Mediation in der politischen Diskussion

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MEDIATION IN DER POLITISCHEN DISKUSSION ?
1. Die aktuelle politische Auseinandersetzung in der Schweiz
„In der Demokratie ist es wie im Sport. Es gibt Sieger und Verlierer. Beidenorts werden
hochgejubelte Akteure mitunter über Nacht zu tragischen Figuren. Wo Wettbewerb herrscht,
fliegt das Risiko mit. Jacqueline Fehr hat vor zehn Tagen verloren. Die SP-Bundeshausfraktion kürte die streitbare Zürcher Nationalrätin nicht zu ihrer Chefin“. So der Wortlaut eines
Artikels der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. Februar 2012.
„Dass
der Ton in der Kantonspolitik in letzter Zeit ruppiger geworden ist, hängt aber auch
damit zusammen, dass sich die sogenannten «bonnes familles» weitgehend aus der Genfer
Politik zurückgezogen haben, wodurch die calvinistisch geprägte Kultur des Understatements einer «Kultur» der Provokation und Konfrontation gewichen ist. Vor allem seit das
MCG den Ton angibt, wird der Ton schärfer und gehässiger“. Soweit ein anderer Artikel der
Neuen Zürcher Zeitung vom 5. März 2012.
Unzählige, ähnliche Äusserungen werden Tag für Tag durch unsere Medien verbreitet. Die
Annahme, dass sie die Sichtweise ihres Publikums entsprechend prägen, ist vermutlich nicht
völlig von der Hand zu weisen, spricht man bei Medien allgemein von Meinungsmachern.
Mein persönlicher Erfahrungsschatz als Gemeinderätin ist reich an politischen Versammlungen und Vorfällen, die von ironischen und doppelbödigen Bemerkungen über
diffamierende Angriffe oder prinzipielle Opposition gegenüber Verhandlungen bis hin zu
Angriffen auf Leib und Gut politisch Andersgesinnter reichen.
Ein Erlebnis anlässlich einer öffentlichen Diskussionsrunde mit Vertretern verschiedener
politischer Parteien (Medien würden vermutlich von „Arena“ sprechen) zeigt ebenfalls, dass
die Bühne der politischen Debatte und Entscheidfindung vom Bürger gemeinhin als akuter
Kriegsschauplatz interpretiert wird. Mein Nachbar wandte sich mir am Schluss des Anlasses
enttäuscht mit der Bemerkung zu, dass dies nun aber wirklich keine blutige Schlacht
gewesen sei. Auf dem Heimweg haben mich folgende Fragen beschäftigt:
Wieso tue ich mich schwer mit der heutigen Art der politischen Auseinandersetzung? Was
zeichnet eine direkte Demokratie aus? Wie stelle ich mir eine zeitgemässe politische
Auseinandersetzung idealerweise vor und wie liesse sich diese allenfalls verwirklichen?
2. Auswirkungen auf die direkte Demokratie
Wieso tue ich mich schwer mit der heutigen Art der politischen Auseinandersetzung? Weil ich
überzeugt bin, dass die Entwicklung von der sachlichen politischen Auseinandersetzung hin
zum medienwirksamen Kräftemessen politischer Opponenten das Ziel, eine für alle Parteien
befriedigende Lösung zu finden, total verfehlt. Dieses Phänomen ist umso bedauerlicher in
einem Staat, der eine lange Tradition der direkten Demokratie kennt. Könnte einer der
1
unbestritten zahlreichen Gründe für das offenbarende Desinteresse des Bürgers sich aktiv
am aktuellen politischen Geschehen zu beteiligen nicht auch in der Furcht und Abscheu
liegen, sich dieser unsachlichen politischen Kultur auszusetzen? Ist die allgemein magere
Stimmbeteiligung vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass die politische Diskussion sich
nicht mehr um die Auseinandersetzung mit Themen, sondern um die persönliche Berespektive Verurteilung der daran Beteiligten dreht? Werden nicht zu oft demokratische
Instrumente sinn- und zweckentfremdet eingesetzt, um dem politischen Gegner eins
auszuwischen?
Was zeichnet die direkte Demokratie denn eigentlich aus?
