INTERVIEW Scheidung im Alter 65 kann sich lohnen Der individualistische Einfluss unserer Gesellschaft reicht heute so weit, dass die Rente an unverheiratete Lebenspartner fallweise aus­ gelegt wird. Dass Konkubinatspartner in den Genuss von Leistungen kommen, ist an sich lobenswert. Die Besserstellung eines unver­ Interview mit Daniel Andris Leiter Leistungskoordination der Mobiliar «Idealerweise sollte ein für alle Mal der Konkubinatsstatus definiert werden, da das Gesetz verheiratete Paare wirklich nicht gerecht behandelt.» heirateten Lebenspartners gegenüber eines verheirateten allerdings bewegt sich am Rande der Legalität. Die Einführung eines echten Konkubinatsstatus, der von Grund auf neu zu definieren ist und nicht durch einfaches Kopieren-Einfügen der für Ehen geltenden Bestimmungen erreicht wird, hat oberste Priorität, meint Daniel Andris. Heute spricht man immer wieder von der «Heiratsstrafe» bei der Rentenberechnung. Eine Lösung wäre also die Leute zu ermutigen, sich mit Eintritt ins Rentenalter scheiden zu lassen? Immer häufiger werden sie mit der Realität des Konkubinats konfrontiert. Wir sollten die Dinge deshalb beim Namen nennen. Ohne gesetzliche Verpflichtung und nur gestützt auf die Fürsorgepflicht sowie auf die Tatsache, dass das klassische Fami­ lienbild keine immerwährende Norm dar­ stellt, gleichen gewisse Kassen die Lücken einer von einer veränderten Moralauffas­ sung überholten Gesetzgebung aus. Und in einigen Fällen fällt diese Interpretation zu Ungunsten verheirateter Paare aus, ins­ besondere von Frauen. Dahinter steckt doch aber ein guter Wille? Natürlich, und es ist sogar lobenswert, dass die Pensionskassen mit der Zeit ge­ hen und unverheirateten Lebenspartnern die bestmöglichen Leistungen gewähren. Diese Vorgehensweise wird allerdings dann problematisch, wenn Konkubi­ natspartner besser gestellt werden als verheiratete Personen. Werfen Sie der Branche damit vor, gegen die Heirat zu sein? Ich würde eher dem Gesetzgeber den Vor­ wurf machen, dass er nicht mit der Ent­ wicklung Schritt gehalten hat. Gesamthaft gesehen, machen die Kassen ihre Sache gut. Sie gehen sogar weiter als andere Akteure in der Gesellschaft, doch werden sie früher oder später entweder durch ­fehlende Finanzmittel oder aber durch den Druck verheirateter, von den Gesetzen ­direkt betroffener Paare zur Ordnung ge­ rufen. Denn manchmal werden Regeln auf der Grundlage konkreter Einzelfälle auf­ gestellt, ohne dass die gesamthaften Kon­ sequenzen bedacht wurden. Zum Beispiel? Bei einer Scheidung, also zu Beginn des Leistungsanspruchs zweier verheirateter Partner wird zur Leistungsberechnung der AHV-Bezüge das Splitting-Verfahren heran­ gezogen. Beim BVG beschränkt sich das Splitting auf den Scheidungsfall. Diese Ver­ fahren wurden eingeführt, um die Renten von Frauen mit geringen Einkommen auf­ zuwerten. Umgekehrt jedoch erhält ein verheiratetes Ehepaar bei Erreichen des Rentenalters monatlich höchstens 3420 Franken aus der AHV, während es bei einer Scheidung auf 4560 Franken kom­ men kann. Der Staat muss sich dringend mit den Finanzfragen der AHV auseinander­ setzen, welche die wachsende Zahl an Kon­ kubinatspartnerschaften beziehungsweise die moderne Polygamie aufwirft. Moderne Polygamie? Ich werde es Ihnen erläutern. Ein Versi­ cherter stirbt. Er war in erster Ehe verhei­ ratet und Vater, liess sich dann scheiden, und heiratete erneut eine Frau, mit der er keine Kinder hatte, bevor er sich von die­ ser trennte, um ohne Trauschein mit einer Frau zusammenzuleben, mit der er ein oder mehrere Kinder hatte und die nun al­ leine zurückbleibt. Wer sollte nun Ihrer Meinung nach die Witwenrente bekom­ men? Die, die sie am dringendsten benö­ tigt, weil sie für die Kinder aufkommen muss, oder die, die alleine und ohne Fami­ lienbelastung immer noch über den Status einer verheirateten Frau verfügt? Unter rein administrativen Gesichtspunkten kann man hier durchaus von einer neuen Form der Polygamie sprechen, selbst wenn die Situation sozial betrachtet eindeutig ist. Per Definition soll das AHV-Gesetz den Überlebenden, die direkt vom Wegfall des Familienversorgers betroffen sind, Finanz­ mittel bereitstellen. Im geschilderten