > 2 m c2 c2 Atome Beispiel: zwei gleiche Massen mit je m = 1g und einer Geschwindigkeit β=0.95c stossen aufeinander. M = 2γm ≈ 2( 3, 2)(1g) = 6, 4 g Wir stossen zwei Massen von je 1g und erhalten eine ruhende Masse von ≈6,4g. 7.2 Atome 7.2.1 Die Bausteine der Materie Obwohl die Materie nach den Wahrnehmungen unserer Sinnesorgane eine kontinuierliche Struktrur zu haben scheint, setzt sie sich in Wirklichkeit aus Einheiten zusammen, welche sich zu regelmässigen Anordnungen gruppieren, wie die Ziegel in einer Mauer. Diese fundamentalen Grundbausteine werden als Elementarteilchen oder Partikel bezeichnet. Alle Körper (lebend wie tot) sind aus verschiedenen Gruppierungen solcher Teilchen aufgebaut. Drei Arten von Elementarteilchen sind besonders wichtig: das Elektron, das Proton und das Neutron. Die meisten Phänomene, die wir in dieser Vorlesung betrachten, können als Wechselwirkungen zwischen diesen drei Arten von Teilchen beschrieben werden. Die Existenz dieser Teilchen lässt sich aber nur ⇒ M= Da M>2m, wird kinetische Energie in Masse umgewandelt! Physik 327 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 328 Teilchen, Atome und Moleküle unter Verwendung ziemlich aufwendiger Beobachtungsmethoden feststellen. 7.2.2 Die Elektrische Ladung Die Elementarteilchen werden durch ihre physikalischen Eigenschaften unterschieden. Jedes Teilchen wird daher durch zwei unabhängige und fundamentale Eigenschaften charakterisiert: seine Ruhemasse m0 und seine elektrische Ladung q. Die elektrische Ladung ist wirklich eine fundamentale Eigenschaft der Materie. Sie ist, wie die Ruhemasse, relativistisch invariant (Siehe Kap. 6.9), d.h., die elektrische Ladung eines Teilchens ist für alle Beobachter gleich. Protonen “elektrisch positiv geladen” sind ⇒ Das Proton hat genaue die gleiche Ladung wie das Elektron, qe = −e Elektronen “elektrisch negativ geladen” sind ⇒ jedes Elektron besitzt eine negative elementare Ladung me = 9,1093897 × 10 −31 kg mn = 1, 6749286 × 10 −27 kg m p = 1, 6726231 × 10 −27 kg Protonen und Neutronen ungefähr die gleichen Ruhemassen haben, die etwa 1840-mal grösser als die Ruhemasse des Elektrons sind Experimentell beobachten wir, dass 1. 2. 3. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Neutronen “elektrisch ungeladen” sind, d.h. neutral q p = +e aber mit entgegengesetztem Vorzeichen Atome 4. qn = 0 Wir sagen, dass die Ladung quantisiert ist, d.h., wir beobachten, dass die Ladung eines beliebigen Körpers immer nur als Vielfaches der Ladung “e” vorkommt. Deshalb wird die Ladung “e” Elementarladung genannt. Sie ist mit der Ladung des Elektrons oder Protons verknüpft: qe = q p = e Die MKSA Einheit der Ladung ist das Coulomb1 (C). Mit dieser Einheit ist die Elementarladung gleich e ≡ 1, 60217 × 10 −19 C Addition der Ladung. Die Gesamtladung eines Körpers wird als die Summe der einzelnen Ladungen bestimmt i Q = ∑ qi i i ∑q = 0 329 Ein neutraler Körper hat eine verschwindende Gesamtladung. D.h., er besitzt eine gleiche Anzahl von positiven und negativen Ladungen 1. Charles de Coulomb, 1736-1806. Physik 330 Teilchen, Atome und Moleküle ⇒ qe + q p = 0 Beispiel: Die Gesamtladung eines Elektrons und eines Protons ist gleich null qe = −e q p = + e Wir bemerken, dass das Elektron und das Proton dieselbe Ladung haben, allerdings mit entgegengesetztem Vorzeichen, obwohl die Protonenmasse ungefähr 1840-mal grösser als die Elektronenmasse ist. Dass die Ladungen des Protons und Elektrons einander exakt kompensieren, ist ein Rätsel der Natur. Ladungserhaltung. Die Gesamtladung eines Systems wird immer erhalten. Wir kennen keine Ausnahme dafür. 7.2.3 Das Coulombsche Gesetz Die Beziehung zwischen Erdbeschleunigung und Gravitationskraft hat die Existenz einer allgemeinen, zwischen allen Körpern wirkenden, Kraft bewiesen. Newton hat als erster behauptet, dass diese Kraft zwischen allen Objekten im Universum wirken muss. Nach dem allgemeinen Newtonschen Gravitationsgesetz (Siehe Kap. 2.6) ist die Gravitationskraft immer anziehend, proportional zu den Massen der beiden Körper und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes zwischen ihnen. Sie liegt in der Verbindungslinie zwischen ihnen. Die Gravitationskraft ist r r mm r F12G = −G 1 2 2 12 r12 r12 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome wobei m1 und m2 zwei Punktmassen sind, und r 12 ⁄ r 12 der Einheitsvektor, der von m1 nach m2 zeigt, und G ist die universelle Gravitationskonstante G = 6,67 × 10–11 Nm2/kg2. In ähnlicher Weise werden geladene Teilchen miteinander durch die elektrische Kraft wechselwirken. Experiment. Coulombsches Gesetz mit Drehwaage Die Experimente von Coulomb und anderer Forscher, die die Kraft zwischen ruhenden elektrischen Ladungen studierten, führten zum sogenannten Coulombschen Gesetz: r 1 q1q2 r12 4πε 0 r12 2 r12 Die Kraft, die die Ladung q1 auf die Ladung q2 ausübt (Siehe Abb. 11), ist r F12 = 331 wobei r 12 ⁄ r 12 der Einheitsvektor von q1 in Richtung q2 ist, ε0 wird die Dielektrizitätskonstante des Vakuums oder elektrische Feldkonstante genannt. Physik 332 r1 q1 Teilchen, Atome und Moleküle y ex r12 x Die Definition des Vektors r12. ey Figur 11. Es folgt, dass q2 F12 wenn q1q2 < 0 r2 zwei Punktladen q1 und q2, die sich im Abstand r voneinander befinden, eine Kraft aufeinander ausüben. Die Kraft wirkt entlang der Verbindungslinie zwischen q1 und q2, und ist umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes der Ladungen und proportional zu deren Produkt. Wir bemerken, dass im Fall der Gravitationskraft die Massen immer positiv sind, und deshalb die Gravitationskraft immer anziehend ist. Im Gegensatz dazu können Ladungen einen positiven oder negativen Wert haben und deshalb die elektrische Kraft abstossend oder anziehend wirken. Es folgt: Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome abstossend anziehend Gleichnamige Ladungen stossen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. q1q2 > 0 ⇒ q1q2 < 0 ⇒ 1 ε 0µ 0 ⇒ 1 = µ 0c 2 ε0 Im Kap. 6.6 haben wir schon erwähnt, dass nach der Maxwellschen Theorie des Elektromagnetismus (Siehe Kap. 11) die Ausbreitungsgeschwindigkeit von elektromagnetischen Wellen gleich c= ist. Wir werden später sehen, dass im MKSA-System die Permeabilitätskonstante im Vakuum µ0 gleich µ 0 = 4π × 10 −7 m kg C −2 ist, und es folgt daraus −7 −2 2 1 µ c 2 ( 4π × 10 m kg C )c ≡ 0 = ≈ 9 × 10 9 Nm 2 / C 2 4πε 0 4π 4π 1 10 7 = ≈ 8, 854 × 10 −12 C 2 N −1m −2 µ 0c 2 4πc 2 Die elektrische Feldkonstante ε0 hat den Wert ε0 = Aus dieser Beziehung kann man auch eine Defintion des Coulombs ableiten: 333 das Coulomb ist die Ladung, welche eine gleiche Ladung in der Entfernung von 1 m im Vakuum mit einer Kraft von 10–7c2 Physik 334 Teilchen, Atome und Moleküle Newton (wobei c die Lichtgeschwindigkeit in m/s ist) oder 9×109 Newton abstösst. Beispiel: Die elektrische Kraft zwischen Elektronen und Protonen. Siehe Abb. 12. Der Abstand r des Elektrons zum Proton in einem Atom ist ungefähr r≈10–10 m. p +e F Proton–Elektron Kraft Elektron–Elektron Kraft Proton–Proton Kraft 1 qq 1 e2 (1, 602 × 10 −19 ) 2 1 2 = ≈ 9 × 10 9 F= ≈ 2 × 10 −8 N 2 4πε r12 2 4πε 0 r 2 (10−10 ) 0 F p +e –e F r F –e e e –e F e +e F p Figur 12. Die elektrische Wechselwirkung zwischen den geladenen Elementarteilchen, Elektron und Proton. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome Gravitation versus elektrische Kraft. Im Vergleich zur Gravitationskraft ist die elektrische Kraft sehr stark. Das Verhältnis der elektrischen Kraft zur Gravitationskraft für das Elektron und Proton ist (unabhängig vom Abstand, weil beide Kräfte proportional zu r–2 sind) 1 e2 Fe 1 e2 4πε 0 r 2 = = me m p 4πε 0G me m p FG G 2 r (1, 602 × 10 −19 ) 2 9 × 10 9 ≈ 2 × 10 39 6, 67 × 10 −11 (9,10 × 10 −31 )(1, 67 × 10 −27 ) ≈ Die Gravitationskraft ist im Vergleich zur elektrischen Kraft verschwindend gering. Nur wenn ein Körper elektrisch neutral ist (wie z.B. die Erde, die dieselbe Anzahl von Protonen und Elektronen enthält), ist seine Gravitationskraft wichtig. Sobald es kein Gleichgewicht zwischen positiven und negativen Ladungen gibt, wird die elektrische Kraft immer viel grösser als die Gravitationskraft sein. 7.2.4 Das Atom und die Elemente Atome sind Gruppierungen von Elektronen, Protonen und Neutronen. 335 Zur Zeit kennen wir etwas mehr als 100 Elemente, von denen 92 in der Natur vorkommen. Jedes Element ist dadurch charakterisiert, dass seine Atome • Z Protonen und ebenso viele Elektronen besitzen Physik 336 Teilchen, Atome und Moleküle • und N Neutronen haben Die Protonenzahl Z heisst Ordnungzahl. Die Gesamtzahl der Protonen und Neutronen in einem Atom nennt man Massenzahl, die als A bezeichnet wird. Es gilt A=Z+N Alle Atome mit der gleichen Ordnungszahl, d.h. gleiche Zahl von Protonen, gehören zur gleichen atomaren Spezies, d.h. zum gleichen chemischen Element. Z.B. sind alle Atome mit Z=1 Wasserstoffatome (H). Im 19. Jahrhundert erkannten die Chemiker, dass die Elemente gewisse Regelmässigkeiten in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften haben. Im Jahr 1870 hat Mendelejev2 die Elemente im Periodensystem der Elemente klassifiziert. In diesem System wurden die Atome als Funktion ihrer Ordnungszahl und durch ihre chemischen Eigenschaften organisiert. Die elektromagnetische Wechselwirkung zwischen den entgegengesetzt geladenen Elektronen und Protonen hält ein Atom zusammen. Die Gesamtladung der Protonen ist gleich +Ze. Jedes Elektron hat die negative Ladung –e, so dass sich Protonen und Elektronen gegenseitig anziehen, während die Elektronen und Protonen einander abstossen. Atome ∑ Elektronen qi + Protonen ∑ qi = − Ze + Ze = 0 Die Gesamtladung der Atome ist daher (Addition der Ladung) gleich QAtom = d.h., die Atome sind elektrisch neutral. 7.2.5 Das klassische Atom-Modell Wir beginnen mit dem einfachsten System: das Wasserstoff-Atom mit Z=1, A=1. Weil die Form der elektrischen Kraft ähnlich derjenigen der Gravitationskraft ist, wird man mit Hilfe der klassischen Mechanik voraussagen, dass das Elektron sich um das Proton bewegt wie ein Planet um die Sonne. Siehe Abb. 13. me r dv e r = Fe dt und mp r r dv p = − Fe dt Im Rahmen der klassischen Mechanik ist die Bewegungsgleichung für das Proton und das Elektron (relativ zu einem Inertialbeobachter O) gleich wobei 1 e2 4πε 0 r 2 Die Entfernung zwischen dem Elektron und dem Proton wird als r bezeichnet. r Fe = 2. D. Mendelejev (1834-1907) Physik 337 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 338 Teilchen, Atome und Moleküle Erde Sonne System Erde-Sonne Elektron Proton System Wasserstoff-Atom Figur 13. Klassisches Modell des Wasserstoff-Atoms. Das Elektron bewegt sich um das Proton wie ein Planet um die Sonne. Das System ist ähnlich demjenigen, bei dem zwei Massen durch eine Feder verbunden sind. Die elektrische Kraft wirkt als eine innere Kraft des Systems und wir nehmen an, dass keine äusseren Kräfte wirken. ⇒ µ ≈ me Wir haben gesehen (Siehe Kap. 7.1.3), dass die relative Beschleunigung zwischen Elektron und Proton durch die folgende Gleichung beschrieben wird r r r dv µa12 = µ 12 = F12 dt Die reduzierte Masse µ ist 1 1 1 1 1 1 = + ≈ 1 + ≈ µ me m p me 1840 me Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome wobei die Masse des Protons als 1840-mal grösser als die Masse des Elektrons angenommen wurde. ( ) Der Schwerpunkt des Elektron-Proton-Systems ist r r r r me re + 1840 rp r r m r +m r r 1 rSP ≡ ∑ m r = me e + mp p ≈ m (1 + 1840) ≈ rp M i =1,N i i e p e d.h., weil das Proton viel schwerer als das Elektron ist, liegt das Proton im Schwerpunkt des Systems. Wir nehmen deshalb an, dass sich das Proton in Ruhe befindet und dass das Elektron sich um das Proton bewegt. Die (innere) Energie des Atoms ist r2 1 U = E kin + E pot, interne = ∑ miv i + E pot, interne 2 i =1,N 1 r ≈ me v e2 + E pot, elektrische Kraft 2 Wir suchen nun die potentielle Energie der elektrischen Kraft. r r FG = −∇E G pot 339 Wir haben die Gleichung für die potentielle Energie der Gravitationskraft in Kap. 3.8.4 hergeleitet r r r GMm GMm r ⇒ E G pot ( r ) = − FG = − 2 r r r wobei gilt Physik 340 Teilchen, Atome und Moleküle Mit einer ähnlichen Herleitung kann man beweisen, dass die potentielle Energie der (anziehenden) elektrischen Kraft zwischen dem Elektron und Proton gleich (das Proton liegt im Ursprung des Koordinatensystems) r r r 1 e2 r 1 e2 ⇒ E e pot ( r ) = − Fe = − 4πε 0 r 2 r 4πε 0 r ist. Es folgt 1 r 1 e2 U = me v e2 − 2 4πε 0 r Wir nehmen zusätzlich an, dass das Elektron sich auf einer Kreisbahn bewegt. Siehe Abb. 14. Die Kraft, die auf das Elektron wirkt, ist dann (Siehe Kap. 1.3) r2 2 r r m v e 1 1 e2 ⇒ me v e2 = Fe = e e = r 4πε 0 r 2 4πε 0 r und die innere Energie ist 1 1 e2 1 e2 1 1 e2 =− U ( r) = − 2 4πε 0 r 4πε 0 r 2 4πε 0 r Diese Gleichung entspricht der inneren Energie des Systems, wenn das Elektron sich auf einem Kreis mit Radius r um das Proton bewegt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome p a r v Fe e Figur 14. Angenommene Kreisbahn des Elektrons um das Proton. Die Kraft, die Beschleunigung und die Geschwindigkeit sind gezeigt. Da die Energie einen negativen Wert besitzt, ist das Elektron-ProtonSystem “gebunden”. Das Elektron wird ständig um das Proton kreisen. ⇒ U ( r) + E frei > 0 Um das Elektron vom Proton zu trennen, muss es eine Energie Efrei grösser U bekommen, so dass E frei > U ( r) 7.2.6 Der Kern der Atome Wasserstoff ist das leichteste (und einfachste) Atom, das nur ein Proton besitzt. Helium (He) ist das zweite und hat zwei Protonen. Lithium (Li) besitzt drei Protonen und so weiter. Atome mit Z=6 sind Kohlenstoffatome, und alle Uran-Atome haben Z=92. 341 Im Fall, dass es Z Protonen und Z Elektronen im Atom gibt, ist die Gesamtbewegung der Elektronen und Protonen schwierig zu lösen. Wir brauchen ein Modell. Physik 342 Teilchen, Atome und Moleküle Im Atommodell von Thompson werden die Atome als Kugeln mit einer gleichmässig verteilten positiven und negativen Ladung betrachtet. Im Jahr 1910 führten H. Geiger, E. Marsden und E. Rutherford3 eine Reihe von Streuexperimenten mit α-Teilchen durch. Ein α-Teilchen ist ein schweres Elementarteilchen (ungefähr 7400mal die Masse des Elektrons). Es enthält zwei Protonen und zwei Neutronen. Mit diesen Experimenten bewies Rutherford, dass ein Atom aus einem positiv geladenen Kern mit einer äusseren Elektronenhülle besteht. Ein paralleler Strahl von α-Teilchen wurde senkrecht auf eine 0,4µm dünne Goldfolie gerichtet. Ein Stoss (Siehe Kap. 7.1.9) zwischen den α-Teilchen und den GoldAtomen wird stattfinden. Während des Stosses wird Impuls zwischen den α-Teilchen und den Atomen übertragen 3. H. Geiger (1882-1945), E. Marsden (1889-1970), E. Rutherford (1871-1937) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome . Figur 15. p n n p α-Teilchen Ruckwärtsstreuung Goldfolie Vorwärtsstreuung Streuexperiment von Geiger, Marsden und Rutherford. Experimentell beobachtet man, dass die meisten α-Teilchen in Vorwärtsrichtung gestreut wurden. Eine geringe Anzahl wurde nach rückwärts gestreut. Siehe Abb. 15. Rutherford schloss aus seinen Experimenten, dass eine Rückwärtsstreuung von α-Teilchen nicht von den Elektronen verursacht werden kann, da die Masse der Elektronen viel zu gering ist, um die schweren α-Teilchen so stark ablenken zu können. 343 Nach der Impulserhaltung muss die Masse des Stosspartners viel grösser als die des α-Teilchens sein. Rutherford stellte daraufhin sein Atommodell vor, bei dem ein positiv geladener massereicher Kern von einer fast masselosen Hülle von negativ geladenen Elektronen umgeben ist. Physik 344 Teilchen, Atome und Moleküle Wir wissen heute, dass der Kern eines Atomes einen Durchmesser von einigen Femtometer (fm) hat dKern ≈ 1 fm = 10 −15 m Protonen und Neutronen eines Atoms sind in seinem Kern konzentriert. Die elektrische Abstossung zwischen zwei Protonen im Kern ist viel grösser als ihre Anziehung aufgrund der Gravitationskraft. Eine andere Wechselwirkung (die sogenannte starke Wechselwirkung) hält Protonen im Kern zusammen, trotz der elektrischen Abstossung. Die starke Wechselwirkung wirkt zwischen Protonen und Neutronen und hat eine kleine Reichweite (in der Grössenordnung des Kerndurchmessers). Wenn Protonen oder Neutronen sich in einem Abstand kleiner als einige Kerndurchmesser voneinander befinden, werden sie dank der starken Kraft zusammenkleben. Der Abstand der Elektronen vom Kern liegt bei rElektron ≈ 1 Å = 10 −10 m = 100000 fm (1Å=1 Ångström4) Eine solche Anordnung der Elektronen für Helium, Neon, Argon und Krypton wird in Abb. 16 gezeigt. Wir werden später sehen, dass die Elektronen um den Kern nicht mit Hilfe einer Bahn beschrieben werden können. Eine Berechnung der “räumlichen Verteilung der Elektronen” muss mit Hilfe der sogenannten Quantenmechanik (Siehe Kap. 13) durchgeführt werden. 4. A.J. Ångström. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome Figur 16. Anordnung der Elektronen um den Kern in einigen einfachen Atomen (Helium, Neon, Argon und Krypton). Da die Elektronen nicht wohldefinierten Bahnen folgen, zeigen die dunklen Bereiche diejenigen Zonen an, die mit grösserer Wahrscheinlichkeit mit Elektronen besetzt sind. Da die Bahnen der Elektronen nicht wohldefiniert werden können, zeigen die dunklen Bereiche in Abb. 16 diejenigen Zonen an, die mit grösserer Wahrscheinlichkeit mit Elektronen besetzt sind. Die Elektronen sind in Schalen um den Kern angeordnet, die umso mehr Elektronen aufnehmen können, je weiter aussen sie sich befinden. Die erste Schale enthält maximal 2 Elektronen, die zweite 8, die dritte 18 und die vierte 32. Die nächsten Schalen könnten noch mehr Elektronen aufnehmen, werden aber bei den bisher bekannten Elementen nicht voll besetzt. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Elemente hängen von der Anzahl und Verteilung der Elektronen ab. 345 Mit der Schalenstruktur der Elektronen lässt sich die Periodizität der chemischen Eigenschaften der Elemente im Periodensystem erklären. Physik 346 Teilchen, Atome und Moleküle 1. 2. 3. Elemente mit nur einem Elektron in der äussersten Schale (wie z.B. Wasserstoff, Lithium oder Kalium) sind sehr reaktiv und kommen nur in Verbindungen vor. Die Elemente, denen nur ein Elektron zu einer vollständigen Schale fehlt, sind auch sehr reaktiv. Die Elemente mit vollständig gefüllten Elektronenschalen (wie die Edelgase Helium, Neon, Argon, usw.) sind chemisch inert, d.h., sie reagieren praktisch nicht. Die richtige Berechnung der Elektronenkonfigurationen und die damit mögliche Deutung der chemischen Eigenschaften gehörten zu den grossen Erfolgen der Quantenmechanik. 7.2.7 Die Isotope Atome mit der gleichen Ordnungszahl Z können verschiedene Massenzahl A besitzen. Atome mit gleichem Z aber verschiedenem A nennt man Isotope. Praktisch verhalten sich Isotope eines bestimmten Elements chemisch gleich. Die häufigsten Isotope sind in Abb. 17 aufgelistet. Zur Zeit kennt man etwa 104 verschiedene chemische Elemente, aber es gibt mehr als 1300 verschiedene Isotope. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Atome Element H He Li Be B C N O F Ne Na Mg Al Si P S Cl A K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 0 2 4 5 6 6 7 8 10 10 12 12 14 14 16 16 18 22 20 20 24 26 28 28 30 30 32 30 34 34 38 42 42 46 44 48 48 50 50 50 52 56 54 (>100 yr) 58 58 60 60 66 66 70 70 78 Chemical No. of No. of symbol protons neutrons Hydrogen Helium Lithium Beryllium Boron Carbon Nitrogen Oxygen Fluorine Neon Sodium Magnesium Aluminum Silicon Phosphorus Sulfur Chlorine Argon Potassium Calcium Scandium Titanium Vanadium Chromium Manganese Iron Cobalt Nickel Copper Zinc Gallium Germanium Arsenic Selenium Bromide Krypton Rubidium Strontium Yttrium Zirconium Niobium Molybdenum Technetium Ruthenium Rhodium Palladium Silver Cadmium Indium Tin Antimony Tellurium Element I Xe Cs Ba La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn Fr Ra Ac Th Pa U Np Pu Am Cm Bk Cf Es Fm Md No Lw 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 74 78 78 82 82 82 82 82 86 90 90 94 94 98 98 98 100 104 104 108 108 110 112 116 116 117 122 122 124 126 126 124 (3yr) 125 (8hr) 136 (3days) 136 (21min) 138 (1622yr) 138 (22hr) 140 (80,000 yr) 140 (34,000 yr) 146 (4.5billion yr) 144(2.2 million yr) 145 (24,000 yr) 144 (490yr) 146 (150 day) 150 (1000yr) 153 (800yr) 155 (480days) 153 (23hr) 155 (1.5hr) 152 (3sec) Chemical No. of No. of symbol protons neutrons Iodine Xenon Cesium Barium Lanthanum Cerium Praseodymium Neodymium Promethium Samarium Europium Gadolinium Terbium Dysprosium Holmium Erbium Thulium Ytterbium Lutetium Hafnium Tantalum Tungsten Rhenium Osmium Iridium Platinum Gold Mercury Thallium Lead Bismuth Polonium Astatine Radon Francium Radium Actinium Thorium Protactinium Uranium Neptunium Plutonium Americium Curium Berkelium Californium Einsteinium Fermium Mendelevium Nobelium Lawrencium 347 Figur 17. Die in der Natur am häufigsten vorkommenden Isotope. Im Fall, dass es keine stabilen Isotope gibt, ist die Lebensdauer in Klammern angegeben. Physik 348 Teilchen, Atome und Moleküle H, 2 H 3 Beispiel: Die drei Isotope des Wasserstoffs werden geschrieben als H, 1 Moleküle 7.3 Moleküle Man kennt mehrere tausend verschiedene Arten von Molekülen. Einige enthalten nur wenige Atome (wie z.B. das Wassermolekül, das in Abb. 21 illustriert wird) Man findet sehr selten isolierte Atome. Atome bilden eher gebundene Systeme, sogenannte Moleküle. Alle haben ein Z=1 und jeweils A=1 (kein Neutron), A=2 (ein Neutron) und A=3 (zwei Neutronen). Der Wert der Massenzahl A wird links oben neben die Bezeichnung des chemischen Elements geschrieben. Historisch werden die drei Isotope des Wasserstoffs als Wasserstoff, Deuterium und Tritium bezeichnet. 1. 2. Physik 349 Wenn Atome sich einander annähern, bleiben die Elektronen, die sich in den inneren Schalen der Atome befinden (die inneren Elektronen), an die zugehörigen Atome gebunden. Ingesamt gesehen sind Atome elektrisch neutral, weil es genauso viele negative Ladungen in den Elektronen der Hülle wie positive Ladungen in den Protonen der Kerne gibt. Trotzdem können elektrische Wechselwirkungen zwischen Atomen auftreten. Die Kräfte zwischen einzelnen Atomen in einem Molekül sind elektrischer und magnetischer Natur, denn in allen Atomen sind bewegte elektrische Ladungen vorhanden. Wenn sich ein Molekül bildet, verlieren die Atome bis zu einem gewissen Grad ihre Identität: ein Molekül besteht aus mehreren Atomkernen und einer Gruppe von Elektronen. Die Elektronen bewegen sich um die Kerne in solcher Weise, dass eine stabile Anordnung entsteht. die biologischen Moleküle (Proteine, Enzyme und Nukleinsäuren DNA und RNA) einige Polymere (Polyäthylen oder Polyvinylchlorid PVC) Andere Moleküle können bis zu mehreren hundert Atomen enthalten, wie z.B. Helium-4 p n n p p n p Helium-3 Die Kerne von Wasserstoff- und Helium-Isotopen sind in Abb. 18 dargestellt. p Wasserstoff-1 p n Wasserstoff-2 (Deuterium) p n n Wasserstoff-3 (Tritium) Figur 18. Kerne von Wasserstoff- und Heliumisotopen. Die Protonen und Neutronen werden als kleine Kugeln dargestellt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 350 b) a) maximale anziehende Kraft halbe maximale Kraft weniger als1% der maximalen Kraft Teilchen, Atome und Moleküle c) Gleichgewicht (keine Kraft) r d) starke Abstossung abstossender Kern Keine Kraft maximale anziehende Kraft r Abstand zwischen den Atomen e) potentielle Energie der zwei Atome r=0 Emin Figur 19. Illustration der Kraft zwischen zwei Atomen (Potentielle Energie von Leonard Jones). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Moleküle Die äusseren Elektronen bewegen sich im Raum zwischen den Kernen mehr oder weniger frei über das gesamte Molekül. Eine anziehende Kraft zwischen den Kernen folgt daraus, die eine kurze Reichweite besitzt. Wenn die Atome sich so nahe kommen, dass sich ihre Elektronenhüllen stark überlappen, dann treten abstossende Kräfte auf. Die zweiatomigen Moleküle. Wir betrachten zweiatomige Moleküle, wie z.B. Wasserstoff- (H2), Sauerstoff- (O2), oder StickstoffMoleküle (N2) Die molekulare Kraft zwischen beiden Atomen in den Molekülen kann mit Hilfe der potentiellen Energie von Leonard Jones beschrieben werden. Die molekulare potentielle Energie Epot(r) verhält sich wie eine asymmetrische Kurve der Form der Abb. 19, wobei r der Abstand zwischen den beiden Atomen darstellt. Die Gleichgewichtslage befindet sich dort, wo die potentielle Energie den minimalen Wert Emin besitzt. Wenn sich das Molekül in der Gleichgewichtslage befindet, muss man ihm mindestens die Energie |Emin| zuführen, um die beiden Atome zu trennen. Aus diesem Grund wird Emin die Bindungsenergie des Moleküls gennant. Wir entwickeln die potentielle Energie Epot(r) in eine Taylor-Reihe um die Gleichgewichtslage r0 2 351 dE pot 1 d E pot 2 E pot ( r) = E pot ( r0 ) + ( r ) ( r − r0 ) + ( r0 ) ( r − r0 ) + ... 2 dr 2 dr 0 Physik 352 Teilchen, Atome und Moleküle dE pot (r ) = 0 dr 0 Nun ist die Ableitung der potentiellen Energie in der Gleichgewichtslage gleich null Es folgt 2 1d E 2 pot E pot ( r) = E min + ( r0 ) ( r − r0 ) + ... 2 dr 2 1 2 = E min + k ( r − r0 ) + ... 2 In der Nähe der Gleichgewichtslage wird die potentielle Energie näherungsweise durch eine Parabel beschrieben, wie man es bei harmonischen Schwingungen findet. Siehe Abb. 20. Gleichgewichtslage Potentielle Energie wird durch eine Parabel angen hert Potentielle Energie von Leonard Jones Figur 20. In der Nähe der Gleichgewichtslage ist die potentielle Energie parabelförmig. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Moleküle dE pot ( r) d 1 2 ≈ − k ( r − r0 ) = − k ( r − r0 ) dr dr 2 Für eine kleine Auslenkung aus der Gleichgewichtslage, wirken die molekularen Kräfte als eine Rückstellkraft: F=− Die Kräfte zwischen den Atomen in den Molekülen sind relativ stark, so dass die Atome um ihre Gleichgewichtslage schwingen. Geometrische Muster. Die Atomkerne in Molekülen sind in wohldefinierten geometrischen, regelmässigen Mustern angeordnet. Diese Muster sind für jedes Molekül charakteristisch. 0.958 X 10 –8 cm 353 Im Fall der Wassermoleküle z.B. wissen wir, dass die drei Kerne an den Eckpunkten eines Dreiecks liegen. Der Abstand zwischen dem Sauerstoffkern und den Wasserstoffkernen beträgt ungefähr 10–10 m = 1 Angström, und der Winkel zwischen den Wasserstoffkernen ist ungefähr 104.5°. Sauerstoff Atom 104.5° Das Wassermolekül H2O. Wasserstoff Atom Siehe Abb. 21. Figur 21. Physik 354 Teilchen, Atome und Moleküle Im Kohlendioxid-Molekül CO2 sind die drei Kerne auf einer Geraden angeordnet, mit dem Kohlenstoffkern in der Mitte. Das Ammoniakmolekül NH3 ist eine Pyramide mit dem Stickstoffkern an der Spitze. CH4 (Methan) CO2 (Kohlendioxid) CH3OH (Methanol) H2O (Wasser) Das Methanmolekül CH4 ist ein Tetraeder mit dem Kohlenstoffkern im Zentrum und den Wasserstoffatomen an den Eckpunkten. Siehe Abb. 22. HCl (Salzsäure) NH3 (Ammoniak) Figur 22. Einige einfache Moleküle. Die Kerne in einem Molekül sind in wohldefinierten geometrischen Mustern angeordnet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Moleküle Moderne experimentelle Techniken (wie Röntgen- und Elektronenstrahlen) haben wertvolle Informationen über die Struktur von Molekülen geliefert. Seit 1950 hat man auch viele biologische Moleküle studiert. Heutzutage findet sich der Bereich der Biophysik und der Molekularbiologie in starker Expansion. Um die Komplexität der biologischen Moleküle zu illustrieren, wird das Myoglobin-Molekül, das sich im Muskel befindet, erwähnt. Kendrew und Peritz (Nobel-Preis in Chemie, 1963): Sie haben das Myoglobin-Molekül mit Hilfe von Röntgenstrahlen studiert. Das Molekül enthält mehr als 2500 Atome. Die häufigsten sind Kohlenstoff (C, Z=6), Wasserstoff (H, Z=1), Sauerstoff (O, Z=8), Stickstoff (N, Z=7) und ein Eisenatom (Fe, Z=26). Siehe Abb. 23. Heutzutage hat sich das Gebiet sehr entwickelt, und man benutzt den Computer, um eine detaillierte graphische Darstellung der Moleküle zu gewinnen. 355 Abb. 24 zeigt z.B. ein Computer-Modell des Cholera-Toxin-B-Moleküls. Physik 356 Ein Modell von Cholera-Toxin mit Hilfe des Computers berechnet. Das Myoglobin-Molekül. Teilchen, Atome und Moleküle Figur 23. Figur 24. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Avogadro-Zahl 7.4 Die Avogadro-Zahl Materie besteht aus einer sehr grossen Zahl von Atomen oder Molekülen. 0, 012 kg 6 m p + 6 mn + 6 me Das Kohlenstoff-Isotop 12C enthält genau 6 Protonen und 6 Neutronen in seinem Kern. Die Avogadro-Zahl wird definiert als die Anzahl der 12C Atome in genau 0,012 kg Kohlenstoff, d.h.5 N A = 6, 02213665 × 10 23 ≈ N NA Gewöhnlich werden wir für die Stoffmenge das Symbol n (oder die Anzahl der Mole) benutzen, das so definiert ist n≡ wobei N die Gesamtzahl der Moleküle und NA die Avogadro-Zahl ist. Wir sagen, dass die Avogadro-Zahl gleich N A = 6, 022 × 10 23 pro Mol ist, d.h. 1 Mol einer beliebigen Substanz enthält so viele Moleküle. 357 Die Masse eines Mols einer Substanz wird die molare Masse m genannt, und es gilt M = nm 5. Die Masse des 12C Isotops ist gleich 1,99264824×10–26 kg. Die Masse ist gleich 6mp+6mn+6me, wenn wir die Bindungsenergie vernachlässigen. Physik 358 Teilchen, Atome und Moleküle Nach der Definition ist sie für 12C gleich 12 g/mol. Beispiel: Die molare Masse von atomarem Wasserstoff beträgt 1,008 g/mol. Was ist die Masse eines Wasserstoffatoms? Die Masse eines Atoms ist gleich 1, 008 g / mol m= ≈ 1, 67 × 10 −24 g ≈ m p 6, 022 × 10 23 / mol wobei mp die Masse des Protons ist. 7.5 Die Phasen der Materie Grob gesprochen erscheint Materie in drei physikalischen Zuständen oder Phasen: Gase, Flüssigkeiten und Festkörper. Um die verschiedenen Anordnungen der Moleküle in den verschieden Phasen zu illustrieren, werden die drei Phasen des Wassers in Abb. 25 gezeigt. In einem Festkörper sind die Moleküle dicht gepackt. Die Kräfte, die die Moleküle in festen Positionen halten, sind von etwa der gleichen Grössenordnung wie die molekularen Kräfte. Wegen diesen starken Kräften bleiben die Gestalt und das Volumen eines Festkörpers praktisch konstant. Die dicht gepackten Moleküle werden sich nicht als isolierte Moleküle verhalten. Die Regelmässigkeit der Anordnung der Moleküle ist eine wichtige Eigenschaft von Festkörpern. Diese Periodizität konstituiert das, was man als Kristallgitter bezeichnet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Phasen der Materie Sauerstoff Wasserstoff Eis Wasser Dampf Figur 25. Illustration (von Feynman) der Wassermoleküle in den drei Phasen des Wassers. Physik 359 360 Teilchen, Atome und Moleküle Moleküle in Flüssigkeiten sind durch Abstände in der Grössenordnung der Moleküldimensionen voneinander getrennt und sie werden durch relativ starke Kräfte zusammengehalten. Daraus folgt, dass Flüssigkeiten ein festes Volumen und eine geringe Kompressibilität haben. Die Moleküle weisen eine grosse Beweglichkeit auf und können unabhängig voneinander umeinander gleiten. Eine Folge ist, dass Flüssigkeiten keine eigene Gestalt haben. In Gasen ist die mittlere Entfernung zwischen Molekülen viel grösser als die Ausdehnung der Moleküle. Als Folge daraus sind die zwischenmolekularen Kräfte viel schwächer als die Kräfte, welche die Atome in Molekülen zusammenhalten. In Gasen behalten die Moleküle daher ihre Individualität. Die Moleküle in einem Gas bewegen sich ständig durch den gesamten Raum, den das Gas einnimmt. Das erklärt, warum Gase so leicht diffundieren. In Abb. 25 wird z.B. der Fall des Dampfes gezeigt. Der mittlere Abstand der Moleküle (bei Standardbedingungen, Siehe Kap. 8.4.1) ist ungefähr 10-mal der Durchmesser der einzelnen Moleküle. Es folgt, dass die Dichte des Dampfes ungefähr 103=1000-mal kleiner ist, als die des Wassers. 7.6 Mikroskopische Beschreibung der Materie Wollten wir den Zustand eines Körpers durch den Zustand der einzelnen Atome und Moleküle beschreiben (d.h. der Körper wird als Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Mikroskopische Beschreibung der Materie einTeilchensystem betrachtet), so müssten wir die räumlichen Koordinaten und Geschwindigkeiten aller Atome und Moleküle angeben. r Koordinate: ri (i = 1,..., N ) r Geschwindigkeiten: v i (i = 1,..., N ) Natürlich enthält ein Mol einer Substanz schon mehr als 1023 Moleküle und deshalb ist in der Praxis die Lösung der Bewegung einer solchen Anzahl von Körpern ganz unmöglich. Um die Schwierigkeit der Beschreibung der Bewegung zu illustrieren, betrachten wir zwei einfache Beispiele. Die Verdampfung des Wassers in Luft. Abb. 26 zeigt, was man auf der Oberfläche des Wassers sehen würde. Moleküle werden die Oberfläche des Wassers kontinuierlich verlassen und andere werden ins Wasser zurückkehren. Das Brennen von Kohlenstoff in Sauerstoff. Das Brennen wird in Abb. 27 illustriert. Während des Brennens von Kohlenstoff werden Sauerstoffmoleküle mit Kohlenstoffatomen zusammenstossen. Manchmal kann die Struktur der Sauerstoffmoleküle aufgebrochen werden, und eine neue Art von Molekül, das Kohlenmonoxid CO oder das Kohlendioxid CO2, wird sich bilden. Bei diesem Vorgang werden Licht und Wärme frei, und man spricht vom Brennen des Kohlenstoffs. 361 Natürlich können im Prinzip solche Molekularvorgänge mit Hilfe eines Computers modelliert und simuliert werden. Solche Probleme werden im Bereich der Rechnergestützten Wissenschaften6 betrachtet. 6. An der ETH, siehe http://www.rw.ethz.ch Physik 362 Wasserstoff Stickstoff Kohlenstoff Illustration des Brennens von Kohlenstoff in Sauerstoff. Sauerstoff Illustration der Verdampfung des Wassers in Luft. Sauerstoff Teilchen, Atome und Moleküle Figur 26. Figur 27. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 8 Temperatur und Gase 8.1 Die Brownsche Molekularbewegung Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde die Vorstellung von einem atomaren Aufbau der Materie noch von vielen Wissenschaftlern abgelehnt. Es war damals natürlich noch niemandem gelungen, einen einzigen direkten Beweis für die Existenz von Molekülen oder Atomen zu erbringen. 363 Auch war es schon relativ früh klar, dass die Grösse von Atomdurchmessern etwa 10–9 bis 10–10 m sein müsste, und niemand hatte die Hoffnung, ein so kleines Teilchen nachweisen zu können. Physik 364 Temperatur und Gase Der englische Botaniker R. Brown1 hatte schon im Jahre 1827 unter einem Mikroskop beobachtet, wie im Wasser suspendierte Blütenpollen eine dauernde unregelmässige Bewegung ausführten. Siehe Abb. 1. Er gab keine Erklärung, warum solche Teilchen sich so verhielten. Experiment: Brownsche Bewegung (Live mit Mikroskop) Im Jahr 1905 entwickelte Einstein2 seine Theorie der Brownschen Bewegung. Er schrieb3: “Mein Hauptziel dabei war es, Tatsachen zu finden, welche die Existenz von Atomen von bestimmter endlicher Grösse möglichst sicherstellen. Dabei entdeckte ich, dass es nach der atomistischen Theorie eine der Beobachtung zugängliche Bewegung suspendierter mikroskopischer Teilchen geben müsse, ohne zu wissen, dass Beobachtungen über die “Brownsche Bewegung” schon lange bekannt waren.” Die grundlegende Annahme Einsteins war, dass die Brownsche Molekularbewegung von den Stössen der Flüssigkeitsmoleküle auf die Teilchen erzeugt wird. Die suspendierten Teilchen sind natürlich sehr viel grösser als die Moleküle der Flüssigkeit und werden deshalb von allen “Seiten” von ihnen gestossen. 7 6 5 4 8 2 15 16 11 10 12/14 13 19 25 1 27 24 21 17 18 20 22 26 28 23 29 .02 30 .03 32 35 36 37 31/33 34 Illustration der Brownschen Bewegung. .01 t = 1/6 Sekunde 3 9 Die Brownsche Molekularbewegung 0 Figur 1. 38 mm Wäre das suspendierte Teilchen klein und die Anzahl der stossenden Moleküle gering, würden die Stösse unregelmässig geschehen. Das suspendierte Teilchen verhält sich wie ein sehr grosses Molekül, und Wäre das suspendierte Teilchen sehr gross, und wäre die Anzahl der anderen Moleküle hoch, so würden im Mittel von allen Seiten zu jeder Zeit gleich viele Stösse geschehen, so dass das suspendierte Teilchen in Ruhe bleibt. 