Forum für integriertes Diabetesmanagement Offizielles Organ: VDBD, BVKD, VDOE www.diabetologie-online.de SONDERDRUCK Mit bot leben schulen: innovativ, einfach, sicher Sonderdruck aus Diabetes Forum (2013) Nr. 9, S. 41-45/Nr. 10, S. 42-43, © Kirchheim-Verlag Mainz MEDIZIN Schulung Mit bot leben schulen: innovativ, einfach, sicher Endlich ein Schulungsprogramm für die BOT: bot leben bietet Patienten und Schulenden viele Vorteile Innovation Viele Diabetiker steigen mit der BOT in die Insulintherapie ein. Bisher gab es dafür kein eigenständiges Schulungsprogramm. Diese Lücke schließt bot leben: Es ist sofort einsetzbar, nimmt dem Patienten die Angst vor Insulin und seine Module funktionieren in Praxis und Klinik. D Text: Dr. Stephan Kress, Dr. Helmut Anderten und das Autorenteam der Initiative bot leben*. 2 er erstmalige Beginn einer Insulintherapie stellt für viele Patienten und Therapeuten eine Herausforderung dar (1). Unmittelbar sind wichtige Kenntnisse zur Insulintherapie nötig, und oft müssen praktische Fertigkeiten erlernt werden. Viele Patienten haben Bedenken und Barrieren dieser Therapie gegenüber (2, 3). Mittlerweile hat sich in der Praxis die basalunterstützte orale Therapie (BOT) als idealer Einstieg in die Insulintherapie durchgesetzt (4). Sie zeichnet sich im Vergleich zu anderen Insulinregimen durch | Diabetes-Forum 9/10/2013 eine hohe Effektivität beim Erreichen individueller Blutzuckerziele aus (5-9). Dabei werden nur geringe Gewichtszunahme- und Hypoglykämieraten beobachtet, und sie bietet mit dem Erreichen guter bis sehr guter Blutzuckerwerte einen effektiven Schutz vor Folgeerkrankungen (6, 9, 10). Für den Patienten ist die BOT einfach beherrschbar, der therapeutische Aufwand ist gering, und sie bietet eine hohe Flexibilität im Alltag. Darüber hinaus benötigt sie nur sehr wenige BZ-Kontrollen und ist daher zusätzlich ökonomisch sehr günstig (11). Von EASD und ADA empfohlen, durch Origin bestätigt Im neuen Positionspapier von EASD und ADA wird die BOT folgerichtig vor allen anderen Insulinstrategien empfohlen (12). Die Sicherheit einer stabilen Stoffwechseleinstellung über sieben Jahre und Alltagstauglichkeit ist nur für dieses Insulinregime in der Endpunktstudie ORIGIN bisher bestätigt worden. Effektivität und Sicherheit sind wichtige Erkenntnisse aus ORIGIN (13, 14). Vor bot leben: kein Schulungsprogramm für BOT! Für dieses Insulinregime BOT, das schon 2007 mit 53,6 % über die Hälfte der Insulinbehandlungen beim Beginn einer Insulinbehandlung in Deutschland ausmachte, gab es bislang noch kein eigenständiges Schulungsprogramm (4). Auch fehlte bisher ein Schulungsprogramm, das sofort und ohne Zeitverzögerung einsetzbar ist. Schulungsprowww.diabetologie-online.de Schulung MEDIZIN gramme für das Krankenhaus oder Programme, die sektorenübergreifend einsetzbar waren, gab es ebenfalls nicht. Und genau diese Lücke schließt das neue, sektorenübergreifende und modular aufgebaute Schulungsprogramm bot leben. sensvermittlung und dem Erreichen von Stoffwechselzielen keine Vorteile bietet (19, 20). Mit einer Gruppenschulung spart man allerdings im Vergleich zur Einzelschulung die Hälfte an Personalressourcen (19). Eine strukturierte Schulung ist bisher nicht die Regel Die Schulung hilft, die Angst Nach einer Auswertung von DMPzu überwinden Daten in Nordrhein haben nur ca. Die Notwendigkeit und der Beginn 68 % der Menschen mit Typ-2-Diaeiner Insulintherapie sind für den betes, die vor 2008 im DMP eingePatienten eine enorme