Generell sicher einmal die Möglichkeit des Bürgers, seine Stimme für oder gegen
Verfassungs- und Gesetzesartikel oder Projekte abzugeben und das Recht, Personen in
politische Ämter wählen zu können. Ist es aber nicht insbesondere die meinungsbildende
Auseinandersetzung der Bürger mit sie betreffenden Themen, die die direkte Demokratie der
Schweiz auszeichnet? Ist es nicht die unmittelbare Teilnahme des Bürgers am politischen
Entscheidfindungsprozess im Bewusstsein, dass sein Leben nachhaltig davon geprägt ist?
Wenn aber 70% der Stimmberechtigten ihre Stimme nicht abgeben, dann stellt sich die
Frage, ob das Abstimmungsergebnis noch als repräsentativ gelten kann? Deshalb ist es
meiner Meinung an der Zeit, die Stimmbürger durch die Schaffung optimaler Bedingungen
für die Entscheidfindung wieder zur Stimmabgabe zu motivieren. Denn nur so werden
Entscheidungen von allen Betroffenen auch dauerhaft mitgetragen.
3. Neue Wege
Wie stelle ich mir eine zeitgemässe politische Auseinandersetzung idealerweise vor und wie
liesse sich diese verwirklichen?
Die politische Auseinandersetzung dient von mir aus gesehen dem Herausarbeiten der Vorund Nachteile von Lösungsvorschlägen, um alsdann die Wahl der für die Gemeinschaft
optimalsten Variante zu ermöglichen. Meine Vorstellung der optimalen politischen Entscheidfindung orientiert sich denn auch an der Mediation und deren Prozessen.
Die Lösung der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen erfordert
unbedingt eine neue politische Kultur. Ich beziehe mich auf Albert Einstein und wage es,
seine Aussage, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann durch die
sie entstanden sind, auch auf die Frage der politischen Auseinandersetzung anzuwenden.
Ich bin überzeugt und, wie folgende Beispiele zeigen werden, offensichtlich auch viele
andere Stimmbürger, dass nur grundlegend neue Systeme zu einer fruchtbaren politischen
Diskussion führen können.
Was sind nun aber konkrete Ansätze zu neuen Wegen in der Politik?
Anlässlich der Grossratswahlen im Kanton Waadt hat eine junge Partei auf sich aufmerksam
gemacht. Ziel der Wikikratie1 ist es, jeden Bürger entscheiden zu lassen, wie die von ihm
gewählten Vertreter zu stimmen haben. Die Volksvertreter (Wikikraten) sind also nicht mehr
frei, sondern geben ihre Stimmen gemäss den von ihren Wählern (Wikiphile) per Computer
1
www.wikicratie.ch
2
oder Mobilphone erhaltenen Instruktionen ab. Das Abstimmungsergebnis der Wikiphilen wird
anlässlich der Abstimmung innerhalb des Parlaments getreu wiedergegeben. Konkret heisst
das, wenn sich 10 Wikikraten im Parlament befinden und das Abstimmungsergebnis der
Wikiphilen für eine Vorlage 70% Ja-Stimmen und 30% Nein-Stimmen ergibt, werden 7
Wikikraten für und 3 gegen die Vorlage stimmen. Es gibt somit keine autonome Instanz mehr
zwischen Stimmbürger und politischer Gewalt.
Einen anderen Ansatz bildet das SK-Prinzip (Systemische Konsensieren)2, begründet von
Georg Paulus, Siegfried Schrotta und Erich Visotschnig. Das Systemische Konsensieren ist
auf Konsense und nicht auf Kompromisse gerichtet. Machtkämpfe sollen dadurch verhindert
werden. Es gibt keine Verlierer wie bei einer traditionellen demokratischen Abstimmung, die
dem Stimmberechtigten lediglich die Wahl zwischen Annahme, Ablehnung oder Enthaltung
lässt. Beim Konsensieren kann über verschiedene Vorschläge gleichzeitig abgestimmt
werden. Die Stimme gibt den Widerstand für die jeweilige Lösung an. Es wird der Vorschlag
mit dem geringsten Gruppenwiderstand gesucht. Das System gilt als Machtparadoxon, denn
ein machtorientierter Vorschlag wird Widerstand ernten und sich deswegen nicht
durchsetzen. Somit setzen sich nur Vorschläge durch, die die Interessen aller möglichst
weitgehend berücksichtigen.
