Wirksamkeitsstudien für psychodynamische Therapien fehlen

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W I S S E N S C H A F T
sicht und Motivation fehlen, kann es
zu Therapieabbrüchen und Rückfällen
kommen. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass Magersucht häufig
im Zusammenhang mit den Lebensumständen und dem familiären Umfeld
steht. Daher kann eine stationäre Behandlung, bei der die Betroffenen aus
dieser Umgebung herausgelöst werden, zumindest zeitweise sinnvoll sein.
„Selbst für stark untergewichtige Patienten ist eine stationäre Psychotherapie gut geeignet, wenn die Klinik einen
entsprechenden Behandlungsschwerpunkt hat“, erklärt Dr. Thomas Paul,
Leitender Psychologe in der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Bad
Bramstedt.
Bulimie sieht man den Frauen
nicht unbedingt an
Anders als Magersüchtige nehmen Patientinnen mit Bulimie in kurzer Zeit
außergewöhnlich große Mengen an
Nahrungsmitteln und Kalorien zu sich.
Während der Essattacke spielen Geschmack oder Sättigung keine Rolle –
es wird gegessen, bis nichts mehr geht.
Nach den Essattacken versuchen die
Betroffenen, die überschüssigen Kalorien wieder loszuwerden, beispielsweise
durch Erbrechen, durch die Einnahme
von Abführmitteln oder durch exzessive sportliche Betätigung. Hinter diesem
Verhalten steckt die Angst, dick zu werden. Das Gewicht liegt häufig im Normalbereich. Man sieht den Betroffenen
die Störung nicht an. Schätzungsweise
ein bis zwei Prozent der deutschen
Frauen sind von Bulimie betroffen.
Patientinnen mit Bulimie schädigen
ihre Körper auf vielfältige Weise. So
führt zum Beispiel häufiges Erbrechen
und Abführen zu einem gestörten Mineralsalz-(Elektrolyt-)haushalt, insbesondere Kaliummangel, der lebensbedrohliche Herz- und Nierenfunktionsstörungen verursachen kann. Auch der
Flüssigkeitshaushalt wird beeinträchtigt, was zu Austrocknung und Ödembildung führen kann. Der beim Erbrechen hochkommende Magensaft kann
Speiseröhre und Rachen angreifen und
den Zahnschmelz schädigen. Durch
Überfüllung des Magens kann es zu
Überdehnung, Rissen in der Magen PP
 Heft 1
 Januar 2004
Deutsches Ärzteblatt
wand, Magenblutungen, -schleimhautentzündung und -geschwüren kommen.
Psychische Probleme, die durch Bulimie verursacht oder verstärkt werden,
sind Depressionen, Alkoholsucht, mangelnde Impulskontrolle, selbstverletzende Verhaltensweisen, plötzliche Wutausbrüche und verschiedene Verhaltensstörungen.
Die Therapie zielt darauf ab, ein gesundes Essverhalten aufzubauen. Die
Verhinderung von Essattacken, Erbrechen und Abführen ist nicht vorrangig.
Vielmehr geht es darum, dass die Betroffenen Verantwortung für sich übernehmen und ihren Körper akzeptieren
lernen. Sie werden in ihrer Autonomie
und Selbstständigkeit bestärkt und beim
Aufbau sozialer Kompetenzen und
Problemlösefähigkeiten unterstützt.„Dazu werden unter anderem Selbstsicherheits- und Entspannungstrainings eingesetzt“, erklären Dr.Valerija Sipos und
Dr. Ulrich Schweiger von der Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie in Lübeck. In der stationären Behandlung
wird Psychotherapie meistens zusammen mit einer medizinischen Behandlung durchgeführt, bei der körperliche
Faktoren behandelt werden, die infolge
der Essstörung entstanden sind oder
die an ihrer Entstehung und Aufrechterhaltung beteiligt sind. Als ergänzende
Therapieangebote eignen sich Sporttherapie, Gestaltungs- und Ergotherapie, Kochkurse, Genusstrainings und soziotherapeutische Beratung. Insgesamt
gibt es in der Therapie von Magersucht
und von Ess-Brech-Sucht viele übereinstimmende Elemente.Vorrangig werden
verhaltenstherapeutische Verfahren eingesetzt, die mit vielen anderen Methoden und Therapieformen kombiniert
werden. Obwohl die Essstörungen im
Vordergrund der Therapie stehen, darf
die Behandlung komorbider psychischer Störungen jedoch nicht vergessen
werden. „Außerdem müssen die Betroffenen beim Transfer in den Alltag und
bei der Wiedereingliederung in ihre sozialen und beruflichen Beziehungen
unterstützt werden“, betonen Sipos und
Dr. phil. Marion Sonnenmoser
Schweiger.
Literatur
Vandereycken W, Meermann R: Magersucht und Bulimie.
Bern: Hans Huber 2003.
Sipos V, Schweiger U: Psychologische Therapie von Essstörungen. Lengerich: Papst Science Publishers 2003.
PP
Referiert
Zwangsstörungen bei Kindern
Wirksamkeitsstudien
für psychodynamische
Therapien fehlen
Z
wangsstörungen können bereits in
der Kindheit und im Jugendalter auftreten. Zur Behandlung der jungen Patienten werden teilweise die gleichen Verfahren eingesetzt wie bei Erwachsenen.
So hat sich die verhaltenstherapeutische
Methode „Exposition mit Reaktionsverhinderung“ sowohl bei Erwachsenen
als auch bei Kindern als effektiv erwiesen. „Über die Wirksamkeit anderer
Verfahren ist jedoch kaum etwas bekannt“, sagen die Autoren, die sich mit
dem aktuellen Forschungsstand zur Psychotherapie mit zwangskranken Kindern und Jugendlichen befasst haben.
Es fehlen vor allem Wirksamkeitsstudien seitens der Psychoanalyse, psychodynamischen Therapie, personenzentrierten Psychotherapie, Gesprächspsychotherapie und Spieltherapie. Die Behandlung umfasst stets eine ausführliche Psychoedukation, bei der die Betroffenen und ihre Angehörigen informiert und ihnen Schuldgefühle und
Ängste genommen werden. Bei jüngeren Patienten sind familienorientierte
Interventionen angezeigt. Verhaltensund kognitiv-therapeutische Techniken
werden bei schweren Zwangsstörungen
häufig mit einer medikamentösen Therapie, zum Beispiel mit SSRI und SRI,
vor allem Clomipramin, kombiniert. Bei
der Therapie ist zu beachten, dass den
jungen Patienten manchmal Krankheitseinsicht und Veränderungsmotivation
fehlen. Zudem sind sie, je nach Alter,
kognitiven und metakognitiven Techniken noch nicht zugänglich. Nach Meinung der Autoren sind Selbstinstruktionstraining und die „Gedankenstoppms
Methode“ nicht zu empfehlen.
Simons M, Herpertz-Dahlmann B: Psychotherapie der
Zwangsstörung bei Kindern und Jugendlichen – eine
Übersicht. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie 2003; 31: 3: 213–221.
Dipl.-Psych. Michael Simons, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Universitätsklinikum Aachen, Neuenhofer Weg 21, 52074 Aachen, Telefon: 02 41/8 08 82 60, E-Mail: [email protected]
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