Zahlkörper

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Kapitel 5
Zahlkörper
Das Unendliche hat wie keine andere Frage von
jeher so tief das Gemüt des Menschen bewegt;
das Unendliche hat wie kaum eine andere Idee
auf den Verstand so anregend und fruchtbar gewirkt; das Unendliche ist aber auch wie kein anderer Begriff so der Aufklärung bedürftig.
David Hilbert
Wir fassen hier die wesentlichen Fakten über die rationalen und reellen Zahlen zusammen; die
komplexen Zahlen werden wir im Zusammenhang mit Polynomen einführen. Damit lernen wir
die grundlegende Idee der Vollständigkeit der reellen Zahlen kennen und damit das Fundament
der Analysis. Die Computerzahlen – wir gehen im nächsten Kapitel darauf ein – finden sich dann
als endliche Menge von Zahlen, die auf dem Strahl der reellen Zahlen diskret liegen.
5.1
Rationale Zahlen
Rationale Zahlen kennen wir als (gekürzte) Brüche ganzer Zahlen, genauer als Objekte
a
mit a ∈ Z , b ∈ N.
b
Also setzen wir nun
Q′ := {(a, b)|a ∈ Z , b ∈ N}.
Klar, das Paar (n, 1) steht für den unechten Bruch n
1 . Ein Problem entdecken wir sofort: in
Q′ gibt es (4, 2), (2, 1), (18, 9) . . . . Diese Paare repräsentieren zwar Brüche“, aber als rationale
”
Zahlen sollten wir sie gleichsetzen. Wir erreichen dies durch eine Äquivalenzrelation: Wir setzen
(a, b) ∼ (a′ , b′ ) : ⇐⇒ ab′ = a′ b
und definieren
Q := {[(a, b)]|a ∈ Z , b ∈ N},
wobei [(a, b)] eine Klasse bezüglich der obigen Äquivalenzrelation ist. Es liegt in der Tat eine
Äquivalenzrelation vor: Die Reflexivität und Symmetrie ist klar, die Transitivität folgt so: Aus
(a, b) ∼ (a′ , b′ ), (a′ , b′ ) ∼ (a′′ , b′′ ), d.h. ab′ = a′ b, a′ b′′ = a′′ b′ folgt
ab′′ = ab′ b′
−1 ′′
b = a′ bb′
−1 ′′
b = a′′ b′ bb′
66
−1
= a′′ b , d.h. (a, b) ∼ (a′′ , b′′ ) .
Es ist also doch erlaubt“, rationale Zahlen als Brüche
”
a
mit a ∈ Z , b ∈ N
b
anzusehen.
Nun ergeben sich die Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division, Vergleich in wohl bekannter Weise aus den entsprechenden Operationen in N bzw. Z .
′
Seien a , a′ ∈ Q .
b b
′
′
′
Addition: a + a′ = ab +′ a b .
b
b
bb ′
′
′
a
a
Subtraktion: − ′ = ab −′ a b .
b
b ′
bb′
a
a
aa
Multiplikation: · ′ = ′ .
b b
bb
′
′
a
a
Division: / ′ = ab′ , falls a′ 6= 0 .
b b
ba
′
Vergleich a < a′ genau dann, wenn ab′ < a′ b .
b
b
Man beachte, dass für jede Rechenart nachgewiesen werden kann, dass die Ergebnissse nicht von
den gewählten Repräsentanten der Brüche abhängt.
Satz 5.1.1 Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar.
Beweis:
Es genügt die nichtnegativen rationalen Zahlen abzuzählen, denn daraus lässt sich unter Verwendung des Vorzeichens sofort eine Abzählung aller rationalen Zahlen konstruieren.
Wir schreiben die rationalen Zahlen, d.h. die Paare
(1, 1) −→ (2, 1)
(3, 1) −→ (4, 1) · · ·
(a, b), a ∈ Z, b ∈ N, wie in Abւ
ր
ւ
bildung 5.1 auf. Die Pfeile deu(1, 2)
(2, 2)
(3, 2)
(4, 2) · · ·
ten an, in welcher Reihenfol↓
ր
ւ
ր
(1, 3)
(2, 3)
(3, 3)
(4, 3) · · ·
ge wir die Paare nun abzählen.
ւ
ր
ւ
Ein einmal abgezähltes Paar
(1, 4)
(2, 4)
(3, 4)
(4, 4) · · ·
wird nicht mehr berücksichtigt.
↓
ր
Als Erkenntnis haben wir
nun, dass die rationalen Zahlen nicht größer“ als die Men”
ge der natürlichen Zahlen mit
ihren großen Lücken ist.1
5.2
···
(1, 5)
..
.
Abbildung 5.1: Das Cantorsche Diagonalisierungsverfahren
Körper
Der ordnende mathematische Begriff im Rahmen der Zahlbereiche ist der des Körpers. Es sind
dies Mengen, in denen wir auf abstraktem Niveau die Verknüpfungen Addition, Multiplikation“
”
wiederfinden. Zentral ist bei der Formulierung der Begriff der Gruppe“, den wir im letzten
”
Kapitel schon kennengelernt haben.
1
Der obige Beweis weicht ab von der naheliegenden Idee, die Abzählung von Q der Größe nach zu versuchen.
Dies wäre auch zum Scheitern verurteilt, denn es liegen ja zwischen zwei rationalen Zahlen auch schon wieder
unendlich viele rationale Zahlen, d.h. zwischen zwei rationalen Zahlen stellt sich das Abzählproblem erneut. Der
Ausweg ist die Beweisidee von G. Cantor.
67
Definition 5.2.1 Eine Menge K mit zwei Verknüpfungen
+ : K × K ∋ (a, b) 7−→ a + b ∈ K ,
(Addition)
· : K × K ∋ (a, b) 7−→ a · b ∈ K
(Multiplikation)
heißt ein Körper, wenn gilt:
a) (K, +) ist eine abelsche Gruppe mit neutralem Element 0.
b) (K∗ := K\{0}, ·) ist eine abelsche Gruppe mit neutralem Element 1 .
c) Für alle a, b, c ∈ K gilt: a · (b + c) = a · b + a · c .
Die Bedingungen a), b) sind uns wohlvertraut. Mit der Tatsache 1 6= 0 ist schon klar, dass
ein Körper mindestens zwei Elemente besitzt, nämlich das Nullelement 0 (neutrales Element
bzgl. der Addition) und das Einselement 1 (neutrales Element bzgl. der Multiplikation). Die
Bedingung c) heißt Distributivgesetz. Es erklärt, wie sich die beiden Verknüpfungen miteinander vertragen“.
”
Das Inverse von a bzgl. der Addition schreiben wir mit −a, das Inverse von a ∈ K∗ bezüglich
der Multiplikation schreiben wir mit a−1 . Dies geschieht in Anlehnung an das Rechnen in Q .2
Von Nutzen ist die folgende Schreibweise nx , n ∈ N0 , x ∈ K :
Induktiv für x ∈ K : 0x := 0 ; (n + 1)x := x + nx , n ∈ N0 .
Nützlich ist auch die Potenzschreibweise, die in einem beliebigem Körper K Anwendung finden
kann:
Induktiv für x ∈ K∗ = K\{0} : x0 := 1 ; xn+1 := x · xn , n ∈ N0 .
Q ist offenbar ein Körper mit der üblichen Addition und Multiplikation. Weitere Körper sind
Zm , wenn m eine Primzahl ist. Dies halten wir etwas genauer im folgenden Beispiel fest.
Beispiel 5.2.2 In Zm , m ∈ N\{1} , haben wir schon eine Addition und eine Multiplikation
kennengelernt. Es ist nun sofort einzusehen, dass Zm ein Körper genau dann ist, wenn m eine
Primzahl ist.
Ist nun m = p eine Primzahl, dann beobachten wir in dem zugehörigen Körper Zp , dass
n · 1 = 0 für n = p
ist und keine natürliche Zahl n < p diese Eigenschaft hat. Man sagt, der Körper Zp hat die
Charakteristik p. (Einem Körper, in dem n · 1 = 0 für keine natürliche Zahl gilt, wird die
Charakteristik 0 zugeordnet. Also hat Q die Charakteristik 0.)
