1 - Thomas A. Bauer

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Elisabeth Cowie
Identifizierung mit dem Realen – Spektakel der Realität
(aus: Der andere Schauplatz – Psychoanalyse, Kultur, Medien; Marie-Luise
Angerer, Henry P. Krips; Turia + Kant; 2001)
Abstract
Durch die Präsenz des Dokumentarfilms wird dem Betrachter ein anderes Erleben
der Realität gewährleistet. Die Begehren, welche das Sehen auslöst, werden trotz
des Wissens der Fehlbarkeit versucht zu erlangen. Der Dokumentarfilm verlangt
eine Identifizierung, dadurch muss dieser die Realität möglichst glaubwürdig
repräsentieren. Mit den unterschiedlichen Betrachtungsmöglichkeiten kann die
Wirklichkeit für den Betrachter verschieden dargestellt werden.
Schlagwörter
Identifizierung, Medienrealität, Inkohärenz, Wahrnehmung, Dokumentarfilm,
Spektakel, 3-Dimensional
Himmer Karin
0201029
696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur
Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und
Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, WS 2004/2005
1.1. INHALT DES ARTIKELS
Identifizierung mit dem Realen – Spektakel der Realität
(Elisabeth Cowie)
Durch das Erlangen von Seriosität und durch die Re-Präsentation der Realität
spricht der Dokumentarfilm zwei widersprüchliche Begehren an. Zum einen
entsteht das Begehren nach einer überprüfbaren Realität zum anderen ein Begehren
nach der Präsenz der im Film abgebildeten Realität.
Begehrende Realität
Aus dem Verlangen heraus eine realistische Sicht der Realität zu reproduzieren
entwickelte Daguerres die Daguerreotypie. Mit dieser Methode konnten die
Abbilder der Camera Obscura chemisch fixiert werden. Der Daguerreotypie ist der
unmittelbare Vorläufer der bewegten Bilder. Die Mängel des menschlichen
Sehvermögens führen zu einer subjektiven Wahrnehmung, welche durch eine
mechanisierte Art überwunden werden sollte.
Da das menschliche Auge bei Beobachtungen begrenzt ist und sich in die Irre
führen lässt, hat sich das „Verstehen“ vom „Sehen“ unterschieden und der Bereich
mögliches Verstehen und Begreifen wurde reduziert. Das Auge wird nicht mehr als
Sitz des Verstehens angesehen, jedoch bleibt die Verschmelzung zwischen dem
Sehen und Verstehen zwingend. Trotz des Wissens um die Fehlbarkeit unseres
Sehsinns entsteht Begehren nach Realität.
Durch die Erfindung des Stereoskops von Charles Wheatstone (weiterentwickelt
von Sir David Brewster) wurde der Zusammenhang von Gesehenem und der Lust
am Sehen erkannt. Bei dem Stereoskop werden zwei Bilder in unterschiedlicher
Distanz, der genau dem Augenzwischenraum entspricht, in eine Szene produziert.
Das Auge erkennt diese als ein Bild, und Objekte und Menschen sind
dreidimensional zu erkennen, was eher der Sichtweise des menschlichen Auges
entspricht.
Durch diese Dreidimensionalität wird der Sehprozess vollständig bewusst gemacht.
Beim Zusammenbringen der Szenen des Stereoskops wird die eigene Inkohärenz
des Sehvermögens sichtbar.
Ebenso wie das Stereoskop vollzieht auch der Dokumentarfilm eine Trennung von
Film und aufgezeichneter Realität. Entweder durch eine Off-Ton-Erzählung, die
Szenen kommentiert und ihre Sehweise beeinflusst, oder durch eine abwesende
und umfassende Teilrealität.
Zwei Errungenschaften führten zum Verfall des Stereographen. Zum einem das
Aufkommen der Halbton-Photographie in Zeitungen um 1900 und zum anderen
das Erscheinen von Photo-Journalen ab 1920.
Die Lust am Spektakel der Realität
Das Spektakel führt dazu, dass wir die gesehene Realität als bedeutungsvoll
anerkennen. Um der Empfindungen willen werden „Sehenswürdigkeiten“
betrachtet, nicht um des Wissens willen.
Die pure Lust am Sehen ist auch ausschlaggebend für die Faszination des Kinos.
Drei Blicke werden beim Dokumentarfilm unterschieden; erstens der Blick auf die
Kamera, um sie funktionieren zu sehen, zweitens der Blick auf den Kameramann
und drittens ein Blick auf ein imaginiertes zukünftiges Publikum.
Sensationslust löst in uns den Wunsch hervor, Unheimliches, Kurioses zu sehen.
Hier ist die Verbindung zwischen Sehen und Wissen eng mit einer sensorischen
Beziehung des Affekts verknüpft, die den Zuseher emotional beeinflusst.