Belastung schrieben waren, an einem struktuund stellen oftmals einen schwe- rierten Schulungs- und Behandlungsren Einschnitt im Leben eines Men- programm teilgenommen (21). Ohne schen mit Diabetes dar. Unsicher- Schulung verwundert es nicht, dass heit, Angst und Wut mischen sich trotz der nachgewiesenen Vorteile ei(2, 15, 16). ne Insulintherapie zu spät oder gar Eine Schulung hilft dem Pati- nicht begonnen wird. Diese Zurück- Die Initiativgruppe bot leben – ein enten, seine negativen Gefühle zu haltung betrifft sowohl den Arzt als multiprofessionelles Autorenteam überwinden (17). Erst, wenn der auch den Patienten. Oftmals haben aus erfahrenen Diabetologen, DiPatient seine Bebeide schlicht un- abetesberaterinnen, Psychologen, denken als gegenzureichende Vor- Pädagogen, Statistikern, Studien„Mit bot leben stellungen von der planern und Betriebswirten – hat standslos erlebt, kann die Schulung Wirkung, den Ne- das Schulungsprogramm bot leben ist ein bewussim Krankenhaus benwirkungen und aus der Kenntnis genau dieser Probtes und nachhalder Komplexität lematik und der eigenen Erfahrung tiges Vertrauen in beginnen und in die Richtigkeit seides Behandlungs- heraus entwickelt. Ihr Ziel war, das der Praxis fortgener Entscheidung, regimes (15, 16). Leben für Patienten und Behandelnsetzt werden.“ Überzeugung und Eine struktu- de beim Beginn einer InsulintheraMotivation für die rierte Schulung so- pie zu erleichtern und die ErgebInsulintherapie möglich. Diese ist fort zu Beginn einer Insulintherapie nisse der Therapie zu verbessern. wichtig, denn 99 % seiner Zeit muss ist bislang nicht die Regel. Dieser ein Mensch mit Diabetes ohne Be- Missstand wird auch in der neuen Aufbau und Ablauf Nationalen Versorgungsleitlinie be- von bot leben treuung auskommen (18). nannt (22). Immerhin brechen 20– 47 % der Patienten eine Insulinthe- bot leben macht den Einstieg in die Gruppenschulung schont rapie durchschnittlich nach 5 Jahren Insulintherapie einfach und sicher. Personalressourcen ab, wohl weil es nicht gelungen war, ⧫ bot leben ist zeitlich flexibel, Der sachgerechte Beginn einer In- den Patienten in seiner Therapie siweil die Basisschulung als Einsulintherapie ist in der Praxis zeit- cher zu etablieren (23, 24). zelschulung jederzeit – auch im aufwändig und bedarf einer guten Krankenhaus – gestartet werden Organisation. Manchmal wartet der Multiprofessionelles Autokann. Es ist somit ein schnelles Patient bis zu drei Monate auf seine renteam entwickelt bot leben Angebot für den Patienten nach Gruppenschulung, die zudem sein Problem oftmals nur am Rande beBlitzlicht Wiederholung Abschluss handelt. So lange wäre der Patient (Schnittstelle zu (Vertiefung (Insulinevtl. unsicher, ängstlich mit sich und weiteren praktischer führerschein) seiner neuen Therapie sowie potenSchulungsFertigkeiten) ziellen Risiken weitestgehend allein programmen) gelassen. Insulin-Neueinstellungen werden in der Praxis daher überwiegend als zeitaufwändige Einzelschulung durchgeführt. Dabei Kernthema (Vertiefung des Grundlagenmoduls) zeigen mehrere Arbeiten, dass eine Einzelschulung im Vergleich zur Gruppenschulung bezüglich der Wiswww.diabetologie-online.de Abb. 1 : Aufbau des bot leben-Programms mit seinen variabel einsetzbaren Modulen. Abb. 2: Aufbau der Gruppenmodule: Jedes der Module 2 bis 4 ist nach derselben Grundstruktur aufgebaut. Diabetes-Forum 9/10/2013 | 3 MEDIZIN Schulung Teilnehmer wichtig und was nehmen sie sich bis zum nächsten Treffen vor“. Drei Kernbotschaften als