elemente der zahlentheorie und aufbau des zahlensystems

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ELEMENTE
DER ZAHLENTHEORIE
UND
AUFBAU DES ZAHLENSYSTEMS
von
Rolf Waldi
1
Kapitel I. Elementare Zahlentheorie
§1 Grundlegende Regeln und Prinzipien
Es wird vorausgesetzt, daß der Leser mit ganzen Zahlen rechnen kann und
mit der Mengenschreibweise vertraut ist. Bis auf weiteres bedeuten kleine
Buchstaben
a, b, c, . . . , x, y, z
ganze Zahlen, das heißt sie stehen für
1, 2, 3, . . .
0
−1, −2, −3, . . .
(positive ganze Zahlen)
(Null)
(negative ganze Zahlen)
Die natürlichen Zahlen sind bei uns die Zahlen
0, 1, 2, 3, . . .
Ihre Gesamtheit wird mit N bezeichnet. Z steht für die Gesamtheit aller
ganzen Zahlen
. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .
Wir werden von den folgenden Regeln für das Rechnen mit ganzen Zahlen
Gebrauch machen:
Verknüpfungsregeln der Addition
(1) (a + b) + c = a + (b + c)
(Assoziativgesetz)
(2) a + b = b + c
(Kommutativgesetz)
(3) a + (−a) = 0
(−a ist inverses Element zu a bzgl. +)
(4) 0 + a = a
(0 ist neutrales Element bzgl. +)
Daraus ergibt sich
(1.1) Satz. Jede Gleichung X + a = b mit a, b ∈ Z hat in Z eine Lösung,
und nur eine.
Das soll heißen: Zu jedem Paar a, b ganzer Zahlen gibt es genau eine Zahl
x ∈ Z, so daß x + a = b.
Beweis.
Existenz: Setze x := b + (−a). Dann ist (nach den Regeln (1) bis (4))
x + a = (b + (−a)) + a = b + ((−a) + a) = b + (a + (−a)) = b + 0 = 0 + b = b
2
Eindeutigkeit: Sei y ∈ Z beliebig mit y + a = b. Dann ist
b + (−a) = (y + a) + (−a) = y + (a + (−a)) = y + 0 = y
Verknüpfungsregeln der Multiplikation
(5) (a · b) · c = a · (b · c)
(Assoziativgestz)
(6) a · b = b · a
(Kommutativgesetz)
(7) 1 · a = a
(1 ist neutrales Element bzgl. ·)
(8) a · b = 0
dann u. nur dann, wenn a = 0 oder b = 0
Distributivgesetz
(9) a · (b + c) = (a · b) + (a · c)
Für a + (−b) schreibt man auch a − b. Dann gilt auch
a · (b − c) = (a · b) − (a · c)
Wir verwenden gelegentlich die Abkürzungen
=⇒“ für daraus folgt“,
”
”
⇐⇒“ für genau dann wenn“, und
”
”
:= “ für ist definitionsgemäß gleich“.
”
”
(1.2) Kürzungsregel. Aus a · b = a · c und a 6= 0 folgt b = c.
(9)
Beweis. a · b = a · c =⇒ (a · b) − (a · c) = (a · c) − (a · c) = 0 =⇒ a · (b − c) =
(8)
(a·b)−(a·c) = 0 =⇒ b−c = 0 =⇒ c = (b−c)+c = b+((−c)+c) = b+0 = b.
Da für Addition und Multiplikation das Assoziativgesetz gilt, kann man sich
viele Klammern sparen: Schreibe:
a+b+c
für
(a + b) + c
a·b·c
für
(a · b) · c
Damit sind auch endliche Summen und Produkte ohne Klammern erklärbar:
a1 + a2 + a3 + a4 := (a1 + a2 + a3 ) + a4
..
.
a1 + a2 + . . . + an−1 + an := (a1 + . . . + an−1 ) + an
a1 · a2 · a3 · a4 := (a1 · a2 · a3 ) · a4
..
.
a1 · a2 · . . . · an−1 · an := (a1 · . . . · an−1 ) · an
3
Durch die Regelung Punktrechnung geht vor Strichrechnung“ können wei”
tere Klammern eingespart werden:
a · b + c · d steht für (a · b) + (c · d)
Ferner wird der Malpunkt oft weggelassen und man verwendet die abkürzende
Schreibweisen
k
X
an := a1 + . . . + ak ;
n=1
k
Y
n=1
Wichtig ist die
an := a1 a2 . . . an ; an = a
. . . a}
| · {z
n-mal
Formel für die endliche geometrische Reihe
(1 + x + x2 + . . . + xn−1 )(1 − x) = 1 − xn
Beweis.