1. R. Brown (1773-1858) 2. A. Einstein (1879-1955) 3. in seinen autobiographischen Bemerkungen Physik 365 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 366 Temperatur und Gase seine Bewegung sollte qualitativ der der Flüssigkeitsmoleküle entsprechen. Wäre die Anzahl der Flüssigkeitsmoleküle pro Einheitsvolumen sehr gross, so gäbe es keine Fluktuation, und es würde keine Brownsche Bewegung stattfinden. Wäre diese Anzahl andererseits sehr klein, so wäre die Brownsche Bewegung sehr “heftig”. Es folgt daraus, dass die Anzahl der Flüssigkeitsmoleküle pro Einheitsvolumen aus der Brownschen Bewegung berechnet werden kann, und diese Anzahl wurde zum Beweis der atomaren Theorie erfolgreich benutzt. Gibt es eine physikalische Grösse, die der Bewegung der Moleküle entspricht? Als wir die Materie in Kap. 7.6 mikroskopisch beschrieben haben, konnten wir die Moleküle nicht als “tanzende” Teilchen darstellen. In Wirklichkeit werden alle Teilchen eine solche Bewegung machen. Man beobachtet, dass in allen Phasen der Materie (Gase, Flüssigkeiten sowie Festkörper) die Atome oder die Moleküle eine Art von dauernder unregelmässiger Bewegung aufweisen: 1. 2. in Gasen werden sich die Gasmoleküle durch das gesamte Volumen bewegen, das das Gas einnimmt. in Festkörpern oder Flüssigkeiten werden die Atome oder Moleküle um ihre Gleichgewichtslage schwingen. Diese Bewegung nimmt mit der Temperatur zu und wird deshalb als thermische Bewegung bezeichnet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Ausdehnung Die thermische Bewegung ist für die Änderung des Zustandes oder der Phase der Materie mit der Temperatur verantwortlich. 8.2 Thermische Ausdehnung Bei einer Temperaturänderung beobachtet man gewöhnlich eine Änderung der Grösse der Materialien. Im Allgemeinen werden Körper sich bei einer Erhöhung der Temperatur ausdehnen. Experiment: Dilatations-Apparat Ein Stab wird geheizt und dehnt sich aus. Wenn er sehr heiss ist, werden seine beiden Enden fest fixiert. Dann wird der Stab wieder gekühlt und er wird zu seiner ursprünglichen Länge zurückkehren. Weil der Stab fixert ist, wird er wegen der hohen Kräfte brechen. Wir betrachten einen einfachen Festkörper. Eine mikroskopische Beschreibung der Bewegung der Atome kann die thermische Ausdehnung erklären. Die Kräfte zwischen den Atomen in einem Festkörper können mit Hilfe einer potentiellen Energie von der Form von Leonard Jones (Siehe Kap. 7.3) ausgedrückt werden. Die Atome schwingen um ihre Gleichgewichtslage. Die Schwingungsamplitude ist ungefähr 10–11 m, d.h. ein Zehntel eines Atomdurchmessers. 367 Bei einer gegebenen Schwingungsenergie ändert sich der Abstand der Atome periodisch zwischen einem Minimal- und einem Maximalwert. Physik 368 Temperatur und Gase r2 Mittlerer Abstand r1 E2 E1 Maximaler Abstand Wegen der Asymmetrie der potentiellen Energie, ist der mittlere Abstand grösser als der Gleichgewichtsabstand r0. Siehe Abb. 2. Minimaler Abstand r0 Gleichgewichtslage Figur 2. Modell der potentiellen Energie der Atome. Die Atome schwingen um die Gleichgewichtslage. Ihr mittlerer Abstand nimmt mit der Energie zu. Thermische Ausdehnung bedeutet eine Zunahme der mittleren Abstände zwischen den Atomen. Wenn wir annehmen, dass die Schwingungsenergie der Atome des Festkörpers sich mit der Temperatur erhöht, dann kann die thermische Ausdehnung als Folge der Asymmetrie der potentiellen Energie der Atome erklärt werden. Wäre die Potentialkurve bezüglich der Gleichgewichtslage symmetrisch, so wäre der mittlere Abstand unabhängig von der Schwingungsenergie. Die thermische Ausdehnung ist eine direkte Folge der Asymmetrie der potentiellen Energie. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Ausdehnung ∆L = α (T ) L∆T Experimentell beobachtet man, dass bei nicht zu grosser Temperaturänderung die Längenänderung ∆L proportional zur Temperaturänderung ∆T und zur ursprünglichen Länge L ist: wobei α(Τ) der lineare Ausdehnungskoeffizient ist. 1 ∆L L ∆T Der Koeffizient α(Τ) hängt von der Temperatur ab. Diese Abhängigkeit wird normalerweise gegenüber der Messgenauigkeit vernachlässigt. Seine Definition ist die folgende α (T ) ≡ Für α=10–5/°C liegt die lineare Ausdehnung bei 1 mm für eine Länge von 1 m und eine Temperaturerhöhung von 100 °C. Die mittleren linearen Ausdehnungskoeffizienten für verschiedene Materialien sind in Tab. 1 angegeben. Kupfer Messing Aluminium Material 0,9×10—5 1,7×10—5 1,9×10—5 2,4×10—5 α in °C–1 Stahl Blei Invar Eis Hartgummi Material 1,1×10—5 2,9×10—5 0.1×10—5 5,1×10—5 8×10—5 α in °C–1 100°C; für Eis von –10°C bis 0°C. Glas 0,32×10—5 1 ∆V V ∆T 369 TABLE 1. Mittlere lineare Ausdehnungskoeffizienten für den Bereich 0°C bis Hartglas (Pyrex) γ (T ) ≡ Analog wird der Volumenausdehnungskoeffizient γ definiert Physik 370 Temperatur und Gase wobei V das Volumen des Körpers ist. Bei isotropen Festkörpern ist bei einer Temperaturänderung die relative Längenänderung in allen Richtungen dieselbe. Es folgt in diesem Fall 1 ∆V 1 ∆( L1L2 L3 ) = γ (T ) = ∆T V ∆T L1L2 L3 ∆L ∆L 1 ∆L1 = L L + 2 LL + 3 LL L1L2 L3 ∆T 2 3 ∆T 1 3 ∆T 1 2 1 = (α (T )L1L2L3 + α (T )L2L1L3 + α (T )L3L1L2 ) L1L2 L3 = 3α (T ) Bemerkung: Für die meisten Materialien haben α und γ einen positiven Wert. D.h. sie dehnen sich bei der Erhöhung ihrer Temperatur aus. Eine wichtige Ausnahme ist das Wasser. Für eine Temperatur T>4°C dehnt sich das Wasser wie erwartet aus. Zwischen 0°C und 4°C nimmt sein Volumen bei steigender Temperatur ab! Diese Eigenschaft hat eine wichtige Konsequenz: bei T≈4°C erreicht die Dichte des Wassers ein Maximum. Das Wasser ist bei T≈4°C schwerer als bei 0°C. Das Eis schwimmt auf dem Wasser (bei Frost bildet sich das Eis zuerst auf der Oberfläche eines Sees und bleibt dort, weil es eine geringere Dichte als das Wasser hat.) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer 8.3 Die Temperatur und das Gasthermometer Die Temperatur ist uns vertraut als eine Mass dafür, wie warm oder wie kalt ein Körper ist. Eine genaue Definition der Temperatur ist keineswegs trivial. Im Fall eines Festkörpers oder einer Flüssigkeit haben wir gesehen, dass die Temperatur mit der thermischen Bewegung der Atome korreliert ist. Im Fall eines Gases ist die Temperatur ein Mass für die mittlere kinetische Energie der Gasmoleküle. Ein Thermometer kann definiert werden, wenn sich eine physikalische Eigenschaft eines Körpers mit der Temperatur verändert. Eine quantitative Messung dieser Eigenschaft wird die Temperatur liefern. Die thermische Ausdehnung eines Körpers oder einer Substanz (wie z.B. Quecksilber); Der elektrische Widerstand von Metallen, der mit der Temperatur zunimmt; Das Volumen eines Gases bei konstantem Druck; usw. Eine solche Eigenschaft, die zur Temperaturmessung führt, wird eine thermometrische Eigenschaft genannt. Man kann z.B. die folgenden thermometrischen Eigenschaften benutzen 1. 2. 3. 4. 371 Jede dieser thermometrischen Eigenschaften kann im Prinzip zur Messung der Temperatur eines Körpers benutzt werden. Physik 372 Temperatur und Gase 8.3.1 Das Gasthermometer Luft oder Gas Quecksilber Vakuum Wir betrachten das Gasthermometer. Bei einer Version wird das Volumen des Gases als thermometrische Eigenschaft benutzt. l h Druck des Gases: p Volumen: V Temperatur: T Eine Version des Gasthermometers mit konstantem Druck. Siehe Abb. 3. Figur 3. Das Quecksilber übt eine nach unten gerichete Kraft aus, deren Betrag gleich mg = ρlAg Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer ist, wobei ρ die Dichte des Quecksilbers und A die Querschnittsfläche ist. F A Der Druck p wird definiert als die senkrecht auf eine Fläche ausgeübte Kraft pro Fläche, d.h. p≡ wobei F die Kraft und A die Fläche ist. N m2 Einheit: Die MKS-Einheit des Druckes ist Newton pro Quadratmeter (N/m2), die als 1 Pascal bezeichnet wird 1 Pa = 1 Oft benutzt man auch die Atmosphäre (atm). Eine Atmosphäre entspricht ungefähr dem Luftdruck auf Meereshöhe 1 atm = 1, 01325 × 10 5 Pa Eine andere Einheit ist das bar 1 bar = 1000 mbar = 100 kPa = 10 5 Pa p= F ρlAg = = ρgl A A 373 Der Druck p wird definiert als eine makroskopische Grösse, die den Zustand des Gases im Thermometer als Ganzes beschreibt. Das Quecksilber übt einen Druck p auf das Gas aus, wobei gilt Physik 374 Temperatur und Gase p ≡ Druck des Gases Man spricht vom Druck des Gases: In der Version des Gasthermometers, die wir nun betrachten, wird der Druck p des Gases konstant gehalten. V = CT bei konstantem Druck Experimentell beobachtet man (Siehe Abb. 4), dass das Volumen des Gases bei konstantem Druck proportional zur Temperatur ist: 1 Dieses Ergebnis ist als Gesetz von Gay-Lussac (J.L. Gay-Lussac 1778-1850) bekannt. Das Gesetz gilt für alle Gase bei niedrigen Dichten, unabhängig von ihrer chemischen Zusammensetzung. Figur 4. Der Druck eines Gases ist zur Temperatur des Gases proportional. Der Ballon wird auf flüssigen Stickstoff gestellt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer Ah ∝h C1 bei konstantem Druck Es folgt, dass die Temperatur proportional zur Höhe h des Quecksilbers ist, T= h − h0 × 100 o C h100 − h0 bei konstantem Druck Um das Thermometer zu benutzen, müssen wir noch die Konstante A/ C1 bestimmen. Wir tauchen das Thermometer in ein Eis-WasserGemisch ein und messen h0. Dann messen wir die Höhe h100 beim Siedepunkt des Wassers. Eine beliebige Temperatur wird gemessen als T (h) = In einer anderen Version des Gasthermometers kann das Volumen konstant gehalten und der Druck als thermometrische Eigenschaft benutzt werden. bei konstantem Volumen Experimentell beobachtet man, dass der Druck des Gases bei konstantem Volumen proportional zur Temperatur ist: p = C2T 375 Dieses Ergebnis ist als Gesetz von Boyle4 und Mariotte5 bekannt. 4. R. Boyle (1627-1691) 5. E. Mariotte (1620-1684) Physik 376 Temperatur und Gase 8.3.2 Die absolute Temperatur und die Kelvin-Skala Aus der Beobachtung des Verhaltens des Gasthermometers können wir schliessen, dass es eine minimale Temperatur in der Natur gibt. Man spricht vom absoluten Nullpunkt. Bei einer Temperaturabnahme wird sich das Volumen (bei konstantem Druck) oder der Druck (bei konstantem Volumen) des Gases reduzieren. Experiment: Bestimmung des absoluten Nullpunktes -100 °C -273 °C Temperatur -200 °C Durch eine Extrapolation kann man beweisen, dass der Nullpunkt bei einer Temperatur gleich –273.15°C liegt. Siehe Abb. 5. 0 °C Bestimmung des absoluten Nullpunkts. 100 °C Druck p (bei konstantem Volumen) Figur 5. Die Kelvin-Skala wird definiert mit Hilfe des Tripelpunkts des Wassers. Beim Tripelpunkt stehen Wasserdampf, flüssiges Wasser Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer T3 = 273,16 K = 0, 01o C und Eis miteinander im Gleichgewicht. Die Temperaturskala wird so definiert, dass die Temperatur des Tripelpunkts beträgt. Die Einheit der (absoluten) Temperatur ist das Kelvin6 (K). 273,16 K p p3 Der Nullpunkt der Kelvin-Skala liegt beim absoluten Nullpunkt (ein Wert T<0K ist unmöglich). Die Temperatur eines Körpers in der Kelvin-Skala kann mit Hilfe eines Gasthermometers bei konstantem Volumen gemessen werden: T= wobei p der gemessene Druck bei der Temperatur T ist, und p3 ist der gemessene Druck, wenn das Gasthermometer in Wasser bei dessen Tripelpunkt getaucht wird. 377 Für geringe Dichte ist der Messwert der Temperatur unabhängig von der Art des Gases. Die Kelvin-Skala beruht auf der Abhängigkeit des Druckes von der Temperatur. Diese Eigenschaft besitzen alle Gase, unabhängig von ihrer bestimmten Art. 6. Lord Kelvin (William Thomson) (1824-1907). Physik 378 Temperatur und Gase 8.4 Gase 8.4.1 Die Zustandgleichung für ideale Gase bei konstantem Druck bei konstantem Volumen Wir haben in Kap. 8.3.1 die Gesetze von Boyle-Marriote und von Gay-Lussac gesehen V = C1T p = C2T Experimentell beobachtet man, dass der Druck steigt, wenn ein Gas bei konstanter Temperatur komprimiert wird. Wenn das Gas expandiert, so sinkt der Druck während der Volumenzunahme. In guter Näherung ist das Produkt aus dem Druck und dem Volumen bei konstanter Temperatur konstant. Diese Beziehung gilt für alle Gase bei geringer Dichte. Experiment: pV = Konst. Der Druck eines Gases in einem Volumen wird gemessen. Im Experiment wird das Volumen geändert und die Änderung des Druckes als Funktion des Volumens gemessen. Wenn wir das Volumen halbieren, wird der Druck verdoppelt. Wenn wir zwei identische Behälter betrachten, die mit gleichen Mengen desselben Gases bei der gleichen Temperatur gefüllt sind, ist es uns vertraut, dass man das doppelte Gasvolumen bei gleichem Druck p und gleicher Temperatur erhält, wenn beide Behälter zusammengefügt werden. Es folgt, dass das Produkt pV proportional zur Gasmenge sein muss. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase Diese Ergebnisse werden in der Zustandsgleichung des idealen Gases zusammengefasst pV = NkT wobei k die Boltzmann-Konstante, N die Anzahl der Gasmoleküle und T die absolute Temperatur (die Kelvin-Skala) ist. Wir bemerken, dass die Einheit der Boltzmann-Konstante gleich 2 3 p [V ] ( N / m )( m ) ( Nm) J = = [k ] = [ ] = N [T ] K K K ist. D.h., die Einheit der Konstante ist eine Energie geteilt durch eine Temperatur. Aus Experimenten weiss man, dass die Boltzmann-Konstante für alle Gase denselben Wert hat: k = 1,381 × 10 -23 J / K ⇒ T = 300K kT = 4,1 × 10 −21 J 379 Mit Hilfe dieser Konstante kann eine Temperatur T in eine Grösse mit der Einheit Energie umgewandelt werden, z.B. [kT ] = (J / K )K = J Siehe Abb. 6. Physik 380 Temperatur und Gase 212 F Fahrenheit 100 C Celsuis 373 K Kelvin 5.15 x 10 –21 Joule Siedepunkt 32 F – 459 F 0 C – 273 C 273 K 0 K 3.77 x 10 – 21 0 Gefrierpunkt Absoluter Nullpunkt Figur 6. Vergleich von verschiedenen Temperaturskalen. Der Siedepunkt und der Gefrierpunkt von Wasser bei 1 atm sind angegeben. Wenn wir n Mol eines Gases betrachten, dann enthält es die folgende Anzahl von Molekülen N = nN A und die Zustandsgleichung des Gases lautet damit pV = NkT = nN A kT = nRT wobei R die Gaskonstante ist.Sie hat für alle Gase den Wert R ≡ N A k = 8,314 J / mol / K Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase Beispiel: Die Temperatur T=273,15 K = 0°C und der Druck p=1 atm werden als sogenannte Standardbedingungen definiert. p = 1 atm = 1, 01325 bar = 1, 01325 × 10 5 N / m 2 T = 0°C = 273,15 K Das Volumen von 1 Mol eines Gases bei Standardbedingungen ist gleich nRT = V= p 1mol × 8, 314 J / mol / K × 273 K 1, 01325 × 10 5 N / m 2 = ≈ 22, 4 × 10 −3 m 3 = 22, 4 l 8.4.2 Mikroskopische Beschreibung des Gases Bis jetzt haben wir das Verhalten der Gase mit Hilfe der sogenannten makroskopischen Grössen p, T und V beschrieben. Wir betrachten nun das Gas als ein System, das aus einer grossen Anzahl von Molekülen besteht. Die Moleküle können z.B. die folgenden sein: 1. dreiatomig: H2O, NO2, N2O, SO2, ... einatomig: He, Ar, Xe, Hg,... zweiatomig: H2, O2, N2, Cl2, ... 3. mehratomig: NH3, CH4, C2H6, ... 2. 4. 381 Die Moleküle bewegen sich “frei” im Behälter des Volumens V. Wir nehmen an, dass die einzelnen Moleküle nicht miteinander wechsel- Physik 382 Temperatur und Gase wirken. D.h., wir vernachlässigen die zwischenmolekularen Kräfte. Diese Annahme des “idealen Gases” gilt natürlich nur, wenn die Dichte des Gases gering ist. Die Gasmoleküle besitzen verschiedene Geschwindigkeiten und bewegen sich in alle Richtungen. Der Druck ist eine Konsequenz aus den Stössen der Moleküle mit den Behälterwänden. Siehe Abb. 7. Figur 7. Kinetische Berechnung des Druckes des Gases. Die Gasmoleküle stossen auf die Wände des Behälters. Ein Mol des Gases enthält schon mehr als 6×1023 Moleküle. Wie wir schon in Kap. 7.6 erwähnt haben, ist die exakte Lösung der Bewegung einer solchen Menge von Molekülen sehr schwierig. Wir werden statistische Methoden benutzen, um die Bewegung der Moleküle zu beschreiben. Am Anfang betrachten wir den vereinfachten Fall, in dem die Moleküle sich nur in der positiven und negativen x-Richtung bewegen. Siehe Abb. 8. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase y z x vx∆t px=+mvx p'x=–mvx Fl che A |∆px|=2mvx Figur 8. Gasmoleküle im Behälter. Im Zeitintervall ∆t treffen diejenigen Moleküle auf die Wand, die sich nach rechts bewegen und höchstens den Abstand vx∆t von der rechten Wand haben. Wir nehmen an, dass die Moleküle elastisch mit den Wänden stossen. Die x-Komponente des Impulses vor und nach dem Stoss ist dann gleich vor: px = mv x nach: px = − mv x ∆px = 2 mv x Die Impulsänderung durch den Stoss des Moleküls ist daher N V { Teilchendichte × (v x ∆tA) × 123 Volumen 1 2 { Hälfte der Moleküle bewegt sich nach rechts 383 Die Anzahl der Moleküle, die in einem Zeitintervall ∆t auf die Wand treffen ist Physik 384 Temperatur und Gase wobei A die Fläche der Wand ist. Es folgt daraus, dass die Impulsänderung der Gasmoleküle im Zeitintervall ∆t gleich N 1 N × (v x ∆tA) × × 2 mv x = mv x2 A∆t V 2 V m∆v x N 2 mv x A∆t N1 2 F ∆t V N 2 mv = = = mv x2 = V 2 x A A A∆t V ist. Dank dem Newtonschen Gesetz können wir die Impulsänderung im Zeitintervall ∆t mit dem makroskopischen Druck, der von N Molekülen der Geschwindigkeit vx auf die Fläche A erzeugt wird, in Beziehung setzen: p( N , v x ) = i =1 i r ∑v N Wenn wir viele Gasmoleküle mit verschiedenen Geschwindigkeiten betrachten, können wir z.B. ihre mittlere Geschwindigkeit definieren als r v ≡ N wobei v i (i=1,...,N) die Geschwindigkeiten der Gasmoleküle sind. Wir haben angenommen, dass der Druck eine Konsequenz aus den Stössen von allen Molekülen ist. Nun betrachten wir den Fall, dass die Moleküle verschiedene Geschwindigkeiten in der x-Richtung besitzen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase i =1 ∑v N 2 i, x 2N 1 m v x2 V 2 1 N p( N , v x2 ) = Um den Druck des Gases zu berechnen, ersetzen wir in der Gleichung für P(N,vx) die Geschwindigkeit durch den Mittelwert wobei v x2 ≡ die mittlere quadratische Geschwindigkeit der Moleküle in der xRichtung ist. 1 r2 v 3 r wobei v 2 = v x2 + v y2 + v z2 v x2 = v y2 = v z2 = i 2 1 r2 2 1 r 2 N m v = N mv 2 = N E kin 3 2 3 2 3 i =1 r2 ∑v N r 1 v2 ≡ N In Wiklichkeit werden sich die Moleküle in alle Richtungen bewegen. Wenn wir annehmen, dass die Moleküle sich isotrop in alle Richtungen bewegen, erwarten wir, dass gilt und Es folgt pV = 385 wobei <Ekin> die mittlere kinetische Energie der Gasmoleküle ist. Physik 386 Temperatur und Gase ∑v 2 i r 1 r 2 E kin ,i = m v = 2 ∑ i i∑ =1, N Der Ausdruck N<Ekin> ist gleich der gesamten kinetischen Energie (Siehe Kap. 7.1.7) 1 r 1 1 N E kin = N m v 2 = N m 2 2 N d.h., das Produkt pV ist gleich zwei Drittel der gesamten kinetischen Energie des Gases. 2 3 ⇒ kT = E kin ⇒ E kin = kT 3 2 Mit dem Gesetz des idealen Gases ist die absolute Temperatur eines Gases direkt proportional zur mittleren kinetischen Energie eines Gasmoleküls pV = NkT 2 N E kin 3 pV = Wir haben schon in Kap. 8.4.1 bemerkt, dass die Einheit der Konstante gleich einer Energie geteilt durch eine Temperatur ist. Das Produkt kT entspricht deshalb einer Energie. Im Fall des Gases ist das Produkt (3/2)kT gleich der mittleren kinetischen Energie eines Gasmoleküls und die gesamte kinetische Energie der N Gasmoleküle ist gleich (3/2)NkT. 8.5 Wärmekapazität Wenn zwei Körper mit verschiedenen Temperaturen miteinander in Berührung gebracht werden, werden sich die Temperaturen nach einer gewissen Zeit angleichen. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t wurde diese Beobachtung durch die Existenz eines Wärmestoffs, der caloricum, erklärt. Der Wärmestoff wurde vom Körper mit höherer Temperatur zum Körper mit niedriger Temperatur abgegeben. Heute können wir sagen: Die Wärme Q ist das, was allein aufgrund eines Temperaturunterschiedes zwischen zwei Körpern ausgetauscht wird. Eine Einheit für die “Wärmeenergie” wurde eingeführt, als die Natur der Wärme noch unbekannt war. Die Kalorie (cal) wird definiert als die Wärmemenge Q, durch die 1g Wasser unter Normdruck (p=1 atm) von 287.65K auf 288.65K erwärmt wird. Wenn wir eine mikroskopische Beschreibung des Körpers benutzen, kann der Körper als ein Teilchensystem mit einer grossen Anzahl von Molekülen oder Atomen betrachtet werden. r2 1 ∑ m v + E pot, interne 2 i =1,N i i Wir haben in Kap. 7.1.8 die innere Energie U eines Teilchensystems definiert als U = E kin + E pot, interne = d.h, die innere Energie U des Systems wird definiert als die Summe der kinetischen Energien der Teilchen und ihrer inneren potentiellen Energie. Wegen der Energieerhaltung muss sich die innere Energie U des Systems ändern, wenn wir dem Körper Energie zuführen. 387 Aus unserer Diskussionen über Temperatur und mikroskopische Vorgänge folgt ganz klar, dass man einem Körper Energie zuführen muss, um seine Temperatur zu erhöhen. Physik 388 Temperatur und Gase Benjamin Thompson7 schlug erst am Ende des 18. Jahrhunderts vor, dass die “Wärme” eine Form von Energie ist. Man muss deshalb für die Wärmeenergie dieselbe Einheit der Energie benutzen, die für die mechanische Energie benutzt wird. 1 Kalorie (cal) = 4,1868 Joule ( J ) Heute wird die MKS-Einheit Joule für die Wärmemenge verwendet, und es gilt 8.5.1 Wärmekapazität und Wärmeenergie Verschiedene Körper underscheiden sich durch die Menge von Energie, die benötigt wird, um ihre Temperatur um einen bestimmten Betrag zu erhöhen. Wenn wir einem Körper eine Wärmeenergie ∆Q zuführen, wird seine Temperatur um ∆T erhöht. ∆Q ∆T ⇔ ∆Q = C∆T Die Wärmekapazität C des Körpers wird definiert als C≡ wobei ∆Q die benötige Energie ist, um die Temperatur des Körpers um ∆T zu erhöhen. ∆Q ∆T V = Konst Wenn wir die Wärmeenergie bei konstantem Volumen zuführen, werden wir schreiben CV ≡ 7. Benjamin Thompson (1753-1814) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t ∆Q ∆T p = Konst Bei konstantem Druck wird es geschrieben als Cp ≡ Wir haben die Kapazität mit einem Index “V” or “p” geschrieben, um zu zeigen, dass die Wärme bei konstantem Volumen oder bei konstantem Druck zugeführt wird. Bei Substanzen wie Gase, die sich beim Erwärmen ausdehnen, ist die Wärmekapazität bei konstantem Druck cp verschieden (grösser) als die bei konstantem Volumen cV. Siehe Kap. 9.3. ∆Q m∆T ⇔ ∆Q = cm∆T Die Wärmekapazität eines Mols einer Substanz wird als spezifische Wärmekapazität c bezeichnet. Die spezifische Kapazität einer Substanz ist deshalb c≡ wobei c=cp oder cV , und m die molare Masse ist (Siehe Kap. 7.4). Man spricht z.B. von der Wärmekapazität C eines Gegenstands, aber von der spezifischen Wärmekapazität c von Kupfer. Te Ta Q = ∫ dQ = ∫ cV (T ) mdT 389 Die Wärmemenge, die man z.B. bei konstantem Volumen zuführen muss, um einen Körper von Ta auf Te zu erwärmen ist gleich Physik 390 Temperatur und Gase Wenn die Temperaturänderung nicht zu gross ist, wird man die spezifische Wärmekapazität c(T) als eine Konstante betrachten, und es gilt e a V Q = c m(T − T ) = c m∆T V 8.5.2 Wärmekapazität eines (einatomigen, idealen) Gases Wir betrachten nun ein Gas. Seine innere Energie hängt von der kinetischen und potentiellen Energie seiner Moleküle ab. Die potentielle Energie hängt vom intermolekularen Abstand, d.h. vom Volumen oder der Dichte des Gases ab. Im Fall des idealen Gases ist die innere Energie nur kinetische Energie, und die potentielle Energie ist vernachlässigbar U ideal = E kin + E pot, interne = N E kin 3 + 0 = N kT 2 wobei N die Anzahl der Gasmoleküle ist. Für ein ideales Gas hängt die innere Energie nur von der Temperatur ab. Wenn wir ein Mol des Gases betrachten, dann finden wir 3 3 3 U ideal (1mol) = N A kT = N A kT = RT 2 2 2 Wenn wir die Temperatur um ∆T erhöhen, erhöht sich die innere Energie um (3/2)R∆T. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t ∆Q ∆U ideal d 3 3 = = NkT = Nk 2 ∆T ∆T dT 2 Die Wärmekapazität CV des idealen Gases (bei konstantem Volumen) ist daher gleich CV = Für ein Mol ist die spezifische Wärmekapazität gleich dU (1mol) 3 ideal cV ≡ = R dT 2 3 (8, 31 J / mol / K ) ≈ 12.5 J / mol / K 2 ≈ Wir brauchen 12.5 J pro Mol, um die Temperatur eines idealen Gases um 1K zu erhöhen. 8.5.3 Wärmekapazität eines Festkörpers Die Wärmekapazitäten (pro g) von Festkörpern haben sehr unterschiedliche Werte. Siehe Tabelle 2. Wenn wir uns auf die spezifische Wärmekapazitäten beziehen, d.h. auf die Anzahl der Atome und nicht auf die Masse, werden die Werte nicht mehr so unterschiedlich. Es gibt wenige Ausnahmen, wie z.B. Beryllium, Bor und Diamant. Diese Fälle werden als “anomal” bezeichnet und werden später betrachtet. Siehe Kap. 8.8.2. 391 Man sieht auch, dass Wasser im Vergleich zu den meisten Festkörpern eine hohe Wärmekapazität besitzt. Physik 392 Temperatur und Gase Dass die spezifischen (pro Mol) Wärmekapazitäten von Festkörpern sehr ähnliche Werte aufweisen, wird als Dulong-Petitsche Regel8 bezeichnet: cV ≈ 25 J / mol / K Dieses Verhalten wird natürlich mit der Atomtheorie des Materieaufbaus erklärt. Wir beobacthen, dass der Wärmebetrag, der benötigt wird, um die Temperatur pro Atom um 1 K zu erhöhen, vom Stoff unabhängig ist. Stoff 0,386 0,9 Wärmekapazität in J/g/K 108 207 63.5 27 molare Masse in g/mol 25,5 26,5 24,5 24,4 spezifische Wärmekapazität in J/mol/K verschiedener Stoffe bei Zimmertemperatur Aluminium 0,128 und einem Druck von 1 atm. TABLE 2. Wärmekapazitäten Kupfer 0,236 11 Blei 13 Silber Beryllium 75,4 6 18 Bor 4,182 Kohlenstoff(Diamant) Wasser In Festkörpern schwingen die Atome oder Moleküle um ihre Gleichgewichtslage. Wenn das Volumen des Körpers konstant gehalten wird, so dass die Abstände der Atome ungeändert bleiben, tritt die zugeführte Wärmeenergie nur als Schwingungsenergie auf. 8. Dulong und Petit (1819). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t Wenn man die spezifische (pro Mol) Wärmkapazität betrachtet, hat man es beim Vergleich verschiedener Stoffe immer mit derselben Anzahl von Atomen zu tun. Es folgt, dass die spezifischen (pro Mol) Wärmekapazitäten von Festkörpern sehr ähnliche Werte aufweisen müssen. Experiment: Spezifische Wärme von Al und Pb Wir benutzen 14 Mol von Al und Pb Molare Masse: mPb = 207 g/mol mAl = 27 g/mol Masse: MPb = 14×207 ≈ 2900 g mAl = 14×27≈380 g a W V W W V W V W a 393 MW=500 g MWCVW=2090 J/K ncV(Pb) ≈ ncV(Al) ≈ 25×14 = 350 J/K Wasser: CVW=4,182 J/g/K Wärme wird auf das Wasser übertragen: CVW M W (Te − TaW ) = ncV (Ta − Te ) wobei Ta und Te die Anfangs- und Endtemperatur sind. V (nc T + C M T ) (C M + nc ) (2090J / K + 350J / K ) ((350J / K )(373K ) + (2090J / K )(293K )) ≈ 300K ≈ 30 o C ≈ Te = Mit Ta≈373K und TaW≈293K finden wir Physik 394 Temperatur und Gase Klassischer Gleichverteilungssatz 8.7 Klassischer Gleichverteilungssatz Bis jetzt haben wir die spezifische Wärmekapazität von Gasen aus der kinetischen mikroskopischen Beschreibung erklärt. 8.6 Latente Wärme Wird einem Körper Wärme zugeführt, steigt im allgemeinen seine Temperatur. Mit diesem Modell konnte man die spezifische Wärmekapazität von einatomigen Gasen wie z.B. Helium erklären. Blei Wasser Substanz 54,4 — 600 273,15 Schmelzpunkt (K) 205 26 14 — 25 333 LSchmelz (J/g) 2839 77,35 90,2 4,2 2020 373,15 Siedepunkt (K) 200 210 20 860 2260 LVerdampfung (J/g) Physik 395 Wir betrachten nun die verschiedene Freiheitsgrade der Gasmoleküle. Wir nehmen eine “klassische” Darstellung der Moleküle an. Wir werden in Kap. 8.8 sehen, dass eine solche Darstellung nicht ganz richtig ist. Jede Möglichkeit eines Moleküls, eine der verschiedenen Formen der Energie zu absorbieren, nennt man Freiheitsgrad f. Die Rotation oder die Schwingung können z.B. bei Zusammenstössen angeregt werden. Alle Bewegungsformen (Translation, Rotation, Schwingung) werden im Prinzip zur inneren Energie U des Gases beitragen. Unter dieser Annahme kann man sich neben der Translationsbewegung der Moleküle auch eine Rotation und Schwingung der Moleküle vorstellen. Ein solches Molekül wird nicht als ein starres kugelförmiges Teilchen gesehen, das sich in alle Richtungen bewegt (die sogenannte Translationsbewegung der Gasmoleküle), das Molekül besitzt auch eine interne Struktur. Alle anderen Gasatome (mit der Ausnahme von Edelgasen wie Helium, Argon, usw.) bilden Moleküle. Wir wissen, dass bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck eine Wärmezufuhr keine Temperaturerhöhung verursacht, nämlich wenn ein Phasenübergang stattfindet. Die benötigte Wärme Q, um einen Phasenübergang (ohne Temperaturänderung) zu machen, ist zur spezifischen latenten Wärme L proportional Q = LM wobei M die Masse des Körpers ist. Einige Schmelz- und Siedepunkte und die spezifischen latenten Wärmen sind in Tabelle 3 aufgelistet. Helium 63 und Siedepunkte und spezifische latente Wärme Sauerstoff 1356 (bei p=1 atm) TABLE 3. Schmelzpunkte Stickstoff 4730 Kupfer Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 396 Temperatur und Gase y x z Rotation um y-Achse Rotation um x-Achse f einatomig = 3( Translation) Wenn das Molekül einatomig (n=1) ist, kann es sich in 3 unabhängige Richtungen bewegen, und es soll 3n=3 (kinetischen) Freiheitsgrade besitzen. Die Translationsbewegung hat drei Freiheitsgrade, einen für jede Raumrichtung. a) b) c) Rotation um z-Achse Figur 9. Die drei unabhängigen Rotationsfreiheitsgrade eines zweiatomigen Moleküls. Wenn wir die Atome als Kugeln betrachten, dann zählt die Rotation um die z-Achse nicht, und es gibt nur zwei unabhängige Rotationsfreiheitsgrade. Wenn das Molekül zweiatomig (n=2) ist, können sich im Prinzip beide Atome in 3 unabhängige Richtungen bewegen, und das Molekül soll 3n=6 (kinetischen) Freiheitsgrade besitzen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Klassischer Gleichverteilungssatz Die 6 Freiheitsgrade werden auf 3 Translations- und 3 Rotationsfreiheitsgrade verteilt. Die drei unabhängigen Rotationsfreiheitsgrade eines Moleküls sind in Abb. 9 gezeigt. Wenn wir die Atome als Kugeln betrachten, dann zählt die Rotation um die z-Achse nicht, und es gibt nur zwei unabhängige Rotationsfreiheitsgrade. Der letzte (kinetische) Freiheitsgrad entspricht dann der Schwingungsbewegung. f zweiatomig = 3( Translation) + 2(Rotation) + 1(Schwingung) = 6 In Wirklichkeit beobachtet man, dass die Schwingungsbewegung mehr als 1 Freiheitsgrad entspricht, weil es kinetische und potentielle Freiheitsgrade gibt. Siehe Kap. 8.8. Im Allgemeinen soll ein Molekül mit n Atome genau f n − atomig = 3n (kinetischen) Freiheitsgrade besitzen. Mit Hilfe der klassischen Mechanik hat J.C. Maxwell im Jahr 1858 gezeigt, dass für eine grosse Anzahl von Molekülen (die sich im thermischen Gleichgewicht befinden), alle oben genanten Freiheitsgrade dieselbe mittlere Energie speichern, die nur von der Temperatur abhängt. Die Aussage heisst Gleichverteilungssatz der Energie oder Äquipartitionstheorem. Es sagt: 397 Befindet sich ein Körper im thermischen Gleichgewicht, besitzt jeder Freiheitsgrad eine mittlere Energie von (1/2)kT pro Moleküle ((1/2)RT pro Mol)). Physik 398 Temperatur und Gase Es folgt daraus, dass die innere Energie U des Körpers mit f Freiheitsgraden gleich 1 1 1 U = f NkT = f nN A kT = f nRT 2 2 2 ist, wobei N die Anzahl der Moleküle und n die Stoffmenge ist. Die spezifische (pro Mol) Wärmekapazität ist daher gleich dU (1mol) 1 cV = = f R 2 dT Die Aussage des Gleichverteilungssatzes kann mit den experimentellen Werten verschiedener Stoffe verglichen werden. Die vorausgesagten und gemessenen Werte sind für verschiedene Gase in Tabelle 4 gezeigt. Bei manchen zweiatomigen Gasen und den meisten mehratomigen Gasen sind die Wärmekapazitäten kleiner als die, die wir vorausgesagt haben. Helium Art des Gases 1 1 Anzahl der Teilchen 3 3 3 Freiheitsgrade 3/2R = 12,5 3/2R = 12,5 3/2R = 12,5 Vorausgesagt CV (J/mol/K) 20,80 12,45 12,45 12,68 12,52 Gemessen CV (J/mol/K) verschiedener Gase bei 20°C und 1 atm. Neon 1 6/2R = 25 3/2R = 12,5 TABLE 4. Wärmekapazitäten Argon 6 3 20,44 2 6/2R = 25 1 6 Krypton 2 Stickstoff N2 Wasserstoff H2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Klassischer Gleichverteilungssatz Kohlenmonoxid CO Sauerstoff O2 Art des Gases 5 3 2 2 Anzahl der Teilchen 15 9 6 6 Freiheitsgrade 15/2R = 62,5 9/2R = 37,5 6/2R = 25 6/2R = 25 Vorausgesagt CV (J/mol/K) 29,00 28,17 20,74 20,98 Gemessen CV (J/mol/K) verschiedener Gase bei 20°C und 1 atm. Kohlendioxid CO2 TABLE 4. Wärmekapazitäten Methan CH4 Bevor wir eine Erklärung finden, wollen wir nun die Wärmekapazität von Festkörpern mit Hilfe des Gleichverteilungssatzes voraussagen. ⇒ f =6 Wir nehmen an, dass der Festkörper aus einer regelmässigen Anordnung von NA Atomen pro Mol besteht. Die gemessenen und die von der Regel von Dulong-Petit vorausgesagten Werte ergeben: 1 cV ≈ 25 J / mol / K = f R 2 d.h. wir finden, dass die Atome im Festkörper 6 Freiheitsgrade besitzen. r2 1 ∑ mv + E pot, interne 2 i =1,N i Im Festkörper ist die innere Energie gleich U = E kin + E pot, interne = wobei Epot,interne der potentiellen Energie der zwischenatomaren Kräfte entspricht. 399 Wenn ein Atom sich in seiner Gleichgewichtslage befindet, ist seine potentielle Energie gleich Emin. Wenn ein Atom aus seiner Gleichge- Physik 400 Temperatur und Gase wichtslage ausgelenkt wird, wird seine potentielle Energie zunehmen. =E pot r ( ∆r ) = E i min 2 1 d E pot r r 2 + ( r0 ) ( ∆ri ) + ... 2 dr 2 Die potentielle Energie des Atoms i hängt von seiner Auslenkung aus der Gleichgewichtslage ab (Siehe potentielle Energie von Leonard Jones in Kap. 7.3): E i, pot ,int erne r 2 1 = E + k ( ∆r ) + ... min i 2 1 1 1 2 2 2 = E min + k ( ∆x i ) + k ( ∆y i ) + k ( ∆zi ) ... 2 2 2 wobei ∆xi, ∆yi, und ∆zi den 3 unabhängigen Auslenkungsrichtungen entsprechen. Es folgt, dass 3 Freiheitsgrade 3 Freiheitsgrade r2 1 r 2 1 U = m ∑ v i + k ∑ ( ∆ri ) 2 =1,N 2 i =1,N 14i2 43 14 4244 3 und jedes Atom besitzt sechs (3 kinetische und 3 potentielle) Freiheitsgrade. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit ten und die klassische Mechanik 8.8 Wärmekapazitäten und die klassische Mechanik 8.8.1 Wärmekapazitäten von Gasen Wir haben gesehen, dass bei manchen zweiatomigen Gasen und den meisten mehratomigen Gasen die Wärmekapazitäten kleiner sind, als die, die wir vorausgesagt haben. Um dieses Verhalten von Gasen zu erklären, wird die Temperaturabhängigkeit der spezifischen (pro Mol) Wärmekapazität von Wasserstoff in Abb. 10 gezeigt. Man spricht von eingefrorenen Freiheitsgraden. Bei einer Temperatur T < 100K ist die Wärmekapazität gleich (3/2)R, ein Wert, der für ein einatomiges Gases erwartet wird. In diesem Temperaturbereich (und Temperatur entspricht einer Energie, deshalb können wir auch Energiebereich sagen) können die Rotation und Schwingung des Wasserstoffmoleküls nicht angeregt werden. Die Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade existieren nicht. Sie sind eingefroren. Bei dieser Temperatur verhält sich das Wasserstoff-Molekül wie eine inkompressible Kugel. Bei Zimmertemperatur ist die Wärmekapazität gleich (5/2)R. Zwei zusätzliche Freiheitsgrade sind erschienen und thermische Energie wird nun auch in diesen internen Bewegungen gespeichert. 401 Oberhalb von 750K nimmt die Wärmekapazität stetig auf (7/2)R zu. Bei diesen hohen Temperaturen nehmen die Zusammenstösse zwischen den Molekülen zu, und es werden Schwingungen angeregt. Physik 402 Temperatur und Gase 1 2 1 2 µv + kx 2 rel 2 rel Die Schwingung erscheint als 2 Freiheitsgrade, weil sie die Form 50 100 Translation Rotation 7 2 5 2 3 2 5000 10,000 Schwingung besitzt, wobei µ eine reduzierte Masse (Siehe Kap. 7.1.3) und x ein Abstand ist. 4 3 2 1 0 20 200 500 1000 2000 Temperatur (K) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Obwohl diese Erklärung mit den experimentellen Daten übereinstimmt, widerspricht sie der klassischen Mechanik. Die klassische Theorie kennt keine Abhängigkeit der spezifischen Wärmekapazitäten von der Temperatur. Figur 10. Temperaturabhängigkeit der spezifischen (pro Mol) Wärmekapazität für Wasserstoff. Da Wasserstoff bei 3200K dissoziiert, bezieht sich die gestrichelte Kurve auf ein undissoziiertes Wasserstoffmolekül. CV/R W rmekapazit ten und die klassische Mechanik 8.8.2 Anomale Wärmekapazitäten von Festkörpern Nun betrachten wir die “anomalen” Stoffe, wie z.B. Beryllium. In Abb. 11 ist die spezifische (pro Mol) Wärmekapazität von Blei, Aluminium und Beryllium als Funktion der Temperatur aufgetragen. Figur 11. Spezifische (pro Mol) Wärmekapazitäten dreier Festkörper als Funktion der Temperatur in Kelvin. 