Zusammenfassung und eine „Take home message“ schließen jede Unterrichtseinheit ab. Abb.3: Im Insulinführerschein werden Anliegen, Wünsche und offene Fragen dokumentiert. Zentral: der Insulinführerschein der Indikationsstellung durch den Arzt. ⧫ bot leben besteht aus vier in sich geschlossenen Modulen von jeweils 60 Minuten Schulungszeit (Abb. 1). Mit dem Programm kann sektorenübergreifend geschult werden, d. h. es kann im Krankenhaus begonnen und in der ambulanten Praxis weiter geschult werden. instrument, den Insulinführerschein, eingetragen. Danach wird der Patient an den weiterschulenden Mitarbeiter übergeben, der nun die wichtigsten Grundlagen vermittelt. Insulininjektion und Blutzuckermessung werden gezeigt und praktisch durchgeführt, und es wird grundlegend über Symptome und Behandlung der Hypoglykämie informiert. Dafür stehen ein Tisch-Flipchart und 45 Minuten Zeit zur Verfügung Modul 1 Die Schulung beginnt immer mit Modul 1 und einem Arztgespräch Module 2 bis 4 von ca. 15 Minuten. Dabei wird dem Die Module 2 bis 4 sind in sich gePatienten auf der Basis gemessener schlossene Unterrichtseinheiten, die Blutzuckerwerte erklärt, warum ei- als Gruppenschulung konzipiert und ne BOT die für ihn empfohlene The- in der Reihenfolge variabel sind (Parapie ist. ternoster-Prinzip). Die Module 2 bis Die Vorteile und Chancen sowie 4 ist nach derselben Grundstruktur das Therapieschema einer BOT wer- aufgebaut (Abb. 2). den erklärt. Im RahJedes Modul bemen einer ergebnisinhaltet eine kurze „Die Module 2 bis offenen Beratung Wiederholung mit 4 sind als Grupder Überprüfung wird die mögliche und Vertiefung der Ambivalenz des penschulung Patienten beim Begelernten praktikonzipiert und in ginn einer Insulinschen Fertigkeiten der Reihenfolge (Training der Intherapie themativariabel.“ sulintherapie und siert. Dafür kommen Mut- und Sorder Blutzuckergenkarten zum Einsatz. Der Patient messung) und einen Erfahrungsaussoll damit seine Gründe, die für und tausch hinsichtlich des Erlebens der gegen eine Insulintherapie sprechen, Therapie im Alltag. Im Schulungsteil konkret benennen. Der beratende Blitzlicht werden Schnittstellen zu Arzt wird dann die Sorgen wegen weiterführenden Schulungsprogramdes Insulinspritzens ernst nehmen men aufgezeigt. und im Gespräch relativieren. Schon Die Kernthemen „Im Alltag zudurch das Ernstnehmen der Sorgen rechtkommen“, „Fit für die Insulinkann sich die Motivation für Insulin therapie – das kann ich auch“, und verstärken. Durch die Besprechung „Unterzuckerungen erkennen und beider Seiten, dem Für und Wider, vermeiden“ vertiefen die Inhalte fällt es dem Patienten leichter, eine des Grundlagen-Moduls und festibewusste Entscheidung für Insulin gen die praktischen Fertigkeiten. Der zu treffen. Seine Beweggründe wer- Abschluss jeden Moduls besteht aus den in das zentrale Kommunikations- einer Reflexion: „Was war für die 4 | Diabetes-Forum 9/10/2013 Als zentrales Instrument der Kommunikation dient der Insulinführerschein (Abb. 3). In ihm werden die Teilnahme an den einzelnen Schulungsmodulen, aber auch Anliegen, Wünsche und offene Fragen dokumentiert. Dies dient der erfolgreichen Übergabe an den nächsten Schulenden. Und es werden Doppelschulungen vermieden. Am Ende des Schulungsprogramms ist der Patient gerüstet für den Alltag mit der Insulintherapie und bekommt als Zertifikat „seinen“ Führerschein für die Insulintherapie. Die bot leben-Philosophie bot leben ist sofort einsetzbar und holt den Patienten da ab, wo er steht – sofort