Ohne Beweis geben wir an:
Regel 5.2.3 Sei K ein Körper und seien a, b ∈ K . Es gilt:
2
Die Theorie der Körper beginnt im wesentlichen mit E. Galois und N.H. Abel mit der Erweiterung der
Körper Q, R um Lösungen algebraischer Gleichungen (Körpererweiterung), allerdings noch in einer Formulierung,
der mengentheoretische Sprechweisen nicht zur Verfügung stehen. R. Dedekind führte 1811 die Begriffe “Körper“,
“Modul“ ein, 1893 gab dann H. Weber dem Wort “Körper“ den gleichen allgemeinen Sinn, den es heute hat. Auf
abstrakter Ebene finden wir Körper dann auch bei E. Steinitz.
68
(1) Die Gleichung a + x = b hat die eindeutige Lösung x = b + (−a) .
(2) −(−a) = a , −(a + b) = (−a) + (−b) .
(3) Die Gleichung a · x = b hat die eindeutige Lösung x = a−1 b falls a 6= 0 .
(4) (a−1 )−1 = a , falls a 6= 0 .
(5) (a · b)−1 = b−1 · a−1 , falls a 6= 0, b 6= 0 .
(6) a · 0 = 0 .
(7) a · b = 0 ⇐⇒ a = 0 oder b = 0 .
(8) (−a) · b = −(a · b) , (−a) · (−b) = a · b .
Die Aussage (3) kann etwas umfassender formuliert werden: Die Gleichung a · x = b hat die
eindeutige Lösung x = a−1 b falls a 6= 0 , sie hat keine Lösung, falls a = 0 und b 6= 0, und sie hat
jedes x ∈ K als Lösung, falls a = b = 0 . Man hat dazu nur (6) heranzuziehen.
Satz 5.2.4 (Binomialsatz) Seien x, y ∈ K, n ∈ N, mit einem Körper K . Dann gilt
n
(x + y) =
n X
n
j=0
j
xj y n−j .
Beweis:
Der Beweis von Satz 8.2.6 kann mit Induktion erbracht werden.
Wir werden bei der Einführung der reellen Zahlen im nächsten Kapitel axiomatisch vorgehen.
Dazu benötigen wir noch den Begriff des angeordneten Körpers.
Definition 5.2.5 Ein Körper K mit Addition + und Multiplikation · heißt angeordnet, wenn
es eine Teilmenge P gibt, so dass gilt:
(1) Für jedes x ∈ K gilt genau eine der folgenden Aussagen: x ∈ P , x = 0 , −x ∈ P .
(2) Ist x ∈ P und y ∈ P, so folgt x + y ∈ P .
(Monotonie der Addition)
(3) Ist x ∈ P und y ∈ P, so folgt x · y ∈ P .
(Monotonie der Multiplikation)
Die Elemente von P werden positiv genannt, die Elemente x mit −x ∈ P heißen negativ. Sei K (mit Addition + und Multiplikation ·) mit der Menge P der positiven Elemente.
Schreibweisen: Wir setzen für x, y ∈ K.
x > 0 : ⇐⇒
x ≥ y : ⇐⇒
x < y : ⇐⇒
x ∈ P ; x > y : ⇐⇒ x − y > 0 ;
x > y oder x = y ;
y > x ; x ≤ y : ⇐⇒ y ≥ x .
Folgerung 5.2.6 Seien x, y, z ∈ K. Dann gilt:
(1) Es gilt genau eine der folgenden Aussagen: x > 0 , x = 0 , x < 0 .
(2) x < y =⇒ x + z < y + z
(3) x < y, 0 < z =⇒ xz < yz
69
Beweis:
Die Aussagen sind einfache Konsequenzen aus der Definition von > und < .
Regel 5.2.7 Sei K ein angeordneter Körper mit der Menge P der positiven Elemente. Seien
v, w, x, y, z ∈ K. Wir haben:
1. x ≤ y, v < w =⇒ x + v < y + w .
2. x ≤ y =⇒ −x ≥ −y .
3. x ≤ y, z ≤ 0 =⇒ yz ≤ xz .
4. x2 ≥ 0 ; x2 > 0, falls x 6= 0 ; 1 > 0 .
5. x > 0 =⇒ x−1 > 0 .
6. 0 < x ≤ y =⇒ x−1 ≥ y −1 .
Wir skizzieren die Beweise:
Zu 1.: Mit Folgerung 5.2.6 1. folgt x + v < x + w und mit der Definition von ≤ folgt x + v <
x + w ≤ y + w.
Zu 2.: (−x − (−y)) = (y − x) ≥ 0 .
Zu 3.: Aus 2. folgt 0 ≤ −z und damit −xz ≤ −yz, also yz ≤ xz.
Zu 4.: Ist x ≥ 0, so folgt x2 ≥ 0 aus der Monotonie der Multiplikation. Ist x ≤ 0, so folgt x2 ≥ 0
aus 3..
Aus 1 = 1 · 1 folgt daher auch 1 > 0 .
Zu 5.: Aus x−1 < 0, so folgt 1 · 1 = 1 = xx−1 < 0 im Widerspruch zu 4..
Zu 6.: Aus der Monotonie bzgl. der Multiplikation folgt xy > 0 und damit (xy)−1 > 0 wegen 5..
Daraus folgt x−1 = (xy)−1 y ≥ (xy)−1 x = y −1 .
Es ist leicht einzusehen, dass der Körper Q mit der Menge P der positiven Zahlen angeordnet
ist. Der endliche Körper Zp , p Primzahl, kann nicht angeordnet werden, da ja offenbar 1 als
Quadrat 12 positiv ist, aber p · 1 = 0 gilt.
Mit einer Anordnung < bzw. ≤ in einem Körper K können wir Schranken für eine Teilmengen
von K definieren.
Definition 5.2.8 Sei K ein angeordneter Körper mit der Menge P der positiven Elemente und
der damit vebundenen Anordnung ≤ . Sei A ⊂ K .
(a) b ∈ K heißt obere Schranke von A, falls a ≤ b gilt für alle a ∈ A . Existiert eine solche
obere Schranke, nennen wir A nach oben beschränkt.
(b)
b ∈ K heißt untere Schranke von A, falls a ≥ b gilt für alle a ∈ A . Existiert eine solche
untere Schranke, nennen wir A nach unten beschränkt.
(c)
A heißt beschränkt, falls A obere und untere Schranken besitzt.
(d) b ∈ K heißt kleinste obere Schranke oder Supremum von A, falls b obere Schranke
ist und für jede andere obere Schranke b′ von A gilt: b ≤ b′ ; wir schreiben
b = sup a = inf{a|a ∈ A} oder kurz b = sup A .
a∈A
Ist b = sup A ein Element von A, so schreiben wir
b = max a = max{a|a ∈ A} oder kurz b = max A
a∈A
und nennen b das Maximum von A .
70
b ∈ K heißt größte untere Schranke oder Infimum von A, falls b untere Schranke ist
und für jede andere untere Schranke b′ von A gilt: b ≥ b′ ; wir schreiben
(e)
b = inf a = inf{a|a ∈ A} oder kurz b = inf A .
a∈A
Ist b = inf A ein Element von A, so schreiben wir
b = min a = min{a|a ∈ A} oder kurz b = min A
a∈A
und nennen b das Minimum von A .
Beachte, dass die Existenz von Maximum und Minimum einer beschränkten Menge keineswegs
selbstverständlich ist.
5.3
Reelle Zahlen
Die Menge der reellen Zahlen ist heute der für Anwendungen der Mathematik wichtigste Zahlbereich: Eine Vielzahl von (berechneten) physikalischen Größen wie zum Beispiel Länge, Temperatur und Masse können mit reellen Zahlen als Maßzahl angegeben werden. Anschaulich entspricht
die Menge der reellen Zahlen der Menge aller Punkte der Zahlengeraden.
Reelle Zahlen sind eine Erweiterung des Bereichs der rationalen Zahlen. Diese Erweiterung ist
nötig, weil die rationalen Zahlen für manche Längen keine Maßzahl bereitstellen, zum Beispiel
für die Diagonale eines Quadrates mit der Seitenlänge 1 (wie wir oben gesehen haben) oder für
die Teilstrecken in einem regelmäßigen Fünfeck mit der Seitenlänge 1. Schon die Pythagoräer
erkannten die Notwendigkeit, den Zahlbegriff über die Längenverhältnisse (die durch rationale
Zahlen beschrieben werden) hinaus zu erweitern. Erst die moderne Mathematik hat aber den
Bereich der reellen Zahlen definiert und damit dem Grenzwertbegriff und der gesamten Analysis
ein festes Fundament gegeben.
