Solidarischer Kick - Neues Deutschland

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Pflicht der Unternehmer
Gert Voss – ein Nachruf
Feministisches Weltall
Reiche sollten mehr Steuern zahlen, sagt Frank
Otto aus der Versandhaus-Familie. Seite 3
Der Schauspieler, der graziöse Gaukler –
ein Olympier seiner Sparte. Seite 15
Die bessere Hälfte der ScienceFiction. Seite 16
Foto: imago/Horst Galuschka (l.), imago (r.)
Dienstag, 15. Juli 2014
STANDPUNKT
Ohne Anlauf
in die Politik
69. Jahrgang/Nr. 162
Bundesausgabe 1,70 €
www.neues-deutschland.de
Solidarischer Kick
Politaufsteiger
siegt in Slowenien
Neben dem FIFA-Kommerzspektakel erlebte Brasilien auch die Straßenkicker-WM
Cerars Partei bei Wahl vorn
Detlef D. Pries zum Wahlerfolg
Miro Cerars in Slowenien
Im unverbesserlichen Politsprech
nennt man das, was bei den vorgezogenen Wahlen in Slowenien
geschah, einen »Erdrutschsieg«.
Dabei ist ein Erdrutsch eine Katastrophe, die ganze Ortschaften
samt allem Leben darin unter sich
begraben kann. Gewiss, gar zu oft
führt auch Politik zu Tod und
Zerstörung, doch sollte man einem Wahlsieger die Absicht nicht
von vornherein unterstellen.
Auch wenn das Programm des
slowenischen Triumphators Miro
Cerar reichlich vage anmutet.
Das Ende der Korruption und
eine moralische Erneuerung in der
kleinen Republik an Alpen und
Adria haben schon andere Politiker und Parteien versprochen. Die
Slowenen sahen sich jedes Mal
enttäuscht, von Konservativen wie
von Sozialdemokraten, vom
»Neuen« oder zuletzt vom »Positiven Slowenien«. Im Grunde war
es stets die gleiche neoliberale
Politik, die seit Sloweniens EUBeitritt 2004 unter wechselnden
Namen betrieben wurde – unter
Berufung auf Forderungen der
Brüsseler Kommission und auf
Sparzwänge. Die wiederum hinderten etliche Regierende nicht,
sich zu bereichern.
Der Jurist Miro Cerar mag die
besten Vorsätze haben, »aus dem
Stand« eine neue Politik zu betreiben. Den Ehrgeiz hat ihm
möglicherweise sein Vater Miroslav vererbt. Der war als Turner
zweimal Olympiasieger am Seitpferd. Die Übungen an diesem
Gerät beginnen bekanntlich auch
aus dem Stand – ohne Anlauf.
Doch Ehrgeiz allein reicht nicht,
sich Wählervertrauen auf Dauer
zu sichern.
UNTEN LINKS
Leider ist die in der gestrigen
Ausgabe an diesem Platz praktizierte Verschlüsselung sofort von
NSA, CIA, GST, DFB, DFD und
diversen anderen Diensten geknackt worden. Nordkorea verbreitete die peinliche Publikation
sogar in den Staatsmedien. Darum ist die heutige Botschaft so
was von encodiert, dass selbst wir
nicht wissen, wie sie lautet. Sie,
liebe Leserinnen und Leser, können die Nachricht dechiffrieren,
indem Sie die Buchstaben des Alphabets, die Sie komplett in diesem Text finden, in einer beliebigen Reihenfolge zusammenstellen. Sollten Sie den einen oder
anderen Buchstaben öfter benötigen, als hier abgedruckt,
schneiden Sie ihn aus, gehen Sie
in den nächsten Copyshop oder
lassen Sie die Lettern von Ihrem
schulpflichtigen Kind respektive
Enkelkind entsprechend oft abschreiben. So werden Ihre geheimsten Wünsche wahr (zumindest auf dem Papier). Und nicht
der geheimste Geheimdienst erfährt auch nur ein Jota davon.
Ach so, der hier fehlt noch: Q. ibo
ISSN 0323-3375
Straßenkicker-WM in São Paulo – kleiner Rahmen, aber dennoch große Stimmung
Berlin. Die Fußball-WM ist vorbei, der Weltmeister heißt Kolumbien. Die Kolumbianer
besiegten im Finale Israel 6:3. Die Deutschen
überstanden die Vorrunde nicht.
