2009-02-05_Lebenskultur_Schattenfiguren

Werbung
Tr i c k f i l m | FI L M
Szenen aus der neuen Krabat-Verfilmung
Mann
der
Schattenfiguren
Jörg Herrmann ist der
letzte traditionelle
Silhouetten-Trickfilmer
der Welt. Im sächsischen Kreischa dreht er
Märchen und Kurzfilme
mit Figuren aus
schwarzem Karton.
Jetzt erzählt er die
Sage vom Krabat noch
einmal neu.
Von Ralf Geißler
Silhouette von Jörg Herrmann
82
Er kann sich ihrem Zauber nicht entziehen. Der geheimnisvollen Magie dieser pechschwarzen Figuren, deren Mimik
verborgen bleibt – und die doch so ausdrucksstark wirken. Jörg Herrmann steht
in seinem Trickfilmstudio im sächsischen
Kreischa und blickt beseelt auf eine Leinwand. Dort stolpert gerade Bergmann
Knappe durch eine Landschaft, die so
schwarz ist wie Knappe selbst: Silhouetten von Tannenbäumen und windschiefen
Häusern. Ein Eichhörnchen lugt aus einem
Gebüsch hervor. Ein Vogel flattert zwischen den Wipfeln hindurch. „Acht Jahre
habe ich an dem Film gearbeitet“, erzählt
Herrmann. „Es ist die Geschichte des Lichterbogens. Zu jeder seiner Figuren gibt es
eine Sage und diese habe ich im Schattenfilm nacherzählt.“
Jörg Herrmann ist der letzte traditionelle Silhouetten-Trickfilmer der Welt. Ein
Märchenonkel wie aus dem Bilderbuch:
Blaue freundliche Augen, große Hornbrille, ein dichter Rauschebart. Während andere Trickfilmer am Computer 3D-Animationen entwerfen, schneidet Herrmann seine
Helden noch immer mit einer Schere aus
schwarzem Karton aus. „Der Computer hat
keine Seele“, sagt Herrmann. „Man muss
ihn nutzen, darf ihn aber nicht überschätzen. Diese fotorealistischen Trickfilme aus
den USA sind doch Irrsinn. Das hätte man
dem Sozialistischen Realismus zugetraut,
dass jedes Fellhaar exakt zu sehen ist. Aber
die Fantasie geht dabei verloren.“
Bei Herrmanns Filmen ist das anders.
Der Zuschauer muss sich erschließen, ob
eine Figur nachdenklich oder traurig ist.
In der schwarz-weißen Welt der Silhouette
lassen sich Gesichtszüge nur erahnen. Und
trotzdem können Herrmanns Helden Gefühle vermitteln. Für eine ausdrucksstarke
Szene braucht der Trickfilmer aber eine
unglaubliche Geduld.
Um seine Arbeit zu demonstrieren, führt
Herrmann in sein Animationsstudio. In der
Mitte steht ein großer Tisch mit einer Platte
aus hellem Milchglas. Dort legt Herrmann
den zwölf Zentimeter großen Bergmann
Knappe drauf. Ganz langsam wird die
Pappfigur lebendig. Herrmann schiebt erst
ihren Oberkörper einen Millimeter nach
vorn und macht ein Foto. Dann winkelt
er ihren Fuß leicht an und drückt erneut
den Auslöser seiner Kamera. Schließlich
knickt Herrmann das Bein der Figur ein
und fotografiert erneut. Aus der Summe
der Bilder entsteht eine Bewegung. „Wenn
ich fleißig bin, schaffe ich je Woche eine
Minute Film“, erzählt Herrmann. „Normal
sind aber so 40 Sekunden.“
Seine Leidenschaft für die Welt der Silhouetten packte Herrmann eher zufällig.
Als 14-Jähriger begann er in Dresden eine
Tischler-Lehre. In seiner Freizeit trat er mit
einem Puppentheater auf und gewann bei
einem Bezirkswettbewerb den ersten Preis.
Der Trickfilmer Günter Rätz empfahl ihm
daraufhin, sich bei der DEFA zu bewerben.
Herrmann holte auf der Abendschule das
Abitur nach, studierte Regie in PotsdamBabelsberg und anschließend noch Philosophie im Aufbaustudium, das er mit einer
Promotion über Genese und Spezifik des
Animationsfilms abschloss.
Seitdem hat Herrmann mehr als 100
Schattenfilme animiert. Allein zwei Dutzend Kurzgeschichten entwickelte er für
das Sandmännchen. Der Streifen über Karl
Marx mit dem Titel „Lieber Mohr“ - in Anlehnung an Marx‘ Spitznamen – gehört zu
Herrmanns Liebsten. „Der wird sogar heute noch gezeigt.“
Der 67-Jährige könnte längst in Rente
sein, doch ans Aufhören denkt er nicht.
