5 Customer Relationship Management

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1
Customer Relationship Management –
ein Bezugsrahmen
1.1
Die Entwicklung zum kundenzentrierten Unternehmen
Das Customer Relationship Management (CRM) ist ein Managementkonzept,
das die Kundenorientierung aller Unternehmensbereiche im Sinne eines ganzheitlichen Marketings in den Vordergrund stellt. Diese Grundidee ist nicht neu –
Theodore Levitt äußerte sie bereits 1960 in der Harvard Business Review in seinem Artikel »Marketing Myopia« (zu deutsch: Marketing-Kurzsichtigkeit [Levitt
2004]). Er transportierte als Erster das Marketing auch in den Verantwortungsbereich des gehobenen Managements: »Um ein entsprechendes Kundenpotenzial
aufzubringen, muss das gesamte Unternehmen als ein Kunden schaffender und
Kundenwünsche befriedigender Organismus gesehen werden und nicht als Produzent von Gütern oder Dienstleistungen. Diese Philosophie müssen Topmanager
in jede Ecke und in jeden Winkel der Organisation tragen« [Levitt 2004, S. 129].
Trotz dieser frühen Erkenntnisse ist der Stellenwert der Kundenorientierung in
der Unternehmenspraxis erst in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen, wie
Abbildung 1–1 zeigt.
In den 1950er-Jahren waren die meisten Unternehmen noch vorwiegend
damit beschäftigt, ihre Engpässe bei den Produktionskapazitäten und in der Distribution zu beseitigen. Zumeist war die Nachfrage deutlich höher als das Produktangebot (Verkäufermarkt), sodass sich die Kunden eigenständig um die
knappen Produkte bemühten und sich Marketingaktivitäten erübrigten. Die hohe
Nachfrage zog in der Folgezeit jedoch immer mehr Konkurrenten an, die das Produktangebot stark ausweiteten: Aus den Verkäufermärkten entstanden (zumindest in den Industrieländern) Käufermärkte. Sie zeichnen sich durch ein Überangebot an Produkten aus, sodass sich nun die Anbieter von ihren Konkurrenten
z. B. durch ihr Produkt- und Leistungsangebot abgrenzen mussten.
4
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Integration
aller kundenbezogenen
Daten
Kundenorientierung
Customer Relationship Management
Integration der
Produktionsund Vertriebsdaten
Integration
unternehmensinterner
Produktdaten
Prozessorientierung
Business Process Re-Engineering
SFA/CAS
Qualitätsorientierung
Total Quality Management
1980
Abb. 1–1
1990
2000
Die Entwicklung zum kundenzentrierten Unternehmen (angelehnt an [Rapp 2005, S. 42])
Dadurch herrschte bis Ende der 1980er-Jahre in vielen Unternehmen eine Qualitätsorientierung vor. Die Bemühungen bezogen sich dabei vorwiegend auf Verbesserungen der internen Produktionsprozesse und der Produktqualität. Diese Denkweise, die das Produkt und seine Qualität in den Mittelpunkt unternehmerischen
Handelns rückte, zeigte sich vor allem in Form des Total Quality Management
(TQM).
Anfang der 1990er-Jahre erkannte man jedoch, dass Produktqualität nicht
allein durch das Festlegen interner Qualitätsstandards, Ausschussquoten und
durch Nachbessern qualitativ unzureichender Produkte zu erreichen war. Vielmehr sollten die Kunden anhand ihrer Bedürfnisse die Qualität außerhalb des
Unternehmens selbst definieren. Das Qualitätsurteil der Kunden kommt auf völlig
andere Weise zustande als die intern spezifizierte Produktqualität des Unternehmens: Die als wichtig wahrgenommenen Produkteigenschaften werden subjektiv
bewertet, und verschiedene Angebote werden anhand ausgewählter Produkt- und
Servicekriterien verglichen.
Um die Produktqualität an den Kundenbedürfnissen auszurichten, wurde es
erforderlich, die Unternehmensprozesse im Rahmen des Business Process ReEngineering (BPR) umzugestalten. Für die Anpassung kundenorientierter Prozesse benötigte man Informationen über die Kundenbedürfnisse, die durch funktionsorientierte Informationssysteme (z. B. Vertriebsdatenbanken) unter Begriffen
wie Sales Force Automation (SFA) oder Computer-Aided Selling (CAS) zur Verfügung gestellt wurden.
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
5
Seit sich Mitte der 1990er-Jahre die Wettbewerbsbedingungen (z. B. durch
Zunahme der Wettbewerbsintensität und durch anspruchsvollere und wechselbereitere Kunden) in vielen Märkten dramatisch verändert hatten, musste die
gesamte Wertschöpfungskette und damit die gesamte Unternehmensorganisation
auf den Kunden ausgerichtet werden. Der Verkauf eines Produktes wird dabei als
Beginn einer längerfristigen Beziehung zum Kunden verstanden. Weiterhin verbreitet sich die Erkenntnis, dass nicht alle Kunden die gleiche »Wertigkeit« besitzen und es deshalb vorteilhaft ist, in Kunden gemäß ihrer zu erwartenden Profitabilität unterschiedlich zu investieren. Nun sind nicht mehr ausschließlich
produktbezogene Vertriebsargumente nötig, sondern zusätzlich eine einheitliche
Sicht auf den Kunden, die außerdem eine Bewertung seiner Rentabilität erlaubt.
Dies ist nur durch ein integriertes Informationssystem in Form eines CRM-Systems möglich.
Die aufgezeigte historische Entwicklung verdeutlicht, dass sich der Fokus von
der Optimierung der internen Prozesse bei der Qualitäts- und Prozessorientierung auf die Neugestaltung der externen Beziehungen zum Kunden verlagert hat.
Soll die Kundenorientierung wirklich Früchte tragen, so darf sie kein bloßes Lippenbekenntnis bleiben, das zwar öffentlich verbreitet, aber nicht in Strategie,
Kultur und Prozesse des Unternehmens integriert wird. Übersteigerte Erwartungen und ein verkürztes Verständnis des CRM-Gedankens, meist im Hinblick auf
eine einseitige Konzentration auf IT-Unterstützung, haben vielfach zu Enttäuschungen bei der praktischen Umsetzung geführt. Die folgenden Abschnitte sollen eine Hilfestellung für die Entwicklung eines ganzheitlichen Verständnisses
von CRM geben, um dessen Potenziale gewinnbringend für das eigene Unternehmen ausschöpfen zu können.
1.2
Ziel und Kernkonzepte des CRM
Wie kann nun eine umfassende Kundenorientierung mithilfe des CRM erreicht
werden? Abbildung 1–2 zeigt ein Rahmenkonzept, das die Inhalte des CRM verdeutlicht: Auf der linken Seite sind die (potenziellen) Kunden abgebildet, deren
ökonomischer Wert für das Unternehmen neu geschaffen (zu Beginn einer neuen
Kundenbeziehung) oder gesteigert werden soll (bei schon bestehender Kundenbeziehung). Dazu müssen die Beziehungen des Unternehmens zu den Kunden im
Sinne des Beziehungsmarketings gestaltet und entwickelt werden. Eine Kundenbeziehung ergibt sich aus der Menge der zwischen Kunde und Unternehmen stattfindenden Interaktionen, gleich welcher Art. Hierzu zählen etwa Anfragen, Angebote, Käufe, Rechnungen, Zahlungen, Beschwerden, Reklamationen, Rücksendungen und Kundendienstbesuche, und zwar über alle Kommunikationskanäle
(Medien). Dies kann etwa der Besuch eines Ladengeschäfts sein, der persönliche
Kontakt mit einem Mitarbeiter, Brief- bzw. E-Mail-Verkehr, Telefongespräche,
6
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Unternehmen
das Folgen des Unternehmens über soziale Onlinenetzwerke oder webbasierte
Kommunikation (z. B. Besuch eines Onlineshops).
Die Schnittstellen im Unternehmen, an denen die Interaktionen mit dem Kunden stattfinden, werden als Kundenkontaktpunkte bezeichnet.1 Sie sind so zu
gestalten und im Hinblick auf ihr Verhalten so zu koordinieren, dass aus Kundensicht ein möglichst positives Erlebnis hervorgerufen und aus Unternehmenssicht
eine möglichst effiziente Beziehungsdurchführung erreicht wird. Ein positives
Kundenerlebnis entsteht, wenn der Kunde nach der Interaktion der Überzeugung
ist, dass seinen aktuellen Bedürfnissen und Wünschen (z. B. Bedarf nach Dienstleistung mit bestimmten Eigenschaften, Frage zum Produkt, Reklamation) in vollem Umfang entsprochen wurde. Keinesfalls soll der Kunde enttäuscht sein – bestenfalls verspürt er Begeisterung [Schüller 2012, S. 147–148].
Um eine entsprechende Koordination der Interaktionen und Beziehungen
über alle Kanäle hinweg zu ermöglichen, ist wiederum Wissen über die Kunden
erforderlich. Umfassendes Wissen entwickelt sich nur dann, wenn die Informationen, die an den unterschiedlichen Kontaktpunkten anfallen, integriert gespeichert werden. Durch Analyse dieser Informationen entsteht Wissen, das wieder
an den Kundenkontaktpunkten zur Verfügung gestellt wird und beispielsweise
für die weitere Betreuung des Kunden oder zur Neukundengewinnung genutzt
werden kann.
Kunden
Kundenwert
Abb. 1–2
1.
Kundenbeziehungen
Beziehungsmarketing
Kontaktpunkte
Kundendaten
Koordination
Integration
des Kundenwissens
Kernkonzepte des CRM
Als Kontaktpunkte (Touchpoints) verstehen wir strukturelle Schnittstellen, über die Kunde und
Unternehmen in direkten Kontakt treten und über die das Unternehmen selbst Kontrolle ausübt.
Zuweilen werden auch Situationen, in denen Kunden indirekt mit einem Unternehmen, einer
Marke oder einem Produkt in Berührung kommen, als Kontaktpunkte bezeichnet, wie etwa
Empfehlungen oder Meinungsäußerungen Dritter. Hierbei handelt es sich aber weniger um
Schnittstellen als vielmehr um Ereignisse, die zudem außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmens liegen. Sie werden zusammen mit den Kundenerlebnissen an den strukturellen Kontaktpunkten auch als »Moments of Truth« bezeichnet [Weidenhammer 2011, S. 16–17].
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
1.2.1
7
Ziel: Profitable Kundenbeziehungen schaffen und entwickeln
Im kundenzentrierten Unternehmen soll die Differenzierung im Wettbewerb zur
Sicherstellung des wirtschaftlichen Erfolges auf der Basis einer ganzheitlichen
Kundenorientierung aller Unternehmensbereiche (insbesondere jener mit direktem Kundenkontakt) erreicht werden. Die Ausrichtung aller Aufgaben eines
Unternehmens an den Bedürfnissen der Kunden garantiert jedoch nicht die Rentabilität der Unternehmenstätigkeit. Die Idee des CRM besteht darin, dass sich das
allgemeine Formalziel der Wirtschaftlichkeit des unternehmerischen Handelns
durch den Aufbau und die Gestaltung von profitablen Kundenbeziehungen erreichen lässt – was letztlich bedeutet, dass nicht alle Beziehungen zu jedem Kunden
erstrebenswert sind.
Eine Kundenbeziehung ist profitabel, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind.
Erstens handelt es sich bei dem Kunden, mit dem die Beziehung unterhalten wird,
um einen Kunden von möglichst hohem Wert. Zweitens erfolgt die Durchführung
der Beziehung möglichst effizient, d. h., der Ressourceneinsatz zum Vollzug der
Beziehung orientiert sich am Kundenwert.
Im Folgenden werden die einzelnen im Rahmenkonzept aufgeführten Elemente des CRM näher vorgestellt. Sie bilden gleichzeitig die Grundlage, um die
Profitabilität von Kundenbeziehungen erreichen und bewerten zu können.
1.2.2
Vom Kundennutzen zum Kundenwert
Hauptziel des CRM ist es, den ökonomischen Wert jedes Kunden zu erhöhen. Um
den Kundenwert steigern zu können, müssen jedoch einige Voraussetzungen
erfüllt sein: Zunächst muss für den Kunden durch den Kauf und die Verwendung
eines Produktes des Anbieters ein Nutzen erkennbar sein. Dieser trägt maßgeblich zur Steigerung der Kundenzufriedenheit bei. Mit zunehmender Kundenzufriedenheit steigt wiederum die Kundenloyalität. Loyale Kunden besitzen meist
durch ihr Einkaufsverhalten und ihre positive Einstellung zum Unternehmen
einen hohen ökonomischen Wert, der einen wesentlichen Teil des Unternehmenswertes ausmacht. Die vereinfachte Wirkungskette ist in Abbildung 1–3 dargestellt – ihre Bestandteile und die Beziehungen untereinander werden im Folgenden einzeln erläutert.
8
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Unternehmenswert
Kundenwert
Kundenloyalität
Kundenzufriedenheit
Kundennutzen
Abb. 1–3
Wirkungskette des Kundenwertes
Kundennutzen
Dass Kunden oder Interessenten in den Produkten2 eines Anbieters einen Nutzen
und damit einen Mehrwert für sich erkennen, ist Voraussetzung dafür, dass sie
diese überhaupt zu kaufen bereit sind. Mit dem Begriff »Kundennutzen« ist hier
der kundenindividuelle Netto-Produktnutzen gemeint, der für den Kunden dann
entsteht, wenn die Verwendung des Produktes zur Lösung eines Problems beiträgt.
Dieser Aspekt wird in der gängigen CRM-Literatur oft vernachlässigt, wo fast ausschließlich auf die gewinnorientierte Gestaltung der Kundenbeziehungen fokussiert wird. Dort scheint das Leistungsangebot nur eine untergeordnete Rolle zu
spielen.
Jedoch ist vielmehr das Gegenteil richtig! Der bekannte Managementtheoretiker Peter Drucker schreibt: »Doch das eigentliche Ziel des Marketings besteht
darin, den Verkauf überflüssig zu machen« [Drucker 2004, S. 38]. Damit meint
er, dass sich genau auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden zugeschnittene Produkte von selbst verkaufen und daher keine weitere Verkaufsförderung
nötig haben. Dieses Ziel muss schon während der Produktentwicklung und
-gestaltung verfolgt werden, indem nicht in unternehmensspezifischen Produkt-
2.
In diesem Buch wird der generische Produktbegriff verwendet, der sich sowohl auf materielle
Sachleistungen als auch auf immaterielle Dienstleistungen bezieht.
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
9
kategorien gedacht wird, sondern die Lösung von (potenziellen) Kundenproblemen den Ausgangspunkt bildet: Der Kunde kauft keinen Staubsauger, sondern
einen sauberen Fußboden. Der Werbefachmann Ernest Dichter formuliert es so:
»Ihr sollt den Frauen keine hübschen Schuhe verkaufen, sondern schöne Füße«.
Grundnutzen
(stofflich-technischer Nutzen)
Zusatznutzen
(seelisch-geistiger Nutzen)
Erbauungsnutzen
(persönliche Sphäre)
Geltungsnutzen
(soziale Sphäre)
Gesamtproduktnutzen
Abb. 1–4
Bestandteile des Produktnutzens (einschließlich produktbegleitender Dienstleistungen)
Der Nutzen, den ein Produkt für den Kunden stiftet, beschränkt sich jedoch nicht
allein auf dessen physikalisch-funktionelle Eigenschaften (Grundnutzen), wie
Abbildung 1–4 zeigt. Wilhelm Vershofen wies schon 1940 darauf hin, dass Kunden weitere Nutzenerwartungen an ein Produkt stellen, die er unter dem Begriff
Zusatznutzen zusammenfasste [Vershofen 1940, S. 70–72]. Ein Auto sollte also
beispielsweise nicht nur den Transport von A nach B schnell und zuverlässig
bewerkstelligen (Grundnutzen), sondern auch in seiner Farbgebung und Form
ästhetisch ansprechend wirken (Erbauungsnutzen) und durch ein positives Image
soziale Anerkennung vermitteln (Geltungsnutzen). Der Zusatznutzen spiegelt
somit den Erlebniswert eines Produktes wider. Der Kunde schließt dabei das vollständige Leistungsangebot in seine Gesamtwahrnehmung ein, und diese beinhaltet neben dem physischen Produkt mit seinen oben erläuterten Nutzenkomponenten auch die produktbegleitenden Dienstleistungen.
Nicht alle Eigenschaften eines Produktes tragen in gleichem Maße zum
Gesamtproduktnutzen bei. Leistungsmerkmale, die viel kosten, aus Kundensicht
aber wenig Nutzen bieten und deshalb auch kaum die Kundenzufriedenheit beeinflussen, können vernachlässigt werden. Mithilfe des Conjoint-Measurements versucht man in der Marketingforschung, Produkt-Teilnutzenwerte zu ermitteln und
diejenigen zu bestimmen, die von den Kunden als besonders wichtig erachtet werden [Berekoven et al. 2009, S. 264–268].
