Die Werbung kommt vor dem Geset

Werbung
26_27_G_MedisMilch
20.05.2005
18:14 Uhr
Seite 26
26 | GESUNDHEIT Medikamente
Die Werbung kommt vor dem Ges et
Viele Medikamente sind doppelt auf dem
Markt: Pharmafirmen umgehen das Werbeverbot, indem sie den Namen des Mittels
ändern und es neu verpacken.
Und tut dies zur besten Sendezeit: kurz vor der Hauptausgabe der «Tagesschau».
Das BAG sieht
keinerlei
Handlungsbedarf
Santésuisse, der Verband der
Krankenversicherer, ist wenig
erfreut über dieses Beispiel.
Pressesprecher Yves Seydoux:
«Mit der Werbung für die Salbe
Voltaren Dolo kurbelt Novartis auch den Verkauf vom kassenpflichtigen Voltaren an.»
Dabei wollte man mit dem
Werbeverbot verhindern, dass
Patienten bei ihren Ärzten die
Verschreibung eines Medikaments verlangen.
Kein Problem sieht hingegen
das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Es handle sich hier
um sogenanntes Co-Marketing,
das sei erlaubt. Dabei könnte
die Behörde den Pharmamulti
LILIANE GÉRAUD
V
oltaren oder Voltaren
Dolo? Mit welcher Salbe soll der Fussballer
seinen verstauchten Fuss eincremen? Egal. Voltaren Dolo
hat gegenüber seinem FastNamensvetter keine therapeutischen Vorteile. Hinter den
beiden Medikamenten in unterschiedlicher Verpackung steckt
ein und derselbe Wirkstoff in
gleicher Zusammensetzung.
Der angeschlagene Sportler
muss sich also nicht überlegen,
welches Präparat seinen Fuss
schneller heilen lässt – sondern
nur, ob er es selber bezahlen
muss oder nicht. Denn: Während Krankenkassen Voltaren
bei ärztlicher Verschreibung
bezahlen, übernehmen sie die
Kosten für Voltaren Dolo nicht.
Dank des leicht angepassten
Namens, der anderen Verpackung und der veränderten
Packungsgrösse darf Novartis
für das Produkt aber werben.
Bioforce, Novartis, Zeller: Zwei Verpackungen, ein Präparat
in die Schranken verweisen, indem sie das Produkt von der
Spezialitätenliste streicht. Doch
nichts geschieht, obwohl das
BAG indirekte Publikumswerbung, die auf ein Produkt der
Spezialitätenliste hinweist, verbietet. Voltaren und Voltaren
Dolo: Wie viel deutlicher kann
ein Hinweis denn noch sein?
Auch Novartis weist den Vor-
wurf zurück, das Werbeverbot
zu umgehen. Voltaren werde –
im Gegensatz zu Voltaren
Dolo – von Ärzten auch bei
Rheuma eingesetzt.
Die entzündungshemmende Salbe ist nur eines von vielen Beispielen (siehe Kasten).
Immer mehr Firmen bringen
ihre Produkte gleich zweimal
auf den Markt – auch die Her-
steller pflanzlicher Heilmittel.
Diese haben allerdings erst seit
1999 die Möglichkeit, sich
ihre Produkte über die Krankenkassen bezahlen zu lassen.
Gut eingeführte Heilmittel wie
etwa Echinaforce werden deshalb zu Echinamed umgetauft, in eine neue Schachtel
gesteckt und der Swissmedic
zur Registrierung unterbrei-
Gleiche Medikamente, verschiedene Namen
kassenpflichtig
Preis
nicht kassenpflichtig
Preis 1
Voltaren Emulgel 50 g
Verwendungszweck
Hersteller
10.35
Voltaren Dolo Emulgel 120 g
23.10
Schmerz/Entzündung nach Verstauchungen/Prellungen
Novartis
Sangerol Mundspray 20 ml
10.20
Mebucasol f Mundspray 20 ml
10.20
Halsweh, Schluckbeschwerden
Novartis
1
Lamisil Spray 30 ml
32.70
Lamisil Pedisan Spray 30 ml
32.70
Fusspilz
Novartis
Claritine 14 St.