403 Wir sehen, dass sich cV für alle drei Elemente bei hohen Temperaturen demselben Grenzwert nähert. Dass sich Beryllium “anomal” verhält, folgt aus der Tatsache, dass für Beryllium die Zimmertemperatur nicht als sehr hohe Temperatur angesehen werden kann. Experiment: Debye-Temperatur Pb und Al werden auf 80K abgekühlt. Physik 404 Temperatur und Gase Tatsächlich nähern sich die spezifischen Wärmekapazitäten dem Wert Null bei T≈0K und dem Dulong-Petit-Wert bei hohen Temperaturen. Im Jahre 1912 entwickelte Debye9 eine neue Theorie, die eine charakteristische Temperatur, die Debye-Temperatur θD, liefert. Die Debye-Temperatur ist eine für jedes Material konstante und charakteristische Grösse. Sie beträgt z.B. θ D ,Blei = 88K θ D ,Kohlenstoff = 1860K Die Debye-Temperatur wird mittels der Quantentheorie direkt mit einer materialspezifischen Schwingungsfrequenz in Beziehung gebracht. Die Theorie sagt voraus, dass als Funktion der dimensionslosen Grösse T/θD, die Wärmekapazitäten aller Stoffen den gleichen Verlauf zeigen. Die experimentelle Bestätigung (Siehe Abb. 12) ist einer der Erfolge der Quantentheorie. 8.8.3 Schlussbemerkung Damit stossen wir an die Grenzen der klassischen Mechanik. So wie die Newtonschen Gesetze bei sehr hohen Geschwindigkeiten versagen (Siehe Kap. 6.8), verlieren sie auch im atomaren oder molekularen Bereich ihre Gültigkeit. Im Bereich sehr kleiner Dimensionen wird die Newtonsche Mechanik durch die Quantentheorie ersetzt (Siehe Kap. 13). 9. P. Debye (1884-1966). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit ten und die klassische Mechanik Figur 12. Spezifische (pro Mol) Wärmekapazitäten für einige Stoffe als ΘD. Funktion der dimensionslosen Temperatur T/Θ Physik 405 406 Temperatur und Gase Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 9 Thermodynamik 9.1 Hauptsätze der Thermodynamik Das zentrale Konzept der Thermodynamik ist die Existenz der Temperatur (der sogenannte “nullter” Hauptsatz der Thermodynamik). Wir betrachten z.B. zwei Körper A und B. Der Körper A erscheint uns heiss, und der Körper B erscheint uns kalt. Wir bringen A in Kontakt mit B. Nach einer gewissen Zeit erscheinen uns beide Körpern gleich warm. Beide Körper besitzen über ihre ganze Ausdehnung die gleiche Temperatur. Wir sagen, dass beide Körper sich im thermischen Gleichgewicht befinden. 407 Vom makroskopischen Standpunkt aus stellt die Temperatur eine Grösse dar, die in verschiedenen Systemen schliesslich denselben Wert annimmt, wenn diese Systeme miteinander in Kontakt gebracht werden. Physik 408 Thermodynamik Vom mikroskopischen Standpunkt aus beschreibt die Temperatur die thermische Bewegung der Atome oder der Moleküle. Diese entspricht der inneren Energie U des Körpers, die die kinetische und die potentielle Energie aller Moleküle beinhaltet. U = U ( p,V , T ,...) Die innere Energie U wird als eine Zustandsfunktion des Körpers bezeichnet. Sie hängt vom Zustand des Körpers ab und wird durch den Druck, das Volumen, die Temperatur, usw... des Körpers charakterisiert: Die Thermodynamik beschreibt thermische Vorgänge, in denen ein Körper aufgrund seiner Wechselwirkung mit seiner Umgebung von einem thermischen Gleichgewichtszustand (Anfangszustand) in einen anderen (Endzustand) gelangt. → U E = U ( pE ,VE , TE ,...) Während des Vorganges kann sich die innere Energie U des Körpers ändern: U A = U ( pA ,VA , TA ,...) Wir bemerken, dass die Änderung der inneren Energie nur vom Anfangs- und Endzustand abhängt, und nicht von den Zwischenzuständen ∆U ≡ U E − U A Haupts tze der Thermodynamik Wenn wir einem Körper Wärme zuführen, wird sich seine innere Energie ändern. In gleicher Weise kann man dem Körper Energie durch mechanische Arbeit W zuführen. Experimente: Blei hämmern und die fallende Kugel: Wegen mechanischen Stössen wird sich die Temperatur eines Körpers erhöhen. Die mechanische Arbeit und die Wärmeenergie stellen nur verschiedene Formen der Energie dar (Äquivalenz zwischen mechanischer Arbeit und Wärme, Joule (1850)). Der erste Hauptsatz1 der Thermodynamik drückt die Äquivalenz und die Energieerhaltung aus. Er sagt: Die innere Energie U eines Körpers kann sowohl durch Zufuhr von Wärme als auch durch Leistung von mechanischer Arbeit verändert werden. Wird der Körper einer infinitesimal kleinen Zustandsänderung unterzogen, gilt dU = dQ + dW wobei dU die infinitesimale Änderung der inneren Energie U, dQ die zugeführte Wärme und dW die vom Körper geleistete Arbeit ist.2 1. Wurde in der Vorlesung als zweiter Haupsatz bezeichnet. 2. dU ist ein totales Differential der Zustandsfunktion U. W und Q sind keine Zustandsfunktionen. dW und dQ sind im mathematischen Sinn keine totalen Differentiale, sie stellen nur sehr kleine Grössen dar. Man bezeichnet sie häufig als δQ und δW. Im Kap. 8.5 haben wir gesagt, dass sich wegen der Energieerhaltung die innere Energie U des Systems ändern muss, wenn wir einem Körper Energie zuführen. Die Wärme Q ist eine Form der Energie, die allein aufgrund eines Temperaturunterschiedes zwischen zwei Körpern ausgetauscht wird. Physik 409 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 410 Thermodynamik 9.2 Mechanische Arbeit eines expandierenden Gases Wir beginnen mit einer idealisierten Anordnung, in der sich ein Gas bei einem Druck p in einem Behälter befindet. Der Behälter wird mit einem reibungsfrei beweglichen Kolben der Fläche A verschlossen. Siehe Abb. 1. Das Gas bewirkt eine nach aussen gerichtete Kraft F auf den Kolben, wobei F = pA Wegen dieser Kraft wird sich der Kolben in der Abb. 1 nach rechts bewegen. Das Gas expandiert. dV = Adx Die mechanische Arbeit, die benötigt wird, um den Kolben zu bewegen, wird vom Gas geleistet. pA dx Figur 1. Die vom Gas geleistete Arbeit während der Expansion dV. Der Druck des Gases ist als p bezeichnet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die W rmekapazit ten CV und Cp Wenn der Kolben eine Verschiebung dx nach rechts ausführt, ist die vom Gas geleistete Arbeit gleich dW = − Fdx = −( pA) dx Beachte das negative Vorzeichen! Wir definieren die vom Gas geleistete Arbeit so, dass seine innere Energie U abnimmt, wenn das Gas expandiert. Bei einer Kompression des Gases ist dx negativ und dW positiv, d.h. seine innere Energie U erhöht sich. dV = Adx Nach dieser Expansion hat sich das Volumen des Gases vergrössert und wir finden dW = − pdV 411 Diese Beziehung gilt für eine beliebige Expansion eines Gases. Wenn das Volumen eines Gases von V bis V+dV expandiert, ist die vom Gas geleistete Arbeit gleich pdV, unabhängig von der Form des Behälters. CdT ≡ dQ 9.3 Die Wärmekapazitäten CV und Cp dQ ⇔ dT Wir haben die Wärmekapazität C als C≡ definiert (Siehe Kap. 8.5.2). Physik 412 Thermodynamik Wird einem Gas bei konstantem Volumen eine Wärme dQV zugeführt, so tritt keine mechanische Volumenarbeit –pdV auf, d.h. dW = − pdV = 0 bei konstantem Volumen dU = dQ + dW ⇒ dU = dQV und die ganze Wärme dQV wird benutzt, um die Temperatur des Gases zu erhöhen. Es folgt, dass die Wärme dQV gleich der Änderung der inneren Energie U ist. Man schreibt dQV = dU = CV dT bei konstantem Volumen wobei dU die Änderung der inneren Energie U ist. Wenn wir dem Gas bei konstantem Druck Wärme zuführen, dehnt sich das Gas aus, und deshalb wird das Gas eine Arbeit –pdV leisten. Eine Konsequenz ist, dass nur ein Teil der zugeführten Energie zur Erhöhung der inneren Energie benutzt werden kann. Um dieselbe Temperaturerhöhung wie bei konstantem Volumen zu bewirken, muss bei konstantem Druck mehr Energie zugeführt werden, d.h. C p > CV Die Wärmekapazität bei konstantem Druck wird definiert als dQp = C p dT bei konstantem Druck Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die W rmekapazit ten CV und Cp ⇒ ⇒ dQp − pdV = dU dQp = dU + pdV dQp + dW = dU Wegen der Energieerhaltung muss die Erhöhung der inneren Energie dU gleich der Summe der zugeführten Wärmeenergie dQp und der vom Gas geleisteten mechanischen Arbeit dW sein Es folgt, C p dT = CV dT + pdV Im Fall des idealen Gases erhalten wir pV = nRT ⇒ ( p + dp)(V + dV ) = nR(T + dT ) ⇒ pV + Vdp + pdV + dpdV = nR(T + dT ) ⇒ Vdp + pdV ≈ nRdT für ein ideales Gas pdV ≈ nRdT wobei wir dpdV als vernachlässigbar relativ zu Vdp und pdV betrachtet haben. Wenn dp=0, finden wir und es folgt C p = CV + nR 413 Die gemessenen CV und Cp für einige Gase sind in Tabelle 1 aufgelistet. Wie vorausgesagt, ist deren Differenz ungefähr gleich der Gaskonstante R. Physik 414 Thermodynamik O2 H2 N2 Ar Ne He Gas 36,62 29,37 28,82 29,12 20,79 20,79 20,79 Cp (J/mol/K) 27,36 28,17 20,98 20,44 20,80 12,45 12,68 12,52 Cv (J/mol/K) 8,76 8,45 8,39 8,38 8,32 8,34 8,11 8,27 Cp-Cv (J/mol/K) (pro Mol) Wärmekapazitäten (in J/mol/K) bei 25°C. CO2 36,12 TABLE 1. Spefizische H2O 9.4 Thermische Prozesse des idealen Gases Wir betrachten nun die thermischen Prozesse von idealen Gasen. 9.4.1 Isobare Zustandsänderung ⇒ Va W = − ∫ pdV Ve Wir haben in Kap. 9.2 gesehen, dass ein expandierendes Gas die Arbeit W leistet dW = − pdV wobei Va und Ve die Anfangs- und Endvolumen des Gases sind. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Prozesse des idealen Gases bei konstantem Druck Bei isobaren Zustandsänderungen wird der Druck p konstant gehalten Va Ve W = − p ∫ dV = − p(Ve − Va ) Beispiel: Wir betrachten den Vorgang des Siedens von Wasser. Bei einer Temperatur T=100°C und einem Druck p=1 atm wird Wasser von der flüssigen Phase in die gasförmige Phase übergehen. Bei p=1 atm werden aus 1 g Wasser (VF=1cm3) nach dem Verdamp- fen VD=1671 cm3 Dampf. Die spezifische (pro Masse, latente) Verdampfungswärme LV von Wasser bei diesem Druck ist 2260 J/g. Wärmeenergie für das Verdampfen von 1 g Wasser (Siehe Kap. 8.6) Q = LV M = 2260 J Die beim Ausdehnen von VF auf VD bei konstantem Druck geleistete Arbeit W = − p(Ve − Va ) = −(101, 3 × 10 3 Pa)(1671 − 1cm 3 ) = −170 J 415 Diese Arbeit wird vom Wasser geleistet und ist deshalb negativ zu rechnen. ∆U = Q + W = 2260 − 170 = 2090 J Änderung der inneren Energie U: Physik 416 Thermodynamik Nur ein kleiner Teil der zugeführten Energie (nämlich 170J) wird in (äussere) mechanische Arbeit umgewandelt. Der grösste Teil (nämlich 2090 J) wird zur Erhöhung der inneren Energie benutzt. Diese Energie ist zur Trennung der Wassermoleküle voneinander nötig. 9.4.2 Isotherme Ausdehnung und Umwandlung von Wärme in mechanische Arbeit Wir haben in Kap. 9.1 ein Beispiel gesehen, in dem die Temperatur T eines Körpers durch eine Zufuhr von mechanischer Energie W erhöht wurde. Nun betrachten wir ein Beispiel, in dem eine Wärme Q mit einem Wirkungsgrad von 100% in mechanische Energie W umgewandelt wird. Wir betrachten die isotherme Expansion eines idealen Gases von einem Gasvolumen V1 zum V2. Die Temperatur T des Gases wird in einer isothermen Expansion konstant gehalten. Wenn T=Konst., ist für das ideale Gas pV=Konst., und der Druck p and das Volumen V ändern sich gleichzeitig während des gesamten Expansionsvorgangs. Die Geschwindigkeit der Expansion wird mit Hilfe der Kraft F kontrolliert, die auf den Kolben wirkt. Siehe Abb. 2. nRT dV V Wenn das Gas expandiert, leistet es eine mechanische Arbeit W auf den Kolben. Für eine kleine Expansion dV ist die vom idealen Gas geleistete Arbeit gleich dW = − pdV = − Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Prozesse des idealen Gases Diese Arbeit ist gleich der von der Bewegung des Kolbens geleisteten Arbeit. F F Würden wir dem Gas keine Wärme zuführen, käme die Energie von der inneren Energie des Gases. Die Abnahme der inneren Energie würde als Temperaturabnahme des Gases beobachtet. V1 Temperatur T (Wärmereservoir) Q V2 Temperatur T (Wärmereservoir) Q Figur 2. Isotherme Expansion eines Gases. Um die Temperatur des Gases während der Expansion konstant zu halten, muss Wärme zugeführt werden. Um die Temperatur des Gases während der Expansion konstant zu halten, müssen wir gleichzeitig Wärme zuführen. T = Konst. ⇒ U ≡ U (T ) = Konst. ⇒ dU = 0 417 Da die innere Energie des idealen Gases nur von der Temperatur abhängt, folgt Physik 418 Thermodynamik dU = dQ + dW = 0 und mit der Energieerhaltung ⇒ dQ = − dW Weil die Temperatur des Gases konstant ist, wird die gesamte zugeführte Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt! V2 V1 V2 V dV =nRT ln 2 V V1 Für die ganze isotherme Expansion ist die gesamte zugeführte Wärme Q gleich V1 Q = ∫ dQ = − ∫ dW = −W = ∫ pdV = nRT ∫ isotherm T V2 Volumen pV=Konst. Eine solche Expansion kann man mit Hilfe eines sogenannten pVDiagramms graphisch dargestellt werden. Siehe Abb. 3. Druck p1 p2 V1 Figur 3. pV-Diagramm der isothermen Expansion. Der Betrag der geleisteten Arbeit ist gleich der getönten Fläche. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Prozesse des idealen Gases Im pV-Diagramm entspricht jeder Punkt (x=V,y=p) der Ebene einem bestimmten Zustand des Gases. Ve Im Fall des idealen Gases entspricht eine Kurve pV=Konst einer bestimmten Temperatur oder inneren Energie. Weil die geleistete Arbeit gleich Va W = − ∫ pdV ist, ist in einem pV-Diagramm der Betrag der geleisteten Arbeit gleich der Fläche unter der Kurve. 9.4.3 Adiabatische Ausdehnung adiabatisch Während der adiabatischen Ausdehnung des Gases wird keine Wärme ausgetauscht Q≡0 Wir betrachten die Expansion eines idealen Gases, das sich in einem thermisch isolierten Behälter befindet. ⇒ dU = dW ⇒ ∆U = ∫ dW = W Weil das Gas keine Wärme aufnehmen oder abgeben kann, ist die geleistete Arbeit gleich der Abnahme der inneren Energie U: dU = dQ + dW Es folgt, dass die Temperatur des Gases während der adiabatischen Expansion abnimmt. 419 Bei der adiabatischen Expansion wird die Wärmeenergie, die im Gas gespeichert ist, in mechanische Arbeit umgewandelt. Physik 420 Thermodynamik adiabatisch V2 Volumen T2 Wir nehmen an, dass die Anfangs- und Endtemperaturen gleich T1 und T2 sind. Siehe Abb. 4. T1 V1 pV-Diagramm der adiabatischen Expansion des Gases. p2 p1 Druck Figur 4. Bei der adiabatischen Expansion nimmt der Druck p stärker ab als bei der isothermen Expansion mit gleicher Volumenzunahme, weil die Temperatur T abnimmt und pV=nRT gilt. und dU = CV dT Nun bestimmen wir die pV-Kurve der adiabatischen Expansion. Es gilt dU = dQ + dW = 0 − pdV Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Prozesse des idealen Gases nRT dV = 0 V dV dT + nR =0 V T CV dT + pdV = CV dT + Mit der Zustandsgleichung des idealen Gases erhalten wir oder CV C p = CV + nR für ein ideales Gas ) dV dT + C p − CV =0 V T ( Im Kap. 9.3 haben wir gesehen, dass und daher CV ) γ≡ Cp CV Wir definieren den Koeffizient γ als das Verhältnis und damit ( TV γ −1 = Konst. C − CV dV dT dT dV p + = + (γ − 1) =0 T CV V T V ln T + (γ − 1) ln V = Konst. ⇒ Durch Integration erhalten wir Physik 421 422 Thermodynamik Mit pV=nRT finden wir noch pV γ −1 V = Konst. ⇒ nR pV γ = Konst. Die Koeffizienten γ für die Gase, die in Tabelle 4 in Kap. 8.7 aufgelistet sind, sind die folgenden: Helium He, Argon Ar γ=1,66; Stickstoff N2, Sauerstoff O2 γ=1,40; Kohlendioxid CO2 γ=1,28; Methan CH4 γ=1,29. Die adiabatische und isotherme Expansionen sind in Abb. 5 gezeigt. Die vom Gas geleistete Arbeit ist gleich der Fläche unter der Kurve im pV-Diagramm. In beiden Fällen sinkt der Druck p. Die während der adiabatischen Expansion geleistete Arbeit ist kleiner als die der isothermen Expansion (für gleiche Volumenänderungen). Das ist zu erwarten, weil bei der adiabatischen Expansion die mechanische Arbeit auf Kosten der inneren Energie geleistet wird, und bei der isothermen Expansion die zugeführte Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt wird. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia a th e rm pV = Konstant is o a di b a ti s ch p2 p3 Volumen V2 γ pV = Konstant (for γ = 1.667) Thermische Prozesse des idealen Gases p1V1 V1 Vergleich der isothermen und adiabatischen Expansion des idealen Druck p1 Figur 5. Gases. Experiment: Adiabatische Expansion von Gasen Gase werden in einem Volumen eingeschlossen und das Volumen wird periodisch durch die Bewegung eines Kolbens verändert. Die Temperatur T im Gas wird (mit einem Kupfer-Draht) gemessen. Wir betrachten verschiedene Gase: Ar, Luft und SF6 (SchwefelHexafluorid). CV dV dT + nR =0 V T 423 Die Kompression und die Expansion des Gases erfolgt adiabatisch. Aus Physik 424 Thermodynamik folgt dT nR dV dV =− = −(γ − 1) T CV V V Die Amplitude der periodischen Temperaturbewegung ist zu γ–1 des Gases proportional. Im Kap. 8.7 haben wir mit Hilfe des Gleichverteilungssatzes gefunden dU 1 CV = = nf R 2 dT wobei f die Anzahl der Freiheitsgrade ist. nR 2 = 1 f nf R 2 Der γ-Koeffizient hängt von der Anzahl der Freiheitsgrade ab nR (γ − 1) = = CV Wir messen die folgenden Werte und vergleichen sie mit der Theorie. Siehe Tabelle 2. Ar Gas 1/5≈0,2 2/3≈0,66 1 gemessen (γ−1)/(γ−1)Ar 21/2R 5/2R 3/2R Theorie CV 23/2R 7/2R 5/2R Theorie CP=CV+R 1,1 1,40 1,67 Theorie γ 0,2 0,6 1 Theorie (γ−1)/(γ−1)Ar und vorausgesagte Werte der Grösse γ–1. Luft TABLE 2. Gemessene SF6 Wir diskutieren diese Werte. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmemaschine 1. 2. 23 c p = cV + R ≈ R 2 ⇒ γ − 1 ≈ 0, 2 Luft: der gemessene Wert ist kompatibel mit f=5. Das Molekül schwingt nicht. Bei Zimmertemperatur sind die Freiheitsgrade der Schwingung praktisch eingefroren, wie beim H2-Molekül. Siehe Kap. 8.8.1 Abb. 10. Schwfel-Hexafluorid (SF6): Ein Molekül mit 7 Atomen besitzt im Prinzip (in der klassischen Beschreibung) f=3×7=21 Freiheitsgrade. 21 cV ≈ R 2 23 c p > R 2 ⇒ γ − 1 <≈ 0,1 In Wirklichkeit haben wir gesehen, dass Schwingungsbewegungen zwei Freiheitsgrade besitzen (Siehe Kap. 8.8.1) und deshalb sollen wir sagen 21 cV > R 2 Wir schliessen daraus, dass die Schwingungen des SchwefelHexafluorid-Moleküls bei Zimmertemperatur teilweise eingefroren sind. 9.5 Wärmemaschine isotherm V = −W isotherm = nRT ln 2 V1 425 Mit der Methode der isothermen Expansion (Siehe Kap. 9.4.2) des Gases wird Wärme in mechanische Arbeit umgewandelt. Q wobei V1 das Anfangs- und V2 das Endvolumen des Gases ist. Physik 426 Thermodynamik Beispiel: die Wärmemaschine von Stirling W rmemaschine Kalt Kalt Schwungrad Kolben A Kolben V Heiss Heiss Heiss Illustration des Zykluses der Wärmemaschine von Stirling. Heiss Figur 7. 3. R. Stirling (1790-1878). Er hat seine Maschine erfunden, wenn er 26 Jahre alt war. Physik 427 Dadurch wird die Luft periodisch zwischen dem “heissen” (TW) und dem “kalten” (TK) Teil der Maschine verschoben. Der Kolben V ist um eine Phasendifferenz von 90° gegenüber dem Kolben A verschoben. Zwei Kolben (der Verdrängerkolben V und der Arbeitskolben A) wird vom Schwungrad S bewegt. Siehe Abb. 7. Das Arbeitsgas der Maschine ist Luft. Die Maschine operiert zwischen zwei Temperaturen. Stirling3 hat um 1816 eine periodische Maschine erfunden und gebaut. Eine Maschine, die Wärme in mechanische Arbeit umwandelt, heisst eine Wärmemaschine. In einer periodischen Wärmemaschine wird ein Zyklus durchgeführt und die Maschine operiert periodisch. Am Ende des Zykluses befindet sich die Maschine wieder im Ursprungszustand. Jede Maschine entählt eine Subtanz (das Arbeitsgas). In einer Wärmemaschine nimmt diese Substanz bei der höheren Temperatur TW die Wärme QW auf, verrichtet eine Arbeit W und gibt bei der tieferen Temperatur TK die Wärme QK ab. Eine Wärmepumpe ist eine Wärmemaschine mit umgekehrter Arbeitsrichtung: die Substanz nimmt bei der tieferen Temperatur TK eine Wärme QK auf, und gibt unter Ausnutzung der Arbeit W die Wärme QW an das wärmere Reservoir der Temperatur TW ab. Siehe Abb. 6. Wärmepumpe W Wärmemaschine QK QW Wärmereservoir TW W Wärmereservoir TW QW Wärmereservoir TK Prinzip der Wärmemaschine und Wärmepumpe. Es gilt TW > TK. Wärmereservoir TK QK Figur 6. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 428 Thermodynamik In der Praxis können das kalte Wärmereservoir Kühlwasser und das heisse Wärmereservoir die Flamme eines Bunsenbrenners sein. Wir messen die Temperatur im unteren Teil des Gasbehälters. Sie beträgt ca. 400°C. Das Kühlwasser hat eine Temperatur von ca. 20°C. Bewegen wir das Schwungrad S im Gegenuhrzeigersinn, dann läuft die Maschine nicht. Die Entropie Wir halten nun die Maschine an und bewegen das Schwungrad mittels einem Griff. Wir leisten Arbeit von aussen und die Maschine wird als Wärmepumpe betrieben: sie entnimmt Wärme aus dem kälteren Reservoir, um sie an das wärmere abzugeben. 9.6 Die Entropie Physik 429 Ein Mol Helium enthält genug Energie, um ein Kilogramm auf eine Höhe von ≈360 m zu heben. 3 ≈ × (8 J / mol / K ) × 1mol × ( 300K ) 2 ≈ 3600 J ganze thermische Energie 3 3 von 1 Mol He - Gas bei ≈ N A kT = RT 2 2 Zimmertemperatur Jedoch ist die thermische Energie einer relativ grossen Menge von Stoff nicht vernachlässigbar. Wir stellen uns z.B. vor, dass wir die ganze thermische Energie aus 1 Mol Helium-Gas herausziehen könnten. Im letzten Kapitel haben wir die thermische Energie von Atomen und Molekülen behandelt. Heiss Bewegen wir das Schwungrad S im Uhrzeigersinn, dann beginnt die Maschine frei zu laufen. Die Laufgeschwindigkeit wird schliesslich durch Reibungsverluste begrenzt. Kalt Die thermische Energie der einzelnen Atome oder Moleküle ist nicht sehr gross (einer Temperatur von T=0°C entspricht z.B. eine Energie kT=3,77×10–21J pro Freiheitsgrad). Siehe Kap. 8.4.1. Kalt Kalt Die Stirling-Maschine kann auch umgekehrt laufen. Heiss Natürlich kann die Stirling-Maschine auch “umgekehrt” laufen. Wir ersetzen die Flamme durch flüssigen Stickstoff mit einer Temperatur von ca. –190°C. Siehe Abb. 8. Figur 8. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 430 Thermodynamik Gleichfalls können wir z.B. die gespeicherte Energie in Wasser bestimmen. Bei Zimmertemperatur ist die Wärmekapazität von Wasser ungefähr 75 J/mol/K (Siehe Kap. 8.5.3). Ein Mol Wasser enthält 18 g. Ein Kilogramm oder ein Liter Wasser entspricht ungefähr 55 Mol. Ein Schwimmbad der Länge 25m, der Breite 10m und der Tiefe 2m hat ein Volumen von 500 m3 oder 500’000 Liter. Die Wärmekapazität des Schwimmbads ist deshalb gleich 9 Die Entropie Carnot hat gefunden, dass es eine (theoretische) Wärmemaschine gibt, deren Wirkungsgrad nur von der Temperatur der Wärmereservoirs abhängt und dass dieser Wirkungsgrad für gegebene Temperaturen der maximal mögliche ist. Um diesen Satz zu beweisen, hat Carnot eine idealisierte Wärmemaschine erfunden: die Carnotsche Wärmemaschine. Diese Maschine ist eine idealisierte Anordnung, bei der die isotherme und die adiabatische Expansion und Kompression eines idealen Gases benutzt werden. 5 (5 × 10 l) × (55mol / l) × (75J / mol / K ) = 2 × 10 J / K Der Zyklus der Maschine (der Carnotsche Kreisprozess) wird mit Hilfe eines reibungsfrei beweglichen Kolbens durchgeführt. p1V1T1 i s ot h er m a di ab xp .E i s o Ko therm nsio mp n ress e io n ion ns io n xpa ress e E omp adiab. K p4V4T3 p2V2T1 oder 1 Giga-Joule pro Kelvin! Kann man diese grosse Menge thermischer Energie dem Schwimmbad entziehen? Druck p1 p2 p 4 p3 V4 V2 V3 Volumen a Das pV-Diagramm des Carnotschen Kreisprozesses. V1 p3V3T3 Das pV-Diagramm des Prozesses ist in Abb. 9 gezeigt. Figur 9. Physik 431 Wenn es so viel thermische Energie in unserer Umgebung gibt, warum brauchen wir Kohle- oder Kernkraftwerke? Warum können nicht Schiffe die thermische Energie von Seen nutzen, um sich zu bewegen? Die Antworten können mit Hilfe des Konzeptes der Entropie gefunden werden. 9.6.1 Der Carnotsche Kreisprozess Im Jahr 1824 hat Carnot4 Ideen zum Konzept der Entropie entwikkelt. Carnot wollte den Wirkungsgrad von Wärmemaschinen verbessern. 4. S. Carnot (1796-1832). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 432 Thermodynamik Schritt 3: Das Gas wird auf das kältere Wärmereservoir (T3<T1) mit der Temperatur T3 gestellt und auf das Volumen V4 komprimiert. Dabei gibt es die Wärme QK an das Reservoir ab (QK<0). Schritt 2: Das Gas wird abiabatisch weiter expandiert, bis es den Zustand p3,V3,T3 erreicht hat. Da keine Wärme ausgetauscht wird, fällt die Temperatur auf T3. Schritt 1: Das Gas befindet sich zu Anfang in einem Gleichgewichtszustand, der durch p1,V1,T1 charakterisiert ist. Das Gas expandiert isotherm (und langsam) in den Zustand p2,V2,T1. Um seine Temperatur konstant zu halten, muss das Gas eine Wärme QW aus einem warmen Reservoir aufnehmen (QW>0). Der Kreisprozess läuft so: 1. 2. 3. 4. Schritt 4: Das Gas wird adiabatisch auf sein Anfangsvolumen V1 komprimiert. Die Temperatur steigt auf T1. In einem Zyklus kehrt die Maschine zum Anfangszustand p1,V1,T1 zurück. Es folgt, dass die innere Energie U zu Beginn und am Ende des Zykluses denselben Wert hat. Aus der Energieerhaltung folgt ∆U = U E − U A = 0 = Q + W = QK + QW + W Weil die geleistete Arbeit gleich W = − ∫ pdV Die Entropie negativen Wert (W<0). Ein negativer Wert entspricht einer vom Gas an seiner Umgebung geleisteten Arbeit, d.h. die Wärmemaschine leistet Arbeit an ihrer Umgebung. ⇒ W = QW − QK Aus der Energieerhaltung folgt, dass der Betrag der geleisteten Arbeit gleich dem Betrag der aufgenommenen Wärme QW minus der Betrag der abgegebenen Wärme QK ist −W = QK + QW wobei wir die folgenden Ergebnisse benutzt haben: 1) QW>0 (die Wärme wird vom warmen Reservoir abgeben und wird vom Gas aufgenommen). 2) QK<0 (die Wärme wird vom Gas an das kalte Reservoir abgegeben). Wir bemerken, dass die Maschine von Carnot, wie alle anderen Maschinen, die wir kennen, immer Wärme von einem warmen Reservoir aufnimmt, mechanische Arbeit leistet, und Wärme an die kältere Umgebung abgibt. Q −Q Q W K = W = 1− K QW QW QW Der Wirkungsgrad einer Wärmemaschine ist definiert als Verhältnis der geleisteten Arbeit und der zugeführten Wärme ε= Er gibt an, wieviel Wärme QW vom warmen Reservoir aufgenommen werden muss, um die mechanische Arbeit W zu leisten. Wie erwartet ist der Wirkungsgrad einer Wärmemaschine, die die ganze Wärme QW in mechanische Arbeit W umwandelt, d.h. W=QW und QK=0, gleich 100%. ist, ist der Betrag der Nettoarbeit während des Kreisprozesses gleich der Fläche innerhalb der Kurvenzüge. Wir bemerken, dass die Arbeit mit einem negativen Vorzeichen definiert wurde (siehe Kap. 9.2), deshalb besitzt die Nettoarbeit einen Physik 433 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 434 Thermodynamik QK W In einer ähnlichen Weise ist die Leistungzahl einer Wärmepumpe definiert als Verhältnis der vom kalten Reservoir entnommenen (und an das warme Reservoir abgegebenen) Wärme und der mechanischen Arbeit, die dem Gas zugeführt werden muss. cL = QK Der Vorteil des Kreisprozesses von Carnot mit einem idealen Gas ist, und bestimmen können. dass wir die Wärme QH Während der isothermen Expansion (Schritt 1) ist die aufgenommene Wärme gleich der geleisteten Arbeit (siehe Kap. 9.4.2) QW = nRT1 ln(V2 / V1 ) 3 4 3 Q = nRT ln(V / V ) Während der isothermen Kompression (Schritt 4) ist die abgegebene Wärme gleich K (Bemerke, dass V3 > V4, so dass QK < 0) Das Verhältnis der Gleichungen gibt QW T1 ln(V2 / V1 ) = QK T3 ln(V4 / V3 ) Nun müssen wir das Verhältnis der Volumina während der adiabatischen Expansion und Kompression bestimmen. und p4V4γ = p1V1γ Wir bemerken, dass für den adiabatischen Prozess gilt p2V2γ = p3V3γ Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Entropie p3 = RT3 / V3 ; p4 = RT3 / V4 Schliesslich benutzen wir die Zustandsgleichung des idealen Gases pV=nRT p2 = RT1 / V2 ; γ −1 ⇒ TV = T3V3γ −1 1 2 γ −1 = T3V4γ −1 TV 1 1 RT1 γ RT3 γ V V = V3 3 V2 2 p1 = RT1 / V1; und erhalten und γ −1 V = 3 V4 γ −1 ⇒ V2 V3 = V1 V4 Wenn wir beide Gleichungen durcheinander dividieren, folgt V2 V1 Mit diesem Ergebnis ist das Verhältnis einfach gleich QW T1 ln(V2 / V1 ) T1 = = QK T3 ln(V4 / V3 ) T3 Q W T = 1− K = 1− 3 QW QW T1 Der Wirkungsgrad der Wärmemaschine von Carnot ist dann gleich εCarnot = 435 Der Wirkungsgrad der idealisierten Wärmemaschine von Carnot hängt nur von den Temperaturen der Wärmereservoirs ab! Da T3<T1 folgt, dass der Wirkungsgrad immer kleiner als 100% ist. Physik 436 Thermodynamik 9.6.2 Wärmemaschine mit maximalem Wirkungsgrad Carnot entwickelte das Konzept einer reversiblen Wärmemaschine. Er wollte die folgende Frage beantworten: wie gross ist der maximale Wirkungsgrad einer Wärmemaschine? Er stellte das folgende Theorem auf Der Wirkungsgrad aller zwischen zwei Temperaturen reversibel arbeitenden Wärmemaschinen ist gleich gross, und alle irreversiblen Wärmemaschinen haben einen kleineren Wirkungsgrad. nicht-reversibler Reversible und nicht reversible Prozesse. Ein Prozess ist ein Prozess, der nicht in umgekehrter Richtung ablaufen kann, wie z.B. 1. 2. 3. Das Schmelzen von Eis in Wasser. Ein Stück Eis wird in einer Tasse mit Wasser eingetauscht. Das Eis schmilzt. Die Temperatur des Wassers in der Tasse steigt. Der Prozess ist irreversibel. Es gibt nur eine Richtung für den Vorgang. Man beobachtet nie, dass das Wasser sich spontan abkühlt, um sich in Eis umzuwandeln. Der Prozess ist vom Energieerhaltungsstandpunkt in beide Richtungen erlaubt, wird aber nur in eine Richtung beobachtet. Wärmeleitung. Werden zwei gleiche Körper verschiedener Temperatur miteinander in Berührung gebracht, nehmen sie beide nach einer gewissen Zeit die gleiche Zwischentemperatur an. Der Prozess ist irreversibel. Man beobachtet nie, dass einer der Körper sich spontan abkühlt und der andere sich erwärmt, obwohl der Prozess vom Energieerhaltungsstandpunkt erlaubt ist. Freie Expansion eines Gases. Ein kleiner Behälter, der ein Gas (oder ein Parfum) enthält, wird geöffnet. Das Gas (das Parfum) expandiert im ganzen Zimmer. Der Prozess ist irreversibel. Man beobachtet nie, dass sich das Gas (das Parfum) nach einer gewissen Zeit spontan wieder im Behälter befindet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Entropie Im Allgemeinen sind Prozesse, bei denen mechanische Energie aufgrund von Reibung (oder anderen dissipativen Effekten wie z.B. viskose Kräfte, usw.) in Wärme umgewandelt wird, nicht reversibel. Reversible Prozesse müssen quasistatisch ablaufen, d.h., das System muss sich immer im Gleichgewichtszustand befinden. Prozesse wie Explosionen sind nicht reversibel. Wärmemaschine. Die idealisierte Maschine von Carnot läuft reversibel. Reale Maschinen laufen irreversibel. T3 T1 Aus dem Theorem von Carnot folgt, dass eine reale Wärmemaschine nie einen höheren Wirkungsgrad als die Maschine von Carnot erreichen kann: ε reell ( irreversibel ) < εCarnot = 1 − Wäre der Wirkungsgrad einer Maschine gleich 100%, würde Wärme vom warmen Reservoir komplett in Arbeit umgewandelt. Das Theorem von Carnot sagt, dass eine solche Maschine nicht existieren kann. T1 → ∞ ⇔ T3 → 0 Der Wirkungsgrad einer (idealen, reversiblen) Wärmemaschine von Carnot erreicht 100% nur wenn T3 nach Null oder T1 nach unendlich geht ε irreversibel < εCarnot → 1 437 und deshalb kann ein Wirkungsgrad von 100% nicht erreicht werden. Thomson und Planck haben das so formuliert: es ist unmöglich, eine periodisch arbeitende Maschine zu bauen, die nichts anderes bewirkt, als durch Abkühlung eines Wärmereservoirs Wärme in mechanische Arbeit umzuwandeln. Physik 438 Thermodynamik Ein zweites kälteres Wärmereservoir wird immer gebraucht und der Wirkungsgrad einer Wärmemaschine hängt von den Temperaturen beider Wärmereservoirs ab. 9.6.3 Die Definition der Entropie Wir haben gesehen, dass bestimmte thermodynamische Prozesse irreversibel sind, d.h. sie laufen nur in einer Richtung ab. Mathematisch wird eine neue Zustandsfunktion, die Entropie S, eingeführt. Wie die innere Energie U ist die Entropie S eine Zustandsfunktion, die vom Zustand des Körpers abhängt. Sie wird durch den Druck, das Volumen, die Temperatur, usw... des Körpers charakterisiert: S = S ( p,V , T ,...) Wir unterscheiden die Entropie des Systems S und die seiner Umgebung SU Die Entropie wobei T die Temperatur und dQ die ausgetauschte Wärme ist. Einheit: ¨Entropie [S] = J/K Um die Änderung der Entropie bei einer Zustandsänderung von einem Zustand A zum Zustand E zu bestimmen, muss man die infinitesimalen Änderungen integrieren. Wie schon erwähnt ist die Entropie S, wie die innere Energie U, eine Zustandsfunktion. Ihre Änderung hängt nur von Anfangs- und Endzustand ab ∆S = SE − SA Da die infinitesimale Änderung der Entropie dS von der Temperatur T abhängt, muss sich in jedem Punkt der Integration das System im Gleichgewichtszustand befinden, da sonst keine Temperatur des Körpers definiert werden kann. Zusätzlich hängt die ausgetauschte Wärme dQ vom Weg vom Zustand A zum Zustand E ab! Aus diesem Grunde müssen wir einen bestimmten Weg von A bis E wählen, um dS=dQ/T zu integrieren. 4 1 1 Q Q W − K = 0 ⇒ ∫ dQ + ∫ dQ = 0 T1 T3 T1 1 T3 3 2 S ≡ Entropie des Systems SU ≡ Entropie der Umgebung ⇒ Wir betrachten den Kreisprozess von Carnot. Wir haben gesehen, dass für eine solche Maschine gilt (siehe Kap. 9.6.1) QW T1 = QK T3 Beachte, QK wird so definiert, dass QK <0. Physik 439 Wie im Fall der inneren Energie U interessiert uns die Änderung der Entropie ∆S = Änderung der Entropie des Systems ∆SU = Änderung der Entropie der Umgebung dQ T Eine infinitesimale Änderung der Entropie wird definiert als dS = Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 440 Thermodynamik 2 Wir erhalten, 4 1 1 dQ + ∫ dQ = 0 ⇒ T1 ∫1 T3 3 2 1 ∫ 4 dQ dQ + =0 ⇒ T ∫3 T ∫ reversibel dQ =0 T Die gesamte Entropie (System und Umgebung) kann nie abnehmen Die Entropie 2. ∆( S + SU ) ≥ 0 dQ = CV dT + nRT dV V Bei reversiblen Prozessen bleibt die gesamte Entropie (d.h. System und Umgebung) konstant. Bei nicht-reversiblen Prozessen nimmt sie zu! dQ T E d.h. die Änderung der Entropie über einen geschlossenen reversiblen Weg ist gleich Null. E A =∫ E Wir betrachten z.B. die Entropie eines idealen Gases. Wir wissen, dass für ein ideales Gas gilt (Siehe Kap. 9.4.3) E ∫A2dS 1 3 über reversibeln Weg Es folgt V T dV dQ dT = ∫ CV + nR = CV ln E + nR ln E VA TA V T T A VE VA Bei (reversibler) isothermer Expansion ist die Entropieänderung des idealen Gases gleich (TE=TA) A ∆S = ∫ Aus diesem Grund wird die gesamte Änderung der Entropie durch Integration über einen reversiblen Weg gewonnen ∆S = SE − SA = Über nicht-reversible Wege kann sich die Entropie ändern, auch wenn keine Wärme ausgetaucht wird, d.h. dQ=0! Die Entropieänderung hängt aber nur vom Anfangs- und Endzustand ab. Um diese Änderung zu berechnen, müssen wir zuerst einen reversiblen Prozess finden, der denselben Anfangs- und Endzustand verbindet, dann über diesen Weg die ausgetauschte Wärme bestimmen, um die obige Gleichung zu verwenden. ∆S = nR ln Für eine isotherme Expansion sind die vom Gas geleistete Arbeit und die zugeführte Wärme Q einander gleich (Siehe Kap. 9.4.2) 9.6.4 Eigenschaften der Entropie Die Entropie S ist eine Zustandsfunktion, die vom Zustand des Körpers abhängt. V Q = −W = nRT ln E VA Die Entropie des Systems oder der Umgebung kann während eines thermodynamischen Prozesses zu- oder abnehmen. Physik 441 Die zugeführte Wärme kommt von einem Wärmereservoir (d.h. von der Umgebung des Gases) und wird benutzt, um die Temperatur des Gases während der Expansion konstant zu halten. Die fundamentalen Eigenschaften der Entropie sind die folgenden: 1. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 442 Thermodynamik ⇒ ∆S + ∆SU = 0 Weil vom Umgebungszustand die Wärme Q entzogen wird, erhalten wir ∆S = Q / T ∆SU = −Q / T Wie erwartet ist bei reversiblen Prozessen die gesamte Entropie des Gases und seiner Umgebung konstant. Entwertung der Energie. Wenn wir als System und seine Umgebund das ganze Universum betrachten, dann sagen die Eigenschaften der Entropie, dass bei irreversiblen Prozessen die Entropie des Universums zunimmt. In solchen Prozessen wird eine Wärmemenge dQ = ∆( S + SU )T “entwertet”, weil diese Wärme einer Form von Energie entspricht, die nie mehr in mechanische Arbeit umgewandelt werden kann. Man kann sagen, dass die Entropie eine Richtung für die Zeit definiert. Das Universum entwickelt sich in diese Richtung. Nicht-reversible Prozesse geschehen und sie ändern das Universum in einer Weise, die nicht “ungeschehen gemacht” werden kann. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 10 Drehbewegung 10.1 Der Drehimpuls Bei der Behandlung der Bewegung eines Teilchens haben wir den Impuls eines Teilchens definiert (Siehe Kap. 2.2). Diese Grösse war sehr hilfreich, wegen der Erhaltung des Gesamtimpulses (Siehe Kap. 2.3). Der Erhaltungssatz kann im Fall einer Drehbewegung (oder Rotation) umformuliert werden. Man spricht von der Erhaltung des gesamten Drehimpulses. 10.1.1 Definition des Drehimpulses r r r r r L ≡ r × p ≡ m( r × v ) 443 Der Drehimpuls bezüglich einem bestimmten Punkt O wird durch das Vektorprodukt des Ortsvektors r und des (linearen) Impulses p, d.h. Physik 444 Drehbewegung definiert, wobei m die Masse des Teilchens ist, und r r = Ortsvektor bezüglich O r r p = mv = Implusvektor Siehe Abb. 1. L O (Ursprung) r θ Ebene der Bewegung p Bahn Figur 1. Definition des Drehimpulses. Der Drehimpulsvektor ist senkrecht zur Ebene, die durch den Ortsvektor und den Impulsvektor definiert ist. Der Drehimpuls ist ein Vektor, dessen Richtung durch die RechteHand-Regel für ein Vektorprodukt eindeutig bestimmt ist. Siehe Abb. 2. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia p r p Die Rechte-Hand-Regel für das Vektorprodukt. r p Der Drehimpuls r Figur 2. p r Der Drehimpuls ist senkrecht zur Ebene, die durch den Ortsvektor und den Impuls definiert ist. Er ist senkrecht zur Bewegungsrichtung der Masse. Der Betrag des Drehimpulses ist gleich r r r L = r p sin θ wobei θ der von r und p eingeschlossene Winkel ist. Der Betrag kann auch in den folgenden Formen ausgedrückt werden L = ( r sin θ ) p = r⊥ p L = r( p sin θ ) = rp⊥ wobei rsinθ die Komponente von r senkrecht zur Wirkungslinie des Impulses p ist, und psinθ ist die Impulskomponente senkrecht zu r. 445 Wenn der vom Ortsvektor und dem Impuls eingeschlossene Winkel θ gleich 0° oder 180° ist, ergibt sich keine zu r senkrechte Impulskom- Physik 446 Drehbewegung Der Drehimpuls Physik kgm 2 s2 447 Das Drehmoment ist das Produkt aus der Kraft mg und dem Kraftarm b. Nach der Rechte-Hand-Regel geht das Drehmoment senkrecht in die Zeichenebene hinein. wobei b der Kraftarm ist (siehe Abb. 3). M = rF sin θ = ( r sin θ ) F = bmg = Konst. Der Betrag des Drehmomentes ist gleich Die Masse spürt ein Drehmoment M und besitzt einen Drehimpuls L um eine Drehachse durch O. Siehe Abb. 3. Wir betrachten eine Masse m, die wegen der Erdbeschleunigung g senkrecht nach unten fällt. Zur Zeit t=0 wird die Masse aus dem Ruhezustand (mit einer Anfangsgeschwindigkeit v=0) losgelassen. Beispiel 1: fallende Masse Aus der Definition folgt der Drehimpulssatz (für m=Konst.): die zeitliche Änderung des Drehimpulses eines Teilchens ist gleich dem angreifenden Drehmoment, d.h. r r dL r dp r r r =r× =r×F= M dt dt [ M ] = [r][F ] = Nm = Einheit: im MKSA-System kg.m kg.m 2 = s s ponente, und auch keine zur Wirkungslinie des Impulses senkrechte Komponente von r. Der Drehimpuls verschwindet in diesem Fall. Einheit: im MKS-System: [ L] = m. 10.1.2 Erhaltung des Drehimpulses =0 weil v // v Wir betrachten nun die zeitliche Ableitung des Drehimpulses r r r r r r dr r r dp r r r dp dL = ( r × p) = × p + r × = (v × mv ) + r × 424 3 dt dt dt 1 dt r r Es folgt, dass die zeitliche Änderung des Drehimpulses gleich dem Vektorprodukt des Ortsvektor und der zeitlichen Änderung des (linearen) Impulses p ist: r r dL r dp =r× dt dt Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz kennen wir die Beziehung zwischen der Kraft und dem (linearen) Impuls, nämlich r r r r r dv dp d ( mv ) = ={ m = ma = F dt dt dt m = Konst . wobei wir angenommen haben, dass die Masse des Teilchens konstant ist. Das Drehmoment der Kraft F bezüglich r wird so definiert r r r M≡r×F Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 448 Drehbewegung Der Betrag des Drehimpulses ist gleich L = rp sin θ = ( r sin θ ) mv ( t) = bmv ( t) = bmgt b Drehmoment r M=r×mg Drehachse θ Drehimpuls dL = M = r × mg dt F wobei v(t)=gt die Geschwindigkeit der Masse als Funktion der Zeit ist. Kraft F=mg linearer Impuls dp = F = mg dt Figur 3. Eine Masse m fällt senkrecht nach unten. Ein Drehmoment wirkt um eine Drehachse durch O. Der Drehmomentvektor geht senkrecht in die Zeichenebene hinein. Drehmoment und Drehimpuls sind hier parallele Vektoren. Die zeitliche Änderung des Drehimpulses wirkt somit nur auf den Betrag und nicht auf die Richtung. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Drehimpuls ⇔ d (bmgt) = bmg dt ok! Wir können die folgende Bezeihung in Skalarform überprüfen ? dL } = M dt d (mv ) = mg ⇒ dt dp =F dt Wir setzen in die Gleichung die Geschwindigkeit v für gt ein und erhalten d (bmv ) = bmg ⇒ dt Wie erwartet, stellt die Beziehung M=dL/dt der Drehbewegung keinen grundsätzlich neuen Satz der Physik dar, sondern ist nur eine Umformulierung der Newtonschen Gesetze für die Drehbewegung. Beispiel 2: zentrale Kraft Die Gravitationskraft ist z.B. eine zentrale Kraft, weil sie die folgende Form besitzt r r r r r F (r ) = f ( r ) r d.h., sie wirkt immer längs die Linie zwischen den zwei Körpern. r r r r r rr f ( rr ) r r M = r × F = r × f (r ) = (r × r ) = 0 r r 449 Wenn wir z.B. die Bewegung eines Planeten um die Sonne betrachten, ist das auf den Planet ausgeübte Drehmoment bezüglich der Sonne gleich (wir stellen die Sonne in den Ursprung des Koordinatensystems) Physik 450 Drehbewegung Bezüglich O übt die Gravitationskraft kein Drehmoment auf den Planet aus. Es folgt, dass der Drehimpuls des Planeten bezüglich der Sonne konstant ist r r r dL = M = 0 ⇒ L = Konst. dt 10.2 Die Bewegung starrer Körper Ein spezieller und wichtiger Fall ist die Bewegung starrer Körper. Ein starrer Körper wird definiert als ein Körper, bei dem die Änderung der Abstände zwischen allen seinen Atomen oder Molekülen bei Anwendung einer Kraft oder eines Drehmoments vernachlässigt wird. Ein starrer Körper behält seine Gestalt, wenn er sich bewegt. Wir unterscheiden zwischen zwei Arten von Bewegungen: 1. 2. Translationsbewegung: alle Teilchen (Atome oder Moleküle) des Körpers beschreiben parallele Bahnen; Drehbewegung: alle Teilchen beschreiben kreisförmige Bahnen um eine Gerade, die man als Drehachse (oder Rotationsachse) bezeichnet. Die Achse kann fixiert sein oder ihre Richtung während der Bewegung relativ zum Körper verändern. Die allgemeine Bewegung eines starren Körpers kann immer als Kombination einer Translations- und einer Rotationsbewegung betrachtet werden. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper 10.2.1 Die Winkelgeschwindigkeit Wir wollen nun einen starren Körper betrachten, der sich um die ∆Achse dreht (Siehe Abb. 4). dθ ( t ) dt Die Rotation des Körpers um die Drehachse kann mit Hilfe eines Drehwinkels θ beschrieben werden. Die Winkelgeschwindigkeit wird als die zeitliche Ableitung der Winkelfunktion θ(t) definiert ω ( t) ≡ θ(t) ∆ Siehe Kap. 6.3.1. Die Winkelgeschwindigkeit kann als Vektorgrösse definiert werden, deren Richtung parallel zur Drehachse und senkrecht zur Ebene der Rotation ist. Die Richtung des Vektors ist durch die Rechte-Hand-Regel gegeben. ω 451 Figur 4. Die Winkelgeschwindigkeit kann als Vektorgrösse definiert werden. Seine Richtung ist zur Drehachse parallel und durch die Rechte-HandRegel gegeben. Physik 452 Drehbewegung r r r ⇒ v i = ω ri sin γ r r r ⇒ v i = ω × ri 1424 3 Beziehung für die Vektorgrösse Wenn der starrer Körper sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω um die Drehachse dreht, ist die Geschwindigkeit jedes seiner Teilchen gleich v i = ωr∆,i 1 424 3 Beziehung für die Beträge ∆ vi wobei r∆,i der Abstand des Teilchens von der Drehache ist. Siehe Abb. 5. v i = ω × ri ω γ r i O (Ursprung) Figur 5. Beziehung zwischen dem Winkelgeschwindigkeitsvektor und der (linearen) Geschwindigkeit der Teilchen (Atome oder Moleküle) i des drehenden Körpers. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper 10.2.2 Gesamte Energie eines starren Körpers Nun werden wir uns mit der Translation und Rotation eines starren Körpers beschäftigen. r ri = mi Ortsvektor des Schwerpunkts r r{ SP + ri,SP SP Ortsvektor des Teilchens i bezüglich des Schwerpunkts r ri,SP { Der Ortsvektor des Teilchens i des starren Körpers wird geschrieben als Siehe Abb. 6. ri r SP Figur 6. Der Ortsvektor des Teilchens i wird bezüglich des Ortsvektors des Schwerpunkts geschrieben. 453 Wenn ein starrer Körper sich bewegt, kann seine Bewegung aufgeteilt werden in eine Translation des Schwerpunkts und eine Rotation um den Schwerpunkt. Siehe Abb. 7. Physik 454 Drehbewegung Bahnkurve des Schwerpunkts SP Rotation um den Schwerpunkt mi ri,SP SP SP Figur 7. Die Bewegung des starren Körpers wird in eine Translation des Schwerpunkts und eine Rotation um den Schwerpunkt aufgeteilt. In Kap. 7.1.7 haben wir gesehen, dass die gesamte kinetische Energie eines Teilchensystems die Summe von zwei Termen ist: die kinetische Energie des Schwerpunkts und die kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt. E kin kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt r r 2 1 r 1 = ∑ miv i2 = ∑ mi (v SP + v i,SP ) 2 i =1, N 2 i =1, N r 2 r 2 1 1 M (v SP ) + ∑ m (v ) 2 424 2 =1,N i i,SP 1 3 1i 4 42443 = kinetische Energie des Schwerpunkts bezüglich SP wobei die Geschwindigkeit eines Teilchens als die Summe der Schwerpunktsgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Teilchens relativ zum Schwerpunkt ausgedrückt wird r r r v i = v SP + v i,SP { Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper r r r ⇒ v i = ω ri sin γ = ωr∆,i Nun werden wir die Rotation um die Drehachse betrachten. Die Drehachse geht durch den Schwerpunkt des starren Körpers. Weil r r r v i = ω × ri 1 i r r i ∑ 2 m (ω × r ) 1 I ω2 2 ∆ i =1, N 2 = i ∆, i 1 ∑ 2 m (ωr ) i =1, N 2 1 = ∑ mi r∆,i 2 ω 2 2 i =1,N wobei r∆,i der Abstand des Teilchens von der Drehache ist, folgt, dass die kinetische Energie bezüglich des Schwerpunkts (d.h. die Rotationsenergie) gleich Rot E kin = ≡ I∆ ≡ i ∆, i ∑mr i =1, N kg m2 2 Energie der Rotation um den Schwerpunkt 455 ist. Dabei haben wir das Trägheitsmoment des Körpers I relativ zur Rotationsachse ∆ definiert Einheit: im MKS-System E kin kinetische Energie des Schwerpunkts r 2 1 r 2 1 = M (v SP ) + ∑ mi (v i,SP ) 2 2 i =1, N r 2 1 1 I ,SPω 2 = M (v SP ) + 2 4243 24∆2 1 1 4 3 Für die gesamte kinetische Energie des starren Körpers gilt Physik 456 Drehbewegung + E pot ,externe 14 24 3 Potentielle Energie wie wenn die Gesamtmasse im SP konzentriert wäre + E pot, interne Die Gesamtenergie ist die Summe der kinetischen und potentiellen Energien (Siehe Kap. 7.1.8) E = E kin + E pot Energie der Rotation um den Schwerpunkt r 2 1 1 = M (v SP ) + I SPω 2 2 4243 24∆,2 1 1 4 3 kinetische Energie des Schwerpunkts Die externe potentielle Energie ist die gleiche, wie wenn die Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert wäre. Experiment:Verschiedene Gewichte auf Rotator Wir betrachten einen Rotator mit zwei gleichen Massen m. Wir können den Abstand r zwischen den Massen und der Drehachse ändern. Ein Ende einer masselossen Schnur wird um die Achse des Rotators aufgewickelt, und am anderen Ende der Schnur wird eine Masse M angehängt. 1 I ∆ω 2 22 1 3 Rotationsenergie der Massen m Die gesamte Energie des Systems ist gleich Energie der Masse M 1 E = Mv 2 + Mgh + 2 4 1 4244 3 wobei ω die Winkelgeschwindigkeit des Rotators (d.h. die Winkelgeschwindigkeit der Massen m um die Rotatorachse) ist, und v und h sind die Geschwindigkeit und die Höhe der aufgehängten Masse. Wenn die Masse M losgelassen wird (Anfangsbedingung: v=0, d.h. ω=0), wird ihre potentielle Energie Mgh in kinetische Energie der Masse M und die Rotationsenergie des Rotators umgewandelt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper i =1, N i ∆, i ∑mr 2 = mr 2 + mr 2 = 2 mr 2 Das Trägheitsmoment des Rotators (d.h. der beiden Massen m) ist gleich I∆ ≡ Es nimmt mit dem Quadrat des Abstandes r zu. Wenn sich beide Masse mit einer bestimmten Winkelgeschwindigkeit ω um die Rotatorachse drehen, dann ist umso mehr Rotationsenergie im Rotator gespeichert, je grösser der Abstand r von der Achse ist. Es folgt, dass weniger Energie für die Translationsbewegung der Masse M vorhanden ist. Die Masse M wird desto langsamer fallen, je grösser der Abstand r zwischen beiden Massen und der Rotatorsachse ist. 10.2.3 Berechnung des Trägheitsmoments Ein starrer Körper besteht aus einer sehr grossen Zahl dicht gepackter Teilchen. Für eine solche kontinuierliche Massenverteilung wird das Trägheitsmoment mit einem Integral gewonnen I ∆ = ∫ r 2 dm wobei r der Abstand des Massenelements dm von der Drehachse ist. 457 Das Trägheitsmoment eines homogenen Ringes. Wir betrachten die Drehbeweung eines homogenen Ringes um eine Achse, die durch seinen Mittelpunkt geht und senkrecht zur Ringebene liegt. Physik 458 Drehbewegung Beim Ring mit Radius R befindet sich die gesamte Masse beim konstanten Abstand R. Das Integral ist dann I ∆ ( Ring) = ∫ r 2 dm = R 2 ∫ dm = MR 2 wobei M die gesamte Masse des Ringes ist. Das Trägheitsmoment eines homogenen Zylinders. Wir betrachten das Trägheitsmoment eines homogenen Zylinders mit Gesamtmasse M und Radius r bezüglich der Zylinderachse. dr Berechnung des Trägheitsmoments eines Zylinders. R r Wir unterteilen den Zylinder in eine Serie von konzentrischen Ringen mit Radius r und Dicke dr. Siehe Abb. 8. Figur 8. Das Trägheitsmoment dI des Ringes mit Radius r ist gleich 2πrdr 2 Mr 3 dr = dI = r 2 dm = r 2 M R2 πR 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper Das Trägheitsmoment des Zylinders ist die Summe der Trägheitsmomente der einzelnen Ringe mit Radius r: 3 r=R r = R r dr I ∆ ( Zylinder) = ∫ dI = 2 M ∫ = r=0 r=0 R2 2 M r=R 3 2 M R4 1 r dr = 2 = MR 2 R 4 2 R 2 ∫r = 0 = Das Trägheitsmoment des Zylinders mit einem Radius r ist kleiner als das eines Ringes mit demselben Radius, weil im Fall des Zylinders sich auch Teilchen bei Radien r<R befinden, und diese Teilchen tragen weniger zur Rotationsenergie bei, als wenn sie sich beim Radius r=R befinden würden. Experiment: Schiefe Ebene. h(t) x(t) SP H Verschiedene Zylinder der gleichen Masse M, aber mit verschiedenen radialen Massenverteilungen (d.h. verschiedenen Trägheitsmomenten) werden auf einer schiefen Ebene losgelassen. Siehe Abb. 9. vSP(t) α 459 Figur 9. Schiefe Ebene. Die vom Zylinder überstrichene Strecke wird als x(t) bezeichnet. Physik 460 Drehbewegung 1 1 2 Mv SP + I ∆,SPω 2 + Mgh 2 2 Die gesamte Energie eines Zylinders ist gleich E= wobei vSP die (lineare) Geschwindigkeit seines Schwerpunkts und ω seine Winkelgeschwindigkeit ist. Die verschiedenen Zylinder werden von einer Höhe H losgelassen. Wenn die Zylinder auf der schiefen Ebene rollen, beobachten wir, dass sie nicht zur selben Zeit den Boden erreichen, d.h. die Zylinder werden nicht gleich beschleunigt. Auf der schiefen Ebene wird die potentielle Energie der Zylinder in kinetische und Rotationsenergie umgewandelt. Die Beschleunigung hängt vom Trägheitsmoment des Zylinders ab. Je grösser das Trägheitsmoment des Zylinders ist, desto langsamer wird er beschleunigt. 10.2.4 Rollende Körper Wir betrachten die Bewegung eines Körpers, der wie im Fall der obigen schiefen Ebene auf einer Fläche rollt. In diesem Fall kann die Winkelgeschwindigkeit des Körpers in Beziehung mit der Geschwindigkeit seines Schwerpunkts gesetzt werden. = Rω v SP R für einen rollenden Körper (ohne zu gleiten) Rollbedingung: Wenn wir annehmen, dass der Körper sich ohne zu gleiten bewegt, gilt v SP ω= Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper Siehe Abb. 10. vSP ω R Rω Figur 10. Die Beziehung zwischen der linearen Geschwindigkeit des Schwerpunkts und der Winkelgeschwindigkeit um den Schwerpunkt, wenn der Körper sich ohne zu gleiten bewegt. I 2 1 1 1 2 Mv SP + I ∆,SPω 2 = M + ∆,SP v 2 2 2 R 2 SP 461 Die gesamte kinetische (lineare und Rotations-) Energie ist in diesem Fall gleich E kin = Beispiel: Schiefe Ebene I 2 1 E = E kin + Mgh = M + ∆,SP v + Mgh 2 R 2 SP Die gesamte Energie ist gleich Physik 462 Drehbewegung 10.2.5 Drehimpuls eines starren Körpers Die Bewegung starrer K rper r i ∑L i =1, N ω R Das Velorad wird als ein homogener Ring betrachtet. Siehe Abb. 11. Figur 11. Physik 463 Wir stellen uns vor, dass das Velorad aus einer Ansammlung von Teilchen der Masse m besteht, die mit masselossen Stäben verbunden sind. Das Velorad wird deshalb als ein homogener Ring betrachtet. Wir beginnen mit der Rechnung des gesamten Drehimpulses eines Velorads. r L= Der Drehimpuls eines starren Körpers ist gleich dem Gesamtdrehimpuls der Teilchen des Körpers Wenn wir diese Gleichung als Funktion der Zeit betrachten, erhalten wir für eine schiefe Ebene (Siehe Abb. 9) I 2 1 E = M + ∆,SP v ( t) + Mg( H − x ( t)sin α ) = Konst. 2 R 2 SP Wenn die gesamte Energie konstant ist, wird die zeitliche Ableitung der gesamten Energie verschwinden: I d 2 d dE 1 = M + ∆,SP (v ( t)) − Mg sin α x ( t) dt dt 2 R 2 dt SP I dv 1 = M + ∆,SP 2v ( t) SP − Mg sin αv SP ( t) = 0 dt R 2 SP 2 I ⇒ M + ∆,SP a − Mg sin α = 0 R 2 SP Es folgt, dass die Beschleunigung des Schwerpunkts des rollenden Körpers gleich Mg sin α < g sin α aSP = I ∆, SP M + 2 R ist. Wie erwartet nimmt die Beschleunigung des Körpers mit seinem Trägheitsmoment ab und sie ist kleiner als gsinα. Der Wert gsinα ist das Ergebnis, wenn wir die Rotationsenergie des Körpers vernachlässigen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 464 Drehbewegung Der Drehimpuls der einzelnen Teilchen der Masse m ist gleich r Li = mRv i = mR( Rω ) = ( mR 2 )ω weil jedes Teilchen dieselbe Geschwindigkeit Rω und denselben Radius R besitzt. L5 L7 ω L ∆ Die Richtung des Drehimpulsvektors wird mit Hilfe der RechteHand-Regel gefunden. Wir bemerken, dass die Drehimpulsvektoren der Teilchen parallel zueinander sind, weil r r r r r r Li = mri × v i = mri × (ω × ri ) Siehe Abb. 12. L1 L 2 L3 L4 L6 Figur 12. Der gesamte Drehimpuls des Velorads (des Ringes) ist zur Winkelgeschwindigkeit parallel, weil die Drehimpulse der einzelnen Teilchen parallel zueinander und zur Winkelgeschwindigkeit sind. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper i =1, N i =1, N Es folgt, dass der gesamte Drehimpuls einfach gefunden wird. Der Betrag des gesamten Drehimpulses ist gleich der Summe der Beträge der Drehimpulse der einzelnen Teilchen und die Richtung ist zur Winkelgeschwindigkeit parallel: r r r r r L = ∑ Li = ∑ ( mR 2 )ω = ( MR 2 )ω = I ∆ω Wir erkennen einen Teil, der dem Trägheitsmoment des Velorads (des Ringes) entspricht. Im Allgemeinen schreiben wir: r r r r L = I ∆ω nur wenn L / /ω wobei L der gesamte Drehimpuls des Körpers bezüglich des Schwerpunkts ist, und ω ist die Winkelgeschwindigkeit um die Drehachse, die durch den Schwerpunkt geht. Die Beziehung gilt nur, wenn die Vektoren L und ω parallel zueinander sind. 10.2.6 Hauptachsen eines Körpers Im Allgemeinen sind für einen Körper von beliebiger Form die Vektoren L und ω nicht parallel zueinander. 465 Man kann beweisen, dass es für jeden Körper mindestens drei zueinander senkrechte Richtugen gibt, für die der gesamte Drehimpuls parallel zur Winkelgeschwindigkeit ist. Diese Achsen heissen die Hauptträgheitsachsen. Für die Rotation um eine Hauptachse gilt r r L = I ∆ω nur für Rotation um Hauptachsen Physik 466 Drehbewegung wobei I∆ das Trägheitsmoment bezüglich der Hauptachse, L der gesamte Drehimpuls des Körpers und ω die Winkelgeschwindigkeit um die Achse ist. 10.2.7 Dynamik der starren Körper Die Bewegungsgleichung des Schwerpunkts eines Teilchensystems, die natürlich auch für einen starren Körper gilt, haben wir schon erwähnt (Siehe Kap. 7.1.4) r r r dv MaSP = M SP = Fext dt wobei Fext die resultierende äussere Kraft ist. Die Bewegung des Schwerpunkts entspricht der Translationsbewegung des starren Körpers. Für die Drehbewegung des Körpers gilt der sogenannte Drehimpulssatz. Wir betrachten den gesamten Drehimpuls. Wenn wir den starren Körper als Teilchensystem betrachten, gilt r r r r r dL dL = ∑ i = ∑ M = ∑ r × Fi dt i =1,N dt i =1,N i i =1,N i wobei Mi das auf das Teilchen i wirkende Drehmoment ist. ( ) Als wir im Kap. 7.1.4 von der Dynamik des Schwerpunkts eines Teilchensystems gesprochen haben, haben wir die resultierende Kraft, die auf ein Teilchen wirkt, in interne und externe Teile unterteilt: r r r Fi = Fi,int + Fi,ext Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper i i =1, N i i,int ) i =1, N i =1, N Es folgt, dass das resultierende Drehmoment, das auf das Teilchen i wirkt, so geschrieben werden kann r r r r r r r r r + Fi,ext = ∑ ri ×Fi,int + ∑ ri ×Fi,ext i ∑ r × F = ∑ r ×(F i =1, N r1 1 r F12 interne F21 interne 2 467 Wegen dem Aktion-Reaktion Gesetz (Siehe Kap. 7.1.4) nehmen wir an, dass die internen Kräfte zwischen Paaren von Teilchen wirken. Die Drehmomente solcher Paare kompensieren einander. Teilchen i Siehe Abb. 13. ri r2 Figur 13. Das resultierende Drehmoment. Die durch innere Kräfte ausgeübten Drehmomente von Paaren kompensieren einander. Es folgt der Drehimpulssatz r r r r dL = ∑ r ×F = M ext dt i =1,N i i,ext wobei Mext das resultierende Drehmoment ist. Physik 468 Drehbewegung Wenn die Drehung um eine Hauptachse stattfindet, kann der Drehimpulssatz so geschrieben werden r r r r dω dL d = (I ω ) = I∆ = M ext dt dt dt ∆ Experiment: Garnrolle Wir betrachten ein Garn, das um die Achse eines Yoyos aufgewickelt ist. Das Yoyo besteht aus zwei identischen Zylindern und einem koaxial dazwischen geklebten kleineren Zylinder. Dass die Drehbewegung mit dem Drehmoment verknüpft ist, kann man in der folgenden Weise demonstrieren: (Siehe Abb. 14). 1. 2. F Drehmoment verschwindet F Yoyo dreht nicht r Yoyo dreht nach links aus Blattebene heraus Drehmoment geht r F Wir ziehen das Garn so, dass das Drehmoment bezüglich der Drehachse in die Zeichenebene hinein geht. Das Yoyo dreht sich nach rechts und das Garn wird um das Yoyo aufgewickelt. Wir ziehen das Garn so, dass das Drehmoment bezüglich der Drehachse aus der Zeichenebene heraus geht. Das Yoyo dreht sich nach links und das Garn wird sich abrollen. r Drehmoment geht Drehachse in Blattebene hinein Das Drehmoment ist für die Drehbewegung verantwortlich. Yoyo dreht nach rechts Figur 14. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper 10.2.8 Erhaltung des gesamten Drehimpulses Wenn der Körper (oder ein System) isoliert ist, oder wenn das resultierende Drehmoment verschwindet, folgt aus dem Drehimpulssatz, dass der gesamte Drehimpuls des Körpers konstant bleibt. r r M ext = 0 ⇔ L = Konst. Experiment: Drehimpulssatz mit Velorad Wir betrachten die Anordnung der Abb. 15 (links). Eine Person hält ein Velorad. =0 Am Anfang dreht sich das Velorad um seine Achse “nach rechts” (Siehe Abb. 15), so dass sein Drehimpuls nach oben zeigt. Der gesamte Drehimpuls ist gleich r r r r Lvor = LPerson + LVelorad = LVelorad 123 469 Die Person wird jetzt die Achse der Rotation des Velorads so ändern, dass der Drehimpuls des Velorads nach unten zeigt, d.h. das Velorad dreht sich “nach links”. Der Drehimpuls des Velorads hat sich so verändert r r LVelorad → − LVelorad Der gesamte Drehimpuls ist gleich r r r Lnach = LPerson − LVelorad Weil der gesamte Drehimpuls erhalten werden muss, folgt r r r r r r r Lnach = LPerson − LVelorad = Lvor = LVelorad ⇒ LPerson = 2 LVelorad Physik 470 Drehbewegung L Erhaltung des Drehimpulses. L 2L Die Person wird sich mit dem Drehimpuls 2LVelorad “nach rechts” drehen. Figur 15. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 11 Elektromagnetismus 11.1 Elektrische und magnetische Felder 11.1.1 Das elektrische Feld In Kap. 7.2.3 haben wir die Coulombsche (elektrostatische) Kraft eingeführt. Wenn wir eine Punktladung Q und, in einem bestimmten Abstand von ihr, eine Punktladung q betrachten, so übt die Punktladung Q eine Kraft auf die Punktladung q aus. r F= r 1 qQ r 4πε 0 r 2 r 471 Die elektrische Kraft, die die Ladung Q auf eine Ladung q ausübt, ist gleich Physik 472 Elektromagnetismus q F wobei ε0 die elektrische Feldkonstante, und r der Ortsvektor der Ladung q ist. Der Ursprung des Koordinatensystems ist der Mittelpunkt der Ladung Q. Siehe Abb. 1. r qQ>0 Die Kraft, die die Ladung Q auf die Ladung q ausübt. Q Figur 1. Wir definieren das elektrische Feld der Punktladung Q als r r r r r 1 Qr F (r ) = E (r ) ≡ 4πε r 2 r q 0 Siehe die Definition des Gravitationsfeld im Kap. 6.11.1. Das Feld entspricht der Kraft, die eine Ladung q in diesem Feld erfährt, dividiert durch ihre Ladung. Das Feld erklärt die Kraftwirkung auf eine endliche Distanz. Wir sagen, dass die Punktladung Q ein elektrisches Feld im ganzen Weltraum erzeugt. Im Allgemeinen erzeugt eine Punktladung ein elektrisches Feld in jedem Punkt des Weltraums um sie. Dieses Feld übt eine elektrische Kraft auf eine zweite Ladung q an deren Ort aus. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Elektrische und magnetische Felder Die zweite Ladung q spürt den lokalen Wert des Feldes und spürt damit eine Kraft gleich r r r r F ( r ) = qE ( r ) E F = qE E Für eine positive Ladung q zeigt die Kraft in der Richtung des Feldes. Für eine negative Ladung zeigt sie in entgegengesetzter Richtung. Siehe Abb. 2. q>0 q<0 Die Beziehung zwischen der Kraft und dem elektrischen Feld. F = qE Figur 2. 473 Definitionsgemäss zeigt das elektrische Feld einer positiven Ladung weg von der Ladung und zu einer negativen hin. Siehe Abb. 3. Physik 474 Elektromagnetismus E E Positive Ladung +Q E E E Negative Ladung –Q Figur 3. Das elektrische Feld einer positiven und einer negativen Punktladung. 11.1.2 Das elektrische Feld und die Relativität E Wir nehmen nun an, dass sich zwei Ladungen Q und q relativ zu einem Beobachter O’ in Ruhe befinden. und r rq ′ = ( x ′, y ′, 0) Das Koordinatensystem wird so gewählt, dass die Ortsvektoren der Ladungen die folgenden sind: r rQ ′ = (0, 0, 0) Die elektrische Kraft, die auf q wirkt, hat die folgenden Kompenten: r 1 qQ r 1 qQ F′ = r′ = ( x ′, y ′, 0) 4πε 0 ( r′ ) 3 4πε 0 ( r′ ) 3 Wir betrachten nun einen zweiten Beobachter O, relativ zu welchem beide Ladungen und der Beobachter O’ sich mit einer Geschwindigkeit v=βc in der x-Richtung bewegen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Elektrische und magnetische Felder y vt z' O' x'2 q y' Q y'2 x,x' Beide Koordinatensysteme O und O’ fallen zur Zeit t=t’=0 zusammen. O Siehe Abb. 4. z Figur 4. Zwei Ladungen Q und q befinden sich in Ruhe relativ zum Koordinatensystem O’, das sich relativ zum Koordinatensystem O mit der Geschwindigkeit v in die x-Richtung bewegt. Wir bestimmen die Kraft, die der Beobachter O misst. Fx = dpx c∆px γ (c∆px′ + β∆E ′ ) ≈ = = dt c∆t γ (c∆t′ + β∆x ′ ) ∆E ′ c∆px′ β ∆E ′ + β Fx ′ + c∆t′ c∆t′ c ∆t′ = = β∆x ′ β 1 + 1 + ux′ c c∆t′ 475 Die Lorentz-Transformation (Siehe Kap. 6.7) für die x-Komponente der Kraft, die auf ein Teilchen wirkt, ist gleich: Physik 476 Elektromagnetismus Elektrische und magnetische Felder Fy ′ F′ ; Fz = z γ γ Aus den Transformations-Regeln für die Kraft folgt für den Fall, dass die Geschwindigkeit des Teilchens gleich null ist: Physik 1 qQ 1 1 qQ x ′; Fy = y ′; Fz = 0 4πε 0 ( r′ ) 3 γ 4πε 0 ( r′ ) 3 ( ( ) ) ( x γqQ 3/2 Fx = 4πε 2 2 2 0 x + y γ y y qQ γqQ = Fy = 4πε 0γ γ 2 x 2 + y 2 3 / 2 4πε 0 γ 2 x 2 + y 2 Fz = 0 ) 3/2 2 (1 − β ) 477 Die Kraft, die die Ladung Q zur Zeit t=t’=0 auf die Ladung q ausübt, ist gleich x ′ = γ ( x − βct) = γx; y ′ = y; z′ = z = 0 ⇒ r′ 2 = γ 2 x 2 + y 2 Zur Zeit t=t’=0 sind die Koordinaten der Ladung q gleich Fx = Die elektrische Kraft, die der Beobachter O beobachtet, ist dann gleich Wir haben in Kap. 7.2.2 schon erwähnt, dass die elektrische Ladung, wie die Ruhemasse, relativistisch invariant ist (Siehe Kap. 6.9), d.h., die elektrische Ladung eines Teilchens ist für alle Beobachter gleich. Fx = Fx ′ ; Fy = wobei u die Geschwindigkeit des Teilchens ist, und wir die folgenden Beziehungen für den relativistischen Energie-Impuls 4-Vektor benutzt haben (Siehe Kap. 6.9) E = γ ( E ′ + βcpx′ ) cp = γ (cpx′ + βE ′ ) x cpy = cpy ′ cpz = cpz′ ) ) dE d r 2 2 = p c + m02c 4 dt dt r r r −1/ 2 r dp c 2 p dp r r 1 r = ( p 2c 2 + m02c 4 ) (2c 2 p) = = u⋅F dt E dt 2 ( Die zeitliche Ableitung der Energie ist gleich Es folgt, ( β r r F ′ + u′ ⋅ F ′ x dp c Fx = x = β dt 1 + ux′ c Die Lorentz-Transformation für die y-Komponente der Kraft ist gleich: c∆py′ dpy c∆py c∆py′ Fy ′ 1 1 c∆t′ Fy = ≈ = = = ∆ β β x ′ ∆ ∆ ∆ γ β γ γ dt c t c t + x ′ ′ ( ) 1 + ux ′ 1 + c∆t′ c und eine ähnliche Gleichung gilt für die z-Komponente. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 478 Elektromagnetismus ) 3/2 2 x z [rr + β y(er × er )] ( 2 , , ) 0 1 0 3 / 2 ( x, y, 0) − β y (1 2 3 r = ey Die Kraft kann in Vektorform geschrieben werden als ( ) γqQ 1 4πε 0 γ 2 x 2 + y 2 ( r γqQ 1 F= 4πε 0 γ 2 x 2 + y 2 = ( ( ) ) ) ) r γQ r r vy γQ r = q e 3/2 + v × 4πε 0c 2 γ 2 x 2 + y 2 3 / 2 z 4πε 0 γ 2 x 2 + y 2 3 144442 14442 r 444 r 44443 ≡ EQ ≡ BQ r r r = q EQ + v × BQ ( Der erste Term EQ ist ein Vektorfeld, das der elektrischen Wechselwirkung entspricht. Wenn v=0 (d.h. γ=1) gilt r r Q r EQ (v = 0) = 4πε 0 x 2 + y 2 3 / 2 und man erkennt das E-Feld, das wir in Kap. 11.1.1 definiert haben. Der zweite Term v×BQ entspricht einer zusätzlichen Wechselwirkung zwischen zwei bewegten Ladungen, der sogenannten magnetischen Wechselwirkung. Das B-Feld wird als magnetisches Feld bezeichnet. Die magnetische Wechselwirkung hängt von der Geschwindigkeit der Teilchen ab und verschwindet, wenn die Geschwindigkeit der Teilchen v=0 ist. Aus einer Folgerung des Coulombschen Gesetzes und der Lorentz-Transformation der Relativitätstheorie haben wir Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Elektrische und magnetische Felder die allgemeine Form der elektromagnetischen Kraft zwischen zwei Ladungen hergeleitet. ( ) r ez 3/2 3/2 ( r r r γQ EQ = 4πε 0 γ 2 x 2 + y 2 ) 3/2 ( ) vy γQ 4πε 0c 2 γ 2 x 2 + y 2 ( vy µ 0 γQ 4π γ 2x2 + y2 r ez r r r r F = q EQ + v × BQ ( Punktladung) ( Punktladung) ) Die elektromagnetische Kraft zwischen den Punktladungen ist deshalb gleich wobei und r BQ = = Das Produkt ε0c2, das wir schon in Kap. 7.2.3 angetroffen haben, wird in der folgenden Weise definiert: 1 ≡ µ0 ε 0c 2 479 Das elektrische Feld und die elektrische Kraft sind radial. Die magnetische Kraft wirkt senkrecht zur Bewegungsrichtung der Ladungen. Siehe Abb. 5. Physik 480 Elektromagnetismus Zusammenfassend kann man sagen, dass elektrische und magnetische Wechselwirkungen zwei verschiedene Aspekte einer Eigenschaft der Materie, d.h. ihrer Ladung, sind. v q qEQ qv×BQ v Der magnetische Term entspricht einer elektrischen Wechselwirkung zwischen zwei Ladungen, wenn sie sich bewegen. Q Figur 5. Die elektrische und magnetische Kraft zwischen zwei Ladungen, die sich mit derselben Geschwindigkeit v bewegen. 11.1.3 Die Lorentz-Kraft Wir haben bewiesen, dass die allgemeine Form der elektromagnetischen Kraft zwei unterschiedliche Terme enthält. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Elektrische und magnetische Felder ( ) Die allgemeine elektromagnetische Kraft wird deshalb als Funktion zweier Vektorfelder, des elektrischen und des magnetischen Feldes, ausgedrückt r r r r r r F ≡ FE + FB = q E + v × B Lorentz − Kraft wobei E das elektrische Feld und B das magnetische Feld (oder magnetische Flussdichte oder magnetische Induktion) ist. Diese Form der elektromagnetischen Kraft heisst die Lorentz-Kraft1. Im Allgemeinen können die Felder E und B Vektorfunktionen der Raumkoordinaten und der Zeit sein r r r r r r E ≡ E ( r , t) und B ≡ B( r , t) Sie definieren eine Vektorgrösse (d.h. eine Grösse mit einem Betrag und einer Richtung) in jedem Punkt des Raumes und der Zeit. Elektrostatik Magnetostatik In der Elektrostatik oder der Magnetostatik betrachtet man Felder, die sich mit der Zeit nicht ändern, d.h. r r r r r r E4 ≡2 E4 (3 r ) und B ≡2 B4 (3 r) 1 1 4 Wir erinnern uns daran, dass die elektromagnetische Lorentz-Kraft als Folge der relativistischen Lorentz-Transformation der elektrischen Kraft erschienen ist. Wir bemerken, dass 1. 481 eine Punktladung ein elektrisches Feld E in jedem Punkt des Weltraums um sie erzeugt. Das elektrische Feld übt die elektrische Kraft qE auf eine zweite Ladung q an deren Ort aus. 1. H. Lorentz (1853-1928). Physik 482 Elektromagnetismus 2. eine bewegte Punktladung ein magnetisches Feld B in jedem Punkt des Weltraums erzeugt. Das magnetische Feld übt die magnetische Kraft qv×B auf eine zweite bewegte Ladung q aus. Siehe z.B. den zweiten Term der Kraft in Kap. 11.1.2: für v=0 verschwindet er. Einheit: im MKSA-System ist die Einheit des elektrischen Feld gleich r Kraft N [ E ] = Ladung = C (Newton dividiert durch Coulomb). r Die Einheit des magnetischen Feld ist das Telsa (T) Kraft N ≡T [B] = Ladung.Geschwindigkeit = C ( m / s) Die Feldstärke des Erdmagnetfeldes ist ungefähr 10–4 T. Die Feldstärke eines Elektromagnets ist ungefähr 1-2 T. Supraleitende Elektromagneten können Feldstärken von ungefähr 10 T erreichen. 1 T = 10 4 G Da das Erdmagnetfeld eine Grössenordnung ≈10–4 T hat, benutzt man auch das Gauss (G): Magnetische Kraft. Wir betrachten nun den magnetischen Term der Lorentz Kraft. die Kraft proportional zur Geschwindigkeit ist. Auf ein ruhendes Teilchen wirkt keine magnetische Kraft. Wir bemerken, dass 1. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Feldlininen 2. 3. Die Kraft senkrecht zur Bewegungsrichtung und zur Richtung des Feldes wirkt. Der Betrag der magnetischen Kraft ist gleich r r r FB = q v B sin α B v +q wobei α der Winkel zwischen v und B ist. Siehe Abb. 6. Fmag Figur 6. Die magnetische Kraft wirkt senkrecht zur Ebene, die durch die Geschwindigkeit und das Feld definiert ist. 11.2 Feldlininen 11.2.1 Elektrische Feldlinien 483 Feldlinien liefern eine graphische Darstellung von elektrischen und magnetischen Feldern. Sie werden so definiert: Physik 484 Elektromagnetismus Die Feldlinien folgen in allen Punkten des Raumes der Richtung des Feldes. Die elektrischen Feldlininen beginnen bei positiven Ladungen und enden bei negativen Ladungen oder im Unendlichen. An einem bestimmten Punkt im Raum ist die “Liniendichte” zur Stärke des Feldes an diesem Punkt proportional. Um eine einzelne Punktladung sind die Feldlinien kugelsymmetrisch verteilt. Die Anzahl der Feldlinien um eine Punktladung ist zur Grösse der Ladung proportional. Wir beginnen mit den elektrischen Feldlinien und erwähnen die folgenden Regeln: 1. 2. 3. 4. Die elektrischen Feldlinien werden auch Kraftlinien genannt, weil sie die Richtung der Kraft anzeigen, die das Feld auf eine positive Ladung ausübt. E E Feldlinien +Q E Die elektrischen Feldlininen einer Punktladung sind z.B. in der Abb. 7 gezeigt. E Elektrisches Feld +Q Figur 7. Die Beziehung zwischen dem elektrischen Feld und den Feldlinien. Die Feldlinien folgen in jedem Punkt des Raumes der Richtung des Feldes. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Feldlininen Die Dichte der Linien nimmt mit dem Abstand r von der Punktladung ab. Wie erwartet, ist die Feldstärke zu 1/r2 proportional. Beispiel: Der elektrische Dipol Ein System aus zwei gleich grossen Ladungen mit entgegengesetzten Vorzeichen und in relativ kleinem Abstand voneinander heisst elektrischer Dipol. In der Nähe der positiven Ladung zeigen die Feldlinien radial nach aussen und in der Nähe der negativen Ladung radial nach innen. Die beiden Ladungen sind gleich gross und deshalb ist die Anzahl der Linien, die von der positiven Ladung ausgehen, gleich der Anzahl der Linien, die bei der negativen Ladung enden. E –Q 485 Das elektrische Feld ist stärker zwischen den zwei Ladungen, und die “Dichte” der Linien ist deshalb dort höher. Siehe Abb. 8. +Q Figur 8. Feldlinien des elektrischen Dipols. Die Linien gehen von der positiven zur negativen Ladung. Physik 486 Elektromagnetismus 11.2.2 Magnetische Feldlinien Genau wie das elektrische Feld durch elektrische Feldlinien graphisch dargestellt werden kann, kann das magnetische Feld durch magnetische Feldlinien (oder Induktionslinien) illustriert werden. 