Fall Schweizer Personalvorsorge . Prévoyance Professionnelle Suisse INTERVIEW hingegen, der übrigens gar nicht so selten eintritt, wird die gerechte Rentenzuwei­ sung problematisch. In wieweit sind die Kassen schuld? Sie sind nicht nur «nicht schuld», sondern sie werden versuchen, den unverheirate­ ten Lebenspartner in angemessener und praxisgerechter Weise als Bezugsberech­ tigten zu behandeln. Damit gehen sie über die gesetzliche Verpflichtung hinaus, denn sie berücksichtigen die gesellschaftliche Entwicklung und den verstärkten Trend zu Individualität. Der Gesetzgeber ist zeitlich also stark in Verzug? Gewisse Vorkehrungen lassen eigentlich das Gegenteil vermuten: Am 1. Januar 2005 wurden die Mindestanforderungen herabgesetzt, die es einem Konkubinats­ partner ermöglichen, bevorzugter Begüns­ tigter der 2. und 3. Säule zu sein (Art. 20a, BVG). In der Rechtsprechung hat sich ein Urteil des Bundesgerichts kürzlich mit den Rechten nicht zusammen wohnender Kon­ kubinatspartner befasst. Darüber hinaus könnte man ein aktuelles Projekt im Schweizerischen Zivilgesetzbuch hinsicht­ lich der elterlichen Sorgepflicht von nichte­ helichen Lebenspartnern, oder auch die Streichung des gesetzlichen Anteils von Brüdern und Schwestern zwecks testa­ mentarischer Besserstellung des nicht­ ehelichen Lebenspartners vom 1. Januar 1988 (Art. 471 ZGB) anführen. Hinzu kom­ men die Praxis der kantonalen Behörden und Urteile, in denen versucht wird, die Erbschaftssteuer für unverheiratete Le­ benspartner abhängig von der Dauer des Zusammenlebens sowie unter Berück­ sichtigung besonderer Umstände herab­ zusetzen. Wo liegt dann das Problem? Das Problem erwächst aus der Tatsache, dass sich der Gesetzgeber nicht mit der Konkubinatsfrage in ihrer Gesamtheit aus­ einandersetzt. Trotz der 2009 in Kraft ge­ tretenen Eilmassnahmen für die Bundes­ steuern besteht weiterhin ein Unterschied zu Ungunsten erwerbstätiger Ehepaare. Was geschieht mit der Sorgepflicht? Bei den Leistungsansprüchen wird das Konku­ binat nicht unter dem Gesichtspunkt «Kin­ der» behandelt. Männer und Frauen sind nicht gleichgestellt. Da sie gegenüber dem Ehegatten kein Individualrecht auf Gleichbehandlung hatten, wurde für Frauen das Splittingverfahren eingeführt, um die Gleichstellung von Mann und Frau zu ge­ währleisten. Daraus entsteht jedoch ver­ heirateten Paaren ein Nachteil gegenüber unverheiratet zusammenlebenden Paaren. Wenn es um die Entscheidung von Leis­ tungen an unverheiratete Lebenspartner geht, muss man gleichzeitig auch an die Situation der anderen Witwen und Witwer denken, geschieden oder nicht, mit oder ohne Kinder, sowie an Einelternfamilien oder Patchwork-Familien. Vom Gesetz her sind die Kassen in ihrer Auslegung frei, so lange sie die gesetzlichen Mindestanforde­ rungen erfüllen. In der Praxis jedoch geht ihre Grosszügigkeit manchmal zulasten verheirateter Paare. Schweizer Personalvorsorge . Prévoyance Professionnelle Suisse Wie sieht Ihre Empfehlung aus? Es gibt keine Patentlösung. Die Rente für den unverheirateten Lebenspartner ist nicht obligatorisch, sie bleibt eine Option, über die die Kassen frei entscheiden kön­ nen. Idealerweise sollte ein für alle Mal der Konkubinatsstatus definiert werden, da das Gesetz verheiratete Paare wirklich nicht gerecht behandelt. Und die Finanz­ mittel der Kassen sind durchaus begrenzt. Sie können die Ungerechtigkeiten nicht endlos durch Grosszügigkeit kompensie­ ren, die über ihre Verpflichtungen hinaus­ gehen. Eine ähnliche Lösung also wie im Falle des PACS in Frankreich (ziviler Solidaritätspakt)? Nein, denn der Status unverheiratet zu­ sammenlebender Paare wurde einfach von dem verheirateter Paare kopiert. Es wurde einfach das, was die Gesellschaft für hete­ rosexuelle Partnerschaften vorsieht, für gleichgeschlechtliche Partner abgeän­ dert. Im Falle des Konkubinats muss man jedoch von Null beginnen und alles neu definieren … zweifellos ein schwindelerre­ gendes Unterfangen. Doch es wird gelin­ gen müssen. Denn die Kassen werden das, was sich als Zweitregelung durchge­ setzt hat, nicht ewig durch ihre Ausnahme­ regelungen kompensieren können. Besten Dank für das Gespräch. n Interview: Peter Schnider