und ohne Zeitverzögerung. Dem Patienten werden die Vorteile und die Notwendigkeit einer Insulinbehandlung erläutert. Seine individuellen Sorgen, Ängste und Bedenken werden mit Mut- und Sorgen-Karten bearbeitet, so dass ihm seine bewusste Entscheidung für die Therapie erleichtert wird. Das Üben von Selbstmessung, PenUmgang, Nadelwechsel und Insulininjektion geben ihm Sicherheit und Zuversicht und machen ihn fit für die Insulintherapie im Alltag. Die anschließend gemachten positiven Erfahrungen mit der Insulintherapie in seinem täglichen Leben bestärken ihn, die notwendige Insulintherapie fortzusetzen. Sektorenübergreifend einsetzbar bot leben ist örtlich flexibel, weil der Beginn sowohl im Krankenhaus, beim Hausarzt als auch in der Schwerpunktpraxis stattfinden kann. Der modulare Aufbau des Schulungsprogramms ermöglicht www.diabetologie-online.de Schulung MEDIZIN eine reibungslose Übergabe bzw. Weiterleitung zwischen Klinik, Hausarztpraxis und Schwerpunktpraxis. Auf diese Weise ist eine konkrete und praktikable Form für sektorenübergreifende Zusammenarbeit sichergestellt. Verbesserung im ambulanten Sektor ⧫ bot leben kann die Zusammenarbeit von Hausarztpraxen untereinander oder mit einer Diabetesschwerpunktpraxis fördern. Praxen können sich zusammenschließen und nach Absprache jeweils Teilbereiche des Schulungsprogramms in einem Netzwerk anbieten; z. B. Praxis A schult Modul 2, Praxis B schult Modul 3, Praxis C schult Modul 4. Der Insulinführerschein gibt Auskunft über die noch notwendige Schulung und dient als Kommunikationsinstrument zwischen den Schulungspraxen. Es ist somit ein ideales Programm für alle DMP-Ärzte und Schulungsvereine. ⧫ Nach einer Train-the-TrainerAusbildung kann bot leben von diabetesinteressierten und durch das Trainingsprogramm qualifizierten Arzthelferinnen oder Krankenschwestern, Diabetesassistentinnen oder -beraterinnen geschult werden. Auch in Regionen mit schlechter diabetologischer Versorgung können Patienten so sicher, einfach und qualifiziert auf eine BOT eingestellt werden. In diabetologisch schlecht versorgten Gebieten wird die diabetologische Kompetenz gestärkt. ⧫ Ein großer Vorteil ist die enorme Einsparung von Personalzeit durch die Gruppenschulungsmodule. Aber auch das Einzelschulungsmodul spart Zeit durch seine strukturierte Flipchart-Schulung statt einer freien Einweisung auf eine Insulintherapie. Als erstes Programm auch ideal im Krankenhaus einsetzbar ⧫ bot leben kann aufgrund seiner Struktur ideal im Krankenhaus www.diabetologie-online.de eingesetzt werden. Im Rahmen ⧫ Geschulte Patienten benötigen einer zurzeit laufenden Evaluim Allgemeinen keine kurzfrisierungsstudie wird bot leben tige Wiederaufnahme in die Kliauch im Krankenhaus evaluiert. nik wegen Hyperglykämie oder ⧫ Derzeit gibt es nur wenige KliniHypoglykämie, was, bezogen auf ken, die eine Diabetesschulung die DRG-Abrechnungssystematik, unter stationären oder teilstatiauch im wirtschaftlichen Interesonären Bedingungen durchfühse der Klinik ist. ren. Dabei stellt die Diabetesschulung einen wichtigen Punkt Zusammenfassung im Kontakt zwischen Diabetologe und Patient dar und ist ele- bot leben ist ein einfacher und simentar für die Ausbildung zum cherer Einstieg in die Insulintherapie. Es ist eine konkrete und praktiDiabetologen. ⧫ Die Diabetesschulung ist auch kable Form für sektorübergreifende ein Pflicht-Item für die Zertifizie- Zusammenarbeit. rung zur Diabetesklinik. Es gibt bot leben hilft, die Patienten dafür zwar verschlüsselbare