1. 2. Wie bei einem elektrischen Feld gibt die Tangente in einem Punkt an eine Induktionslinie die Richtung von B in diesem Punkt an. Die Anzahl der Linien durch eine Fläche, die senkrecht zu den Induktionslinien verläuft, d.h. die Dichte der Linien, ist zum Betrag von B proportional. Es gibt zwei wesentliche Unterschiede zwischen elektrischen und magnetischen Feldlinien. Wir bemerken dazu, dass 1. 2. die elektrischen Feldlinien immer auf positiven Ladungen beginnen und auf negativen Ladungen enden. Die elektrische und magnetische Wechselwirkung sind zwei verschiene Aspekte einer Eigenschaft der Materie, d.h. ihrer Ladung. Man hat nie eine “magnetische Ladung” (sogenannte Monopole) in der Natur beobachtet. Es folgt, dass es keine Punkte im Raum gibt, an denen die magnetischen Feldlinien anfangen oder enden. Deshalb bilden die magnetischen Feldlinien geschlossene Schleifen. die Kraft, die ein elektrisches Feld auf eine Ladung ausübt, wirkt längs der Feldlinien. Im Gegensatz dazu wirkt die Kraft des magnetischen Feldes nur auf eine bewegte Ladung und zwar senkrecht zum B-Feld und zur Bewegungsrichtung. Beispiel: Das magnetische Feld der Erde Im Jahre 1600 beobachtete W. Gilbert, dass die Erde selbst ein magnetisches Feld erzeugt, dessen magnetische “Pole” in der Nähe der geographischen Pole liegen. Siehe Abb. 9. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Elektrischer Strom N Magnetische Feldlinien zeigen nach Norden Drehachse der Erde Die magnetischen Feldlinien zeigen vom magnetischen Nordpol zum magnetischen Südpol (Konvention). Da der “Nordpol einer Kompassnadel” nach Norden zeigt, befindet sich der magnetische Südpol der Erde im geographische Norden der Erde. Magnetischer Südpol S Figur 9. Die Feldlinien des magnetischen Feldes der Erde gehen vom geographischen Südpol zum Nordpol. 11.3 Elektrischer Strom 487 Wenn eine bestimmte Menge elektrischer Ladung in einem gegebenen Zeitintervall durch eine Querschnittsfläche tritt, fliesst ein elektrischer Strom durch die Fläche. Physik 488 Elektromagnetismus Die wirkliche Bewegung von Ladungen in einem leitenden Körper kann sehr kompliziert sein. Elektrischer Strom dQ dt Physik E freies Elektron 1 3 ≈ me v 2 ≈ kT 2 2 489 Unter dieser Annahme kann man die Geschwindigkeit der Elektronen mit Hilfe des Gleichverteilungssatzes (Siehe Kap. 8.7) bestimmen. Die mittlere kinetische Energie eines freien Elektrons ist gleich Figur 10. Einfaches Modell des elektrischen Stroms durch einen leitenden Kupferdraht. – – – – + + + + + + + + – – – – Kupferdraht bewegte Positive KupferIonen im Ruhezustand Elektronen Siehe Abb. 10. Wenn es kein äusseres elektrisches Feld gibt, verhalten sich die Elektronen wie die Moleküle eines Gases in einem Behälter. Die freien Elektronen sind mit den Gitterionen im thermodynamischen Gleichgewicht und tauschen durch Stösse Energie und Impuls mit ihnen aus. Die erste mikroskopische Beschreibung wurde im Jahre 1900 von Drude gefunden. Nach seinem klassischen Modell der elektrischen Leitung ist ein Leiter ein dreidimensionales Ionengitter, in dem sich Elektronen bewegen können. Wenn der Ladungsfluss zeitlich nicht konstant ist, so wird die elektrische Stromstärke mit der Zeit variieren, und man definiert die momentane elektrische Stromstärke als I ( t) ≡ wobei dQ die Ladungsmenge ist, die in der Zeit dt durch die Fläche A tritt. Man benutzt die historische Konvention, dass die positive Stromrichtung der Flussrichtung der positiven Ladungen folgt. 1 A =1 C /s Einheit: im MKSA-System wird die Stromstärke in Ampere2 (A) gemessen ∆Q qn ( Av D ∆t) = = qnAv D ∆t ∆t Wir nehmen nun an, dass jeder bewegte Ladungsträger eine Ladung q hat, und dass er sich mit einer sogenannten Driftgeschwindigkeit vD bewegt. Wenn die Dichte der beweglichen Ladungsträger gleich n ist, dann ist die Stromsträrke, die durch eine Fläche A fliesst, gleich I= weil in dem Zeitintervall ∆t alle Ladungen, die sich im Volumen AvD∆t befinden, durch die Fläche A fliessen. Leitender Körper. Ein Leiter ist ein Körper, durch welchen sich elektrische Ladungen bewegen können. Beispiele: Metalle, ionisierte Gase, Mensch, Erde, usw... 2. A. Ampère (1775-1836). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 490 Elektromagnetismus 3kT me wobei me die Elektronenmasse ist, und es folgt v≈ 3kT ≈ 10 5 m / s me Bei Zimmertemperatur erhält man v≈ Diese Geschwindigkeit können wir mit der Driftgeschwindigkeit der Elektronen für eine bestimmte Stromstärke vergleichen. Wir betrachten einen Kupferdraht mit einer Querschnittsfläche gleich 1mm2. Die Stromstärke ist 1 A. Wir nehmen an, dass es im Kupfer ein freies Elektron pro Atom gibt. Die Dichte und molare Masse von Kupfer sind 8,93 g/cm3 und 63,5 g/mol. Dichte der freien Elektronen (1 freies Elektron pro Atom) (8,93g / cm 3 )(6,02 × 1023 / mol) = 8,5 × 1022 Elektronen / cm 3 n= 63, 5 g / mol Die Driftgeschwindigkeit ist dann gleich I 1A v = = qnA (1, 602 × 10 −19 C )(8, 5 × 10 22 Elektronen / cm 3 )(1mm 2 ) D ≈ 7 × 10 −5 m / s = 0, 07 mm / s Diese Geschwindigkeit ist viel kleiner als die Elektronengeschwindigkeit, die wir mit Hilfe des Gleichverteilungssatzes berechnet haben. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Elektrischer Strom Wir haben sozusagen gefunden, dass die freien Elektronen sich nicht ganz frei bewegen! Sie stossen sehr oft mit den Ionen und dadurch wird die Richtung ihrer Bewegungen geändert. λ = vτ Die mittlere freie Weglänge λ wird definiert als die mittlere Wegstrecke, die ein Elektron zwischen zwei Stössen zurücklegt. Sie ist gleich dem Produkt der mittleren Geschwindigkeit des Elektrons und der Zeit zwischen zwei Stössen τ Wenn ein äusseres elektrisches Feld auf ein Elektron die Kraft eE ausübt, wird das Elektron beschleunigt und nach einer mittleren Zeit τ wird es mit einem Ion zusammenstossen. Weil die Driftgeschwindigkeit viel kleiner als die thermische Geschwindigkeit der Elektronen ist, wird die Driftgeschwindigkeit nach einem Stoss verschwinden. Die Beschleunigung des Elektrons zwischen zwei Stössen ist deshalb für die Driftbewegung verantwortlich r r r eτ r r r −eE F τ= τ = − E ≡ −µE v D ≈ aτ = me me me wobei µ die Beweglichkeit der Elektronen ist. Wir finden, dass die Driftgeschwindigkeit proportional zum elektrischen Feld ist. 491 Die Richtung der Elektronenbewegung ist zur Richtung des Feldes parallel, zeigt aber in entgegengesetzer Richtung. Siehe Abb. 11. Physik 492 Elektromagnetismus + – V D – + + – E + – + – + – + Figur 11. In einem Leiter wandern die Elektronen entgegen der Richtung des elektrischen Feldes. Wäre die Bewegung der Elektronen durch die Stösse nicht behindert, so würden die Elektronen permanent mit einer Beschleunigung –eE/ me beschleunigt. Dass die Driftgeschwindigkeit der Elektronen proportional zum Feld ist, kann man aus dem Ohmschen Gesetz herleiten. 11.4 Berechnung der elektrischen und magnetischen Felder In einer mikroskopischen Beschreibung tritt die gesamte elektrische Ladung immer als ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung (Siehe Kap. 7.2.2) auf. In der Praxis können wir manchmal die Ladung in einem bestimmten Raumgebiet als kontinuierlich verteilt betrachten. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Berechnung der elektrischen und magnetischen Felder Raumladungsdichte Wir werden deshalb oft die Raumladungsdichte ρ benutzen, die so definiert ist r dq ρ( r ) ≡ dV wobei dq die infinitesimale Ladung im Volumenelement dV ist. Die Raumladungsdichte ist eine Skalargrösse3, d.h. sie definiert eine Zahl (d.h. eine Grösse mit einem Betrag) in jedem Punkt des Raumes. V V Es folgt, dass die gesamte Ladung eines Körpers gleich r Q ≡ ∫ dq = ∫∫∫ ρ( r ) dV = ∫∫∫ ρ( x, y, z) dxdydz ( Integration über das gesamte Volumen V ) V V V = ∫∫∫ dV = ∫∫∫ dxdydz ist. Wir haben über das gesamte Volumen V integriert, und das gesamte Volumen ist natürlich gleich σ≡ dq dA Flächenladungsdichte ( Integration über die gesamte Fläche A) 493 Manchmal kann sich die Ladung in einer dünnen Schicht auf der Oberfläche eines Körpers befinden. In diesem Fall ist es praktisch, die Flächenladungsdichte σ zu definieren und A Q ≡ ∫∫ dq 3. Vergleiche mit einer Vektorgrösse, die einen Betrag und eine Richtung definiert. Physik 494 Elektromagnetismus Die gesamte Fläche A ist gleich A A = ∫∫ dA Dabei bedeutet das A unter dem Integral, dass wir über eine gesamte Fläche A, von beliebiger Form, integrieren. Jedes Teilstück dA entspricht aber einer infinitesimalen ebenen Fläche. dq dl Linienladungsdichte In einer ähnlichen Weise wird man die Linienladungsdichte λ definieren: λ≡ 11.4.1 Berechnung des E-Feldes Eine Punktladung dq erzeugt ein elektrisches Feld in einem bestimmten Punkt r gleich r r r 1 dq r 1 dq r r Coulomb dE ( r ) = = 4πε 0 r 2 r 4πε 0 r 3 wobei die Ladung sich im Ursprung des Koordinatensystems befindet. r r dq 1 r r (r − r ′) 4πε 0 r − r ′ 3 Wenn die Ladung sich in einem Punkt r’ befinden, dann ist das EFeld gleich r r dE ( r ) = Für eine gegebene kontinuierliche Ladungsverteilung wird das erzeugte elektrische Feld an einem bestimmten Ort im Raum gleich Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Berechnung der elektrischen und magnetischen Felder der Vektorsumme der E-Felder, die von den einzelnen Ladungen dq=ρdV erzeugt werden (Prinzip der Superposition): r r r r 1 ρ( r ′ ) r r E ( r ) = ∫∫∫ dE = ∫∫∫ r r ( r − r ′ ) dV 4πε 0 r − r ′ 3 V V Beispiel: Elektrisches Feld eines langen geladenen Stabes Wir berechnen das Feld, das in einem Punkt auf der Mittelsenkrechten erzeugt wird. Wir nehmen an, dass der Stab homogen geladen ist mit einer Linienladungsdichte λ. Die Geometrie für die Berechnung wird in Abb. 12 gezeigt. Die Koordinaten werden so gewählt, dass der Stab sich längs der xRichtung befindet.Wir sind am Feld in einem Punkt mit Abstand r vom Stab interessiert. λdx 1 dq 1 = 4πε 0 R 2 4πε 0 x 2 + r 2 Die Feldstärke, die durch ein Ladungselement dq=λdx erzeugt wird, ist gleich r dE = r r r r r dE = dE1 cosθ + dE 2 cosθ = 2 dE1 2 x + r2 495 Wir bemerken, dass die x-Komponenten des Feldes von den Ladungselementen in +x und –x einander kompensieren, so dass das resultierende Feld radial und gleich ist. Physik 496 Elektromagnetismus dq = λdx dx Figur 12. x dE1 θ λ dE dq Coulomb pro Meter R 2 x + dE2 = 2 r r r λdx 1 dE = 2 4πε 0 x 2 + r 2 x 2 + r 2 r Die Geometrie, um das Feld eines geladenen Stabes zu berechnen. Es folgt daraus, 2 dx + r2) 3/2 = x r2 x 2 + r2 A 0 = r2 A2 + r2 A Das gesamte E-Feld ist gleich dem Integral über dx. Das Ergebnis der Integration können wir in Tabellen finden. Es gilt A 0 ∫ (x und wir erhalten r dx A λr A λ =2 E =2 4πε 0 ∫0 ( x 2 + r 2 ) 3 / 2 4πε 0 r A 2 + r 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Berechnung der elektrischen und magnetischen Felder Wenn die Länge des Stabes viel grösser als der Abstand r ist, können wir den Stab als unendlich betrachten. In diesem Fall ist A>>r und wir finden r 2λ 1 ( unendlicher Stab) E ≈ 4πε 0 r Das wichtige Ergebnis der Berechnung ist, dass das elektrische Feld mit 1/r (und nicht 1/r2 wie im Fall einer Punktladung) vom Abstand abhängt. 11.4.2 Berechnung des B-Feldes r r r Biot − Savart Eine Punktladung dq, die sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, erzeugt ein magnetisches Feld in einem bestimmten Punkt, das durch das Biot-Savartsche Gesetz4 bestimmt ist. Das Feld in einem Punkt r ist gleich r r µ dq r dB( r ) = 0 2 v × 4π r wobei v der Geschwindigkeitsvektor des Teilchens ist. (Vergleiche mit dem Coulombschen Gesetz). Wir bemerken, dass 1. 497 der Betrag des Feldes der Ladunq dq und der Geschwindigkeit v proportional ist und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes r von der Ladung. 4. J.B. Biot (1774-1862) und F. Savart (1791-1841). Physik 498 Elektromagnetismus 2. 3. der Betrag zu sinγ proportional ist, wobei γ der Winkel zwischen der Geschwindigkeit und dem Ortsvektor ist. das Feld senkrecht zum Geschwindigkeitsvektor und Ortsvektor ist. Seine Richtung wird durch die Rechte-Hand-Regel definiert. Historisch wird das Produkt aus der Ladung und der Geschwindigkeit vdq durch das Stromelement Idl ersetzt r r dq r (dq)v = (vdt) = Idl dt Das erzeugte magnetische Feld ist in diesem Fall gleich r r r µ I r r Biot - Savart dB( r ) = 0 2 dl × r 4π r Ausser dem Betrag gibt das Gesetz natürlich noch die Richtung des Feldes an, die die Richtung des Vektorprodukts aus dl und r ist. Das resultierende magnetische Feld in einem Punkt wird durch das Vektorintegral über alle Stromelemente gefunden: r r r B( r ) = ∫ dB Beispiel: Magnetisches Feld eines langen geraden Leiters Wir betrachten einen langen geraden Leiter, durch den ein Strom I fliesst. Siehe Abb. 13. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Berechnung der elektrischen und magnetischen Felder = I r µ = 0 2 dx 4π ( x + r 2 ) x 2 + r2 r µ0I dx 4π ( x 2 + r 2 ) 3 / 2 dB = Der Betrag des Feldes, das von einem infinitesimalen Leiterelement dx erzeugt wird, ist gleich r µ0 I r R µ0 I dx sin α dx × = R 4π R 2 4π R 2 α dx R x dB geht aus der Blattebene heraus i r Ein langer gerader Leiter durch welchen ein Strom fliesst. 499 Die Richtung der magnetischen Feldelemente dB von allen möglichen Leiterelementen dx haben im betrachteten Punkt dieselbe Richtung, nämlich senkrecht zur Blattebene und aus der Blattebene heraus. Figur 13. Physik 500 Elektromagnetismus r rx µI ∞ µI 0 dx = 0 2 2 4π ∫−∞ ( x 2 + r 2 ) 3 / 2 4π r ( x + r 2 )1/ 2 ∞ −∞ = 2µ 0 I 4πr Das Integral reduziert sich damit auf ein Skalarintegral der Beträge. Für einen unendlich langen Leiter ist das Integral gleich B( r ) = Das wichtige Ergebnis der Berechnung ist, dass das magnetische Feld von 1/r abhängt und proportional zum Strom I ist. Die Feldlinien eines solchen Feldes sind in Abb. 14 gezeigt. i B Figur 14. Die magnetischen Feldlinien eines langen geraden Leiters, durch welchen ein elektrischer Strom i fliesst. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Bewegte Ladungen in elektrischen und magnetischen Feldern 11.5 Bewegte Ladungen in elektrischen und magnetischen Feldern 11.5.1 Elektrische potentielle Energie und elektrisches Potential Wir betrachten zwei Ladungen q und Q im Abstand r voneinander. Wenn die Ladungen ungleichnamig sind (d.h. sie ziehen einander an) und man will den Abstand zwischen den Ladungen vergrössern, muss man Arbeit an den Ladungen leisten. Wenn die Ladungen gleichnamig sind (d.h. sie stossen einander ab), erhält man Arbeit, wenn der Abstand sich vergrössert. In diesem Fall wird die von den Ladungen geleistete Arbeit einen negativen Wert besitzen. Diese Arbeit wird im System der Ladungen als elektrische potentielle Energie gespeichert (Siehe Kap. 3.8 für die Definition der potentiellen Energie). 1 qQ 4πε 0 r Wir haben von der elektrischen potentiellen Energie schon in Kap. 7.2.5 gesprochen (Siehe auch Kap. 3.8.4), als wir das klassische Atom-Modell betrachtet haben. Wir haben dort bewiesen, dass wenn sich die Ladungen q und Q im Abstand r voneinander befinden, die elektrische potentielle Energie der Ladung q gegeben ist durch r E e pot ( r ) = 501 Die potentielle Energie hängt nur vom Betrag des Abstandes zwischen den Ladungen ab. Physik 502 Bewegte Ladungen in elektrischen und magnetischen Feldern 1, 5 × 10 −10 = 1, 5 × 10 −10 J = eV = e ≈ 938 × 10 6 eV = 938 MeV = 0, 938 GeV 2 m p c 2 = (1, 67 × 10 −27 kg)( 3 × 10 8 m / s) = Beispiel: die gesamte Energie eines Protons, das sich in Ruhe befindet Das Elektronvolt ist deshalb gleich der gesamten Energiezunahme, wenn ein Teilchen mit der Elementarladung e durch einen Potentialunterschied von 1 Volt beschleunigt wird. E = m0c 2 + E kin + E pot r = γm0c 2 + qV ( r ) r 1 ≈ m0c 2 + m0v 2 + qV ( r ) wenn v << c 2 Wir bemerken, dass die gesamte Energie eines Elementarteilchens ausgedrückt werden kann als 1 eV ≡ (e) Joule = 1, 602 × 10 −19 J Wenn wir Elementarteilchen wie Elektronen oder Protonen betrachten, dann ist das Elektronvolt (eV) eine praktische Einheit für die Energie der Teilchen. Das Elektronvolt ist ein Mass der Energie. Die Umrechnung von Elektronenvolt in Joule ist die folgende: Elektromagnetismus ) 11.5.2 Das Elektronvolt ( Wir konnten die elektrische potentielle Energie definieren, weil die elektrische Kraft konservativ ist (Siehe Kap. 3.8.1). A Die Arbeit, die durch die elektrische Kraft F=qE geleistet wird, wenn eine Ladung q entlang des Weges S vom Punkt A zum Punkt B verschoben wird, ist unabhängig vom Weg S: B r r r r W AB = ∫ F .dr ≡ − E pot ( rB ) − E pot ( rA ) = − ∆E pot Es folgt, A B r r q ∫ E .dr = −∆E pot Das elektrische Potential (eine skalare Grösse) wird definiert als r E e (r ) r r r V ( r ) ≡ pot ⇔ E epot ( r ) ≡ qV ( r ) q es gilt deshalb r r e e B r r r r ( E r pot B ) − E pot ( rA ) = −(V ( rB ) − V ( rA )) E .dr = − q A ∫ Einheit: das Volt (V) Energie] J = =V [Ladung] C oder ungefähr 1 Milliarde Elektronenvolt. Dieser Wert ist gleich der kinetischen Energie eines Teilchens der Ladung e, wenn es durch einen Potentialunterschied von 1 Milliarde Volt beschleunigt wird. [V ] = [ Beispiel: Elektrisches Potential einer Punktladung r E (r ) r 1 Q pot V (r ) ≡ = (Punktladung) 4πε 0 r q Physik 503 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 504 Elektromagnetismus gie des Teilchens wird sich nicht ändern, sondern nur seine Bewegungsrichtung. Bewegte Ladungen in elektrischen und magnetischen Feldern Bahnkurve v F qvB = γm0v 2 r –q F = (–q) v X B ⇔ r= γm0v qB 505 Die Ablenkung eines Elektrons in einem homogenen magnetischen Elektronquelle Figur 15. Physik Die magnetische Kraft wirkt als eine Zentripetalkraft Feld. B zeigt aus der Blattebene heraus Homogenes magnetisches Feld Siehe Abb. 15. Wir betrachten ein homogenes magnetisches Feld. Wenn sich das Teilchen genau senkrecht zum Feld bewegt, so beschreibt das Teilchen eine Kreisbahn. 11.5.3 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld Unter der Wirkung der elektischen Kraft erfährt ein Teilchen der Ladung q und Masse m die Beschleunigung r r r r q r F = qE = ma ⇒ a = E m Wir bemerken, dass die Geschwindigkeit von geladenen Elementarteilchen wie Elektronen oder Protonen in elektrischen Feldern oft so hoch ist, dass wir die relativistische Masse benutzen müssen r q r E a= γm0 Experiment: Elektronenquelle (Elektronkanone) 11.5.4 Bewegung einer Punktladung in einem magnetischen Feld Die Wirkung des magnetischen Feld ist immer senkrecht zur Bewegungsrichtung. Es folgt, dass durch die Wirkung des magnetischen Feldes ein Teilchen nur die Richtung und nicht den Betrag seiner Geschwindigkeit ändert. Da die magnetische Kraft immer senkrecht zur Bewegungsrichtung einer Ladung wirkt, ist die an dem Teilchen verrichtete Arbeit null (Siehe Kap. 3.6): r r r r r r F⊥v ⇒ W = F ⋅ ∆r = F ⋅ v ∆t = 0 Das magnetische Feld leistet somit keine Arbeit an dem Teilchen und hat keinen Einfluss auf seine kinetische Energie. Die kinetische Ener- Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 506 Elektromagnetismus wobei r der Radius der Kreisbahn, m0 die Ruhemasse des Teilchens, und v die Geschwindigkeit des Teilchens ist. qB γm0 Da ω=v/r ist, ist die Winkelgeschwindigkeit ω gleich ω= 2π 2πγm0 = qB ω Die Zeit T, die für einen Umlauf des Teilchens benötigt wird, ist T= wenn v << c und die Frequenz des Umlaufes (die als Zyklotronfrequenz bezeichnet wird) ist gleich 1 qB qB ν= = ≈ T 2πγm0 2πm0 Diese Frequenz ist vom Radius der Kreisbahn unabhängig. Für nicht relativistische Teilchen ist die Umlauffrequenz eine Konstante, die unabhängig von der Geschwindigkeit des Teilchens ist. Blasenkammer. In einer Blasenkammer werden die Bahnen geladener Teilchen nachgewiesen. Siehe Abb. 16. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Strahl von geladenen Elementarteilchen von einem Beschleuniger Kamera Bewegte Ladungen in elektrischen und magnetischen Feldern Flüssiger Wasserstoff Licht Figur 16. Die 10-inch Blasenkammer am Lawrence Radiation Laboratory, University of California, Berkeley. Man kann eine Blasenkammer in ein magnetisches Feld stellen und von aussen Teilchen aus einem Beschleuniger in die Kammer schiessen. Siehe z.B. Abb. 17. Die Bahnkurve eines Elektrons und eines Protons sind sichtbar. Das magnetische Feld ist zur Blattebene senkrecht und besitzt einen Betrag von 1.17 Tesla. 507 Das Elektron verliert Energie wenn es sich durch die Kammer bewegt und seine Bahnkurve ist deshalb eine Spirale. Der Anfangsradius der Spirale ist 7.3cm. Physik 508 Elektromagnetismus B = 1.17 tesla R i = 7.3 cm p e- Figur 17. Eine Aufnahme von der Blasenkammer am Lawrence Radiation Laboratory, University of California, Berkeley. Die Bahnkurve eines Elektrons und eines Protons werden nachgewiesen. Das magnetische Feld besitzt einen Betrag von 1.17Tesla und der Anfangsradius der Spirale des Elektrons ist gleich 7.3cm. Das Elektron verliert Energie wenn es sich durch die Kammer bewegt und deshalb ist die Bahnkurve eine Spirale. Wenn ein Teilchen nicht genau senkrecht in ein magnetisches Feld eintritt, wird sein Geschwindigkeitsvektor in eine Komponente parallel und eine Komponente senkrecht zum Feld zerlegt. Der senkrechte Teil führt zu einer Kreisbewegung. Der parallele Teil wird durch das Feld nicht beeinflusst. Die Überlagerung ergibt eine Helix. Siehe Abb. 18. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Helix. θ v Der Fluss und die Divergenz Figur 18. v B v v 11.6 Der Fluss und die Divergenz 11.6.1 Die Definition des Flusses v Der Fluss ist eine charakteristiche Grösse, die man für alle Vektorfelder einführen kann. Der Fluss dφ eines Vektorfeldes F durch eine infinitesimale Fläche dA wird definiert als (der Fluss ist eine Skalargrösse) r r r r dφ ≡ F ⋅ dA = F dA cosθ wobei dA ein Vektor ist, der dem infinitesimalen Flächenelement dA entspricht. 509 Die infinitesimale Oberfläche kann als eben betrachtet werden. Der Betrag des Vektors dA ist gleich der Fläche der infinitesimalen Oberfläche und die Richtung ist senkrecht zur Ebene der Fläche. Physik 510 Elektromagnetismus Der Winkel θ ist der Winkel zwischen dem Vektor F und dem Vektor des Flächenelements dA. Siehe Abb. 19. dA θ φ<0 dA F φ=0 90° F Definition des Flusses durch eine infinitesimale Fläche dA. F dA Der Fluss ist gleich dem Produkt aus der Komponente des Vektors F, die senkrecht zur Oberfläche der Fläche dA steht, und dem Betrag der Fläche dA. φ>0 θ Figur 19. A Der Fluss und die Divergenz geschlossene A ∫∫ Das Integral über eine solche Oberfläche wird so bezeichnet r r ( geschlossene Oberfläche A) F ⋅ dA φ≡ 11.6.2 Der elektrische und magnetische Fluss A Der elektrische Fluss durch eine Fläche A wird definiert als der Fluss des elektrischen Feldes durch die Fläche r r φ E ≡ ∫∫ E ⋅ dA ( Elektrischer Fluss) A Der Fluss des magnetischen Feldes durch eine Fläche A wird in Analogie zum elektrischen Fluss definiert als r r φ B ≡ ∫∫ B ⋅ dA ( Magnetischer Fluss) Können wir die physikalische Bedeutung dieser Integrale finden? Wir betrachten den elektrischen Fluss. Die elektrischen Feldlinien (Siehe Kap. 11.2) können uns helfen, uns den elektrischen Fluss vorzustellen. 1. 2. An Punkten der Oberfläche, an denen die elektrischen Feldlinien die Oberfläche verlassen, zeigt das Feld E ebenfalls nach aussen. Der Fluss ist dann positiv. An Punkten der Oberfläche, an denen die elektrischen Feldlinien in die Oberfläche eindringen, zeigt das Feld E nach innen. Der Fluss ist dann negativ. Wir erinnern uns daran, dass die elektrischen Feldlininen bei positiven Ladungen beginnen und bei negativen Ladungen enden (Siehe Kap. 11.2). Für eine endliche Fläche von beliebiger Form wird der Fluss durch Integration der infinitesimalen ebenen Flächenelemente gewonnen. Der gesamte Fluss durch die Oberfläche A ist deshalb gleich r r φ ≡ ∫∫ F ⋅ dA ( Integration über die gesamte Fläche A) Häufig sind wir am Fluss durch eine geschlossene Oberfläche interressiert. Definitionsgemäss zeigen in diesem Fall die infinitesimalen Flächen dA an jedem Punkt der Oberfläche nach aussen. Physik 511 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 512 Elektromagnetismus Siehe Abb. 20. Q=+5 Feldlinien von pos. und neg. Punktladungen Q=–3 Figur 20. Die elektrischen Feldlinien beginnen bei positiven Ladungen und enden bei negativen Ladungen. Deshalb werden positive Ladungen als Quelle und negative Ladungen als Senke des elektrischen Flusses betrachtet. Positive Ladungen erzeugen elektrischen Fluss und negative Ladungen vernichten ihn. Es gibt eine anschauliche Beziehung zwischen dem Fluss und den Feldlinien. Wir bemerken, dass der gesamte Fluss proportional ist zur Zahl der Feldlinien, die die Oberfläche verlassen, minus der Zahl der Feldlinien, die in die Oberfläche eindringen. (Wir erinnern uns daran (Siehe Kap. 11.2), dass an einem bestimmen Punkt im Raum die “Liniendichte” zur Stärke des Feldes an diesem Punkt proportional ist. Es folgt daraus, dass der Fluss durch die Fläche von der Zahl der Feldlinien, die die Oberfläche kreuzen, abhängt.) Siehe Abb. 21. In der Abbildung beobachtet man, dass der Fluss durch die Fläche A proportional zu +5 ist, weil 5 Feldlinien sie verlassen. Der Fluss Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Fluss und die Divergenz +5 C A durch die Fläche B ist zu –3 proportional, weil 3 Feldlinien in sie eindringen. Der Fluss durch die Fläche C ist proportional zu 2, weil nur zwei Feldlinien sie verlassen. B –3 513 Figur 21. Der elektrische Fluss. Der Fluss ist zur Zahl der Linien, die die Oberfläche verlassen, minus der Zahl der Linien, die in die Oberfläche endringen, proportional. Physik 514 Elektromagnetismus Wir müssen die positive Ladung als eine Flussquelle von 5 Einheiten und die negative Ladung als Flusssenke, die 3 Einheiten vernichtet, betrachten. +5(Quelle) − 3( Senke) = 2 Wie erwartet, ist der Fluss durch C die Summe der Quelle minus der Senke und ist deshalb zu proportional. Beispiel: Elektrischer Fluss durch eine geschlossene Oberfläche, die eine Punktladung umfasst. Wir betrachten nun eine quantitative Bestimmung des Flusses durch zwei kugelförmige (geschlossene) Oberflächen, die als A1 und A2 bezeichnet werden, in deren Mittelpunkt eine Punktladung Q liegt. Siehe Abb. 22. A1 Der Fluss durch die Fläche A1 mit Radius R1 ist gleich r r φ A1 ≡ ∫∫ E ⋅ dA A1 Wir bemerken, dass das elektrische Feld überall auf der Oberfläche A1 denselben Betrag besitzt und dass es immer radial ist. A1 Es folgt, r r r r r r φ A1 ≡ ∫∫ E ⋅ dA = ∫∫ E1 dA cosθ = E1 ∫∫ dA = E1 ( 4πR12 ) A1 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Fluss und die Divergenz E2 E1 Q r1 A1 A2 r2 Figur 22. Fluss durch zwei kugelförmige Oberflächen, die eine Punktladung umfassen. A2 A2 A2 Für die Fläche A2 gilt es r r r r r r φ A 2 ≡ ∫∫ E ⋅ dA = ∫∫ E 2 dA cosθ = E 2 ∫∫ dA = E 2 ( 4πR22 ) r E1 = 1 Q 4πε 0 R12 und r E2 = 1 Q 4πε 0 R22 515 Im Fall der Punktladung kennen wir den Ausdruck für das Feld als Funktion des Abstandes. Es ist durch das Coulombsche Gesetz gegeben Physik 516 Elektromagnetismus 1 Q (4πR12 ) = εQ 4πε 0 R12 0 und der Fluss beim Radius R1 ist deshalb gleich r φ A1 = E1 ( 4πR12 ) = und in einer ähnlichen Weise gilt φA2 r 1 Q = E 2 ( 4πR22 ) = (4πR22 ) = εQ 4πε 0 R22 0 φ A1 = φ A 2 der Fluss durch die Fläche A1 gleich dem Fluss durch die Fläche A2 ist. Es war zu erwarten, weil die Zahl von Feldlinien, die die beiden Oberflächen kreuzen, dieselbe ist (die Feldlinien sind radial, und jede Linie, die A1 kreuzt, wird auch A2 kreuzen!) Wir beobachten, dass 1. 2. der Fluss zur Punktladung Q, die von der Fläche eingeschlossen wird, proportional ist. Die Proportionalitätskonstante ist die elektrische Feldkonstante Q = ε 0φ A1 = ε 0φ A 2 11.6.3 Die Divergenz des Feldes Wir betrachten nun den Fluss durch eine geschlossene Oberfläche, die ein Volumenenelement dV umschliesst.. dV = dxdydz Das Volumenelement ist gleich Siehe Abb. 23. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia z dy y dz dx Ein infinitesimales Volumenelement. x Der Fluss und die Divergenz dA2 Figur 23. ( ) Das Feld besitzt die folgenden drei Komponenten: r F = Fx , Fy , Fz dA1 Wenn das Volumenelement infinitesimal ist, können wir annehmen, dass das Feld über jede seiner Oberflächen konstant ist. Der Fluss durch die Fläche dA1 ist gleich dφ1 = Fy ( x, y + dy, z) dxdz 517 wobei wir das Feld über die Fläche dxdz konstant angenommen haben. Physik 518 Elektromagnetismus Der Fluss durch die Fläche dA2 ist gleich dφ 2 = − Fy ( x, y, z) dxdz wobei das negative Vorzeichen daher kommt, dass der Winkel zwischen dem Feld und der Fläche, die nach aussen zeigt, gleich 180° ist. Die Summe der Flüsse ist gleich ) dφ1 + dφ 2 = Fy ( x, y + dy, z) dxdz − Fy ( x, y, z) dxdz ( = Fy ( x, y + dy, z) − Fy ( x, y, z) dxdz ∂F ( x, y, z) dydxdz ∂y y Der Fluss und die Divergenz wobei wir den Nabla-Operator für die Divergenz des Feldes im Punkt (x,y,z) eingeführt haben (Siehe Kap. 3.8.3). Divergenz von F r r ∂F ( x, y, z) ∂Fy ( x, y, z) ∂F ( x, y, z) + + z ∇ ⋅ F ( x, y, z ) = x ∂x ∂y ∂z 1444444424444444 3 r Das Symbol ∇ hat die folgende Bedeutung: r ∂ ∂ ∂ ∇≡ , , ∂x ∂y ∂z r r ∂f r ∂f r ∂f r G = ∇f = ex + ey + ez ∂z ∂y ∂x r r F ∂ F ∂ F ∂ y d = ∇⋅ F = x + + z ∂x ∂y ∂z Es muss immer auf etwas operieren, wie z.B. Gradient (Vektorgrösse): = Eine ähnliche Herleitung gilt auch für die zwei anderen Komponenten. Der gesamte Fluss durch die Oberfläche ist dann gleich Divergenz (Skalargrösse): ) Physik 519 Wir betrachten die Oberfläche, die beide Volumenelemente verbindet. Der Fluss, der durch diese Oberfläche das Volumenelement dV1 verlässt, wird in das Volumenelement dV2 eindringen. In diesem Grenzpunkt werden die Flüsse, die dV1 verlassen und in dV2 eindringen, einander kompensieren. Nehmen wir einmal an, dass wir zwei Volumenelemente dV1 im Punkt (x1,y1,z1) und dV2 im Punkt (x2,y2,z2) so neben einander stellen, dass sie sich berühren. Wir berechnen den gesamten Fluss, der beide Volumenenelemente verlässt. ∂Fy ∂F ∂F dy dxdz + z dz dxdy dφ tot ( x, y, z) = x dx dydz + ∂x ∂z ∂y ∂F ( x, y, z) ∂F ( x, y, z) ∂F ( x, y, z) y + + z = x dxdydz ∂x ∂y ∂z 1444444424444 44443 r Divergenz von F wobei die Divergenz des Vektorfeldes F am Punkt (x,y,z) definiert wurde. ( Die Divergenz des Feldes in jedem Punkt (x,y,z) ist gleich dem Fluss, der das Volumenelement im Punkt (x,y,z) des Volumens dxdydz verlässt, pro Volumeneinheit. r r dφ tot ( x, y, z) = ∇ ⋅ F ( x, y, z) dxdydz Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 520 Elektromagnetismus Wir können deshalb den gesamten Fluss, der beide Volumenelemente verlässt, als die Summe der Flüsse, die die einzelnen Volumenelemente verlassen, betrachten: ( ) ( ) dφ tot = dφ ( x1, y1, z1 ) + dφ ( x 2 , y 2 , z2 ) r r r r = ∇ ⋅ F ( x1, y1, z1 ) dxdydz + ∇ ⋅ F ( x 2 , y 2 , z2 ) dxdydz V V ( ) ) V ( ) Um dieses Ergebnis auf ein endliches, nicht-infinitesimales Volumen zu erweitern, addieren wir die Flüsse, die in jedem Punkt des ganzen Volumens die inifinitesimalen Volumen dV verlassen: r r r r φ tot = ∫∫∫ dφ = ∫∫∫ ∇ ⋅ F ( x, y, z) dxdydz = ∫∫∫ ∇ ⋅ F dV ( Volumenintegral Zusammenfassend haben wir das Theorem der Divergenz (oder Theorem von Gauss) für den gesamten Fluss φtot, der ein Volumen V verlässt, hergeleitet: r r r r φ tot ≡ ∫∫ F ⋅ dA = ∫∫∫ ∇ ⋅ F dV A =∂ V 24 V4 1 4 3 1 4244 3 Flächenintegral wobei A die Oberfläche ist, die das Volumen V umschliesst. Dieses Theorem stellt ein Flächenintegral mit einem Volumenintegral in Beziehung. 11.7 Das Gauss’sche Gesetz Wir betrachten nun die elektrischen und magnetischen Felder. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Gauss sche Gesetz 11.7.1 Gesetz für das elektrische Feld Im Kap. 11.6.2 haben wir gesehen, dass positive Ladungen elektrischen Fluss erzeugen und dass negative Ladungen ihn vernichten. Wir betrachten das infinitesimale kugelförmige Volumenelement dV in einem Punkt (x,y,z), das eine Ladung dq enthält. Die Ladung verhält sich wie eine Flussquelle (dq>0) oder eine Flusssenke (dq<0). ε 0 dφ = dq Der Fluss, der das Volumenelement wegen der Anwesenheit der Ladung verlässt, ist gleich (Siehe Kap. 11.6.2) oder ( ) r r ε 0 ∇ ⋅ E ( x, y, z) dV = ρ( x, y, z) dV wobei wir den Fluss, der das Volumenelment verlässt, durch die Divergenz des Feldes im Punkt (x,y,z) ersetzt haben. ( Gesetz von Gauss für das elektrische Feld ) Es folgt, r r r r ε ∇ ⋅ E ( r ) = ρ( r ) 0 Man spricht von der differentiellen Form des Gauss’schen Gesetzes. Diese Beziehung gilt in jedem Punkt des Raumes. Es sagt nichts über das Feld aus, sondern nur etwas über dessen Divergenz (die Summe der partiellen Ableitungen des Feldes). 521 Diese Beziehung zwischen der Divergenz des elektrischen Feldes und der Ladungdichte im jedem Punkt des Raumes Physik 522 Elektromagnetismus entspricht einem fundamentalen Gesetz des Elektomagnetismus. ∫∫ A =∂V ( ) r r r r r Q 1 E ⋅ dA = ∫∫∫ ∇ ⋅ E dV = ∫∫∫ ρ( r ) dV = innerhalb ε0 V ε0 V Mit Hilfe des Theorems der Divergenz können wir eine fundamentale Beziehung für ein endliches Volumen V herleiten. Es gilt φ tot ≡ wobei A die Oberfläche ist, die das Volumen V umschliesst, und Qinnerhalb ist die gesamte Ladung, die von der Oberfläche A eingeschlossen wird, oder die sich im Volumen V befindet. Beispiel: Elektrisches Feld einer Punktladung Das elektrische Feld, das von einer Punktladung Q erzeugt wird, die sich im Ursprung des Koordinatensystems befindet, ist gleich r r r 1 Qr 1 Q = E (r ) = ( x, y, z ) 4πε 0 r 2 r 4πε 0 r 3 r Q ρ( r ) = 0 Die Ladung befindet sich im Ursprung des Koordinatensystems. Es folgt, dass die Ladungsverteilung sich so verhält5: r r wenn r = 0 d .h . r = 0 r r wenn r ≠ 0 d .h . r > 0 Punktladung: 5. Im Prinzip muss die Ladungsdichte eine Ladung pro Volumeneinheit sein. Deshalb ist die Ladungsdichte einer Punktladung Q als die Ladung Q mal eine Funktion δ(r), so dass ρ=Qδ(r). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Gauss sche Gesetz Wir wollen deshalb prüfen, ob die Divergenz dieses Feldes verschwindet, wenn der Abstand r verschieden von Null ist. Es gilt, r r ∂E ∂ x ∂ y ∂ z ∂E E ∂ 1 y Q + + + z= ∇⋅ E = x + ∂x ∂y ∂z 4πε 0 ∂x r 3 ∂y r 3 ∂z r 3 wobei r 3 − 3rx 2 r6 3 2 3 2 2 1/ 2 r − x (x + y + z ) 2x x ∂ x ∂ 2 = = ∂x r 3 ∂x ( x 2 + y 2 + z 2 ) 3 / 2 r6 = Die Divergenz des Feldes ist dann r 3 − 3rx 2 r 3 − 3ry 2 r 3 − 3rz 2 1 Q + + 4πε 0 r6 r6 r6 1 Q (3r 3 − 3rx 2 − 3ry 2 − 3rz 2 ) 4πε 0 r 6 =0 = r r ∇⋅ E = wie erwartet. ∫∫ A =∂V 523 11.7.2 Berechnung des elektrischen Feldes mit Hilfe des Gauss’schen Gesetzes ε0 Das Gauss’sche Gesetz für ein endliches Volumen lautet r r E ⋅ dA = Qinnerhalb Physik 524 Elektromagnetismus wobei A die Fläche ist, die das Volumen V umschliesst. Qinnerhalb ist die gesamte Ladung, die sich im Volumen V befindet. Für eine sehr symmetrische Ladungsverteilung können wir Oberflächen finden, bei denen der Betrag des elektrischen Feldes konstant ist und das Feld senkrecht zur Oberfläche steht. Der gesamte elektrische Fluss durch diese Oberfläche wird leicht berechnet. Beispiel: Elektrisches Feld einer geladenen Kugel mit Radius R und Ladung Q Wir haben in Kap. 2.6.4 hergeleitet, dass die Gravitationskraft der Erde dieselbe ist, wie wenn ihre ganze Masse im Zentrum der Erde konzentriert wäre. Wir können nun beweisen, dass das elektrische Feld (ausserhalb) einer homogen geladenen Kugel dasselbe ist, wie wenn die ganze Ladung im Zentrum der Kugel konzentriert wäre. Im Kap. 2.6.4 haben wir das Ergebnis durch eine lange Integration gefunden (Siehe Kap. 2.6.2 und 2.6.3). Hier werden wir das Gauss’sche Gesetz benutzen (das Gesetz gilt natürlich auch für die Gravitationskraft!). A Wir nehmen eine kugelförmige Oberfläche A mit Radius r>R. Es gilt, r r r ε 0 ∫∫ E ⋅ dA = ε 0 E ( 4πr 2 ) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Gauss sche Gesetz Die gesamte Ladung innerhalb der Oberfläche A ist die Gesamtladung Q: r r 1 Q gilt für r > R ε 0 E ( 4πr 2 ) = Q ⇒ E ( r) = 4πε 0 r 2 11.7.3 Gesetz für das magnetische Feld Im Kap. 11.2.2 haben wir schon erwähnt, dass man noch nie eine “magnetische” Ladung (sogenannte Monopole) in der Natur beobachtet hat. Es folgt, dass nie magnetischer Fluss erzeugt oder vernichtet wird. Es gibt keine Punkte im Raum, an denen die magnetischen Feldlinien anfangen oder enden. Die Divergenz des magnetischen Feldes muss deshalb in jedem Punkt des Raumes gleich null sein: r r r ∇ ⋅ B( r ) = 0 Gesetz von Gauss für das magnetische Feld Eine Folgerung daraus ist, dass der magnetische Fluss durch eine geschlossene Oberfläche immer gleich null ist. 525 Diese Bedingung für die Divergenz des magnetischen Feldes im jedem Punkt des Raumes entspricht einem zweiten fundamentalen Gesetz des Elektomagnetismus. Beispiel: Magnetisches Feld eines langen geraden Leiters Physik 526 Das Gauss sche Gesetz z y Elektromagnetismus i B und Das magnetische Feld eines langen geraden Leiters. x Siehe Abb. 24 (Betrachte z.B. B(x,0,0), B(0,y,0), usw...) 2µ 0 I 4πr Physik wie erwartet. Die Divergenz des magnetischen Feldes ist dann gleich r r 2µ I ∇ ⋅ B = 0 4 (2 yx − 2 xy ) = 0 4πr ∂ x ∂ x 0 − x2 y = = r4 ∂y r 2 ∂y x 2 + y 2 ∂ y ∂ y 0 − y2 x − = − 2 =− r4 ∂x x + y 2 ∂x r 2 Die partiellen Ableitungen sind Figur 24. Wir haben im Kap. 11.4.2 hergeleitet, dass das magnetische Feld eines langen geraden Leiters gleich B( r ) = r2 = x 2 + y 2 ist, wobei I der Strom ist, der durch den Leiter fliesst, und r ist der Abstand zwischen dem Leiter und dem betrachteten Punkt im Raum. Siehe Abb. 13. Wenn wir die Richtung des magnetischen Feldes einsetzen wollen, können wir den magnetischen Feldvektor ausdrücken als r 2 2 I y x µ µ I y x B( x, y, z) = 0 − , , 0 = 0 − 2 , 2 , 0 4π r r 4πr r r Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 527 528 Elektromagnetismus 11.8 Stromdichte und Ladungserhaltung Wir betrachten ein Volumen V, das eine gesamte Ladung Q enthält. V V r Q ≡ ∫∫∫ dq = ∫∫∫ ρ( r ) dV Die Ladungsverteilung wird durch die Ladungsdichte ρ(r) charakterisiert, so dass gilt Siehe Kap. 11.4. Wenn die gesamte Ladung, die im Volumen V enthalten ist, sich ändert, muss ein Strom durch die Oberfläche des Volumens fliessen. Dies ist so, weil die Ladung immer erhalten ist, und sie deshalb weder erzeugt noch vernichtet werden kann. Um die gesamte Ladung innerhalb des Volumens zu ändern, müssen wir Ladungen hinzufügen oder wegnehmen, und deshalb müssen wir die Ladungen bewegen. = Strom, der durch die Oberfläche des Volumens fliesst I ( t) { Die zeitliche Änderung der gesamten Ladung innerhalb des Volumens ist deshalb gleich dem Strom, der durch die Oberfläche des Volumens fliesst: dQ − dt { Zeitliche Ableitung der Ladung innerhalb des Volumens Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Stromdichte und Ladungserhaltung Strom durch die Oberfläche A {I A Wir definieren nun die Stromdichte j(r) als eine Vektorgrösse, so dass die Summe der Stromdichte über eine endliche Fläche A gleich der gesamten Stromstärke ist, die durch die Fläche A fliesst: r r r ≡ ∫∫ j ( r ) ⋅ dA Siehe Abb. 25. r 2 = A m2 529 Die Stromdichte wird definiert als die Stromstärke pro Flächeneinheit. Die Stromstärke durch eine ebene Fläche dA ist gleich r r iA = j ⋅ dA Einheit: [Ladung] = C [ j ] = [Zeit ][Fläche] s.m Aus der Definition folgt, dass r r r r r ∂ρ( r ) dQ d dV = − ∫∫ j ( r ) ⋅ dA = ρ( r ) dV = ∫∫∫ ∂t dt dt ∫∫∫ V V A =∂V wobei A die Oberfläche des Volumens V ist. Physik 530 Elektromagnetismus i j = j Querschnittsfläche d i d Die Stromdichte ist gleich der Stromstärke pro Flächeneinheit. θ j dA Stromstärke durch die Fläche dA iA = j ⋅ dA Figur 25. Stromdichte in einem Leiter. Die Stromstärke i fliesst durch den Leiter. Die Stromstärke durch die Fläche A wird als das Skalarprodukt der Stromdichte und des Flächenvektors definiert. V ∫∫∫ Kontinuitätsgleichung Mit Hilfe des Divergenz-Theorems, können wir diese Beziehung in der folgenden Weise schreiben r r r r r r r ∂ρ( r ) dV = − ∫∫ j ( r ) ⋅ dA = − ∫∫∫ ∇ ⋅ j ( r ) dV ∂t A =∂V V oder r ∂ρ( r ) r r r + ∇ ⋅ j (r ) = 0 ∂t Diese Gleichung gilt in jedem Punkt des Raumes. Sie sagt, dass wenn sich die Ladung in einem Punkt ändert, in diesem Punkt ein elektrischer Strom fliessen muss. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Stromdichte und Ladungserhaltung Beispiel: Drei Ströme, die in 3 verschiedenen Leitern durch eine Fläche A fliessen. Siehe Abb. 26. Wir nehmen an, dass die 3 Leiter die Querschnitte A1, A2 und A3 besitzen und dass die Stromstärken i1, i2, und i3 sind. Wir defininieren diese Stromstärke als positiven Grössen: i1 > 0, i2 > 0 und i3 > 0 Wir müssen zuerst eine Richtung der Fläche wählen! Wir nehmen an, dass die positive Richtung nach oben ist, wie es in der Abb. 26 gezeigt ist. Diese Richtung definiert auch die Richtung der Ströme. A i3 A2 i2 A1 i1 Der gesamte Strom, der durch die Fläche A fliesst, ist dann gleich r r r r r r r r r = ∫∫ j ( r ) ⋅ dA = j1 ⋅ dA1 + j2 ⋅ dA2 + j3 ⋅ dA3 = i1 + i2 − i3 I{ Strom durch die Oberfläche A A3 Fläche A 531 Figur 26. Drei Ströme, die in drei unterschiedlichen Leitern senkrecht durch eine Fläche A fliessen. Die Richtung der Ströme ist in Rot gezeigt. Physik 532 Das Linienintegral eines Feldes Wir haben z.B. eine solche Integration benutzt, als wir die von einer Kraft geleistete Arbeit eingeführt haben (Siehe Kap. 3.6.2). Elektromagnetismus 11.9 Das Linienintegral eines Feldes i dr B Kurve C Eine geschlossene Kurve C. Siehe Abb. 29. Physik i Fi 533 Wir beginnen mit der Bemerkung, dass eine beliebige Fläche immer von einer geschlossenen Kurve eingeschlossen werden kann. Wir definieren die Richtung der Fläche mit Hilfe der Rechte-Hand-Regel. 11.9.2 Theorem von Stokes Figur 28. wobei C eine geschlossene Kurve ist. Siehe Abb. 28. C ∫ F .dr 11.9.1 Linienintegral über eine Kurve i dr i Wenn wir einen geschlossenen Weg betrachten wie in Abb. 28 gezeigt, dann wird das Integral so bezeichnet r r r r F .dr Wir betrachten ein Vektorfeld F und wir sind am Integral des Feldes über eine bestimmte Kurve C von einem Punkt A zu einem Punkt B interessiert B A ∫ i i Das Ergebnis dieses Linienintegrals ist eine skalare Grösse, die die Summe der einzelnen Skalarprodukte F.dr entlang der Kurve darstellt. Fi Linienintegral über die Kurve C. Kurve C Siehe Abb. 27. A Figur 27. Das Linienintegral ist gleich der Summe r r i ∑ F ⋅ dr Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 534 Elektromagnetismus Hier haben wir den Nabla-Operator mit dem Vektorprodukt benutzt, um die Rotation des Feldes F zu definieren: Das Linienintegral eines Feldes ( ) ( ) r r ∂f r ∂f r ∂f r G = ∇f = ex + ey + ez ∂z ∂y ∂x r r F ∂ F ∂ F ∂ y d = ∇⋅ F = x + + z ∂x ∂y ∂z r r r Fy r ∂ F ∂ R = ∇× F ≡ z − e − ∂y ∂z x ∂Fz ∂Fx r ∂Fy ∂Fx r − − e + e ∂x ∂y z ∂z y ∂x Wir bestimmen die Rotation dieses elektrischen Feldes. Physik 535 Das elektrische Feld, das von einer Punktladung Q erzeugt wird, die sich im Ursprung des Koordinatensystems befindet, ist gleich r r r Q x y z 1 Qr E (r ) = E x , E y , E z = = , , 4πε 0 r 2 r 4πε 0 r 3 r 3 r 3 Beispiel: Rotation des elektrischen Feldes einer Punktladung Rotation (Vektorgrösse): Divergenz (Skalargrösse): Gradient (Vektorgrösse): Schliesslich haben wir drei Grössen mit Hilfe des Nabla-Operators eingeführt: (Beachte das negative Vorzeichen!). r r ∂F ∂Fy r ∂Fz ∂F r ∂Fy ∂F r − x ez ∇× F ≡ z − − x ey + e − ∂z ∂x ∂y ∂y ∂z x ∂x Das Theorem von Stokes setzt das Linienintegral über die geschlossene Kurve C mit dem Flächenintegral über die Fläche A in Beziehung. A Es sagt, dass das Linienintegral eines Feldes F über eine geschlossene Kurve C gleich dem Flächenintegral der Rotation des Feldes über die Fläche A ist, wobei A von C umgerandet wird, ist, d.h.: r r r r r F .dr = ∫∫ ∇ × F ⋅ dA Theorem von Stokes ∫ C =∂A F ist ein Vektorfeld und A eine beliebige Fläche; C ist die geschlossene Kurve, die die Fläche A einschliesst. Fläche A Positive Richtung Kurve C Figur 29. Eine Fläche A kann immer von einer geschlossenen Kurve C eingeschlossen werden. Die Richtung der Fläche ist durch die RechteHand-Regel gegeben. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 536 Elektromagnetismus Wir beginnen mit der x-Komponente der Rotation: 3 2 2 2 1/ 2 0 − z (x + y + z ) 2y 3 ∂ z ∂ z zy 2 =− 5 = = ∂y r 3 ∂y ( x 2 + y 2 + z 2 ) 3 / 2 r6 r 3 2 2 2 1/ 2 0 − y ( x + y + z ) 2z ∂ 3 yz ∂ y y 2 =− 5 = = ∂z r 3 ∂z ( x 2 + y 2 + z 2 ) 3 / 2 r6 r und deshalb ∂E z ∂E y r 3zy 3zy r − + 5 ex = 0 e = − r ∂y ∂z x r 5 Mit einer ähnlichen Herleitung für die anderen zwei Komponenten können wir beweisen, dass die Rotation des elektrischen Feldes einer Punktladung in jedem Punkt des Raumes verschwindet: r r E E ∂ ∂ E E ∂ ∂ r ∂ E ∂ E r y yr z − x ez = 0 ∇× E ≡ z − − x ey + e − ∂z ∂x ∂y ∂y ∂z x ∂x Man spricht von der “Wirbelfreiheit” des elektrischen Feldes. ( ) 11.9.3 Rotation des Feldes und konservative Felder A Wir konnten die elektrische potentielle Energie und das elektrische Potential definieren, weil die Arbeit, die benötigt wird, um eine Ladung q von einem Punkt A zum Punkt B entlang des Weges S zu bewegen, unabhängig vom Weg S ist (siehe Kap. 11.5.1): B r r r r W AB = q ∫ E .dr ≡ − E pot ( rB ) − E pot ( rA ) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Linienintegral eines Feldes d.h. dass die Arbeit nur vom Anfangs- und Endpunkt abhängt. Sie kann deshalb als Unterschied der potentiellen Energie zwischen Punkt A und B geschrieben werden. Wir haben gesehen, dass die Rotation des Feldes, das von einer Punktladung erzeugt wird, in jedem des Raumes gleich null ist: r r in jedem Punkt des Raumes (∇ × E )( x, y, z) = 0 ( ) Es folgt, dass das Flächenintegral der Rotation eines solchen Feldes über eine beliebige Fläche gleich null ist: r r r r r wenn ∇ × E ( x, y, z) ≡ 0 A ∫∫ (∇ × E ) ⋅ dA = 0 Mit Hilfe des Theorems von Stokes finden wir r r r r r E .dr = 0 A C =∂A ∫∫ (∇ × E ) ⋅ dA = ∫ ⇒ C Zusammenfassend haben wir bewiesen, dass wenn die Rotation des Feldes in jedem Punkt des Raumes verschwindet, das Linienintegral des Feldes über eine beliebige geschlossene Kurve gleich null ist: r r r r ∫ E .dr = 0 (∇ × E )( x, y, z) ≡ 0 r r B r r entlang Weges S A .dr ∫ E .dr = 12 ∫4E4 3 C + A B r r E .dr ∫12 4 4 3 entlang Weges S ′ =0 537 Die geschlossene Kurve C kann in zwei Teile S und S’ getrennt werden: Physik 538 Elektromagnetismus Es folgt, dass wenn die Rotation des Feldes in jedem Punkt des Raumes verschwindet, das Linienintegral des Feldes vom Punkt A zum Punkt B vom Weg unabhängig ist. r r r r ⇒ E ( r ) ≡ −∇V ( r ) In diesem Fall ist das Feld konservativ (oder ein Potentialfeld) und wir können die entsprechende potentielle Energie oder das Potential definieren: r (∇ × E ) ≡ 0 wobei V(r) das elektrische Potential ist. 11.10 Das Ampèresche Gesetz 2µ 0 I 4πr Wir betrachten das magnetische Feld eines langen geraden Leiters. Der Betrag des magnetischen Feldes ist (siehe Kap. 11.4.2) B( r ) = wobei I der Strom ist, der durch den Leiter fliesst, und r ist der Abstand zwischen dem Leiter und dem betrachteten Punkt im Raum. Siehe Abb. 14. Wir bestimmen das Linienintegral des magnetischen Feldes entlang einer Kreiskurve mit dem Radius R um den Leiter. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das Amp resche Gesetz Siehe Abb. 30. R i Bi dr i Figur 30. Gesetz von Ampère. Wir bestimmen das Linienintegral des Feldes über den geschlossenen Kreis mit Radius R. Wir bemerken, dass der Strom nach “oben” fliesst und deshalb das B-Feld gegen dem Uhrzeigersinn zeigt. 2µ I 0 C 2µ 0 I In allen Punkten auf dem Kreis ist die Strecke dr immer tangential zum Integrationsweg. Das Feld B und die Stecke dr sind immer parallel zueinander. Es gilt, r r C 0 ∫ B.dr = ∫ Bdr = 4πR ∫ dr = 4πR (2πR) = µ I C 539 d.h. das Linienintegral des Feldes ist zur Stromstärke proportional. Das ist das Ampèrsche6 Gesetz. Es gilt für jede mögliche Anordnung von (stationären) elektrischen Strömen und für jeden Integrationsweg. 6. A. Ampère (1775-1836). Physik 540 Elektromagnetismus A ( ) A Es folgt mit Hilfe des Theorems von Stokes, dass r r r r r r r B.dr = ∫∫ ∇ × B ⋅ dA = µ 0 I = ∫∫ µ 0 j ⋅ dA ∫ C =∂A Weil diese Beziehung für eine beliebige Fläche gilt, muss in jedem Punkt des Raumes gelten: r r r 0 (∇ × B)(rr) = µ j (rr) Gesetz von Ampère für das magnetische Feld wobei j(r) die Stromdichte und µ0 die magnetische Feldkonstante ist. Wie im Fall des Gesetzes von Gauss, kann das Gesetz von Ampère benutzt werden, um das magnetische Feld zu bestimmen, wenn die geometrische Anordnung der Störme zu einer Symmetrie des Feldes führt. Man sucht in diesem Fall eine Kurve, für die das Linienintegral sich einfach als das Produkt des Feldes und der Länge schreiben lässt. Wir erinnern uns daran, dass die Richtung der Fläche A durch die Rechte-Hand-Regel gegeben ist. Das Amp resche Gesetz i2 Kurve C Fläche A Illustration zum Gesetz von Ampère. zu bestimmen. Figur 31. B dr i1 Wir wickeln einen isolierten Draht in dicht nebeneinanderliegenden Windungen auf. Wir erhalten eine zylindrische Spule, die als Solenoid bezeichnet wird. Beispiel: Das Solenoid Wenn viele Ströme durch die Fläche fliessen, müssen sie mit dem richtigen Vorzeichen addiert werden. Die Länge der Spule soll relativ zu ihrem Durchmesser gross sein. Siehe Abb. 29. Siehe Abb. 31. (i1 > 0, i2 > 0) 541 In der Abb. ist die gesamte Stromstärke als I tot = i1 − i2 Physik In Punkten nahe einer einzelnen Windung ist das magnetische Feld fast gleich demjenigen eines geraden Leiters. Die Feldlinien bilden konzentrische Kreise um diese Windung. Die Felder aller Windungen der Spule addieren sich vektoriell zu einem Gesamtfeld. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 542 Elektromagnetismus i Siehe Abb. 32. d h L n = N/L ist gleich der Zahl der Windungen pro Längeneinheit Das magnetische Feld eines Solenoids. N Windungen Figur 32. i B Im Innenrn der Spule resultiert ein paralleles Feld, welches bei einer sehr eng gewickelten Spule tatsätchlich homogen ist. Wir betrachten die blaue Kurve für die Integration des Feldes. Es gilt r r r Nh ⇒ B ≈ µ 0 In 0 L ∫ B.dr ≈ Bh = µ I C wobei n=N/L die Zahl der Windungen pro Längeneinheit ist. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Maxwellsche Gleichungen 11.11 Maxwellsche Gleichungen Die Maxwellschen Gleichungen beschreiben die Dynamik elektrischer und magnetischer Felder. Sie haben für die Elektrodynamik eine ähnliche Bedeutung wie die Newtonschen Axiome für die klassische Mechanik. Die Gleichungen setzen die Felder mit ihren Quellen in Beziehung. Im Prinzip können alle elektromagnetischen Phänomene mit Hilfe dieser Gleichungen erklärt werden. In der Praxis ist die Lösung der Maxwellschen Gleichungen oft schwierig, und in diesen Fällen sucht man numerische Lösungen der Gleichungen. Die Maxwellschen Gleichungen fassen in einer kompakten mathematischen Formulierung die beiden Gesetze von Gauss für das elektrische und das magnetische Feld sowie das Gesetz von Ampère zusammen. ( ) r r ∇⋅ B = 0 r r r r E ∂ ∇ × B = µ 0 j + ε 0µ 0 ∂t Maxwellsche Gleichungen 543 Zusätzlich wurden auch das sogenante Gesetz von Faraday und eine Erweiterung des Gesetzes von Ampère, die mit der zeitlichen Änderung der Felder zu tun hat, von Maxwell hinzugefügt. ) Die Maxwellsche Gleichungen: ( r r ε0 ∇ ⋅ E = ρ r r r B ∂ ∇× E = − ∂t wobei ρ(r,t) die Ladungsdichte und j(r,t) die Stromdichte ist. Physik 544 Elektromagnetismus Diese Gleichungen gelten in jedem Punkt des Raumes. ( ) ( ) Zeitunabhängige Maxwellsche Gleichungen 0 Im Fall der Elektrostatik oder Magnetostatik sind die Felder von der Zeit unabhängig, und die Gleichungen vereinfachen sich zu: r r r r ε0 ∇ ⋅ E = ρ ∇ ⋅ B = 0 r r r r r ∇× E = 0 ∇× B = µ j ( ) ) Diese Gleichungen gelten für stationäre Ströme. ( Wir erkennen in diesen Gleichungen die Gesetze, die wir schon in den vorherigen Kapiteln studiert haben: r r ε 0 ∇ ⋅ E = ρ Gesetze von Gauss r r ∇ ⋅ B = 0 r r r ∇× E = 0 konservatives Feld ⇒ E = −∇V r r r ∇ × B = µ0 j Gesetz von Ampère Was wir nun studieren wollen, sind die zeitabhängigen Teile der Gleichungen, nämlich r r r ∂B ∇ × E = − ∂t r ∂E r r ∇ × B = ε 0µ 0 ∂t Aus diesen Gleichungen folgt eine sehr wichtige physikalische Regel: Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) Ein zeitveränderliches magnetisches (bez. elektrisches) Feld erzeugt ein elektrisches (bez. magnetisches) Feld. 11.12 Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) 11.12.1 Die induzierte Spannung Dass eine elektrische Spannung (die Induktionsspannung) durch die Änderung eines magnetischen Feldes durch eine Leiterschleife erzeugt wird, beobachteten zuerst im Jahr 1830 Faraday und Henry7. Man sagt, dass eine Spannung induziert wird. Experiment: Grundversuch der Induktion - Drahtschleife und Stabmagnet Experiment: Induktion im Erdfeld 545 Die elektrische Spannung ist gleich dem Potentialunterschied zwischen zwei Punkten: r r U AB ≡ V ( rA ) − V ( rB ) 7. M. Faraday (1791-1867), J. Henry (1797-1878). Physik 546 Elektromagnetismus U + – Siehe Abb. 33. Volt meter 2 1 r1 r2 Figur 33. Ein Voltmeter misst den Potentialunterschied zwischen zwei Punkten. Die gestrichelten Linien sind die Äquipotentiallinien, d.h. die Linien gleichen Potentials. Einheit: Die Einheit der Spannung ist das Volt (d.h. dieselbe wie die des Potentials). Die Spannung wird definiert als Arbeit pro Ladung r r r r U AB ≡ V ( rA ) − V ( rB ) = −(V ( rB ) − V ( rA )) r r E pot ( rB ) − E pot ( rA ) W AB = q q =− Wir betrachten eine Leiterschleife in einem magnetischen Feld. Wir nehmen an, dass sich das Feld mit der Zeit ändert. Eine Induktionsspannung wird erzeugt. Siehe Abb. 34. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) Wenn sich eine Ladung in der Schleife befindet, muss aufgrund der Induktionsspannung eine Kraft auf sie wirken. A ∫ q A B r r = ∫ E ⋅ dr Die Kraft wirkt aufgrund des elektrischen Feldes, das wegen der Änderung des magnetischen Feldes erzeugt wird: r r F = qE W AB = q Die von dem Feld geleistete Arbeit ist B r r F ⋅ dr U AB = Das Linienintegral des elektrischen Feldes über die geschlossene Schleife ist deshalb gleich der Induktionsspannung: r r U induziert = ∫ E ⋅ dr Bisher haben wir elektrische Felder betrachtet, die durch elektrische Ladungen erzeugt wurden. (∇ × E ) ≡ 0 ⇒ C 547 Das Linienintegral über eine geschlossene Kurve von solchen elektrostatischen Feldern verschwindet immer: r r r r ∫ E .dr = 0 Physik 548 Elektromagnetismus E q E dr + _ A B UAB Figur 34. Die in der Schleife induzierte Spannung ist gleich dem Linienintegral des elektrischen Feldes über die Schleife. Solche Felder haben wir als konservativ bezeichnet (Siehe Kap. 11.9.3). r r ( r ) C =∂A r r E .dr = U induziert Im Fall der Induktionsspannung ist das Linienintegral nicht gleich null, und es gilt r r r r r r r r r d ∂B r ∂B ⋅ dA = − ∫∫ B ⋅ dA ⇒ ∫∫ ∇ × E ⋅ dA = − ∫∫ ∇× E = − dt A ∂t ∂t A A Weil A ∫∫ (∇ × E ) ⋅ dA = ∫ Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia r r r r dφ d E .dr = − ∫∫ B ⋅ dA = − B dt dt A Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) ∫ C =∂A folgt das Induktiongesetz U induziert = wobei φB der magnetische Fluss durch die Fläche A ist, und C ist die Kurve, die die Fläche A einschliesst. Wenn wir das Faradaysche Gesetz auf eine Schleife mit N Windungen anwenden, so wird in jeder der Windungen eine Spannung induziert, weil der magnetische Fluss durch jede Windung gleich gross ist. dφ B dt Die induzierte Spannung ist in diesem Fall gleich U induziert = − N Nun müssen wir etwas über das Vorzeichen der induzierten Spannung sagen. Wir bemerken, dass die induzierte Spannung ein negatives Vorzeichen besitzt. Siehe Abb. 35. r r r B ∂ ∇× E = − ∂t 549 Das negative Vorzeichen kommt vom Vorzeichens in der Maxwellschen Gleichung: Physik 550 Elektromagnetismus Positive Richtung B nimmt nach oben,zu E ∂B ∇× E =− ∂t Rechte-Hand-Regel Figur 35. Die Richtung des induzierten Stromes (in Richtung vom E-Feld). Das magnetische Feld zeigt nach oben und nimmt mit der Zeit zu. Wir nehmen an, dass ein nach unten gerichtetes magnetisches Feld mit der Zeit abnimmt. Die zeitliche Ableitung des magnetischen Feldvektors zeigt nach oben. Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X E ∂B ∂t X X X X X X E induziertes elektrisches Feld ∇ × B = µ0 j i nach oben gerichteter Strom nach oben gerichtet B Magnetisches Feld um den Strom Im Gegensatz dazu erzeugt ein nach oben gerichteter Strom ein magnetisches Feld, das gegen den Uhrzeigersinn zeigt X X X X nach unten gerichtetes magnetisches Feld, das mit der Zeit abnimmt (Die zeitliche Änderung zeigt nach oben) E ∇× E =− nach oben gerichtet Figur 36. Richtung der induzierten Spannung. Ein nach unten gerichtetes magnetisches Feld nimmt mit der Zeit ab. Seine zeitliche Ableitung zeigt nach oben. Wegen dem negativen Vorzeichen zeigt das induzierte elektrische Feld im Uhrzeigersinn. Im Fall des Gesetzes von Ampère erzeugt ein nach oben gerichteter Strom ein magnetisches Feld, das gegen den Uhrzeigersinn zeigt. 11.12.2 Das Ohmsche Gesetz 551 Wir haben in Kap. 11.3 gesehen, dass die Driftgeschwindigkeit der beweglichen Elektronen in einem Leiter proportional zum elektrischen Feld ist: wobei µ die Beweglichkeit der Elektronen ist. r r v D = −µE Wegen dem negativen Vorzeichen zeigt das induzierte elektrische Feld im Uhrzeigersinn. Physik Siehe Abb. 36. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 552 Elektromagnetismus Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) Physik I = jA jA = σ A A LE ⇒ I = σ U L L 553 Wenn die Leiterschleife einen geschlossenen Stromkreis bildet, werden sich die beweglichen Elektronen in der Schleife bewegen. Man spricht von induziertem Strom. Wir betrachten eine Leiterschleife, in welcher eine elektrische Spannung induziert wird. Bisher haben wir diese Spannung mit Hilfe eines Voltmeters gemessen. 11.12.3 Der induzierte Strom wobei R der Widerstand des Leiters ist. Das Gesetz gilt für alle Metalle. Wir bemerken, dass der Widerstand von der Temperatur des Leiters abhängt. Er nimmt mit der Temperatur zu. L U = RI = I σA Dieses Ergebnis entspricht dem Ohmschen Gesetz: j = σE ⇒ wobei L die Länge des Leiters ist. Es folgt, Es gilt Ein elektrisches Feld im Leiter wird erzeugt, wenn wir an die Enden des Leiters eine elektrische Spannung anlegen. Das elektrische Feld wird in allen Punkten des Leiters konstant sein, und deshalb ist auch die Stromdichte konstant. ⇒ −1 r r U = ∫ E ⋅ dr = ∫ Edr = EL Wir betrachten einen Leiter vom Querschnitt A, durch welchen ein konstanter Strom der Stromstärke I fliesst. Es gilt (Siehe Kap. 11.3) r r r r I j = = (enµ ) E = σE A r r r I = qnAv D = −(− e) nAµE wobei σ die Leitfähigkeit des Leiters ist. Die Stromdichte ist zum elektrischen Feld proportional. A Einheit: Weil das Linienintegral des elektrischen Feldes B r r U AB = ∫ E ⋅ dr die Einheit einer Spannung besitzt, kann die Einheit des elektrischen Feldes als V/m ausgedrückt werden: r [ E ] = NC = Vm [E] [] Die Einheit der Leitfähigkeit ist dann r j A / m2 A r = = V / m Vm [σ ] = V A Das Verhältnis V/A wird als Ohm bezeichnet: Ohm Ω = (Ωm) −1 = 6 × 10 7 (Ωm) Man spricht von der Leitfähigkeit von Materialien: z.B. σ Kupfer σ Quarz = 10 −16 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 554 Elektromagnetismus Im Fall der Metalle können wir das Ohmsche Gesetz benutzen: 1 dφ B I induziert = U induziert / R = − R dt für einen geschlossenen Stromkreis wobei R der Widerstand des Stromkreises ist. Lenzsche Regel: Lenz8 beobachtete, dass die induzierten Ströme so gerichtet sind, dass sie ihrer Ursache, d.h. der Änderung des magnetischen Flusses, entgegenwirken. (Diese Beobachtung folgt aus der Energieerhaltung.) Wir betrachten z.B. eine Leiterschleife, die sich im magnetischen Feld befindet. Siehe Abb. 37 Wir nehmen an, dass das magnetische Feld zunimmt. Der induzierte Strom ist gegen den Uhrzeigersinn gerichtet. Der induzierte Strom erzeugt selbst ein magnetisches Feld (die sogenannte Selbstinduktion)! Das “induzierte” magnetische Feld Bind schwächt den magnetischen Fluss durch die Schleife: r r ∂B sind entgegengesetzt Bind und ∂t 8. H.F. Lenz (1804-1865). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) induziertes magnetisches Feld Lenzsche Regel. induziertes magnetisches Feld Figur 37. Physik B B Das Feld nimmt zu! ∂B ∂t induzierter Strom Das Feld nimmt ab! ∂B ∂t induzierter Strom 555 556 Elektromagnetismus 11.12.4 Induktion durch Bewegung Wir betrachten einen Leiterstab, der sich in einem magnetischen Feld bewegt. Eine Spannung wird induziert. X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X h V Experiment: Induktion durch Verschiebung eines Drahtes im Magnetfeld. Siehe Abb. 38. v X x X nach unten gerichtetes magnetisches Feld Figur 38. Ein Stab bewegt sich in einem magnetischen Feld, das nach unten senkrecht zur Blattebene zeigt. A Der magnetische Fluss durch den geschlossenen Stromkreis ist gleich r r φ B = ∫∫ B ⋅ dA = Bhx Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gesetz von Faraday (Induktionsgesetz) Der Stab bewegt sich mit der Geschwindigkeit v. Die Fläche des Stromkreises nimmt mit der Zeit zu: dx dφ B d = Bhx = Bh = Bhv dt dt dt U induziert = − dφ B = − Bhv dt 557 Die Änderung des Flusses sowie der induzierte Strom hängen von der Geschwindigkeit ab: Physik 558 Elektromagnetismus Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 12 Elektromagnetische Wellen 12.1 Felder eines bewegten geladenen Drahtes ( unendlicher Stab) Wir haben in Kap. 11.4.1 das elektrische Feld berechnet, das von einem unendlich langen, geladenen Stab erzeugt wird. Das Feld ist radial und hängt umgekehrt proportional vom Abstand r des Stabes ab: r 2λ 1 E ≈ 4πε 0 r wobei λ die Linienladungsdichte ist. 559 Wir betrachten einen positiv geladenen Stab. Das erzeugte elektrische Feld ist in Abb. 1 gezeigt. Physik 560 Elektromagnetische Wellen + + + + + + + + + + Figur 1. Das radiale elektrische Feld, das von einem unendlich langen, geraden, positiv geladenen Draht erzeugt wird. Wir nehmen nun an, dass die positiven Ladungen zur Zeit t=0 anfangen, sich mit einer Geschwindigkeit VD zu bewegen. Zur Zeit t=t1 hält der Draht wieder an. D.h. der Draht bewegt sich während des Zeitintervalls zwischen t=0 und t=t1. Wie wird die räumliche Verteilung des elektrischen Feldes sein? Felder eines bewegten geladenen Drahtes Es folgt daraus, dass das Verhalten des elektrischen Feldes wie in Abb. 2 gezeigt ist. vt t > t1 + + + + + + + + + + v(t–t1) Für Abstände kleiner als v(t-t1) entsprechen die Feldlinien der neuen Position des Drahtes. In den Punkten mit Abständen grösser als vt entsprechen die elektrischen Feldlinien noch dem Draht, bevor es sich bewegte. Zwischen den Abständen vt und v(t-t1) ändern sich die Feldlinien. Die Ausbreitung der Änderung des Feldes verhält sich wie ein Puls, der sich mit einer Geschwindigkeit v bewegt: 1. 2. 3. + VD + + + + + t>0 + + + + Figur 2. Der positiv geladene Draht bewegt sich zwischen der Zeit t=0 und t=t1. Ein Puls, der sich mit einer Geschwindigkeit v ausbreitet, wird erzeugt. vt Die Relativitätstheorie sagt voraus, dass die Information, dass der Draht sich bewegt, sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Wir nehmen nun eine Anordnung an, in der zwei Drähte sich nebeneinander befinden. Einer ist positiv geladen und der andere ist mit derselben Ladung, aber negativ geladen. Die elektrostatischen Felder Die elektrischen Feldlinien müssen den Ladungen folgen. Sie müssen immer bei den positiven Ladungen beginnen. Aber das Feld kann sich nicht gleizeitig und spontan in allen Punkten des Raumes ändern! Wir nehmen deshalb an, dass die Änderung des Feldes sich mit einer Geschwindigkeit v durch den Raum ausbreitet, wobei die Geschwindigkeit v später bestimmt wird. Physik 561 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 562 Elektromagnetische Wellen E+ und E– der Drähte werden sich kompensieren und das resultierende elektrostatische Feld verschwindet in jedem Punkt des Raumes. Der positiv geladene Draht bewegt sich nun mit der Geschwindigkeit VD zwischen den Zeiten t=0 und t=t1. Der negativ geladene Draht ruht. + + + + + + + + + + Die elektrischen Felder der einzelnen Drähte sind in Abb. 3 gezeigt. Ein Puls, der von der Bewegung der positiven Ladungen erzeugt wird, wird sich ausbreiten. – – – – – – – – – – Figur 3. Die elektrischen Felder zweier geladener, paralleler Drähte. Der positiv geladene Draht bewegt sich während dem Zeitintervall t=0 und t=t1. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Felder eines bewegten geladenen Drahtes Das resultierende elektrische Feld ist die Vektorsumme der elektrischen Felder der positiv, respektive negativ geladenen Drähte: r r r E = E+ + E− E E– E+ E+ E– E v Es verschwindet in jedem Punkt des Raumes ausserhalb des Pulses. E– Siehe Abb. 4. – + E+ Figur 4. Das resultierende Feld. Die elektrischen Felder, die von den positiven und negativen Ladungen erzeugt werden, kompensieren einander in jedem Punkt des Raumes ausserhalb des Pulses, der sich mit der Geschwindigkeit v bewegt. Es folgt daraus, dass ein Strom, der während einem Zeitintervall nach oben gerichtet fliesst, ein nach unten gerichtetes elektrisches Feld erzeugt. Das elektrische Feld verhält sich wie ein “Puls”, der sich mit einer Geschwindigkeit v radial ausbreitet. 563 Natürlich wissen wir aus der Elektrodynamik, dass ein sich veränderndes elektrisches Feld ein magnetisches Feld erzeugt. Wie muss sich in diesem Fall das magnetische Feld verhalten? Physik 564 Elektromagnetische Wellen Nach den Maxwellschen Gleichungen gilt r r r E ∂ ∂ ∂ = ε 0µ 0 ( E x , E y , E z ) = ε 0µ 0 (0, 0, E z ) ∇ × B = ε 0µ 0 ∂t ∂t ∂t wobei wir die z-Koordinate entlang des Drahtes angenommen haben. Es folgt, ∂ (0, 0, E z ) ∂t r r B B ∂ ∂ B B ∂ ∂ r B B r ∂ ∂ y yr z − x ez ∇× B = z − − x ey + e − ∂z ∂x ∂y ∂y ∂z x ∂x = ε 0µ 0 unabhängig von x, y − Koordinaten ⇒ z − Komponente unabhängig von z − Koordinate ⇒ x und y − Komponente Wir bemerken, dass die x- und y-Komponenten der Rotation des Feldes verschwinden. Wir nehmen deshalb an, dass ∂Bx ∂By = =0 ∂z ∂z ∂Bz ∂Bz = =0 ∂x ∂y Dass die x- und y-Komponenten des Feldes unabhängig von der zKoordinate sind, wird erwartet, weil wir den Draht entlang der zKoordinate angenommen haben. Das Problem ist deshalb entlang der z-Koordinate symmetrisch. Die z-Komponente des Feldes ist unabhängig von x und y, d.h. vom Abstand r. Sie muss verschwinden: Bz = 0 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Felder eines bewegten geladenen Drahtes Eine Lösung, die diese Bedingungen erfüllt, hat die Feldlinien des magnetischen Feldes in konzentrischen Kreisen um den Draht: r y x B( x, y, z, t) = B0 ( x, y, t) − , , 0 r r B E v v wobei B0 eine Konstante ist, die bestimmt werden muss. Siehe Abb. 5. v v E 565 Figur 5. Elektromagnetischer Puls, der erzeugt wird, wenn ein Strom während eines kurzen Zeitintervalls durch den geraden Leiter fliesst. Der Puls breitet sich mit der Geschwindigkeit v radial aus. Physik 566 Elektromagnetische Wellen Ein elektromagnetischer Puls, der einen elektrischen und einen magnetischen Teil enthält, wird deshalb erzeugt, wenn ein Strom während eines kurzen Zeitintervalls durch einen geraden Leiter fliesst. Der elektromagnetische Puls breitet sich mit einer Geschwindigkeit v radial aus. Die elektrischen und magnetischen Felder zeigen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Pulses . ⇒ A r r C r r ∂ E .dA = ∂t ∫∫ A r 0 r r 0 ∫∫ (∇ × B) ⋅ dA = ∫ B.dr = ε µ 0 r r d E ⋅ dA dt ∫∫ A Um die Beziehung zwischen den Feldern zu bestimmen, betrachten wir ein Linienintegral des magnetischen Feldes. Siehe Abb. 6. Es gilt, r r r E ∂ ∇ × B = ε 0µ 0 ∂t Wir bemerken, dass r r 0 ∂ dr ( Ehr) = ε 0µ 0 Eh = ε 0µ 0 Ehv ∂t dt ∫ B.dr = Bh = ε µ C = ε 0µ 0 wobei v die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Pulses ist. Es folgt, dass die Beträge der Felder nur von der Feldkonstanten und der Ausbreitungsgeschwindigkeit abhängen: r r 1 r v r B = (ε 0µ 0v ) E = ε 0 v E = 2 E c ε 0c 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Felder eines bewegten geladenen Drahtes B r v Integrationskurve Wir bemerken, dass der Betrag des magnetischen Feldes um den Faktor v/c2 kleiner ist, als der Betrag des elektrischen Feldes. h E geht in die v Blattebene hinein 567 Figur 6. Integrationskurve für die Bestimmung des magnetischen Feldes. Das elektrische Feld geht in der Blattebene hinein. Der elektromagnetische Puls breitet sich mit der Geschwindigkeit v aus. Physik 568 Elektromagnetische Wellen 12.2 Die elektromagnetischen Wellen Die Maxwellschen Gleichungen sagen die Existenz der elektromagnetischen “Wellen” voraus. Maxwell hat im Jahr 1865 diese Existenz vorhergesagt. Hertz1 hat erst 20 Jahre später einen experimentellen Nachweis der elektromagnetischen Wellen erbracht. Im Allgemeinen werden elektromagnetische Wellen erzeugt, wenn geladene Teilchen beschleunigt werden. 12.2.1 Die Wellengleichung und die Ausbreitungsgeschwindigkeit ) ) Wir beginnen mit den Maxwellschen Gleichungen im Vakuum (d.h. die Ladungsdichte ρ=0 und die Stromdichte j=0) r r r ∂B ∇ × E = − ∂t r ∂E r r ∇ × B = ε 0µ 0 ∂t ( ( Wir bilden die Rotation der beiden Gleichungen: r r ∂B r r r ∂ r r = − ∇× B ∇ × ∇ × E = −∇ × ∂t ∂t r r ∂E ∂ r r r r r ∇× E = ε 0µ 0 ∇ × ∇ × B = ε 0 µ 0∇ × ∂t ∂t 1. H. Hertz (1857-1894). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die elektromagnetischen Wellen Nun benutzen wir eine mathematische Beziehung für ein beliebiges Vektorfeld F: ( ) ( ) ( ) r r r r r r r r ∇ × ∇ × F = ∇ ⋅ ∇F − ∇ ⋅ ∇ F ) ) Laplace − Operator wobei der Laplace-Operator (eine Skalargrösse) ist gegeben durch r r r ∂2 ∂2 ∂2 ∇ ⋅ ∇ = ∇2 = 2 + 2 + 2 ∂z ∂y ∂x ( ( Es folgt, r r 2 r r r r r r r r ∂ ∂ ∂ ∂ E E = −ε 0µ 0 2 εµ ∇ ⋅ ∇ ⋅ E − ∇ ⋅ ∇ E = − ∇ × B = − { { ∂t ∂t ∂t 0 0 ∂t = 0 ∇r 2 r ∂2B ∂ r r r r r r r ⋅ B − ∇ ⋅ ∇ B = ε 0µ 0 ∇ × E = −ε 0µ 0 2 { { ∇ ⋅ ∇ r ∂t ∂t =0 ∇ 2 oder die Wellengleichungen der elektromagnetischen Wellen r r r r r r ∂2B ∂2 E ∇ 2 B = ε 0µ 0 2 und ∇ 2 E = ε 0µ 0 2 ∂t ∂t 569 Diese vektoriellen Gleichungen entsprechen einem System von 6 Gleichungen, eine für jede Komponente der Felder r ∂ 2ξ 1 ∂ 2ξ ∂ 2ξ ∂ 2ξ ∂ 2ξ ∇ 2ξ = 2 + 2 + 2 = ε 0µ 0 2 ≡ 2 2 ∂t ∂z ∂y ∂x v ∂t wobei ξ(x,y,z,t)=Ex, Ey, Ez, Bx, By, und Bz. Physik 570 Elektromagnetische Wellen 1 = c 2 !!! ε 0µ 0 Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen, die einer solchen Wellengleichung folgen (Siehe Kap. 5.2.2), ist gleich v2 = Wir haben bewiesen, dass sich die elektromagnetischen Wellen mit einer Geschwindigkeit gleich der Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. r r E =cB für elektromagnetische Wellen oder Die Beziehung zwischen den Beträgen der Felder ist die folgende: r r r v 1 B = 2 E = E c c 12.3 Ebene Wellen Wir haben bisher angenommen, dass der Strom durch den Draht während eines kurzen Zeitintervalls fliesst. Wir nehmen nun an, dass der Strompuls periodisch ist, und dass er seine Richtung zwischen den Perioden ändert. Siehe Abb. 7. Die resultierende Reihe von elektromagnetischen Pulsen, die erzeugt werden, wenn der Strom fliesst, entspricht einer elektromagnetischen Welle, die sich radial mit der Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Ebene Wellen c E nach unten nach i oben i0 –i 0 B t c E Figur 7. Der resultierende elektromagnetische Puls, der durch einen “nach oben und nach unten” oszillierenden Strom erzeugt wird. 571 Weit entfernt vom Draht kann die Krümmung der radialen Wellenfront nicht mehr beobachtet werden. Die elektromagnetische Welle erscheint als eine ebene Welle. Siehe Abb. 8. Physik 572 Elektromagnetische Wellen B Vertikaler Draht Ebene Welle Figur 8. Ebene elektromagnetische Wellen. Weit entfernt von der Quelle erscheinen die gekrümmten Wellen als eben. c Elektrisches Feld c In der ebenen elektromagnetischen Welle bewegen sich die elektrischen Felder zueinander parallel. Sie sind senkrecht zu den magnetischen Feldern. B Magnetisches Feld Die Ausbreitung von ebenen elektromagnetischen Wellen. Siehe Abb. 9. E Figur 9. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Ebene Wellen Die elektrischen und magnetischen Felder bilden eine Ebene, die immer senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Welle ist. 12.3.1 Harmonische ebene Wellen Die ebenen Wellen breiten sich in einer Richtung aus, die immer senkrecht zu den elektrischen und magnetischen Feldern ist. Die Ausbreitungsrichtung kann mit Hilfe des Wellenvektors k ausgedrückt werden: ( ) r k ≡ kx , ky , kz = Wellenvektor Die Felder einer harmonischen, ebenen, elektromagnetischen Welle werden dann geschrieben als (Siehe Kap. 5.4) r r r r r E ( r , t) = E 0 sin( k ⋅ r − ωt) r r r r r B( r , t) = B0 sin( k ⋅ r − ωt) wobei E0 und B0 die Amplitudenvektoren sind. Sie besitzen einen Betrag und eine Richtung, die der Polarisation der Welle entspricht. 573 Eine Beziehung zwischen k und ω haben wir in Kap. 5.4 hergeleitet: r ω oder c= r ω= kc k Aus den Maxwellschen Gleichungen r r r r ∇ ⋅ E = 0 und ∇ ⋅ B = 0 Physik 574 ) Elektromagnetische Wellen folgt ( ( ) ( ) r r ∂E r r r ∂E y ∂E z + ∇⋅ E = x + wobei E = E 0 x , E 0 y , E 0 z sin( k ⋅ r − ωt) ∂x ∂y ∂z r r = E 0 x kx + E 0 y ky + E 0 z kz cos( k ⋅ r − ωt) r r r r = k ⋅ E 0 cos( k ⋅ r − ωt) = 0 und r r r r r r ∇ ⋅ B = k ⋅ B0 cos( k ⋅ r − ωt) = 0 Wie schon erwähnt, müssen die Felder senkrecht zur Ausbreitungsrichtung sein: r r r r r r r r k ⋅ E 0 = k ⋅ B0 = 0 ⇒ k ⊥E 0 und k ⊥B0 Und aus der Maxwellschen Gleichung r r r B ∂ ∇× E = − ∂t folgt ( ) ) ( ) r r r r r r r r r B ∂ ∇ × E 0 sin( k ⋅ r − ωt) = k × E 0 cos( k ⋅ r − ωt) = − ∂t und deshalb ( r r r r r 1 1 r r B = k × E 0 sin( k ⋅ r − ωt) = k×E ω ω Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das elektromagnetische Spektrum Das magnetische Feld ist gleich dem Vektorprodukt des Wellenvektors und des elektrischen Feldes. Er ist deshalb, wie erwartet, senkrecht zum elektrischen Feld und zur Ausbreitungsrichtung. B= 1 E kE = c ω Der Betrag dieses Vektors ist gleich wie erwartet. Ebene, harmonische, elektromagnetische Welle. c Eine solche ebene, harmonische, elektromagnetische Welle wird in Abb. 10 dargestellt. c Figur 10. 575 Eine solche Welle kann z.B. beobachtet werden, wenn ein sinusförmiger Strom durch einen langen geraden Draht fliesst, und wir weit entfernt vom Draht die erzeugte Welle beobachten. 12.4 Das elektromagnetische Spektrum Radiowellen, Mikrowellen, Elektromagnetische Wellen treten auf in Form von 1. 2. Physik 576 Infrarotstrahlung, sichtbares Licht, Ultraviolettstrahlung, Röntgenstrahlung, und Gammastrahlung. Elektromagnetische Wellen 3. 4. 5. 6. 7. c = λν Diese verschiedenen Arten elektromagnetischer Strahlung unterscheiden sich nur durch ihre Frequenz ν (und ihre Wellenlänge λ): In Abb. 11 ist das elektromagnetische Spektrum gezeigt. Die Frequenzen zwischen ungefähr 4 und 8x1014 Hz entsprechen dem sichtbaren Spektrum. Diese elektromagnetischen Wellen werden als sichtbares Licht bezeichnet. Die Farben hängen von der Frequenz ab. Für einen Durchschnittsmenschen entsprechen sie den Bereichen, die in Tab. 1 angegeben sind. Gelb Grün Blau Violett Farbe 5,97-6,22x10–7 5,77-5,97x10–7 4,92-5,77x10–7 4,55-4,92x10–7 3,99-4,55x10–7 Wellenlänge (m) 4,82-3,84x1014 5,03-4,82x1014 5,20-5,03x1014 6,10-5,20x1014 6,59-6,10x1014 7,69-6,59x1014 Frequenz (Hertz) und Wellenlängen des sichtbaren Lichts. Orange 6,22-7,80x10–7 TABLE 1. Frequenzen Rot Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das elektromagnetische Spektrum. Die Polarisation Figur 11. 12.5 Die Polarisation 577 Wir definieren die Polarisation der Welle als die Richtung des elektrischen Feldes. Physik 578 Elektromagnetische Wellen Siehe Abb. 12. Elektrisches E Feld B Magnetisches Feld E Elektrisches Feld c c a) Vertikal polarisierte elektromagnetische Welle Magnetisches B Feld Die horizontale und vertikale Polarisation der Welle. c c b) Horizontal polarisierte elektromagnetische Welle Figur 12. Weil das elektrische Feld in der Ebene senkrecht zur Ausbreitungsrichtung liegen muss, gibt es nur zwei unabhängige Komponenten des elektrischen Feldes einer elektromagnetischen Welle. Siehe Abb. 13. Die Zerlegung des elektrischen Feldes in diese zwei Richtungen ergibt zwei Komponenten des Feldes, die als Ex und Ey bezeichnet werden können. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Polarisation E E b) Horizontale Polarisation Definition der Polarisation. a) Vertikale Polarisation Figur 13. Ey c) Kombination E Ex Der Polarisator: es gibt bestimmte Platten aus einem polarisierenden Material, die nur die Wellen hindurchlassen, die parallel zu einer bestimmten Transmissionsrichtung sind. Die Wellen, die senkrecht zu dieser Richtung polarisiert sind, werden von der Platte absorbiert. Experiment: Polaroidfolie mit sichtbarem Licht Wir benutzen zwei Polarisationsfolien hintereinander. Die erste Folie wirkt als Polarisator und die zweite als Analysator. Wenn die beiden Transmissionsrichtungen senkrecht zueinander sind, gelangt keine Welle durch die Anordnung. 579 Wenn der Winkel zwischen den Transmissionsrichtungen gleich θ ist, ist die Intensität der durchgelassenen Welle (Gesetz von Malus2) I = I 0 cos2 θ wobei I0 die Intensität der ursprünglichen Welle ist. Experiment: Gitter mit 3cm elektromagnetischen Wellen. 2. E.L. Malus (1775-1812). Physik 580 Elektromagnetische Wellen 12.6 Energie und Impuls der elektromagnetischen Wellen von der Sonne zur Erde, oder von einem Feuer auf unsere Hand, wenn die Hand sich in der Nähe des Feuers befindet. Es ist uns vertraut, dass durch elektromagnetische Wellen Energie transportiert wird, z.B. 1. 2. J W = = s.m 2 m 2 Die Energiestromdichte (oder Leistungsdichte) der Wellen wird definiert als die transportierte Energie pro Zeiteinheit und Flächeneinheit. Einheit: [ Energie] [Zeit][Fläche] wobei W=J/s das Watt ist. 12.6.1 Der Poynting-Vektor r 1 r r S≡ E×B µ0 Die Energiestromdichte wird durch den Poynting3-Vektor S beschrieben: 3. J.H. Poynting (1852-1914). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Energie und Impuls der elektromagnetischen Wellen Er zeigt in die Richtung, in der die Energie transportiert wird. Er zeigt z.B. im Fall der ebenen harmonischen Wellen in die Richtung des Wellenvektors k. 2 = J m = [ Energiedichte][Geschwindigkeit] m3 s Die Einheit ist gleich Watt/m2 und kann als das Produkt der Energiedichte und der Geschwindigkeit der Welle ausgedrückt werden r [S ] = s.mJ Beispiel: ebene harmonische Welle r r 1 1 EB = E B sin 2 ( k ⋅ r − ωt) µ0 µ0 0 0 Der Betrag des momentanen Poynting-Vektors ist gleich S= Oft ist man am mittleren Betrag des Vektors über mehrere Periodendauern interessiert. Die Intensität der Welle wird definiert als der mittlere Wert des Betrags des Poynting-Vektors r 1 I≡ S = EB für harmonische Wellen 2µ 0 0 0 wobei wir den Mittelwert der Sinus-Funktion im Quadrat durch 1/2 ersetzt haben. 581 Beispiel: ein Beobachter befindet sich in einer Entfernung r von einer Punktquelle der Energie pro Zeiteinheit (die Strahlungsleistung) P0. Die Quelle ist isotrop, d.h. sie sendet Wellen gleichmässig in alle Richtungen aus. Physik 582 Elektromagnetische Wellen Energie durch eine Kugel mit Radius r: S ( 4πr 2 ) wobei S = Mittelwert auf der Oberfläche der Kugel 0 1 P0µ 0c 2π r und B0 = 8 × 10 −7 T B0 = E 0 / c 1 1 P = S ( 4πr 2 ) = E B ( 4πr 2 ) = E 2 ( 4πr 2 ) 2µ 0c 0 2µ 0 0 0 Weil diese Leistung genau so gross wie die Leistung P0 sein muss, gilt Es folgt, E0 = und Für P0=1000 W und r=1 m, finden wir E 0 ≈ 240 V / m Ein solches elektrisches Feld findet man oft im Labor. B0 ist sehr klein. 12.6.2 Elektromagnetischer Druck Weniger bekannt ist die Tatsache, dass elektromagnetische Wellen auch Impuls transportieren. D.h., elektromagnetische Wellen können auf einen Körper oder eine Fläche Druck ausüben: der Strahlungsdruck. Dieser Effekt wurde von Maxwell theoretisch vorausgesagt. Er betrachtete die Kraft, die die elektromagnetischen Felder der Welle auf ein geladenes Teilchen ausüben. Er konnte beweisen, dass die resultierende Kraft wie ein Druck wirkt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Energie und Impuls der elektromagnetischen Wellen Nichols und Hull (Dartmouth) und Lebedev (Russland) haben in den Jahren 1901-1903 den Effekt erfolgreich experimentell nachgewiesen. Wir betrachten eine elektromagnetische Welle, die auf eine Fläche fällt und vollständig absorbiert wird. Wir nehmen an, dass die absorbierte Energie (während einem Zeitintervall) gleich E ist. E c (Totalabsorption) Nach Maxwell ist der auf die Fläche übertragene Impuls gleich: pem − Druck = [ Energie] = J = Nm = (kg [Geschwindigkeit] m / s m / s m / s2 ) s = kg. m s wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Die Richtung des übertragenen Impulses ist durch die Ausbreitungsrichtung der Welle bestimmt. Einheit: [ p] = = [Impuls] 2E c (Totalreflexion) Wird die Welle vollständig von der Fläche reflektiert, so ist der übertragene Impuls doppelt so gross pem − Druck = In Analogie ist der übertragene Impuls eines elastich reflektierten Balls auf eine Wand doppelt so gross, wie der eines inelastisch absorbierten Balls. 583 Wir bemerken, dass der Impuls einer elektromagnetischen Welle im Vergleich zu den im Alltag beobachteten Impulsen sehr klein ist. Physik 584 Elektromagnetische Wellen Beispiel: Licht mit der Energiestromdichte S = 10 W/cm2 fällt eine Stunde lang auf einen vollständig reflektierenden Spiegel mit der Fläche 1 cm2. Reflektierte Energie E: E = (10 W / cm 2 )(1 cm 2 )( 3600 s) = 36000 J m 2U 2( 36000 J ) = = 2, 4 × 10 −4 kg. s c 3 × 10 8 m / s Übertragener Impuls p p= Die mittlere Kraft, die auf den Spiegel wirkt m −4 dp 2, 4 × 10 kg. s = = 6, 7 × 10 −8 N F= dt 3600 s (Der Spiegel wird wegen dieses Impulses nicht zerbrechen!). 12.7 Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen Grundsätzlich kann die “Theorie der elektromagnetischen Wellen” aus den Maxwellschen Gleichungen hergeleitet werden. Wir haben z.B. mit diesen Gleichungen die Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen bestimmt. Huygens4 hat im Jahre 1678 einen einfachen Mechanismus entwickelt, um die Ausbreitung des Lichts zu verfolgen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen Er kannte die Natur des Lichts nicht: insbesondere wusste er nicht, dass das Licht eine elektromagnetische Welle ist. Er wusste nur wenig über die Frequenzen oder die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts. Dennoch war seine Theorie eine wertvolle Theorie für das Verständnis optischer Phänomene, wie z.B. die Beugung. 12.7.1 Das Prinzip von Huygens Die Theorie basiert auf einer geometrischen Konstruktion (das Huygenssche Prinzip): Jeder Punkt einer Wellenfront kann als Ausgangspunkt für eine kugelförmige Elementarwelle betrachtet werden. 585 Mit dem Prinzip können wir die Wellenfront zu einer späteren Zeit voraussagen. Nach einer Zeit t wird die neue Position der Wellenfront durch die Summe der einzelnen Elementarwellen gegeben. Siehe Abb. 14. 4. C. Huygens (1629-1695). Physik 586 Elektromagnetische Wellen Wellenfront zur späteren Zeit Wellenfront Die Huygenssche geometrische Konstruktion. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Abb. 15 zeigt z.B. Wasserwellen in einer flachen Wellenwanne, die dadurch erzeugt werden, dass man einen Stab periodisch in die Wasseroberfläche eintauscht. a≈λ Wir betrachen z.B. eine ebene Welle der Wellenlänge λ, die auf einen Spalt mit einer Breite a fällt. Der Spalt ist etwa so gross wie die Wellenlänge: Figur 14. Ausbreitungsgeschdinwigkeit v undurchsichtiger Schirm Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen λ Spalt der Breite a Wasserwellen in einer Wellenwanne fallen auf einen Spalt. Es gilt a Figur 15. a ≈ λ. Nach dem Prinzip von Huygens wirkt jeder Punkt des Spalts als eine Quelle einer sich ausbreitenden Elementarwelle. Weil die Breite des Spaltes ungefähr so gross wie die Wellenlänge ist, entspricht der Spalt einer einzelnen Quelle. 587 Es folgt daraus, dass die ebene Welle, die auf den Spalt fällt, sich nachher als konzentrische Kreise ausbreiten wird. Physik 588 Elektromagnetische Wellen Dieses Phänomen wird als Beugung der Welle bezeichnet. Sie wurde von F. Grimaldi5 entdeckt. Im Allgemeinen versteht man unter der Beugung die Ablenkung der Wellen an einem Hindernis, wie z.B. an der Kante eines Spalts. 12.7.2 Interferenz der elektromagnetischen Wellen In Kap. 5.5 haben wir gesehen, dass Interferenzeffekte in mechanischen Wellen aus dem Prinzip der Superposition (Siehe Kap. 5.3) folgen. Wir haben dort die Überlagerung zweier mechanischer Wellen derselben Frequenz und mit einer zeitlich konstanten Phasendifferenz betrachtet. Wir hatten festgestellt, dass als Folge der Interferenz die resultierende Welle nicht gleichförmig im Raum verteilt ist, sondern an bestimmten Bereichen des Raumes Maxima und Minima auftreten (Konstruktive und destruktive Interferenz). Der experimentelle Nachweis von Interferenzeffekten für Licht gelang T. Young6 im Jahre 1801. Damit konnte die Wellentheorie des Lichts auf eine feste experimentelle Basis gestellt werden. Bei seinen Versuchen konnte Young auch als Erster die Wellenlänge des Lichts messen. 5. F. Grimaldi (1618-1663). 6. T. Young (1773-1829). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen Young liess durch zwei kleine Löcher in einem Schirm Sonnenlicht fallen (Youngsches Experiment). Dadurch entstanden auf der anderen Seite des Schirms zwei sich überlagernde Kugelwellen. Die Löcher beim Youngschen Experiment sollten sehr klein sein, etwas so gross wie die Lichtwellenlänge, so dass die Löcher als einzelne Quellen für Huygenssche Elementarwellen wirken: a ≈ λ ≈ 0.5 µm = 5 × 10 −7 m Wenn diese Bedingung erfüllt ist, können wir beide Löcher als Quellen einzelner Elementarwellen, die sich ausbreiten, betrachten. Die resultierende Welle ist in jedem Punkt gleich der Summe der einzelnen Wellen. Experiment: Interferenz von Wasserwellen in einer Wasserwanne. Das resultierende Muster können wir mit Hilfe der Interferenz von Wasserwellen in einer Wasserwanne herleiten. 589 Hier werden kreisförmige Wasserwellen durch die periodische Bewegung zweier synchroner Stäbe erzeugt, die ins Wasser eingetauscht werden. Siehe Abb. 16. Physik 590 Elektromagnetische Wellen Knotenlinie Linie von Bäuchen Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen Wenn diese Bedingung erfüllt ist, können wir beide Löcher als Quellen einzelner Elementarwellen, die sich als Kugelwellen ausbreiten, betrachten. Die resultierende Welle ist in jedem Punkt gleich der Summe der einzelnen Wellen (Interferenz des Lichts). Wenn wir in den Bereich, wo die Wellen interferieren, einen Schirm bringen, so erwarten wir, dass auf ihm dunkle (Minima der Intensität) und helle (Maxima der Intensität) Stellen entstehen. Knotenlinie Linie von Bäuchen erstes Nebenmaximum zentrales Maximum 591 erstes Nebenmaximum Die Intensitätsverteilung auf einem Schirm. Schirm Intensität Siehe Abb. 17. Physik Figur 17. a << λ Knotenlinie Linie von Bäuchen Knotenlinie Figur 16. Interferenz von Wasserwellen in einer Wasserwanne. Entlang der Knotenlinien findet Auslöschung statt, und dazwischen liegen die Bäuche, in denen sich die zwei Wellen verstärken. 12.7.3 Beugung am Doppelspalt Wir studieren die Beugung des Lichts beim Youngschen Experiment. Wir nehmen an, dass die Breite der Löcher viel kleiner als die Wellenlänge sind: a << λ Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 592 Elektromagnetische Wellen θ P Wir nehmen an, dass der Abstand D zwischen den Schirmen viel grösser als der Abstand d zwischen den Löchern ist. d ∆x D Bestimmung des Winkels des ersten Maximums. θ Siehe Abb. 18. Figur 18. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen n = 0,1, 2,... Wir betrachten einen Punkt P auf dem Schirm. Um eine konstruktive Interferenz in diesem Punkt zu beobachten, muss der Gangunterschied ∆x so sein, dass gilt (Siehe Kap. 5.5): 1 k∆x = nπ 2 2πn = nλ k n = 0,1, 2,... In diesem Fall ist der Gangunterschied so, dass die beiden Wellen in Phase sind, weil der Gangunterscheid gleich einer ganzen Anzahl von Wellenlängen ist: ∆x = ∆x = d sin θ = nλ n = 0,1, 2,... ( Maxima) Damit im Punkt P ein Maximum der Intensität entsteht, muss gelten wobei θ der Winkel zwischen dem Lichtstrahl und der Normalen auf den Schirm ist. n = 0,1, 2,... ( Minima) Für ein Minimum in P muss der Gangunterschied ein halbzahliges Vielfaches von Wellenlängen enthalten 1 ∆x = d sin θ = n + λ 2 12.7.4 Beugung am Einzelspalt Wir studieren die Beugung an einem Einzelspalt als Funktion der Breite des Spalts. 593 Wir nehmen an, dass eine ebene Welle auf einen langen und engen Spalt mit der Breite a fällt. Physik 594 Beugung an einem Einzelspalt. Elektromagnetische Wellen Figur 19. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia a << λ a ≈ 2λ a ≈ 6λ Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen a << λ Wenn die Breite a viel kleiner ist als die Wellenlänge λ, können wir den Spalt als einzelne Quelle von Elementarwellen betrachten. Einzelspalt mit a≈λ oder a>λ Wenn die Breite a nicht mehr viel kleiner als die Wellenlänge λ ist, können wir jeden Punkt des Spalts als Quelle von Elementarwellen betrachten: Siehe Abb. 19. Diese Elementarwellen, die einen Punkt P erreichen, unterscheiden sich in der Phase voneinander. Experiment: Ausbreitung des Lichts durch einen Einzelspalt. Licht von einem Laser wird durch einen Spalt der Breite ≈10µm durchgelassen. Die Intensitätverteilung des Lichts wird mit Hilfe eines Empfängers gemessen und projiziert. Wir beobachten Interferenzstreifen. Die beobachtete Intensitätsverteilung wird in Abb. 20 gezeigt. Wir bemerken, dass der Hauptteil der Intensität sich beim Winkel θ=0 befindet (das zentrale Beugungsmaximum). 595 Auf beiden Seiten des zentralen Maximums finden wir andere, sehr viel schwächere, Nebenmaxima. Die Intensität der Nebenmaxima nimmt mit der Ablenkung ab. Zwischen den Maxima gibt es Minima. Physik 596 Gemessene Intensitätsverteilung bei der Einzelspaltbeugung. Elektromagnetische Wellen Figur 20. Wir bestimmen die Position des ersten Minimums. Wir können den Spalt in kleine Teile unterteilen, die als Quelle für eine Elementarwelle wirken. Wir können z.B. 1000 Teile betrachten. Siehe Abb. 21. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen Wir betrachten die Quelle #1, die sich oben am Spalt befindet und die Quelle #501, die sich in der Mitte des Spalts befindet. 499 500 501 502 503 1 2 3 4 5 6 λ/2 λ icht in R ung des Min ms imu Wenn der Gangunterschied zwischen diesen Quellen gleich einer halben Wellenlänge ist, werden die Wellen sich auslöschen. a 998 999 1000 Figur 21. Bestimmung des Winkels eines Minimums in der Beugung durch einen Einzelspalt der Breite a. 597 Entsprechend gilt dies auch für die Quelle #2 und die Quelle #502. Sie werden sich auslöschen. Und so weiter mit den Quellen #3, #4, .. bis #499. Physik 598 Elektromagnetische Wellen ⇒ sin θ = λ →∞ a a sin θ = λ Kein Minimum ( Erstes Minimum) Aus der Abb. 21 erhalten wir die gesamte Bedingung für das erste Minimum λ a sin θ = 2 2 ⇒ Wir bemerken, dass wenn a << λ Siehe Abb. 19. ⇒ sin θ = λ →0 a ⇒ Beugung verschwindet Wenn die Breite viel grösser als die Wellenlänge ist, verschwindet der Beugungseffekt und ist nur an den Rändern des Spalts sichtbar: a >> λ Siehe Abb. 22. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellentheorie der elektromagnetischen Wellen a >> λ 599 Figur 22. Beugungmuster wenn die Breite viel grösser als die Wellenlänge ist. Der Beugungseffekt verschwindet und ist nur an den Rändern des Spalts sichtbar. Physik 600 Elektromagnetische Wellen Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Kapitel 13 Quantenmechanik 13.1 Einleitung Die Quantenmechanik basiert im Wesentlichen auf folgender experimentellen Beobachtung: Alle Elementarteilchen (z.B. Elektronen oder Protonen) sind gleichzeitig ein Teilchen und eine Welle. Alle Systeme, die aus Elementarteilchen aufgebaut sind, d.h. Atome, Moleküle, usw., d.h, alles, was wir in der Natur kennen, zeigt einen Teilchen-Wellen-Dualismus. Elektromagnetische Wellen können sich auch wie ein Teilchen oder eine Welle verhalten. 601 Teilchen. Wenn wir von einem Teilchen sprechen, meinen wir etwas, das eine bestimmte räumliche Ausdehnung besitzt. Die Elementarteilchen werden z.B. oft als sehr kleine Kugel dargestellt. Physik 602 Quantenmechanik Teilchen befinden sich an einem bestimmten Punkt des Weltraumes (sie sind an einem Ort lokalisiert). Wir definieren diese Punkte mit Hilfe ihrer Ortsvektoren r r ≡ ( x, y, z ) Teilchen können beschleunigt werden und bewegen sich auf bestimmten Bahnen durch den Raum, die als Funktionen der Zeit dargestellt werden können: r r r a ( t) ⇒ v ( t) ⇒ r ( t) Teilchen besitzen eine bestimmte Energie und einen bestimmten Impuls. Wir erinnern uns an den relativistischen Energie-Impuls 4Vektor (Siehe Kap. 6.9) r p µ ≡ ( E , pc ) Wenn zwei Teilchen in “Berührung” miteinander kommen, werden sie streuen. Sie wechselwirken miteinander und können Energie und Impuls austauschen. Während diesen Vorgängen müssen die gesamte Energie und der gesamte Impuls erhalten werden. Welle. Wenn wir von einer Wellen sprechen, meinen wir etwas, das eine ausgedehnte räumliche Verteilung besitzt. Man kann nicht von einem einzigen Ortsvektor einer Wellen sprechen. Die Energie und der Impuls, die sie übertragen, sind kontinuierlich im Raum verteilt. Die Felder einer harmonischen, ebenen, elektromagnetischen Welle sind z.B. r r r r r E ( r , t) = E 0 sin( k ⋅ r − ωt) r r r r r B( r , t) = B0 sin( k ⋅ r − ωt) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Quantisierung des Lichts Die Wellennatur kann sich in bestimmten Fällen zeigen, wie z.B. bei der Beugung einer Welle. D.h., eine Welle besitzt Interferenzfähigkeit. Wenn zwei Wellen in “Berührung” miteinander kommen, werden sie interferieren. Nachher trennen sich die Wellen wieder und laufen weiter, ohne dass sich ihre Form geändert hat. 13.2 Die Quantisierung des Lichts Einstein1 hat im Jahre 1905 eine wichtige Annahme über die Natur des Lichts gemacht (die Photonentheorie des Lichts). Seine Vorstellung war in scharfem Kontrast zur Wellentheorie des Lichts. Er schlug vor, dass elektromagnetische Welle nicht kontinuierlich im Raum verteilt sind, sondern in kleinen Paketen quantisiert sind. Elektromagnetische Wellen entstehen aus der Bewegung einer endlichen Zahl von im Raum lokalisierten Quanten, die nur als Ganzes absorbiert oder emittiert werden können. Diese Quanten werden als Photonen (γ) bezeichnet. 603 Elektromagnetische Wellen sind deshalb als Strahlung von Elementarteilchen (die Photonen) zu betrachten. 1. A. Einstein (1789-1956). Physik 604 Quantenmechanik hc λ Die Energie eines einzelnen Photons ist durch die Beziehung gegeben: E = hν = = J .s wobei ν die Frequenz der elektromagnetischen Welle, λ die Wellenlänge, c die Lichtgeschwindigkeit bedeuten, und h ist eine Konstante, die als Plancksche Konstante bezeichnet wird. Einheit: [Frequenz] Energie] [h] = [ Der Wert der Planckschen Konstante h ist h = 6, 63 × 10 −34 J .s = 4,14 × 10 −15 eV .s Das Produkt hc ist gleich (1eV=1,602x10–19 J) hc ≈ 2 × 10 −25 J .m = 1, 2 eV .µm Beispiel: sichtbares Sonnenlicht E Rot ≈ 1, 2 eV .µm = 1, 7 eV 0, 7µm Sichtbares Spektrum λ ≈ 0,4(Violett)-0,7(Rot) µm hc 1, 2 eV .µm ≈ = 3 eV 0, 4 µm λ Die Quantisierung des Lichts (2eV )(1, 602 × 10 −19 J ) 150 W / m 2 = 4, 7 × 1016 γ / s / cm 2 !! Annahme: PSonne≈150 W/m2 auf der Erdoberfläche, Eγ≈2 eV Nγ ≈ Eine sehr grosse Anzahl von Photonen! Wir beginnen zu merken, dass die Plancksche Konstante sehr klein ist relativ zur Grösse der Energien und Zeiten, die uns aus dem Alltag vertraut sind. Experiment: Photonenzähler Ruhemasse des Photons: Jedes Photon verhält sich wie ein Teilchen und besitzt deshalb eine Energie E und einen Impuls p. E c (Totalabsorption) Wir haben in Kap. 12.6 schon erwähnt, dass auch in der klassischen Theorie elektromagnetische Wellen Energie und Impuls tragen. Wir haben in Kap. 12.6.2 gesehen, dass im Fall der Totalabsorption der Welle die Beziehung zwischen der Energie der Wellen und dem übertragenen Impuls die folgende ist pem − Druck = ⇒ β= pc =1 E ⇒ E = pc ( Photonen ) Die Photonen müssen sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Die Beziehung zwischen Energie und Impuls der Photonen folgt deshalb aus der Relativitätstheorie β = v /c =1 Wenn die Photonen von einer Fläche absorbiert werden, ist natürlich die gesamte Energie und der gesamte Impuls erhalten. Die Welle scheint deshalb Energie und Impuls zu tragen. EViolett = Anzahl der Photonen auf der Oberfläche der Erde: Physik 605 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 606 Quantenmechanik Weil (Siehe Kap. 6.9) r ( E ) 2 − ( pc ) 2 = ( m0c 2 ) 2 folgt, dass die Ruhemasse des Photons gleich null ist: r E = pc ⇒ m0c 2 ≡ 0 ( Photonen ) Wir sprechen von masselosen Elementarteilchen. Es folgt daraus, dass es kein Bezugssystem gibt, relativ zu welchem Photonen sich in Ruhe befinden. Photonen besitzen nur kinetische Energie und bewegen sich relativ zu allen Beobachtern mit derselben Geschwindigkeit, der Lichtgeschwindigkeit. γ =∞ Streng genommen ist der Lorentzfaktor von Photonen gleich unendlich: β =1 ⇔ Das Photon kann nur eine endliche Energie besitzen, wenn es masselos ist: E = γm0c 2 → (∞)(0)c 2 = endlicher Wert 13.3 Die Wellennatur der Teilchen 13.3.1 Die Hypothese von de Broglie Louis de Broglie2 schlug im Jahr 1924 vor, dass Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Wellennatur der Teilchen auch Elektronen, wie Photonen, Wellen- und Teilcheneigenschaften besitzen. und E = pc ⇒ hω ≡ hω 2π und p= pc = p= h λ hc ⇒ λ h hk = ≡ hk λ 2π h ≈ 1, 054 × 10 −34 J .s 2π p= h λ 607 Wenn die Photonen sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften besitzen, warum sollte dies nicht auch für Elektronen gelten? hc λ Für das Photon schlug Einstein vor, dass E = hν = und Für ein Elektron müssen dieselben Gleichungen gelten: E = hν wobei E die Energie und p der Impuls des Elektrons ist. E = hν = Oft werden diese Beziehungen so geschrieben: wobei h= Beispiel: nicht-relativistisches Elektron 2. L. de Broglie (1892-1987). Physik 608 Quantenmechanik Sein Impuls ist E kin = ⇒ h = 2 me E kin 1 p2 m v2 = 2 e 2 me und seine Wellenlänge ist h λ= = p p = 2 me E kin hc 2 me c 2 E kin 2 me c 2eU hc ≈ 1, 23 × 10 −9 m U (Volt) Wenn ein ruhendes Elektron durch einen Potentialunterschied U beschleunigt wird, ist seine kinetische Energie gleich E kin = eU ⇒ λ = Für U=10’000 Volt finden wir λ ≈ 1,23x10–11 m. Wir bemerken noch einmal, dass die Plancksche Konstante klein ist. Sie führt zu Wellenlängen, die sehr klein sind, relativ zur Grösse der Längen, die uns aus unserem Alltag vertraut sind. 13.3.2 Ein Elektron in einem Kasten Wir betrachten ein endliches Volumen V, das die Form eines Kastens besitzt. Wir nehmen an, dass ein Elektron sich im Volumen V befindet. Um das Problem zu vereinfachen, werden wir die eindimensionale Lösung suchen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Wellennatur der Teilchen 0 wenn 0 < x < d E pot ( x ) = ∞ andernfalls Der eindimensionale Kasten der Breite d wird durch einen Potentialtopf mit unendlich hohen Wänden beschrieben, wobei gilt Siehe Abb. 1. d Die Definition des eindimensionalen Kastenpotentials Epot(x). Epot(x) Figur 1. 609 In der klassischen Mechanik würde man die Position des Elektrons mit Hilfe seines Ortsvektors beschreiben. Wir sagen, dass zur Zeit t das Elektron sich bei der Position r befindet, wobei r der Ortsvektor des Elektrons ist. Physik 610 Quantenmechanik E= e p2 + E pot 2m Die klassische, nicht-relativistische, gesamte Energie des Elektrons ist Weil E pot ( x ) = ∞ wenn x < 0 oder x > d kann das Elektron sich nie in diesen Bereichen befinden. Das Elektron muss deshalb im Kasten bleiben. In der Quantenmechanik kann das Elektron nicht mehr mit Hilfe seines Ortsvektors lokalisiert werden. Wir müssen das Elektron als eine Welle betrachten. Das Elektron wird mit Hilfe seiner Wellenfunktion ψ beschrieben: r ψ = ψ ( r , t) ψ = ψ ( x, t) in 3 Dimensionen: Wellenfunktion: in 1 Dimension: Wir müssen für die Wellenfunktion eine Bedingung finden, die der Tatsache entspricht, dass das Elektron sich nie ausserhalb des Kastens befinden wird. Wir nehmen an, dass die Wellenfunktion des Elektrons ausserhalb des Kastens verschwindet (diese Annahme gilt nur, wenn das Kastenpotential unendlich hoch ist) ! ψ ( x, t) ≡ 0 wenn x ≤ 0 oder x ≥ d Randbedingung für Kastenpotential Wir werden deshalb der Wellenfunktion sogenannte Randbedingungen auferlegen ψ (0, t) = ψ ( d, t) ≡ 0 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Wellennatur der Teilchen Zeitabhängigkeit f ( t) { Wir suchen eine harmonische stationäre Lösung für das Elektron, die die Randbedingungen erfüllt. In Analogie zu stehenden Wellen (Siehe Kap. 5.6) faktorisieren wir die räumliche und die zeitliche Abhängigkeit der Wellenfunktion: Räumliche Abhängigkeit Ansatz: ψ ( x, t) = ( A sin( kx ) + B cos( kx )) × 1444 424444 3 wobei A und B Konstanten sind, die bestimmt werden müssen. und kd = nπ ψ (0, t) = (0 + B) f ( t) = 0 ψ ( d, t) = ( A sin( kd ) + B cos( kd )) f ( t) = 0 Aus den Randbedingungen folgt, dass die Wellenfunktion zu jeder Zeit in den Punkten x=0 und x=d verschwinden muss: oder B=0 π d n = 1, 2, 3,... wobei n als Wellenzahl bezeichnet wird. Es folgt daraus, kn = n 611 Wir sehen, dass als Folge der Randbedingung der Wellenvektor des Elektrons ein ganzzahliges Vielfaches von π/d sein muss. Physik 612 h2 p2 n = n2 2 me 8 me d 2 1. 2. 3. E n = n 2 E1 wobei h2 E1 = 8 me d 2 annehmen! Die Energie mit n=1 ist die Grundzustandsenergie, d.h. die niedrigste Energie, die das Elektron im Kasten besitzen kann. Die Energie und der Impuls des Elektrons im endlichen Kasten werden nie verschwinden, d.h. n>0 ! Das Elektron kann im Kasten nie ruhen. Es besitzt immer eine minimale kinetische Energie und wird sich immer bewegen. Es gilt 2 h 2 1 (6, 63 × 10 −34 J .s) 1 6 × 10 −38 J 3, 8 × 10 −19 eV E1 = ≈ ≈ = d2 d2 8 me d 2 8(9,11 × 10 −31 kg) d 2 Wir haben in Kap. 7.2.6 gesehen, dass in Atomen der Abstand der Elektronen vom Kern ungefähr bei rElektron ≈ 10 −10 m −10 m) 2 3, 8 × 10 −19 eV (10 ≈ 40 eV !! 2 E1 ≈ 0, 01c me 613 liegt. Die minimale Energie eines Elektrons, das sich in einem Kasten des Durchmessers gleich diesem Radius befindet, ist gleich E1 ≈ p1 = 2 me E1 = me v e ⇒ v e = Diese Energie entspricht der Geschwindigkeit Physik 4. Die Energie ist quantisiert. D.h., das Elektron kann nicht eine beliebige Energie annehmen. Da die Energie E von der Wellenzahl n abhängt, kann die Energie des Elektrons nur die Werte Die Wellennatur der Teilchen En = Quantenmechanik und Wir bemerken: hkn hnπ nh = = 2π 2πd 2 d Mit Hilfe der Beziehungen von de Broglie können wir die Energie und den Impuls des Elektrons im Kasten bestimmen: pn ≡ hkn = Die Wellenfunktionen für n=1,2,..,6 und die entsprechenden Energien sind in Abb. 2 gezeigt. ψ Figur 2. Die (räumliche) Abhängigkeit der stationären Wellenfunktionen und die entsprechenden Energien eines Elektrons in einem Kasten (hh=1 und me=1). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 614 Quantenmechanik 5. Ein Elektron kann sich nie im Bereich eines Atoms befinden, und sich langsamer als mit 1% der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Die niedrigste Energie nimmt mit der Grösse des Kastens d im Quadrat ab. Für makroskopische Längen ist sie naturlich vernachlässigbar, und wir finden das klassische Ergebnis wieder zurück. Ein Elektron in einem makroskopischen Kasten kann sich in Ruhe befinden. Dieses Ergebnis ist aber nur eine Näherung. 13.3.3 Die Schrödinger-Gleichung Im Jahr 1926 formulierte E. Schrödinger3 eine Wellengleichung zur Beschreibung der Ausbreitung der Wellenfunktion des Teilchens, in Analogie zur Wellengleichung für klassische mechanische oder elektromagnetische Wellen. E= Die gesamte klassische Energie eines nicht-relativistischen Teilchens, das sich in einem Potential bewegt, ist gleich r r p2 + E pot ( r , t) 2m ∂ ∂t und r ∂ ∂ ∂ r p ≡ −ih∇ = −ih , , ∂x ∂y ∂z Schrödinger postulierte, dass man die klassische Energie-ImpulsBeziehung benutzen muss, und die Energie und den Impuls durch Operatoren, die auf die Wellenfunktion wirken, ersetzen muss: E ≡ ih Die Wellennatur der Teilchen Eψ ≡ ih ∂ ψ ∂t Der Energie-Operator (wird auch als Hamilton-Operator bezeichnet) wird folgendermassen benutzt und der Impuls-Operator r ∂ψ ∂ψ ∂ψ r , , pψ ≡ −ih∇ψ = −ih ∂x ∂y ∂z ( ) Die kinetische Energie wird so berechnet r 2 r r 2 2 p h h 2 ∂ 2ψ ∂ 2ψ ∂ 2ψ − − 1 + + ∇ 2ψ = −ih∇ ψ = ψ = 2m 2m 2 m ∂x 2 ∂y 2 ∂z 2 2m wobei wir den Laplace-Operator (Siehe Kap. 12.2.1) erkennen. Die Schrödinger-Gleichung wird deshalb so hergeleitet: r r r r r p2 Eψ ( r , t) = ψ ( r , t) + E pot ( r , t)ψ ( r , t) 2m oder r r − h2 r 2 r ∂ r ∇ ψ ( r , t) + E pot ( r , t)ψ ( r , t) ih ψ ( r , t) = ∂t 2m Schrödinger − Gleichung Sie beschreibt, wie die klassische Wellengleichung, die zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion. Diese Differentialgleichung setzt die zeitliche und die räumlichen partiellen Ableitungen der Wellenfunktion miteinander in Beziehung. 