Lösung der Aufgaben

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TU Dortmund, Wintersemester 2009/10
Institut für Philosophie und Politikwissenschaft
C. Beisbart
Von der Metaethik zur Moralphilosophie: R. M. Hare
Lösung zur Aufgabe zum 26.10.2009
Textgrundlage: Hare, SM 4.1 – 4.3.
Fragen:
1. Rekonstruieren Sie aus dem Anfang von 4.1. das Beispiel eines praktischen Schlusses. Wodurch unterscheiden sich der Obersatz und der Untersatz des praktischen
Schlusses?
Aus den Ausführungen auf S. 81 lässt sich folgendes Beispiel rekonstruieren:
O Sage niemals etwas Unwahres!
U
”
Anna ist dick“ ist unwahr.
K Sage nicht: Anna ist dick“! (vielleicht auch: Ich will/werde nicht sagen: Anna
”
”
ist dick“; vielleicht auch: [Unterlassung: Es wird nicht gesagt, dass Anna dick ist]).
In diesem Schluss sind O (Obersatz) und U (Untersatz) die Prämissen. Ein weiteres
Beispiel für einen praktischen Schluss ist:
O’ Hilf mit einer Spende, wenn irgendwo eine Hungersnot droht!
U’ In Westafrika droht jetzt eine Hungersnot.
K’ Hilf jetzt mit einer Spende für Westafrika. (vielleicht auch: Ich helfe jetzt mit einer
Spende; vielleicht auch: [Handlung: Helfen mit einer Spende])
Ober- und Untersatz unterscheiden sich wie folgt: O ist ein Imperativsatz, während U
ein Indikativsatz ist. O ist stets allgemein (bezieht sich auf eine Klasse von Situationen),
während der Untersatz in der Regel nicht in diesem Sinne allgemein ist (er bezieht sich
auf die aktuelle Handlungssituation).
2. Was enthält der Untersatz eines praktischen Schlusses nach Hare?
Der Untersatz eines praktischen Schlusses beschreibt nach Hare die Folgen, die eine
Handlungsoption hat (81 –82). In Hares Beispiel (ib.) geht es um die Entlassung eines
Buchhalters. Der Untersatz eines praktischen Schlusses kann dann etwa besagen, dass
das Unternehmen Kosten spart, wenn der Buchhalter entlassen wird; dass der entlassene
Buchhalter kaum einen neuen Arbeitsplatz finden wird und daher wohl arbeitslos werden
wird; etc. In den Beispielen, die Hare selber angibt, beschreibt der Untersatz jedoch nicht
immer in offensichtlicher Form die Folgen einer Handlung (siehe U).
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3. In 4.2 führt Hare ein Gedankenexperiment durch, mit dem er herausfinden will,
unter welchen Bedingungen wir sagen können, dass eine Person praktische Prinzipien hat und daher aus einem geeigneten Obersatz auf eine Handlung schließt.
Geben Sie das Ergebnis des Gedankenexperiments wieder!
In dem Gedankenexperiment in 4.2 imaginiert Hare eine Person, die zwar über ein
vollständiges Wissen darüber verfügt, was ihre Handlungsoptionen für Folgen haben
werden. Die Person hat jedoch noch keine Handlungsprinzipien (oder Handlungsregeln;
Maximen nach Kant). Hare fragt sich nun, inwiefern die Person zu einer Handlungsentscheidung kommen kann und inwiefern diese Entscheidung nicht willkürlich ist.
Hare zufolge kann sich die Person für die eine oder andere Handlungsoption entscheiden. Dabei können jedoch zwei Fälle auftreten. Im ersten Fall kann uns die Person gar
keine Gründe angeben. In diesem Fall ist die Handlungsentscheidung in einem bestimmten Sinne willkürlich. Im zweiten Fall kann uns die Person Gründe nennen. Nach Hare
wird sie dabei bestimmte Folgen hervorheben und diese als Gründe nennen. Sie könnte
etwa sagen: Ich habe meiner Tochter bei den Hausaufgaben geholfen, weil sie sonst
”
sitzengeblieben wäre.“ Nach Hare ist die Entscheidung nun nicht mehr so willkürlich
wie im ersten Fall. Unsere Person beschreibt nun Handlungsgründe, und diese Gründe
sind allgemeiner Art. Deshalb können wir sagen, dass die Handlungsentscheidung einem
praktischen Schluss entspringt, der mit einem allgemeinen Obersatz beginnt:
O” Verhindere, dass Deine Tochter sitzenbleibt!
U” Deine Tochter wird nicht sitzenbleiben, wenn Du ihr mit den Hausaufgaben hilfst!
K” Hilf Deiner Tochter mit den Hausaufgaben (vielleicht auch: Ich helfe jetzt meiner
Tochter mit den Hausaufgaben; vielleicht auch: [Handlung: Helfen bei Hausaufgaben])
Wir können daher annehmen, dass die Person begonnen hat, Handlungsprinzipien zu
bilden, wenn sie ihre Handlungen begründen kann (84). Das ist das Hauptergebnis des
Gedankenexperiments.