15.85
Claritine Pollen 10 St.
13.35
Heuschnupfen
Essex
Echinamed 120 St.
16.05
Echinaforce 120 St.
18.20
Steigerung der körpereigenen Abwehr
Bioforce
Linomed Granulat 300 g
19.85
Linoforce Granulat 300 g
21.20
Verstopfung
Bioforce
Redormin 60 St.
28.45
Zeller Schlaf-Dragées 60 St.
29.60
Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, unruhiger Schlaf
Zeller
Relaxane 20 St.
11.25
Zeller Entspannungs-Dragées 20 St.
11.90
Prüfungsangst, nervöse Spannungszustände
Zeller
Premens 90 St.
54.75
Prefemin 3 x 30 St.
54.60
Prämenstruelles Syndrom (Kopfweh, Hautprobleme usw.)
Zeller
Padmed Circosan 200 St.
64.55
Padma 28 200 St.
64.55
Durchblutungsstörungen in Armen und Beinen
Padma
1 In Franken
saldo
Nr. 10
25. Mai 2005
26_27_G_MedisMilch
20.05.2005
18:14 Uhr
Seite 27
Ernährung GESUNDHEIT | 27
tet. Die Werbemassnahmen
für das Basispräparat muss die
Firma so nicht aufgeben.
Novartis hat zumindest aus
Fehlern der Vergangenheit gelernt und verkauft die gleichen
Medikamente immerhin auch
zum gleichen Preis. Vor drei
Jahren hatte das Basler Unternehmen für Negativschlagzeilen gesorgt: Es verkaufte das
nicht kassenzulässige HalswehMedikament Mebucasol f
über 40 Prozent teurer als das
identische Sangerol.
Echinaforce: Teurer
als kassenpflichtiges
Echinamed
Diesen Lernprozess müssen
gewisse Hersteller pflanzlicher
Arzneimittel offensichtlich noch
durchlaufen: Preisdifferenzen
lassen sich bei ihren Produkten
immer wieder feststellen. Prominentestes Beispiel: Das nicht
kassenpflichtige Echinaforce
ist etwa 13 Prozent teurer als das
identische Echinamed.
Hans Züllig, Leiter Markt
Schweiz bei der Herstellerfirma
Bioforce: «Dieser Preisunterschied ist uns auch ein Dorn
im Auge. Aber den Höchstpreis
für das kassenpflichtige Medikament setzen nicht wir fest,
sondern das BAG.» Echinaforce billiger zu verkaufen, sei
betriebswirtschaftlich nicht zu
vertreten. Für Patienten und
Krankenkassen gelten scheinbar nicht dieselben Regeln.
Das Nachsehen haben die
Konsumenten. Sie wissen oft gar
nicht, dass es ein identisches
Medikament gibt, das die Kassen übernehmen würden – und
das vielleicht erst noch billiger
ist.
Silvia Baumgartner
Milch: Unnötige
Zusätze
Milch ist heutzutage nicht mehr
rein natürlich: Die
Industrie hat sie als
Lifestyle-Produkt
entdeckt.
D
ie Fitnesswelle macht
seit einiger Zeit auch
vor der Milch nicht
mehr Halt. Wer fürchtet,
sich mit den täglichen Mahlzeiten zu wenig gesund zu
ernähren, findet beim Grossverteiler Coop Sport Milk
«mit 7 Vitaminen und Calcium angereichert» sowie
Omega 3 Milk «reich an
Omega 3 Fettsäuren». Konkurrent Migros führt Vita
Milk «mit 9 Vitaminen» und
Calcium Milk «mit Calcium
aus der Milch angereichert»
im Sortiment.
