Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der

Werbung
Die Herausgeber: Frank Decker ist Professor für Politische Wissenschaft an der Rheinischen
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn,
Eckhard Jesse ist Professor für Politische Systeme, Politische Institutionen an der Technischen
Universität Chemnitz.
Decker | Jesse [Hrsg.]
Durch die Pluralisierung der Parteienlandschaft ist die Zahl der möglichen Koalitionsformate
in der Bundesrepublik gestiegen. Der Band analysiert die verschiedenen Szenarien der
Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2013. Dabei werden auch Erfahrungen aus
anderen europäischen Ländern berücksichtigt.
Parteien und Wahlen
l4
Die deutsche Koalitionsdemokratie
vor der Bundestagswahl 2013
Frank Decker | Eckhard Jesse [Hrsg.]
Die deutsche Koalitionsdemokratie
vor der Bundestagswahl 2013
4
ISBN 978-3-8329-7728-3
Nomos
BUC_Decker_7728-3.indd 1
03.06.13 09:04
http://www.nomos-shop.de/19454
„Parteien und Wahlen“ – so der Titel der Reihe – sind zentral für die politische
Willensbildung. Bei Wahlen entscheiden Bürgerinnnen und Bürger darüber, wem
sie die politische Führung anvertrauen. Wahl heißt allerdings immer: Herrschaft
auf Zeit. Und Wahl heißt auch: Auswahl. Eine repräsentative Demokratie be­nötigt
Parteien als Mittler zwischen der Bevölkerung und der Regierung. Diese dienen
der politischen Führungsauslese, wollen politische Verantwortung übernehmen
und sollen unterschiedliche Interessen artikulieren. Sie selbst sind dem Postulat
der innerparteilichen Demokratie verpflichtet. Bei aller Kritik an ihnen: Eine
demokratische Alternative zu ihnen gibt es nicht.
In dieser Reihe sollen Bücher mit einschlägigem Inhalt veröffentlicht werden:
Monographien und Sammelbände. Dabei kann es sich um Themen handeln,
denen grundlegende oder denen aktuelle Relevanz zukommt. Das Spektrum ist
weit gespannt. Es reicht von Wahlanalysen über Studien zum Parteien­system
oder zu einzelnen Parteien. Auch die lange vernachlässigte Koalitionsforschung
findet Berücksichtigung. Gleiches gilt für die Parlamentarismus- und die Wahlsystemforschung. Die Herausgeber wollen wichtige Analysen im Umkreis der
Themen Parteien und Wahlen einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen. Parteien­
kritik und alternative Partizipationsformen als Herausforderungen für die
­Parteiendemokratie gehören dazu. Möge dieses Themenspektrum auf Interesse
bei einem größeren Leserkreis stoßen: bei interessierten Beobachtern der Politik,
bei Multiplikatoren der politischen Bildung und bei der Wissenschaft.
Parteien und Wahlen
herausgegeben von
Prof. Dr. Eckhard Jesse, Technische Universität Chemnitz
Prof. Dr. Roland Sturm, Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Band 4
BUT_Decker_7728-3.indd 2
29.04.13 14:30
http://www.nomos-shop.de/19454
Frank Decker | Eckhard Jesse [Hrsg.]
Die deutsche Koalitionsdemokratie
vor der Bundestagswahl 2013
Parteiensystem und Regierungsbildung im
internationalen Vergleich
Nomos
BUT_Decker_7728-3.indd 3
29.04.13 14:30
http://www.nomos-shop.de/19454
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8329-7728-3
1. Auflage 2013
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der
Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
BUT_Decker_7728-3.indd 4
29.04.13 14:30
http://www.nomos-shop.de/19454
Inhalt
Koalitionslandschaft im Wandel? Eine Einführung
Frank Decker/Eckhard Jesse
9
Theorie
Sinkt der Einfluss der Wähler auf die Koalitionsbildung? Acht Thesen
zur deutschen Koalitionsdemokratie auf dem Wählermarkt
Karl-Rudolf Korte
37
Koalitionsbildung unter Wahrung der Markenkerne? Die These der
politischen Horizonte
Paul V. Warwick
57
Koalitionssignale – ein von der Koalitionstheorie zu Unrecht
vernachlässigter Faktor?
