Chemoprävention mit ASS und Vi tamin D – Sekt und Selters

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VI
SET AN BLUTPROTEINEN
Mit Bluttests in
die Zukunft des
Screenings?
Bisher gibt es als Screening-Alternative zur Koloskopie nur Stuhltests, die von vielen Patienten abgelehnt werden. Ärzte wünschen
sich daher dringend Alternativen.
Die Hoffnungen richten sich seit
einiger Zeit auf Bluttests, die beispielsweise Nukleosomen, Proteine und verschiedene RNA- und
DNA-Fraktionen messen. Allerdings stehen einem Einsatz noch
Probleme im Weg, wie Professor
Dr. Hans Jørgen Nielsen, Kopenhagen, in einer großen Untersuchungsreihe zeigen konnte.
Zusammen mit privaten Labors
sammelte er über Jahre hinweg
Blutproben von Patienten mit
Krebs, Adenomen und anderen
Darmerkrankungen, um die Bluttests zu prüfen. Dabei zeigte sich,
dass deren Leistungsfähigkeit von
vielen Faktoren abhing, darunter
von der Lokalisation und dem Stadium der Neoplasien sowie von
Komorbiditäten. Bluttests könnte
daher die Zukunft gehören, aber
das richtige Verfahren ist noch
nicht gefunden.
An der Suche beteiligt sich auch
die Applied Proteomics Inc. (API)
in San Diego. Das Unternehmen
setzt auf ein Set an Blutproteinen,
die bei der Entwicklung eines Kolorektalkarzinoms eine Rolle spielen. „Ziel ist es, den kontinuierlichen Dialog dieser Proteine im Organismus zu überwachen und so eine Krebserkrankung früher als bisher zu entdecken“, sagte Dr. John
Blume, Chief Science Officer von
API. In bisherigen Forschungen
habe man eine Kombination aus 13
Proteinen identifiziert, die Neoplasien über alle Stadien und Lokalisationen hinweg mit großer Zuverlässigkeit nachwies.
Mit der Markteinführung des
Tests wird im Laufe des kommenden Jahres gerechnet. (gl)
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Innovations-Workshop im DKFZ
Mittwoch, 18. Juni 2014 Nr. 67
Mittwoch, 18. Juni 2014 Nr. 67
Innovations-Workshop im DKFZ
VII
Chemoprävention mit ASS und Vitamin D – Sekt und Selters
Risikoreduktion im linken Kolon führen“, schloss Arber.
Bei koronarvaskulären
Erkrankungen sind es Ärzte
längst gewohnt, Medikamente zur Prävention einzusetzen. Warum also nicht
auch beim Kolorektalkarzinom? Vor allem der Einsatz
von ASS scheint – zumindest in Risikokollektiven –
sinnvoll zu sein.
Vitamin D: Enttäuschende Studien
VON GÜNTER LÖFFELMANN
Hinweise auf den protektiven Effekt
nichtsteroidaler
Antirheumatika
(NSAR) auf Darmpolypen gab es bereits in den 1990er Jahren. Damals
konnte bei Patienten mit familiärer
adenomatöser Polyposis (FAP) gezeigt werden, dass Sulindac die Zahl
und die Größe kolorektaler Adenome
im Vergleich zu Placebos signifikant
reduziert. Die antineoplastische Wirkung von NSAR wird vermutlich über
eine Hemmung der ProstaglandinE2(PGE2)-Synthese vermittelt. Bei
ASS könnten weitere Mechanismen
eine Rolle spielen, darunter eine Suppression des EGFR-Signalwegs. Es
gilt daher als besonders interessanter
Kandidat für die Chemoprävention
von Darmkrebs.
In Studien reduzierte ASS das
Darmkrebsrisiko und das Wiederauftreten von Adenomen bei ein- bis
vierjähriger Einnahme von 80 bis 325
mg pro Tag um bis zu 40 Prozent. Ein
positiver Effekt auf das Langzeitüberleben zeigte sich nach zehn Jahren.