Kalzium-Milch: Nicht
viel mehr Kalzium
als normale Milch
Viel mehr als Verkaufsförderung stellt diese Anreicherung
mit gesundheitsfördernden
Inhaltsstoffen jedoch nicht
dar, kritisieren Fachleute. Die
diplomierte Ernährungsberaterin Tania Lehmann zeigt
dies am Beispiel Kalzium:
«Normale Milch enthält 120
Milligramm Kalzium pro
100 Milliliter. Die mit Kalzium angereicherte Milch enthält nur einen Viertel mehr.
Das macht nicht viel aus –
der Kalzium-Tagesbedarf eines erwachsenen Menschen
beträgt 800 Milligramm.»
Dasselbe gilt laut der Expertin auch für Omega-3Fettsäuren, von denen seit
einiger Zeit überall die Rede
ist, weil sie das Risiko von
Herz-Kreislauf-Krankheiten
vermindern: «Omega-3-Milch
wird mit einem halben Kaffeelöffel Rapsöl pro Deziliter
angereichert. Abgesehen davon, dass dies sehr wenig ist,
nimmt man Omega-3-Fettsäuren auch in gewöhnlichen
Nahrungsmitteln zu sich.»
Das Gleiche gilt für die Vitaminzusätze: Ausser der für
schwangere Frauen wichtigen Folsäure sind in Vita
Milk und Sport Milk nur
geringfügig mehr Vitamine
enthalten als in normaler
Milch.
Migros führt dafür vor allem technische Gründe an:
«Bei der Anreicherung mit
Vitaminen muss auch auf den
geschmacklichen Einfluss
geachtet werden.» Kalzium
werde über Milchproteinpulver zugeführt. Mehr als eine
bestimmte Menge davon lasse sich jedoch in der Milch
nicht auflösen.
Coop beruft sich auf das
Gesetz: «Die Omega 3 Milk
enthält genau so viel Omega3-Fettsäuren, wie es die gesetzliche Maximaldosierung
erlaubt.» Gleich argumentiert
Coop bei den Vitaminen. Die
Rechnung bezieht sich allerdings auf eine nicht gerade
durchschnittliche Tagesration
von 5 Dezilitern Milch.
Genauso unnötig wie die
Fitnessmilch für Erwachsene
ist in den Augen von Tania
Lehmann die sogenannte
PRISMA
es etz
Wachstumsmilch für Kleinkinder: «Unnötiges
Industrieprodukt»
Wachstumsmilch für Kleinkinder. Diese enthält unter
anderem zusätzliche Mineralsalze, Vitamine und Eisen:
«Eine normale Ernährung
deckt die Bedürfnisse des
Kindes nach diesen Stoffen
ab. Ausserdem handelt es sich
bei der Wachstumsmilch um
ein Industrieprodukt, das mit
verschiedenen Zuckerarten
angereichert ist.»
Milch mit Zusätzen:
Guter Verdienst
für die Anbieter
Hersteller Milupa in Domdidier FR gibt zu, «dass Wachstumsmilch bei einer ausgewogenen Ernährung nicht nötig
ist». Nützlich sei der Einsatz
des Produkts, wenn dies nicht
der Fall sei. Der Konkurrent
Nestlé betont ganz allgemein,
die Spezialmilch entspreche
den Bedürfnissen von Kleinkindern «optimal».
Sicher ist: Mit angereicherter Milch verdienen die
Anbieter gutes Geld: Fr. 3.50
verlangt Milupa für einen
Liter «Milu-Milk» – Nestlé
gar 5 Franken für dieselbe
Menge «Junior Milk». Die
unnötige Fitnessmilch kostet
bei Migros 15 Prozent, bei
Coop einen Drittel mehr
als gewöhnliche Pastmilch.
Das ist der Preis für die
Verwandlung eines Grundnahrungsmittels in ein Lifestyle-Produkt.
Nr. 10
Claudine Gaibrois
25. Mai 2005
saldo
Herunterladen