10
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Da die Art der Produktwahrnehmung des Kunden stark vom Angebot der
Konkurrenz abhängt (dieser Aspekt spielt auch bei der Kundenzufriedenheit eine
wichtige Rolle), kommt es darauf an, dass das eigene Leistungsangebot einen
möglichst einzigartigen und unverwechselbaren Kundennutzen schafft. Gelingt
dies, spricht man von einer Unique Selling Proposition (USP). Die dafür notwendige Einzigartigkeit wird zunehmend durch zusätzliche Serviceleistungen und
Zusatznutzenaspekte hergestellt, da die technischen Möglichkeiten der Produktinnovation in vielen Märkten weitgehend ausgeschöpft sind.
Zusammenfassend betrachtet, kann das problemlösungsorientierte Produktangebot als die grundlegende Basis für CRM und sogar für eine marktorientierte
Unternehmensführung überhaupt angesehen werden. Auf ihr bauen sämtliche
weiteren Wirkungszusammenhänge (Kundenzufriedenheit, Kundenloyalität,
Kundenwert) mit den zugehörigen Gestaltungsoptionen und Maßnahmen auf
(siehe Abb. 1–3).
Kundenzufriedenheit
Es ist schon erstaunlich, dass ein unmittelbar einsichtiger Zusammenhang erst
Anfang der 1980er-Jahre als wichtig erkannt wurde: Dass nämlich ein Großteil
der Kunden nur dann auch ein zweites Mal kauft, wenn er mit der gebotenen
Leistung zufrieden ist.
Auch wenn hohe Kundenzufriedenheit – wie im nächsten Abschnitt »Kundenloyalität« noch ausgeführt wird – nicht immer automatisch zu hoher Kundenloyalität führt, so gilt doch eine Regel ausnahmslos: Unzufriedene Kunden können einem Anbieter großen finanziellen Schaden zufügen. Die möglichen
Verhaltensweisen reichen von Kaufverzicht über Unternehmensboykott bis hin zu
negativer Mundpropaganda gegenüber Freunden oder sogar Beschwerden bei
Verbraucherschutzeinrichtungen. Insbesondere negative Berichte im Freundeskreis können mehr schaden, als allgemein angenommen wird: Zum einen werden
negative Erlebnisse bedeutend öfter kommuniziert als positive. Und zum anderen
wird einer Einzelmeinung aus dem persönlichen Umfeld oft mehr Gewicht beigemessen als einer abstrakten, aber statistisch gesicherten Information.
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
11
Unzufriedene Kunden und ihre Folgen
Zwei amerikanische Manager waren im Doubletree Club Hotel (Hilton-Konzern) in Houston
schlecht behandelt worden. Sie verschickten ihre als PowerPoint-Präsentation verarbeiteten
Erfahrungen nicht nur an die Hoteliers, sondern auch an alle ihre Freunde mit der Bitte, sie
weiterzuleiten. In kurzer Zeit ging die Geschichte um die Welt; sie wurde u.a. vom »Wall Street
Journal« und der »USA Today« aufgegriffen. Die Hotelgruppe musste reagieren und hat sich
mit den Managern auf eine Spende für wohltätige Zwecke als »Strafe« geeinigt. Der Vorfall
kursierte ohne Zutun der Urheber für längere Zeit weiter [Bergmann 2003, S. 66].
Durch Social Media verbreiten sich Kundenbeschwerden und -proteste zunehmend
schneller und können einem Unternehmen innerhalb kurzer Zeit einen beträchtlichen
Reputationsverlust beibringen. Einen der ersten Online-Proteststürme löste der US-amerikanische Blogger Jeff Darvis 2005 aus, als er seiner Verärgerung über den Kundenservice und
die Produkte des PC-Herstellers Dell Luft machte. Rasch schlossen sich andere Kunden an,
und bald berichteten auch zahlreiche Medien über die »Dell Hell« [Groh-Kontio & Schultz
2013].
Auf solche Wellen der Entrüstung müssen Unternehmen angemessen reagieren. Mediale
Bekanntheit erlangte in Deutschland eine Kampagne gegen die Deutsche Telekom, nachdem
sie ein neues Tarifsystem für DSL angekündigt hatte, das eine Drosselung der Geschwindigkeit bei Überschreitung einer Volumengrenze für Neuverträge vorsah. Massive Kundenproteste auf Social-Media-Plattformen unter dem Stichwort »#Drosselkom« sowie die Onlinepetition eines Schülers, der binnen weniger Tage 130.000 Unterschriften gegen das Vorhaben
sammelte, zeigten Wirkung: Das Unternehmen zog die Pläne zurück und führte kundenfreundlichere Regelungen ein.
Es gibt also gute Gründe, die Kundenzufriedenheit regelmäßig zu messen und
Meinungsäußerungen von Kunden systematisch zu beobachten, was jedoch auch
im Jahr 2015 noch längst nicht in allen Unternehmen Usus ist. Dabei sind
schlechte Noten bei Kundenzufriedenheitsmessungen oft auch Frühindikatoren
für sinkende Umsätze und Gewinne und sollten deshalb ernst genommen werden.
Wie in Abbildung 1–5 dargestellt, ist Kundenzufriedenheit das Ergebnis eines
Vergleichsprozesses [Gawlik et al. 2002, S. 23]. Der Kunde ist zufrieden, wenn
seine subjektive Wahrnehmung des Einkaufs und der Produktnutzung (Ist-Leistung) seinen vor dem Kauf gebildeten Vergleichsstandard (Soll-Leistung) übertrifft oder wenn Wahrgenommenes und Erwartetes übereinstimmen (Konfirmation). Andernfalls ist der Kunde unzufrieden.
Die Erwartungen bilden sich kundenindividuell durch vorherige reale Konsumerfahrungen (beim betreffenden Anbieter oder bei der Konkurrenz). Wo diese
Erfahrungen nicht vorliegen (z. B. beim Erstkauf), versucht der Kunde, sich auf
der Basis weiterer Faktoren wie Mundpropaganda, Werbung und Image des
Anbieters (Erfahrungsnormen) die Leistung vorzustellen. Weiterhin können auch
das individuelle Anspruchsniveau, Idealvorstellungen, grundlegende Motive und
Einstellungen (Werte) sowie Verhaltensregeln einer Gruppe (soziale Normen) die
Erwartungshaltung beeinflussen [Giering 2000, S. 13].
12
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
SOLL
Individuelle
Leistungserwartungen
IST
Subjektive
Leistungswahrnehmung
Erfahrungsnormen
7
Vorkaufphase: z.B.
Konsumerfahrungen
der Vergangenheit/
Wissen um Alternativen
7
Mundpropaganda
7
Leistungsversprechen/
Werbung des Anbieters
7
Image des Anbieters
7
Produktinformationen
7
Parkmöglichkeiten
7
Qualität der
fachlichen Beratung
7
Freundlichkeit
des Personals
7
Ladengestaltung
Vergleichsprozess
Individuelles
Anspruchsniveau
Kaufphase: z.B.
7
Abwicklung an
Schalter und Kassen
7
Zahlungsmöglichkeiten
Idealvorstellungen
Wertvorstellungen
Nachkaufphase: z.B.
Soziale Normen
Unzufriedenheit
(IST < SOLL)
Zufriedenheit
(IST >= SOLL)
Fordernde
Zufriedenheit
Stabile
Zufriedenheit
»Muss aber
in Zukunft mit
mir Schritt
halten«
»Soll alles
so bleiben«
Abb. 1–5
7
Produkt- und
Verwendungseigenschaften
7
Service
(Reparatur, Ersatzteilversorgung, ...)
7
Beschwerdereaktionen
Stabile
Unzufriedenheit
Resignative
Unzufriedenheit
Fordernde
Unzufriedenheit
»Erwarte eigentlich mehr,
aber was soll
man machen«
»Mehr kann
man nicht
erwarten«
»Muss sich
erheblich verbessern«
Entstehung und Arten von Kundenzufriedenheit
Grundlage der Leistungswahrnehmung sind die Verwendungseigenschaften des
Produktes – hier hat der weiter oben genannte Kundennutzen eine zentrale
Bedeutung. Wie in Abbildung 1–5 aufgeführt, sind jedoch alle drei Phasen des
Kaufprozesses (Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase) zu berücksichtigen; d. h.,
jeder Einzelaspekt des Kundenkontaktes kann je nach subjektiver Wahrnehmung
die Kundenzufriedenheit erhöhen oder vermindern. Kundenzufriedenheit kann
also schon in der Vorkaufphase entstehen – etwa durch freundliches Personal
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
13
oder gute Beratung. Weiterhin folgt daraus, dass eine hohe Gesamtzufriedenheit
nicht Zufriedenheit in allen Teilaspekten voraussetzt.
Meist sind Kunden aber wegen Leistungsmerkmalen unzufrieden, die nicht
direkt mit dem Produkt zu tun haben, wie z. B. der »Kundenmonitor Deutschland«3 jährlich zeigt: Ganz oben auf der Wunschliste vieler Kunden stehen etwa
eine bessere Verständlichkeit von Rechnungen und Tarifsystemen, mehr Parkmöglichkeiten, eine zügige Beschwerdebearbeitung, ein übersichtlicheres Sortiment
oder eine schnellere Abwicklung an Schaltern und Kassen [Kotler et al. 2007,
S. 52–54]. Die Konsequenzen der Vernachlässigung solch vermeintlicher Nebensächlichkeiten sind nicht zu unterschätzen. So zeigen Umfragen, dass in SBWarenhäusern ein Fünftel aller geplanten Käufe nicht stattfindet, weil der Kunde
das gesuchte Produkt schlicht nicht findet [Kroeber-Riel et al. 2009, S. 463].
Die Wahrnehmung der Leistung erfolgt subjektiv, sodass die objektiv gleiche
Leistung an verschiedenen Tagen als unterschiedlich gut empfunden werden
kann. Des Weiteren sind sowohl die Leistungserwartungen als auch die Leistungswahrnehmungen stets auf einen bestimmten Anbieter bezogen. So kann es
z. B. vorkommen, dass die Zufriedenheit mit einem Schnellimbiss höher ausfällt
als die mit einem Spitzenrestaurant: Die Erwartungen an die Essensqualität des
Schnellimbisses sind so gering, dass sie auch durch eine objektiv geringe Qualität
übertroffen werden können. Die Erwartungen an das hochpreisige Restaurant
sind hingegen so hoch, dass diese auch durch eine hochwertige Menüqualität enttäuscht werden können, wenn der Koch gerade nicht seinen besten Tag hat.
Anhand dieses Beispiels wird auch deutlich, dass der Vergleichsprozess, der nach
dem Kauf und während der Nutzung des Produktes stattfindet, nicht ausschließlich kognitiv gesteuert wird. Vielmehr spielen dabei auch kurzfristig auftretende,
kognitiv wenig kontrollierte Emotionen (Affekte) eine wichtige Rolle. Somit
kann das Ergebnis des Vergleichsprozesses auch nicht mathematisch errechnet,
sondern sollte direkt gemessen werden.
Es gibt quantitative und qualitative Methoden zur Messung der Kundenzufriedenheit. Beispiele für quantitative Methoden sind multiattributive Messungen
(Befragung nach der Zufriedenheit mit einzelnen Produktattributen) oder direkte
Befragungen nach der Gesamtzufriedenheit. Umsatz, Marktanteil, die Messung
der Abwanderungsrate oder der Häufigkeit von Garantiefällen sind keine zuverlässigen Indikatoren von Kundenzufriedenheit, obwohl sie oft genannt und eingesetzt werden. Zu den qualitativen Methoden zählen etwa die Analyse von Kundenbeschwerden (problematisch: typischerweise beschweren sich nur 5 % der
Unzufriedenen) oder die Methode der kritischen Ereignisse (Critical-IncidentTechnik). Dabei werden die Kunden nach aus ihrer Sicht zufriedenheitsrelevanten
3.
Der »Kundenmonitor Deutschland«, 1992 von der Deutschen Marketing-Vereinigung e.V. und
der Deutschen Post AG initiiert, ist eine bundesweite Erhebung, in der jährlich der Stand der
Kundenzufriedenheit von etwa 38.000 privaten Konsumenten abgefragt wird. Eine Zusammenfassung aktueller Ergebnisse ist frei zugänglich unter http://www.servicebarometer.de.
14
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Ereignissen befragt, z. B. nach Kontakterlebnissen mit Mitarbeitern. Kommentierte Literaturhinweise für eine gezielte Vertiefung des Themas finden sich am
Ende dieses Kapitels.
Das abschließende Zufriedenheitsurteil kann in die in Abbildung 1–5 dargestellten Arten von Zufriedenheit eingeteilt werden [Stauss & Neuhaus 2000,
S. 73]. Eine fordernde Zufriedenheit kann z. B. recht anstrengend sein: Solche
Kunden schrauben ihre Ansprüche relativ schnell in die Höhe und sehen infolgedessen Leistungen, die sie gestern noch begeistert haben, heute bereits als selbstverständlich an. Kunden, die in die Kategorie »fordernde Unzufriedenheit« fallen, können am meisten Schaden anrichten: Sie reden z. B. oft im Freundeskreis
oder in Social Media schlecht über den betreffenden Anbieter und sind akut
abwanderungsgefährdet.
Da die Kundenzufriedenheit sämtliche Erfahrungen während der gesamten
Geschäftsbeziehung zwischen Anbieter und Kunde abbildet, geht eine konkrete
Kauferfahrung wieder in die Leistungserwartung ein und kann beim nächsten
Kauf wieder eine andere Ausprägung von Zufriedenheit zum Ergebnis haben.
Insgesamt gesehen ist Kundenzufriedenheit ein recht komplexes, kurzfristig
orientiertes Konstrukt. Viele, auch spontan gefühlte Faktoren beeinflussen das
Zufriedenheitsurteil; dadurch kann es sich schnell ändern, etwa durch weitere
Konsumerfahrungen, neue Produktangebote der Konkurrenz oder spontane
Gefühle oder Stimmungen.
Kundenloyalität
Kundenloyalität4 entsteht, wenn ein Kunde nach mehreren positiven Kauferfahrungen mit einem Anbieter dauerhaft zufrieden ist und dadurch Vertrauen
gewinnt, dass er auch in Zukunft zu seiner Zufriedenheit bedient wird. Daraus
ergibt sich, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis sich die positiven Effekte loyaler
Kunden bemerkbar machen. Kundenloyalität ist also, im Gegensatz zu Kundenzufriedenheit, ein längerfristiges, stabileres Konstrukt. Es hat sich in vielen Untersuchungen gezeigt, dass sich das zukünftige Kaufverhalten des Kunden sehr viel
besser anhand der Kundenloyalität ablesen lässt. Dennoch stellt Kundenzufriedenheit die Basis für Kundenloyalität dar.
Um situativ bedingtes, zufälliges Wiederkaufverhalten nicht irrtümlicherweise als Kundenloyalität auszulegen, sind in diesem Konstrukt explizit Verhaltens- und Einstellungsaspekte enthalten: Wenn zu einem Wiederkauf noch eine
positive Einstellung gegenüber dem betreffenden Anbieter hinzukommt, kann
man davon ausgehen, dass der Kunde bewusst handelt und sich loyal verhält.
4.
Obwohl der Begriff Kundenbindung gebräuchlicher ist, haben wir uns entschieden, in diesem
Kontext von Kundenloyalität zu sprechen, weil es uns in diesem Kapitel darauf ankommt, die
Einflussfaktoren der Loyalität aus Kundensicht darzustellen. Näheres dazu findet sich im Kasten
»Begriffe: Kundenloyalität und Kundenbindung«.
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
15
Begriffe: Kundenloyalität und Kundenbindung
Die beiden Begriffe Kundenbindung und Kundenloyalität werden oft synonym verwendet.
Genau genommen sollten die beiden Konstrukte jedoch unterschieden werden.
Kundenloyalität umfasst aus Kundensicht sowohl die positive Einstellung zu einer Marke
oder einer Einkaufsstätte (Einstellungsaspekt) als auch den bewussten Wiederkauf eines
oder mehrerer Produkte eines Anbieters (Verhaltensaspekt). Die positive Einstellung äußert
sich beispielsweise in einer Verbundkaufsabsicht (Ausweitung der Nachfrage auf andere
Produkte oder Leistungen) sowie in der Absicht, diesen Anbieter weiterzuempfehlen. Kundenloyalität bildet also aus der Sicht des Kunden die Treue gegenüber einem Anbieter ab.