3. E. Schrödinger (1887-1961). Physik 615 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 616 Quantenmechanik Die Zeitentwicklung der Wellenfunktion wird deshalb durch Integration der Schrödinger-Gleichung gewonnen. Wir bemerken, dass die Schrödinger-Gleichung explizit die imaginäre Zahl i verwendet. Deshalb erwarten wir, dass die allgemeinen Lösungen der Schrödinger-Gleichung komplexwertig sind. ih − h2 ∂2 ∂ ψ ( x, t) = ψ ( x, t) ∂t 2 m ∂x 2 Beispiel: ein freies Teilchen in 1 Dimension Ansatz: ψ ( x, t) = Ae i( kx −ωt ) = A cos( kx − ωt) + Ai sin( kx − ωt) wobei k der Wellenvektor und ω die Kreisfrequenz ist. Es folgt, ∂ − h2 ∂2 ih ( Ae i( kx −ωt ) ) = ( Ae i( kx −ωt ) ) ∂t 2 m ∂x 2 − h2 (ik ) 2 Ae i( kx −ωt ) 2m ih(−iω ) Ae i( kx −ωt ) = h2k 2 2m freies Teilchen und die Beziehung zwischen dem Wellenvektor und der Kreisfrequenz des freien Teilchen ist hω = Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Wellennatur der Teilchen ⇒ E= p2 2m Diese Gleichung ist das Analogon zu der Beziehung zwischen Energie und Impuls des freien Teilchens. Mit Hilfe der Gleichungen von de Broglie finden wir, wie erwartet, folgendes: E = hω und p = hk 13.3.4 Die stationären Zustände Räumliche Abhängigkeit Zeitabhängigkeit Um eine stationäre Lösung der Schrödinger-Gleichung zu finden, werden wir, in Analogie zu den stehenden Wellen, einen Ansatz betrachten, in dem die räumliche und die zeitliche Abhängigkeit faktorisiert werden (Siehe Kap. 5.6 und 13.3.2): r φ{ (r ) × χ ( t) { Ansatz: ψ ( x, t) = Im Fall, dass die potentielle Energie Epot unabhängig von der Zeit ist, wird sich die Schrödinger-Gleichung vereinfachen: r r r ∂ − h2 r 2 r ih (φ ( r ) χ ( t)) = ∇ (φ ( r ) χ ( t)) + E pot ( r )(φ ( r ) χ ( t)) ∂t 2m r r ∂ r r r − h2 χ ( t)∇ 2 (φ ( r )) + E pot ( r )(φ ( r ) χ ( t)) ⇒ ihφ ( r ) ( χ ( t)) = ∂t 2m r 1 ∂χ ( t) − h 2 1 r 2 r = r ∇ φ ( r ) + E pot ( r ) χ ( t) ∂t 2m φ (r ) ⇒ ih 617 Wir bemerken, dass die linke Seite der letzten Gleichung nur von der Zeit abhängt und die rechte Seite nur vom Ortsvektor. Beide Seiten sind deshalb voneinander unabhängig und müssen gleich einer Konstanten sein! Physik 618 Quantenmechanik Ansatz: 1 ∂χ ( t) = ihe iωt (−iω )e − iωt = hω = E = Konst. → ok! χ ( t) ∂t χ ( t) ≡ e − iωt ⇒ ih r r r ∂ − h 2 r 2 r − iωt ih (φ ( r )e − iωt ) = ∇ (φ ( r )e ) + E pot ( r )(φ ( r )e − iωt ) ∂t 2m r r r − h 2 r 2 r − iωt E (φ ( r )e − iωt ) = ∇ (φ ( r )e ) + E pot ( r )(φ ( r )e − iωt ) 2m Die allgemeine Lösung der stationären Zustände ist dann r r ψ ( r , t) = φ ( r )e − iωt wobei oder r − h2 r 2 r r r Eφ ( r ) = ∇ φ ( r ) + E pot ( r )φ ( r ) 2m Zeitunabhängige Schrödinger − Gleichung Diese Gleichung hängt natürlich nur vom Ortsvektor ab. Wenn die potentielle Energie bekannt ist, kann sie im Prinzip gelöst werden, um die räumliche Abhängigkeit der Wellenfunktion zu finden. Die vollständige Lösung ist dann r r ψ ( r , t) = φ ( r )e − iωt Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Wellennatur der Teilchen wobei wir eine sehr einfache Zeitabhängigkeit erkennen. Die Kreisfrequenz ist gleich ω = E /h 13.3.5 Die Interpretation der Wellenfunktion Die Wellenfunktion ψ kann komplexe Werte annehmen. Ihre Interpretation wurde während des ersten Teils des 20. Jahrhunderts viel diskutiert. M. Born4 hat eine Interpretation der Wellenfunktion gegeben, die heutzutage als die richtige angenommen wird: Die Wellenfunktion beschreibt den Zustand des Elektrons. Ein Elektron wird tatsächlich als ein “Teilchen” nachgewiesen. Sein Verhalten, d.h. seine Position im Raum, sein Impuls und seine Energie wird aber durch seine Wellenfunktion beschrieben. Das Betragsquadrat der Wellenfunktion entspricht der Wahrscheinlichkeit, das Teilchen an einem bestimmten Ort zu finden: 619 Die Wahrscheinlichkeit P, dass das Teilchen sich in einem infinitesimalen Volumen dV an einem Punkt r befindet, ist gleich r 2 r r ψ ( r , t) dV = ψ * ( r , t)ψ ( r , t) dV wobei ψ* die komplex Konjugierte der Wellenfunktion ist. 4. M. Born (1882-1970). Physik 620 Quantenmechanik V V Die mittlere Position des Elektrons im Volumen V (oder der sogenannte Erwartungswert des Ortsvektors r) wird deshalb durch die folgende Beziehung gegeben: r r r 2 r r r r ( t) = ∫∫∫ r ψ ( r , t) dV = ∫∫∫ ψ * ( r , t) r ψ ( r , t) dV Wir bemerken, dass das Elektron nicht mehr in einem bestimmten Punkt des Raumes lokalisiert wird. Tatsächlich kann man nicht mehr sagen, wo das Elektron sich befindet! Die Schrödinger-Gleichung sagt nicht voraus, wie sich das Elektron als Funktion der Zeit bewegt. Sie sagt voraus, wie die Wellenfunktion des Elektrons sich ausbreitet. Die Wellenfunktion sagt nicht voraus, wo das Elektron sich befindet. Sie sagt voraus, was die Wahrscheinlichkeit ist, das Elektron an einem bestimmten Ort zu finden. Wir können deshalb nicht mehr die Bahnkurve eines Elektrons definieren. Beispiel: Elektron im Kastenpotential. ψ ( x, t) ≡ φ ( x )e − iωt Wir betrachten die eindimensionalen stationären Wellenfunktionen des Elektrons im Kasten Stationärer Zustand ⇒ 2 2 2 weil e iz = 1 Das Betragsquadrat des räumlichen Teils der Wellenfunktionen ist in Abb. 3 gezeigt: ψ ( x, t) = φ ( x )e − iωt = φ ( x ) Der zeitabhängige Teil spielt deshalb keine Rolle im Betrag. Wenn das Elektron sich in einem stationären Zustand befindet, ist die Wahr- Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Wellennatur der Teilchen scheinlichkeit, es an einem bestimmten Punkt des Raumes zu finden, unabhängig von der Zeit! Wir bemerken auch, dass das Elektron im Raum nicht lokalisiert ist. D.h., es gibt verschiedene unabhängige entfernte Raumgebiete, in denen die Wahrscheinlichtkeit, das Elektron zu finden, nicht verschwindet. 621 Die Anzahl dieser Raumgebiete hängt von der Energie ab und nimmt mit ihr zu. Figur 3. Das Betragsquadrat der Wellenfunktionen, die die stationären Zustände des Elektrons im Kasten beschreiben. Physik 622 Quantenmechanik 13.3.6 Überlagerung von Zuständen Wir haben gesehen, dass ein Elektron im Raum nicht lokalisiert sein muss. Wahrscheinlichkeit von 50% Es kann z.B. sein, dass das Elektron sich in sehr entfernten Raumgebieten mit gleicher Wahrscheinlichket befinden kann! Siehe Abb. 4. Vor dem Nachweis: Wahrscheinlichkeit von 50% Nach dem Nachweis (Reduktion der Wellenfunktion): Wahrscheinlichkeit von 100% Figur 4. Reduktion der Wellenfunktion. Wenn das Elektron nachgewiesen wird, wird seine Wellenfunktion auf den Punkt, wo es nachgewiesen wird, reduziert. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Wellennatur der Teilchen Was geschieht, wenn das Elektron nachgewiesen wird? Wir haben gesagt, dass das Elektron sich als ein Teilchen verhalten wird. D.h., ein Elektron wird immer an einem bestimmten Punkt des Raumes nachgewiesen. Die Wellenfunktion beschreibt die Wahrscheinlichkeit vor dem Nachweis, das Elektron an einem bestimmten Punkt zu finden. Nach dem Nachweis ist das Elektron lokalisiert. Wenn wir zur Zeit t das Elektron an einem bestimmten Punkt nachweisen, muss sich zur Zeit t das Elektron in diesem Punkt befinden. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron zur Zeit t an diesem Punkt zu finden, muss gleich 100% sein. Es folgt daraus, dass die Wellenfunktion sich spontan entsprechend ändern wird, wenn das Elektron an einem bestimmten Punkt nachgewiesen wird. Wir sprechen von der Reduktion der Wellenfunktion. Die Reduktion ist spontan, und wenn die Wellenfunktion vor dem Nachweis sehr ausgedehnt war, dann muss sie spontan in einen Punkt kollabieren. Wenn wir die Wellenfunktion als eine räumlich ausgedehnte Welle betrachten, würden wir sagen, dass während ihrer Reduktion sie sich mit unendlicher Geschwindigkeit durch den Raum (d.h. schneller als die Lichtgeschwindigkeit) bewegen muss. Deshalb können wir die Wellenfunktion nicht als etwas betrachten, das wirklich im Raum ausgedehnt ist. 623 Die Reduktion der Wellenfunktion ist noch heutzutage das am wenigsten verstandene Rätsel der Quantenmechanik. Einstein hat z.B. diese Erklärung als nicht befriedigend betrachtet. Physik 624 Quantenmechanik Siehe Abb. 5. Elektron durch Doppelspalt Physik λ d d θ Schirm Intensität des Elektronstrahls n = 0,1, 2,... ( Maxima) 625 Wir erwarten deshalb Interferenzstreifen (d.h. ein Beugungsmuster) auf dem Schirm, wenn der Abstand d zwischen den Für d>>λ verschwindet der Beugungseffekt natürlich. Wir haben z.B. eine solche Situation angetroffen, als wir den Einzelspalt studiert haben. Siehe Kap. 12.7.4 und die entsprechenden Figuren. wobei θ der Winkel zwischen dem Elektronenstrahl und der Normalen auf den Schirm ist. sin θ = n Damit in einem Punkt ein Maximum der Intensität entsteht, muss gelten (Siehe Kap. 12.7.3) Figur 5. Das erzeugte Beugungsmuster, wenn Elektronen auf einen Doppelspalt fallen. Elektronstrahl 13.4 Elektron durch Doppelspalt Wir haben bemerkt, dass ein Elektron (oder ein Photon) sich unter bestimmten Umständen wie ein Teilchen oder wie eine Wellen verhält. Man spricht von Dualismus. N. Bohr5, der bei der Entwicklung der Quantenmechanik eine wesentliche Rolle spielte, hat ein Komplementaritätsprinzip ausgedrückt: Für die vollständige Beschreibung eines Teilchens braucht man sowohl den Wellen- als auch den Teilchenaspekt. Wir können nun ein Experiment betrachten, bei dem sich der Wellenund der Teilchenaspekt gleichzeitig zeigen müssen. Elektron durch Doppelspalt: Im Experiment fällt ein Elektronstrahl auf einen Doppelspalt. Wir nehmen an, dass die Elektronen mit Hilfe eines Schirms nachgewiesen werden. Wenn die Elektronen auf den Schirm fallen, werden sie Licht erzeugen. Man kann durch die Intensität des Lichts auf dem Schirm die räumliche Verteilung der Elektronen berechnen. 5. N. Bohr (1885-1962). Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 626 Quantenmechanik h = p hc 2m c 2 E kin Spalten ungefähr so gross wie die Elektronenwellenlänge λ ist: d ≈λ = e Für ein ruhendes Elektron, das durch einen Potentialunterschied von 10’000 Volt beschleunigt wird, ist die Wellenlänge ungefähr gleich (Siehe Kap. 13.3.1) λ ≈ 1,23x10–11 m. Dann muss der Abstand zwischen den Spalten ungefähr so “klein” sein! Im Jahre 1961 gelang es C. Jönsson, diesen Effekt direkt nachzuweisen. Siehe Abb. 6. Wie erwartet ist das Beugungsmuster dasselbe wie bei der Beugung von Licht, wenn die Elektronen sich wie Wellen verhalten. Figur 6. Beugungsmuster von Elektronen beim Doppelspaltexperiment. Das Muster ist dasselbe wie bei der Beugung von Licht. Doppelspaltexperiment - Ein Elektron nach dem anderen. Wir nehmen nun an, dass einzelne Elektronen durch die Anordnung gesendet werden. D.h., die Elektronen sind zeitlich so getrennt, dass Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Elektron durch Doppelspalt sich zu einer bestimmten Zeit nur ein einzelnes Elektron in der Anordnung befindet. Wir ersetzen den Schirm durch einen photographischen Film. Der photographische Film wird einzelne Elektronen als kleine Punkte nachweisen. Beugungmuster mit 10 Elektronen. Wenn wir 10 Elektronen durch die Spalten lassen, werden wir auf dem Film z.B. das folgende Muster beobachten. Siehe Abb. 7. Figur 7. 627 Wenn wir mehr Elektronen, ein Elektron nach dem anderen, durch die Spalten lassen, werden wir den Aufbau der Interferenzstreifen beobachten! Siehe Abb. 8. Physik 628 Quantenmechanik 100 Elektronen 1000 Elektronen 10000 Elektronen Intensitätsverteilung Exp. Resultat Figur 8. Simulation des Aufbaus der Interferenzstreifen, wenn Elektronen auf den photographischen Film fallen. Nun können wir eine Frage über die Bahnkurve des Elektrons beantworten. Die Frage ist die folgende: durch welchen Spalt ist das Elektron gegangen? Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Unsch rferelation Wir haben im Experiment angenommen, dass sich zu einer bestimmten Zeit nur ein einzelnes Elektron in der Anordnung befindet. Das Experiment zeigt aber, dass auch in diesem Fall Interferenzstreifen entstehen. Sie bilden sich langsam, in dem ein Elektron nach dem anderen auf den Film trifft. Wenn wir das Beugungsmuster in diesem Fall beobachten, folgt, dass das Elektron mit sich selbst interferieren muss. D.h., die Wellenfunktion des Elektrons spürt beide Spalte. Die Wellenfunktion des einzelnen Elektrons wird mit sich selbst interferiren, und sie bestimmt wo mit welcher Warscheinlichkeit die Elektronen auf den Film gelangen. Im Prinzip könnten wir vor jeden Spalt einen Elektronendetektor platzieren, der beim Durchgang eines Elektrons z.B. ein elektronisches Signal erzeugt. Wir könnten dann versuchen die Bahnen der einzelnen Elektronen zu identifizieren. Sobald wir die Anordnung bauen, beobachten wir, dass die Interferenzstreifen verschwunden sind. Beim Durchgang durch die Spaltdetektoren werden die Elektronen so beinflusst, dass das Interferenzmuster zerstrört wird. Wenn wir die Beugung beobachten, können wir nicht sagen, welchen Spalt das Elektron durchquert hat. 13.5 Die Unschärferelation ψ ( x, t) = Ae i( kx −ωt ) = A cos( kx − ωt) + Ai sin( kx − ωt) 629 Wir haben in Kap. 13.3.3 gesehen, dass die (eindimensionale) Wellenfunktion eines freien Teilchen mit einem Impuls p die folgende ist Physik 630 Quantenmechanik wobei p2 p2 = hω ⇒ ω = 2m 2 mh p = hk ⇒ k = p / h und E = Das Teilchen besitzt einen bestimmten Impuls p. Wir bemerken, dass die Lokalisierung eines solchen Teilchens unmöglich ist! Wenn wir das Betragsquadrat der Wellenfunktion nehmen, beobachten wir, dass es zu jeder Zeit über den gesamten Raum konstant ist: 2 ψ ( x, t) = ψ *ψ = Ae i( kx −ωt ) A*e − i( kx −ωt ) = A 2 = konst. D.h., harmonische ebene Wellen beschreiben ein Teilchen, das räumlich und zeitlich unendlich ausgedehnt ist. Das Teilchen ist zu jeder Zeit mit gleicher Wahrscheinlichkeit an jedem Ort des Raumes! n Ein lokalisiertes Teilchen kann nicht durch eine harmonische Welle mit einer einzigen Kreisfrequenz ω und Wellenzahl k beschrieben werden. Wir brauchen sogenannte Wellenpakete, die aus einer Summe von ebenen Wellen bestehen: n ψ ( x, t) = ∑ψ n ( x, t) = ∑ An e i( kn x −ω n t ) wobei An die Amplitude der harmonischen Wellen mit Wellenvektor kn und Kreisfrequen ωn ist. Die Summe harmonischer Wellen führt zu einem lokalisierten Teilchen. Wir beginnen mit einer kleinen Anzahl von Wellen. Die Amplituden der Wellen wurden so gewählt, dass sie ein Maximum um einen Wellenvektor k besitzen. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Unsch rferelation Die Summe von 3 harmonischen Wellen wird in Abb. 9 gezeigt. Mit nur 3 Wellen ist die resultierende Welle nicht lokalisiert. Figur 9. Wellenpakete: die resultierende Wellenfunktion ist die Summe der 3 gezeigeten Wellenfunktionen mit verschiedenen Amplituden und Kreisfrequenzen. 631 In Abb. 10 betrachten wir die Summe von 5 harmonischen Wellen. Die resultierende Welle besitzt verschiedene Maxima. Zwischen diesen Maxima verschwindet die resultierende Welle, weil die harmonischen Wellen einander auslöschen. Physik 632 Wellenpakete: die Summe von 5 harmonischen Wellen. Quantenmechanik Figur 10. Wenn die Anzahl der Terme in der Summe zunimmt, wird die resultierende immer mehr lokalisiert. Die Summe von 9 harmonischen Wellen wird in Abb. 11 gezeigt. Zusammenfassend haben wir gefunden, dass die Wellenfunktion eines lokalisierten Teilchens gleich der Summe harmonischer Wellen mit verschiedenen Wellenvektoren ist. Es folgt, dass ein lokalisiertes Teilchen keinen bestimmten Impuls p besitzen kann. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Wellenpakete: die Summe von 9 harmonischen Wellen. Die Unsch rferelation Figur 11. 633 Wir ersetzen nun die Summe der harmonischen Wellen durch ein Integral ψ ( x, t) = ∫ dkA( k )e i( kx −ωt ) wobei A(k) die Verteilungsfunktion der Wellenvektoren ist. Physik 634 Quantenmechanik A( k ) ∝ e − 4σ k2 ( k − k0 ) 2 k k Die Amplituden A(k) wurden so gewählt, dass sie ein Maximum um einen Wellenvektor k besitzen. Man kann z.B. eine Gauss-Verteilung benutzen k0 wobei σk die Standardabweichung ist. Siehe Abb. 12. A(k) k0 Figur 12. Gauss-Verteilung mit Mittelwert gleich k0 und Standardabweichung gleich σk. Man kann beweisen, dass ein Integral von harmonischen Wellen, deren Amplituden eine Gauss-Verteilung haben, zu einem lokalisierten Teilchen mit einer räumlichen Gauss-Verteilung führt, und es gilt k 1 σσ ≈ 2 x Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Unsch rferelation wobei σk und σx die Standardabweichungen der Gauss-Verteilungen sind. Diese Beziehung gilt für eine Gauss-Verteilung. Für andere Verteilung ist das Produkt grösser als 1/2. Für eine harmonische Welle ist σk =0 und deshalb ist σx unendlich. Das Teilchen kann nicht lokalisiert werden! Für ein unendlich gut lokalisiertes Teilchen, d.h. σx =0, ist σp unendlich. Es besitzt keinen bestimmten Impuls. Die Standardabweichungen σk und σx entsprechen den Genauigkeiten ∆k und ∆x, mit welchen man die Position oder den Impuls des Teilchens gleichzeitig messen kann. Man kann den Ortsvektor und den Impuls nicht gleichzeitig mit unendlicher Genauigkeit messen. h 2 Heisenbergsche Unschärferelation Diese Beziehung ist als die Unschärferelation von Heisenberg6 bekannt und wurde zuerst im Jahre 1926 formuliert: ∆x∆px ≥ Sie sagt aus, dass im Bereich der Quantenmechanik der Ortsvektorund der Impulsoperator eines Teilchens korreliert sind. Man sagt, dass sie nicht kommutieren. Entweder wollen wir die Position des Teilchens mit unendlicher Genauigkeit messen, oder wir werden den Impuls messen. 635 Wenn wir zusätzlich die Position des Teilchens mit unendlicher Genauigkeit messen, wird die Wellenfunktion so zerstört, dass der Impuls nicht mehr definiert ist. 6. W. Heisenberg (1901-1976). Physik 636 Quantenmechanik In einer ähnlichen Weise ist die Position des Teilchens nicht mehr definiert, wenn wir seinen Impuls mit unendlicher Genauigkeit messen. Man kann diese Beobachtung noch einmal mit der Reduktion der Wellenfunktion (Siehe Kap. 13.3.6) in Beziehung setzen. wobei k = p / h und ω = p2 2 mh Wenn wir den Impuls p eines freien Teilchens mit unendlicher Genauigkeit messen, wird die Wellenfunktion so kollabieren, dass sie eine harmonische Wellen mit einem bestimmten Wellenvektor k wird (Siehe Kap. 13.3.3): ψ ( x, t) = Ae i( kx −ωt ) Das Betragsquadrat dieser Funktion ist, wie schon erwähnt, eine Konstante über den ganzen Raum, 2 ψ ( x, t) = ψ *ψ = Ae i( kx −ωt ) A*e − i( kx −ωt ) = A 2 = konst. und das Teilchen befindet sich in jedem Punkt des Raumes mit derselben Wahrscheinlichkeit. Beispiel: ein freies 10 eV-Elektron bewegt sich in die x-Richtung Geschwindigkeit vx ≈ 1,9 x 106 m/s Impuls des Elektrons: px = me v x = (9,11 × 10 −31 kg)(1, 9 × 10 6 m / s) ≈ 1, 7 × 10 −24 kgm / s Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia R ntgen- und Elektronenbeugung h 1, 054 × 10 −34 Js ≈ ≈ 3 × 10 −9 m 2 ∆px 2(1%)(1, 7 × 10 −24 kgm / s) Wir nehmen an, dass wir die Geschwindigkeit auf 1% genau messen können. Mit welcher Genauigkeit kann man gleichzeitig den Ort des Elektrons messen? ∆x ≈ Das Ergebnis entspricht ungefähr 200 Atomsdurchmessern. Beispiel: ein Golfball h 1, 054 × 10 −34 Js ≈ ≈ 3 × 10 −33 m 2 ∆px 2(1%)(1, 8 kgm / s) Masse : 45g, Geschwindigkeit v=40m/s. Wir messen die Geschwindigkeit mit einer Genauigkeit von 1%. ∆x ≈ Diese Länge ist etwa 1018 mal kleiner als der Durchmesser des Atomkerns!! Die Unschärferelation liefert bei makroskopischen Objekten keine sinnvolle Grenze. 13.6 Röntgen- und Elektronenbeugung 13.6.1 Röntgenbeugung 637 Photonen fallen auf die Oberfläche eines Kristalls. Wir nehmen an, dass im Kristall die Atome die fundamentalen Bausteine des Kristallgitters bilden, und dass das Gitter eine kubische Symmetrie hat. Siehe Abb. 13. Physik 638 Quantenmechanik n Photo a enwe lle Kristall Figur 13. Ein Schnitt durch einen Kristall. Jedes Atom wird als ein Punkt dargestellt. Der Abstand zwischen zwei benachbarten Atomen ist a. Analog zu einem Spalt betrachten wir jeden Punkt in der Abb. als eine Quelle von Elementarwellen, d.h. jeder Punkt wirkt als ein Beugungszentrum. Wir sind an der Abhängigkeit des Beugungsmusters von den Winkeln der einfallenden und gebeugten Wellen interessiert. Wir betrachten eine Ebene, die durch eine Reihe von Atomen geht. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia gebeugte Welle acosθ acosφ einfallende Welle R ntgen- und Elektronenbeugung Siehe Abb. 14. θ a φ Atom Figur 14. Die Photonenwelle fällt unter dem Winkel θ ein. Der Winkel zwischen der Atomebene und den gebeugten Wellen ist gleich φ. Relativ zu dieser Ebene fällt die Photonenwelle unter dem Winkel θ ein, und der Winkel zwischen der Ebene und der gebeugten Welle ist gleich φ. 639 Jedes Atom wirkt als Beugungszentrum. Die gebeugten Strahlen werden sich überlagern und ein Intensitätsmaximum wird erzeugt, wenn Physik 640 Quantenmechanik R ntgen- und Elektronenbeugung θ =φ hc 1, 24 × 10 −6 eV .m ≈ ≈ 12400 eV 10 −10 m λ 7. Bragg, W.H. (1862-1942) und Bragg, W.L. (1890-1971). Physik 641 In Abb. 16 wird das erzeugte Interferenzmuster gezeigt, wenn ein monochromatischer Röngtenstrahl auf ein kristallines Silber-Bromid Pulver fällt. d.h., die Photonen müssen im Bereich der Röntgenstrahlen sein. E = hν = Wir bemerken, dass die Wellenlänge der Photonen ungefähr so gross wie der Abstand zwischen benachbarten Atomen des Gitters sein muss. Wenn wir z.B. einen Abstand gleich 10–10 m betrachten, folgt bei bestimmten Wellenlängen und bestimmter Orientierung der einfallenden Photonenwelle konstruktive Interferenz der gebeugten Photonenwelle beobachtet wird. Die Richtungen der Interferenzmaxima wird durch die Geometrie des Kristallgitters bestimmt. Es folgt, dass Um eine konstruktive Interferenz in einer Richtung zu erreichen, müssen sich die von den einzelnen Ebenen gebeugten Strahlen verstärken. Dies bedeudet, dass der Gangunterschied zwischen benachbarten Ebenen ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge sein muss. Diese Bedingung heisst die Bragg7-Bedingung. θ einfallende = φ gebeugte Jede Ebene erzeugt eine gebeugte Welle, wobei m = 0,1, 2, 3,... der Gangunterschied zwischen benachbarten Strahlen gleich einem ganzzahligen Vielfachen der Wellenlänge ist: a cosθ − a cosφ = mλ ⇒ Das Hauptmaximum kommt bei m=0 vor. Diese Bedingung führt zu a cosθ = a cosφ D.h., die Ebene wirkt wie ein Spiegel. Photonenwelle gebeugte Welle Wir betrachten nun verschiedene Ebenen durch die Atome. Wir nehmen an, dass die Photonenwelle nicht mehr nur auf eine einzelne Ebene fällt, sondern auf die ganze Reihe von Ebenen. Siehe Abb. 15. Photonenwelle gebeugte Welle Atomenebene Figur 15. Die Photonenwelle fällt auf die ganze Reihe von Ebenen. Eine intensive Beugungswelle wird erzeugt. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 642 Quantenmechanik eug l trah ter S Man sieht charakteristische Beugungspunkte, die sich um den Röntgenstrahl befinden. Diesen Punkten entsprechen die verschiedenen Ebenen von Atomen im Kristall. Siehe Abb. 16. geb Kristall Film Interferenzmuster bei Beugung von Röntgenstrahlen an einem Röntgenstrahl Figur 16. Kristall. 13.6.2 Elektronenbeugung Davisson und Germer8 entdeckten zuerst im Jahr 1927 die Beugungsund Interferenzeffekte von Elektronen. Bei ihrem Experiment wurden Elektronen auf einen Kristall (Nickeloder Goldkristall) geschossen. Die Elektronen wurden durch einen variablen Potentialunterschied beschleunigt. Siehe Abb. 17. Kristall R ntgen- und Elektronenbeugung Schirm 18 cm gebeugtes Elektron Elektronenkanone Elektronenstrahl Figur 17. Illustration des Davisson-Germer-Experiments. Die Elektronen wurden durch einen Potentialunterschied beschleunigt und auf einen Kristall geschossen. Mit diesem Experiment konnte man die Beugungsmuster eines Elektrons mit dem eines Photons vergleichen. Wenn die Photonen und Elektronen dieselbe Wellenlänge besitzen, werden sie änhliche Beugungsmuster erzeugen. Siehe Abb. 18. Anwendung: Elektronenmikroskop (E. Ruska, 1986) Die Auflösung eines Mikroskops hängt von der Wellenlänge des Strahls ab, der benutzt wird, um die Abbildung zu erzeugen. Weil das Weil auch Elektronen Welleneigenschaften besitzen, kam die Vermutung auf, dass man auch Elektronen zur Abbildung von Objekten verwenden kann. 8. C.J. Davisson (1881-1958) und L. Germer. Physik 643 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 644 4 cm emittiert. wobei −13, 6 eV n2 Eγ = hν = E1 − E 2 h2 E1 = 8 me d 2 wobei ⇔ n = 1, 2, 3,... ν= E1 − E 2 h Die möglichen Energieniveaus werden in Abb. 19 dargestellt. Physik 645 Beim Übergang des Elektrons von einem stationären Zustand mit Energie E1 in einen stationären Zustand mit niedrigerer Energie E2 wird ein Photon der Energie En = N. Bohr schlug ein Modell des Wasserstoffatoms vor. Er postulierte, dass die stabilen Bahnen des Elektrons im Wasserstoffatom, d.h. die stationären Zustände des Elektrons, diskrete Energien besitzen: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete man, dass Atome diskrete Lichtlinien unterschiedlicher Farbe emittieren. Die Wellenlängen-Abstände und Intensitäten der Linien sind für jedes chemische Element charakteristisch. 13.7.1 Elektronen in Atomen Es gibt viele andere Anordnungen, bei denen die Energie der stationären Zustände quantisiert ist. wobei n=1,2,3,.. eine Quantenzahl ist. E n = n 2 E1 Mehr Quantisierung 3 Quantenmechanik 2 Elektrons quantisiert war. D.h., die Energie des Elektrons kann nur die folgenden Werte annehmen: 1 Das Beugungsmuster eines Elektronenstrahls. 0 Elektron geladen ist, kann man mit Hilfe von hohen Potentialunterschieden sehr kleine Wellenlängen erreichen. Es ist schwieriger Photonen mit solchen kleinen Wellenlängen zu erzeugen. Figur 18. 13.7 Mehr Quantisierung Im Kap. 13.3.2 haben wir ein Elektron in einem Kasten studiert. Wir haben gesehen, dass als Folge der Randbedingungen, die Energie des Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 646 n=5 n=4 n=3 E 0 –.544 –.850 –1.51 n=2 n=1 –3.40 –13.6 Die Energieniveaus für ein Wasserstoffatom. Quantenmechanik Figur 19. Das niedrigste Energieniveau ist der Grundzustand und ist für ein Wasserstoffatom gleich –13,6 eV. Wenn n nach unendlich geht, Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Mehr Quantisierung nimmt die Energie En den Maximalwert null für ein gebundenes Elektron an. Die Differenz zwischen den beiden Niveaus ist gleich der Energie, die dem Elektron zugeführt werden muss, um es aus dem Atom zu lösen. Diese Energie wird als Ionisierungsenergie bezeichnet. Die vollständige Lösung des Wasserstoffatoms kann mit Hilfe der Schrödinger-Gleichung gewonnen werden. Man nimmt an, dass das Proton, d.h. der Kern des Atoms, sich in Ruhe befindet. e2 1 4πε 0 r Ein Elektron bewegt sich um den Kern mit der kinetischen Energie Ekin=p2/2me und besitzt die potentielle Energie (Siehe Kap. 7.2.5) E pot ( r) = − Wasserstoffatom Es folgt, dass die stationären Lösungen der Schrödinger-Gleichung die folgende Differentialgleichung erfüllen: (Siehe Kap. 13.3.4) r − h2 r 2 r e2 1 r Eφ ( r ) = ∇ φ (r ) − φ (r ) 2m 4πε 0 r n = 1, 2, 3, 4,... Hauptquantenzahl l = 0,1, 2, 3,..., n − 1 Drehimpulsquantenzahl magnetische Quantenzahl m = − l, l + 1,..., 0,..., l − 1, l 647 Die Lösung dieser Gleichung führt zu drei unabhängigen Quantenzahlen, die als n, l und m bezeichnet werden. Diese Quantenzahlen können beim Wasserstoffatom folgende Werte haben: Physik 648 Quantenmechanik wobei E0 = (4πε 0 )2 1 e 4 me ≈ 13, 6eV 2h2 Die Energie des Elektrons hängt nur von der Hauptquantenzahl ab: E0 n2 Mehr Quantisierung = 0, m =0 (a) = 0, m =0 = 0, m =0 (b) top view z (c) top view z = 1, m =0 side view n = 2, ( e) (f top view z = 1, m = –1 side view n = 2, +8 zusätzliche Lösungen = 1, m =1 side view n = 2, (i ) (d) Die entsprechenden Wellenfunktionen sind in Abb. 20 gezeigt. n = 1, n = 2, n = 3, Physik E = –13.6eV En = − Die radiale Abhängigkeit der Wellenfunktion hängt von n ab. Sie bestimmt die Wahrscheinlichkeit, das Elektron in verschiedenen Abständen vom Kern anzutreffen. Die Quantenzahlen l und m entsprechen dem Bahndrehimpuls des Elektrons. Man kann beweisen, dass der Drehimpuls L des Elektrons durch L = l( l + 1) h gegeben ist. D.h., der Drehimpuls des Elektrons ist auch quantisiert! Die magnetische Quantenzahl gibt die Komponente des Drehimpulses in einer bestimmten Richtung an. n = 2, l = 0, m = 0 n = 2, l = 1, m = −1, 0,1 n = 1, l = 0, m = 0 Wir betrachten z.B. die folgenden Lösungen: und und n = 3, l = 0, m = 0 n = 3, l = 1, m = −1, 0,1 n = 3, l = 2, m = −2, −1, 0,1, 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia E = –3.40eV E = –1.51eV (g) h) 649 650 Einige stationäre Zustände des Wasserstoffatoms. Quantenmechanik Figur 20. 1 πa03 e −r /a0 Wir betrachen z.B. den Grundzustand mit n=0, l=0 und m=0. Die Wellenfunktion zeigt eine Kugelsymmetrie, d.h. sie hängt nur vom Abstand r ab: φ ( r) = wobei a0 der sogenannte Bohr-Radius ist. h2 a0 ≡ 4πε 0 ≈ 0, 529 × 10 −10 m me e 2 Die radiale Wahrscheinlichkeitsdichte wird definiert als die Wahrscheinlichkeit dafür, dass man das Elektron in einer Kugelschale mit den Radien r und r+dr findet, dividiert durch dr. Für den Grundzustand ist sie gleich 4 φ 2 ( r) dV = φ 2 ( r)( 4πr 2 ) dr = 3 r 2e −2 r / a 0 dr a0 wobei 4πr2dr das Volumen der Schale ist. Diese Funktion besitzt ein Maximum bei r=a0. Wir sprechen nicht mehr von einer Bahn, die das Elektron um den Kern beschreibt. Man hat eine Wahrscheinlichkeit von 90%, das Elektron innerhalb einer Kugel mit Radius 2.7a0 zu finden. Die Frage nach der Grösse des Wasserstoffatoms ist deshalb nicht sehr einfach zu beantworten. Wir können nun den ersten angeregte Zustand (d.h. mit n=2) des Wasserstoffatoms betrachten. Die Drehimpulsquantenzahl kann zwei verschiedene Werte annehmen: l=0 oder 1. Wenn die Zahl verschieden von null ist, besitzt das Elektron einen Bahndrehimpuls. Seine Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Mehr Quantisierung top z n = 2, z = 1, m =0 top side z n = 2, L z = 1, m = –1 Komponente entlang einer bestimmten Richtung wird durch die magnetische Quantenzahl m gegeben. L L side Wellenfunktionen der ersten angeregten Zustände. z = 1, m =1 Siehe Abb. 21. top z n = 2, side Figur 21. 13.7.2 Rotation und Vibration von Molekülen 651 Im Kap. 8.8 haben wir die Wärmekapazitäten von Gasen und Festkörpern studiert. Physik 652 Quantenmechanik In niedrigen Temperaturbereichen konnten die Rotation und Schwingung von Gasmoleküle nicht angeregt werden. Die Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade existieren nicht, sie sind eingefroren. 2 1 (I ω ) = L2 = l(l + 1)h2 I ω2 = ∆ 2 ∆ 2I∆ 2I∆ 2I∆ l = 0,1, 2,... Wir können dieses Ergebnis durch die Quantisierung des Drehimpulses erklären. Die Rotationsenergie eines Moleküls kann mit Hilfe seines Trägheitsmoments ausgedrückt werden (Siehe Kap. 10.2.2): E Rot = l = 0,1, 2,... wobei l die Quantenzahl des Drehimpulses ist. Diese Gleichung entspricht verschiedenen Rotationsenergieniveaus E Rot ( l) = Bl( l + 1) wobei B eine charakteristische Rotationsenergie des Moleküls ist. Das Energieniveau mit l=1 entspricht der niedrigsten Rotationsenergie, bei der das Molekül rotiert. Wenn die Temperatur T so klein ist, dass kT << E Rot ( l = 1) = 2 B wobei k die Boltzmann-Konstante ist, kann das Molekül nicht rotieren! wobei ω = k / m Eine ähnliche Situation gilt auch für die Schwingung des Moleküls. Die Lösungen der Schrödinger-Gleichung für einen einfachen harmonischen Oszillator (Siehe Kap. 4.1.4) ergeben die Energieniveaus 1 EVib = n + hω 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das EPR-Paradoxon wobei n=0,1,2,... die Schwingungsquantenzahl ist. Für den Übergang zwischen den Schwingungszuständen muss man mindestens die Energie hν zuführen. Ein typischer Wert für ein Molekül ist hν≈0,1 eV. Zum Vergleich ist bei Zimmertemperatur kT≈0,02 eV, und die Schwingung des Moleküls kann nicht angeregt werden. 13.8 Das EPR-Paradoxon Im Jahre 1935 haben Einstein, Podolsky und Rosen ein Gedankenexperiment vorgeschlagen. Sie betrachteten ein System, das aus zwei Photonen besteht. γ Quelle γ2 Zwei Photonen werden gleichzeitig von einer Quelle emittiert. 1 Die experimentelle Anordnung ist die folgende: eine Quelle emittiert gleichzeitig und in entgegengesetzen Richtung zwei Photonen. Figur 22. Wir sind an der Polarisation der Photonen interessiert. Wir haben in Kap. 12.5 gesehen, dass elektromagnetische Wellen polarisiert sein können. 653 Die Polarisation muss einem internen Freiheitsgrad des Photons entsprechen. Wir sagen, dass Physik 654 Quantenmechanik die Polarisation der Welle dem Spin J der Photonen entspricht. Weil es zwei unabhängige mögliche Polarisationen einer elektromagnetischen Welle gibt (d.h. z.B. vertikale oder horizontale Richtungen), kann der Spin des Photons nur zwei unabhängige Werte annehmen. Der Spin wird als ein Vektor betrachtet, der nur in Bewegungsrichtung oder in entgegengesetzer Bewegungsrichtung des Photons zeigen kann! Bewegungsrichtung z z Spin Jz=+1 Bewegungsrichtung Spin Jz=–1 oder J z = −1 Der Spin des Photons kann in zwei unabhängige Richtungen Siehe Abb. 23. γ γ Figur 23. zeigen. Diese Richtungen werden als J z = +1 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das EPR-Paradoxon bezeichnet. Wenn ein Photon von der Quelle emittiert wird, nehmen wir an, dass sein Spin in einer beliebigen Richtung zeigen kann (in Wirklichkeit gibt es Regeln, die den Spin bestimmen). D.h., die entsprechende elektromagnetische Welle ist nicht polarisiert. Wenn zwei Photonen gleichzeitig emittiert werden, können ihre Spins auch in einer beliebigen Richtung zeigen. Diese Spins sind aber korreliert! D.h., es gibt nur eine Wellenfunktion, die beide Photonen und ihren Spin beschreibt: r r ψ ( r1, J z1, r2 , J z 2 , t) wobei r die Ortsvektoren und Jz1, Jz2 die Spins der Photonen sind. Wir nehmen an, dass sich beide Photonen durch den Raum bewegen werden, und dass nach einer gewissen Zeit t, d.h., in einem Abstand d=ct, die Polarisation eines der Photonen gemessen wird. Der Spin eines Photons wird immer als +1 oder –1 gemessen. D.h. der Spinvektor zeigt immer in die Bewegungsrichtungs des Photons oder in entgegengesetzter Richtung dazu. Wenn das Photon nicht polarisiert ist, ist die Wahrscheinlichkeit, das Photon in einer gegebenen Spinrichtung zu beobachten, gleich 50%. In 50% der Fälle wird der Spin in die Bewegungsrichtung gemessen, und in den anderen 50% der Fälle wird er in entgegengesetzter Richtung gemessen. 655 Wenn wir den Spin des Photons messen, wird der Teil der Wellenfunktion, der den Spin beschreibt, kollabieren. D.h., nach dem Nachweis Physik 656 Quantenmechanik ist die Richtung des Spins bestimmt, und die Wellenfunktion muss deshalb dieser Richtung entsprechen. Wir betrachten nun die Messung des Spins beider Photonen. Jeder Spin kann als +1 oder –1 gemessen werden. Nun haben wir gesagt, dass beide Photonen, die gleichzeitig emittiert werden, korreliert sind. Eine einzige Wellenfunktion beschreibt beide Photonen. D.h. die Messung eines Photons wird den Zustand des anderen Photons beeinflussen! Dieser Einfluss ist spontan und wirkt immer, auch wenn die Photonen sehr weit voneinander entfernt sind. Man sagt, dass die Quantentheorie nicht lokal ist, d.h. die Messung in einem bestimmten Ort des Raumes kann die Beobachtung in einem anderen, a priori sehr entfernten Ort, spontan beeinflussen. Dass eine solche nicht-lokale Wirkung tatsächlich existiert, wurde vor kurzem noch einmal experimentell bewiesen. Siehe Abb. 24. In diesem Experiment wurden die nicht-lokalen Quantenkorrelationen zwischen Photonen mit einem Abstand von 10 km nachgewiesen! Zwei Infrarot-Photonen werden erzeugt und durch optische Glasfasern ungestört in sehr entfernte Bereiche gebracht. Die experimentellen Resultate sind in ausgezeichneter Übereinstimmung mit der Theorie! Dies besagt, dass die Wellenfunktion beider Photon wirklich dieselbe ist. Die Photonen bewegen sich mit beiden Spinzuständen bis einer Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Das EPR-Paradoxon der Spins gemessen wird. Die Wellenfunktion kollabiert dann spontan und beeinflusst den Spin des anderen Photons. Dies passiert spontan, unabhängig von der Entfernung zwischen beiden Photonen. r se La P R+R-- R++ R-+ km 4.5 & k 8.1 nel han mc ntu qua m FL 9.3 km ch an ne l 7.3 km qu an tum KNbO3 Genev a Bell evue δ1 APD1 + classicalchannels δ2 APD2 + Bernex APD2- APD1 - Das sogenannte EPR-Paradoxon ist kein Widerspruch! Physik 657 Figure 1 . Schematic setup to demonstrate quantum correlations : pairs of correlated photons are produced in Geneva and each of the twins routed through a Swisscomfiber-optic network to analyzerslocated in the villages of Bernexand Bellevue,respectively.The results of the measurements are retransmitted to Geneva, revealing the nonlocal quantum correlations. 10.9 km 658 Quantenmechanik Figur 24. Das Experiment von Genf, um die Existenz von nicht-lokalen Quantenkorrelationen zu beweisen. 13.9 Eine weitere Unschärferelation Nach de Broglie hängt die Frequenz eines Teilches mit der Energie über die Beziehung E = hω wobei k = p / h und ω = p2 2 mh zusammen. Wenn wir nun eine harmonische Welle betrachten, sehen wir dieselbe Symmetrie zwischen Ortsvektor und Wellenvektor wie zwischen Kreisfrequenz und Zeit: ψ ( x, t) = Ae i( kx −ωt ) h 2 Heisenbergsche Unschärferelation Diese Symmetrie führt zu einer zusätzlichen Unschärferelation für die Energie und die Zeit: ∆E∆t ≥ D.h., es ist unmöglich die Energie E während eines Zeitintervalls ∆t mit einer Genauigkeit kleiner als ∆E, zu messen. Wenn wir sehr kurze Zeitintervalle betrachten, können wir nicht mehr sagen, ob die Energie wirklich erhalten wird, weil es nicht mehr möglich ist, die Energie mit unendlicher Genauigkeit zu definieren. Man kann sagen, dass die Energie eines Systems nicht erhalten werden muss, solange wir die Verletzung der Energieerhaltung nicht Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Eine weitere Unsch rferelation messen können! D.h., die Energieerhaltung kann während sehr kurzen Zeitintervallen verletzt werden. h h ≈ 2 ∆E 2( M 0c 2 ) Eine interessante Folge ist, dass das Vakuum nicht wirklich “leer” ist. Es wirken sogenannte Quantenfluktuationen des Vakuums, bei denen Elementarteilchen aus dem Vakuum während sehr kurzen Zeitintervallen erzeugt werden. Die Erzeugung dieser Teilchen der Gesamtmasse M0 würde im Prinzip zu einer Verletzung der Energieerhaltung führen. Wenn diese Teilchen nur während dem Zeitintervall ∆t leben und sich nacher vernichten, wobei ∆t ≈ gilt, kann diese Verletzung der Energieerhaltung nicht bemerkt werden. 659 Solche Effekte wurden experimentell nachgewiesen, und sie beweisen noch einmal, dass die Konzepte der Quantentheorie eine richtige Beschreibung der Natur ergeben. Physik 660 Quantenmechanik Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia