Mindfullness - PENTAEDER

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Kap. 1: Einleitung
Dieses Buch handelt von den psychologischen und den physischen Kosten, die wir aufgrund
allgegenwärtiger Achtlosigkeit verursachen, und, noch wichtiger, von den Vorteilen größeren
Einflusses, gehaltvollerer Optionen und überschrittener Grenzen, die Achtsamkeit möglich macht.
(S.2)
Über Achtsamkeit und Achtlosigkeit nachzudenken verändert unsere Wahrnehmung und
Einschätzung der Welt. Manchen fällt es leichter Risiken einzugehen und Veränderungen zu
begrüßen, oder vor und nach Misserfolgen weniger Angstgefühle zu spüren; Andere sahen
konkrete Einflussmöglichkeiten wo sie sich früher hilflos fühlten, oder freier wo sie sich früher
begrenzt fühlten. (S.6)
Kap. 2: Drei Definitionen von Achtlosigkeit
When the Light's On and Nobody's Home ....
... Ist ein wunderschönes Bild / Metapher für Achtlosigkeit .... (Überschrift Kapitel 2, Seite 9)
Drei Definitionen können uns Achtlosigkeit verständlich machen: (S.10-18)
1. Gefangen in Denkkategorien sein.
2. Automatisches Verhalten.
3. Aus einem einzigen Blickwinkel heraus handeln.
zu 1. Das Schaffen neuer Kategorien ist eine achtsame Aktivität. Achtlosigkeit gewinnt Raum, wenn
wir uns zu unbeweglich auf Kategorien und Unterscheidungen verlassen, die in der Vergangenheit
entstanden sind - männlich/weiblich, alt/jung, Erfolg/Misserfolg.)
zu 2. Automatisches Verhalten hat viele Gemeinsamkeiten mit Gewohnheiten. Gewohnheit oder die
Tendenz ein Verhalten beizubehalten, das man über längere Zeit wiederholt hat, impliziert natürlich
Achtlosigkeit, aber achtloses Verhalten kann auch ohne einer langen Geschichte von
Wiederholungen auftreten, fast urplötzlich.
zu 3. Eine enge Perspektive kann unser Denken völlig dominieren. Z.B. Wird Achtlosigkeit durch hoch
spezifische Anweisungen ausgelöst. Sobald wir diese zulassen, schnappt unser Bewusstsein sein
wie ein Hummer mit seinen Scheren auf Eis und lässt keine weiteren Signale mehr zu.
Kap. 3: Die Wurzeln von Achtlosigkeit bzw.
Unaufmerksamkeit
Es gibt sechs Wurzeln von Achtlosigkeit bzw. Unaufmerksamkeit:
1. Wiederholung / Routine
2. Voreilige kognitive Festlegung (Vorurteile)
3. Glauben an begrenzte Mittel
4. Die Vorstellung einer linearen Zeit
5. Das eindimensionale Verfolgen von Ergebnissen
6. Der machtvolle Einfluss des Kontextes
1. Der achtlose "Experte". In nahezu jedem Beruf kann Wiederholung zu Achtlosigkeit führen. Wird
eine häufig wiederholte Aufgabe auf ungewöhnliche Weise leicht verändert so schafft das der
Anfänger leichter. Der Rhythmus des Vertrauten lullt uns in Achtlosigkeit.
2. Der gotteslästerliche Pudel. Wenn wir einen ersten Eindruck oder eine Information akzeptieren,
weil es keinen Grund gibt sie kritisch zu prüfen, setzt sie sich im Unterbewusstsein fest bis ein
ähnliches Signal aus der Außenwelt - ein Anblick, ein Geruch, ein Geräusch - ihn wieder aufruft. Bei
dieser nächsten Gelegenheit mag der Eindruck oder die Information nicht mehr irrelevant sein, aber
die meisten überlegen nicht was sie früher achtlos akzeptiert haben. Eine solche Denkart (mindset),
speziell die in der Kindheit geformte, ist voreilig, weil wir nicht im Vorhinein die zukünftig möglichen
Verwendungszwecke der Information kennen können. Deshalb bezeichnen wir diese Denkart als
voreilige kognitive Festlegung (Vorurteil). Das achtlose Individuum ist auf einen vorbestimmten
Verwendungszweck der Information festgelegt und andere mögliche Verwendungszwecke werden
nicht exploriert.
Die Art und Weise wie wir eine Information zum ersten Mal aufnehmen - achtsam oder achtlos bestimmt wie wir sie später verwenden werden.
Achtlosigkeit unterscheidet sich erheblich vom Unbewussten. Achtlosigkeit ist bei weitem nicht so
ein dramatisches Konzept wie das Unbewusste. Unbewussten Gedanken liegt ein "motiviertes
Nichtwissen" (Freud) zugrunde. Bei unserer Achtlosigkeit sind die Gefühle nicht beteiligt. Während
Ideen im Unbewussten von allem Anfang an nicht zur Verfügung stehen waren achtlose Ideen
früher für eine achtsame Verarbeitung potenziell zugänglich.
3. Der Glauben an begrenzte Mittel (bzw. Nullsummenspiele)
So lange wie sich Menschen an einen engen Glauben an begrenzte Ressourcen klammern, haben
jene die das Glück haben von den bestehenden willkürlichen Regeln, z.B. Intelligenztest für
Hochschulzulassung, begünstigt zu sein allen Grund den Status quo zu verteidigen. Jene, die nicht
kriegen was sie wollen, könnten zum Schluss kommen dass sie Teil der teuren
Wirklichkeitskonstruktion anderer zu sein.
Geld wird immer als Beispiel für die "Tatsache" begrenzter Mittel angeführt. Warum ist reich sein
besser? Wenn wir untersuchen was hinter unseren Wünschen steckt können wir normalerweise
ohne Kompromisse bekommen was wir wollen: Liebe, Hilfe, Zuversicht, Respekt, Vergnügen.
Kompromisse sind nur notwendig wenn wir etwas wollen was knapp ist.