Die Konstruktion der reellen Zahlen als Zahlbereichserweiterung der rationalen Zahlen war
im 19. Jahrhundert ein wichtiger Schritt, um die Analysis auf ein solides mathematisches Fundament zu stellen. Die erste exakte Konstruktion geht wohl auf Karl Weierstraß3 zurück. Heute
gebräuchliche Konstruktionen der reellen Zahlen sind:
(1) Darstellung als Dedekindsche Schnitte rationaler Zahlen.
(2) Darstellung als Äquivalenzklassen von Cauchy-Folgen rationaler Zahlen.
(3) Darstellung als Äquivalenzklassen von Intervallschachtelungen rationaler Intervalle.
Die drei genannten Konstruktionsmethoden führen zur (bis auf Isomorphie“) gleichen Struktur
”
(algebraische Eigenschaften, Anordnung), dem Körper der reellen Zahlen. Jede der Methoden
beleuchtet eine andere Eigenschaft der rationalen und reellen Zahlen und ihrer Beziehung zueinander.
Wir gehen axiomatisch bei der Einführung des Körpers der reellen Zahlen vor. Später erläutern
wir die Beziehung zur konstruktiven Vorgehensweise.
Definition 5.3.1 Ein Menge K heißt Körper der reellen Zahlen, falls gilt:
3
Weierstraß, K. (1815–1897)
71
(a) K ist ein Körper (Körperaxiom)
(b)
K ist ein angeordneter Körper (Anordnungsaxiom)
(c)
Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge von K besitzt eine kleinste obere Schranke
(Vollständigkeitsaxiom)
Wir schreiben für einen solchen Körper R und nennen die Elemente von R reelle Zahlen.
Die sofort naheliegende Frage ist, in welchem Sinne dieser Körper der reellen Zahlen eindeutig
bestimmt ist: er ist eindeutig bis auf eine bijektive Abbildung zu einer anderen Realisierung, die
zudem auch noch strukturerhaltend ist (Isomorphismus).
Die nächste Frage ist, inwiefern R als Erweiterung vom Aufbau N über Z nach Q angesehen
werden kann. Oder anders herum, wie finden wir in R die natürlichen, die ganzen und rationalen
Zahlen wieder. Da R eine additive Gruppe ist, existiert das neutrale Element 0 bezüglich der
Addition. Da R\{0} eine multiplikative Gruppe ist, existiert das neutrale Element 1 bezüglich
der Multiplikation. Damit erfüllt
N ⊂ R mit 1 ∈ N und Nachfolgerdefinition n ∈ N =⇒ n′ := n + 1
die Peanoaxiome. Davon ausgehend kennen wir den Weg, die ganzen Zahlen zu erfinden“ und
”
die rationalen Zahlen einzuführen. Also können wir nun Q als Teilmenge von R auffassen. Die
Schreibweise ab−1 ist dann der Bruch ab .
Beachte: Die Menge der natürlichen Zahlen ist nach unten (1 ist eine untere Schranke), aber
nicht nach oben beschränkt, denn:
Annahme: x ∈ R ist obere Schranke von N. Dann gibt es eine kleinste obere Schranke und wir
können o.E. annehmen: x − 12 ist keine obere Schranke. Also gibt es n ∈ N mit x − 21 ≤ n. Dann
ist aber n + 1 > x, was ein Widerspruch zur Tatsache ist, dass x obere Schranke ist.
Folgerung 5.3.2 Seien ǫ, y, b ∈ R, ε > 0, y > 0. Dann gilt:
(1) Es gibt n ∈ N mit n ǫ > 1 .
(2) Es gibt n ∈ N mit n ε > b .
(3) Falls y > 1 ist, gibt es n ∈ N mit y n ≥ ǫ .
(4) Falls y < 1 ist, gibt es n ∈ N mit y n ≤ ǫ.
Beweis:
Zu (1): Da 1ǫ keine obere Schranke für N sein kann, denn zu jedem k ∈ N gibt es stets ein m ∈ N
1 < ǫ.
mit k < m, gibt es n ∈ N mit n > 1ǫ ; also n
Zu (2): Ist b ≤ 0, so ist nichts zu beweisen. Ist b > 0, wähle n nach (1) zu ε := εb−1 .
Zu (3): Es ist y = 1 + h mit h > 0. Dann ist nach der Binomialformel
n
n
y = (1 + h) =
n X
n
j=0
j
hj ≥ 1 + nh ≥ ε
für alle n ∈ N mit n ≥ ε − 1 .
h
Zu (4): Es ist y1 > 1. Also gibt es nach (2) n ∈ N mit ( y1 )n ≥ 1ǫ , d.h. y n ≤ ǫ.
Bemerkung 5.3.3 Die Eigenschaft (2) in Folgerung 5.3.2 heißt Archimedische Eigenschaft.
72
Folgerung 5.3.4 (Bernoullische Ungleichung) Es gilt für jedes a ∈ R, a ≥ −1, a 6= 0, und
n ∈ N, n ≥ 2, gilt
(1 + a)n > 1 + na .
(5.1)
Beweis:
Man beweist dies durch vollständige Induktion.
n = 2: (1 + a)2 = 1 + 2a + a2 > 1 + 2a .
n + 1: Unter Berücksichtigung von (1 + a) > 0 folgt
(1 + a)n+1 = (1 + a)n (1 + a) > (1 + na)(1 + a) = 1 + a + na + na2 > 1 + a + na = 1 + (n + 1)a
Beispiel 5.3.5 Wir betrachten das Verzinsungsproblem. Sei x das Grundkapital und sei xn das
Kapital nach Verzinsung mit dem Zinssatz q am Beginn des Jahres n. Also:
x0 := x , xn+1 := qxn + xn , n ∈ N0 .
Wir erhalten also induktiv die Folge
((1 + q)n x)n∈N .
Wir erwarten, dass die Folgenglieder über alle Grenzen“ wachsen. Dies legt die Frage nahe,
”
wann sich das Kapital verdoppelt hat? Dazu haben wir die Gleichung xn = 2x nach n auf”
zulösen“. Dies bedeutet
(1 + q)n x = 2x , d.h. (1 + q)n = 2.
Dies führt uns auf Logarithmen, die wir rechentechnisch noch gar nicht im Griff haben, aber
näherungsweise kommen wir auch ohne sie aus. Es ist
n 2
n
(1 + q) = 1 + nq +
q + · · · + qn
2
und wir lösen ersatzweise (Verzicht auf Zinseszins) die Gleichung
1 + nq = 2.
Also wählen wir n := ⌊ 1q ⌋ := max{z ∈ Z|z ≤ 1q } oder n := ⌈ 1q ⌉ := min{z ∈ Z|z ≥ 1q } . Diese
Lösungen sind für kleine Zinssätze q gar nicht schlecht.
Satz 5.3.6 (Dichtheit von Q in R) Zwischen zwei verschiedenen reellen Zahlen liegt stets eine rationale Zahl.
Beweis:
Seien a, b ∈ R mit a < b gegeben. Gesucht sind m ∈ Z und n ∈ N mit
a<
m
< b d.h. na < m < nb .
n
Wähle dazu n ∈ N mit n(b − a) > 1 gemäß Folgerung 5.3.2 (1). Mit m := ⌊na⌋ + 1 ∈ Z folgt nun
na < m ≤ na + 1 < nb .
73
Die rationalen Zahlen liegen also dicht in R im Sinne von Satz 5.3.6. Bisher wäre aber durchaus
Q = R denkbar, und Satz 5.3.6 wäre trivial. Es stellt sich also die Frage: Ist Q 6= R, d.h. ist
R\Q 6= ∅ ? Die
√ Elemente von R\Q heißen irrationale Zahlen. Als Kandidat für eine irrationale
Zahl kommt 2 in Frage.