Frank Decker
75
Vorstufe der Koalitionsbildung oder strategisch-taktische
Wahlkampfinstrumente? Koalitionsaussagen vor Bundestagswahlen
Thomas Schubert
97
Wachhund oder Schoßhund? Die Rolle der Parteibasis bei der
Koalitionsbildung
Niko Switek
115
Koalitionen als politisches „Projekt“? Die rot-grüne und die schwarzgelbe Bundesregierung
Manuel Becker
139
5
http://www.nomos-shop.de/19454
Inhalt
Übergreifende Analysen
Regierungsbildung als Erfolgsgeschichte? Eine empirische Analyse
der deutschen Koalitionsdemokratie
Patrick Horst
161
Mythos oder Realität? Die koalitionspolitische Signalfunktion von
Bundespräsidentenwahlen
Frank Decker/Eckhard Jesse
193
Sind Länderkoalitionen präjudizierend für den Bund? Die
Interdependenz von Regierungsbildungen im föderalen System
Uwe Jun/Lasse Cronqvist
215
Woran scheitern Länderkoalitionen? Eine theoriegeleitete empirische
Analyse
Roland Sturm
241
Lohnt sich der Sprung über den Lagergraben? Existenz und Effekte
politischer Lager im bundesdeutschen Parteienwettbewerb
Marc Debus/Jochen Müller
259
Eine Alternative zu förmlichen Koalitionen? Minderheitsregierungen
auf dem Prüfstand
Stephan Klecha
279
Wie weiter nach dem Ende der Wunschkoalitionen? Institutionelle
Konsequenzen und Reformvorschläge
Volker Best
299
Die Koalitionsmodelle im Einzelnen
Schwarz-Gelb – Vergangenheit und Gegenwart, aber Zukunft?
Eckhard Jesse
323
Der Abschied von Köchen und Kellnern? Zum Verhältnis SPD und
Bündnis 90/Die Grünen
Lothar Probst
349
6
http://www.nomos-shop.de/19454
Inhalt
Realisierbare Koalitionsoption im Zeithorizont 2013/2017?
Perspektiven von Rot-Rot-Grün
Tim Spier
369
Welche Koalition sichert das Überleben? Bündnisaussichten der FDP
Hans Vorländer
389
Innovatives Projekt einer neuen Bürgerlichkeit? Schwarz-Grün als
neues Modell
Volker Kronenberg
405
Tatsächliche Union oder Quasi-Zweierkoalition? Das Bündnis von
CDU und CSU
Gerhard Hirscher
419
Wer profitiert von Großen Koalitionen? Öffentliche Wahrnehmung
und Wirklichkeit
Evelyn Bytzek
437
Europäischer Vergleich
Sonderfall unter den parlamentarischen Systemen?
Koalitionsregierungen in der V. französischen Republik
Adolf Kimmel
459
Eine „kontinentale Verirrung“? Koalitionsregierungen im Vereinigten
Königreich
Roland Sturm
479
Kontinuität trotz Transition? Koalitionsbildung in Italien
Stefan Köppl
499
Normale oder besondere Akteure der Koalitionspolitik? Die
Regierungsbeteiligung neuer Parteien in Mittel- und Osteuropa
Florian Grotz/Till Weber
521
Ein koalitionspolitisches Extrem? Regierungsbildung im hoch
fragmentierten Parteiensystem der Niederlande
Ton Nijhuis
543
7
http://www.nomos-shop.de/19454
Inhalt
Keine Alternativen zur Großen Koalition? Demokratischer Prozess
und Koalitionsbildung in Österreich
Ludger Helms/David M. Wineroither
561
Konkordanz in der Krise? Regierungskoalitionen in der Schweiz
Thomas Milic/Adrian Vatter
577
Abkehr vom Minderheitenparlamentarismus? Die skandinavischen
Koalitionsdemokratien
Sven Jochem
597
Literaturverzeichnis
619
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
657
Personenverzeichnis
663
Autorenverzeichnis
669
8
http://www.nomos-shop.de/19454
Koalitionslandschaft im Wandel? Eine Einführung
Frank Decker/Eckhard Jesse
1. Hauptfaktoren der Koalitionsbildung
In parlamentarischen Regierungssystemen wird der Zusammenhang zwischen
Wahlergebnissen und Regierungsbeteiligung bzw. ‑übernahme durch den faktischen Zwang zur Koalitionsbildung typischerweise durchbrochen. Stimmenverluste müssen deshalb nicht automatisch zum Verlust oder umgekehrt Stimmengewinne zum Erwerb von Regierungsmacht führen. In den für die allermeisten
Länder charakteristischen Vielparteiensystemen mit Verhältniswahlrecht kommt
es nur selten vor, dass eine Partei die absolute Mehrheit der Mandate erhält und
alleine regieren kann. Entweder wird eine Koalition aus zwei oder mehreren Parteien gebildet, oder eine Partei bzw. eine Koalition lässt sich von einer weiteren
Partei, die nicht in die Regierung eintreten möchte, als Minderheitsregierung
stützen bzw. dulden. Das Amt des Regierungschefs besetzt in einer Koalition im
Regelfall die stärkste Regierungspartei.
Das bedeutet nicht, dass diese Partei auch im Parlament die stärkste Kraft sein
muss. So konnten z.B. die Sozialdemokraten in der Bundesrepublik von 1969
bis 1972 und von 1976 bis 1982 die Regierung führen, obwohl sie hinter der
Union nur die zweitstärkste Fraktion stellten. Manche parlamentarische Demokratien sprechen den Regierungsauftrag stets der stärksten Partei zu, was aber
keine Garantie darstellt, dass diese eine Koalition auch zustande bringt. Für die
Häufigkeit und Dauer einer Regierungsbeteiligung ist in erster Linie die Position
einer Partei im Parteiensystem ausschlaggebend, nicht ihre Stärke. So war z.B.
die FDP auf der nationalen Ebene etwas länger an Regierungen beteiligt als die
im Schnitt viermal stärkere CDU/CSU (45 gegenüber 44 Jahre). Dabei profitierte
sie lange Zeit von ihrer Alleinstellung als dritte Kraft, die es ihr erlaubte, abwechselnd mit der einen und der anderen Volkspartei zu regieren.1 Die Kommunistische Partei Italiens, die in der Spitze über 30 Prozent der Stimmen erreichte,
blieb demgegenüber von einer förmlichen Regierungsbeteiligung zeitlebens ausgeschlossen.
Die Politikwissenschaft hat zwei Hauptfaktoren für die Bildung von Koalitionen identifiziert. Die Parteien schließen die Bündnisse danach einerseits zum Er1 Gleichwohl ist das oft gebrauchte Wort vom „Zünglein“ an der Waage unangebracht, da die
Liberalen ihre Koalitionspräferenzen in der Regel vor der Wahl offenleg(t)en.
9
http://www.nomos-shop.de/19454
Frank Decker/Eckhard Jesse
werb von Regierungsmacht und ‑ämtern (office-seeking), andererseits, um ihre
politikinhaltlichen Ziele durchzusetzen (policy-seeking). Beide Erklärungsansätze verhalten sich komplementär zueinander. So wie die Erlangung von Regierungsmacht Voraussetzung ist, um die Ziele zu erreichen, so darf das Regieren
umgekehrt nicht zum bloßen Selbstzweck erstarren, wenn die Legitimität des demokratischen Parteienwettbewerbs gewahrt und die Macht selbst gesichert werden soll. Die Hypothese der Koalitionstheorien, wonach die Bündnisse umso
eher zustande kommen, je knapper die von ihnen gehaltene Mehrheit ist und je
stärker die beteiligten Partner in ihren programmatischen Positionen übereinstimmen, wurden in empirischen Analysen wiederholt bestätigt. Wie die Analysen aber zugleich zeigten, bestimmen die office- und policy-bezogenen Faktoren
nur etwa die Hälfte der Varianz der Koalitionsbildung.2
Die office- und policy-bezogenen Erklärungsmodelle der Koalitionsbildung
lassen sich unmittelbar aus den Strukturen des Parteiensystems ableiten, die insofern den Ausgangspunkt aller koalitionsstrategischen Überlegungen bilden. Diese Strukturen werden wiederum von gesellschaftlichen wie von institutionellen
Faktoren geprägt, die zum Teil auch unabhängig auf die Koalitionsbildung einwirken. Als wichtigste institutionelle Faktoren sind zu nennen: die Regierungsform, der territoriale Staatsaufbau, das Wahlsystem und die politische Kultur. Es
versteht sich von selbst, dass diese Faktoren zahlreiche Wechselbeziehungen ergeben, die in die Analyse gleichfalls einbezogen werden müssen.3 Zudem stoßen
die office- und policy-bezogenen Theorien auch innerhalb eines gegebenen institutionellen Kontextes an Erklärungsgrenzen. Sie blenden z.B. schwer messbare
Faktoren wie persönliche Sympathie oder historische Vorbelastungen weitgehend aus, die sich am Ende für die Koalitionsbildung als ebenso wichtig oder
noch wichtiger erweisen könnten.