Bei Trägern des Lynch-Syndroms verhinderte die Behandlung mit 600 mg
ASS pro Tag in vielen Fällen das Auftreten von Karzinomen. Weitere positive Effekte sind für das krebsbezogene Überleben (Risikoreduktion 29
Prozent) und das Gesamtüberleben
(Risikoreduktion 21 Prozent) nachgewiesen .
Vor allem der Einsatz von ASS
scheint – zumindest in
Risikokollektiven – sinnvoll
zu sein. © JUPITERIMAGES / THINKSTOCK
Risikoadaptierte Chemoprävention
Diesem protektiven Potenzial stehen
allerdings die bekannten Nebenwirkungen von ASS gegenüber. Professor
Dr. Nadir Arber, Tel Aviv, empfahl daher, ASS nur nach einer genauen Nutzen-Risikoabwägung einzusetzen. Potenzielle Kandidaten seien in jedem
Fall Personen mit FAP und HNPCC,
deren Lebenszeitrisiko für ein Kolorektalkarzinom bei 80 bis 100 Prozent
liege. Auch bei Personen mit familiärer Vorbelastung, deren Risiko für diese Krebserkrankung zwei- bis vierfach
erhöht ist, würde er zur Chemoprävention raten – zumindest dann, wenn
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Es ist sinnvoll, eine
Chemoprävention
mit ASS mit Koloskopien zu verbinden.
Professor Dr. Nadir Arber,
Tel Aviv
weitere Risikofaktoren vorliegen. Für
die Allgemeinbevölkerung mit einem
Lebenszeitrisiko von 5 bis 6 Prozent
sieht er hingegen in erster Linie Lebensstilanpassungen und ScreeningMaßnahmen als Mittel der Wahl.
„Möglicherweise sollten wir aber versuchen, unter ihnen Subgruppen zu
identifizieren, deren Darmkrebsrisiko
durch weitere Faktoren wie höheres
Alter, Nikotin- und Alkoholkonsum,
Bewegungsmangel und Übergewicht
zusätzlich erhöht ist“. Darüber hinaus
könnten künftig auch das genetische
Profil und Eigenschaften des Tumors
zur Risikostratifikation beitragen.
So wisse man heute schon, dass bestimmte Mutationen im Tumorsupressor-Gen APC das Risiko für ein
Kolorektalkarzinom deutlich erhöhten. Weiter sei ASS nur in Adenomen
wirksam, die COX-2 positiv sind, die
hohe Spiegel an Prostaglandin-Metaboliten haben, und die den BRAFWildtyp sowie eine PIK3CA-Mutation
aufweisen. Und was die Inzidenzreduktion von Karzinomen angehe,
sei ASS in erster Linie in proximalen
Darmabschnitten effektiv. „Es ist daher sinnvoll, eine Chemoprävention
mit ASS mit Koloskopien zu verbinden, da diese vor allem zu einer
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Die Evidenz für
einen Nutzen von
Vitamin D ist nicht so
gut, wie gedacht.
Professor Dr. Cornelia Ulrich,
Heidelberg
Auch Vitamin D schien eine Zeit lang
ein vielversprechender Kandidat für
die Chemoprävention des Darmkrebses zu sein. „In präklinischen Studien
zeigte es antiproliferative und antiangiogenetische Wirkungen und förderte die Apoptose“, sagte Professor
Dr. Cornelia Ulrich, Heidelberg.
Tatsächlich waren in einer Metaanalyse prospektiver Studien die Vitamin-D-Aufnahme und insbesondere
ein 25(OH)-Vitamin-D-Spiegel im Serum invers mit der Häufigkeit des Kolorektalkarzinoms assoziiert. In der
Women’s Health Study hatte die Einnahme von 400 IU Vitamin D pro Tag
dagegen keinen Vorteil gegenüber
Placebo. „Die Ergebnisse aus dieser
Studie sind allerdings nur begrenzt
aussagekräftig, unter anderem, weil
die Studiendauer von acht Jahren
nicht ausreicht, um Effekte auf die
Karzinominzidenz
nachzuweisen“,
sagte Ulrich. Einen Ausweg aus diesem Dilemma stellen Adenome als
Surrogatendpunkte dar.