„Der Silhouettentrick ist die einzige originär deutsche Erfindung in der Weltfilmkunst. Das muss fortgeführt werden“, ist
Herrmanns feste Überzeugung. Er sieht
sich in der Tradition von Lotte Reininger.
Die Scherenschneiderin produzierte 1919
den ersten Silhouetten-Trickfilm überhaupt. Sieben Jahre später vollendete sie
mit der gleichen Technik den ersten abendfüllenden Trickfilm der Welt mit dem Titel „Die Abenteuer des Prinzen Ahmed“.
Noch heute wird das Märchen basierend
auf einer Erzählung aus „Tausend und
einer Nacht“ vereinzelt in Programmkinos
gezeigt.
„Die schwarzen Figuren entsprechen
auch ein bisschen der deutschen Seele: das
Mystische, etwas Verklärte“, so der Trickfilmer. Für ihn steckt hinter der Silhouette
eine ganze Philosophie, deren schleichenden Tod er aufzuhalten versucht. Stundenlang kann er erzählen. Über Platon und sein
Höhlengleichnis, nach dem der Mensch
immer nur die Schatten der Wirklichkeit
sieht. Über die Scherenschnitt-Tradition
der Asiaten. Und über die deutschen Klassiker Goethe und Schiller, die es liebten,
Silhouetten-Portraits zu verschenken. „Der
Begriff Silhouette stammt übrigens vom
Franzosen Etienne de Silhouette“, plaudert
Herrmann. „Der Finanzminister unter Ludwig den Fünfzehnten ließ lieber Scherenschnitte als Öl-Bilder anfertigen, weil das
billiger war.“
Den einstigen Ruf, nur billige Kunst zu
sein, hat die Silhouette zwar ablegen können, trotzdem verharrt sie heute in der Nische. Herrmann beschäftigt immer wieder
Filmpraktikanten, aber bislang wollte sich
keiner nur auf den Schattenfilm festlegen.
Lediglich seine Frau Petra und der 28-Jährige Filmpartner Stefan Kutsche sind im-
mer dabei, wenn Herrmann eine neue Idee
umsetzen will.
Bereits seit 1982 arbeitet Herrmann
selbstständig. „Ich musste bei der DEFA
auch Geschichten drehen, die angeordnet
waren. Ich hatte dabei oft das Gefühl, mein
Gesicht zu verlieren und habe deshalb aufgehört.“ Kurz nach der Wiedervereinigung
kaufte Herrmann einer Gärtnerei bei Kreischa das Verwaltungsgebäude ab. Seitdem
betreibt er fernab der Dresdner Großstadt
am Rand einer Baumschule zwischen
Elbtal und Osterzgebirge sein eigenes
Studio, das mit allem aufwartet, was sich
ein Filmemacher wünscht: Kameras, digitale Schnittplätze, Tonstudio, GeräuscheArchiv, Vorführraum.
Die große Technik benötigt Herrmann,
um neben Zeichentrickfilmen auch Werbestreifen zu produzieren und für Museen
historische Aufnahmen zu digitalisieren.
Vom Schattentrick allein kann er nämlich
nicht leben. „Etwa vierzig Prozent meiner
Arbeitszeit bringe ich für die Trickfilme
auf. Die anderen sechzig Prozent sind mein
Hauptverdienst.“
Die nächsten Monate wird er sich mit
Krabat beschäftigen, der sorbischen Sagengestalt. Zwar kam erst im Oktober ein
Krabat-Spielfilm in die Kinos, doch dieser
hat mit der Original-Sage wenig zu tun.
Deshalb hat die sorbische Interessenvertretung Domowina Herrmann mit einer
Neufassung beauftragt. „Der Film wird
ein bisschen kompliziert, weil ich den in
deutscher Sprachfassung mache, in Obersorbisch, in Niedersorbisch und im Schleiferdialekt. Und wenn die Figuren reden,
sind die Mundbewegungen jeweils anders.
Ich muss also manche Einstellung zwei
Mal drehen oder nachbearbeiten, damit die
Bewegungen stimmen.“
Herrmann ist Perfektionist. Kürzlich
hat er sich einen neuen Tricktisch gebaut,
um auch im Breitbild-Format inszenieren
zu können. Ob sich das jemals auszahlen
wird, ist ungewiss. Der MDR hat die Ausstrahlung seiner neuen Trickfilme abgelehnt mit der Begründung, Kinder würden
sich vor den schwarzen Figuren fürchten.
Herrmann kann das nicht nachvollziehen.
Wenn er zum Tag der offenen Tür in sein
Studio nach Kreischa lädt, hocken die
jüngsten Besucher meistens im Vorführraum – da wo Herrmanns Schattenfiguren
über die Leinwand flimmern. Auch sie
können sich dem Zauber der Silhouetten
nicht entziehen. □
www.mediahaus-kreischa.de
Jörg Herrmann erweckt Schatten zum Leben
83
Herunterladen