PPA essstörungen im Praxisalltag erkennen

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MEDIZINWISSEN
Essstörungen im Praxisalltag erkennen
von Dr. med. Marianne Schoppmeyer, Ärztin und Medizinjournalistin, Nordhorn
| Essstörungen gehören in den westlichen Industrieländern zu den häufigs­
ten psychosomatischen Erkrankungen von Mädchen und jungen Frauen.
Sie haben zudem in der Vergangenheit stetig zugenommen und sind sehr
ernst zu nehmende Erkrankungen, die Beratung, Unterstützung und
Betreuung in vielfacher Hinsicht erforderlich machen. Da viele Patienten
die Arztpraxis nicht wegen einer Essstörung sondern wegen damit verbun­
dener Begleiterkrankungen aufsuchen bzw. ihr Problem verheimlichen
oder kleinreden, sind Essstörungen auch für erfahrene MFA schwer zu
erkennen. |
Welche Essstörungen gibt es?
Gestörtes
Essverhalten,
psychische Störung
Starker Gewichtsverlust, gestörte
Körperwahr­
nehmung
PDF erstellt für Gast am 03.06.2017
Essattacken, selbst
provoziertes
Erbrechen
Es werden verschiedene Formen der Essstörungen unterschieden. Gemein­
same Merkmale sind der ständige Gedanke und die emotionale Beschäftigung
mit dem Thema „Essen“ und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den
eigenen Körper. Das gestörte Essverhalten kann sich sowohl in Nahrungs­
verweigerung wie auch in übermäßiger Nahrungszufuhr äußern. Essstörun­
gen liegen oft psychischen Störungen zugrunde oder sie rufen solche hervor.
Magersucht (Anorexia nervosa)
Magersucht äußert sich durch starken und bewusst herbeigeführten Gewichts­
verlust. Die Betroffenen haben eine gestörte Körperwahrnehmung. Selbst
wenn sie schon extrem untergewichtig sind, sehen sie sich als zu dick an und
finden sich hässlich. Ihr Alltag ist bestimmt von dem zwanghaften Gedanken,
schlank sein zu wollen. Dafür üben sie ständigen Verzicht, treiben ein Höchst­
maß an Sport und entwickeln eine eiserne Disziplin. Auch der Missbrauch von
Abführmitteln, Appetitzüglern und Diuretika sowie das selbst herbeigeführte
Erbrechen sind Methoden, um das Gewicht zu reduzieren.
Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa)
Ess-Brech-Sucht ist gekennzeichnet durch häufige Essattacken, bei denen in
kurzer Zeit große Nahrungsmengen gegessen werden. Um die hohe Kalorien­
zufuhr „rückgängig“ zu machen und nicht zuzunehmen, lösen die Betroffenen
entweder selbst Erbrechen aus, fasten oder missbrauchen Abführmittel. Buli­
mie geht oft einher mit Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch,
selbstverletzendem Verhalten, Depression, Minderwertigkeitsgefühlen und
sozialem Rückzug. Das Selbstwertgefühl ist stark an das eigene Körperbild
gebunden („Nur wenn ich schlank bin, bin ich schön und etwas wert.“)
Essanfälle,
häufig mit Gewichtszunahme
Binge-Eating-Störung
Beim Binge-Eating kommt es wie bei der Bulimie zu regelmäßig wiederkeh­
renden Essanfällen, die die Erkrankten nicht kontrollieren können. Innerhalb
kürzester Zeit nehmen sie große Mengen an Nahrungsmitteln zu sich, wes­
halb sie häufig übergewichtig bis adipös sind. Die Essanfälle treten oft im
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Zusammenhang mit emotionalen Auslösern auf und kommen bei negativer
Stimmungslage, Trauer, Enttäuschung, Wut, Stress und Anspannung vor.
Wie können Sie als MFA betroffene Patienten erkennen?
Als Risikogruppen müssen vor allem Mädchen im Alter der Pubertät und junge
Frauen gelten. Überhaupt sind Frauen häufiger betroffen als Männer, wenngleich die Erkrankung auch zunehmend Jungen und junge Männer betrifft.
Besonders gefährdet: Mädchen und
junge Frauen
Veränderte Körpermaße und -formen
Am auffälligsten sind Veränderungen der Körpermaße und -formen, die
allerdings durch entsprechende Kleidung kaschiert werden können. Um den
Eindruck eines bestehenden Unter- oder Übergewichts zu objektivieren,
sollte das Gewicht bzw. der Body-Mass-Index (BMI) bestimmt werden.
◼◼Formel und Rechenbeispiel zur Ermittlung des BMI
Berechnet werden soll der BMI für eine 1,75 m große und 73 kg schwere Patientin.
BMI =
Körpermasse [kg]
Körpergröße [m]2
=
73 kg
1,75 m x 1,75 m
So berechnen Sie
den BMI richtig!
= 23,84 kg/m2
Wenn Sie den BMI mit dem Taschenrechner ermitteln, geben Sie im konkreten
Fall Folgendes ein: 73 : 1,75 : 1,75 = 23,84. In der Regel wird die Einheit kg/m2
weggelassen.