(1 + x + . . . + xn−1 )(1 − x) =
1 + x + x2 + . . . + xn−2 + xn−1
−(x + x2 + . . . + xn−2 + xn−1 + xn )
= 1
− xn
Anordnung der ganzen Zahlen. Z ist in natürlicher Weise angeordnet:
. . . − 5, −4, −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, 4, 5, . . .
Definition. a heißt kleiner als b( a < b“) wenn a in der obigen Reihung
”
links von b steht. Schreibe auch a > b (a größer als b) falls b < a. Damit gilt
offensichtlich: a > 0 genau dann, wenn −a < 0.
Anordnungsregeln
(1) Es gilt entweder a > b oder a = b oder a < b
(2) Aus a > b und b > c folgt a > c
(3) Aus a > b folgt a + c > b + c
(4) Aus a > b und c > 0 folgt ac > bc
Schreibweisen
a ≥ b steht für a > b oder a = b“.
”
a ≤ b steht für a < b oder a = b“.
”
4
Definition. Für a ∈ Z definiert man den Betrag |a| von a als
(
a, falls a ≥ 0
|a| :=
−a, falls a < 0
Betragsregeln
(1) |a| ≥ 0; |a| = 0 ⇐⇒ a = 0
(2) |ab| = |a| |b|
(3) |a + b| ≤ |a| + |b|
Minimum und Maximum. Seien a1 , . . . , an ganze Zahlen. Die kleinste der
Zahlen a1 , . . . , an heißt das Minimum und die größte das Maximum von
a1 , . . . , an . Schreibe dafür Min(a1 , . . . , an ) bzw. Max(a1 , . . . , an )
Grundprinzipien. Wir wollen das folgende Prinzip anerkennen:
(P) Prinzip vom kleinsten Element. Jede nicht leere Menge A von
natürlichen Zahlen besitzt ein kleinstes Element, d.h.:
Es gibt ein Element a0 ∈ A, so daß x ≥ a0 für alle x ∈ A. Schreibe dann
a0 = MinA. Aus diesem Prinzip lassen sich weitere Grundsätze ableiten:
A(x) bezeichne eine Aussage, die für eine natürliche Zahl x zutreffen kann,
d.h.:
Für x ∈ N gilt entweder A(x) oder A(x) gilt nicht.
Beispiele
a) A(x) sei die Aussage
x ist eine gerade Zahl“.
”
Die Aussagen A(1), A(3), A(5) sind falsch.
Die Aussagen A(2), A(4), A(6) sind wahr (richtig).
b) A(x) sei die Aussage
1 + 2 + 3 +...+ x =
x(x + 1)
für x ≥ 1
2
A(x) ist für alle x ≥ 1 richtig, also allgemein gültig.
(G) Prinzip vom kleinsten Gegenbeispiel. Sei A(x) eine Aussage über
natürliche Zahlen x ≥ a0 . Ist A(x) nicht allgemein gültig, so gibt es dafür ein
kleinstes Gegenbeispiel. Das soll heißen:
Ist A(x) falsch für wenigstens ein x ≥ a0 , so gibt es eine Zahl a ≥ a0 , so daß
5
gilt:
(1) A(a) ist falsch.
(2) A(x) ist richtig für alle x ∈ N mit a0 ≤ x < a.
(G) ergibt sich leicht aus dem Prinzip vom kleinsten Element:
Sei N = {x|x ∈ N, x ≥ a0 und A(x) ist falsch}. Nach Voraussetzung ist N
nicht die leere Menge ∅. Nach (P) existiert daher das Minimum a = Min N.
Zeige nun, daß a die Bedingungen (1) und (2) erfüllt.
Zu (1): Wegen a ∈ N ist A(a) falsch.
Wegen a = MinN ist
(∗)
x ≥ a für alle x ∈ N.
Zu (2): Sei x ∈ N mit a0 ≤ x < a. Wegen (∗) ist dann x 6∈ N. Nach Definition
von N bedeutet dies, daß A(x) richtig ist.