Pro- strukturiert und zeiteffizient zu zeduren, aber im Klinikentgelt- schulen. Es ist ein schnelles Schusystem wird die Schulung derzeit lungsangebot für den Patienten nach nicht vergütet. Somit fehlen mo- der Indikationsstellung durch den mentan Anreize für Klinikver- Arzt und arbeitet konsequent nach waltungen, in dieses Segment zu dem Paternoster-Prinzip, es gibt also investieren. keine feste Reihen⧫ Es gibt für die folge in den Modu„bot leben kann len 2 bis 4 und keiEinweisung in ideal im Krankendie Insulintherane festen Gruppen. haus eingesetzt Es liefert konkrete pie immer weniger Zeit. Einige Andockstellen zu werden und wird Kliniken delegiebestehenden Schuderzeit im Kranren die notwenlungsprogrammen. kenhaus evaluiert.“ dige InsulineinDas neue Schulungsprogramm stellung daher in den ambulanten Sektor. Durch bot leben (Schulungskoffer und ein interessiertes Schulungsteam Verbrauchsmaterial) ist seit Mai können mit bot leben in der Kli- 2013 über www.kirchheim-shop. nik die Stationsschwestern beim de oder unter der Telefonnummer Beginn einer Insulintherapie ent- 07 11/66 72-19 74 erhältlich. lastet werden und die Diabetespatienten ressourcensparend in Gruppenschulungen nach dem Paternoster-Prinzip geschult werden. Nach dem Modul 1 können die anderen Module an festen Tagen und zu festen Zeiten angebo- Die ausführliche Literaturliste ten und abgehalten werden. finden Sie auf Seite 8. i i Autor Korrespondenz für das Autorenteam bitte an: Dr. Stephan Kress Vinzentius-Krankenhaus, Landau E-Mail: diabetes@ vinzentius.de *Autorenteam der Initiativgruppe bot leben (in alphabetischer Reihenfolge) Dr. Helmut Anderten (Diabetologe, Hildesheim), Dr. Peter Borchert (Psychologe, Vorstand der AG Diabetes und Sport der DDG, Augsburg), Dipl. Psych. Susan Clever (Psychologin Psychotherapeutin/Psychodiabetologie, Hamburg), Eva-Maria Feidt (Diabetesberaterin DDG, Freisen), Dr. Stefan Feidt (Diabetologe, Freisen), Dr. Ulrich Flintzer (Facharzt für Innere Medizin & Diabetologie, Neubrandenburg), Dr. Stefan Gölz (Diabetologe, Esslingen), Detlef Kobusch (Facharzt für Innere Medizin & Diabetologie, Bergkamen), Dr. Stephan Kress (Oberarzt Diabetologie Vinzentius-Krankenhaus, Landau), Dipl. Psych. Eva Küstner (Fachpsychologin Diabetes DDG, Offenbach), Dagmar Meissner-Single (Diabetesberaterin DDG, Esslingen), Dr. Gerd Nitzsche (Diabetologe, Offenbach), Bernd-Michael Scholz (Diabetologe, Harburg), Dr. Frank Stelzner (Diabetologe, Lichtentanne), Dr. Christian Toussaint (Diabetologe, Berlin), Helga Varlemann (Diabetesberaterin DDG, Harburg), Dr. Tobias Wiesner (Facharzt für Diabetologie & Endokrinologie, Leipzig) Diabetes-Forum 9/10/2013 | 5 MEDIZIN Schulung Schulungsprogramm bot leben schließt Lücke für Diabetiker Dr. Gölz: Das ist wahrscheinlich die zentrale Frage des ganzen Programms. In einem immer dichter werdenden Arbeitsalltag wird es zunehmend wichtiger, vermeintlich einfache Abläufe strukturiert abzubilden. Der Gesetzgeber hat uns ein Qualitätsmanagement zur Vorgabe gemacht, und bei so extrem wichtigen Handlungen, wie die Insulintherapie es eine sein kann, haben wir gar keine Vorgabe. Wie meinen Sie das genau? Praxistest Mit bot leben gibt es erstmalig ein eigenständiges Schulungsprogramm für die BOT. Eine Diabetesberaterin und ein Diabetologe berichten über ihre Erfahrungen mit dem neuen Schulungsprogramm. geschult werden. Im Schulungskoffer finden sich viele Materialien, die den Dialog zwischen Arzt oder Schulungskraft und Patient