Auf der Homepage des Bundesfachverbands für Essstörungen können Sie
sich den BMI mithilfe des BMI-Rechners rasch anzeigen lassen (siehe
weiterführende Hinweise). Nachfolgend sehen Sie die BMI-Normwerte für
Erwachsene.
◼◼Normwerte des BMI (für Erwachsene)
BMI [in kg/m ]
Körpergewicht
< 18,5
Untergewicht
18,5 - 24,9
Normalgewicht
25 - 29,9
Übergewicht (Präadipositas)
30 - 34,9
Adipositas, Grad I
35 - 39,9
Adipositas, Grad II
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Für Kinder und
Jugendliche gelten
gesonderte
Normwerte!
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Hinweis | Achten Sie darauf, das Gewicht der Patientin selbst von der Waage
abzulesen und fragen Sie nicht einfach danach. Patientinnen mit Essstörungen neigen dazu, ihre Erkrankung zu verheimlichen bzw. ein falsches Körpergewicht anzugeben, um nicht von der Einhaltung ihrer strengen Ernährungsregeln abgehalten und an der Gewichtsabnahme gehindert zu werden.
Weitere Symptome
Neben einer auffälligen Gewichtsabnahme oder -zunahme sollten Sie bei
folgenden Patientengruppen bzw. Symptomen an eine Essstörung denken:
Symptome der
Mangelernährung
„„ Untergewichtige junge Frauen/Männer oder normalgewichtige Mädchen/
Jungen mit Gewichtssorgen
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„„ Mädchen mit verzögerter oder ausbleibender Menstruationsblutung
„„ Verdauungsprobleme, Völlegefühl, Blähungen, Obstipation
„„ Halsschmerzen, Sodbrennen
„„ Zahnschäden, bedingt durch häufiges Erbrechen
„„ Energielosigkeit, Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen
Bei Essstörungen
droht
Lebensgefahr!
Gerade im Jugendalter führt eine Mangelernährung auch zu einem Entwicklungs- und Wachstumsstopp. Es kann zu Osteoporose, Herzrhythmusstörungen und Nierenversagen kommen. An Magersucht sterben bis zu 15 Prozent
der Erkrankten.
Was können Sie als MFA tun?
Frühzeitige Therapie
erhöht Heilungs­
chancen
Als MFA sollten Sie aufmerksam sein. Wenn Patienten im Gespräch mit Ihnen
Probleme bezüglich des Gewichts oder des Essens erwähnen, bestärken Sie
sie, dies im Arztgespräch zu erwähnen und auch um Rat und Hilfe zu bitten.
Zögern Sie nicht bei einem Verdacht, sich mit dem Arzt zu beraten, ob eine
Essstörung vorliegen könnte und wie man die betroffene Person der Hilfe
eines darauf spezialisierten Arztes und Psychologen zuführen kann. Ihr Praxisteam ist unter Umständen der erste und vielleicht über lange Zeit einzige
medizinische Kontakt, um die Erkrankung zu entdecken und eine Behandlung zu veranlassen. Und für alle Essstörungen gilt, je früher eine Therapie
einsetzt, desto größer sind die Erfolgsaussichten.
Einfühlungs­
vermögen ist wichtig
Ein Gespräch über das gestörte Essverhalten kann sich schwierig gestalten,
da viele Erkrankte ihre Störung nicht preisgeben wollen, sondern zu verheimlichen suchen. Folgende Fragen können im Gespräch hilfreich sein, eine Essstörung zu erkennen. Diese sind aber in aller Regel dem Arzt vorbehalten:
„„ Machen Sie sich Sorgen wegen Ihrer Figur?
„„ Essen Sie heimlich?
„„ Kommt es vor, dass Sie sich übergeben, wenn Sie sich unangenehm voll
fühlen?
„„ Machen Sie sich Sorgen, weil Sie manchmal mit dem Essen nicht aufhören
können?
„„ Gibt es etwas, das Sie ändern wollen im Hinblick darauf, was und wie viel
Sie essen?
PDF erstellt für Gast am 03.06.2017
Im Falle von Essstörungen hängt die Aussicht auf Heilung im Wesentlichen
von der Früherkennung und möglichst zeitigen Einleitung einer psychotherapeutischen Behandlung ab. Aufgabe des Hausarztes ist es dann, den Patienten und die Angehörigen über diese Notwendigkeit behutsam zu unterrichten; dies gestaltet sich oftmals heikel, da neben der fehlenden Krankheitseinsicht auch Vorurteile gegenüber einer psychischen Erkrankung bestehen.
INFORMATION
Hilfsangebote und
BMI-Rechner online
↘↘ WEITERFÜHRENDE HINWEISE
•Bundes-Fachverband Essstörungen: www.bundesfachverbandessstoerungen.de/;
BMI-Rechner unter http://tinyurl.com/kwftng7
•Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: www.bzga-essstoerungen.de/
•Deutsche Gesellschaft für Essstörungen: http://www.dgess.de/
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