„Adenome sind Vorläufer von drei
Viertel aller Kolorektalkarzinome, sie
haben mit ihnen verschiedene molekulare Eigenschaften und Risikofaktoren gemein, und ein Effekt kann
schneller nachgewiesen werden“, sagte Ulrich. In der Vitamin D/Calcium
Polyp Prevention Study wurde daher
geprüft, ob Vitamin D3 (1.000 IU pro
Tag) und Kalzium (1200 mg pro Tag)
alleine oder in Kombination das Adenomrisiko senken können.
Trotz einer guten Compliance der
Teilnehmer und eines signifikanten
Anstiegs der 25(OH)-Vitamin-DSerumspiegel hatte Vitamin D keinen
Effekt auf die Adenominzidenz. Selbst
in Subgruppen ließ sich keine signifikante Risikoreduktion nachweisen.
„Zum jetzigen Zeitpunkt muss man
daher schlussfolgern, dass die Evidenz
für einen Nutzen von Vitamin D nicht
so gut ist, wie gedacht“, so Ulrich.
SCREENING-VERFAHREN
INTERVIEW
INTERVIEW
Darmkrebs im Bilde
„Das Präventionspotenzial nutzen!“
Impfung gegen Krebs rückt in greifbare Nähe
Professor Dr. Christof von
Kalle, Heidelberg, zieht sein
persönliches Fazit aus dem
Innovations-Workshop zur
Früherkennung und Prävention des Kolorektal-Ca.
Professor Dr. Hans-Georg
Rammensee aus Tübingen
versucht, tumorspezifische
Antigene für eine Impfung
zu nutzen. In einer Phase-IIStudie mit Nierenkrebs-Patienten ließ sich so das Überleben deutlich verlängern.
Als sensitive bildgebende
Alternativen zur Koloskopie
konkurrieren gegenwärtig
CT- und MR-Kolonografie
sowie die Kapselendoskopie
miteinander. Sind sie reif für
den Einsatz im Screening?
Scheuen Patienten die Vorsorgekoloskopie, stehen neben nichtinvasiven
Tests auf okkultes Blut im Stuhl drei
unterschiedliche bildgebende Verfahren zur Verfügung. Sie haben alle
ihre Vor- und Nachteile. Was Sensitivität und Evidenz der Studienlage anbetrifft, liegt die CT-Kolonografie gegenwärtig am besten im Rennen. „In
Screening-Studien wurden fast alle
fortgeschrittenen Neoplasien erkannt: 80 bis 90 Prozent der Adenome ab 6 mm und über 90 Prozent der
Adenome ab 10 mm“, sagte Professor
Dr. Frank Kolligs, München.
Sehr gute Werte also, wäre da
nicht die Strahlenbelastung, die ihrerseits Krebs induzieren kann. In einer Studie kamen die Autoren zum
Schluss, dass pro 24 bis 35 verhinderten Karzinomen mit einem strahleninduzierten Karzinom gerechnet werden muss. Das ist für die Verwendung
als bevölkerungsbezogene Früherkennungsmaßnahme kaum vertret-
bar, weshalb sie hierfür auch nicht
empfohlen wird. Das Schadenspotenzial der Untersuchung müsse man
vor allem bei jüngeren Personen berücksichtigen, kommentierte Kolligs.
Eine weitere Alternative ist die
Kolonkapsel. Geräte der zweiten Generation sind Kolligs zufolge mit
zwei Kameras ausgestattet und erreichen damit einen Bildwinkel von 172
Grad. „Damit wird eine Detektionsrate von 60 bis 70 Prozent erreicht.“
Auch die MR-Kolonografie schneidet
bei der Sensitivität im Vergleich mit
den anderen bildgebenden Verfahren
inzwischen gut ab. In einer eigenen
Studie ermittelten Kolligs und seine
Kollegen Detektionsraten von 90
Prozent für Adenome ab 10 mm Größe beziehungsweise von 78 Prozent
für Adenome ab 6 mm.