Werden die wertvollen Dinge im Leben nicht als begrenzt wahrgenommen dann werden wir auch
nicht so beharrlich an unseren rigiden Kategorien festhalten.
Beim Stichwort "begrenzte Mittel" denken wir oft an unsere eigenen Fähigkeiten. Aber auch diese
Grenzen sind nicht wirklich bestimmbar. Auch bei Erschöpfung kann es sich um eine voreilige
kognitive Festlegung handeln.
4. Die Vorstellung einer linearen Zeit
In den verschiedenen Kulturen gibt es ganz verschiedene Vorstellungen von Zeit. Aber selbst in
einem eindimensionalen Konzept der Zeit mag der Zeitstrahl nicht nur in eine Richtung weisen. Die
Zukunft kann genauso die Gegenwart "verursachen" wie die Vergangenheit. "Die Gegenwart hat
also verschiedene Dimensionen ... Die Gegenwart der vergangenen Dinge, die Gegenwart der
gegenwärtigen Dinge und die Gegenwart der zukünftigen Dinge." (Augustinus)
Kant stellt sich Zeit als ein Mittel Wahrnehmung zu organisieren - und nicht als etwas das die Welt
"gibt" oder das auf sie "projiziert" würde.
Unsere Vorstellung von Zeit zu verändern mag mehr sein als eine intellektuelle Übung.
Der Physiker Ernst Mach: "Es ist völlig jenseits unserer Möglichkeiten Dinge in der Zeit zu messen. Im
Gegenteil ist Zeit eine Abstraktion die durch die Veränderung von Dingen entsteht."
5. Frühkindliche Erziehung Ziele zu erreichen (Education for Outcome)
In Schulen wird viel mehr auf Ergebnisse und Ziele geachtet als auf den Prozess sie zu erreichen.
Dieser eindimensionale Fokus auf dieses oder jenes Ergebnis, von Schnürsenkel binden bis an einer
renommierten Universität studieren, macht eine achtsame Einstellung zum Leben schwierig. Treten
die Fragen "Schaffe ich das?" oder "Was, wenn ich es nicht schaffe?" in den Vordergrund, dann
werden Neugier und Entdeckerlust von der Sorge und Beschäftigung mit Erfolg und Misserfolg
verdrängt.
Im Gegensatz dazu fragt eine Prozessorientierung "Wie kann ich es tun bzw. erreichen?" statt "Kann
ich es (erreichen)?" und lenkt so die Aufmerksamkeit auf das Definieren der Schritte, die unterwegs
nötig sind. Die Prozessorientierung ist durch das Leitprinzip gekennzeichnet: Es gibt keine
Misserfolge, sondern nur unwirksame Lösungen. Vorläufige Ziele unterliegen einer laufenden
Überprüfung. Ein prozessorientierter Mensch ist weniger in Gefahr kalt erwischt zu werden wenn
sich die Umstände ändern.
Ein Erziehungsstil, der sich auf Lernergebnisse konzentriert, stellt die Fakten in der Regel in
unbedingter Weise dar. Dieser Ansatz begünstigt Achtlosigkeit. Wird etwas als akzeptierte Wahrheit
präsentiert, dann kommen alternative Denkweisen gar nicht in Betracht. Durch das Lehren absoluter
Fakten geben wir unsere Kultur von einer Generation zur anderen weiter. Das schafft Stabilität. Aber
die Kosten dieser Stabilität können hoch sein.
6. Der große Einfluss des Kontexts
Kontexte beeinflussen unser Verhalten und unsere Denkweise (mindset) beeinflusst wie wir jeden
Kontext interpretieren. Viele der Kontexte die uns am tiefsten beeinflussen sind in der Kindheit
erlernt. Wenn wir von Kontext reden unterläuft uns oft der Fehler zu glauben, dass er "irgendwo da
draußen" wäre. Aber er existiert dort nicht ohne uns. Ein Kontext ist eine vorschnelle kognitive
Festlegung, eine Denkweise.
Der große Einfluss den Kontext über unsere Reaktionen und Interpretationen hat macht uns anfällig
für sogenannte Kontextverwechslungen (Kontextkonfusion). Menschen verwechseln den Kontext
der das Verhalten anderer Menschen beeinflusst mit dem Kontext der das eigene Verhalten
beeinflusst. Die meisten Menschen nehmen typischerweise an dass die Motive und Absichten
anderer dieselben sind wie ihre eigenen, obwohl dasselbe Verhalten sehr verschiedenartige
Bedeutungen haben kann.
Die verschiedenen Wurzeln von Achtlosigkeit - Wiederholung, vorschnelle kognitive Festlegung,
Glauben an begrenzte Mittel, die Vorstellung von linearer Zeit, Erziehung Ergebnisse zu erzielen, der
große Einfluss des Kontexts - beeinflussen uns täglich.
Kap. 4: Der Preis, den wir für Achtlosigkeit zahlen
Achtlosigkeit wurzelt tief. Wir kennen unsere Drehbücher auswendig. In der Routine des Alltags
bemerken wir nicht was wir tun solange kein Problem auftaucht. Die Folgen von Achtlosigkeit
reichen von trivial bis katastrophal.
1. Ein beschränktes (unbeirrbares) Selbstbild
2. Ungewollte Grausamkeit
3. Ungenutzter Einfluss
4. Angelernte Hilflosigkeit
5. Verkümmertes (unterentwickeltes) Potenzial
1. Ein unbeirrbares Selbstbild
Ein eindimensionales Selbstbild kann sowohl Menschen als auch Unternehmen in erhebliche
Schwierigkeiten bringen. (Hinweis auf Theodore Levitt's Klassiker "Marketing-Blindheit")
Anm. Das zentrale Organisationsdilemma besteht genau darin: auf der einen Seite steht die
notwendige Komplexitätsreduktion durch Hierarchie, Strategie und Kultur auf der anderen die
kollektive Blindheit und die Gefahren der Gedankenlosigkeit.
