Fliege wieder auf dem Vormarsch?

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Fliege wieder auf dem Vormarsch?
Ein unscheinbares schwirrendes Insekt – das soll dem Menschen Modell stehen? Tatsächlich
hat Drosophila melanogaster seit Anfang des 20. Jahrhunderts entscheidende Einblicke in
unsere Genetik, Entwicklung und Neurobiologie ermöglicht. Prof. Dr. Karl-Friedrich
Fischbach von der Universität Freiburg untersucht seit Jahrzehnten, wie sich das Gehirn der
Schwarzbäuchigen Taufliege entwickelt und wie es funktioniert. Inwiefern können die
Ergebnisse dieser Forschung etwas über unser eigenes Gehirn enthüllen? Das Beispiel einer
von Fischbach und seinem Team entdeckten Molekül-Gruppe zeigt es.
Drosophila melanogaster © Andre Karwath aka Aka
Überraschend klingt es schon: Die kleine Taufliege Drosophila melanogaster soll helfen, das
menschliche Gehirn zu verstehen. Kann dieses unbemannte Flugobjekt etwa komplexe RechenAufgaben lösen? Kann es schreiben? Lesen? Kann es sprechen? „Benutzt man einen
Modellorganismus, setzt man stillschweigend etwas voraus“, sagt Prof. Dr. Karl-Friedrich
Fischbach von der Abteilung für Neurobiologie und Genetik am Institut für Biologie III der
Universität Freiburg. „Und zwar, dass es in der Natur allgemeine Prinzipien gibt, die man von
einfach gebauten Organismen auch auf komplexer gebaute Organismen inklusive des
Menschen übertragen kann.“ Als ein sich sexuell fortpflanzendes Tierchen unterliegt die
Taufliege zum Beispiel den Gesetzen der klassischen Genetik. In der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts half sie etwa dem Nobelpreisträger Thomas Hunt Morgan, die Vererbung von
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Eigenschaften auf die Nachkommen mit der Verteilung der Chromosomen in der Keimbahn in
Verbindung zu bringen. Ein Prinzip, das auch beim Menschen regiert. Gibt es so eine allgemeine
Ähnlichkeit auch zwischen dem menschlichen und dem Fliegengehirn?
Überraschende Parallelen
„Ja, die gibt es trotz aller anatomischer Unterschiede durchaus“, sagt Fischbach. „Zum Beispiel
in den Gebieten, die das Sehen vermitteln. Diese weisen sowohl beim Menschen als auch bei
der Fliege einen sogenannten visuotopen Aufbau auf.“ Neuronen, die vom Auge ausgehen und
Informationen aus benachbarten Bereichen des Sehfeldes übermitteln, innervieren auch
benachbarte Bereiche im optischen Areal. In beiden Gehirnen liegt also gewissermaßen eine
Karte des Sehfeldes vor. Zudem sind sowohl beim Menschen als auch bei der Fliege einzelne
Zellschichten funktional getrennt. Nervenzellen, die Vertikalbewegungen von Objekten
kodieren, bilden ihre Synapsen in anderen Schichten aus als diejenigen, die
Horizontalbewegungen melden. Diese höchst geordnete Verschaltung entsteht bei Drosophila
bereits während der Entwicklung. Die Axone der Nervenzellen, die in den einzelnen „Teilaugen“
(den sogenannten Ommatidien) des Komplexauges sitzen, wandern aus und tasten sich durch
mehrere Zellschichten des Gehirns an ihr Ziel. Auch diese Wachstums- und
Zielfindungsvorgänge sind beim Menschen ähnlich. Fischbach und sein Team untersuchen
unter anderem, wie die Fortsätze der Zellen ihren Bestimmungsort erkennen.
Ein Neuron in der sogenannten Lamina des optischen Areals im Fliegengehirn. Die Lamina ist säulenförmig
aufgebaut, wobei in jeder Säule die visuelle Information eines Bildpunktes weitergeleitet und verarbeitet wird. © Prof.
Dr. Karl-Friedrich Fischbach
Rund hunderttausend Individuen wuseln in den Glasbehältern des Fischbach-Labors. Die
Stammsammlung enthält zweihundert verschiedene Genotypen, also Gruppen, die sich durch
genetische Unterschiede von den anderen abgrenzen. Viele davon haben die Freiburger
Forscher mit den Methoden der klassischen Genetik erzeugt, etwa durch Mutagenese mit UVLicht. Einige haben sie aber auch molekulargenetisch manipuliert und sie so zu Transgenen
gemacht, die fremde Bereiche in ihrem Erbgut tragen. „Drosophila zu untersuchen hat einige
Vorteile“, sagt Fischbach. Weil das Insekt bis zu 200 Nachkommen pro Paar zeugen kann und
sich innerhalb von zwei Wochen zum Erwachsenen entwickelt, lassen sich Transgene schneller
herstellen als etwa im Falle der Maus. Das spart Zeit und damit Geld. Die Methode, fremde
Gene einzuführen, ist inzwischen gut etabliert. Sie gehört zum Standardrepertoire eines jeden
Drosophila-Labors. Fischbach betreibt mit mehreren Kollegen die Internetplattform
flybrain.org, auf der Informationen zum anatomischen Aufbau des Fliegengehirns einzusehen
sind. Außerdem gibt es weltweit diverse Datenbanken, in denen lebende Mutanten gehalten
werden, bei denen untypische Merkmale beobachtet wurden. Diese sind oft Ausgangspunkt für
die Forschung.