Nun führen wir den Beweis, dass die Lücke in der Zahlengerade“, die durch die Tatsache,
”
dass die Gleichung x2 = 2 in Q keine Lösung besitzt, aufgezeigt wird, in R geschlossen ist. Mehr
noch:
Satz 5.3.7 (Existenz einer Wurzel) Sei a ∈ R, a ≥ 0, n ∈ N . Die Gleichung
xn = a
(5.2)
besitzt genau eine Lösung x ∈ R mit x ≥ 0 .
Beweis:
Zuerst zur Eindeutigkeit. Dazu beweisen wir für x ≥ 0, y ≥ 0 die Aussage
xn < y n ⇐⇒ x < y .
induktiv.
Die Implikation x < y =⇒ xn < y n ist klar, denn aus x < y folgt
x2 < xy < y 2 , x3 < xy 2 < y 3 , . . . .
Die Implikation xn < y n =⇒ x < y beweisen wir induktiv.
n = 1 ist klar.
n + 1 : Sei xn+1 < y n+1 . Annahme x ≥ y. Dann ist x−1 ≤ y −1 und daher xn < x−1 y n+1 ≤
y −1 y n+1 = y n . Mit der Induktionsvoraussetzung folgt x < y .
Damit folgt die Eindeutigkeitsaussage so: Ist x 6= y, so können wir o.E. annehmen x < y . Dann
ist xn < y n und xn = a = y n ist nicht möglich.
Zur Existenz. Betrachte A := {x ∈ R|x ≥ 0, xn < a}. A ist nichtleer, da offenbar 0 in A ist. 1 + a
ist eine obere Schranke von A, denn:
Sei x ∈ A. Dann ist auf Grund der Bernoullischen Ungleichung xn < a < 1 + na < (1 + a)n und
es folgt aus der Überlegung zur Eindeutigkeit x < 1 + a daraus. Also existiert x := sup A . Klar,
x > 0 . Wir behaupten xn = a .
Annahme: xn < a . Für m ∈ N gilt
1 n
1 n n−1
1 n
1
1 n n−2
n
(x + ) = x +
x
+ ··· + n
≤ xn + ξ
x
+ 2
m
m 1
m 2
m n
m
mit ξ > 0, wobei ξ von m unabhängig ist, und aus Folgerung 5.3.2 (2) wissen wir, dass m so
1 n
gewählt werden kann, dass ξ < m(a − xn ) gilt. Mit diesem m erhalten wir also (x + m
) < a,
1
und daher x + m ∈ A im Widerspruch zur Eigenschaft von x als kleinste obere Schranke von A .
Annahme: xn > a . Sei m ∈ N mit m > x−1 . Dann ist
x − m−1 > 0 , t := −
1
≥ −1 .
mx
Aus der Bernoullischen Ungleichung 5.3.4 folgt
(x −
1 n
1 n
n
) = xn (1 −
) ≥ xn (1 −
)
m
mx
mx
und wir haben
(x −
1 n
) > a,
m
74
nxn
ist, was nach Folgerung 5.3.2 (2) möglich ist. Dann haben
x(xn − a)
1 n
wir (x − m
) > a. Da aber x die kleinste obere Schranke von A ist, muss es y ∈ A geben mit
wenn zusätzlich m > α :=
0<x−
1
≤ y ≤ x,
m
1 eine obere Schranke von A . Dann folgt aber
denn sonst wäre x − m
y n ≥ (x −
1 n
) > a und y < a,
m
was sich widerspricht.
Wir führen die n–te Wurzel4 ein: Für a ≥ 0 setzen wir
√
n
a := x mit x ≥ 0, xn = a .
√
√
Bei n = 2 schreiben wir kurz a und nennen a eine Quadratwurzel von a .
Beachte: Die Behandlung von Wurzeln aus negativen Zahlen ist nicht einheitlich. Es gilt beispielsweise (−2)3 = −8 und - 2 ist die einzige reelle Zahl, deren dritte Potenz −8 ist.
Beispiel 5.3.8 Aus der Babylonischen Kultur (∼ 1000 v. Chr.) gibt es eine Kleietafel, die belegt,
dass derjenige, der sie beschriftet hat, wusste, dass das Verhältnis von Diagonale und Seite im
Quadrat gleich“
”
51
10
24
+
+
1+
60 60 · 60 60 · 60 · 60
√
17
ist; eine erstaunlich gute Näherung für 2. Die übliche Näherung zu dieser Zeit war 1+ 25
60 = 12 ,
eine √
Näherung, die wir nun entlang von Überlegungen der Babylonier ableiten. Sie geben für
z := a2 + b2 die Näherung z̃ gemäß
b2
(5.3)
z̃ = a +
2a
an. Man kann diese Formel so finden: Wenn b2 relativ zu a2 klein ist, betrachte man a als guten
Näherungswert für z und verbessere ihn mit dem Korrekturterm d gemäß
!
a2 + b2 = z 2 = (a + d)2 = a2 + 2ad + d2 .
b2 und daher
Bei Vernachlässigung von d2 ergibt sich d = 2a
z̃ = a + d = a +
b2
1
z2
= (a + )
2a
2
a
(5.4)
als neue Näherung. Diese Formel ist bekannt als Verfahren von Heron.5 Etwa ergibt dies für z
mit z 2 = 2 mit der Ausgangsnäherung a = 1 sukzessive
z̃ = 1 +
3
17
577
1
= , z̃ =
, z̃ =
= 1.4142156 . . . .
2
2
12
408
√
stammt von dem kleinen Buchstaben r ab und steht für radizieren. Er wurde erstmalig
Das Operatorsymbol
1525 vom deutschen Mathematiker Christoph Rudolff verwendet.
5
Heron (um 75)
4
75
Die Funktionen der Form
fn : [0, ∞) −→ [0, ∞), x 7−→
heißen Wurzelfunktionen.
√
n
x ∈ R (n ∈ N)
Bemerkung 5.3.9 Zwischen Q und R gibt es viele“ Körper, aber keiner dieser dazwischen
”
liegenden Körper kann angeordnet sein und dem Vollständigkeitsaxiom genügen.
Nun können wir die bei wissenschaftlichen Rechnungen so nützlichen Mittelbildungen einführen.
Zu x1 , . . . , xn ∈ R, x1 > 0, . . . , xn > 0, sei definiert:
1 (x + · · · + x )
Arithmetisches Mittel: A(x1 , . . . , xn ) := n
1
n
√
Geometrisches Mittel: G(x1 , . . . , xn ) := n x1 · · · · · xn
n
Harmonisches Mittel: H(x1 , . . . , xn ) := 1
1
+ ··· +
x1
xn
Man kann zeigen:
H(x1 , . . . , xn ) ≤ G(x1 , . . . , xn ) ≤ A(x1 , . . . , xn )
(5.5)
und wir haben Gleichheit in (5.5) genau dann, wenn x1 = · · · = xn ist. Wir verzichten auf den
Beweis.
5.4
Folgen, Reihen und ihre Konvergenz
Wir wollen nun Folgen reeller Zahlen studieren, wir sprechen kurz von Zahlenfolgen. Dabei soll
eine Folge die Kurzschreibweise für die Tatsache sein, dass zu jeder natürlichen Zahl n ∈ N
genau eine Zahl in R gegeben ist. Also können wir eine Zahlenfolge auch als eine Abbildung
f : N ∋ n 7−→ f (n) ∈ K
auffassen, wobei wir statt f (n) die Schreibweise zn := f (n) vorziehen; zn heißt das n–te Folgenglied. Damit haben Folgen reeller Zahlen (bei uns) folgendes Aussehen:
(zn )n∈N .
Beachte, dass wir damit auch wissen, wann zwei Folgen (zn )n∈N , (yn )n∈N gleich sind: Sie sind
gleich genau dann, wenn die dahinter sich verbergenden Abbildungen gleich sind:
zn = yn für alle n ∈ N.
Etwa stellt die Folge (n)n∈N eine etwas ungewöhnliche Aufzählung der natürlichen Zahlen dar,
1)
die Folge ( n
n∈N eine Aufzählung der Stammbrüche.
Bezeichnung: Man nennt die Folge ((1 + q)n z)n∈N aus Beispiel 5.3.5 oder allgemeiner
(p, z ∈ R) eine geometrische Folge. Das schnelle Wachstum einer solchen Folge
für p = 2 beobachtet man etwa bei der nuklearen Kettenreaktion.
(pn z)n∈N
Manchmal veranschaulichen wir uns die reellen Zahlen als Punkte einer Zahlengeraden mit
Ursprung 0. Zur Vorstellung der reellen Zahlen als Punkte der Zahlengeraden passt die Begriffsbildung Intervall“. Zu a, b ∈ R setzen wir
”
[a, b] := {x ∈ R|a ≤ x ≤ b} Abgeschlossenes Intervall
[a, b) := {x ∈ R|a ≤ x ≤ b} Halboffenes Intervall
(a, b] := {x ∈ R|a < x ≤ b} Halboffenes Intervall
(a, b) := {x ∈ R|a < x < b} Offenes Intervall mit Randpunkten a, b
76
Diese Intervalle liefern uns eine lokale
Betrachtungsweise der reellen Zahlengeraden. Wir sagen, dass x ∈ R in einer
Umgebung von y ∈ R liegt, wenn es
ǫ > 0 gibt mit
a
y- ε
b
x
y-e
y
x ∈ (y − ǫ, y + ǫ) .
Dabei haben wir natürlich“ kleine ǫ
”
im Auge. Aber gibt es eigentlich kleiAbbildung 5.2: Die Lupe auf der Zahlengerade
”
ne“ Zahlen, d.h. solche Zahlen, die na”
he“ bei 0 liegen? Dies haben wir in Folgerung 5.3.2 beantwortet.
Setze

 −1
sign(x) :=
0

1
, falls x < 0
, falls x = 0
, falls x < 0
, |x| :=
x
−x
, falls x ≥ 0
.
, falls x < 0
Man nennt sign(x) das Vorzeichen von x und |x| den Betrag von x. Offenbar gilt |x| =
sign(x) · x .
Lemma 5.4.1 Seien x, y ∈ R. Dann ist |x| ≤ |y| genau dann, wenn x ≤ |y| und −x ≤ |y| gilt.
Beweis:
Ist x ≥ 0, dann ist −x ≤ x = |x| ≤ |y| . Ist x < 0, dann ist x < −x = |x| ≤ |y| . Daraus liest
man alles ab.
Lemma 5.4.2 Seien x, y ∈ R. Es gilt:
(1) |x| = 0 ⇐⇒ x = 0 .
(Definitheit)
(2) |xy| = |x||y| .
(Homogenität)
(3) |x + y| ≤ |x| + |y| .
(Dreiecksungleichung)
Beweis:
(1) und (2) sind einfach nachzurechnen. Zu (3)
Wegen x ≤ |x|, y ≤ |y| folgt x + y ≤ |x| + |y|. Wegen −x ≤ |x|, −y ≤ |y| folgt −(x + y) ≤ |x| + |y|.
Daraus folgt |x + y| ≤ |x| + |y| mit Lemma 5.4.1 .
Die Eigenschaften (1), (2), (3) aus Lemma 5.4.2 belegen, dass es sich bei der Betragsfunktion
R ∋ x 7−→ |x| ∈ R
um eine Abstandsfunktion handelt: |x| stellt den Abstand von x zum Ursprung 0 der Zahlengeraden dar.
Die Dreiecksungleichung können wir auch so einsehen: Liegt der Ursprung 0 zwischen x und
y, so gilt |x − y| = |x − 0| + |y − 0|, anderenfalls |x − y| < |x − 0| + |y − 0|, also insgesamt
|x − y| ≤ |x| + |y| ; Anwendung auf −y ergibt die Dreiecksungleichung, da | − y| = |y| ist.
Folgerung 5.4.3 Seien x, y ∈ R. Es gilt:
| |x| − |y| | ≤ |x − y| .
77
Beweis:
Wir haben mit Lemma 5.4.2
|x| = |(x − y) + y| ≤ |x − y| + |y|, also |x| − |y| ≤ |x − y| ,
|y| = |(y − x) + x| ≤ |y − x| + |x|, also |y| − |x| ≤ |x − y| .
Daraus liest man die Aussage mit Lemma 5.4.1 ab.
Folgerung 5.4.4 Betrachte eine geometrische Folge (q n x)n∈N mit x ∈ R, x 6= 0, q ∈ R . Es gilt:
(a) Ist |q| > 1, dann ist {q n x|n ∈ N} unbeschränkt.
(b) Ist |q| < 1, dann gibt es zu jedem ǫ > 0 ein N ∈ N mit |q n x| < ǫ für alle n ∈ N, n ≥ N.
Beweis:
Zu (a) : Da |q| > 1 gilt, gibt es h > 0 mit |q| = 1 + h. Es folgt für n ∈ N
|q n x| = |x||q|n = |x|(1 + h)n ≥ |x|(1 + nh) > |x|nh.
Da die Folge der natürlichen Zahlen unbeschränkt ist, ist die Aussage bewiesen.
Zu (b) : Es ist 1 > 1, also 1 = 1 + h mit h > 0. Es folgt für n ∈ N
|q|
|q|
1
1
1
1 |x|
1
=
(1 + h)n ≥
(1 + nh), d.h. |q n x| ≤
|x| ≤
.
|q x|
|x|
|x|
1 + nh
n h
n
1 < h ǫ (siehe Folgerung 5.3.2). Damit verifiziert man die Aussage (b)
Wähle N ∈ N mit N
|x|
wegen
1
1
1
>
>
> ···
n
n+1
n+2
Die obigen Beobachtungen kündigen die Begriffe Konvergenz von Folgen“ und Grenzwerte
”
”
von Folgen“ an. Sie sind die erfolgreiche Ausformulierung des Unendlichen (unendlich klein,
unendlich groß) als mathematischer Begriff.
Definition 5.4.5 Eine Zahlenfolge (xn )n∈N heißt konvergent, wenn6
∃x ∈ K ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N ∀n ≥ N (|xn − x| < ǫ)
gilt. Die Zahl x ∈ K heißt Grenzwert von (xn )n∈N und wir schreiben x = lim xn .
n
In der Definition 5.4.5 ist offen geblieben, ob ein Grenzwert x einer Folge (xn )n∈N eindeutig
bestimmt ist. Dies ist so: der Grenzwert einer Folge ist eindeutig bestimmt.
1)
Beispiel 5.4.6 Wir behaupten, dass die Folge der Stammbrüche ( n
n∈N gegen Null konvergiert.
1
Sei ǫ > 0. Wähle N ∈ N mit N < ǫ gemäß Folgerung 5.3.2. Dann gilt | n1 − 0| = n1 ≤ N1 < ǫ für
n≥N.
Die Folge (q n )n∈N konvergiert für |q| < 1 gegen Null; dazu haben wir nur Folgerung 5.4.4 anzuwenden.
6
Erstmals wurde diese Definition von d’Alembert 1765 gegeben.
78
Folgerung 5.4.7 Ist die Folge (xn )n∈N konvergent, so ist die Menge {xn |n ∈ N} beschränkt.
Beweis:
Sei x = lim xn . Sei ǫ := 1. Dazu gibt es n ∈ N mit |xn − x| < 1 für alle n ∈ N, d.h. |xn | ≤ 1 + |x|
n
für n ≥ N . Sei a ≥ 0 mit |xj | ≤ a , 1 ≤ j ≤ N. Dann gilt |xn | ≤ a + 1 + |x| für alle n ∈ N .
Definition 5.4.8 Sei (xn )n∈N eine reelle Folge.
(a) (xn )n∈N heißt monoton wachsend bzw. monoton fallend, falls gilt:
xn ≤ xn+1 für alle n ∈ N bzw. xn ≥ xn+1 für alle n ∈ N .
(b) (xn )n∈N heißt monoton, falls (xn )n∈N monoton wachsend oder monoton fallend ist.
Satz 5.4.9 Eine reelle Folge (xn )n∈N , die beschränkt und monoton ist, ist konvergent und es
gilt limn xn = sup{xn |n ∈ N} .
Beweis:
Sei (xn )n∈N eine monoton wachsende beschränkte reelle Folge. Also xn ≤ xn+1 ≤ b, n ∈ N, mit
b ∈ R . Es existiert x := sup{xn |n ∈ N} und wir haben x ≤ b . Wir zeigen x = limn xn .
Sei ǫ > 0. Wähle N ∈ N mit x − ǫ < xN ≤ x . Dann gilt für n ≥ N x − ǫ < xN ≤ xn ≤ x < x + ǫ
für n ≥ N, also |xn − x| < ǫ.
Beispiel 5.4.10 Betrachte die Folge ((1 + n1 )n )n∈N . Wir wollen unter Zuhilfenahme von Satz
5.4.9 die Konvergenz zeigen. Wir haben auf Grund des geometrischen Mittels für x ≥ −n, x 6= 0 ,
r
1
x
n+1
(1 + )n · 1 <
(n + 1 + x) .
n
n+1
Nun betrachten wir
an := (1 +
1
1
1
1 n
) , bn := (1 − )n , cn := (1 + )n+1 = an (1 + ) , n ∈ N ,
n
n
n
n
und wir folgern mit den Ungleichungen (5.5)
an ≤ an+1 , bn ≤ bn+1 , n ∈ N ,
und damit auch
cn =
1
(1 −
1 n+1
n+1 )
≥
1
(1 −
1 n+2
n+2 )
= cn+1 , n ∈ N .
Da offenbar
0 ≤ cn ≤ c1 ≤ 4 , 0 ≤ an ≤ cn ≤ 4 , n ∈ N
gilt, folgt nun mit Satz 5.4.9, dass (an )n∈N , (cn )n∈N konvergieren und dass e := limn an = limn cn
gilt. Diese Zahl e heißt eulersche Zahl. Es gilt e = 2.71828 . . . .
Definition 5.4.11 Eine Zahlenfolge (xn )n∈N heißt Cauchyfolge genau dann, wenn
∀ǫ > 0 ∃N ∈ N ∀m, n ≥ N (|xm − xn | < ǫ)
gilt.
79
Folgerung 5.4.12 Sei (xn )n∈N eine Zahlenfolge. Es gilt:
(a) Ist (xn )n∈N eine Cauchyfolge, dann ist (xn )n∈N beschränkt.
(b) Ist (xn )n∈N eine konvergente Folge, dann ist (xn )n∈N eine Cauchyfolge.
Beweis:
Zu (a): Sei ǫ > 0 . Wähle dazu N ∈ N mit |xm − xn | < ǫ , m, n ∈ N . Sei b ∈ R mit |xm | ≤
b , 1 ≤ m ≤ N . Dann gilt |xn | ≤ |xn − xN | + |xN | ≤ ǫ + b für n ≥ N und |xn | ≤ b ≤ ǫ + b für
1≤n≤N.
Zu (b): Sei x := limn xn . Sei ǫ > 0 . Wähle N ∈ N mit |xn − x| < 2ǫ , n ≥ N . Für m, n ≥ N gilt
dann |xm − xn | ≤ |xm − x| + |x + xn | < 2ǫ + 2ǫ = ǫ .
Definition 5.4.13 (xnk )k∈N heißt Teilfolge der Zahlenfolge (xn )n∈N , wenn die Folge (nk )k∈N
eine streng monoton wachsende Folge ist, d.h. wenn nk < nk+1 , k ∈ N , gilt.
Satz 5.4.14 (Cauchykriterium) Sei (xn )n∈N eine Zahlenfolge. Dann sind äquivalent:
(a) (xn )n∈N ist konvergent.
(b) (xn )n∈N ist eine Cauchyfolge.
Beweis:
(a) =⇒ (b) : Siehe Folgerung 5.4.12.
(b) =⇒ (a) : Sei A := {m ∈ N|xn < xm für n > m} . Ist #A = ∞ und A = {mk |k ∈ N}, so
ist (xmk )k∈N eine monoton fallende Teilfolge. Ist #A < ∞, so gibt es eine monoton wachsende
Teilfolge. Da die gesamte Folge (xn )n∈N beschränkt ist (siehe Folgerung 5.4.12), besitzt nun
(xn )n∈N eine konvergente Teilfolge (xnk )k∈N nach Satz 5.4.9; sei x := limk xnk . Wir zeigen, dass
die gesamte Folge gegen x konvergiert. Sei ǫ > 0 . Wähle N ∈ N mit |xm −xn | < 2ǫ für alle m, n ≥
N und |xN − x| < 2ǫ . Dann gilt für n ≥ N
|xn − x| ≤ |xn − xN | + |xN − x| <
ǫ
ǫ
+ = ǫ.
2 2
Das Cauchykriterium hat bei der Konvergenzanalyse eine nicht gering einzuschätzende Bedeutung: Man kann damit Konvergenz einer Folge nachweisen, ohne den Grenzwert zu kennen.
Hat man einmal Konvergenz gezeigt, so kann man oft den Grenzwert andersweitig ermitteln;
siehe Beispiel 5.4.20.
Folgerung 5.4.15 (Satz von Bolzano–Weierstraß) Jede beschränkte Zahlenfolge besitzt eine konvergente Teilfolge.
Beweis:
Dies ist aus dem ersten Teil des Beweises (b) =⇒ (a) zu Satz 5.4.14 abzulesen.
Bisher haben wir ausser den speziellen Beispielen
1
(q n )n∈N (|q| < 1) , ( )n∈N
n
explizit keine konvergenten Folgen kennengelernt. Die obigen Rechenregeln gestatten es, neue
konvergente Folgen zu konstruieren bzw. zu analysieren, etwa:
r
n
n
1
n
1
1
= 1 ; lim
)n∈N : lim
= lim
= 1.
( 2 )n∈N : lim 2 = 0 ; (
1
n
n n
n n+1
n 1+
n
n+1
n+1
n
80
Bemerkung 5.4.16 Nachdem wir nun die Konvergenz von Folgen kennengelernt haben, können
wir erläutern, was es mit der Vervollständigung reeller Zahlen mittels Intervallschachtelung
auf sich hat. Seien (an )n∈N , (bn )n∈N Zahlenfolgen und sei (an )n∈N monoton wachsend und (bn )n∈N
monoton fallend, an ≤ bn für alle n ∈ N . Bildet dann die Differenzfolge (bn −an )n∈N eine Nullfolge, so wird die Folge (Jn )n∈N der Intervalle Jn := [an , bn ] als Intervallschachtelung bezeichnet.
Es gilt nun, dass es für jede Intervallschachtelung rationaler Zahlen höchstens eine rationale
Zahl x gibt, die in allen Intervallen enthalten ist, die also an ≤ s ≤ bn für alle n ∈ N erfüllt.
Es stimmt aber nicht, dass jede Intervallschachtelung rationaler Zahlen mindestens eine rationale Zahl x enthält. Um eine solche Eigenschaft zu erhalten, muss man daher die Menge der
rationalen Zahlen zur Menge der reellen Zahlen erweitern. Dazu sagt man, jede Intervallschachtelung definiere eine wohlbestimmte reelle Zahl, also x := (Jn )n∈N . Dies ersetzt dann unser
Vollständigkeitsaxiom.
n
P 2
j ) , n ∈ N . Man sollte sich
Beispiel 5.4.17 Betrachte die Folge (xn )n∈N mit xn := 13 (
n j=1
durch die Rechenregeln nicht dazu verleiten lassen, aus
12 + 22 + · · · + n2
12
22
n2
=
+
+
·
·
·
+
n3
n3 n3
n3
auf den Grenzwert 0 zu schließen, denn die Anzahl der Summanden ist nicht fest, sondern hängt
auch von n ab. Vielmehr haben wir
lim xn = lim
n
n
1
n(n + 1)(2n + 1)
= ;
3
3
6n
beachte dabei (Beweis durch vollständige Induktion)
n
X
j=1
j2 =
n(n + 1)(2n + 1)
.
6
(5.6)
√
Beispiel 5.4.18 Es gilt limn n a = 1 für a > 0 .
Für a = 1 ist das Resultat offensichtlich. Das Resultat für a ∈ (0, 1) folgt aus dem Resultat für
a > 1 aus den Rechenregeln. Sei also nun a > 1 . Dann haben wir
√
√
1 < an < an+1 , also auch 1 < n+1 a < n a , n ∈ N ,
√
durch Ziehen der n(n + 1)−ten Wurzel. Also ist die Folge ( n a)n∈N monoton fallend und nach
√
√
unten beschränkt, also konvergent. Sei x := lim n a . Dann gilt auch x := lim 2n a und mit den
n
n
Rechenregeln liest man aus
√
√
√
√
2n
2n
a2 = n a , n ∈ N ,
a · 2n a =
√
x2 = x ab. Da stets n a > 1 gilt, kommt nur x = 1 in Frage.