Ein Selbstbild, das auf vergangener Leistung (Misserfolgen wie Erfolgen) beruht, beschränkt. Es läßt
uns allzu leicht annehmen, dass diese einen dauerhaften Charakterzug darstellen. Solange ein
Mensch nicht seine von Misserfolgen abgeleitete Denkweise ändert, werden seine Bemühungen
heute und morgen vermutlich auch erfolglos / fruchtlos bleiben.
Anm. Mich fragen: Was will ich wirklich durch das Einüben von Achtsamkeit und das Einüben neuer
Gewohnheiten ändern?
Selbst Menschen, die sich ein starkes Kompetenzgefühl erworben haben sind nicht davor gefeit,
dass dieses erodiert, wenn sie achtlos Rollen und Zuschreibungen akzeptieren. (z.B. nach einer
Heirat). Phänomen der selbst hervorgerufenen Abhängigkeit.
2. Ungewollte Grausamkeit
- Verweis auf die berühmten Experimente von Stanley Milgram (1974)
Geht man kleine Schritte dann denkt man nach dem ersten Schritt nicht mehr daran das weitere
Verhalten in Frage zu stellen, bis man rückblickend sehen kann wie weit man unbemerkt
gekommen ist. Wenn man in eine Routine verfällt statt immer wieder Entscheidungen zu treffen,
dann mag das zu Handlungen verführen zu denen man sonst nicht bereitwäre.
Achtlosigkeit erlaubt uns unbequeme Gedanken abgetrennt zu halten.
3. Verringerter bzw. ungesehener / ungenutzter Einfluss
Achtlosigkeit beschränkt unseren Einfluss indem sie uns davon abhält intelligent zu wählen.
Ein wichtiger Mechanismus wie wir unsere Lösungs- und Handlungsmöglichkeiten beschränken
besteht darin alle unsere Schwierigkeiten einem einzigen Grund zuschreiben. Beispiel: Menschen,
die das Scheitern ihrer Ehe dem Ex-Partner zuschreiben, leiden länger als jene, die viele mögliche
Erklärungen für ihre Situation sehen. Alkoholiker, die ihre Krankheit als genetisch bezeichnen, geben
damit ihren Einfluss auf ihre Gesundung verloren.
4. Angelernte Hilflosigkeit (als Variante von "ungenutztem Einfluss")
Ein weit schädlicherer Verlust an Einfluss und Wahlmöglichkeiten wir durch wiederholten Misserfolg
ausgelöst. Diese angelernte Hilflosigkeit übt dann ihre schädliche Wirkung auch in solchen
Situationen aus, wo die Person tatsächlich objektiv Einfluss ausüben könnte. Selbst wenn Lösungen
zur Verfügung stehen hält ein achtloses Gefühl der Vergeblichkeit die Person davon ab die konkrete
Situation zu überdenken. Die Person verharrt angesichts einer Situation in Passivität auch wenn
diese ohne unangemessene Schwierigkeiten bewältigt werden könnte.
5. Ungenutztes Potenzial
William James behauptete, dass fast alle Menschen nur den winzigsten Bruchteil ihres Potenzials
nutzen. Nur unter ganz bestimmten Umständen konstruktiven Stresses oder in bestimmten
Gemütszuständen - große Liebe, religiöser Eifer oder Mut im Kampf - beginnen wir die Tiefe und
den Reichtum unserer schöpferischen Ressourcen oder die unglaublichen Reserven an
Lebensenergie anzuzapfen, die in uns schlummern.
Frühzeitige kognitive Festlegungen (z.B. Vorstellungen über das Alter) sind Fotografien vergleichbar
in denen Sinn bzw. eine Meinung festgehalten sind, aber keine Bewegung. Eine neue Einstellung ist
schwer zu gewinnen.
Psychologen folgen gerne den Wegen die mutige Schriftsteller vor ihnen begangen haben. (zitiert
Charles Dickens)
Anm.: Fazit.
- In meiner Arbeit / unseren Ansätzen immer wieder das Potenzial betonen, nicht eventuelle
Defizitbeschreibungen und -beschwörungen;
- nicht zögern, das Vorauswissen und die Klugheit von Künstlern (Buchheim Museum!) und
Schriftstellern zu zitieren;
Kap. 5: Das Wesen der Achtsamkeit
Blinde Besessenheit bzw. die Dominanz starker Gefühle führen zwangsläufig zu Achtlosigkeit.
Achtsamkeit findet sich in fünf zentralen Qualitäten:
1. Das Schaffen neuer Denkkategorien
2. Das Begrüßen neuer Informationen (face reality)
3. Perspektivenvielfalt (Offenheit für mehr als eine Sichtweise)
4. Kontextkontrolle
5. Prozess hat Vorrang vor Ergebnis.
Zu 1. Schaffen neuer Kategorien: So wie Achtlosigkeit das rigide sich Verlassen auf alte Kategorien
ist, bedeutet Achtsamkeit das kontinuierliche Schaffen neuer Denkkategorien. Das Kategorisieren
und anders Kategorisieren, Etikettieren und Umetikettieren sind Prozesse, die für Kinder ganz
natürlich sind. Das ernste Re-kreieren des Kindes kann die spielerische Recreation des Erwachsenen
werden. Aber als Erwachsene werden wir zögerlich beim Erfinden neuer Kategorien. Unsere
Ergebnisorientierung verleitet dazu einen spielerischen Zugang abzutöten.
Ohne den Anstoß durch eine Psychotherapie oder durch eine Krise, wird die Vergangenheit selten
rekategorisiert bzw. neu gerahmt.
In achtsamer Weise neue Kategorien zu bilden heißt der konkreten Situation und dem Kontext
Aufmerksamkeit zu widmen.
Die meisten festen Meinungen (z.B. die Einschätzung von Menschen, die wir zutiefst nicht mögen)
beruhen auf globalen Kategorien.
Eine achtsame Einstellung mag nicht alle Erfordernisse Kompromisse einzugehen verhindern
können, aber vielleicht doch. Jedenfalls kann sie die Bandbreite für Konflikte wesentlich reduzieren.