Kundenbindung als Ziel beschreibt das Konstrukt Kundenloyalität aus Anbietersicht. Kundenbindung als Tätigkeit beinhaltet alle Maßnahmen eines Unternehmens, neue Kunden zu
gewinnen oder bereits bestehende Beziehungen zu intensivieren (Kundenbindungsmanagement). Dabei wird eine Verbundenheit angestrebt, bei der das freiwillige Bindungsinteresse vom Kunden ausgeht und in einer inneren Verbundenheit resultiert. Eine Gebundenheit zu erzeugen, bei der der Kunde durch Wechselbarrieren (z. B. Vertragsgestaltung mit
langen Kündigungsfristen) ohne eigenen Willen am Anbieterwechsel gehindert wird, ist auf
lange Sicht nicht sinnvoll.
Kundenloyalität
Tatsächliches Verhalten
(Verhaltensaspekte)
Verbundkauf
Weiterempfehlung
Abb. 1–6
Bewusster
Wiederkauf
Konstrukt
Verhaltensabsichten
(Einstellungsaspekte)
Verbundkaufabsicht
Wiederkaufabsicht
Dimensionen
Faktoren
Weiterempfehlungsabsicht
Das Konstrukt Kundenloyalität (angelehnt an [Homburg et al. 2008, S. 111])
Die einzelnen Bestimmungsfaktoren der Kundenloyalität sind in Abbildung 1–6
aufgeführt. Von »echter Kundenloyalität« spricht man nur dann, wenn Verhaltensabsichten und tatsächliches Verhalten gleichzeitig vorliegen: Durch seine
Weiterempfehlungsabsicht beweist der Kunde z. B. seine positive Einstellung und
seine innere Verbundenheit mit dem Anbieter, die sich in einer konkreten Weiterempfehlung (z. B. im Freundeskreis) äußert.
»Unechte Loyalität« liegt dann vor, wenn der Kunde sich loyal verhält und
hohes Wiederkaufverhalten zeigt, aber eine negative Einstellung aufweist. Solche
16
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Kunden kaufen meist lediglich aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit, mangels
Alternativen oder aufgrund von Wechselbarrieren beim betreffenden Anbieter
wieder.
»Latente Loyalität« zeigen Kunden dann, wenn sie positiv eingestellt sind,
dies aber nicht durch tatsächliches Kaufverhalten, z. B. durch Wiederholungskäufe, untermauern [Dick & Basu 1994].
Obwohl inzwischen vielfach empirisch bestätigt wurde, dass Kundenzufriedenheit in den meisten Fällen eine zentrale Voraussetzung für Kundenloyalität
darstellt,5 ist eine hohe Zufriedenheit keine Garantie für Loyalität: Es gibt eine
Reihe von Untersuchungen aus verschiedenen Branchen, die zeigen, dass ein
erheblicher Anteil (je nach Studie 30–65 %) sogar hochzufriedener Kunden nicht
beabsichtigt, beim besagten Anbieter noch einmal zu kaufen (siehe [Rapp 2005,
S. 27–29], [Seilheimer et al. 2002, S. 82], [Reichheld 1993]). Als Ursache hierfür
sind verschiedene Faktoren denkbar.
Ein vielzitierter Faktor ist das sogenannte »variety-seeking behavior«. Dieser
besagt, dass viele Kunden aus dem Wunsch nach Abwechslung oder aus Neugier
in gewissen zeitlichen Abständen den Anbieter wechseln, obwohl sie bisher
zufrieden waren. Typische Beispiele sind Dienstleistungen wie Restaurant- oder
Friseurbesuche, aber auch der Wochenendeinkauf im Supermarkt.
Ein weiterer Faktor ist das »Regret« (Bedauern): Der Kunde ist zwar mit
einem Produkt zufrieden, bedauert aber, nicht doch das alternative, aus seiner
Sicht noch bessere Produkt gekauft zu haben, das beispielsweise erst nach dem
Kauf erschienen ist.
Daneben können aber auch relativ banale Umstände eine Rolle spielen, wie
die kurzfristige Nichtverfügbarkeit des Produktes, Sonderangebote der Konkurrenz oder auch veränderte Lebensumstände (beispielsweise ein Ortswechsel).
Der genaue funktionale Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und
Kundenloyalität ist noch nicht erforscht; ein linearer Funktionsverlauf ist jedoch
unwahrscheinlich. Eine mögliche Form, die auch schon empirisch gestützt werden konnte, ist der sattelförmige Zusammenhang, wie ihn Abbildung 1–7 zeigt:
Kunden, die sich in der Abwanderungszone befinden, können noch nicht als loyal
bezeichnet werden. Der Bereich der mittleren Zufriedenheit (Indifferenzzone) ist
relativ breit, und ein Zuwachs an Zufriedenheit führt kaum zu mehr Loyalität. In
vielen Branchen befinden sich die meisten Kunden in dieser Zone, was das häufige Scheitern von Kundenzufriedenheitsprogrammen erklärt. Ist ein gewisses
Maß an Zufriedenheit überschritten, steigt die Loyalität sprunghaft an (Vertrauenszone); bereits eine geringe Steigerung der Kundenzufriedenheit hat dann große
Auswirkungen auf die Kundenloyalität. Auf diesem hohen Niveau hat eine weitere Steigerung der Kundenzufriedenheit keine Auswirkungen mehr auf die Kundenbindung (Sättigungszone).
5.
Einen Überblick neuerer Studien bieten z. B. [Homburg et al. 2008, S. 103–107] und [Töpfer
2008].
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
17
Sättigungszone
Vertrauenszone
Indifferenzzone
Abwanderungszone
Kundenloyalität
Kundenzufriedenheit
Abb. 1–7
Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und -loyalität (angelehnt an [Herrmann
et al. 2000, S. 48])
Kundenwert und Unternehmenswert
Ein wesentliches Ziel des CRM ist das Schaffen und Verbessern des Kundenwertes. Wert ist in allgemeiner Definition ein Maßstab für die Vorziehungswürdigkeit
eines Objekts. Auch der Kundenwert ist getreu dieser Definition zunächst ein allgemeiner Maßstab, der losgelöst sowohl von bestimmten Messmethoden der Kundenbewertung (Kundenwertmodelle) als auch von konkreten Maßzahlen (monetär/nicht monetär) gilt. Der Kundenwert stellt somit die Gesamtheit aller direkten
und indirekten Wertbeiträge dar, die ein Kunde zur Zielerreichung eines Unternehmens beisteuert. Da die Ziele sich von Anbieter zu Anbieter unterscheiden, ist
der Kundenwert stets relativ; derselbe Kunde kann also bei verschiedenen Unternehmen unterschiedliche Kundenwerte aufweisen. Eine Systematisierung und
Erläuterung von Verfahren der Kundenwertbestimmung erfolgt in Abschnitt 2.2.
18
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Begriffe: Kundenwert und seine Verwandten
Im Umfeld des Kundenwertes tauchen oft weitere, vorwiegend englischsprachige Begriffe
auf, die jedoch in einigen Fällen völlig andere Sachverhalte bezeichnen. Im Folgenden soll
etwas Klarheit in die herrschende Begriffsverwirrung gebracht werden.
Kundenwert ist ein Maßstab für die wahrgenommene ökonomische Gesamtbedeutung
eines einzelnen Kunden oder einer Kundengruppe aus Anbietersicht. Der Kundenwert kann
für die Gesamtheit der Kunden, für Kundensegmente oder für einzelne Kunden bestimmt
werden.
Customer Value (Kundennutzen) bezeichnet im Englischen meist den Kundennutzen
(siehe Beginn dieses Abschnitt 1.2.2), also den Nutzen, der dem Kunden bei der Verwendung
eines Produktes entsteht. Der »Customer Value« bewertet somit die Geschäftsbeziehung zu
einem Anbieter aus Kundensicht.
Customer Lifetime Value (CLV) (Lebenszeitwert, Kundenkapitalwert) ist eine Kennzahl,
die den individuellen Kundenwert misst. Der CLV kann mit verschiedenen Methoden
berechnet werden; daher ist er je nach gewählter Methode unterschiedlich hoch. Meistens
werden nur direkte, also monetäre Wertbeiträge des Kunden betrachtet – diese allerdings
dynamisch, d. h., man bezieht Schätzungen über das zukünftige Ertragspotenzial des Kunden in die Berechnung ein, um seine langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Mittlerweile gibt es auch Berechnungsmodelle, die indirekte Wertbeiträge wie z. B. das Informationspotenzial des Kunden berücksichtigen [Burmann 2003].
Customer Equity (Kundenstammwert): Um die doppeldeutige Belegung des Begriffs
»Customer Value« zu vermeiden, benutzt man im Englischen zunehmend »Customer
Equity«, um den Kundenwert aus Anbietersicht auszudrücken. Darunter wird jedoch nur die
Summe aller CLVs zusammengefasst – damit ist »Customer Equity« genau genommen wiederum nur eine Kennzahl zur Messung des Kundenwertes. Im Gegensatz zum CLV bezieht er
sich jedoch immer auf den gesamten Kundenstamm.
In Abbildung 1–8 sind die wichtigsten Bestimmungsfaktoren des Kundenwertes
aufgeführt, die sich durch die unterschiedlichen Rollen erklären, die ein Kunde
einnehmen kann. Wie man sieht, beschränkt sich die ökonomische Bedeutung
eines Kunden nicht auf seine Rolle als Abnehmer von Produkten heute oder in
der Zukunft (Ertragspotenzial). Die Bereitschaft eines Kunden, höhere Preise zu
zahlen, ohne sofort den Anbieter zu wechseln, oder eine größere Menge an Produkten (einschließlich Artikel aus Verbundkäufen) in überdurchschnittlich hoher
Kauffrequenz zu erwerben, wirkt sich unmittelbar auf den Ertrag aus. Diese Faktoren zählen somit zu den direkten Wertbeiträgen.
Ein Kunde kann aber auch als Referenzträger zur Akquisition von Neukunden einen indirekten Beitrag zum Kundenwert leisten (Weiterempfehlungspotenzial). Solche Beiträge können mittelbar den Umsatz deutlich erhöhen: Analysen
der Eismann Tiefkühl-Heimservice GmbH ergaben, dass 100 zufriedene Kunden
durchschnittlich 30 neue Kunden anwerben [Schleuning 1997, S. 146], und ein
führendes Unternehmen im Bereich Hausbau in den USA stellte fest, dass 60 %
seiner Bauaufträge aufgrund von Empfehlungen zustande kamen [Reichheld &
Sasser 2003, S. 152]. Kunden können weiterhin als Informationslieferanten
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
19
durch Beschwerden oder bei der Produktentwicklung behilflich sein (Informationspotenzial). Das kann so weit gehen, dass der Kunde als Partner des Anbieters
bei der Konzeption oder gar der Leistungserstellung selbst mitwirkt (Kooperationspotenzial).
Kundenwert
Direkte Beiträge
Ertragspotenzial
Preiserhöhungstoleranz
Höhere Kauffrequenz,
größere Menge
Konstrukt
Indirekte Beiträge
Weiterempfehlungspotenzial
Dimensionen
Faktoren
Informationspotenzial
(Produktideen, Verbesserungsvorschläge,
Beschwerden, ...)
Kooperationspotenzial
...
Abb. 1–8
Bestimmungsfaktoren des Kundenwertes
Letztlich wirkt sich also das Verhalten loyaler Kunden (Wiederkäufe, Verbundkäufe, Empfehlungen) direkt oder indirekt positiv auf den Umsatz eines Anbieters aus. Meist besitzen loyale Kunden deshalb auch einen hohen Kundenwert.
Dies muss jedoch keinesfalls immer so sein. Es kann auch loyale Kunden geben,
die aufgrund einer geringen Nachfrage insgesamt wenig gewinnbringend sind
oder die Produkte kaufen, die aus Wettbewerbsgründen sehr billig verkauft werden und daher dem Anbieter Verluste einbringen. In einigen Fällen können loyale
Kunden auch hohe Betreuungskosten verursachen, etwa indem sie vermehrt Telefonsupport in Anspruch nehmen oder – z. B. im Versandhandel – häufig Produkte
zurückschicken.
Eine losgelöst davon zu betrachtende Frage ist die, ob langjährige Kunden
auch automatisch loyale Kunden sind und daher mit großer Wahrscheinlichkeit
einen hohen Kundenwert aufweisen. Wie in Abbildung 1–6 zu sehen ist, lässt ein
hohes Wiederkaufverhalten – ob über lange Jahre oder nur für kurze Zeit – allein
nicht auf Loyalität schließen, sondern allenfalls auf »unechte« Loyalität. Für eine
valide Messung müssten z. B. Einstellungsaspekte und Weiterempfehlungen mitberücksichtigt werden (siehe Abschnitt »Kundenloyalität«).
20
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Trotzdem ist diese Annahme weit verbreitet, hauptsächlich durch die vielzitierten Untersuchungen von Frederick Reichheld und Earl Sasser, die für eine
Reihe von Branchen eine quasi »automatische« Steigerung der Kundenprofitabilität im Zeitablauf prognostizieren [Reichheld & Sasser 2003, S. 151–153]. Dieser Zusammenhang gilt jedoch zumindest in der dargestellten Absolutheit nicht:
Einige weitere Studien konnten keinen Einfluss der Dauer der Geschäftsbeziehung auf den Gewinn pro Kunde feststellen (siehe z. B. [Giering 2000], [Reinartz
& Kumar 2000], [Krafft 2007]).
Insbesondere im Konsumgüterbereich zeigt sich, dass langjährige Kunden
leicht durch Preisnachlässe zum Anbieterwechsel verleitet werden können. Diese
Kunden kaufen offensichtlich nur aus Bequemlichkeit oder Gewohnheit über
lange Zeit beim betreffenden Anbieter – ein typisches Verhalten bei »unechter
Loyalität«.6 Dies zeigt, dass Kundenloyalität nicht einfach mit der Dauer der
Kundenbeziehung gleichgesetzt werden darf, sondern eine umfassendere Betrachtung notwendig ist. Viele weitere vermutete Vorteile langjähriger Kunden (z. B.
geringere Betreuungskosten oder die Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen) konnten empirisch nicht bestätigt werden. Die Stärke dieser Zusammenhänge hängt zu
einem erheblichen Teil auch davon ab, in welcher Branche das untersuchte Unternehmen tätig ist: Bei einem Finanzdienstleister werden die Ergebnisse aufgrund
hoher Betreuungskosten in der Anfangszeit einer Kundenbeziehung sicher anders
ausfallen als im Lebensmitteleinzelhandel.
Die große Anzahl der möglichen Einflussgrößen verdeutlicht, dass es für die
Unternehmenspraxis enorm wichtig ist, den Kundenwert valide zu messen und
die »Stellschrauben« zu kennen, mit denen die Kundenbeziehungen verbessert
und so der Kundenwert erhöht werden kann. Wie mithilfe von Datenanalysen
solche Sachverhalte individuell für das eigene Unternehmen gemessen werden
können und welche Einsparpotenziale dieses Wissen ermöglicht, wird ausführlich
in den beiden Fallstudien in den Abschnitten 8.1.1 und 8.1.2 betrachtet.
Dauerhafte Kundenbeziehungen stellen somit einen signifikanten Teil des
Unternehmenswertes dar – Kenntnisse über den Aufbau und die Entwicklung
profitabler Kundenbeziehungen können zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil
werden. Um sich der Bedeutung des einzelnen Kunden bewusst zu werden, kann
es hilfreich sein, dessen theoretisch möglichen Lebenszeitumsatz zu schätzen.
Dieser kann z. B. im Lebensmitteleinzelhandel mehr als 250.000 Euro betragen
(ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland gibt ca. 3.500 Euro pro Jahr nur
für Lebensmittel, Getränke und Tabakwaren aus). Bei Telefongesellschaften können pro Haushalt für Festnetz, Handy und Internet problemlos 50.000 Euro und
mehr erreicht werden.
6.
Dieses Verhalten wird regelmäßig bei Stromkunden beobachtet: Obwohl eine zunehmende Zahl
der Konsumenten über zu hohe Strompreise klagt und grundsätzliche Wechselbereitschaft signalisiert, wandert tatsächlich nur eine Minderheit zu einem anderen Anbieter [Donath 2009].
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
21
»Follow me«: Der Wert eines Facebook-Fans
Die zunehmende Verbreitung von sozialen Onlinenetzen wirft immer stärker die Frage nach
dem ROI des Social Media Marketing auf, mit dem allein Facebook im Jahr 2013 einen
Umsatz von 5,9 Mrd. $ erzielte. Eine Studie des Beratungsunternehmens Syncapse will darauf Antworten geben. Dazu wurde der durchschnittliche Wert eines Facebook-Fans für wichtige Konsumentenmarken in den USA berechnet – und mit exakt 174,17 $ beziffert [Scissons
et al. 2013].