vereinfachen. Das Erlernte gibt dem Patienten Sicherheit für die Insulintherapie im Alltag. Im Interview berichten Dr. Stefan Gölz, Inhaber einer Diabetologischen Schwerpunktpraxis in Esslingen, und Dagmar Meißner-Single, tätig in der Praxis Dr. Gölz, über bot leben. Beide sind Mitglieder des bot leben-Autorenteams. D Meißner-Single: Tatsächlich hat mich diese Frage anfänglich sehr beschäftigt. Schulungsprogramme haben wir scheinbar genug, und dennoch wird mir immer mehr bewusst, wie viele Defizite ganz praktisch bei den Fertigkeiten der Insulintherapie oder Blutzuckerselbstkontrolle dazu führen, dass Menschen mit Diabetes nicht ihr Therapieziel erreichen. ie Schulungslandschaft für Menschen mit Diabetes ist groß. Ein eigenständiges Schulungsprogramm für den Einstieg in die basalunterstützte orale Therapie (BOT) fehlte aber bisher – dabei ist der Beginn einer Insulintherapie für viele Patienten und Therapeuten eine Herausforderung. Diese Lücke schließt das neue Schulungsprogramm bot leben. Es unterstützt den einfachen und sicheren Einstieg in die Insulintherapie. Es ist zeitlich und örtlich flexibel und kann sektorenübergreifend 6 | Diabetes-Forum 9/10/2013 Frau Meißner-Single, was war Ihr Beweggrund, an der Entwicklung von bot leben mitzuarbeiten? Und Sie, Herr Dr. Gölz? Warum ist ein Schulungsprogramm wie bot leben so wichtig? Dr. Gölz: Die Indikation zur Insulintherapie ist eine ärztliche Entscheidung, die sofortiges kompetentes und empathisches Handeln einfordert. Hier kommen die Beratungsberufe ins Spiel, die oft sehr gut arbeiten, aber bis zum Beginn einer Gruppenschulung macht es jeder, wie er es für richtig hält. Frau Meißner-Single: Stimmt das? Meißner-Single: Ja das stimmt. Was, wann und wie vermittelt wurde, oblag ausschließlich der Schulungskraft in der jeweiligen Einrichtung. Der Praxisalltag zeigt, dass bei Patienten, die mit einer Insulintherapie begonnen haben, die Fertigkeiten nicht sicher beherrscht werden, die zur erfolgreichen Umsetzung der Therapie notwendig sind. Alle lerntheoretischen Erkenntnisse zeigen uns eindeutige Wege auf: Einfachheit, Struktur und Wiederholung. Hier sehe ich Defizite. Herr Dr. Gölz, sind Ihre Beraterinnen nicht ausreichend qualifiziert? Dr. Gölz: Das ist absolut nicht der Fall. Stellen Sie sich den bestmöglich ausgebildeten Fahrlehrer vor, der in einer einzigen Fahrstunde den Fahrschüler zur Prüfung bringen muss. Wenn es nicht klappt, ist der Fahrlehrer schuld. Das ist Unsinn. www.diabetologie-online.de Schulung MEDIZIN Der Beginn einer Insulintherapie wird laut psychologischer Literatur als schwere Krise erlebt. Wir sollten daher vielmehr die Patientenseite sehen und darüber nachdenken, wie man Menschen in einer emotional wirklich schwierigen Situation eine Handlung beibringt und ihnen den Stellenwert des richtigen Umgangs mit der neuen Situation vermittelt. Geht das bot leben-Programm auf diese psychologische Komponente ein, und wie kommt das Programm dem Patienten in dieser Krise entgegen? Meißner-Single: Die Mut- und Sorgenkarten aus dem Schulungskoffer helfen, in der Beratung das Problem der Ambivalenz aufzuspüren, also auf die durch Hoffnungen, aber auch Sorgen geprägten widersprüchlichen Erwartungen des Patienten einzugehen. Oft sind es Ängste und Unsicherheiten, die erst durch die Karten aufgedeckt werden können. Mit diesen Karten kann der Patient seine Befürchtungen und Sorgen konkret benennen. Dr. Gölz: Neben den Sorgen beim Beginn einer Insulintherapie findet man eine deutlich positive