Zu 2. Neue Informationen begrüßen. Unsere Wahrnehmung hat eine Tendenz kleine inkonsistente
Signale auszufiltern. Ein Verhalten, das aus achtsamem Zuhören oder Beobachten gespeist ist, ist
natürlich eher effektiv. Offen sein für Hinweise oder andere Ansichten führt zu einem
Feedbackkreislauf der eine Partnerschaft, eine Ehe oder ein Team ausbalanciert wie die
Messinstrumente eines Flugzeugs.
Zu 3. Perspektivenvielfalt. Offenheit, nicht nur für neue Informationen, sondern auch für andere
Perspektiven und Meinungen ist ebenso ein wichtiges Element von Achtsamkeit. Sobald wir
achtsam auch andere Ansichten als unsere eigenen erkennen, wird zunehmend klarer dass es so
viele Sichtweisen gibt wie Beobachter. Ein solches Erkennen kann sehr befreiend wirken. Wenn wir
an unsere eigene Sicht und Meinung (vehement) festhalten, mag uns die Wirkung auf andere
entgehen. Es ist leicht zu sehen, dass jede Geste, Bemerkung, oder Handlung zwischen Menschen
zumindest zwei Interpretationen zulassen. Jede Idee, Person oder jeder Gegenstand ist potenziell
gleichzeitig abhängig von der Perspektive des Beobachters. (Beispiel: Kuh) Und jedes Verhalten kann
unter ungünstigerem oder vorteilhafterem oder schmeichelhaftem Licht erscheinen.
Verschieden Perspektiven auszuprobieren hat wichtige Konsequenzen. Erstens gewinnt man mehr
Optionen zu antworten. Ein unbeirrbares Etikett produziert eine automatische Reaktion, was unsere
Optionen reduziert. Die Erkenntnis, dass andere Menschen nicht so sehr verschieden sind, erlaubt
uns Empathie und vergrößert unser Repertoire an Antworten. Zweitens wird Veränderung leichter
möglich, wenn wir diese offene, unvoreingenommene Einstellung auch gegenüber unserem
eigenen Verhalten anlegen. Die Wahl zwischen zwei positiven Alternativen ist leichter als sich ein
negatives Verhalten abzugewöhnen. (siehe Beispiel KAIROS: der Wert / Nutzen bzw. Die besondere
Qualität einer geringen Ausprägung einer Dimension!)
Zu 4. Kontextkontrolle. (Reframing) Der größere Einfluss den größere Achtsamkeit möglich macht
kann uns auch helfen Kontexte zu verändern, umzudeuten. Selbst die eindeutigsten und
anscheinend auch unveränderliche Situationen können beeinflusst werden, wenn man sie achtsam
betrachtet. Beispiel des "Birdman of Alcatraz": Langeweile kann auch nur ein Gedankenkonstrukt
sein, eines das keineswegs sicherer ist als das Gedankenkonstrukt der Freiheit.
Zu 5. Prozess vor Ergebnis. Die Sorge bzw. übermäßige Beschäftigung mit dem späteren Ergebnis
kann uns achtlos machen. Umgekehrt kann man Prozessorientierung als Achtsamkeit verstehen und
schätzen. Die Beachtung des Prozesses wie wir unterwegs immer wieder real wählen verringert die
Wahrscheinlichkeit, dass wir uns im Nachhinein schuldig fühlen. Wenn wir (immer erst) später die
realen Konsequenzen einer Wahl erfahren mögen wir uns wünschen anders entschieden zu haben,
aber werden höchstwahrscheinlich nicht allzu streng mit uns ins Gericht gehen bzw. weniger
Neigung verspüren uns (zeitverschwenderisch) zu rechtfertigen, wenn wir wissen warum wir taten
was wir taten.
Eine Prozessorientierung zu praktizieren bedeutet sich bewusst sein, dass jedem Ergebnis ein
Prozess vorangegangen ist. Eine Prozessorientierung schärft nicht nur unsere Urteilskraft, sondern
gibt uns auch eine freundlichere Selbsteinschätzung. Eine reine Ergebnisorientierung raubt
Lebensfreude. Im Spiel können wir unschwer verstehen dass Prozess - wenn nicht alles - das ist,
was wirklich zählt.
Kap. 6: Achtsam altern
Langer beschreibt hier sehr beeindruckende Beispiele ihrer Forschungsprojekte in Pflege- und
Altersheimen wie sich mehr Achtsamkeit auswirkt - mit eindeutigem, verallgemeinerbarem Fazit:
Wer (für sich) Verantwortung übernimmt und entscheidet lebt länger und gesünder, ist weniger
depressiv, unabhängiger und zuversichtlicher, wacher und differenzierter in dem, was sie wählen.
Tagebuchschreiben: Wer über die Wahlakte (das Gewählte und das Ausgeschlossene) in den
täglichen Aktivitäten Tagebuch führt steigert seine Achtsamkeit auf effektive Weise. Die Gelegenheit
zu wählen steigert unsere Motivation. In den meisten unserer täglichen Aktivitäten sind allerdings
die Optionen / Wahlmöglichkeiten, die einmal bestanden haben, schon lange vergessen. (Der
tägliche Frühstückskaffee)
Eine sinnvolle Option zu wählen schließt immer eine gewisse Bewusstheit der anderen Alternativen,
die nicht gewählt wurden, ein. Durch dieses Bewusstsein lernen wir etwas über uns selbst und
unsere Präferenzen.
Auch gut gemeinte Sorge und Fürsorge untergräbt schrittweise jede Autonomie.
Vorstellungen über Alter beinhalten unausgesprochen eine Art von Inkompetenz.
Es ist interessant zu beobachten, dass der Begriff Entwicklung selten auf Veränderung in den späten
Jahren bezogen wird. Diese werden typischerweise als Altern bezeichnet. Altern betont die dunklere
Seite des Älterwerdens.
Wer achtsam lebt sieht alle Arten von Optionen und schafft neue Endpunkte. Achtsames
Engagement in jeder Episode von Entwicklung macht uns freier unseren eigenen Kurs zu entwerfen.
