Hörgeräte - Eine Industrie im Wandel

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Finanzmarktkommentar HealthCare
Analyst: Klaus Niedermeier, Finanzanalyst/CEFA, 18. Februar 2016
Hörgeräte – Eine Industrie im Wandel
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Eine klassische Wette auf die demografische Entwicklung
Regulierung nimmt Preise unter die Lupe
Veränderungen des Wettbewerbsumfelds bringen Chancen und Risiken
Hohes Potenzial, niedrige Penetration
Hörverlust ist ein weitverbreitetes Phänomen, unter dem nach Umfragen der Branchenverbände EHIMA und HIA etwa jeder
Zehnte leidet. Die Hörminderung ist in den meisten Fällen altersbedingt und betrifft besonders die Gruppe der über
65jährigen. In der Altersgruppe der über 74jährigen klagt sogar mehr als jeder Dritte über eingeschränktes Hörvermögen.
Altersbedingte Schwerhörigkeit zählt zu den verschiedenen Ursachen von sensoneuralem Hörverlust, bei dem die Haarzellen im Gehör ihre Funktion nicht mehr voll wahrnehmen können. Derzeit gibt es keine heilenden Behandlungsmöglichkeiten,
so dass den meisten Patienten früher oder später nur der Griff zum Hörgerät bleibt. Damit profitiert der Markt für Hörgeräte
direkt von der demografischen Entwicklung und der alternden Bevölkerung. Heutzutage haben Hörgeräte aber nichts mehr
mit den Hörrohren alter Komödien zu tun, sondern sind wahre Mini-Computer, die sich über komplizierte Algorithmen den
verschiedenen Geräuschkulissen anpassen können. Außerdem sind die Geräte mittlerweile so klein und diskret, dass sie
auf den ersten Blick kaum auffallen.
Trotzdem nutzt noch nicht einmal jeder dritte Betroffene ein Hörgerät. Zwar konnte die Penetration im Laufe der Jahre
durch Aufklärungskampagnen und immer bessere Technik leicht verbessert werden, von ihrem vollen Potenzial ist die Industrie aber immer noch weit entfernt. Neue Ausstattungsmerkmale wie die drahtlose Kommunikation mit dem Smartphone
sollen auch die jüngeren Patienten ansprechen, doch scheint die Akzeptanz sich nur langsam durchzusetzen. Die besten
Absatzchancen bestehen wenig überraschend bei Patienten mit besonders schwerwiegendem Hörverlust und in Ländern, in
denen die Kostenübernahme durch den Staat oder die Versicherungen besonders hoch ist. Zu den häufigsten Argumenten
gegen den Kauf eines Hörgerätes gehören mangelnder Tragekomfort, als ausreichend empfundenes restliches Hörvermögen oder die empfundene Stigmatisierung.
Nutzung nach Grad der Schwerhörigkeit
Verkaufszahlen nach Ländern
25
Geräte pro 1.000 Einwohner
100%
80%
60%
40%
20%
0%
leicht bis
mittel
mittel bis
stark
kein Hörgerät
stark
20
15
10
5
0
0
EUR
600
EUR
120
limitiert
Span.
Ital.
Frankr.
USA
Hörgerät
EUR
840
100%
100%
Deuts. Großbr. Dänem.
Land und Erstattung
Quellen: Eurostat, Hearing Review, HIA
Die hier getroffenen Aussagen beruhen auf Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen,
die wir für zuverlässig halten, aber nicht überprüft haben. Die Haftung für Richtigkeit und Vollständigkeit
der gemachten Angaben ist auf grobes Verschulden begrenzt. Nachdruck nur mit Genehmigung.
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Finanzmarktkommentar HealthCare
Analyst: Klaus Niedermeier, Finanzanalyst/CEFA, 18. Februar 2016
Regulierung schaut sich Preise an
Neben diesen Gründen nennt mehr als jeder zweite Nicht-Nutzer den hohen Preis als K.O.-Kriterium. Zwar leisten die Krankenkassen in vielen Ländern Erstattungen, aber da Premium-Geräte leicht Preise von 3.000 Euro und mehr erreichen können, werden vielfach Zuzahlungen fällig. Die Gründe für die hohen Preise sind verschiedener Natur. Zum einen müssen die
Hörgeräteakustiker ihre Fixkosten decken, was bei oft nur 2 verkauften Geräten pro Tag einen deutlichen Aufschlag auf den
Großhandelspreis nötig macht, um ein rentables Geschäft betreiben zu können.