Die Untersuchung identifizierte wesentliche Unterschiede bezüglich Verhalten und Motivation zwischen Fans und Nicht-Fans, die sich auf die kurz- und langfristige Verkaufsleistung
auswirken. Der hohe Fan-Wert wird damit begründet, dass Fans einer Marke »Superkonsumenten« sind, die schon länger Produkte der Marke verwenden und sich durch höhere
Umsätze, stärkeres Engagement für die Marke, höhere Weiterempfehlungsbereitschaft und
höhere Loyalität auszeichnen.
Erwartungsgemäß weisen Marken mit niedrigem Produktpreis oder hoher Wiederkaufrate tendenziell geringere Fan-Werte auf. Zum Beispiel ist ein Fan von Coca Cola 70,16 $
wert, wohingegen ein Facebook-Fan von BMW mit 1.613,11 $ veranschlagt wird. Unternehmen mit hohem Marktwert und längerer Marktpräsenz besitzen niedrigere Fan-Werte, während Marken mit polarisierenden Profilen tendenziell höhere Werte erreichen. Im Durchschnitt dominieren emotionale Beweggründe, Fan zu werden – der Wunsch, die eigene
Begeisterung für die Marke und ihre Produkte nach außen zu tragen und regelmäßig über
Neuigkeiten informiert zu werden, überwiegt finanzielle Anreize für Produkte, die man als
Fan ohnehin gekauft hätte.
Die Studie umfasste mit adidas und BMW auch zwei deutsche Marken, neben 18 anderen
Konsumgüter-Labels wie z. B. McDonald’s, Coca Cola, H&M oder Nike. Eine direkte Übertragung US-amerikanischer Studienergebnisse auf andere Länder ist vor dem Hintergrund
abweichenden Mediennutzungsverhaltens und kultureller Unterschiede jedoch stets kritisch.
1.2.3
Beziehungsmarketing
Die Entwicklung vom Transaktions- zum Beziehungsmarketing als wesentliches
Element des CRM ist ein Beleg dafür, dass nicht alle Bestandteile dieses Ansatzes
neu sind. Im Investitionsgütermarketing und im Dienstleistungsmarketing hat ein
langfristig orientiertes Kundenverständnis schon lange Tradition. Noch früher
wurde Beziehungsmarketing im »Laden um die Ecke« gelebt. Neu ist lediglich die
Übertragung dieses Konzepts auf das klassische Konsumgütermarketing und auf
eine Vielzahl von Kunden.
Die wesentlichen Charakteristika des Transaktionsmarketings sind in Tabelle
1–1 denen des Beziehungsmarketings gegenübergestellt. Letzteres zeichnet sich
vor allem durch den Aufbau einer langfristigen Kundenbeziehung aus; der Kunde
steht in einer persönlichen, individuellen Interaktion mit dem Unternehmen. Den
Hauptbetrachtungsgegenstand stellt nicht mehr die einzelne Kauftransaktion dar,
sondern vielmehr die Summe aller Einzeltransaktionen, also die gesamte
Geschäftsbeziehung zum Kunden. Die umfassende Pflege und Entwicklung einer
solchen Beziehung ist der Kernbestandteil des Beziehungsmarketings.
22
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Transaktionsmarketing
Beziehungsmarketing
Ziele
Einzelner Verkauf als Abschlussund Erfolgskriterium, Durchsetzung
konträrer Ziele gegen den Kunden
(»to make a sale«)
Etablierung einer langfristigen
Geschäftsbeziehung, Entwicklung
gemeinsamer Ziele mit dem
Kunden (»to create a customer«)
Leitbild
Kunde als einmaliger Abnehmer
Kunde als dauerhafter Partner
Marktsicht
Fokus auf Kundenneugewinnung
Fokus auf Wertsteigerung in
bestehenden Beziehungen
(Kundenbindung)
Kundenverständnis
Relative Unabhängigkeit
Verkäufer–Käufer; anonymer
Kunde; einseitige Kommunikation
(monologisch)
Interdependenz zwischen
Verkäufer und Käufer; bekannter
Kunde; interaktive Kommunikation (dialogisch)
Zeithorizont
Kurzfristig (Verkauf als Abschluss
eines Kundenkontaktes)
Langfristig (Verkauf als Beginn
einer Kundenbeziehung)
Marketingfokus
Vorkaufphase
Besondere Berücksichtigung der
Nachkaufphase
Marketingverständnis
Fokus auf Produkte; Marketing als
Funktion (episodenhaft)
Fokus auf Service; Marketing als
Prozess (ganzheitlich)
Tab. 1–1
Vom Transaktions- zum Beziehungsmarketing (angelehnt an [Wehrli & Wirtz 1996, S. 26])
Selektives Marketing statt Massenmarketing
Nun erfordert Beziehungsmarketing eine individuelle Kundenkommunikation,
die trotz aller Vorteile für das Unternehmen einen hohen organisatorischen und
finanziellen Aufwand bedeutet. Das Kundenbindungsziel ist jedoch kein Selbstzweck, sondern soll zur Erreichung der monetären Ziele (z. B. Rentabilität,
Gewinn) beitragen und somit letztlich den Kundenwert als Teil des Unternehmenswertes steigern. Die Investition in einen Kunden darf den Erlös, den ein
Beziehungsaufbau zu ihm erwarten lässt, nicht übersteigen. Es liegt nahe, nur in
solche Kunden zu investieren, die rentabel erscheinen.
Das klassische Massenmarketing hat jedoch, unabhängig davon, ob eine individuelle oder universelle Marktbearbeitung auf Produkt- oder Dialogebene
erfolgt, grundsätzlich den gesamten Markt zum Ziel: Es wird eine totale Marktabdeckung angestrebt. Hier erscheint ein selektives Marketing sinnvoller, was
bedeutet, dass Unternehmen bestimmte Kunden oder Kundengruppen nicht zu
ihrem Zielmarkt erklären, sondern nur Teilmärkte intensiv bearbeiten wollen.
Dafür können sie ihre Produkte und/oder ihre Kommunikationsinstrumente individueller auf ihre Zielgruppe zuschneiden. Im Kontext des CRM bedeutet selektives Marketing, die konkrete Marktbearbeitung wie z. B. spezielle Kundenbindungsaktivitäten auf mittel- bis langfristig profitable Kunden zu konzentrieren.
Studien zufolge gilt für viele Unternehmen die Regel, dass 20 % der Kunden
80 % des Umsatzes erwirtschaften, wobei sich unter den verbleibenden 80 % der
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
23
Kunden viele befinden, die ausschließlich Verlust einbringen. Wenn man den
Gewinn als Bezugsgröße heranzieht, kann man es also noch drastischer formulieren: »Nicht 20 % der Kunden bringen 80 % des Gewinns ein, sondern die 20 %
profitabelsten Kunden erwirtschaften 180 % des Gewinns, weil eine Mehrzahl
der restlichen Kunden Verluste einbringen« [Rapp 2000, S. 14]. Daher lohnt sich
der Zeitaufwand, um zu ermitteln, welche Kunden investitionswürdig sind.
Kundenbeziehungen und Beziehungsphasen
Die zentrale Bezugsgröße des CRM sind Kundenbeziehungen, wie schon die
Bezeichnung Kundenbeziehungsmanagement als deutsche Übersetzung von
CRM ausdrückt. Sie müssen aus Unternehmensperspektive gepflegt und gestaltet
werden: »Aus dem Verkäufer muss ein ›Beziehungsmanager‹ werden, der seine
Kunden als Partner behandelt« [Schwetz 2000, S. 16]. Eine Kundenbeziehung
besteht aus der Menge aller in einem bestimmten Zeitraum stattfindenden Interaktionen zwischen einem Unternehmen und einem Kunden. Diese Folge von
Interaktionen tritt nicht zufällig auf, sondern ist meist auf eine bewusste Wiederwahl zurückzuführen, die der Kunde aufgrund einer inneren Verbundenheit zum
jeweiligen Unternehmen vornimmt.
Kundenbeziehungen können anhand der Phasen Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase eines auf einmaligen Leistungsaustausch zielenden Interaktionszyklus
strukturiert werden (vgl. [Becker 2013, S. 42]). Diese Phasen lassen sich den betrieblichen Funktionsbereichen Marketing, Verkauf (Sales) und Service zuordnen.
Die Vorkaufphase dient dem Kennenlernen der Transaktionspartner, ohne dass
einer der Partner dabei eine Verpflichtung eingeht. Hierunter fällt der Austausch
von Informationen über angebotene Leistungen, Preise, Konditionen seitens des
Unternehmens sowie über Bedürfnisse und Wünsche seitens des Kunden. Die Aufgaben dieser Phase werden traditionell dem Marketing (einschließlich der Marketingforschung) zugerechnet. Obwohl schon die allgemeine Lebenserfahrung lehrt,
dass es auf den ersten Eindruck besonders ankommt, leisten sich einige Anbieter
bereits in dieser Phase den riskanten Luxus, potenzielle Kunden abzuschrecken;
einige Beispiele finden sich im Kasten »Wie man es nicht machen sollte ...«.
Die Kaufphase zielt auf den Abschluss verbindlicher Vereinbarungen über
den Leistungsaustausch, z. B. in Form eines Kaufvertrages. Beide Partner verpflichten sich also – häufig nach Preis- und Leistungsverhandlungen – zur Durchführung eines Leistungsaustausches.
Dieser erfolgt während der Nachkaufphase, in der die Vereinbarungen des
Vertrages von beiden Seiten erfüllt werden. Zu den vereinbarten Leistungs- und
Zahlungsflüssen gehören auch alle Serviceleistungen des Unternehmens, die sich
zum einen aus gesetzlichen Bestimmungen (z. B. zur Gewährleistung) und zum
anderen aus freiwilligen Leistungszusagen des Unternehmens (z. B. Garantieleistungen) gegenüber dem Kunden ergeben können.
24
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Aus dieser Systematik, insbesondere aus der dritten Phase, wird die Reichweite des CRM-Ansatzes deutlich: Nicht nur Interaktionen im Kontext von Marketing und Verkauf müssen sich dem Ziel der Kundenorientierung unterordnen,
sondern auch innerhalb der Nachkaufphase stattfindende persönliche Kontakte.
Der Eindruck, den z. B. Auslieferungsfahrer oder Kundendiensttechniker beim
Kunden hinterlassen, ist ebenso wichtig für die Erreichung der CRM-Ziele wie
die Informationen, die diese Servicemitarbeiter bei Gesprächen oder aus Beobachtungen vor Ort aufnehmen, sofern dadurch das Wissen über den Kunden zielgerichtet verbessert werden kann. »Oft haben Kundendiensttechniker nämlich
einen besseren Zugang zum Kunden – und sie können so im Zuge ihrer Kundenbesuche Aufzeichnungen [...] machen« [Schwetz 2000, S. 68].
Wie man es nicht machen sollte ...
Vorkaufphase: Die Verbraucherzentrale Frankfurt/Main hat den Fall eines Kunden dokumentiert, der sich gegen Berufsunfähigkeit versichern wollte. Er schreibt dazu von sich aus
17 Anbieter mit detaillierten Daten über sich und den gewünschten Tarif an. Von drei Unternehmen bekommt er ein konkretes Angebot, von den restlichen 14 eine Menge Werbung zu
ganz anderen Produkten. Dazu Brigitte Mayer von obiger Verbraucherzentrale: »Das ist sehr
typisch für die Branche« [Bergmann 2003, S. 65].
Das Marktforschungsunternehmen Vocatus in München fand bei einem Test heraus:
Mehr als die Hälfte der Interessenten, die sich auf der Webseite eines Autoherstellers für eine
Probefahrt anmeldeten, bekam keine Antwort [Bergmann 2003, S. 65].
Ein Verkaufstrainer sucht in einem Elektrofachmarkt (Werbeslogan: »Fachberatung ist
unsere Stärke«) nach einem Fernseher für sein Arbeitszimmer. Er entdeckt in der infrage
kommenden Größe 20 verschiedene Modelle zwischen 200 und 800 Euro. Auf seine Frage an
den Verkäufer, worin der Unterschied der Modelle angesichts der erheblichen Preisdifferenz
bestünde, antwortet dieser: »Och – die nehmen sich nicht viel. Leisten alle mehr oder weniger das Gleiche.« Der Verkäufer war trotz mehrfacher Nachfrage nicht in der Lage, auch nur
annähernd Leistungs- und Qualitätsunterschiede, Garantiebedingungen und Zusatzleistungen der Geräte darzustellen. Der gut verdienende Kunde entschied sich für den billigsten
Fernseher, obwohl er bei entsprechender Beratung auch für ein teureres Modell zu gewinnen gewesen wäre [Nagel & Rasner 1996, S. 22].
Nachkaufphase: Bei einem Servicetest der Hotlines von PC-Herstellern ermittelte die ZDFSendung WISO eine maximale »Klingelzeichenwartedauer« von 57 [Nagel & Rasner 1996,
S. 20]. »Drei von vier Mitarbeitern wissen in der Telefonzentrale nicht, wer für das Problem
des Anrufers zuständig ist« [Nagel & Rasner 1996, S. 98].
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
1.2.4
25
Integration des Wissens über den Kunden
Ordnet man die Phasen einer Kundenbeziehung betrieblichen Funktionsbereichen zu, entsteht die Gefahr, dass isolierte Abteilungen die Kundendaten fragmentiert und partiell bearbeiten, wodurch das integrale Wissen über Kundenbeziehungen und die jeweiligen Kunden verloren geht bzw. gar nicht erst entstehen
kann. Infolgedessen sind Marketingaktionen »[...] unzureichend koordiniert,
inhaltlich und kommunikativ nicht abgestimmt und vermitteln nicht selten
widersprüchliche Botschaften« [Rapp 2005, S. 53]. Durch eine solche, aus Kundensicht verwirrende Kommunikation kann viel »Porzellan« zerschlagen werden:
Im besten Fall beschwert sich der Kunde, im schlimmsten Fall storniert er seine
Bestellung, wandert ab und tut zusätzlich seinen Unmut gegenüber Freunden, im
Web oder über Social Media kund.
Wesentlich ist hier die aufgabenorientierte Sichtweise: Die Unterteilung in
Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase ist eine idealisierende Systematik. Die innerhalb dieser Phasen auftretenden Aufgaben müssen jedoch nicht notwendig isoliert oder sequenziell durchgeführt werden. Einzelne Aufgaben können zusammenfallen und auch gemeinsam von einer Person übernommen werden. Zum
Beispiel können im Rahmen der Kundenbetreuung innerhalb der Nachkaufphase
eines ersten Interaktionszyklus gleichzeitig auch neue Angebote erstellt werden,
welche der Vorkaufphase eines zweiten Interaktionszyklus zuzurechnen sind.
Und ein Außendienstmitarbeiter wird bei einem Kundenbesuch vor Ort sowohl
Marketingaufgaben (Produktpräsentation, Angebotserstellung) als auch Verkaufsaufgaben (Vertragsverhandlungen, Konditionenvereinbarung) übernehmen.
Die Phasen sind also lediglich von konzeptuellem Interesse und sollten nicht zur
Einrichtung entsprechender Abteilungen innerhalb der Organisation oder zur
Einführung funktionsorientierter Anwendungssysteme führen.
Solche isolierten Anwendungssysteme für Vertrieb und Service sind aus der
Prä-CRM-Ära bekannt. Beispiele sind Sales-Force-Automation-Systeme (SFASysteme) oder Computer-Aided-Selling-Systeme (CAS-Systeme), die die Vertriebsmitarbeiter bei der Abwicklung ihrer Aufgaben unterstützen sollen. Diesen
Systemen ist gemein, dass sie keine integrative Sicht auf den Kunden anbieten und
nicht alle verfügbaren Informationen über ihn bereithalten. Durch ihre Einführung entstehen »Automatisierungsinseln« verschiedener operativer Systeme, auf
denen sich oft wichtige Informationen über Kunden finden, deren Auswertung
große Potenziale verspricht. Diese Potenziale können wegen der mangelnden
Integration dieser Informationen jedoch nur mit großem Aufwand ausgeschöpft
werden. Die Auswertung dieser Daten aus den verschiedenen operativen Systemen ist sehr langwierig, sodass die Ergebnisse meist zu spät verfügbar sind und
nicht mehr als Grundlage für dringende Entscheidungen oder zur Unterstützung
operativer Aufgaben dienen können.