Unser mentales Bild von Alter, das auf hunderten kleinen voreiligen kognitiven Festlegungen
beruht, prägt das Leben das wir in unseren späten Erwachsenentagen führen.
Kap. 7: Schöpferische Ungewissheit
Viele, wenn nicht alle, Qualitäten, die eine achtsame Einstellung ausmachen sind charakteristisch für
kreative, schöpferische Menschen.
Wenn wir uns mit der Welt rational auseinandersetzen halten wir sie mit Hilfe von in der
Vergangenheit gebildeten Denkkategorien konstant. Durch Intuition andrerseits begreifen wir die
Welt als Ganzes, ständig in Fluss.
Aus einer intuitiven Erfahrung der Welt entsteht ein kontinuierlicher Fluss neuartiger
Unterscheidungen.
Wenn unsere Gedanken sich auf eine Sache oder auf eine Art etwas zu tun beziehen dann löschen
wir die Intuition und verfehlen der gegenwärtigen Welt um uns herum.
Das ruhige Auge. Intuition und Achtsamkeit gleichen sich in ihrer relativen Anstrengungslosigkeit.
Beide erreicht man indem man dem schweren, unbeirrt gerichteten Streben entkommt, das die
meiste Zeit unseres Lebens bestimmt.
In einem intuitiven oder achtsamen Zustand erlaubt man neuen Informationen den Zugang zum
Bewusstsein, so wie ein Komponist zulässt. Diese neue Information kann voller Überraschungen
sein und muss nicht immer "Sinn machen".
Respekt für Intuition und für Information, die auf unerklärliche Weise auftaucht, ist jedenfalls ein
wichtiger Teil jeder schöpferischen Aktivität.
"Wenn ein Mensch sein Potenzial voll und verbunden mit der Zuversicht die seinen Kräften
entspricht ausschöpfen soll, dann kann dies nur in Anerkennung der Wichtigkeit und Kraft intuitiver
Methoden knallen Feldern des Erkundens geschehen - in Literatur und Mathematik, Dichtkunst und
Linguistik." (Bruner/Chlingy, zit. Langer, Seite 119)
In den meisten Erziehungssituationen werden die "Fakten" des Lebens als unbedingte Wahrheiten
präsentiert, obwohl es angemessener wäre sie als Wahrscheinlichkeitsstatements einzuordnen, die
in manchen Kontexten wahr sind aber in anderen nicht.
Experimente haben gezeigt, dass Unsicherheit mehr kreative Lösungen hervorgebracht haben als
Gewissheit.
Wer Optionen hat bzw. sieht, fühlt sich mehr verantwortlich für das was er tut. Vergleiche
anzustellen zwingt uns achtsame Unterscheidungen zu treffen. Das begünstigt einen bedingten
Blick, einen Sinn für Möglichkeiten.
In Analogien zu denken ist für Kreativität und Achtsamkeit gleichermaßen wichtig. Indem wir eine
Analogie herstellen wenden wir ein Konzept, das wir in einem Kontext gelernt haben, auf einen
anderen. Eine solche geistige Operation ist per se achtsam.
Kap. 8: Achtsamkeit in der Arbeit
Ermüdung, Konflikt und Burn-Out können daraus entstehen, dass jemand in alten Denkkategorien
versumpft und von alten Denkgewohnheiten gefangen ist.
Sowohl für Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer, Führungskräfte und Mitarbeiter kann Achtsamkeit
zu mehr Flexibilität, Produktivität, Innovation, Führungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit führen.
Nachdem die meisten von uns fast den ganzen Tag und fast die ganze Woche entweder zur Arbeit
fahren, Arbeiten, sich über die Arbeit Sorgen machen oder die bevorstehende Arbeit planen sind die
Anwendungsmöglichkeiten von Achtsamkeit auf Arbeitssituationen besonders nützlich.
Den Fehler und die Störung begrüßen.
Ein altes Sprichwort rät: "Wende die Gefahr ab, die noch nicht aufgetaucht ist." Um die frühen
Anzeichen kommenden Ärgers aufzufangen müssen wir aufnahmebereit für neue Informationen
und für subtile Abweichungen im gewohnten Lauf der Dinge sein. Größere Probleme können als
anfänglich kleinen, unbeachteten Veränderungen entstehen. Mit einer achtsamen Einstellung haben
Menschen eine größere Chance solche Probleme wahrzunehmen bevor sie ernst und gefährlich
teuer werden.
Die "Schatten der Überalterung" (Theodore Levitt), die frühen Anzeichen einer Veränderung sind
Warnsignale und - für den Achtsamen - neue Chancen.
Das Geschäft und der Arbeitsplatz sind voller unerwarteter Stolpersteine, die die Produktivität
hemmen. Für eine achtsame Führungskraft oder einen achtsamen Mitarbeiter werden sie zu
Bausteinen. Sie behindern nicht den Fortschritt, weil sie als Teil eines fortlaufenden Prozesses
gesehen werden und nicht als unerwünschte Abweichungen einer Prozedur, die in der
Vergangenheit ihren Sinn hatte.
Zweite Luft.
Müdigkeit und Sättigung treten nicht notwendigerweise zu festgesetzten Zeitpunkten auf. In hohem
Maße dürfte mentale und physische Erschöpfung durch voreilige kognitive Festlegungen ausgelöst
sein; in anderen Worten, diktieren unhinterfragte Erwartungen ob und wann unsere Energie
absackt.
Der Wechsel des Kontexts bringt erneuerte Energie. Neue Energie in einem neuen Kontext wird als
"zweite Luft" (second wind) bezeichnet.
Achtsame Individuen nutzen das Phänomen des zweiten Windes zu ihrem eigenen Vorteil um
latente Energie anzuzapfen indem sie die Mentalität der Erschöpfung abschütteln.
Achtsamkeit ist in sich selbst belebend und erfrischt. Sie ist nie ermüdend. Eine eigeninitiative,
selbständige Mitarbeiterin kann selbst dafür sorgen, die Mentalität der Erschöpfung, des AusgelaugtSeins abzuschütteln, eine achtsame Führungskraft kann dies für andere ermöglichen. Die
Herausforderung für das Management besteht darin im Rahmen der zu bewältigenden
Arbeitsbelastung immer wieder Kontextänderungen zu initiieren.