Die Besichtigung von Objekten, Orten und Menschen als Sehenswürdigkeiten war
Gemeinplatz der Oberschicht im 19. Jahrhundert.
Identifizieren in der Realität
Bei Dokumentarfilmen muss der Rezipient die Fakten und deren Bedeutung
identifizieren, gleichzeitig kann der Zuseher Kontrolle über das Gezeigte erhalten,
indem von ihm die Rolle des Kameramannes eingenommen wird. Im Interesse des
Zusehers liegt es jedoch nicht nur Wissen zu erhalten, sonder auch sich in unserer
Wissenskultur bestätigt zu fühlen.
Der Dokumentarfilm stellt eine Erzählung von Ursachen und Wirkung dar. Das
Gezeigte muss in die reale Welt des Betrachters integrierbar sein und
Glaubwürdigkeit erzeugen.
Der Dokumentarfilm besteht aus drei wesentlichen Kunstgriffen:
1. die wandernde Kamera, vermittelt ein Gefühl des Selbstsehens
2. die Nahaufnahme, führt zu einer Identifizierung auch ohne Sprache der
Figur
3. die direkte Rede, um die Sicht der Ereignisse zu teilen
Dokumentarfilme zeigen meist wünschenswerten Szenarien außerdem bieten sie
noch zusätzlich eine andere Lust an Identifizierung. Dabei entsteht das Gefühl von
fürsorglichen Menschen, die am Leid anderer teilnehmen.
Das Begehren nach dem Realen
Das Reale bedeutet das Erkennen von Subjekte der Andersheit oder einem Außen.
Als erklärendes Beispiel kann hier das Spiegelstadium von Lacan1 genannt werden,
wo das Kind zum ersten Mal sein Spiegelbild wahrnimmt. Somit hat ein Übergang
vom Bereich des Realen in das Gebiet des Imaginären stattgefunden. Das
Begehren nach Realen ist eigentlich das Begehren sich der Andersheit klar zu
werden.
1.2. AUSARBEITUNG RELEVANTER FRAGEN
Auswertung und Analyse des Artikels
Die Relevanz zur Medienpädagogik besteht in der Beeinflussung des Betrachters
von Dokumentarfilmen. Durch verschiedene Blickmöglichkeiten entstehen
unterschiedliche Meinungen zu dem Gesehenen. Dadurch, dass unser Begehren
befriedigt wird, entsteht eine Identifizierung, um Wissen aufzunehmen. Die
Meinung des Erzählers eines Dokumentarfilms wird von dem Betrachter
übernommen, da das Wissen nun Teil seiner Realität darstellt. Durch die
Täuschung des Auges tritt eine Manipulation auf.
Die Kritik des Artikels bezieht sich auf die Ziele, mit denen Dokumentarfilme
gezeigt werden. Das Begehren nach Wissen über etwas Fremdes oder Entferntes
wurde nicht in Erwägung gezogen, sondern eine kontrollierbare Realität.
1
Vgl. Lacan (1966) S. 170
In der Moderne sind viele Dokumentarfilme ein virtueller Rückblick über die
Vergangenheit, wo die angesprochenen Begehren keinen Platz finden. Die im
Artikel angesprochene Identifizierung mit fürsorglichen Menschen sollte genauer
diskutiert werden. Diese Identifizierung findet eher statt, wenn man sich der
Diskrepanz zu anderen Lebensweisen bewusst wird. Das Mitleid wird nicht einfach
mit dem Gesehenem durch Dokumentarfilme erzeugt, sondern das Erkennen und
Bewusstmachen anderer Situationen.
Der nächste Kritikpunkt betrifft die Fehlbarkeit des Auges. Durch den
Dokumentarfilm wird das Gefühl von Realität vermittelt. Der Verstand kann
zwischen Medienrealität und der eigenen Realität unterscheiden. Durch das
Erlangen von Erfahrungen kann der Sitz des Verstehens wieder zum Sehen
zurückgeführt werden.
Forschungsergebnisse finden sich unter anderem in dem medizinischen
Dokumentarfilm „War Neuroses“ von Netley und Seale Hayne 1917. In diesem
Film wird die Kurgeschichte bei Kriegsneurose gezeigt. Zum Abschluss der
Integration in ein normales Leben, wurde eine Grabenschlacht nachgestellt, welche
die Neurose verschwinden lässt.
Ein weiterer Forschungsansatz ergibt sich aus dem bereits angesprochenen
Spiegelstadium von Jacques Lacan, welches den Übergang in den Bereich des
Imaginären darstellt. Hierbei wird deutlich erkennbar, wie die Realität
wahrgenommen wird und das es ein langer Prozess ist, um in den Bereich des
Imaginären eintreten zu können.
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