26
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
CRM im Lichte anderer Ansätze
Marketingansätze, die bereits seit Längerem bekannt sind und teilweise als Subkonzepte
des CRM angesehen werden, lassen sich hinsichtlich ihrer Reichweite vom umfassenderen,
ganzheitlichen CRM abgrenzen. Die Grundidee, Marketing-Teilaufgaben mithilfe von Kundendatenbanken zu unterstützen, ist im CRM auf alle Aufgaben der Kundenbeziehungspflege und eine Integration aller Kundeninformationen erweitert worden.
So nimmt das Database Marketing ausschließlich auf die Marketingphase Bezug und
behandelt dabei kaum die Durchführung der Kundeninteraktionen. Dieser stark technologiegetriebene Begriff kam Mitte der 1980er-Jahre auf und ist heute kaum noch gebräuchlich.
Das Computer-Aided Selling (CAS) widmet sich hingegen hauptsächlich der Verkaufsphase, ebenso wie die Sales Force Automation (SFA). Beide betrachten jedoch ausschließlich automatisierte Aufgaben, und während sich SFA insbesondere auf die Steuerung
und Durchführung von Interaktionen mit dem Kunden bezieht, deckt CAS auch Planungsund Kontrollaspekte ab.
Auch heute noch betreiben viele Unternehmen eine wenig koordinierte, nicht
integrierte Informationsbewirtschaftung – in einer Umfrage von Client Vela
beklagen z. B. 60 % der Unternehmen, dass ihre CRM-Systeme nicht ausreichend
in die Prozesse integriert sind, und 50 % sehen Mängel im Management ihrer
Kundendaten [Swiss Post Solutions 2011]. Die Gartner Group geht davon aus,
dass über 90 % aller Unternehmen keine unternehmenseinheitliche Sicht auf ihre
Kunden haben [Buck-Emden 2002, S. 22]. Im Gegenteil, das über einen konkreten Kunden vorliegende Wissen wird teilweise durch den Zufall gesteuert, wie die
folgenden Beispiele zeigen [Kiesel et al. 2003, S. 66–67]:
■ Jeder Kundendienstmitarbeiter pflegt seine eigene Kundenkartei in diversen
Insellösungen, manchmal sogar ohne Softwareunterstützung mit »Papier und
Bleistift«. Die Kundendaten sind auf viele isolierte Systeme verteilt.
■ Die über einen Kunden gespeicherten Informationen werden von den jeweils
zuständigen Vertriebsmitarbeitern festgelegt, die die Attribute, die einen Kunden auszeichnen, selbst definieren. Werden hier z. B. keine Potenzialdaten
erfasst, bleibt die Sicht auf mögliche zukünftige Bedürfnisse verborgen.
■ In den operativen Anwendungssystemen existiert eine produkt- oder leistungsorientierte Sicht: Der Kunde ist Attribut eines Produktes, das im Mittelpunkt der Betrachtung steht.
Bei einer derart fragmentierten Datenverwaltung erscheint eine für den Kunden
zufriedenstellende Betreuung kaum möglich. Ein Vertriebsmitarbeiter ist nicht in
der Lage, beispielsweise kundenspezifische Rabatte zu gewähren oder Anfragen
oder Beschwerden in angemessener Zeit zu bearbeiten. Es liegen ihm nicht ausreichende Informationen vor, um gezielt auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen zu
können. So ist beispielsweise nicht an jedem Kundenkontaktpunkt bekannt, wel-
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
27
che Produkte der Kunde bereits gekauft hat, wie das Produktnutzungs- und das
Wiederkaufverhalten des Kunden in der Vergangenheit ausgesehen hat, ob und
worüber sich der Kunde bereits beschwert hat oder ob der Kunde einer Produktsparte A vielleicht auch Kunde einer anderen Sparte B ist.
Interaktionen und Interaktionskanäle (Kommunikationsmedien)
Die Interaktionen zur Abwicklung von Kundenbeziehungen werden auf unterschiedlichen Kanälen (z. B. persönliche Kontakte, Telefon, Apps, Brief, Fax,
E-Mail, Social Media) durchgeführt. Insbesondere kann der Kunde während
einer Beziehung situationsabhängig abwechselnd auf mehrere Interaktionskanäle
zurückgreifen – er ist also nicht auf ein Medium festgelegt.
Hieraus ergeben sich einige Schwierigkeiten für die oben geforderte einheitliche Kundenansprache. Da sich eine Kundenbeziehung typischerweise über einen
längeren Zeitraum erstreckt und häufig unter Nutzung unterschiedlicher Kanäle
geführt wird, erfolgt die Bearbeitung der Interaktionen an unterschiedlichen Stellen (Kundenkontaktpunkten) innerhalb eines Unternehmens. Die im Laufe der
Beziehung anfallenden Informationen über Umfeld, Bedürfnisse, Vorlieben,
Wünsche und Reaktionen des Kunden stehen deshalb nicht an einem zentralen
Punkt zur Verfügung, sondern sind »zufällig« auf das ganze Unternehmen verteilt. Da der Kunde aber im Mittelpunkt der Marketingstrategie stehen sollte, ist
grundsätzlich an jedem einzelnen Kontaktpunkt das gesamte, detaillierte Wissen
über den Kunden nötig, um schnelle, kundenorientierte Entscheidungen und
Reaktionen zu ermöglichen.
Somit ergibt sich ein Verteilungsproblem in Bezug auf das fragmentierte Wissen über die Kunden: Es entsteht an vielen unterschiedlichen Stellen im Unternehmen, muss aber gleichzeitig in integrierter Form an allen Kontaktstellen bereitgehalten werden.
Vor diesem Hintergrund kann es häufig passieren, dass Kundendaten an verschiedenen Stellen im Unternehmen mehrfach erfasst werden. Schnell entsteht die
Gefahr, dass die Daten völlig inkonsistent werden, weil der Überblick verloren
geht, welche Daten aus welcher Quelle die aktuellsten sind. Die Folge: »Die Verwirrung ist perfekt, und die Daten werden nutzlos« [Huldi 1997, S. 31]. Deshalb
werden die Kunden dann wiederholt zur Bereitstellung bestimmter Informationen aufgefordert. Eine derartige Vorgehensweise widerspricht der Idee, den Kunden interaktionsübergreifend und kanalunabhängig einheitlich anzusprechen:
»Für den Kunden muss spürbar werden, dass endlich ›die Linke weiß, was die
Rechte tut‹« [Schwetz 2000, S. 31].
28
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Integrativer Charakter des Customer Relationship Management
Um den Kunden über alle Kanäle und über die Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase hinweg mit einer Stimme ansprechen zu können, sind relevante Daten aus
allen Interaktionen und Kanälen zu sammeln, zusammenzuführen und zu speichern, um sie bei Bedarf verfügbar zu haben. Isoliert betriebene Abteilungen, die
sich untereinander nicht oder kaum koordinieren, sind bei Verfolgung einer
CRM-Strategie zu vermeiden; die Qualität und der Inhalt der Interaktionen sollten unabhängig vom gewählten Kanal stets gleich bleiben. Dies gilt auch dann,
wenn bestimmte Aufgaben an Kanalpartner ausgelagert werden.
Bei jeder Interaktion muss das in ihrem Verlauf fassbare Wissen über den
Kunden protokolliert werden. Vollständigkeit und Genauigkeit der gesammelten
und analysierten Daten sind hierbei ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das CRM.
Auf diese Weise entsteht ein lernendes, rückgekoppeltes System im Sinne eines
Regelkreises (closed loop). Aus dieser Betrachtung resultiert bereits die zentrale
Bedeutung analytischer Aspekte im Rahmen des CRM (vgl. Kap. 2).
Als wesentliche Neuerung des CRM im Vergleich zu bekannten Ansätzen
kann somit dessen integrativer Charakter identifiziert werden. Die wichtigsten
integrativen Aspekte des CRM sind [Hettich et al. 2000, S. 1348]:
■ die Synchronisation und ganzheitliche Koordination der zentralen Kundenkontaktpunkte Marketing, Verkauf und Service,
■ die Einbindung aller Interaktionen und Interaktionskanäle zum Kunden und
■ die hierfür erforderliche Zusammenführung und Auswertung aller Kundeninformationen und -daten.
Customer Journey: Der Weg des Kunden entlang der Kontaktpunkte
Ob es einem Unternehmen nun tatsächlich gelingt, den Kunden über alle Interaktionskanäle mit einer Stimme anzusprechen und die Kundenkontaktpunkte so zu
koordinieren, dass er nachhaltig zufrieden gestellt ist, bleibt häufig im Verborgenen. Klassische Untersuchungen zur Kundenzufriedenheit betrachten den
Zustand der Kundenbeziehung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dabei ist die
Vielfalt der Erlebnisse des Kunden im Verlauf der Beziehung nicht fassbar.
Gerade die Enttäuschungen, die einen eigentlich zufriedenen Kunden plötzlich
doch zur Kündigung veranlassen, und die Begeisterungsmomente, die einen Enttäuschten dennoch zum Bleiben bewegen, sind es aber, die Schwächen der eigenen
CRM-Prozesse aufzeigen und ein tieferes Verständnis der Kunden ermöglichen.
Erst eine Analyse der Kundenerlebnisse im Zeitablauf verdeutlicht das Zusammenspiel und die Dynamik der Emotionen und Eindrücke, die zu einer bestimmten Kundenentscheidung führen.
Der Weg, den ein Kunde im Laufe seiner Beziehung zu einem Unternehmen
entlang der Kundenkontaktpunkte nimmt, wird als »Customer Journey«
bezeichnet. Die Auswertung dieser »Reiseroute« im Sinne einer Querschnittsana-
1.2 Ziel und Kernkonzepte des CRM
29
lyse erlaubt Einblicke in die Entwicklung einer Kundenbeziehung. Sie wird typischerweise in Form von Befragungen oder Tagebuchstudien durchgeführt, bei
denen Kunden ihre Erfahrungen mit einem Unternehmen detailliert protokollieren. So entstehen Erlebnisketten, aus denen ersichtlich wird, welche Ereignisse
echte Begeisterung, bloße Zufriedenheit oder endgültige Frustration auslösen. Sie
können wie eine »Herzkurve« der Kundenbeziehung gelesen werden (vgl. [van
Douwe 2011], [Bössow 2012]).
Da solche Befragungen nicht für den gesamten Kundenstamm realisierbar
sind, gewinnt ein Unternehmen in der Regel nur eine partielle Sicht auf die Customer Journey einzelner Kunden – und selbst bei Protokollierung aller Interaktionen in einer integrierten Kundendatenbank bleiben deren Informationshandlungen und Vertragsgespräche mit anderen Anbietern ohnehin unerkannt. Zwar
äußern Konsumenten zunehmend Emotionen und Absichten wie Kauf- oder
Wechselwünsche in sozialen Onlinenetzen, dennoch muss von einem unvollständigen Bild der Customer Journey ausgegangen werden. Daher ist es empfehlenswert, »auffällige« Verhaltensweisen von Bestandskunden stets dahingehend zu
prüfen, ob sie auf Unzufriedenheit oder Wechselabsicht hindeuten.
Abbildung 1–9 zeigt eine beispielhafte Customer Journey eines Mobilfunkkunden. Ausgelöst durch den Defekt seines alten Handys ruft er seinen Mobilfunkbetreiber an, um sich zu informieren, welche Geräte ihm dort – beispielsweise im Rahmen einer vorzeitigen Vertragsverlängerung – angeboten werden.
Anschließend sucht er im Internet nach Alternativangeboten anderer Betreiber.
Um das Handy nun auch einmal genau in Augenschein zu nehmen, besucht er die
Verkaufsstelle seines Anbieters und findet Gefallen an dem Gerät. Er erinnert sich
nun daran, dass ein anderer Betreiber dasselbe Gerät günstiger im Internet anbietet und besucht daher zu Hause noch einmal dessen Onlineshop. Da das Handy
dort tatsächlich günstiger zu haben ist, informiert er sich telefonisch über die
Modalitäten des Anbieterwechsels. Weil der Kunde aber bisher zufrieden war
und im Grunde gar nicht wirklich wechseln möchte, fragt er telefonisch bei seinem alten Anbieter nach, ob er das Handy zum gleichen Preis wie vom neuen
Anbieter bekommen könnte. Der bisherige Betreiber lehnt ab und versäumt
damit die Chance, seinen Kunden zu halten. Der Kunde entscheidet sich daher für
den günstigeren, neuen Anbieter und schließt im Ladengeschäft den Vertrag ab
[van Douwe 2011, S. 31–32].
Durch systematische Protokollierung aller Interaktionen über die verschiedenen Kommunikationskanäle hätte – unter der Voraussetzung, dass der Kunde
jeweils identifiziert wird – auffallen können, dass der Kunde nicht nur auf der
Suche nach einem Ersatzgerät ist, sondern auch, dass er noch unsicher ist, weil er
sich wiederholt intensiv informiert und nachfragt. Ein aufmerksamer Mitarbeiter
im Callcenter hätte auch erkennen können, dass der Kunde bereits über günstigere Konkurrenzangebote verfügt. Das Ausmaß der Informationshandlungen bei
anderen Anbietern freilich ist nicht erkennbar.
30
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Auslöser
Information
Telefon Online Shop
Vertiefende
Suche
Telefon Online Shop
Entscheidung
Telefon Online Shop
Altes
Handy
kaputt
Anbieter 1
Anbieter 2
Anbieter 3
Abb. 1–9
1.3
1.3.1
Customer Journey am Beispiel Mobilfunk [van Douwe 2011, S. 31]
Wie schafft man profitable Kundenbeziehungen?
Die Loyalitätsleiter
Bevor im nächsten Kapitel Basisstrategien zur Schaffung profitabler Kundenbeziehungen vorgestellt werden, soll zunächst näher beleuchtet werden, in welchen
Entwicklungsstufen die Beziehung zum Kunden typischerweise verläuft. Die in
Abbildung 1–10 gezeigte Loyalitätsleiter bietet dabei eine gute Hilfestellung
[Kreutzer 1990, S. 106–110]. Die Grundidee besteht darin, alle aktuellen und
potenziellen Kunden nach ihrer Loyalität zum Unternehmen auf einer imaginären
Leiter aufsteigend anzuordnen. Das Ziel bei der Entwicklung der Kundenbeziehungen ist es nun, die Kunden möglichst viele Schritte auf der Leiter nach oben zu
führen, unabhängig von ihrer jetzigen Position.
Auf der untersten Stufe befinden sich potenzielle Kunden, die ein Verwendungspotenzial aufweisen, jedoch das betreffende Unternehmen und dessen
Angebot noch nicht kennen. Auf der obersten Stufe stehen loyale Stammkunden,
die ihren Bedarf zum größten Teil bei »ihrem« Anbieter decken. Zwischen diesen
beiden Extremen liegen die übrigen Kunden.
1.3 Wie schafft man profitable Kundenbeziehungen?
31
Mehrfachkäufer
Kunden
Folgekäufer
Nachkaufphase
Stammkunde
Erstkäufer/Neukunde
Kaufinteressent
Interessenten
Produktinteressent
Kontaktierte
Werbekontaktierter
Verwender
Schwachverwender
Potenziell
zu Kontaktierende
Vorkaufphase
Intensivverwender
Verwendungskenntnis
Potenzielle
Verwender
Verwendungspotenzial
Abb. 1–10
Loyalitätsleiter (angelehnt an [Kreutzer 1990])
Anhand dieser Darstellung ist gut erkennbar, dass Kunden, die sich auf verschiedenen Stufen der Loyalitätsleiter befinden, höchst unterschiedlich angesprochen
werden müssen: Ein Produktinteressent muss beispielsweise anders beworben
werden als ein Mehrfachkäufer, der das Unternehmen schon viel besser kennt.
Hierzu gehört auch die Vermeidung von »Missgeschicken« wie jenes, das einem
großen Telekommunikationsanbieter vor Jahren unterlief, als er seinen ISDNKunden mit der Telefonrechnung im selben Umschlag ein Werbefaltblatt für
32
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
einen ISDN-Telefonanschluss mitschickte. Hier zeigt sich wieder besonders deutlich, wie wichtig die im vorigen Abschnitt 1.2.4 angesprochene Integration des
Kundenwissens ist, damit eine konsistente Kommunikation gesichert ist.
Nach besonders erfolgreichen Marketingaktionen kann es vorkommen, dass
Kunden sogar mehrere Stufen auf einmal nach oben klettern. Andererseits passiert es auch häufig, dass Kunden auf der Leiter nach unten wandern; dann sollten sofort Maßnahmen ergriffen werden, um diese Entwicklung aufzuhalten. Um
entsprechend reagieren zu können und um sicherzustellen, dass »Stammkunden
kein irritierendes Neugewinnungsmailing erhalten [...]« [Kreutzer 1990, S. 109],
ist es wichtig, die Informationen über die jeweils erreichte Stufe in relativ kurzen
Zeiträumen (je nach Branche z. B. alle zwei Wochen) zu aktualisieren.