Eine andere Art von Mentalität (mindset), die Erschöpfung auslösen kann, ist die Art wie wir eine
Aufgabe definieren. Die Aufgabe mag uns solange als mühelos erscheinen solange wir im Prozess
engagiert sind und Unterscheidungen geschaffen werden. Führen wir die Aufgabe achtlos aus, dann
verlassen wir uns auf Unterscheidungen die schon früher getroffen wurden. Nähert sich die Aufgabe
ihrem Ende, dann fokussieren wir typischerweise mehr auf das Ergebnis und erwarten, dass
Müdigkeit aufkommt. Müdigkeit kann dadurch abgewendet werden, dass man einen
Kontextwechsel einleitet bevor dieser Punkt erreicht ist. Das funktioniert nicht einfach so und
selbstverständlich, sondern der Wechsel muss schon als ein neuer Kontext erlebt werden.
Innovation.
Das Wechseln des Kontextes generiert sowohl Vorstellungskraft und Kreativität als auch neue
Energie. In Bezug auf Problemlösungen wird dies oft als Reframing bezeichnet. (Musikerbeispiel)
Kontextwechsel ist nur einer der Wege zu Innovationen. Neue Denk- und Nutzenkategorien
schaffen, vielfältige Perspektiven explorieren und sich auf den Prozess konzentrieren erhöhen
gleichermaßen die Chance, dass ein neuartiger Zugang zu einem Problem erfunden werden wird.
Auch ein Akzeptieren und Ertragen von Unsicherheit seitens des Management wirkt ermutigend. Ist
eine Führungskraft fähig dazu, Abweichungen von der gewohnten Art die Dinge zu regeln zu
riskieren, dann blühen kreative Mitarbeiter/innen auf und liefern wertvollere Beiträge. Sind
Mitarbeiter/innen nicht gezwungen ein Produkt nur immer besser zu machen, können sie auch
Mittel und Wege finden ein anderes besseres Produkt zu machen.
Strategie. Enge Definitionen der Wettbewerber gehen Hand in Hand mit engen Vorstellungen über
das Produkt.
Die Kraft der Unsicherheit für Führungskräfte.
Unter all den Qualitäten einer Führungskraft die für Innovationen und konstruktive Initiativen
dienlich sind, könnte (die Bereitschaft und Fähigkeit) ein gewisses Maß von Unsicherheit
(auszuhalten) die allerwirkungsvollste sein. Ist ein Führungskraft zuversichtlich aber unsicher zuversichtlich, dass die Arbeit gut erledigt werden wird, aber ohne sicher zu sein was genau die
beste Art und Weise sein wird sie zu erledigen - haben Mitarbeiter mehr Freiraum kreativ,
aufmerksam und eigeninitiativ zu arbeiten. Wenn jemand für bzw. mit einer zuversichtlichen aber
unsicheren Führungskraft arbeitet, wird er/sie eher seltener Wissen vortäuschen oder Fehler
verschweigen, was ja allgegenwärtige Praktiken sind, die Organisationen sehr teuer zu stehen
kommen. Stattdessen denken wir wahrscheinlich; "Wenn er nicht sicher ist, schätze ich, dass auch ich
nicht immer recht haben muss." Risiko zu übernehmen wird so weniger riskant.
Eine Untersuchung ergab, dass jene Führungskräfte, die zuversichtlich aber relativ unsicher waren,
von ihren Mitarbeitern so eingeschätzt wurden, dass sie wahrscheinlicher eine selbständige
Meinung und eine generell größere Handlungsfreiheit zulassen würden.
Weil Menschen, die als intelligent und kenntnisreich gelten, eher zu Führungskräften ernannt
werden, ist die Annahme, dass der Chef die richtigen Antworten hat, weit verbreitet, und Fragen zu
stellen ist für Mitarbeiter/innen ein eher beängstigendes Unterfangen. Machen Führungskräfte
demgegenüber klar, dass sie Gewissheit als eher verwegen einschätzen, wird es für
Mitarbeiter/innen leichter Fragen zu stellen, die aus ihrer eigenen Unsicherheit kommen.
Fragen liefern wichtige Informationen für Führungskräfte. Mehr noch. Holen Führungskräfte
Informationen von ihren Mitarbeitern ein um diese Fragen zu beantworten, dann werden beide
wahrscheinlich achtsamer und innovativer.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Wird einerseits Arbeit oft genug, unterfüttert mit einer Art
von Gewissheit und Sicherheit, achtlos ausgeführt, so ist Spielen fast immer eine achtsame Aktivität.
Im Spiel engagieren sich Menschen und übernehmen Risiken. Man stelle sich vor, dass ein Spiel zur
Routine wird - es wäre nicht mehr ein Spiel. Im Spiel gibt es keinen Grund keine Risiken einzugehen.
Tatsächlich würde das Vergnügen, das mit Meisterschaft verbunden ist, verschwinden, wenn damit
nicht auch ein Risiko verbunden bleibt.
Im Spiel verhalten wir uns tendenziell mehr abenteuerlustig weil es Sicherheit gibt. Wir hören auf,
uns dauernd selbst zu bewerten. Ein Spiel kann man natürlich ernst nehmen, aber es ist das Spiel
und nicht wir selbst, was wir ernst nehmen - sonst ginge es gar nicht mehr um Spiel. Diese
Erkenntnis sollte eigentlich nahelegen, das Büro zu einem Ort zu machen in dem mit Ideen gespielt
wird, wo zu Fragen ermutigt wird, und wo niemand entlassen wird, wenn die Würfel ungünstig
fallen.
Andrerseits werden manche Führungskräfte unsicher und ängstlich, wenn sie sich mit Fragen
konfrontiert sehen auf die es keine leichten Antworten gibt.
Charisma.
Eine gewisse geistige Offenheit scheint sowohl die Überzeugungskraft (von Verkäufern im
Experiment) als auch das Charisma zu fördern.
