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Politiker Josef Zisyadis zur Lage in Griechenland, seiner ursprünglichen Heimat:
„Staatsstreich des Geldes“
Das rigorose Spardiktat der Banken und der EU gebe Griechenland den letzten Stoss. Das sagt der gebürtige
Grieche und Ex-PdA-Nationalrat Josef Zisyadis.
Work: Josef Zisyadis, Sie sagen, in Griechenland finde ein Banken-Putsch statt. Was meinen Sie damit?
Josef Zisyadis: Für die brutale Sparpolitik fehlt der griechischen Regierung jede demokratische Legitimation. Das
jetzige Parlament wurde zu ganz anderen politischen Zeiten gewählt. Und die Regierung ist von den
Sparkommissaren in Brüssel eingesetzt worden. Die beiden grössten Parteien im griechischen Parlament, die
Sozialdemokraten (Pasok) und die Konservativen (Nea Demokratia), stehen in Umfragen noch bei 8
beziehungsweise 25 Prozent. Die EU, die europäische Zentralbank, sowie der Internationale Währungsfonds (IWF)
zwingen Griechenland, die Regeln des Neoliberalismus in seiner wildesten Form einzuführen. Ein Staatsstreich des
Geldes!
Was heisst das konkret?
Der Mindestlohn wurde diese Woche um 25 Prozent gekürzt, bei den Jungen sogar um 30 Prozent. Die Menschen
mit den niedrigsten Löhnen müssen von weniger als 600 Euro im Monat leben. Dabei ist das Leben in
Griechenland nicht billiger als in anderen Ländern der EU. Im Service public werden nochmals 15‘000 Stellen
gestrichen. In Griechenland gibt es Ärztinnen, Krankenschwestern, Lehrer oder Buschauffeure, die als
Staatsangestellte zwanzig, dreissig, vierzig Jahre lang am gleichen Ort gearbeitet haben. Diesen Menschen fehlt
jetzt jede Perspektive.
Wovon leben diese Leute jetzt?
Jeden Tag essen 250‘000 Griechinnen und Griechen Suppe in den Gassenküchen. Es gibt mittlerweile drei
Millionen Arme im Land, sie graben buchstäblich im Abfall. Die Leute haben nichts mehr zum Heizen. Das ist neu.
Früher wusste man sich in der Familie zu helfen: Es gab immer einen Verwandten auf dem Land, der noch ein
bisschen Olivenöl oder ein paar Tomaten in die Stadt schicken konnte. Die Griechen, ja ganz Südeuropa, hatten
eine andere Auffassung des Lebens als der Norden. Eine andere Art, die sozialen Rechte zu bewahren, es gab
starke Gewerkschaften und soziale Bewegungen. Das wird jetzt endgültig zerstört.
Sehen Sie eine Alternative zu dieser Sparpolitik?
Resistance! Widerstand! Das ist nicht nur eine billige Parole, es gibt nichts anderes. Die Isländer haben es
vorgemacht: Sie haben sich in mehreren Volksabstimmungen geweigert, die Banken auszuzahlen.
Island hat 300‘000 Einwohnerinnen und Einwohner, Griechenland hat zehn Millionen und den Euro.
Klar, das ist nicht das Gleiche. Aber die Leute haben genug. Sie sagen: Gut, es geht uns eh schon so schlecht,
ohne EU kann es auch nicht schlimmer werden. Das Problem ist aber: Weder die Gewerkschaften noch die
griechischen Linken haben ein alternatives Programm parat.
Sie selber haben ein sozial-ökologisches Weinbauprojekt auf der ägäischen Insel Patmos gestartet. Sind
solche Projekte ein Ausweg?
Ein kleiner für die Landwirtschaft vielleicht, ja. Ich sehe das bei meinen Schwiegereltern, die im Norden
Thessalonikis von je 350 Euro im Monat und einem Zustupf aus ihrem Olivenölverkauf leben. Es geht darum, die
Landwirtschaft auf den Inseln wieder ins Zentrum des alltäglichen Lebens zu rücken. Das ganze Jahr etwas zu tun
zu haben. Es reicht nicht, im Sommer an der Strandbar die Touristen zu bedienen. Wir wollen zeigen, dass eine
regionale Landwirtschaft in Griechenland möglich ist. In zwei Wochen beginnen wir damit, die Reben zu pflanzen.
Féchy & Retsina.
Ende 2011 sorgte Josef Zisyadis am griechischen Fernsehen für Aufsehen, weil er die Steuer- und Kapitalflucht der
griechischen Reichen und Superreichen anprangerte. Sie sollen über 120 Milliarden allein in die Schweiz geschafft
haben. Besonders führende Politiker nahmen Zisyadis aufs Korn.
Einwanderer.
Josef Zisyadis wurde 1956 als Sohn eines orthodoxen Griechen und einer Jüdin in Istanbul geboren. 1958 ging die
Familie nach Athen, wo der Vater eine Uhrenboutique eröffnete. 1962 halfen Waadtländer Uhrenhändler der
Familie, sich in Lausanne niederzulassen. Zwischen 1991 und 2011 politisierte er für die Partei der Arbeit (PdA) im
Nationalrat. Von 1996 bis 1998 war der studierte Theologe Waadtländer Regierungsrat. Griechenland bleibt er
verbunden: So verkauft er Olivenöl der Familie seiner Frau in der Schweiz. Infos zu seinem Griechenland-Projekt:
www.patolnos.ch
Dominik Gross.
WOZ. Freitag, 2012-02-17.
Personen > Zisyadis Josef. Griechenland. 2012-02-17.doc.
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