Die Loyalitätsleiter verdeutlicht auch die bereits in Abschnitt 1.2.3 im Kontext des Beziehungsmarketings ausgeführte Erkenntnis, dass das Bemühen um
den Kunden nicht nach Abschluss des Kaufvertrages endet. Im Gegenteil: Ein
großer Teil der Aufgaben der Beziehungspflege ist in der Nachkaufphase angesiedelt, wie anhand der Grafik deutlich wird. Die einzelnen Instrumente zur Marktbearbeitung werden in Abschnitt 2.4 systematisiert.
1.3.2
Basisstrategien des Customer Relationship Management
Hauptziel des CRM sind der Aufbau und die Gestaltung von profitablen Kundenbeziehungen (vgl. Abschnitt 1.2.1). Diese allgemeine Strategiedefinition ist
jedoch zu abstrakt, als dass sie sich unmittelbar umsetzen ließe. Wie realisiert
man nun also profitable Kundenbeziehungen? Dazu sind fortlaufend folgende
elementare Fragen zu beantworten:
■ Mit welchen Kunden soll eine neue Beziehung angestrebt werden?
■ Zu welchen Kunden sollen bestehende Beziehungen vertieft, intensiviert, ausgebaut und verlängert werden?
■ Bei welchen Kunden sollte eine Abwanderung nach Möglichkeit vermieden
werden? Hinsichtlich welcher Kunden sollte eine Beendigung der Beziehung
angestrebt werden?
■ Welche abgewanderten Kunden sollten nach Möglichkeit zu einer Wiederaufnahme der Beziehung bewegt werden?
■ Welche Kunden sollen mit welchen Instrumenten und Maßnahmen über welche Interaktionskanäle betreut werden?
■ Wie kann dies jeweils möglichst zieloptimal (rentabel) geschehen?
Aus der abstrakten CRM-Strategie der rentabilitätsorientierten Kundenbeziehungspflege lassen sich anhand der genannten Fragestellungen drei generische
Basisstrategien ableiten. Diese legen Regeln für die Kundenbeziehungspflege fest
und widmen sich jeweils einer Klasse beziehungsrelevanter Tätigkeiten, die sich
an den drei Hauptphasen des Kundenlebenszyklus orientieren. Dies sind im
Wesentlichen [Riemer et al. 2002, S. 601]:
1.3 Wie schafft man profitable Kundenbeziehungen?
33
■ Die Kundenneugewinnung (Recruitment)
Aufnahme von Beziehungen zu neuen Kunden
■ Die Kundenbindung und -entwicklung (Retention)
Festigung, Intensivierung und Weiterentwicklung bestehender Beziehungen
■ Die Kundenrückgewinnung (Recovery)
Wiederaufnahme von beendeten Kundenbeziehungen
Die Basisstrategien dienen als Orientierung – sie geben die in ihrem Kontext zu
berücksichtigenden Aspekte verkürzt wieder. Weitere Kriterien werden im Folgenden kurz skizziert.
Kundenneugewinnung (Recruitment)
Die Verbreiterung der Kundenbasis durch den Aufbau von Beziehungen zu neuen
Kunden ist differenziert zu betrachten. Nicht alle Interessenten sind erwünschte
Neukunden, wenn man auf deren individuelle Bedürfnisse nicht eingehen kann
oder will (etwa weil sie nicht mit dem Sachziel des Unternehmens übereinstimmen) oder wenn zu erwarten ist, dass die Beziehungen zu ihnen unprofitabel sein
werden. Dies schließt nicht aus, dass man sich dennoch um zunächst unprofitable
Interessenten kümmert. Ein heute unrentabler Kunde (z. B. ein Student) kann
morgen ein gewinnbringender Partner werden (z. B. als gut verdienender leitender
Angestellter oder Geschäftsführer). Eine auf den jeweiligen Interessenten und
dessen aktuelle Lebenszyklusphase abgestimmte Vorgehensweise ist also angezeigt. Zudem ist es wenig ratsam, die Chance zur Gewinnung eines Neukunden
von vornherein zu verspielen, nur weil die Aufnahme einer Beziehung zu ihm
kurzfristig betrachtet wenig Erträge verspricht. Schließlich ist die Gewinnung
neuer Kunden ungleich mühsamer und teurer als die Weiterentwicklung bestehender Beziehungen.
Die grundlegende Frage, die mit der Basisstrategie Kundenneugewinnung zu
beantworten ist, lautet also: »Zu welchen Kunden möchten (oder können) wir
Beziehungen unterhalten?« Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Zielgruppe,
die das Unternehmen ansprechen will, also primär auf den Inhalt der Kundenbeziehung (Bedürfnisse der Kunden), und ist stets vor dem Hintergrund der Profitabilität zu beantworten.
Kundenbindung und -entwicklung (Retention)
Die Kundenbindung und die Weiterentwicklung der Kundenbeziehung zielen auf
die Intensivierung der Zusammenarbeit mit einem Kunden. Typische Maßnahmen hierfür sind etwa das Cross-Selling und Up-Selling. Hier werden dem Kunden weitere oder höherwertige Produkte angeboten, um sein Ertragspotenzial
besser auszuschöpfen. In diesem Zusammenhang kann es auch von Vorteil sein,
die Kundenloyalität durch eine individuellere Betreuung zu steigern (Up-Grading).
34
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Die Aufrechterhaltung einer Beziehung muss nicht immer ohne Einschränkungen erwünscht sein. Verursacht ihr Unterhalt seit Längerem Verluste, so kann
die Beendigung der Zusammenarbeit durchaus im Sinne der Unternehmensziele
sein. Oft ist es jedoch ratsamer, eine unprofitable Beziehung nicht sofort zu beenden. Eine Kundenbeziehung ist nie »per se« unprofitabel – meist wird sie vom
Anbieter nur nicht ihrem Charakter entsprechend gestaltet. So kann man dem
Kunden z. B. ein anderes Produkt von niedrigerem Wert anbieten, welches besser
auf seine Situation zugeschnitten ist und ihn weniger finanziell beansprucht
(Down-Selling). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, ihn weniger kostenintensiv zu betreuen, wodurch sich möglicherweise die Rentabilität der Beziehung bei
gleich bleibendem Kundenumsatz wieder herstellen lässt (Down-Grading). Der
Begriff Kundenentwicklung kann also derart verstanden werden, dass man die
Beziehung zum Kunden gezielt auf dessen Situation und Bedürfnisse abstimmt; es
muss sich nicht immer um eine Weiterentwicklung im Sinne einer Steigerung des
Kundenstatus handeln.
Um langfristig profitable Kundenbeziehungen aufzubauen, ist es sehr wichtig, die Gründe für eine Änderung des Kundenverhaltens herauszufinden. Im Idealfall würde ein »Customer-Intelligence-System« derartige Veränderungen beim
Kunden frühzeitig erkennen und somit ein proaktives Handeln ermöglichen. Realistischerweise kann man jedoch nicht davon ausgehen, dass dieser Zustand vollends erreicht wird. Dennoch sollte man im Rahmen der verfügbaren Möglichkeiten versuchen, Kundenereignisse (d. h. Ereignisse im Umfeld des Kunden, die
Auswirkungen auf die Beziehung zum Unternehmen haben können) möglichst
frühzeitig zu identifizieren und zu bewerten. Die von Kunden in sozialen Onlinenetzen geäußerten Statusmeldungen werden in diesem Zusammenhang oft als
mögliche Informationsquelle genannt.7 Aber Vorsicht – die Auswertung dieser
Angaben ist datenschutzrechtlich nur unter genau definierten Voraussetzungen
zulässig.
Die durch die Kundenentwicklungsstrategie zu behandelnde Fragestellung
bezieht sich also treffender nicht auf die Entwicklung einer Beziehung oder auf
die unbedingte Bindung eines Kunden ans Unternehmen, sondern vielmehr auf
die kundenorientierte Gestaltung einer Beziehung: »Welche Beziehungen sollen
wir umgestalten oder entwickeln? Wie soll dies jeweils geschehen?«
7.
Auch die Auswertung von Transaktionsdaten kann hierbei hilfreich sein. So sollen etwa
vermehrte Käufe von Einrichtungsgegenständen (Möbel und Bettwäsche oder Handtücher),
Diätprodukten und Alkohol auf eine bevorstehende Scheidung hindeuten [Faber 2014, S. 4].
1.3 Wie schafft man profitable Kundenbeziehungen?
35
Kundenrückgewinnung (Recovery)
Die Rückgewinnung abgewanderter Kunden8 sollte sich auf vorhandene Informationen aus der beendeten Beziehung stützen und ist aus diesem Grunde potenziell einfacher als die Akquisition unbekannter Interessenten. Möglicherweise
lässt sich durch gezielte Nachsorge des Abwanderungsgrundes, z. B. bei Enttäuschung des Kunden über schlechte Betreuung, sogar eine überdurchschnittliche
Zufriedenheit nach der Rückkehr erzeugen, wenn der Kunde den Eindruck
gewinnt, dass er dem Unternehmen nicht gleichgültig ist.
Auch bei der Rückgewinnung von abgewanderten Kunden ist eine differenzierte Sichtweise erforderlich. Nicht allen abgewanderten Kunden wird man
nachtrauern – in einigen Fällen ist man eher froh, »lästige« Kostenverursacher
loszuwerden. Manche Unternehmen ergreifen sogar gezielt Maßnahmen, um
unprofitable Kunden zur Beendigung der Beziehung zu bewegen.
Es ist besser, die Abwanderung von rentablen Kunden von vornherein zu vermeiden, als abgewanderte Kunden zur Wiederaufnahme einer beendeten Kundenbeziehung zu bewegen. Entsprechende Maßnahmen sind in Branchen, in
denen sich die Kundenbeziehung vertragsbedingt über einen längeren Zeitraum
erstreckt, wie z. B. bei Finanzdienstleistern oder in der Telekommunikationsbranche, verstärkt im Einsatz und unter dem Namen »Churn Management«9 bekannt
[Sauerbrey & Henning 2000, S. 22]. Sie beinhalten die Früherkennung der
Abwanderungsneigung und die Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit
einzelner Kunden. Auch hier ist eine Kundenwertberechnung erforderlich, um zu
entscheiden, welche abwanderungsgefährdeten Kunden zur Aufrechterhaltung
der Geschäftsbeziehung bewegt werden sollten.
Die zentralen Fragestellungen im Kontext der Basisstrategie Kundenrückgewinnung lauten demnach: »Welche Beziehungen sollen wir aufrechterhalten?
Welche abgewanderten Kunden sollen wir versuchen zurückzugewinnen? Welchen Kunden sollen wir die Abwanderung erleichtern?«
Analytische Querschnittsaufgaben des CRM
Um die drei Basisstrategien wie gefordert an der Profitabilität der jeweiligen Kundenbeziehung und an den Bedürfnissen des betreffenden Kunden ausrichten zu
können, ist umfangreiches Wissen über den Kunden notwendig. Dieses Wissen
lässt sich u.a. analytisch erzeugen. Die zugehörigen Datenanalyseaufgaben sind
8.
9.
Allgemein gilt ein Kunde als abgewandert, wenn die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen
Kaufes unter einen bestimmten Schwellenwert fällt. In Branchen mit festem Vertragsverhältnis
zwischen Anbieter und Kunde ist die Identifikation abgewanderter Kunden relativ einfach
(Vertragskündigung); in anderen Branchen wie etwa im Einzelhandel sehr viel schwieriger.
Wie eine solche Abschätzung in der Praxis möglich ist, wird im Analysefall 2 in Abschnitt 8.1.2
beschrieben; das Analyseszenario in Abschnitt 9.2 widmet sich ausschließlich der Kundenrückgewinnung.
Churn ist ein Kunstwort, gebildet aus »Change« und »Turn«.
36
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
elementare Bestandteile des CRM-Ansatzes; sie können in die folgenden drei
Klassen unterteilt werden (siehe Abb. 1–11):
■ Kundenbewertung und -profilerstellung,
■ Kundensegmentierung,
■ Planung und Konzeption der Markt- und Kundenbearbeitung.
Diese Querschnittsaufgaben ziehen sich durch sämtliche CRM-Funktionen. Sie
sind erforderlich, um eine ganzheitliche CRM-Strategie realisieren zu können.
Erst sie ermöglichen eine »Kundenorientierung i. e. S.«, also eine immer genauere
Kundensegmentierung zur individuellen oder segmentspezifischen Markt- und
Kundenbearbeitung mit dem Ziel der Steigerung des Kundenwertes bzw. der
Beziehungsprofitabilität. Sie werden ausführlich in Kapitel 2 erläutert.
Formalziele
Basisstrategien
Querschnittsaufgaben
Wirtschaftlichkeit
Kundenbeziehungspflege
Kundenorientierung i.e.S.
7
Kundenorientierung
7
7
Kundenneugewinnung
(Recruitment)
Kundenbindung
und -entwicklung
(Retention)
Kundenrückgewinnung
(Recovery)
7
Kundenbewertung
und -profilerstellung
7
Kundensegmentierung
7
Planung und
Konzeption der
Markt- und Kundenbearbeitung
Zielsystem (Ausschnitt)
Abb. 1–11
Basisstrategien und analytische Querschnittsaufgaben des CRM
Ableitung einer CRM-Strategie
Die drei CRM-Basisstrategien kennzeichnen drei grundlegende Dimensionen
(Stoßrichtungen), entlang derer die Kundenbeziehungen eines Unternehmens
gestaltet werden können:
■ Anzahl der Kundenbeziehungen (Breite der Kundenbeziehungsbasis),
■ Intensität der Kundenbeziehungen (Tiefe von Kundenbeziehungen; nimmt auf
deren inhaltliche und organisatorische Gestaltung Bezug),
■ Dauer der Kundenbeziehung (Länge von Kundenbeziehungen; resultiert aus
der Entscheidung über die Fortführung oder Beendigung der Kundenbeziehung).
1.3 Wie schafft man profitable Kundenbeziehungen?
37
Abbildung 1–12 fasst die Basisstrategien und deren Dimensionen noch einmal
zusammen. Weiter gehende Hinweise zur Ausgestaltung der genannten Aspekte
finden sich in der CRM-Literatur (z. B. bei [Georgi & Mink 2011]).
Eine Unternehmensstrategie spezifiziert die Vorgehensweise zur Erreichung
der Unternehmensziele. Eine CRM-Strategie legt demnach fest, wie vorgegebene
Rentabilitätsziele durch Maßnahmen der Kundenbeziehungspflege erreicht werden können.
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Intensität
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Anzahl
der Beziehungen
Abb. 1–12
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CRM-Basisstrategien
Die konkrete CRM-Strategie eines Unternehmens gibt insbesondere an, nach
welchen Regeln die Kundenneugewinnung, die Kundenbindung und -entwicklung sowie die Kundenrückgewinnung erfolgen sollen. Sie lässt sich somit durch
Spezialisierung und Ergänzung der beschriebenen generischen Basisstrategien
entwickeln, die man als Schablonen zur Spezifikation einer individuellen CRMStrategie ansehen kann. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt für die CRM-Strategie ist die Loyalitätsleiter (vgl. Abschnitt 1.3.1). Anhand der Entwicklungsstufen
von Kundenbeziehungen lassen sich geeignete Maßnahmen zur zielorientierten
Entwicklung der Kundenbeziehungen fundiert einordnen und ableiten. Die
Tabelle 1–2 fasst die wesentlichen inhaltlichen Kernaspekte zusammen, die in
einer CRM-Strategie berücksichtigt werden sollten.
Eine erfolgreiche CRM-Strategie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich
dynamisch an veränderte Umweltbedingungen anpasst [Kirkby 2002, S. 7]. Sie
gibt Aufschluss darüber, wie sich die Kompetenzen eines Unternehmens zur Erhö-
38
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
hung des Kundennutzens und damit zur Steigerung des Unternehmenswertes einsetzen lassen (vgl. Abschnitt 1.2.1). Sie darf nicht mit einem »CRM-Implementierungsplan« für Rechner- und Anwendungssysteme verwechselt werden. CRM
»hat mit dem Kauf von Hard- und Software erst in einem zweiten Schritt der
Umsetzung etwas zu tun« [Schwetz 2000, S. 33].