Achtlosigkeit im Geschäft ist die Anwendung der Lösungen von gestern auf die Probleme von heute.
Achtsamkeit ist die Einstellung auf die Erfordernisse von heute um die Schwierigkeiten von morgen
zu vermeiden.
Kap. 9: Vorurteile verringern, Unterscheidungen vermehren
Spezifische Unterscheidungen statt globalen vorzunehmen kann sehr hilfreich dabei sein die
Denkart des Vorurteils einzudämmen. Dennoch: kategorisieren und typisieren ist eine grundlegende
und natürliche Aktivität von Menschen. Auf diese Weise lernen wir die Welt kennen.
Außenseiter in einer Organisation zu sein kann Achtsamkeit steigern.
In einer Gesellschaft für die eher Ergebnis als Prozess der primäre Wert darstellt - definitionsgemäß
eine eher achtlose Gesellschaft - führen Abweichung vom "Normalen" und (z.B. körperliche)
Einschränkungen leicht zu geringerem Selbstwertgefühl.
Abweichung als Kategorie kann nur im Vergleich zu einer anderen Kategorie "normal" definiert
werden. Die beiden Kategorien schließen sich gegenseitig aus.
Kap. 10: Achtsamkeit und Gesundheit
"Is there a split between mind and body, and if so, which is it better to have?" (Woody Allen)
Lange bevor wir irgendeinen Grund haben die Trennung zwischen Körper und Geist in Frage zu
stellen ist sie schon tief und in vielfältigste Weise in uns verankert. Es ist eines unserer stärksten
Denkmodelle - eine gefährliche voreilige kognitive Festlegung.
Aristoteles ist sich noch ganz sicher, dass der Körper und sein Denken eine einzige Existenz
darstellen. In den Neurowissenschaften scheint ein neuer Dualismus in Form der Geist/HirnUnterscheidung wieder an die Oberfläche zu kommen.
Eine starre Vorstellung eines Geistes der vom Körper getrennt wäre hat ernste Konsequenzen. Eine
verwandte Form von Dualismus, die auch potenziellen Schaden in sich birgt, ist die Unterscheidung
zwischen Gedanke und Gefühl (Kognition und Affekt). Sie stattdessen als Teil einer total simultanen
Reaktion zu verstehen, die übrigens in verschiedenster Weise gemessen werden kann, könnte mehr
Klarheit schaffen. So könnte z.B. ein Intelligenztest genauso als Maß des individuellen
Wohlbefindens zum Zeitpunkt der Testdurchführung gesehen werden wie als Bewertung des IQ.
Ein Reiz, der emotional provokant ist, muss zuerst in irgendeiner Weise gedacht sein. Eine Löwen
fürchten ist identisch mit einen Löwen furchtvoll denken, ein Pferd bewundern ist ein Pferd
bewundernd denken. Gedanke und physische Reaktion erscheinen gemeinsam. Etwas sehen oder
hören heißt etwas von etwas anderem unterscheiden.
Kontexte sind gelernt. Deshalb ist das meiste was Emotion auslöst gelernt. Und diese emotionalen
Kontexte werden im Allgemeinen in eindimensionaler Weise gelernt.
Emotionen beruhen auf frühzeitigen kognitiven Festlegungen. Wir erleben sie ohne uns bewusst zu
sein, dass sie auch ganz anders sein könnten, ohne uns bewusst zu sein, dass wir genau so, wenn
auch passiv, die Erfahrung konstruiert haben.
Ohne genauer hinzusehen und zu bemerken, dass derselbe Reiz in einem anderen Kontexten ein
anderer Reiz ist, machen wir uns zum Opfer der Assoziationen, die wir selbst konstruiert haben.
Unsere Wahrnehmungen und Interpretationen beeinflussen die Art wie unsere Körper reagieren.
Wenn der "Geist" in einem Kontext ist, dann ist der "Körper" genauso in diesem Kontext. Um einen
anderen physiologischen Zustand zu erreichen brauchen wir manchmal nur unseren Geist in einen
anderen Kontext zu versetzen.
Wenn es dem Geist gelingt sich nicht auf z.B. Kopfweh zu beziehen scheint es zu verschwinden.
(meine Kinoerlebnisse als Jugendlicher in Wien.) Umgekehrt: wenn der Geist wieder zum Schmerz
zurückkehrt tut es der Körper auch (nach Kinoschluss).
Kontext kann sogar die Schärfe unserer Sinne beeinflussen. (Pilotenexperiment)
Nachdem wir über den Kontext einigen Einfluss haben, ist die laufende Klärung dieser Verbindungen
zwischen psychologischen Zuständen und Krankheit sehr hilfreich. Krankheiten, die als rein
physiologisch und unheilbar gelten, können folgsamer auf individuellen Einfluss reagieren als bisher
gedacht.
Ein achtsamer Süchtiger kann seine Sucht aus mehreren verschiedenen Perspektiven sehen, z.B.
dass jede Sucht auch positive Aspekte aufweist. Falls diese positiven Aspekte auch in anderer Weise
bedient werden können, sollte die Sucht leichter abzuschütteln sein.
Auch wenn es nicht leicht ist die positiven Gründe einer Sucht zu finden und ersetzen, sollte allein
der Versuch dabei helfen achtsamere Wege zu finden, wie man destruktive Gewohnheiten brechen
kann.
Das aktive Placebo. Es ist vorstellbar, aktiv die Unterstützung des Geistes für Veränderungen und
Gesundung zu gewinnen. Wann immer wir versuchen uns selbst zu heilen und diese Verantwortung
nicht ganz an Ärzte abtreten, ist jeder Schritt ein achtsamer. Zum Beispiel stellen wir destruktive
Kategorien von Krankheiten (wie das Bild von Krebs als Todesurteil) in Frage. Wir begrüßen neue
Informationen, ob direkt vom Körper oder aus Büchern. Wir schauen auf unsere Krankheit aus mehr
als einer Perspektive, z.B. der medizinischen. Wir arbeiten daran den Kontext zu ändern, sei es einen
stressigen Arbeitsplatz, oder ein depressives statt einem positiven Blick auf das Krankenhaus. Und
schließlich bringt uns der Versuch gesund zu bleiben konsequenterweise dazu mehr auf den
Prozess zu achten als auf zukünftige Ergebnisse.