2. Koalitionsbildung im internationalen Vergleich
Weil die Faktoren, die die Koalitionsbildung bestimmen, in den nationalen politischen Systemen unterschiedlich ausgeprägt sind, lassen sich allgemeine Aussagen über Koalitionsbildungsmuster und daraus ableitbare Koalitionsstrategien
nur schwer treffen. So liegen z.B. die institutionellen und politisch-kulturellen
Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern weitgehend fest, und sie können
2 Vgl. Sabine Kropp/Suzanne S. Schüttemeyer/Roland Sturm, Koalitionen in West- und Osteuropa. Theoretische Überlegungen und Systematisierung des Vergleichs, in: dies. (Hrsg.),
Koalitionen in West- und Osteuropa, Opladen 2002, S. 7-41.
3 Vgl. Frank Decker, Koalitionsaussagen der Parteien vor Wahlen. Eine Forschungsskizze im
Kontext des deutschen Regierungssystems, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 40 (2009),
S. 431-453.
10
http://www.nomos-shop.de/19454
Koalitionslandschaft im Wandel? Eine Einführung
auf andere Länder nicht ohne weiteres übertragen werden. Stärkere Übereinstimmungen finden sich in der Entwicklung der Parteiensysteme. Deren Strukturen
sind zwar ebenfalls entscheidend von nationalen Bedingungen geprägt, werden
aber zugleich durch übergreifende ökonomische, soziale und kulturelle Tendenzen in eine vergleichbare Richtung gelenkt. Solche übergreifenden Tendenzen
hat es in allen historischen Phasen der Parteiensystementwicklung gegeben, doch
nimmt ihr Gewicht im Rahmen des beschleunigten Globalisierungsprozesses zu.
Die Bedeutung der Koalitionsbildung ist an den beiden wichtigsten Veränderungen ablesbar, die die westeuropäischen Parteiensysteme seit den siebziger
Jahren durchlaufen haben. Die erste Veränderung ging von der Entstehung der
grünen Parteien seit Ende der siebziger Jahre aus, die vor allem den Sozialdemokraten zusetzte und zu deren Abwahl mit beitrug. Die zweite Veränderung, in gewisser Weise eine Reaktion auf die erste, betrifft den Aufstieg des neuen Rechtspopulismus in den späten achtziger und neunziger Jahren, der den sozialdemokratischen Wähleranhang nochmals dezimierte, im übrigen aber primär den konservativen und christlich-demokratischen Parteien schadete. (Die Bundesrepublik
stellt hier eine Ausnahme dar.) In beiden Fällen führte die nachlassende Wählerunterstützung zwar nicht zum Verlust der Mehrheitsfähigkeit, da die Konkurrenz
nach einer gewissen Verzögerung in die eigene Bündnisstrategie einbezogen
werden konnte. Dennoch haben sich die Voraussetzungen der Mehrheitsbildung
mit der Auffächerung der Parteiensysteme für beide Seiten erschwert. Christdemokraten/Konservative und Sozialdemokraten befinden sich heute in der unkomfortablen Situation, dass sie den Wählerwettbewerb (vote-seeking) an mehreren
Fronten zugleich führen müssen. Während erstere durch die rechtspopulistischen
Neuankömmlinge herausgefordert werden, haben es letztere nicht nur mit den
Grünen, sondern auch mit einer erstarkenden Konkurrenz von links zu tun, die
von der Abwanderung einstiger Traditionswähler profitiert. Wer sich an den
Fraktionen im Europäischen Parlament orientiert, findet in Europa sechs Parteienfamilien, die in einfacher (und manchmal doppelter Ausführung) in fast allen
nationalen Parteiensystemen vertreten sind: Sozialdemokraten, Christdemokraten/Konservative, Liberale, Grüne, Linkssozialisten und Rechtspopulisten.4
Wie aus dieser Konstellation bereits arithmetisch hervorgeht, benötigen die
schwächer gewordenen großen Parteien in der Tendenz nicht bloß einen, sondern
zwei kleinere Partner, um eine (kleine) Koalition zu bilden. Nimmt der Stimmenanteil der großen Parteien ab, könnte gemäß der office-bezogenen Erklärung zugleich die Wahrscheinlichkeit wachsen, dass beide eine „große“ Koalition schlie4 In einigen Ländern existieren darüber hinaus Regionalparteien. Im Europäischen Parlament
sind deren Vertreter Teil der grünen Fraktion, während die konservativen Parteien Großbritanniens, Polens (PIS) und Tschechiens (ODS) außerhalb der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei eine eigene Fraktion bilden.