Erwww.diabetologie-online.de gebniserwartung, d. h. der Patient ist ambivalent, und diese Karten kann der Patient im Gespräch aufnehmen, „seine Sorgen in die Hand nehmen“. Wer führt das Erstgespräch in dem neuen Schulungsprogramm? Meißner-Single: Ganz klar, das ist ärztliche Aufgabe! Dürfen Sie als Beraterin die Karten also nicht verwenden? Meißner-Single: Ganz im Gegenteil, auch das ist Teil der Struktur. www.diabetologie-online.de Dieselben Karten können in die Be- Dr. Gölz: Unbedingt. Durch eine ratung mitgenommen werden, und homogene Struktur und die stetige man hat einen empathischen Ein- Wiederholung kann z. B. auch eine stieg. Mit Hilfe des Tischflipcharts Diabetesassistentin oder eine dafür können dann die qualifizierte medizinische Fachannotwendigen „Der Patient vergestellte Aufgaben Grundfertigkeiten fügt bereits über vermittelt werden. übernehmen. Sogrundlegende Inmit verfügt der PaWelche Grundtient bereits über formationen, wenn fertigkeiten grundlegende Iner zu uns kommt.“ sind das? formationen, wenn Dr. Stefan Gölz Meißner-Single: er zu uns kommt, Bei den Grundfersodass hier keine tigkeiten handelt es sich um Basis- Erstberatung mehr stattfinden muss. informationen über die Vorbereitung Strukturen, die eine Kooperation der Insulininjektion, Spritztechnik, zwischen verschiedenen EinrichBlutzuckerselbstkontrolle mit einer tungen möglich machen, sind ein Dokumentation der Werte und um Novum und in Zeiten der Verdicheine erste Aufklärung über das Hy- tung zwingend erforderlich! Das poglykämierisiko. Jetzt bekommt der kann zum Beispiel bedeuten, dass Patient seinen „Insulinführerschein“ sich mehrere Arztpraxen vor allem mit dem Stempel für Modul Eins. in ländlichen Gegenden zusammenschließen und die Schulung unterWird der Patient dabei in eieinander aufteilen. ner Gruppe geschult? Meißner-Single: Nein, das erste Modul ist immer eine Einzelschulung. Aber die Module zwei, drei oder vier werden in einer kleinen, offenen Gruppe geschult. Jedes Modul beginnt mit einer 15-minütigen Wiederholung. In diesen 15 Minuten wird schnell erkennbar, wo Unsicherheiten oder Probleme bestehen. So werden die Grundfertigkeiten trainiert. Dieser Wiederholungsteil ist immer auch der Einstieg in die Gruppe, da sich die Patienten ja nicht unbedingt kennen. Durch die besondere Struktur der Module kann die Reihenfolge beliebig sein. Die Module werden jeweils im „Insulinführerschein“ abgestempelt. Und das leistet bot leben? Dr. Gölz: Nach unserer Ansicht, als Autoren und mitwirkende „Pilotpraxis“, kann bot leben das durchaus leisten. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Evaluationsstudie, die ja auch Voraussetzung für Zertifizierung und Abrechnung sein wird. Frau Meißner-Single, Herr Dr. Gölz, vielen Dank für das Gespräch. Im Schulungskoffer mit dabei: die Mutund Sorgenkarten, die für Dagmar Meißner-Single und Dr. Stefan Gölz so wichtig sind. Mehr zu bot leben unter www.diabe tologie-online.de Welchen Zeitraum umfassen die Schulungseinheiten? Dr. Gölz: Insgesamt viermal 60 Minuten als Obergrenze. Lässt sich das Ihrer Ansicht nach in der Praxis abbilden? Diabetes-Forum 9/10/2013 | 7 Literatur 1. Cuddihy RM et al. Diabetes Educ 2011; 37: 111-23; 2. Küstner E. MMW-Fortschr Med 2008; 49-50: 49-53; 3. Rubin RR & Peyrot M. J Clin Psychol 2001; 57: 457-78; 4. Kress S et al. Diabetes Stoffw Herz 2009; 18: 377-85; 5. Riddle MC et al. Diabetes Care 2003; 26:3080-6; 6. Yki-Järvinen H et al. 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