Eine universelle Molekülgruppe
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Das innere Chiasma im Gehirn einer Taufliegen-Larve © www.flybrain.org
Vor mehr als zehn Jahren stießen Fischbach und sein Team bei einer solcher Mutante auf das
Gen irregular Chiasm C (irreC). Ist dieses Gen kaputt, dann kommt es zu Fehlbildungen in
Bereichen des optischen Areals im Fliegengehirn, die als äußeres und inneres Chiasma
bezeichnet werden. Die Axone aus dem Auge finden ihre Ziele in tiefer liegenden Schichten des
Gehirns nur noch über Umwege. Weitere Forschungen ergaben: Irre C hat eine Schwester, das
Protein Kirre. Beide sitzen in der Membran von Axonendigungen, ragen in den extrazellulären
Raum hinein und können definierte Proteine auf der Oberfläche von anderen Zellen binden.
„Auf diese Weise erkennen die wachsenden Axone ihre Zielzellen“, sagt Fischbach. An den
Membranen der Zielzellen haben die Wissenschaftler nach und nach auch die Proteinpartner
gefunden, die von IrreC und Kirre gebunden werden. Die gesamte funktionelle Einheit haben
sie das „irre cell recognition module“ (IRM) getauft. Die Moleküle sind allesamt Mitglieder der
Immunglobulin-Familie. Somit ähneln sie den Antikörpern des Immunsystems, wie sie auch
beim Menschen zu finden sind. Und das ist noch nicht einmal die einzige Ähnlichkeit.
Unabhängig von Fischbachs Arbeitsgruppe haben die Freiburger Mediziner Gerd Walz und
Tobias Huber von der Sektion Nephrologie und Allgemeinmedizin der Medizinischen Uniklinik
Freiburg entsprechende Moleküle auch in den Zellen der menschlichen Niere entdeckt.
„Inzwischen wissen wir auch, dass sie im menschlichen Gehirn vorkommen“, sagt Fischbach.
„Es ist wahrscheinlich, dass sie dort eine ähnliche Funktion erfüllen wie in der Taufliege.“ Für
diese Annahme gibt es inzwischen auch erste experimentelle Hinweise. Fischbachs Doktorand
Martin Helmstädter hat die Taufliegen genetisch so manipuliert, dass sie die menschlichen
Varianten der IRM-Moleküle in den Zellen des Komplexauges bilden. Der Effekt war erstaunlich.
„Die extrem geordnete Zusammensetzung des Komplexauges war durcheinander“, sagt
Helmstädter. „Im Rasterelektronenmikroskop sehen diese Komplexaugen genauso aus wie
Komplexaugen, in denen zu viel von den Drosophila-IRM-Molekülen gebildet wird.“ Das zeigt,
dass die menschlichen und die Fliegen-Moleküle höchst wahrscheinlich eine ähnliche Aufgabe
erfüllen. Mit diesem Grundlagenwissen lassen sich jetzt konkretere Experimente mit der Maus
planen, die dem Menschen noch näher verwandt ist. So enthüllen die Wissenschaftler vielleicht
noch mehr molekulare Details.
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„Heute scheint die Taufliege eine echte Renaissance zu erleben“, sagt Fischbach. „Sowohl hier
in Freiburg als auch auf der ganzen Welt gibt es wieder mehr und mehr Drosophila-Labore.“ Je
mehr die Forschung in den Bereich der Molekularbiologie vordringt, desto wichtiger werden
molekulargenetisch einfach handhabbare Modellorganismen. Und wenn wir etwas über uns
selbst erfahren wollen, dann sind sie zumindest für die Grundlagenforschung weiterhin
unverzichtbar.
Fachbeitrag
26.08.2009
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Prof. Dr. Karl-Friedrich Fischbach
Institut für Biologie III
Schänzlestr. 1
79104 Freiburg
Tel.: 0761- 203 2730
Fax: 0761- 203 2866
E-Mail: kff(at)uni-freiburg.de
Uni Freiburg - Institut für Biologie
III
FLYBRAIN
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Modellorganismen
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