Weitgehend ungeklärt ist bislang,
welchen Platz diese Verfahren in einer zukünftigen Screening-Strategie
einnehmen können. Denkbar ist,
dass sie in bestimmten Fällen als der
Koloskopie vorgeschaltete Untersuchungsmethoden Verwendung finden. Dazu müsste für die Untersucher aber klar sein, bei welchen Befunden sie Patienten zur Abklärung
zur Koloskopie überweisen sollten.
Und nicht zuletzt muss bei CT- und
MR-Kolonografie geklärt werden,
wie mit extrakolonischen Befunden
umzugehen ist. (gl)
ÄRZTE ZEITUNG: Herr Professor von
Kalle, welche Inhalte des Innovations-Workshops haben Sie am meisten
beeindruckt?
VON KALLE: Das waren vor allem die
überzeugenden Daten zur Validität
der Screening-Untersuchungen sowie
die Fortschritte in der Bildgebung.
Darüber hinaus scheinen wir mit ASS
einen Wirkstoff zu haben, der bei Risikopersonen der Krebsentstehung
vorbeugen kann. Und schließlich eröffnen sich etwa mit der Immuntherapie neue Optionen der adjuvanten
medikamentösen Therapie. Das sind
sehr beeindruckende Entwicklungen.
Neben dem immunologischen Stuhltest wurden weitere Verfahren der
nichtinvasiven Früherkennung vorgestellt, darunter Tests zum Nachweis von anderen Stuhl- oder von
Blutmarkern. Welche davon sind
Ihrer Ansicht nach als ScreeningTool am besten geeignet?
Für eine populationsbasierte Früherkennung sind das im Moment die im-
Professor Dr. Christof von Kalle, Leiter
der Abteilung für Translationale Onkologie am DKFZ Heidelberg.© PHILIPP BENJAMIN, MEDIENZENTRUM DES UNIKLINIKUMS HEIDELBERG
munologischen Stuhltests. Es scheint
mir verfrüht, von den anderen Testverfahren welche hervorzuheben. Dazu fehlen noch wichtige Daten.
Gibt es so etwas wie eine Botschaft,
die von dem Workshop ausgeht?
Ich glaube, wir haben das Potenzial,
das in den jetzt schon verfügbaren
Verfahren der Früherkennung und
Prävention des Kolorektalkarzinoms
steckt, noch längst nicht ausgeschöpft. Die Botschaft ist daher, dass
sich nicht nur Wissenschaftler, sondern auch die an der Versorgung beteiligten Ärzte mit dem Thema näher
befassen und dann intensiv mit den
Patienten darüber reden.
ÄRZTE ZEITUNG: Herr Professor Ram-
mensee, welche Strukturen von Tumorzellen eignen sich besonders als
Ziele für eine Impfung.
RAMMENSEE: Die besten Antigene
sind mutierte Peptide, die nur von
den Tumorzellen exprimiert werden.
Denn nur dann ist die Immunantwort
spezifisch gegen den Tumor gerichtet.
Bei gewebespezifischen Antigenen
oder bei Antigenen, die in Tumoren
nur häufiger exprimiert werden als in
normalen Zellen, wird auch gesundes
Gewebe attackiert.
Das ist bei nicht lebenswichtigen
Organen wie der Prostata vielleicht
noch vertretbar, einen Patienten mit
Darmkrebs kann man so aber nicht
behandeln.
Wie erfolgt die Impfung und welche
Erfahrungen gibt es bereits?
In klinischen Studien verabreichen
wir, das heißt, bisher die Universitäts-
aktivierte T-Zellen zirkulierende
Tumorzellen ausgeschaltet haben und
so diesen Überlebenseffekt herbeiführten.
Professor Dr. Hans-Georg Rammensee
ist Leiter der Abteilung für Immunologie an der Universität Tübingen.