Inhaltliche Kernaspekte einer CRM-Strategie
■
■
■
■
■
■
■
■
■
■
Definition der Zielgruppenmärkte
Erarbeitung von auf die Zielgruppen abgestimmten Problemlösungskompetenzen
Kennenlernen des Kunden, um sich auf ihn einstellen zu können
Exzellente Kundeninformation und -betreuung (Kundenpflege)
Verknüpfung der finanziellen Ziele des Unternehmensplans mit den Durchführungsfunktionen
über eine gezielte Kundenorientierung (Kundenfokus)
Aussage, wie ein Unternehmen seine Kundenbasis weiterentwickeln will (Basisstrategien:
Kundenneugewinnung, Kundenbindung und -entwicklung, Kundenrückgewinnung)
Messbarkeit der Erreichung der Basisstrategien
Verständnis des Wertes und der Werteinflüsse in der aktuellen Kundenbasis
Effektive Handhabung von Kundenproblemen (Beschwerdemanagement)
Einbeziehung aller Interaktionen, Kanäle (Medien) und Kanalpartner
Tab. 1–2
1.4
1.4.1
Inhaltliche Kernaspekte einer CRM-Strategie (angelehnt an [Schwetz 2000, S. 33])
Von der CRM-Strategie zum CRM-System
Erfolg von CRM-Projekten
Frühere Pressemeldungen zur Pionierzeit des CRM berichten über teils gravierende Schwierigkeiten, die im Zuge von CRM-Projekten auftreten. So scheiterten
rund 60 % aller Vorhaben in den USA, und nur 14 % aller CRM-Initiativen entsprachen den ursprünglichen Erwartungen [Schwetz 2000, S. 137]. Auch in
Deutschland und Österreich wurden damals die mit CRM-Initiativen verbundenen Ziele nur in rund 65 % der Fälle erreicht [Trust Consult 2003]. Im deutschen
Mittelstand betrachtete nur knapp ein Drittel der befragten Unternehmen die
angestrebten Ziele als erfüllt, fast die Hälfte sah sich eher mittelmäßig erfolgreich
[Schröder & Ehrmann 2008]. Neuere Untersuchungen im deutschen Sprachraum
legen nahe, dass CRM-Projekte zunehmend mit mehr Erfolg gesegnet sind, ohne
jedoch konkrete Zahlen zu nennen [Christ et al. 2014].
Offensichtlich hat sich seither ein realistischeres CRM-Verständnis durchgesetzt, das überzogenen Erwartungen und falschen Prioritäten weniger Raum
lässt: So wird CRM nicht mehr als reines Softwarethema gesehen, sondern verstärkt als ganzheitliches Managementkonzept zur Kundenorientierung verstanden. Die vormals dominante technische Sicht wird durch organisatorische Aspekte
1.4 Von der CRM-Strategie zum CRM-System
39
ergänzt. Für mehr als die Hälfte der Unternehmen sind die Optimierung kundenorientierter Prozesse und die Entwicklung einer CRM-Strategie wichtiger als entsprechende IT-Themen [buw Consulting 2014].
Gleichwohl bleiben Schwierigkeiten nicht aus. Häufige Probleme sind etwa
unklare Zielsetzungen und viele nicht priorisierte Aktivitäten [Capgemini 2010].
Anstatt gleich eine Komplettlösung anzustreben, ist es vorteilhafter, Einzelziele zu
definieren und die zugehörigen Maßnahmen schrittweise umzusetzen. Voraussetzung dafür ist allerdings eine klare Strategieorientierung, an der es oft mangelt.
Derartige Fehler im Projekt- und Change Management äußern sich meist als Erstes in der Unzufriedenheit der Mitarbeiter mit der eingeführten Software. Tatsächlich zeigt sich nur gut die Hälfte der Befragten mit ihrem CRM-Anwendungssystem zufrieden, und auch aus Rentabilitätssicht wird die Softwareeinführung
mehrheitlich als eher nicht erfolgreich eingeschätzt – wenngleich eine genaue Messung des ROI (Return on Investment) kaum stattfindet [Christ et al. 2014, S. 19].
Begreift man CRM als Kundenorientierung aller Unternehmensbereiche, so
wird schnell deutlich, dass CRM nur ganzheitlich funktionieren kann. Der CRMGedanke muss sich wie ein roter Faden durch alle Unternehmensbereiche ziehen
und von allen Mitarbeitern intensiv »gelebt« werden. Hierzu bedarf es einer
geeigneten CRM-Strategie, deren Definition zu den größten Herausforderungen
in CRM-Projekten zählt.
Als weitere Herausforderungen gelten die Realisierung einer umfassenden,
aber gleichzeitig unaufdringlichen und datenschutzkonformen Kundendatenerfassung, die korrekte Einschätzung der Kosten-Nutzen-Relation der Datenerfassungs- und Analyseaufgaben sowie – damit verbunden – die möglichst gewinnbringende Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse, um teure »Datenfriedhöfe« zu
vermeiden. Nicht zu unterschätzen ist das Problem der Motivierung aller Mitarbeiter zur aktiven Mitwirkung an der Umsetzung der CRM-Idee, wie zum Beispiel (auch und im Besonderen) die Incentivierung des Außendienstes zur detaillierten Aufzeichnung des erlangten Kundenwissens [Christ et al. 2014, S. 29–31].
Ebenso bedeutsam ist die kontinuierliche Optimierung der Strategien, Prozesse
und Anwendungssysteme. Denn ein CRM-Projekt endet nicht mit der Übergabe
der Software – vielmehr eröffnet es einen fortwährenden Verbesserungsprozess
[Lang & Hunziker 2009].
40
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Kann CRM den Unternehmenserfolg steigern – und worauf ist dabei zu achten?
Eine Studie aus dem Jahr 2003, die 90 größtenteils deutsche Unternehmen befragte, zeigt
einen eindeutig nachweisbaren Einfluss von CRM auf den Unternehmenserfolg [Greve
2006]. Demnach führt eine »relativ einfache Implementierung von zentralen Prinzipien des
Beziehungsmarketings« in Verbindung mit einem CRM-orientierten Anwendungssystem
und geeigneten organisatorischen Anpassungen zu messbaren Erfolgen. Diese sind besonders groß, wenn die Maßnahmen differenziert auf die Phasen des Kundenlebenszyklus
abgestimmt sind.
Als Kernpunkte sind folgende Erfolgsfaktoren festzuhalten:a
■ Eine technische Infrastruktur in Form eines CRM-Anwendungssystems, das individuelle
CRM-Maßnahmen auch für mehrere Hunderttausend Kunden ermöglicht – sofern es
systematisch und konsequent sowie mit Sachverstand genutzt wird.
■ Die individuelle Betreuung der Kunden nach ihrer Profitabilität in jeder Phase des Kundenlebenszyklus, wie sie nur bei Einsatz ausgefeilter Kundenbewertungsverfahren
möglich ist.
■ Organisatorische Anpassungen, die Mitarbeiter in die Lage versetzen, die Kunden entsprechend ihren Bedürfnissen kompetent und perfekt informiert zu beraten.
■ Gelebte Kundenorientierung und Unterstützung durch die Unternehmensführung
– zwei Faktoren, die mit voranschreitender Kundenlebenszyklusphase für den Erfolg des
CRM zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Die Untersuchung zeigt, dass in verschiedenen Phasen des Kundenlebenszyklus keineswegs
alle CRM-Maßnahmen implementiert sein müssen – so kann z. B. in der Akquisitionsphase
auf die vollständige Speicherung von Kundenreaktionsdaten und teure CRM-Schulungen
verzichtet werden, in der Bindungsphase sollten den Kunden keine monetären Anreize wie
Rabatte oder Geschenke gegeben werden, und auch in der Rückgewinnungsphase brauchen nicht alle Kundendaten jederzeit für alle Mitarbeiter zugreifbar zu sein. Auf die gezielte
Dosierung kommt es also an!
a.
Die Relevanz der genannten Faktoren wird im Wesentlichen durch neuere Veröffentlichungen
bestätigt, vgl. z. B. [Lang & Hunziker 2009] sowie [Christ et al. 2014].
1.4.2
Customer-Relationship-Management-Systeme
Mit dem Begriff CRM-System wird meist ein Anwendungssystem, z. B. auf der
Basis eines Standard-CRM-Softwarepaketes, verstanden. Diese Sichtweise greift
jedoch zu kurz. Das umfassende Management der Kundenbeziehungen gemäß
den oben geschilderten Konzepten kann keinesfalls allein durch Software
bewerkstelligt werden. Begreift man ein Customer-Relationship-ManagementSystem in erster Näherung als ein System, das sich der Gesamtheit aller Aufgaben
widmet, die zum Management der Kundenbeziehungen notwendig sind, so wird
die Reichweite dieses Begriffs schnell deutlich: Er umfasst Aufgaben und Prozesse
zusammen mit den zugeordneten Aufgabenträgern, Daten und Kommunikationskanälen. Zu den Aufgabenträgern zählen Anwendungssysteme, insbesondere
aber auch alle beteiligten Personen im Innen- und Außendienst mit ihren Verantwortlichkeiten.
1.4 Von der CRM-Strategie zum CRM-System
41
Unter dem Begriff Customer Relationship Management wird in diesem Buch
die Planung, Steuerung und Kontrolle der Kundenbeziehungen betrachtet. Analog wird unter dem Begriff CRM-System jenes Teilsystem des betrieblichen Informationssystems verstanden, das der Verarbeitung aller zur Pflege der Kundenbeziehungen erforderlichen Informationen dient. Ein CRM-Anwendungssystem ist
das automatisierte Teilsystem des CRM-Systems.10 Ein CRM-System ist somit
ein integriertes System zur Kundenbeziehungspflege. Es deckt die Vorkauf-, Kaufund Nachkaufphase ab und behandelt Planungs-, Steuerungs-, Durchführungsund Kontrollaspekte. Hierbei ist es unerheblich, ob die zugehörigen Aufgaben
automatisiert, teilautomatisiert oder manuell von Personen durchgeführt werden.
1.4.3
Gestaltung von CRM-Systemen
Wie kann nun eine definierte CRM-Strategie durch ein CRM-System umgesetzt
werden? Im Folgenden werden die Grundzüge einer Methodik skizziert, die die
ganzheitliche Analyse und Gestaltung von CRM-Systemen ermöglicht und sich
als Grundlage für die Spezifikation von CRM-Anwendungssystemen verwenden
lässt. So kann die Analyse von CRM-Systemen auf Unternehmensebene methodisch unterstützt und damit die erfolgreiche Implementierung von CRM-Systemen erleichtert werden [Knobloch 2003].
CRM-Architektur
Die CRM-Strategie bestimmt die Gestaltung der auf die Kunden hin ausgerichteten Geschäftsprozesse (CRM-Prozesse) und nimmt damit auch Einfluss auf die
betriebliche Aufbauorganisation, die die Ressourcen zur Durchführung dieser
Prozesse festlegt. CRM-Strategie, Geschäftsprozesse und Anwendungssysteme
müssen also genau aufeinander abgestimmt werden, um ein funktionierendes
CRM-System entstehen zu lassen. Die CRM-Architektur setzt diese drei Perspektiven zueinander in Verbindung und gliedert ein CRM-System in drei Beschreibungsebenen [Link 2001, S. 2–5] (siehe Abb. 1–13).
10. Da zunehmend auch informationsverarbeitende Aufgaben der Beziehungsdurchführung (etwa
durch Selbstbedienungsfunktionen im Kundenservice) automatisiert werden, sind auch sie Teil
des CRM-Anwendungssystems.
42
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
7
Zielsystem (Sach- und Formalziele)
7
Was?
CRM-Plan
CRM-Strategie
7
Leistungen
7
Rahmenbedingungen
7
Wie?
CRM-Prozessmodell
Interaktionen und Kanäle
(Struktursicht)
7
Daten und Informationen
7
Ablauf
7 Funktionen
7
Aufbauorganisation
7
Womit?
CRM-Ressourcenmodell
CRM-Ressourcenmodell
Anwendungssysteme
7
Abb. 1–13
Maschinen
Beispiel eines CRM-Plans (Auszug)
CRM-Plan
Der CRM-Plan als oberste Ebene der CRM-Architektur definiert die globale
CRM-Aufgabe der Kundenbeziehungspflege aus Sicht des betreffenden Unternehmens. Hierzu gehören die Festlegung der Leistungen, die das Unternehmen an
seine Kunden erbringt, sowie die der Sach- und Formalziele. Aus den Zielen wird
eine geeignete CRM-Strategie abgeleitet. Der CRM-Plan beschreibt zusätzlich die
Rahmenbedingungen (Märkte, gesetzliche Normen, vertragliche Abkommen
usw.), innerhalb derer das Unternehmen agiert (siehe Abb. 1–14).
1.4 Von der CRM-Strategie zum CRM-System
43
CRM-System
Zielsystem
Customer Relationship Mangement
Systemabgrenzung
Sachziel
Direktvertriebsorganisation eines
Konsumgüterherstellers zur
Belieferung von Wiederverkäufern
Betreuung und Versorgung der
Kunden mit Konsumgütern für den
Weiterverkauf
Leistungen
Formalziele
Umfassen den Vertrieb von Waren,
die Bereitstellung und Wartung
zugehöriger Verkaufsgeräte sowie
die individuelle Beratung der Kunden
Umsatz- und Rentabilitätsmaximierung
Kundeninformation durch Werbematerial sowie durch persönliche
Verkaufs- und Beratungsgespräche
Aufbau und Pflege erfolgreicher
Kundenbeziehungen
Einzelbestellungen beziehen sich
stets auf Rahmenverträge, in
denen kundenindividuelle Konditionen vereinbart werden
Die Lieferung der Waren erfolgt
durch den eigenen Fuhrpark oder
durch Servicepartner
CRM-Strategie
Kundenneugewinnungsstrategie: ...
Kundenbindungsstrategie: ...
Kundenentwicklungsstrategie: ...
Kundenrückgewinnungsstrategie: ...
Rahmenbedingungen
Relevante Märkte sind weitgehend gesättigt
Abb. 1–14
Beispiel eines CRM-Plans (Auszug)
CRM-Prozessmodell
Die Umsetzung einer ganzheitlichen CRM-Strategie erfordert die konsequente
Koordination aller Kundeninteraktionen. Die Kernkonzepte Kundenwert, Beziehungsmarketing und Integration des Wissens über den Kunden aus Abschnitt 1.2
wirken sich somit unmittelbar auf die Geschäftsprozesse aus.
Um jederzeit den aktuellen Kundenwert berechnen und Kundensegmentierungen durchführen zu können, sind umfangreiche Daten über die Kunden und
deren Verhalten zu sammeln und zu verwalten. Zur Implementierung effektiver
Marktbearbeitungsinstrumente sind geeignete Kundendaten (Ergebnisse der
Kundenwertbestimmung, Zuordnung von Kunden zu einem Segment usw.) an
den jeweiligen Kundenkontaktpunkten bereitzustellen. Die Geschäftsprozesse
müssen also direkt auf die CRM-Strategie ausgerichtet sein und die analytischen
CRM-Kernaufgaben unterstützen. Geschäftsprozesse, die diese Anforderungen
erfüllen, werden als CRM-Prozesse bezeichnet. Sie werden auf der zweiten
44
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Beschreibungsebene der Architektur in Form des CRM-Prozessmodells dargestellt. Es beschreibt ein zur Realisierung des CRM-Plans geeignetes »Lösungsverfahren« als Gefüge von CRM-Prozessen.
Der erste Schritt bei der Gestaltung eines CRM-Prozessmodells besteht darin,
für jeden möglichen Leistungsaustausch sämtliche vorgesehenen Interaktionen
zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden zu analysieren. Diese Interaktionen können jeweils einer der Phasen Vorkauf, Kauf und Nachkauf zugeordnet
werden. Durch eine mehrstufige Spezialisierung (Zerlegung) der Interaktionen
lässt sich das Prozessmodell sukzessive weiter verfeinern. Zusätzlich sollte auch
bestimmtes Ausnahmeverhalten, z. B. Kundenbeschwerden mit der zugehörigen
Reaktion, berücksichtigt werden (vgl. Abb. 1–15). Gerade die schnelle Antwort
auf Kundenprobleme und Reklamationen stellt einen für die Erreichung der
CRM-Ziele wesentlichen Erfolgsfaktor dar.
Im zweiten Schritt werden diese Interaktionen im Hinblick auf mögliche
Interaktionskanäle (Medien) spezialisiert, um jede Variante der Kommunikation
zwischen CRM-System und Kunde zu erfassen. Die strukturorientierte Darstellung der Interaktionen zeigt sofort die »neuralgischen Stellen« eines Unternehmens, die Kundenkontaktpunkte. Jeder Endpunkt einer Interaktion, die das
CRM-System mit den Kunden verbindet, stellt einen solchen Kundenkontaktpunkt dar.
Das Unternehmen (bzw. das CRM-System) wird zunächst als Blackbox
betrachtet. In der Regel erfolgt im weiteren Verlauf auch eine Analyse der Innensicht des CRM-Systems, auf die wir hier jedoch nicht weiter eingehen wollen.
