Metallwürfel, Eiweißlandschaften und der globale Stickstoffkreislauf

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Metallwürfel, Eiweißlandschaften und der globale
Stickstoffkreislauf
Ohne Stickstoff geht im Leben gar nichts. Eine Schlüsselrolle im globalen N-Kreislauf
spielen Bakterien, denn sie haben die notwendige Enzymausstattung, um die verschiedenen
Stickstoffgase aus der Atmosphäre für andere Lebewesen verwertbar zu machen. Wie
arbeiten diese Enzyme ? Auch für die Industrie eine interessante Frage, denn die heutigen
Verfahren zur Stickstoff-Produktion für Pflanzendünger und andere Anwendungen sind sehr
ineffizient. Prof. Dr. Oliver Einsle und sein Team von der Universität Freiburg blicken bis in
die reaktiven Zentren der bakteriellen Moleküle hinein, die allesamt Metallionen beinhalten.
Es sind diese Metallionen, die die entscheidenden chemischen Reaktionen vermitteln. Was
passiert im Innersten der bakteriellen Proteine ? Und wie kann man überhaupt einen
Einblick bekommen?
Stickstoff ist essenzieller Bestandteil von Aminosäuren und damit von allen Proteinen. Auch die
DNA beinhaltet Stickstoff-Atome. Ohne das Element würde in unserem Körper nichts mehr
funktionieren. Höhere Organismen wie der Mensch können es jedoch nur in der vollständig
reduzierten Form aufnehmen, als Ammoniumion. Der Stickstoff, der in der Erdatmosphäre als
Stickstoff-Gas N2 oder in oxidierter Form als NO2, N2O oder NO vorkommt, ist damit nicht
verwertbar. In eine verwertbare Form bringen ihn erst die Pflanzen, denn sie gehen Symbiosen
mit Bakterien ein, die den atmosphärischen Stickstoff im Prozess der sogenannten
Stickstofffixierung in Ammoniumionen umwandeln. Die Pflanzen bauen die Ammoniumionen
ihrerseits in Aminosäuren ein, die wir dann über die Nahrung aufnehmen. Nach unserem Tod
bauen Bakterien im Boden die höheren Stickstoffverbindungen über viele chemische
Zwischenstufen wieder zu den Stickstoffgasen ab, die in die Atmosphäre entweichen. Dieser
Vorgang wird als Denitrifikation bezeichnet.
Der Industrie überlegen
Eines der Enzyme, das bei der Stickstoffaufarbeitung eine wichtige Rolle spielt, heißt
Nitrogenase. Dieses komplexe Protein ist bei vielen Bakterien zu finden, die mit Pflanzen
Symbiosen eingehen. Es kann N2 in Ammoniumionen umwandeln und hilft damit, den
atmosphärischen Stickstoff in die Nahrungsketten einzuspeisen. In seinem Zentrum beinhaltet
das Enzym zwei Würfel, die aus Eisen- und Schwefelatomen aufgebaut sind. Einer dieser
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Der einzigartige Metallcluster im Zentrum der Nitrogenase. Eisen- (grau) und Schwefelatome (gelb) sind auf zwei
konzentrischen Kugelschalen rund um ein leichtes Atom (Kohlenstoff, Stickstoff, oder Sauerstoff) angeordnet. Oberund unterhalb des Metallzentrums sind Teile des Proteinmoleküls gezeigt, die den Cluster im Enzym verankern. ©
Prof. Dr. Oliver Einsle
sogenannten Eisen-Schwefel-Cluster, der auch ein Molybdänatom beinhaltet, vermittelt die
eigentliche Reaktion. „In diesem Zentrum, das aus so wenigen anorganischen Atomen
aufgebaut ist, läuft eine sehr ungewöhnliche Chemie ab“, sagt Prof. Dr. Oliver Einsle vom
Institut für Organische Chemie und Biochemie der Universität Freiburg. „Was im industriellen
Haber-Bosch-Verfahren, allerdings unter extremen Druck- und Temperaturbedingungen und