© UNIVERSITÄT TÜBINGEN
ausgründungen immatics biotechnologies und CureVac GmbH, den Impfstoff – entweder die Peptide selbst
oder die entsprechende mRNA – als
intradermale Injektion; in den ersten
beiden Wochen jeweils mehrmals,
danach jede Woche einmal, solange
bis beispielsweise zwölf Injektionen
erreicht sind. Die induzierten T-ZellAntworten sind jahrelang nachweisbar, allerdings insgesamt noch
schwach ausgeprägt.
In einer Phase-II-Studie konnte eine Vakzine gegen überexprimierte
Antigene beim Nierenzellkarzinom
zwar das Tumorwachstum nicht aufhalten, aber die Patienten lebten
deutlich länger. Wir vermuten, dass
Welche Studien führen Sie durch?
Zurzeit entwickeln wir Impfungen gegen gewebespezifische Antigene beim
Prostatakarzinom sowie gegen überexprimierte Antigene beim Ovarialkarzinom.
Für weitere Studien, in denen wir
Impfungen gegen mutierte Antigene
beim Gliom und beim Leberkrebs testen wollen, etablieren wir derzeit die
Methoden. Denn in diesen Fällen
muss für jeden Patienten ein individueller Impfstoff hergestellt werden.
Parallel dazu arbeiten wir daran,
die Wirksamkeit der Impfungen zu
verbessern, beispielsweise indem wir
die Vakzinen mit besseren Adjuvantien versehen und sie zusammen mit
anderen Therapieverfahren anwenden.
Wo hätte die Impfung ihren Platz in
der therapeutischen Gesamtstrategie?
Unmittelbar im Anschluss an eine
chirurgische Reduktion der Tumorlast. Ich sehe eine realistische Chance,
dass damit ein weiteres Krebswachstum verhindert und vielleicht später
einmal sogar eine Heilung erreicht
werden kann.
Wie entsteht Darmkrebs? Um diese Frage zu beantworten, nehmen Forscher
auch die Bakterien der Darmflora unter die Lupe. © MANUEL SCHÄFER / FOTOLIA.COM
We are what we eat
Studien zeigen, dass die
Zusammensetzung der
Darmflora das Karzinomrisiko im Darm beeinflusst.
Die Darmflora verändert
sich ihrerseits mit der Art
der Ernährung. Essgewohnheiten können daher zur
präventiven Maßnahme
gegen Darmkrebs werden.
Der menschliche Darm ist zweifellos
der am dichtesten besiedelte Ort der
Welt. „Zwischen 10 und 100 Billionen Bakterien leben dort und formen mit der Gesamtheit ihrer Genome das so genannte Mikrobiom“,
sagte Dr. Meredith Hullar, Seattle.
Es ist zurzeit Gegenstand intensiver
Forschungen. Die Zusammensetzung der Darmflora und deren Rolle
bei der Entstehung von Darmkrebs
lässt sich über Analysen der prokaryotischen ribosomalen 16S rRNA
untersuchen.
Hullar zufolge können Bakterien
das Risiko für Adenome und Darmkrebs auf verschiedene Weise beeinflussen: direkt, indem sie Infektionen oder Entzündungen hervorrufen, die Barrierefunktion der Mukosa regulieren, oder in Signalwege
der Zellproliferation und –apoptose
eingreifen; indirekt, indem sie chemopräventive Wirkstoffe metabolisieren und artspezifische Stoffwechselprodukte ausscheiden. Je nachdem, welche Bakterien die Darmflora dominieren, würden diese Einflüsse das Krebsrisiko fördern oder
senken.