Kap. 11: Jenseits von Achtsamkeit (Epilog)
FAQ's sind unausweichlich die folgenden: Wie sollen es Menschen schaffen die ganze Zeit achtsam
zu sein? Ist das nicht zu aufwändig? Wenn wir immer nur achtsam neue Unterscheidungen treffen,
wie kommen wir da je dazu zu entscheiden?
Manchmal versuche ich es dann mit Metaphern:
Um zu verstehen, dass es keineswegs nötig ist die ganze Zeit allen Themen Achtsamkeit
zuzuwenden, stellen Sie sich das Gehirn als großes Unternehmen mit einem Vorstandsvorsitzenden
vor. Der VV ist verantwortlich das Gesamtfunktionieren der Organisation zu überwachen, aber nicht
alles, sicher nicht z.B. das Heizungssystem in der Zentrale. Die effektive Person stellt - wie der VV ihre Achtsamkeit klug bereit, sie wählt wo und wann sie achtsam agiert.
Der effektive VV muss auch in Bezug auf seine Aufgabe achtsam sein. In einer Krisensituation wird
der VV, der achtlos Routinelösungen anwendet, die er in einem MBA-Lehrgang gelernt oder bei
früheren Gelegenheiten angewandt hat, sich in dieser Krisensituation nicht bewähren, sich nicht
dieser Herausforderung angemessen stellen. Der achtsame VV kann auf zwei Ebenen achtsam sein:
die Krise in einer achtsamen Art auflösen oder sie als eine Chance für Innovationen nutzen.
Die Achtsamkeit zweiter Ordnung, nämlich zu wählen worauf man seine Achtsamkeit besonders
richtet, ist etwas was jeder von uns immer tun kann. Auch wenn wir weder auf alles
gleichzeitig achten können oder sollen, können wir immer auf etwas besonders achtsam sein. Die
wichtigste Aufgabe für jeden VV, und alle anderen Menschen, ist zu wählen worauf die Achtsamkeit
zu richten ist. Der achtsam achtsame VV.
Ist es nicht notwendig einige Dinge außer Acht zu lassen um zu einer Entscheidung zu kommen?
Der rationale Zugang zum Entscheiden beruht auf der (achtlosen) Annahme, dass wir dann nicht zu
einer (guten) Entscheidung kommen, wenn wir unvollständige Daten haben. Demgegenüber
anerkennt die Achtsamkeit zweiter Ordnung, dass es die richtige Antwort nicht gibt. Entscheiden ist
unabhängig von Informationssammlung. Daten produzieren keine Entscheidung, Menschen tun es entweder mit Leichtigkeit oder unter Schwierigkeiten. Ambivalenzen in einem Entscheidungsprozess
oder in Bezug auf einen Menschen - Freund, Liebhaber, Ehefrau/-mann - werden zum Problem,
wenn wir überzeugt sind, dass mehr Informationen die Ambivalenz in die eine oder andere
Richtung auflösen können. Mehr Fragen zu generieren werden nicht weiterhelfen, weil es keinen
logischen Haltepunkt gibt. Man kann genauso gut an einem willkürlichen Moment aufhören Fragen
zu stellen und eine "Bauchentscheidung" treffen. Und danach daran arbeiten die Entscheidung
richtig zu machen statt von der Vorstellung getrieben zu sein die richtige Entscheidung treffen zu
müssen.
Mehr Unterscheidungen einzuführen wird nicht zu absolut richtigen Entscheidungen führen.
In einem achtsamen Zustand zu leben und arbeiten kann mit dem Leben in einem transparenten
Haus verglichen werden. Auch wenn es richtig ist, dass wir nicht an alles gleichzeitig denken
können, kann alles zur Verfügung gehalten werden. Auf diese Weise wach und geistesgegenwärtig
zu sein, offen für neue Perspektiven und neue Informationen, ist nicht anstrengend. Was Energie
kosten mag ist den Wechsel von einem achtlosen in einen achtsamen Modus zu bewerkstelligen, so
wie in der Physik es Energie erfordert den Kurs eines bewegten Körpers zu verändern und es
Energie erfordert einen ruhenden Körper in Bewegung zu versetzen.
Eine achtsame Wahrnehmung verschiedener Optionen gibt uns mehr Einfluss. Dieses Gefühl, mehr
Einflussmöglichkeiten zur Verfügung zu haben ermutigt uns andrerseits achtsamer zu sein.
Achtsamkeit ist keine langweilige Routine, sondern fordert uns heraus in einer kontinuierlichen,
kraftvollen Dynamik mitzuwirken.
Ein Grund, warum Achtsamkeit anstrengend erscheinen mag, könnte dem Schmerz negativer
Gedanken geschuldet sein. Wenn Gedanken unbequem und unangenehm sind, möchte man sie
gerne löschen oder wegkriegen. Der Schmerz resultiert jedoch nicht aus einer achtsamen
Wahrnehmung dieser Gedanken, sondern aus einem einseitigen Verständnis des schmerzvollen
Ereignisses. Eine achtsame neue Perspektive würde diesen Schmerz effektiver löschen.
In ähnlicher Weise hat ängstliches Denken der Achtsamkeit zu einem schlechten Image verholfen.
Angst oder Furcht verspüren hat nichts mit Achtsamkeit zu tun, und Achtlosigkeit ist nicht
entspannend, wie oft geglaubt. Hingegen sind stressige Ereignisse wahrscheinlich weniger stressig,
wenn es gelingt sie aus verschiedenen Perspektiven zu bedenken.
Achtsamkeit kann, genauso wenig wie ein Bach, eingefangen werden, kann nicht ein für alle Mal
analysiert werden. Beim Versuch sie zu quantifizieren oder auf eine Formel zu reduzieren riskieren
wir das ganze Phänomen aus den Augen zu verlieren.
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