auch nur mit einer sehr niedrigen Ausbeute, gelingt, bringt in der Natur dieses eine Enzym
fertig.“
Im Haber-Bosch-Verfahren entstehen aus N 2 Ammoniumionen. Es wird zum Beispiel in der
Kunstdüngerproduktion eingesetzt. Pro Tonne umgewandelten N2 wird jedoch Energie
verbraucht, die der Erzeugung von rund 1,7 Tonnen CO2 entspricht. Außerdem: Der produzierte
Dünger kommt nur zur Hälfte bei den Pflanzen an, die andere Hälfte wird von Bodenbakterien
wieder abgebaut. Untersuchen Chemiker Metallo-Proteine wie die Nitrogenase, dann steht also
immer auch ein Gedanke an die industrielle Anwendung im Raum. „Es wäre schön, Pflanzen
die Fähigkeit zu geben, den Stickstoff aus der Luft selbst in die richtige Form umzuwandeln“,
sagt Einsle. Dazu müssen Wissenschaftler die bakteriellen Enzyme aber erst vollständig
verstanden haben. Wo genau im Zentrum des Enzyms lagert sich das Edukt (also das N2-Gas)
ein? In welchen Zwischenschritten werden die Elektronen von den Eisenatomen auf den
Stickstoff übertragen? Einen ersten Ansatz, um diese Fragen zu beantworten, stellt eine
Strukturanalyse dar. Wissen Forscher, wie das Protein der Wahl räumlich aufgebaut ist, dann
können sie schon hieraus erste Vermutungen über die Abläufe während der Reaktion anstellen.
Die Seefahrer und die Terra incognita
Einsle und sein Team verfügen über das Know-how und die technische Ausstattung, um die
Proteine zu kristallisieren. In den Kristallen messen sie die räumliche Verteilung von
Elektronen. Aus dieser Verteilung wiederum können sie ein Modell des dreidimensionalen
Proteins berechnen. Aber diese Arbeit ist keine Standardprozedur, im Gegenteil. Es kann
Monate dauern, bis die Proteine aus dem Probengewebe isoliert und aufgereinigt sind. Und erst
danach kommt der wirklich anspruchsvolle Schritt: „Die Züchtung von Proteinkristallen ist im
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Grunde ein alchimistischer Vorgang“, sagt Einsle. „Man muss zunächst durch Versuch und
Irrtum nach den geeigneten Druck-, Temperatur- und Konzentrationsbedingungen suchen,
damit sich das Protein der Wahl überhaupt in einem Kristall anordnet. Man muss manchmal
Tausende von Experimenten durchführen, bis das gelingt, und ein Erfolg ist im Vorhinein nie
garantiert.“
Das blaue Netz zeigt eine experimentelle Elektronendichtekarte, das Ergebnis eines Röntgenbeugungsexperiments.
In diese dreidimensionale Karte wird anschließend per Hand ein aus einzelnen Atomen bestehendes Strukturmodell
gebaut und eingepasst. © Prof. Dr. Oliver Einsle
Ist es den Forschern gelungen, bestrahlen sie die mikrometergroßen Kristalle im sogenannten
Röntgendiffraktometer mit Röntgenstrahlen. Die um die Atome des Proteins schwirrenden
Elektronen lenken die energiereichen Strahlen auf charakteristische Weise ab. Diese
Beugungsmuster können die Forscher messen, sie werden ihnen von einem
Computerprogramm in ein komplexes, dreidimensionales Gitternetz umgerechnet. In
manchmal wochenlanger Fleißarbeit muss das Chaos nun interpretiert werden. Gibt es
charakteristische Strukturen, die sich bekannten Aminosäuren zuordnen lassen? Sind
übergeordnete Helices sichtbar? Nach und nach entsteht das Modell des Proteins mit seinen
Zigtausenden Atomen. Auf diese Weise entschlüsselten Einsle und seine Gruppe die
dreidimensionale Struktur der Nitrogenase mit den zwei Eisen-Schwefel-Clustern.