√
Beispiel 5.4.19 Es gilt limn n n = 1, denn mit Hilfe der arithmetisch–geometrischen Ungleichung folgt
q
√
√
1 √
2
2
n √
n
n · n · 1 · · · · · 1 < (2 n + n − 2) = √ + 1 − .
1≤ n=
n
n
n
81
Beispiel 5.4.20 Sei die Folge (xn )n∈N induktiv durch
x1 := 1 , xn+1 :=
1
,n ∈ N,
1 + xn
definiert. Wir haben:
a) 21 ≤ xn ≤ 1 , n ∈ N . Induktiv:
n = 1 : Klar
n + 1 : Aus xn+1 = 1 +1 x und der Induktionsvoraussetzung folgt 21 ≤ xn+1 ≤ 1 .
n
b) Mit den Abschätzungen aus a) folgt für alle n, k ∈ N , dass
|xn+k+1 − xn+1 | = |
1
1
|xn+k − xn |
4
−
|=
≤ |xn+k − xn |
1 + xn+k
1 + xn
|1 + xn+k ||1 + xn |
9
gilt: Mittels vollständige Induktion folgt:
4
4
|xn+k+1 − xn+1 | ≤ ( )n |xk − x1 | ≤ ( )n .
9
9
Dies zeigt, dass eine Cauchyfolge vorliegt.
Da diese Folge nun konvergiert, etwa gegen x, so folgt aus den Rechenregeln für Grenzwerte
x=
1
d.h. x2 + x − 1 = 0,
1+x
für den Grenzwert x . Die Lösungen dieser Gleichung sind gegeben durch
√
√
1
1
x := (−1 + 5) , y := (−1 − 5) .
2
2
Da offenbar xn > 0 für alle n ∈ N gilt, kann y als Grenzwert nicht in Frage kommen.7
Gegeben sei eine Zahl a > 0 . Wir suchen eine Zahl x, so dass gilt x · x = a . Anders ausgedrückt, wir suchen die Quadratwurzel aus a . Geometrisch gesehen ist die Quadratwurzel von a,
also unser eben definiertes x, die Lösung für das folgende Problem:
Ein quadratischer Platz soll erstellt werden, der genau die Fläche a hat. Welche
Seitenlänge hat das Quadrat?
Wenn man die Quadratwurzel zieht, hat man die Lösung. Die Babylonier gingen den geometrischen Weg: Man beginnt mit einer Näherung und verbessert diese Näherung geeignet. Was
ist eine Näherung? Offenbar hat das Rechteck mit den Seitenlängen 1 und a die Fläche a . Wie
kommt man von einer Näherung zu einer besseren“ Näherung? Wenn die Näherung y größer als
”
√
Die Zahl x := 12 (1 + 5) ist eine der aufregendsten Zahlen der Mathematik. Sie ist bekannt als eine Zahl, die
im goldenen Schnitt (göttliche Teilung) von Bedeutung ist:
Teilt der Punkt X die Strecke AB so, daß für die Längen |AB|, |AX|, |XB| der entstehenden Strecken AB, AX, XB
7
|AB| : |AX| = |AX| : |XB|
gilt, dann ist für |AB| = 1
1
(−1
2
√
|AB| : |AX| = |AX| : |XB| = x
+ 5) . Dieses Teilverhältnis wird seit der Antike als besonders ausgewogen empfunden. Die
und |AX| =
Kantenlängen von Büchern etwa stehen oft in diesem göttlichen“ Teilverhältnis. Man findet dieses Teilverhältnis
”
auch im regelmäßigen Fünfeck als Verhältnis, in dem sich zwei sich schneidende Diagonalen teilen.
82
√
a ist, ist a/y offenbar kleiner als
als arithmetisches Mittel von
√
a, und umgekehrt. Also liegt es nahe, die nächste Näherung
y und
a
y
zu bestimmen. Dies führt zur rekursiven Rechenvorschrift
a
1
, n ∈ N0 ,
x0 := 1, y0 := a , xn+1 := (xn + yn ), yn+1 :=
2
xn+1
oder
a
1
) , n ∈ N0 .
x0 := 1 , xn+1 := (xn +
2
xn
Es ist zu zeigen, dass die so konstruierte Folge (xn )n∈N0 als Grenzwert die Quadratwurzel aus a
hat. Dazu zeigt man
1. Die Folge (xn )n∈N ist monoton fallend.
√
2. Die Folge ist durch a nach unten beschränkt.
Damit folgt dann mit Satz 5.4.9, dass die Folge einen Grenzwert besitzt. Deser Grenzwert kann
auf Grund der Rechenvorschrift und der Rechenregeln für Grenzwerte nur eine Lösung der
Gleichung
1
a
x = (x + )
2
x
√
sein; also x = + a , da alle xn positiv sind.
Die obigen Behauptungen folgen aus den Beobachtungen
√
√
x1 ≥ a ⇐⇒ ( a − 1)2 ≥ 0 ;
√
√
xn ≥ a ⇐⇒ ( a − xn )2 ≥ 0 ;
xn+1 ≤ xn
a ≤ x2n .
⇐⇒
√
Dieses Verfahren, Näherungen für a zu bestimmen, heisst das Heron-Verfahren. Wie gut
√
sind diese Näherungen? Dazu müssen wir xn mit a vergleichen. Wir haben
xn+1 −
√
a =
=
≤
√
a
1
(xn +
)− a
2
xn
√
1
(xn − a)2
2xn
√
1
√ (xn − a)2 .
2 a
Damit gilt für den relativen Fehler
xn+1 −
√
0≤
a
√
a
1
≤
2
√ 2
xn − a
√
.
a
(5.7)
In Worten ausgedrückt heißt dies, dass der relative Fehler quadratisch abnimmt: die Anzahl der
korrekten (Dezimal-)Stellen wird bei jedem Iterationsschritt verdoppelt.
83
5.5
Reihen
Viele Folgen (xn )n∈N sind von der Form
xn =
n
X
j=0
aj , n ∈ N ,
wobei (an )n∈N0 selbst wieder eine Folge ist. Mit diesem Spezialfall wollen wir uns nun beschäftigen.
Gründen Reihen und wir schreiben dafür
P∞ Solche Folgen nennen wir aus naheliegenden
Pn
j=0 aj . Wenn der Grenzwert s := lim
j=0 aj der Partialsummen existiert, so nennen wir
n
die Reihe konvergent und s ihren (Reihen–)Wert; wir schreiben dann auch
s=
∞
X
aj .
j=0
Wir schreiben das Cauchykriterium um für den Fall der Reihen; den Beweis dafür übergehen
wir (und überlassen wir dem Leser).
P
Satz 5.5.1 (Cauchykriterium) Sei ∞
j=0 aj eine Reihe. Dann sind äquivalent:
(a) Die Reihe ist konvergent.
(b) ∀ ε > 0 ∃ N ∈ N ∀ n ≥ m ≥ N (|
Pm
j=n aj |
≤ ε) .
Das wohl wichtigste Beispiel einer konvergenten Reihe ist die geometrische Reihe, d.h. die
Folge
n
X
qj , n ∈ N ,
(xn )n∈N mit xn :=
j=0
mit |q| < 1. Es gilt offenbar – belege dies mit vollständiger Induktion –
xn =
1 − q n+1
,n ∈ N.
1−q
Daraus schließt man wegen |q| < 1 sofort auf
lim xn =
n
1
.
1−q
Die geometrische Reihe dient häufig als Vergleichsreihe für zu untersuchende Reihen; siehe unten.
Beispiel 5.5.2 Wir betrachten die harmonische Reihe, d.h. die Folge (hn )n∈N , die beim Aufsummieren der Folge der Stammbrüche entsteht; also:
hn :=
n
X
1
j=1
j
, n ∈ N.