Dies gilt gleichermaßen für die Spezifikation der Ablaufsicht der CRM-Prozesse,
die der hier skizzierten Analyse der Struktursicht (Interaktionen) folgt.
Ist die Analyse der Interaktionen zwischen dem CRM-System und den Kunden sowie deren Koordination im Inneren des CRM-Systems abgeschlossen, so
kann man mit der Untersuchung der an den Kundenkontaktpunkten erforderlichen Daten und der auszuführenden Funktionen fortfahren.
Bei jeder Interaktion mit den Kunden fallen Daten über die Kunden selbst,
über getätigte Anfragen, bestellte Produkte, Reklamationen, Beschwerden etc.
an. Gleichzeitig ist aus der Sicht des CRM-Systems für jede Interaktion eine ganze
Reihe von Kundeninformationen erforderlich, um eine möglichst individuelle
und auf den Kunden »maßgeschneiderte« Ansprache zu ermöglichen. Ziel dieses
Analyseschrittes ist demnach die Kartierung der aus sämtlichen Interaktionen
verfügbaren Daten einerseits und die Erfassung des Informationsbedarfs für die
einzelnen Kundeninteraktionspunkte andererseits. Seine Ergebnisse sind wichtige
Bezugspunkte für Customer Relationship Analytics (vgl. Kap. 2).
Aus dem Prozessmodell lassen sich auch die Funktionen ableiten, die zur
Durchführung und Lenkung von CRM-Interaktionen erforderlich sind. Allein die
Art und Menge der an den Kundenkontaktpunkten auszuführenden Aufgaben
(Funktionen) liefern wichtige Hinweise z. B. für die Entwicklung oder Auswahl
eines geeigneten CRM-Anwendungssystems.
1.4 Von der CRM-Strategie zum CRM-System
45
V: Werbematerial
V: Erstansprache AD
V: Anruf ID
K: Rahmenvertrag
K: Bestellung RV
CRM-System
N: Waren
Kunden
N: Service
N: Bezahlung
N: *Beschwerde ID
N: *Beschwerde Di
N: *Reaktion
Legende
V:
K:
N:
AD:
ID:
Di:
RV:
*:
:
Abb. 1–15
Vorkaufphase
Kaufphase
Nachkaufphase
Außendienst
Innendienst
Distribution
Rahmenvertrag
Ausnahmeverhalten
Kundenkontaktpunkt
Vereinfachtes CRM-Prozessmodell (Struktursicht)
CRM-Ressourcenmodell
Die zur Ausführung der im Prozessmodell identifizierten Aufgaben vorgesehenen
Aufgabenträger werden auf der dritten Ebene der Architektur, dem CRM-Ressourcenmodell, beschrieben. Es umfasst die Aufbauorganisation zur Spezifikation der personellen Ressourcen, die Anwendungssysteme als automatisierte Aufgabenträger zur Informationsverarbeitung sowie die erforderlichen Maschinen
und Anlagen.
1.4.4
CRM-Anwendungssysteme
Ein Anwendungssystem ist ein Rechnersystem, das mit Software derart ausgerüstet ist, dass es in die Lage versetzt wird, spezifische Aufgaben in einem Unternehmen wahrzunehmen. Ein CRM-Anwendungssystem ist demnach ein Hardware-/
46
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Softwaresystem, das vollautomatisiert bestimmte CRM-Aufgaben ausführt bzw.
die Mitarbeiter des Unternehmens bei der Ausführung solcher Aufgaben unterstützt (Teilautomatisierung). Es stellt also den automatisierten Teil eines CRMSystems dar.
Ein CRM-Anwendungssystem soll alle Kundeninteraktionen eines Unternehmens über sämtliche Kanäle integrieren, um aus der Sicht des Unternehmens ein
konsistentes Gesamtbild des Kunden zu zeichnen und dem Kunden ein einheitliches Gesicht des Unternehmens zu präsentieren. Demnach müssen sämtliche Aufgaben der Vorkauf-, Kauf- und Nachkaufphase unterstützt werden.
Bedingt durch diese hohen Anforderungen sind CRM-Anwendungssysteme
sehr komplex. In der Literatur hat sich daher eine Dreiteilung in die Teilbereiche
»analytisches CRM«, »operatives CRM« und »kommunikatives CRM« (manchmal gar »kollaboratives CRM«) durchgesetzt (vgl. z. B. [Hettich et al. 2000,
S. 1348–1349]). Ungeachtet der Tatsache, dass die deutsche Übersetzung dieser
ursprünglich englischen Begriffe zumindest unglücklich erscheint11, erfuhr diese
Untergliederung zuweilen auch inhaltliche Kritik. Insbesondere die Verflechtung
von operativen und analytischen Aufgaben macht die Verwendung dieser Einteilung für die Abgrenzung von Softwarekomponenten aus Anwendersicht problematisch. In letzter Zeit werden sprachlich treffender nur noch analytische und
operative CRM-Systeme unterschieden, wobei der Kommunikationsteil den operativen Komponenten zugeordnet wird [Rentzmann et al. 2011, S. 131–133].
Das Problem der mangelnden Trennschärfe wird dabei jedoch eher verschärft.
Gerade die separate Betrachtung der Kommunikationskanäle erscheint sinnvoll,
da die operativen Kernfunktionen von der Interaktionsform unabhängig sind.
Wir bleiben daher bei der Dreiteilung, fokussieren dabei aber weniger auf die
Trennung von Systemkomponenten, sondern vielmehr auf die Klassifikation von
Anwendungsfunktionen in Customer Relationship Communications (Kommunikation), Customer Relationship Operations (operative Prozessdurchführung)
und Customer Relationship Analytics (Analyse).
Customer Relationship Communications (CRC)
Gegenstand dieses Aufgabenbereichs ist die Realisierung und Synchronisation
aller Kommunikationskanäle zum Kunden (z. B. Telefon, E-Mail, Web, Social
Media, persönliche Kontakte). Im Sinne des Beziehungsmarketings soll ein möglichst intensiver und flexibler Dialog zwischen Kunde und Unternehmen stattfinden, der aus Kundensicht jedoch als einheitliche Kommunikation wahrgenommen werden soll: Der Kunde sollte das Medium frei wählen und während einer
Beziehung abwechselnd auf mehrere Kanäle zurückgreifen können (Multi-Chan11. Die Begriffe »analytisches (Kundenbeziehungs-)Management« und »kommunikatives (Kundenbeziehungs-)Management« erscheinen inhaltlich kaum sinnvoll. Das »operative (Kundenbeziehungs-)Management« könnte im Hinblick auf die gängige Unterscheidung von
Managementebenen missverstanden werden.
1.4 Von der CRM-Strategie zum CRM-System
47
nel-Ansatz). Social Media stellen hier besondere Herausforderungen in Bezug auf
Geschwindigkeit und Dialogbereitschaft, da die Nutzer zunehmend erwarten,
dass ein Unternehmen rund um die Uhr kompetent auf Anfragen oder Kritik
reagiert. Die Realisierung der Interaktionen kann je nach Kanal z. B. durch Callcenter, Customer Interaction Center, Innen- oder Außendienst sowie spezielle
Software (z. B. Webserver) erfolgen. Sie stehen in direktem Kundenkontakt (Kundenkontaktpunkte). Zusammen mit den bereits erhobenen Forderungen, dass
Inhalt und Qualität der Interaktionen unabhängig vom gewählten Medium unverändert sein sollen und dass dem Kunden bei allen Interaktionen über alle Kanäle
hinweg ein einheitliches Gesicht des Unternehmens präsentiert werden sollte,
legen diese Aspekte eine Trennung der kanalspezifischen Kommunikations- und
Interaktionsaspekte von den operativen und analytischen Aufgaben nahe. Das
jeweilige Transportmedium ist also zweitrangig; die Kommunikationsfunktionen
werden daher vom Rest des CRM-Anwendungssystems abgegrenzt. Marktbearbeitung und Kundenbetreuung werden außerhalb von CRC zentral geplant und
koordiniert, Analysen integrativ durchgeführt. Sofern einzelne Kanäle spezifisch
bespielt oder ausgewertet werden müssen, geben Customer Relationship Operations (CRO) die Rahmenbedingungen vor, und Customer Relationship Analytics
(CRA) werden entsprechend mit den Analyseergebnissen beliefert.
Customer Relationship Operations (CRO)
CRO umfassen alle Aufgaben zur Planung, Steuerung und Kontrolle der Kundeninteraktionen bzw. der Kundenbeziehung. Im Marketing (Vorkaufphase) sind
Funktionen für das Kampagnen- und Lead Management hilfreich, die sich mit
der aktiven Ansprache und den Reaktionen von Kunden oder Interessenten
befassen. Im Vertrieb (Kaufphase) unterstützen Funktionen des Opportunityund Angebots- bzw. Auftragsmanagements dabei, konkrete Verkaufschancen systematisch weiterzuverfolgen und in Kaufabschlüsse zu überführen. Der Service
(Nachkaufphase) nutzt Funktionen des Feedback- und Supportmanagements, um
Rückmeldungen der Kunden wie Lob und Beschwerden zu bearbeiten, oder um
Kunden während der Nutzung von Produkten und Leistungen bei Problemen zu
unterstützen [Leußer et al. 2011, S. 42–44]. Hierfür werden jeweils Daten mit
dem Backoffice ausgetauscht, wo sich Enterprise-Resource-Planning-(ERP-),
Supply-Chain-Management-(SCM-) und Computer-Integrated-Manufacturing(CIM-)Systeme befinden, oder auch externe Datenquellen in Anspruch genommen. Die Backoffice-Systeme sind aus der Sicht des CRM-Systems Dienstleister;
sie werden daher als CRM-Service-Systeme bezeichnet.
Die Frage, wo, wann und wie welche Informationen zur Lenkung und Durchführung der Kundenbeziehungen verarbeitet werden müssen (Informationsverarbeitungsfunktionen), ist also unabhängig von Kundenkontaktpunkten und Interaktionskanälen zu beantworten. Die Funktionen sind im Zeitverlauf Veränderungen
unterworfen, wenn sich z. B. das Produkt- und Leistungsangebot des Unterneh-
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1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
mens ändert oder die Basisstrategien modifiziert werden. Neue Funktionen können hinzukommen, ohne dass dies zwingend eine Anpassung der Datenhaltung,
der Analysefunktionen oder der Kanäle erfordert.
Customer Relationship Analytics (CRA)
Während CRC und CRO die CRM-Prozesse direkt unterstützen (z. B. Verkaufsgespräche, Kundenbeschwerden), leisten CRA die Archivierung der Kundenreaktionen und -kontakte in der Kundendatenbasis und darauf aufbauend die Auswertung dieser Datenbasis zur kontinuierlichen Verbesserung der CRM-Prozesse.
Kundenreaktionen auf eine Direktansprache beispielsweise fließen wieder zu
CRA zurück und stehen so bei späteren Aktionen zu deren Optimierung und für
Prognosen bereit. Die analytischen Querschnittsaufgaben Kundenbewertung und
-profilerstellung, Kundensegmentierung und Planung der Kunden- und Marktbearbeitung speisen sich aus den Datenbeständen der CRC- und CRO-Funktionen
und spielen die erzeugten Informationen an diese zurück (closed loop).
Aus Aufgabensicht ist die Datenverwaltung und -analyse unabhängig von der
im Einzelfall gewählten Kommunikationsform und von den auf den Daten operierenden Informationsverarbeitungsfunktionen. Analytische Aspekte, die zur
Abspaltung von CRA führen, treten jedoch mehr oder weniger in allen CRMAufgaben auf. Insbesondere Ad-hoc-Analysen oder Klassifizierungen, die Kunden in vordefinierte Gruppen einordnen, werden gerade während der operativen
Kundenbetreuung benötigt und finden keinesfalls nur im »stillen Kämmerlein«
eines analytischen Backoffice statt. Je nach Definition des Attributs »analytisch«
sind diese Aufgaben im CRM also quasi allgegenwärtig.
CRM-Anwendungsarchitektur
Aus aufgabenorientierter Perspektive lässt sich ein CRM-System nun in verschiedene Funktionsbereiche strukturieren, die den oben skizzierten Aufgabenbereichen entsprechen. Die resultierende CRM-Anwendungsarchitektur ist in Abbildung 1–16 dargestellt.
Die Komponente CRC realisiert die Kommunikationsinfrastruktur und führt
die Interaktionen mit den Kunden durch. Die zugehörigen Funktionen sind
zunächst grundsätzlich unabhängig von der Anwendungslogik. Fachliche Aspekte
treten erst in den Bereichen CRO und CRA in Erscheinung.
Die Komponente CRO dient dem eigentlichen Management der Kundenbeziehungen. Die CRM-Service-Systeme im Backoffice führen die vom CRMSystem ausgelösten Geschäftsprozesse durch. CRA bilden das Nervensystem des
CRM-Systems, indem sie sämtliche Informationen integrieren, auswerten und den
Managementaufgaben (CRO) und Kontaktpunkten (CRC) koordiniert bereitstellen.
1.4 Von der CRM-Strategie zum CRM-System
49
Eine vollständige Softwarelösung für das CRM (CRM-Suite) umfasst neben
Funktionen für Marketing, Vertrieb und Service meist auch E-CommerceAnwendungen, z. B. für einen Onlineshop. Zudem beinhaltet sie häufig ein ERPSystem, ein Element zur Datenbereinigung und ein Datenbankverwaltungssystem. Die Kundendatenverwaltung und einige weitere CRA-Funktionen werden
meist durch ein Data-Warehouse-System realisiert.
Kunde
Persönlicher
Kontakt
Telefon
WWW
Social
Media
E-Mail,
Brief
Massenmedien
CR Communications
Marketing
Verkauf
Delivery
& Service
SCM
CR Operations
ERP
Prognose
Datenanalyse
Kundendatenbank
CR Analytics
Abb. 1–16
CRM-Anwendungsarchitektur
CIM
Externe
Daten
CRM-Service-Systeme
50
1 Customer Relationship Management – ein Bezugsrahmen
Ausgewählte Literaturempfehlungen
[Töpfer 1999a] Töpfer, A.: Die Analyseverfahren zur Messung der Kundenzufriedenheit
und Kundenbindung. In: Töpfer, A.; Bauer, E. (Hrsg.): Kundenzufriedenheit
messen und steigern, 2. Auflage, Luchterhand, Neuwied, 1999, S. 299–370.
Geht detailliert auf die einzelnen Verfahren zur Kundenzufriedenheitsmessung ein.
Vollständige, vertiefte Darstellung.
[Töpfer 1999b] Töpfer, A.: Zehn Schritte zur Messung und Steigerung der Kundenzufriedenheit. In: Töpfer, A.; Bauer, E. (Hrsg.): Kundenzufriedenheit messen und steigern, 2. Auflage, Luchterhand, Neuwied, 1999, S. 537–586. Präsentiert eine
Zehn-Punkte-Anleitung, wie man konkret bei der Messung von Kundenzufriedenheit vorgeht: Auswahl der Kundengruppen, Ermitteln der relevanten Kriterien für
die Kundenzufriedenheit, Auswahl der Befragungsmethode, Aufbereitung und
Umsetzung der Ergebnisse. Gut geeignet für Praktiker.
[Homburg et al. 2008] Homburg, C.; Becker, A.; Hentschel, F.: Der Zusammenhang
zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. In: Bruhn, M.; Homburg, C.
(Hrsg.): Handbuch Kundenbindungsmanagement. Strategien und Instrumente für
ein erfolgreiches CRM. 6., überarb. und erw. Auflage, Gabler, Wiesbaden, 2008,
S. 103–134. Vertiefende Darstellung des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung mit einer Übersicht aktueller Studien zum Thema.
[Hempelmann & Lürwer 2003] Hempelmann, B.; Lürwer, M.: Der Customer Lifetime
Value-Ansatz zur Bestimmung des Kundenwertes. WISU – Das Wirtschaftsstudium
32 (3), 2003, S. 336–341. Ein kurzer Überblick über Methoden des CLV; sowohl
als Einstieg als auch zur Vertiefung geeignet.
[Hippner et al. 2011] Hippner, H.; Hubrich, B.; Wilde, K. D.: Grundlagen des CRM.
Strategie, Geschäftsprozesse und IT-Unterstützung. 3., vollst. überarb. und erw.
Auflage, Gabler, Wiesbaden, 2011. Umfassender Sammelband zu allen relevanten
Aspekten des CRM; sowohl zum Einstieg als auch zur Vertiefung geeignet.
[Bruhn 2013] Bruhn, M.: Relationship Marketing. Das Management von Kundenbeziehungen. 3. Auflage, Vahlen, München, 2013, insbesondere S. 1–102/143–190.
Methodisch fundierte, gut strukturierte Einführung in das CRM.
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