Natürlich, die Rede ist nicht vom gigantischen Kommerzspektakel des Weltfußballverbands FIFA, bei dem sich am Sonntagabend im
Maracana-Stadion von Rio de Janeiro die deutschen Millionäre um Lahm und Schweinsteiger mit 1:0 gegen die argentinischen Millionäre um Messi und Higuain durchsetzten. Sondern es geht um die Weltmeisterschaft der
Straßenkicker in São Paulo, wo kolumbianische Frisör- und Tätowierlehrlinge im Finale
Foto: imago/Xinhua
das Team einer multikulturellen Fußballschule aus Israel bezwangen. Die Deutschen, Kicker eines Fanladens des Hamburger Vereins
FC St. Pauli, kamen über die Vorrunde nicht hinaus. Rund 300 Teilnehmer aus 20 Ländern von
vier Kontinenten waren nach São Paulo gekommen, um die Besten zu ermitteln – gewertet wurden neben den erzielten Toren auch
Punkte für Fair Play und respektvollen Umgang. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
die in gemischten Teams spielten und in ihrer
Heimat oft in prekären Verhältnissen leben,
wohnten in São Paulo nicht in abgeschotteten
Trainingscamps, sondern mitten in den Ar-
menvierteln der Metropole. »Wir wurden sehr
gastfreundlich aufgenommen«, berichtete eine
deutsche Betreuerin.
Von der FIFA wollen die Organisatoren der
Straßenkicker-WM nichts mehr wissen. Bei der
WM 2010 hatte man noch kooperiert, aber die
hemmungslose Vermarktung des Profifußballs lehnen die Straßenkicker ab. Sie wollen
eine von Konzernsponsoren unabhängige solidarische Atmosphäre. Die Spiele der FIFAWM mit Neuer, Neymar und Co. sahen sich
die Straßenkicker dennoch an, am Fernseher
gemeinsam mit ihren brasilianischen Gastgebern. wh
Seiten 4, 10, 11, 19 und 20
Israel fordert Demilitarisierung von Gaza
Nach tagelanger Offensive sind die Operationsziele der Regierung Netanjahu weitgehend unklar
Internationale Bemühungen um
eine Waffenruhe in Israel und
Palästina sind in vollem Gange.
Israel macht seine Zustimmung
aber von einer Demilitarisierung in Gaza abhängig.
Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv
Die Ernüchterung ist deutlich zu
spüren, in der Politik, in den Medien: Eine Woche dauert die israelische Militäroperation im Gaza-Streifen an, fliegt Israels Luftwaffe tagtäglich Angriffe auf mehr
als 300 Ziele in dem dicht bevölkerten Landstrich. Doch die Raketen, die von dort aus abgefeuert werden, werden einfach nicht
weniger. Um die 1200 waren es
bisher, während an die 2000 Luftangriffe geflogen wurden. Mindestens 180 Menschen starben.
Und so wird nun sehr deutlich
die Frage gestellt, wie es denn
weitergehen soll. »Wenn die Anführer der Hamas aus ihren Verstecken hervorkriechen, werden
sie den Schaden sehen, den wir
ihnen zugefügt haben«, sagte Verteidigungsminister
Mosche
Ja’alon am Montag. Doch Jossi Jehoschua kommentiert in der Zeitung »Jedioth Ahronoth«, die Hamas sei nicht so sehr geschwächt
worden, wie Israels Regierung es
darstellt. Dabei ticke die Uhr zunehmend schneller, warnt der Militärrundfunk: »Die internationale
Gemeinschaft hat eine Woche lang
stillgehalten; ab jetzt wird der Ton
schärfer werden.«
Die Bemühungen um eine diplomatische Lösung laufen nun auf
Hochtouren: Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird in Israel und Palästina
erwartet, nachdem er zunächst in
Jordanien vorsprach. Darüber hinaus wird auch in Washington und
bei der Europäischen Union an einem Plan für das Ende der Auseinandersetzung gebastelt.
Nur: Israels Regierung fordert
eine Demilitarisierung des GazaStreifens; die Raketen und Waf-
fenfabriken dort müssten komplett zerstört werden. Außerdem
müsse Ägypten sicherstellen, dass
keine neuen Tunnel unter der
Grenze hindurch gegraben wer-
»Die internationale
Gemeinschaft hat
eine Woche lang
still gehalten; ab
jetzt wird der Ton
schärfer werden.«
Militärrundfunk Israels
den. Aber: Dafür müssten entweder israelische Truppen dort einmarschieren oder die internationale Gemeinschaft den Job übernehmen. Ausländische Streitkräfte im Gaza-Streifen lehnt Israel allerdings bislang ab, und
auch bei den Vereinten Nationen
ist man nicht begeistert von dem
Gedanken. Denn es gilt als un-
wahrscheinlich, dass die palästinensischen Kampfgruppen ihre
Waffen freiwillig abgeben werden. Aus ihrer Sicht sind sie das
einzige Mittel, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Wie sich Israels Regierung die
Umsetzung der Forderung nach
einer Entwaffnung vorstellt, ist
dementsprechend ebenso unklar
wie die Antwort auf die Frage, ob
die Bodenoffensive, die seit einer
Woche im Raum steht, kommen
wird. Auch hier hält sich Regierungschef Netanjahu bedeckt.