Aus dem Prinzip vom kleinsten Gegenbeispiel ergibt sich leicht das wichtigere
Prinzip der vollständigen Induktion.
(V) Prinzip der vollständigen Induktion. Sei A(x) eine Aussage über
natürliche Zahlen x mit folgenden beiden Eigenschaften:
(i) A(0) ist richtig.
(ii) Für alle n ∈ N folgt aus der Richtigkeit von A(n) schon die Richtigkeit
von A(n + 1).
Dann ist A eine allgemein gültige Aussage, d.h.
A(x) ist richtig für alle x ∈ N.
Das Induktionsprinzip (V) läßt sich aus (G) herleiten:
Sei A(x) eine Aussage mit den Eigenschaften (i) und (ii). Angenommen A
wäre nicht allgemein gültig. Dann gibt es gemäß (G) zu A ein kleinstes Gegenbeispiel a, d.h.: A(a) ist falsch und A(b) ist richtig für alle b < a. Wegen
(i) ist dann a > 0, also a − 1 ≥ 0 ist eine natürliche Zahl. Nach Wahl von a
ist ferner A(a − 1) richtig. Wende nun (ii) auf n = a − 1 an: Aus der Richtigkeit von A(a − 1) folgt die Richtigkeit der Aussage A((a − 1) + 1) = A(a),
Widerspruch!
Also ist die Ausnahme A ist nicht allgemein gültig“ falsch, d.h. A ist allge”
mein gültig. Die Gültigkeit des folgenden Beweisprinzips ergibt sich ebenfalls
aus dem Prinzip vom kleinsten Gegenbeispiel:
Schema eines Beweises durch vollständige Induktion. Sei A(x) eine
Aussage über natürliche Zahlen x mit x ≥ a0 . Es soll gezeigt werden, daß
A(x) für alle x ≥ a0 richtig ist. Dazu geht man folgermaßen vor:
6
(a) Man zeigt, daß A(a0 ) richtig ist (Induktionsbeginn).
(b) Man nimmt an, daß A(x) gilt für alle x ∈ N mit a0 ≤ x ≤ n (Induktionsannahme (Induktionsbehauptung)).
(c) Man schließt aus (a) und (b), daß auch A(n + 1) gilt (Induktionsschluß).
Beispiele von Beweisen durch vollständige Induktion
(a) A(x) sei die Aussage: 1 + 2 + . . . + x =
Induktionsbeginn: A(1) : 1 =
1+1
2
x(x+1)
2
(a0 = 1)
ist richtig.
Induktionsannahme: Für alle x ∈ N mit 1 ≤ x ≤ n gilt
A(x) : 1 + 2 + . . . + x = x(x+1)
.
2
Induktionsschluß: Nach Induktionsannahme ist A(n) richtig, d.h.
1 + 2 + . . . + n = n(n+1)
2
Es folgt
1 + 2 + . . .+ n + (n + 1) = n(n+1)
+ (n + 1) = n(n+1)+2(n+1)
= (n+2)(n+1)
=
2
2
2
(n+1)((n+1)+1)
, d.h. A(n + 1) ist richtig.
2
(b) Der binomische Lehrsatz. Seien n und ν ∈ N.
Fakultäten: 0! := 1; n! := 1 · 2 · 3 · . . . · (n − 1)n für n ≥ 1
(1! = 1; 2! = 1 · 2 = 2; 3! =1 ·2 · 3 = 6; 4! = 1· 2 · 3 · 4 = 24, . . .)
n
n
Binomialkoeffizienten:
:= 1 und
:= n(n−1)·...·(n−ν+1)
für
ν!
0
ν
ν≥1
1.3 Regel.
n
n
n
(a)
= 1,
= 0 für ν > n und
=
n
ν
ν
n
n
(b)
=
für 0 ≤ ν ≤ n
ν
n−ν
n
n
n+1
(c)
+
=
für ν ≥ 1
ν −1
ν
ν
7
n!
ν!(n−ν)!
für 0 ≤ ν ≤ n
n
(d)
∈ N.
ν
Beweis.
n
(a)
= n(n−1)·...·(n−n+1)
= n·(n−1)·...·1
=1
1·2·...·n
1·2·...·n
n
ν > n =⇒ n + 1 ≤ ν =⇒n +
1 − ν ≤ 0 =⇒ n(n − 1) · . . . · (n − ν + 1)
n
enthält 0 als Faktor =⇒
= ν!0 = 0.