„Die Kristallografie ist eine richtige forschende Wissenschaft“, sagt Einsle. „Wir gehen raus und
sehen, was noch keiner vor uns gesehen hat. Ich fühle mich manchmal als Seefahrer, der eine
terra incognita vor sich hat.“ Momentan versuchen die Biochemiker zu verstehen, was in dem
reaktiven Zentrum der Nitrogenase auf chemischer Ebene passiert. An welchen Eisenatomen
läuft die Reaktion ab? Wie genau richtet sich das Stickstoff-Molekül im Inneren des Proteins
aus? Welche Aminosäuren des Proteins sind hierfür essenziell? Um solche Fragen zu
beantworten, müssen die Wissenschaftler die Ergebnisse verschiedenster Experimente
zusammenführen. Dazu gehören zum Beispiel auch die zielgerichtete Mutagenese von
Aminosäuren im Protein oder biochemische Versuche, die den Umsatz von N2 durch das Enzym
messen. Zurzeit untersuchen die Forscher durch die Manipulation verschiedener Gene, wie das
Metallzentrum hergestellt und ins Protein eingebaut wird.
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Aus den Life Sciences nicht mehr wegdenkbar
Räumliche Struktur des Enzyms Distickstoffmonoxid-Reduktase (N2O-Reduktase). Das Protein besteht aus zwei
Aminosäureketten (grün und blau), die der Übersicht halber als Bändermodell dargestellt sind. Das vollständige
Modell beschreibt die exakten Positionen von über 10.000 einzelnen Atomen. Die reaktiven Metallzentren der N2O Reduktase enthalten Kupferionen, die im Bild als Kugeln dargestellt sind. © Prof. Dr. Oliver Einsle
Mithilfe der Kristallografie sind Einsle und Co. bei einem anderen Enzym schon etwas weiter
gekommen: der Purpurnen Distickstoffmonoxid-Reduktase (N2O-Reduktase). Dieses Enzym, das
in seinem reaktiven Zentrum einen Würfel aus Kupferatomen enthält und deshalb violett
gefärbt ist, katalysiert ebenfalls einen Schritt im globalen Stickstoffkreislauf: die letzte
Reaktion der Denitrifikation. Bei diesem Schritt wird aus dem Gas N2O das Gas N2, das in die
Atmosphäre entweicht oder wieder zu Ammoniumionen reduziert werden kann. Einsle und sein
Forschungsteam haben die räumliche Struktur des Enzyms aufgeklärt. Sie haben zusätzlich
dazu herausgefunden, wie sich die N 2O-Moleküle an dem Kupferwürfel im Zentrum des MetalloProteins anordnen. Jetzt geht es darum, den genauen Mechanismus der Reaktion aufzuklären.
Dabei stellt sich auch die Frage, ob man den Vorgang synthetisch nachstellen kann.
Die Enzyme des Stickstoffmetabolismus dienen den Bakterien zur Energiegewinnung. Sie sitzen
allesamt an den Membranen des Bakteriums. Bei den Reaktionen, die sie katalysieren, werden
immer auch Protonen frei (also positiv geladene Wasserstoffionen). Diese werden über die
Membranen gepumpt, wobei Energie frei wird. Neben der Forschung an den Enzymen des
globalen Stickstoffkreislaufs interessieren sich die Biochemiker um Einsle daher auch
allgemein für die Funktion von Membranproteinen. Wie transportieren sie Protonen? Wie
entsteht dabei Energie? Die Einsle-Gruppe ist seit zwei Jahren in Freiburg und profitiert von
Kooperationen mit Arbeitsgruppen aus der Chemie, Medizin, Biologie oder Pharmazie. Diese
Gruppen liefern den Forschern Probenmaterial, aber auch neue Ideen und Fragestellungen. Im
Gegenzug klären Einsle und seine Mitarbeiter die Strukturen der Proteine auf, an denen die
Kooperationspartner interessiert sind. „Von verschiedenen Seiten kommen Leute auf uns zu
und wollen wissen, wie ihre Proteine aussehen“, sagt Einsle. „Solche Projekte sind immer für
beide Seiten fruchtbar.“ Die Röntgenkristallografie ist aus den modernen Life Sciences nicht
mehr wegdenkbar – ähnlich wie einst die Mikroskopie.
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Fachbeitrag
26.07.2010
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Oliver Einsle
Lehrstuhl für Biochemie
Institut für Organische Chemie und Biochemie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Albertstraße 21
79104 Freiburg
Tel.: +49 (761) 203 6058
Fax: +49 (761) 203 6161
E-Mail: einsle(at)bio.chemie.uni-freiburg.de
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