4. Warum können wir nach Hare meist nur anhand von Prinzipien lernen?
Im folgenden konzentrieren wir uns wie Hare auf das Lernen von Verhalten. Nach Hare
(86) ist das Lernen von Verhalten ipso facto immer das Lernen einer bestimmten Art
von Verhalten in einer bestimmten Art von Situation. Was ich etwa beim Fahren lerne,
ist nicht, dass ich jetzt in einen höhren Gang schalten soll. Was ich lerne, ist vielmehr
dies: Immer, wenn ich ausreichend beschleunigt habe, so dass die Drehzahl des Motors
eine gewisse Schranke überschritten hat, dann soll ich in einen höheren Gang schalten.
Da es um Arten von Verhalten in Arten von Situationen geht, kann ich das, was ich
lerne, durch allgemeine Prinzipien erfassen.
Hare unterscheidet beim Lernen zwischen der Unterweisung durch andere und der
Unterweisung durch einen selbst. Wir können Hares These zum Lernen weiter verstehen,
wenn wir die beiden Arten des Lernens gesondert betrachten [das war für die Lösung
der Aufgabe nicht nötig].
Die Unterweisung durch andere bedarf der Prinzipien, weil sie andernfalls nichts
bringen würde. Fahren lernen heißt etwa zu lernen, eigenständig zu fahren. Wenn wir
mir der Fahrlehrer immer nur sagt, was ich jetzt tun soll (anstatt mir Prinzipien an die
Hand zu geben, die mir sagen, wass ich in Situationen einer bestimmten Art tun soll),
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dann muss ich ihn bei jeder Entscheidung, die mein Fahren betrifft, neu um Rat fragen
(86).
Auch die Selbstunterweisung verbindet Hare mit Prinzipien. Nach Hare bedarf auch
die Selbstunterweisung der Prinzipien (86). Hare führt dazu zunächst aus, dass Prinzipien Handlungsentscheidungen erleichtern – Prinzipien sagen uns nämlich, dass wir
in bestimmten Typen von Situationen so oder so handeln sollen. Damit können wir uns
weitergehende Überlegungen sparen. Nun ist es in vielen Entscheidungssituationen angebracht, dass man sich schnell entscheidet. Daher sind Prinzipien von großem Nutzen,
und die Selbstunterweisung sollte uns dazu bringen, Prinzipien anzunehmen (87).
Dieses Argument zeigt allerdings nur, dass es nützlich ist, im Rahmen der Selbstunterweisung Prinzipien anzunehmen. Es zeigt nicht, dass Selbstunterweisung notwendig
an Prinzipien gebunden ist. Für diese weitergehende These könnte man argumentieren,
indem man folgendes sagte: Selbstunterweisung heißt, dass man sich selbst etwas beibringt, das man auch in der Zukunft anwenden kann. Da wir die Zukunft aber nicht
im Detail kennen, muss das, was wir uns beibringen, in bestimmten Klassen von Situationen anwendbar sein. Daraus folgt aber, dass wir uns ein allgemeines Prinzip lehren
müssen, das sich in einer bestimmten Klasse von Situationen anwenden lässt (vgl. 91).
5. Unter welchen Umständen ändern wir nach Hare unsere Prinzipien und wie tun
wir das?
Hare nennt zwei Situationen, in denen wir unsere Prinzipien ändern. Erstens ändern
wir unsere Prinzipien manchmal anhand der Anleitung durch einen Lehrer (88). Man
kann sich das so vorstellen: Zunächst wird man sehr einfache Prinzipien gelehrt (Hare
nennt sie auch vorläufig), später erklärt einem der Lehrer Ausnahmen zu den Prinzipien. Anfangs wurde man vielleicht gelehrt, dass man nur am Straßenrand anhalten soll;
später wird gesagt, dass man nur am Straßenrand anhalten soll, es sei denn, man biege
links ab (88 –89).
Zweitens können wir unsere Prinzipien nach Hare auch ohne Lehrer (also durch
Selbstunterweisung) ändern. Das tun wir nach Hare dann, wenn eine Situation klar
unter das Prinzip fällt (d.h. das Prinzip sagt uns, wir sollen in einer solchen Situation
so und so handeln), die Situation aber auch Eigenheiten aufweist, die uns noch nicht
untergekommen sind und die uns offenbar daran zweifeln lassen, dass es sinnvoll ist, das
Prinzip auf unsere Situation anzuwenden. Wir modifizieren dann das Prinzip, indem wir
eine Ausnahme hinzufügen (91). Beispiel nach Hare (91): Ich habe das Prinzip: Gib ein
”
Zeichen, bevor Du irgendwo hältst!“. Eines Tages läuft mir ein Kind vors Auto. Mein
Prinzip sagt mir, dass ich jetzt erst ein Zeichen geben sollte, bevor ich anhalte. Das
kommt mir aber unangebracht vor, da das Zeichengeben zu viel Zeit kosten würde und
ich nicht rechtzeitig halten würde, wodurch das Kind verletzt würde. Daher beschließe ich,
mein Prinzip zu ändern und eine Ausnahmeklausel für Notfälle wie diesen hinzuzufügen.
Mein neues Prinzip lautet dann: Gib ein Zeichen, bevor Du irgendwo hältst, außer es
”
liegt ein Notfall vor, in dem Du schnell handeln musst!“ Hares Beispiel ist insofern
etwas unrealistisch, als man die eben angestellte Überlegung niemals explizit anstellen
würde.
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