Und sein Außenminister Avigdor
Lieberman erklärte am Montag
nur allgemein, dass es ein Fehler
wäre, den Einsatz zu beenden, bevor alle Ziele erreicht sind. Israels
Linke moniert den »Mangel an
klaren Entscheidungen«, so Jitzhak Herzog, Vorsitzender der Arbeitspartei. Netanjahu solle endlich klar benennen, was er genau
vorhat und wie sein Notfallplan
aussieht, wenn diese Ziele nicht
erreicht werden.
Seite 6
Ljubljana. Die erst vor gut einem Monat gegründete Partei Miro Cerar (SMC), deren Namensgeber ein prominenter Juraprofessor ist,
hat die vorgezogene Parlamentswahl in Slowenien gewonnen. Die Partei, die sich in der
politischen Mitte sieht, stellt in der neuen
Volksvertretung 36 von 90 Abgeordneten.
Senkrechtstarter Miro Cerar will einen
Schwerpunkt seiner Arbeit auf den Kampf gegen die weit verbreitete Korruption legen, die
im NATO- und Euro-Land Slowenien zu großer Politikverdrossenheit geführt hatte.
Auf den zweiten Platz kam abgeschlagen
die konservative Demokratische Partei (SDS)
mit 21 Sitzen. Ihr Vorsitzender, der ehemalige Premierminister Janez Janša, sitzt derzeit
wegen Korruption im Gefängnis. Die Bildung
einer großen Koalition haben die beiden
stärksten Parteien strikt ausgeschlossen.
Auf dem dritten Platz landete die Rentnerpartei (DESUS) mit zehn Sitzen.
Einen beachtenswerten Erfolg verbuchte die
sozialistische Vereinigte Linke, die entgegen
allen Vorhersagen auf Platz vier einkam und
mit sechs Mandaten ebenso viele Sitze errang
wie die bisher weitaus stärkeren Sozialdemokraten. Zu dem Linksbündnis hatten sich
erst im März dieses Jahres drei kleinere Parteien zusammengetan: die Initiative für Demokratischen Sozialismus, die Demokratische Partei der Arbeit und die Partei für Ökosozialismus und nachhaltige Entwicklung Sloweniens.
Auch die neue Partei der bisherigen Regierungschefin Alenka Bratušek (ZAB), deren
Rücktritt zu den Wahlen ein Jahr vor dem regulären Termin führte, schaffte mit vier Abgeordneten den Einzug in die Staatsversammlung. Dagegen scheiterte die Partei Positives Slowenien, die vor drei Jahren mit 28,5
Prozent der Stimmen noch stärkste Kraft war,
diesmal an der Vierprozenthürde. dpa/nd
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Waffenexport von
Sig Sauer gestoppt
Verdacht auf illegale Geschäfte
Berlin. Das Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle stoppte – wie jetzt bekannt
wurde – Anfang Juli die Bearbeitung sämtlicher Ausfuhranträge des Waffenherstellers
Sig Sauer aus dem schleswig-holsteinischen
Eckernförde. Grund sind Lieferungen in das
Bürgerkriegsland Kolumbien, die nach den
deutschen Ausfuhrbestimmungen illegal sind.
Das Verteidigungsministerium in Bogotá
bestätigte, man habe seit 2006 fast 65 000 SigSauer-Pistolen erhalten. Allerdings kamen die
aus den USA. Sie seien im Rahmen des Foreign Military Sales Programm erworben worden. Im Rahmen dieses Programms können
die USA Verteidigungsgüter und Dienstleistungen ins Ausland verkaufen, wenn der USPräsident formal feststellt, dass damit die Sicherheit der USA gestärkt und der Weltfrieden gefördert wird. In den vergangenen fünf
Jahrzehnten sind in Kolumbien nach Schätzungen von Bürgerrechtsorganisationen über
220 000 Menschen ermordet worden.
Die von Sig Sauer eingereichten Exportpapiere besagten, dass die Pistolen für den USMarkt bestimmt seien. Abgestempelt waren
die Dokumente vom US-Justizministerium.
Angeblich deuten interne Firmen-Mails aber
darauf hin, dass die Firmenchefs mindestens
seit Herbst 2010 wussten, dass man die kolumbianische Polizei beliefert. Möglicherweise ist die Durchleitung durch US-Behörden als Kompensation für einen entgangenen
Großauftrag der US-Armee gedacht gewesen,
bei dem Sig Sauer dem Konkurrenten Beretta
unterlag.
Sig Sauer steht zudem in Verdacht, illegal
Waffen nach Kasachstan geliefert zu haben.
Deutsche Staatsanwälte ermitteln auch gegen
die beiden anderen deutsche Kleinwaffenhersteller: Heckler&Koch und Walther sollen
ebenfalls illegal Waffen nach Kolumbien und
Mexiko exportiert haben. hei
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