Diese Folge ist nicht konvergent, da sie nicht beschränkt ist, wie folgende Überlegung zeigt:
h2n
1
1 1
1 1 1 1
1
1
+ ( + ) + ( + + + ) + · · · + ( n−1
+ ··· + n)
2
3 4
5 6 7 8
2
+1
2
1
1 1
1
1
1
1
≥ 1 + + ( + ) + ( + ··· + ) + ··· + ( n + ··· + n)
2
4 4
8
8
2
2
n
1 1 1
1
= 1 + + + + ··· + = 1 + .
2}
2
|2 2 2{z
= 1+
n−mal
84
Folgerung 5.5.3 Betrachte die Reihe
∞
P
aj . Ist sie konvergent, so ist (an )n∈N eine Nullfolge.
j=0
Beweis:
∞
P
Sei ε > 0. Da
aj konvergent ist, gibt es wegen Satz 5.5.1 N ∈ N mit
j=0
|
n
X
j=0
aj −
m
X
j=0
aj | < ε , n, m ≥ N , also |an | < ε für alle n ≥ N .
Beachte, dass uns das Beispiel 5.5.2 lehrt, dass die Umkehrung von Folgerung 5.5.3 nicht gilt.
Ein hilfreiches Hilfsmittel für Konvergenzuntersuchungen bei Reihen ist das sogenannte Quotientenkriterium. Es beschreibt, wie man mit Hilfe der geometrischen Reihe die Konvergenz
einer vorgelegten Reihe untersuchen kann.
Satz 5.5.4 Betrachte die Reihe
∞
P
j=0
|
Dann ist die Reihe
∞
P
aj . Es gelte mit q ∈ [0, 1) :
an+1
| ≤ q für alle n ≥ N .
an
(5.8)
aj konvergent.
j=0
Beweis:
Man sieht sofort die Gültigkeit von
|an+1 | ≤ q|an | ≤ q 2 |an−1 | ≤ · · · ≤ q n+1−N |aN |
für alle n ≥ N . Also ist für m, n ≥ N , m ≥ n ,
|
n
X
j=0
aj −
m
X
j=0
aj | = |
m
X
j=n
aj | ≤ |an |
m
X
j=n
|aj | ≤
m
X
q j+1
j=n
und man liest nun mit Hilfe der Konvergenz der geometrischen Reihe die Konvergenz der Reihe
ab.
Die Idee des Beweises zu Satz 5.5.4 ist ein Majorantenprinzip.
Beispiel 5.5.5 Die Reihe
1
2
∞
P
xj ist konvergent nach Satz 5.5.4, denn es ist ja | xn+1 || n! | ≤
j!
(n + 1)! xn
j=0
für alle n ∈ N mit 2|x| ≤ n + 1 .
Definition 5.5.6 Für jedes x ∈ R heißt
exp(x) :=
∞
P
xj . Die Abbildung
j!
j=0
∞
P
xj das Exponential von x und wir schreiben
j!
j=0
R ∋ x 7−→ exp(x) ∈ R
heißt Exponentialabbildung.
85
Bemerkung 5.5.7 Wir haben die Zahl e := limn∈N (1 + n1 )n als eulersche Zahl kennengelernt.
Wegen
n n
n
X
1 n X n 1
(k + 1) · · · (n − 1)n X 1
(1 + ) =
=
≤
n
nk (n − k)!
k!
k nk
k=0
k=0
k=0
und
(1 +
1 1
1
2
n−1 1
1 n
) ≥ 1 + 1 + (1 − ) + · · · + (1 − )(1 − ) · · · (1 −
) für m > n
n
m 2!
m
m
m n!
stellen wir fest, dass e = exp(1) gilt.
Satz 5.5.8 Die eulersche Zahl e ist irrational.
Beweis:
Annahme: e = pq mit p, q ∈ N, p, q teilerfremd. Die Zahl
n
X
1
)
N := n!(e −
j!
j=0
p
ist eine ganze Zahl für n ≥ q, da n!e = n! q und n! (0 ≤ j ≤ n) ganze Zahlen sind. Andererseits
j!
ist
j
∞ ∞
X
X
1
1
1
1
n!
=
+
+ ··· <
= ,
0<N =
j!
n + 1 (n + 1)(n + 2)
n+1
n
j=n
j=n+1
was nicht möglich ist, wenn N eine ganze Zahl ist.
Wir schließen das Kapitel ab mit dem Beweis der Überabzählbarkeit der reellen Zahlen. Es
ist ein Beweis, der von Cantor ersonnen wurde und der die Deziamlabruchentwicklung reeller
Zahlen benutzt. Diese besagt insbesondere, dass jede reelle Zahl x in [0, 1] in der Form
x = 0.d1 d2 d3 . . . mit di ∈ {0, 1, . . . , 9}
geschrieben werden kann.
Satz 5.5.9 Die Menge der reellen Zahlen ist überabzählbar unendlich.
Beweis:
Nehmen wir an, die reellen Zahlen wären abzählbar, dann wären sicher auch die Zahlen im
Intervall [0, 1] abzählbar unendlich. Nehmen wir an, wir hätten eine Abzählung in Dezimalbruchschreibweise:
r1 = 0.r11 r12 r13 r14 . . .
r2 = 0.r21 r22 r23 r24 . . .
r3 = 0.r31 r32 r33 r34 . . .
..
.
. = ..
rn = 0.rn1 rn2 rn3 rn4 . . .
..
.
. = ..
Jetzt konstruieren wir eine reelle Zahl, die nicht in der obigen Aufzählung vorkommen kann.
Wenn s = 0.s1 s2 s3 s4 . . . in Dezimalschreibweise gegeben ist, dann soll si = (rii + 1) mod 10
sein. Mit dieser Definition gilt si 6= rii für alle i und damit s 6= rn für alle n im Widerspruch
dazu, dass wir eine Aufzählung hatten.
86
5.6
1.)
Übungen
Betrachte die Menge
A := {(n − 10)2 |n ∈ N} .
Man gebe – mit Begründung – Supremum, Infimum, Maximum, Minimum von A an,
falls sie existieren.
Hinweis: Ein Maximum (Minimum) ist ein Supremum (Infimum) einer Menge, das zur
Menge gehört.
2.)
Ermittele, ob die Menge
A := {2−m + n−1 |n, m ∈ N}
ein Supremum, Infimum, Maximum und Minimum hat, und bestimme gegebenenfalls
den genauen Wert (mit Beweis).
Hinweis: Ein Maximum (Minimum) ist ein Supremum (Infimum) einer Menge, das zur
Menge gehört.
3.)
Berechne den Grenzwert x der Folge (xn )n∈N , wobei
√
√
xn := n + 1 − n , n ∈ N .
4.)
Sei A := { n2 + 1 |n ∈ N}. Zeige: A ist nach unten beschränkt und inf A = 0.
n +3
5.)
Zeige für a, b ∈ R : max{a, b} = 12 (a + b + |a − b|) , min{a, b} = 21 (a + b − |a − b|)
6.)
Beweise folgende Aussage (Archimedische Eigenschaft der reellen Zahlen):
∀x ∈ R, x > 0 ∀y ∈ R ∃n ∈ N (nx > y)
Hinweis: N ist nicht nach oben beschränkt.
7.)
1 |a ∈ A}.
Sei A eine Teilmenge von R mit a > 0 für alle a ∈ A. Setze A1 := { a
Zeige: Ist inf A > 0, so ist sup A1 = (inf A)−1 .
8.)
Man untersuche die Folgen
(
2
1
4n + 1
(n + 1)(n2 − 1)
n n
)
,
(
+
(−1)
)
,
(
)n∈N
n∈N
n∈N
5n
(2n + 1)(3n2 + 1)
n2
n2 + 1
auf Konvergenz und bestimme gegebenenfalls den Grenzwert.
9.) Beweise: limn (1 − 12 )n = 1.
n
Hinweis: Bernoullische Ungleichung.
√
10.) (a) Beweise: limn n np = 1 für p ≥ 0 .
(b) Beweise: limn np q n = 0 für p ≥ 1, |q| < 1 .
11.) Betrachte für n ∈ N dn :=
(a)
nn
en n!
und gn := ndn . Beweise:
(dn )n∈N ist monoton fallend, (gn )n∈N ist monoton wachsend.
(b) ( ne )n e < n! < n( ne )n e
87
(5.9)
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