11
http://www.nomos-shop.de/19454
Frank Decker/Eckhard Jesse
ßen. Tatsächlich offenbaren die Strategien der großen Parteien, was die Partnerwahl betrifft, kein besonderes Muster. Eine empirische Auswertung der von ihnen seit 1990 eingegangenen Regierungsbündnisse in den westeuropäischen
Ländern zeigt: Alle oben genannten Parteienfamilien waren vertreten. Die Abhängigkeit der Strategiewahl vom jeweiligen nationalen Kontext wird dadurch
bestätigt.
3. Herausforderungen einer Koalitionsstrategie
Ausgehend von den Zielen des office- und policy-seeking sind drei miteinander
verbundene strategische Probleme bzw. Fragen der Koalitionsbildung zu benennen. Diese können zum einen aus der eigenen Perspektive der Parteien, zum anderen unter allgemeinen demokratietheoretischen Aspekten analysiert werden.
Beide Sichtweisen müssen sich nicht decken.
Das erste Problem betrifft die Ausrichtung des Wettbewerbs. Buhlt eine große
Volkspartei in erster Linie um die Wähler der anderen Volkspartei oder um jene
der Konkurrenten aus dem eigenen Lager? Wird eine Koalition innerhalb des eigenen Lagers angestrebt, dürfte es sich empfehlen, den Wettbewerb nach der
Mitte hin auszurichten. Man nähert sich in den politikinhaltlichen Positionen der
anderen großen Partei an und attackiert sie gleichzeitig hart in der verbalen Auseinandersetzung. Dies verspricht eine Maximierung der für die Koalition erreichbaren Wählerschaft und verbessert somit die Chance, dass diese die erforderliche
Mehrheit erreicht. Setzt man dagegen auf ein Bündnis mit der anderen großen
Partei, ist es ratsam, den Wettbewerb eher mit der Konkurrenz im eigenen Lager
zu suchen. Denn hier geht es gerade darum, im Verhältnis zum anderen Partner
möglichst stark zu werden. Demokratietheoretisch gesehen sind beide Strategien
insofern prekär, als sie eine klare politikinhaltliche Abgrenzung ausgerechnet zu
jenen Parteien erfordern, mit denen am Ende koaliert werden soll. Was zur
Mehrheitsbildung verhilft, könnte sich damit für das Zustandekommen der Koalition selbst und deren Funktionieren als hinderlich erweisen.
Zweitens stellt sich das Problem der Koalitionsaussagen. Soll eine Partei die
Präferenz für einen bestimmten Partner oder die Ablehnung eines anderen Partners schon vor der Wahl kundtun? Oder verzichtet die Partei auf entsprechende
Festlegungen, um sich nach der Wahl möglichst viele Optionen offen zu halten?
Auch hier stehen die Akteure vor einer schwierigen Gratwanderung. Einerseits
müssen sie kalkulieren, wie sich ein gegebenes oder nicht gegebenes Koalitionssignal auf die Wähler auswirkt, ob es honoriert wird oder nicht. Andererseits gibt
es die Frage nach den politikinhaltlichen Rückwirkungen. Sollen Parteien sich
den Positionen des umworbenen Partners vorauseilend annähern, um die Koaliti-
12
Herunterladen