ν
0 ≤ ν < n =⇒ n(n − 1) · . . . · (n − ν + 1) = n·(n−1)·...·(n−ν+1)·(n−ν)·...·2·1
=
(n−ν)·...·2·1
n
n!
n!
=⇒
= (n−ν)!ν!
(n−ν)!
ν
n
n
n!
n!
(b) Nach (a) ist
= ν!(n−ν)! und
=
=
(n−ν)! (n − (n − v))!
ν
n−ν
|
{z
}
ν
n
n!
=
(n−ν)!ν!
ν
n
n
(c)
+
= n(n−1)·...·(n−(ν−1)+1)
+ n(n−1)·...·(n−ν+1)
=
(ν−1)!
ν!
ν −1
ν
n(n−1)·...·(n−(ν−1)+1)·(ν+n−ν+1)
= n(n−1)·...·(n−ν+2)(n+1)
= (n+1)n·...·((n+1)−ν+1)
ν!
ν!
ν!
n+1
=
ν
(d) Beweise die folgende Aussage A(m) für alle natürlichen m durch Induktion nach m:
A(m):
”Für alle Paare n, ν natürlicher Zahlen mit n + ν = m ist
n
∈ N.“
ν
n
0
Induktionsbeginn: m = 0 =⇒ n = ν = 0 =⇒
=
=1∈N
ν
0
Induktionsannahme:
A(x) ist richtig für alle x ∈ N mit x ≤ m, d.h.:
n
∈ N für alle Paare n, ν ∈ N mit n + ν ≤ m.
ν
8
Induktionsschluß: Seien
n, ν natürliche Zahlen mit n + ν = m + 1.
n
Es ist zu zeigen, daß
∈ N.
ν
n
0
Nach Definition ist
= 1 ∈ N, und
= 0 für alle ν ≥ 1
0
ν
nach (a). Also kann man annehmen, daß n ≥ 1 und ν ≥ 1, insbes.
m ≥ 1. Dann sind n − 1, ν − 1 und n − 1, ν Paare natürlicher Zahlen
mit (n − 1) + (ν − 1) = m − 1 ≤ mund (n
− 1) +
ν = m ≤ m.
n−1
n−1
Nach Induktionsannahme sind daher
und
aus N.
ν
ν − 1 n
n−1
n−1
Aus Regel (c) folgt:
=
+
∈ N.
ν
ν −1
ν
1.4 Der binomische Lehrsatz. Sei n ≥ 1 ganz. Dann gilt für alle a, b ∈ Z
n
(a+b) =
n X
n
ν=0
ν
n−ν ν
n
n−1
b = a +na
a
n n−ν ν
b+. . .+
a b +. . .+nabn−1 +bn
ν
Beweis. Durch Induktion nach n.
1
1
Induktionsbeginn: (a + b) = a + b =
a+
b
0
1
1
Induktionsannahme: 1.4 sei bewiesen für alle Exponenten 1 ≤ x ≤ n:
x
(a + b) =
x X
x
ν=0
ν
ax−ν bν für alle x ∈ N, x ≤ n
9
Induktionsschluß: (von n auf n + 1)
(a + b)
n+1
n
= (a + b)(a + b) = (a + b)
n X
n
ν=0
=
=
=
=
=
ν
an−ν bν =
!
n−1 X
n
n n−ν ν
(an+1 +
aan−ν bν ) +
a bb + bn+1
ν
ν
ν=1
ν=0
!
n n X
X
n
n
an+1 +
an+1−ν bν +
an−(ν−1) bν + bn+1
ν
ν−1
ν=1
ν=1
n X
n
n
an+1 +
+
a(n+1)−ν bν + bn+1
ν
ν−1
ν=1
n X
n + 1 (n+1)−ν ν
n+1
a
b + bn+1
a
+
ν
ν=1
n+1
X n + 1
a(n+1)−ν bν
ν
n X
ν=0
Dabei gilt die vorletzte Gleichung wegen 1.3c.
Anmerkung. Da die für a und b verwendeten Rechenregeln (1) bis (9) auch
für reelle Zahlen a und b gelten, ist der binomische Lehrsatz auch für a, b ∈ R
richtig.
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