Auch partizipative Workshops, in denen die Bevölkerung Lösungsvorschläge und
Empfehlungen zur Lösung bestimmter Probleme ausarbeitet, bilden meines Erachtens
durchaus eine interessante Möglichkeit politische Diskussionen zu führen. James Surowiecki
erklärt denn auch in seinem Buch „Die Weisheit der Vielen“, dass Gruppen oftmals bessere
Entscheidungen treffen als Einzelne, weil sie mehr Ideen und Informationen
zusammenbringen und dadurch Perspektivenwechsel und kritisches Hinterfragen
ermöglichen.
Meine eigene politische Arbeit ist von den Prinzipien der Mediation geprägt. Mediatives
Handeln setzt immer die Bereitschaft aller Beteiligten zu kooperieren voraus. Die
Kooperationsbereitschaft der anderen Politiker steigt, wenn sie erkennen, dass sie damit
ihren politischen Zielen näherkommen. Indem ich in meiner politischen Kommunikation
Lösungsvarianten und nicht fertige Lösungen vorschlage, signalisiere ich meine Bereitschaft,
mit allen Interessierten zu einer kreativen Synthese aus Pro- und Kontraargumenten zu
gelangen. (Vgl. Anhang).
Dieses Vorgehen soll die verschiedenen politischen Lager vermehrt dazu führen, ihre
Interessen und Ziele anstelle ihrer Position zu formulieren. Dies entspricht meines Erachtens
denn auch eher dem demokratischen Meinungsfindungsprozess, den ich ihn mir wünsche.
Die Parteizugehörigkeit ist dabei kein Hindernis. Dieses Verständnis von politischer
Auseinandersetzung bedeutet vielmehr einen Schritt des Politikers weg von der Verfechtung
einer Ideologie hin zu einer Sach- und Realpolitik. Damit dürfte sich der Kommunikationsstil
in der öffentlichen Diskussion generell ändern. Es sollte höfliches, interessenbezogenes
Kommunizieren mit Rücksicht auf die Persönlichkeit und Mentalität der Beteiligten daraus
resultieren. So heißt es dann nicht mehr: „Ich kann nicht verstehen, wie Sie einen solchen
Blödsinn verteidigen können!“, sondern: „Ich möchte Ihren Standpunkt besser verstehen“.
2
www.sk-prinzip.eu
3
4. Ausblick
Im politischen Umfeld werden unterschiedliche Standpunkte oft vehement verfochten und
Kooperationsbereitschaft mit der Gegenseite zu Unrecht als Verrat an den politischen
Mitstreitern verstanden. Tatsächlich aber verhindert die Bereitschaft zum Gespräch, dass die
Demokratie zur Diktatur der Mehrheit wird. Die in der schweizerischen Politik vermehrt
feststellbare Tendenz zu publikumswirksamen Schwarz-Weiss-Malerei und Positionsreiterei
steht der helvetischen Kompromissbereitschaft, für die Opposition mit Kooperation durchaus
vereinbar ist, diametral entgegen. Idealerweise sind eigentliche Konsenslösungen, die auf
dem grössten, gemeinsamen Nenner der Kontrahenten beruhen, anzustreben, denn nur sie
haben Langzeitwirkung. Damit würde die politische Diskussion sachlicher, konstruktiver und
operativer. Dies steht im klaren Widerspruch zu den Verfechtern einer kompromisslosen
Politik gemäß ausländischem Modell. Ausländische Modelle können jedoch schon aufgrund
der unterschiedlichen Größe und Geschichte eines jeden Landes nicht einfach blind
übernommen werden. Mediatives Politisieren spricht auch keineswegs gegen einem klaren
Positionsbezug, jedoch erst nach einmal geführter, sachlicher Diskussion.
Durch mediatives Handeln der Politiker würde nicht nur die aktuelle Diskussion sondern
auch die künftige, politische Auseinandersetzungen positiv beeinflusst. Angesichts der von
mediativen Mitteln ausgehenden Kraft könnte dadurch mit der Zeit eine neue politische
Kultur des Konsenses entwickeln!
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