Vergleich von Mikrobiomen
Professor Dr. Jiyoung Ahn, New
York, stellte eine US-Studie vor, in
der die Mikrobiome von Darmkrebspatienten mit denen einer nicht an
Krebs erkrankten Kontrollgruppe
verglichen wurden. Dabei zeigte
sich, dass die Mikrobiome der Patienten eine deutlich reduzierte bakterielle Artenvielfalt aufwiesen. Darüber hinaus unterschieden sich die
Mikrobiome hinsichtlich der dominierenden Arten. „Bei den Darmkrebspatienten war der Anteil proinflammatorischer Fusobakterien
gegenüber der Kontrollgruppe deutlich erhöht“, sagte Ahn. Dies passe
zu Ergebnissen aus anderen Studien, die bei der Untersuchung von
Darmkrebsgewebe eine Vermehrung
des Fusobakterienanteils fanden.
Ein weiterer Befund der Studie
war, dass die Darmflora der Krebspatienten signifikant weniger Clostridia-Bakterien enthielt. Diese metabolisieren Ballaststoffe zu Butyrat,
das einen antikarzinogenen Effekt
hat. Umgekehrt fördern Ballaststoffe die Dominanz von Clostridia. Dies
könnte eine Erklärung dafür sein,
warum eine ballaststoffreiche Ernährung das Krebsrisiko senkt.
50 Gramm Ballaststoffe pro Tag
Wie rasch die Ernährung wichtige
Biomarker für ein erhöhtes Darmkrebsrisiko beeinflussen kann, zeigt
eine aktuelle Studie. Darin tauschten städtische Afroamerikaner, die
häufiger als weiße Amerikaner an
Darmkrebs erkranken, und ländlich
lebende südafrikanische Zulus, bei
denen Darmkrebs nahezu unbekannt ist, ihre gewohnte Ernährung
für zwei Wochen: die Zulus aßen
statt ihrer kohlenhydratbasierten,
ballaststoffreichen Kost hauptsächlich Fleisch, während die Afroamerikaner von Big Mac und Pommes zu
Hirse und Co. wechselten.
„Zum Studienbeginn hatten die
Zulus einen hohen Anteil an Butyrat-produzierenden Bakterien und
hohe Butyratspiegel im Stuhl“, berichtete der medizinische Studienleiter Dr. Stephen O’Keefe, Pittsburgh. „Im Gegensatz dazu fand sich
bei den Afroamerikanern ein hoher
Anteil an Bakterien, die krebsfördernde sekundäre Gallensäuren produzierten, und entsprechend hohe
Gallensäurespiegel.“
Nach der zweiwöchigen Ernährungsumstellung waren die Verhältnisse nahezu auf den Kopf gestellt.
Bei den Zulus führte der Kostwechsel dazu, dass der Anteil der Butyratproduzenten und die Butyratspiegel
sanken und der Anteil der Gallensäureproduzenten und die Gallensäurespiegel stiegen; bei den Afroamerikanern war die Entwicklung
gegenläufig. Dies galt auch für diverse Biomarker, die das Darmkrebsrisiko beeinflussen: So stieg bei den
Zulus die Zahl der Ki67+/CD3+ und
CD86+ Zellen an, bei den Afroamerikanern hingegen sank sie. Sämtliche
diätbedingte Veränderungen waren
signifikant.
„Eine unausgewogene Ernährung
verändert also innerhalb kurzer Zeit
die Darmflora und führt zu einer
Konzentration
proinflammatorischer und proliferativer Stoffwechselprodukte, die das Krebsrisiko erhöhen“, resümierte O’Keefe. Er
empfahl, den Anteil von Fleisch und
Fett in der westlichen Diät zu halbieren und mindestens 50 Gramm Ballaststoffe pro Tag zu sich zu nehmen.
Man könne dies als Beleg dafür
sehen, dass die menschliche Darmflora über eine genetische Ausstattung verfüge, die nach einer ausgewogenen Ernährung verlange, und
dass die Umstellung westlicher Ernährungsgewohnheiten auf eine ballaststoffreiche Diät eine schnelle
Wirkung zeigen könne. Dies sind
erste Anhaltspunkte für die Bedeutung, die die Darmflora für die Entwicklung von Darmkrebs und für
neue Präventionskonzepte haben
könnte. (gl)
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