Zum anderen lässt sich die Preisstruktur aber auch durch die oligopolistischen Strukturen der Hersteller erklären. Weltweit
werden jährlich etwa elf bis zwölf Millionen Hörgeräte verkauft, wobei sich der Absatz auf die entwickelten Länder konzentriert, da in Ländern wie Indien und China bisher nur eine rudimentäre Infrastruktur besteht, über die die Versorgung erfolgen kann. Dieser Markt wird von sechs globalen Herstellern dominiert, die über verschiedene Marken über 90% des Geschäftes unter sich aufteilen. Mit der Schweizer Sonova und den dänischen Herstellern William Demant und GN Store Nord
sind drei der Hersteller börsennotiert.
Ob die derzeitige Preisstruktur gerechtfertigt ist, wird derzeit in verschiedenen Ländern unter die Lupe genommen. So hat
das President’s Council of Advisors on Science and Technology (PCAST) im Oktober 2015 einen Bericht über Hörverlust im
alternden Amerika veröffentlicht, der die Frage adressiert, wie mit der Problematik umgegangen werden kann, dass die
Anzahl der älteren (und damit auch die Anzahl der schwerhörigen) Menschen in den nächsten Jahren stark steigen wird,
viele sich aber keine audiologische Versorgung leisten können. Zu den Lösungsvorschlägen gehört die Produktion von „Basis“-Hörgeräten, die kostengünstig für einfache Fälle genutzt werden können und vom Nutzer auf Grundlage von onlineHörtests selbst angepasst werden können. Im April 2016 wird die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA die Vorschläge
der PCAST mit Herstellern und Industrieverbänden diskutieren, wobei die Zulassung derartiger Basisgeräte sich nachteilig
auf die Profitabilität der Premium-Hersteller auswirken könnte.
Auch in Frankreich stehen die hohen Preise für Hörgeräte in der Kritik. So hat das französische Kartellamt am 10. Februar
erklärt, die Marktstrukturen dahingehend zu analysieren, ob ein ausreichendes Maß an Wettbewerb vorhanden ist.
Ein neuer Wettbewerber kündigt sich an
Für Aufmerksamkeit im Hörgeräte-Markt sorgen derzeit außerdem Spekulationen, dass der koreanische Elektronikriese
Samsung in das Geschäft mit Hörgeräten einsteigen will. Zwar ist von der Firma selbst keine offizielle Aussage erfolgt, jedoch wird in Industriekreisen vielfach über Patentregistrierungen, Aufträge für Komponenten und Produkttests berichtet.
Welche Technologie, welches Distributionsformat und welche Preisstrategie Samsung wählen könnte, scheint aktuell aber
noch völlig unklar.
Viele Wege führen zum Kunden
Der Vertrieb von Hörgeräten wurde viele Jahre von klassischen Einzelhändlern dominiert, die in spezialisierten Geschäften
ihre Kundschaft bedienten. Mittlerweile hat sich aber eine Reihe von alternativen Distributionsformaten am Markt etabliert,
die den Markt nachhaltig verändern könnten. Ein Beispiel hierfür ist die Optikerkette Fielmann, die in vielen Filialen nicht
mehr nur Brillen, sondern auch audiologische Dienstleistungen anbietet und Hörgeräte verkauft. Ein ähnliches „shop-inshop“ Konzept betreibt die Apothekenkette Boots in Großbritannien und bietet Geräte und Service in zahlreichen Apotheken an. Dass Hörgeräte auch auf völlig untypischen Wegen vertrieben werden kann, hat die US-Warenhauskette Costco
bewiesen. Hier wurden in den großmarkt-ähnlichen Geschäften Kabinen installiert, in denen Kunden ihr Gehör überprüfen
lassen und Hörgeräte vor Ort zu in der Regel sehr günstigen Konditionen erwerben können.
Wie sich diese neuen alternativen Vertriebswege auf die bestehenden Marktstrukturen auswirken, hängt von der Reaktion
der verschiedenen Marktteilnehmer ab. Für den Vertrieb wird es essenziell sein, sich über Serviceleistungen von Wettbewerbern abzusetzen, die über Billigangebote Marktanteile gewinnen wollen.
Die hier getroffenen Aussagen beruhen auf Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen,
die wir für zuverlässig halten, aber nicht überprüft haben. Die Haftung für Richtigkeit und Vollständigkeit
der gemachten Angaben ist auf grobes Verschulden begrenzt. Nachdruck nur mit Genehmigung.
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